Jens Reich

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Die Leber als Steuerorgan für den Eisenumsatz im Körper –
Ein systembiologisches Projekt der hierarchischen organismischen
Regulation
Bedeutung ionischen Eisens für den Organismus
Als Katalysator in nahezu sämtlichen Atmungs- und Redoxprozessen ist ionisches Eisen für
jede Zelle absolut lebenswichtig. Der Körper hält sich deshalb einen Vorratsspeicher an
Eisen. Ist dieser jedoch gefüllt, dann wird ein Überschuss wegen der Fähigkeit dieses
Elements, die Entstehung äußerst aggressiver Radikale zu bewirken, zum hochgefährlichen
Zellgift. Eisenvergiftung ist eine der häufigsten genetischen Krankheiten, sehr schwer zu
behandeln, im schlimmsten Fall tödlich mit multiplem Organversagen, vor allem als
Leberschrumpfung und Leberkrebs, endend. Eisenmangel wiederum ist weltweit eine der
häufigsten ernährungsbedingten Mangelkrankheiten, durch chronischen (auch geringfügigen)
Blutverlust mitbedingt und durch zahlreiche Folgekrankheiten kompliziert. Schließlich sind
Verteilungsstörungen des Eisens im Organismus die Ursache für die verbreitete Anämie bei
chronischen Infektionen und bei Krebs. Letztere können auch dann lebensbedrohlich werden,
wenn es die Hauptkrankheit noch gar nicht ist.
Konkurrenz und Kooperation von zellulärer und organismischer Regulation
Mit der Balance des Eisenhaushaltes vollbringt der gesunde Körper eine bemerkenswerte
systemische Integrationsaufgabe. Jede Zelle des Körpers hat ein autonomes, sehr kräftiges
und auf ihre Funktion spezifisch zugeschnittenes Regulationssystem für Eisenaufnahme,
Eisenverwertung, Eisenspeicherung und Eisenfreigabe. Im gesamten Organismus kann diese
Vielfalt nur im Gleichgewicht gehalten werden, wenn es homöostatisch programmierte
Steuerungsinstanzen gibt. Diese Funktion erfüllt vor allem die Leber, die sowohl den globalen
Eisenumsatz als auch (autocrin) den quantitativ bedeutenden eigenen Eisenspeicher durch
entsprechende Hormonsignale orchestriert. Auf zellulärer Ebene kommt es zu einem
ständigen Wechselspiel von globaler und lokaler Regulation durch transkriptorisch wirksame
Signalkaskaden wie auch vor allem durch auf Translationsebene eingreifender Steuersignale,
mit je nach Situation sowohl konkurrierenden wie kooperierenden Konstellationen, deren
dynamische Auswirkungen ungeklärt sind. Speziell in der Leber koexistieren stabilisierende
Effekte mit einer Tendenz zu autokatalytisch verstärkter Schalterdynamik, die einer solchen
hierarchischen Struktur inhärent ist.
Leber und Eisenumsatz im Körper – als Systemprojekt einer hierarchischen Regulation
Die elementale Aufklärung ebenso wie das tiefere Verständnis dieser Zusammenhänge stellen
ein systembiologisches Forschungsziel par excellence dar. Nur mit Hilfe eines Systemmodells
ist es möglich, die lange vorherrschende rein phänomenale Beschreibung der Eisenverteilung
im normalen wie im pathologischen Organismus und die Dynamik der Ausbreitung von
radioaktiven Markern mit der zellbiologischen Analyse (z.B. an isolierten Hepatozyten,
Macrophagen und Enterozyten) zu integrieren. Unabdingbar ist ebenso eine kybernetische
Analyse der Antwort des Systems auf definierte Perturbationen. Die theoretische
Beschreibung ist dabei auf Quantifizierung durch das Datenmaterial aus wohldefinierten,
experimentellen, zellspezifisch adressierten Eingriffen am Modellorganismus angewiesen.
Hier kommt nur die Maus in Frage, mit den für sie ausgearbeiteten Modellkrankheiten sowie
den hier möglichen Genkonstruktionen (z.B. mit zellspezifischen Promotern versehenen CreLox-Konstrukten). Dies sind systemtheoretische Perturbationen, deren Auswirkungen dann
auf der globalen Stoffwechselebene (Aufnahme, Umsetzung, Ausscheidung, Speicherung) zu
studieren sind.
Voraussetzungen für ein Systemprojekt „Leber und Eisenumsatz im Körper –
systembiologische Grundlagen und klinische Anwendung“
Im zurückliegenden Jahrzehnt gelang es, die am Prozess beteiligten Gene zu identifizieren
und zu klonieren und ihre Genprodukte (Signalhormone, Eisen-Rezeptoren, Endozytose- und
Abbaumechanismen, Transportproteine, Redoxenzyme, Hämbiosynthese-Enzsyme usw.)
sowie ihre Genprodukte zu charakterisieren, so dass die lange notgedrungen vorherrschende
Bilanzbeschreibung im Prinzip durch kinetische Substrukturen ergänzbar geworden ist. Dies
ist allerdings äußerst komplex, denn es verknüpft die weitgehend autonome zelluläre
Regulation verschiedenster Zelltypen mit der übergreifenden globalen Regulation im
Organismus – sie ist aber auch vergleichsweise einfach, weil die biochemische Sonderstellung
des Spurenelements ein dafür spezifisches Subsystem bedingt. Anders als etwa bei der
Regulation der Homöostase des Zentralstoffwechsels oder der Zellproliferation ist die Anzahl
der beteiligten molekularen und zellbiologischen Systemelemente absehbar und damit die
Komplexität der Vernetzung auch wieder auf ein Subsystem eingegrenzt.
Die Untersuchung der zentralen Rolle der Leber im Eisenstoffwechsel erfordert zwingend
experimentelles und theoretisches Zusammen wirken auf drei organismischen Ebenen. Für
den gesamten Organismus muss die Verteilung des Eisens und seine Gesamtbilanz als
Grundlage dienen, wobei neben biochemischen Analyseverfahren auch jahrzehntelange
Erfahrungen mit radioaktiven Markern zur Verfügung stehen, mit denen man die Dynamik
der Verteilung im normalen Organismus, aber auch bei den wichtigen medizinisch gut
erforschten Eisenmangel- oder -verteilungsstörungen messen kann. Diese Ebene gestattet die
Feststellung dessen, was geschieht, aber nicht warum und wie es geschieht. Genau das ist die
Aufgabe der systembiologischen Arbeit, die experimentell auf zwei Ebenen stattfindet: mit
isolierten Zellen oder Geweben (z.B. Hepatozyten, Makrophagen, Enterozyten) und am
intakten Modellorganismus, den man verschiedenen Ernährungsregimen unterwerfen, jedoch
auch zellspezifisch gezielt an einzelne Gene und Genprodukte adressierte genetische
Konstrukte herstellen und pathophysiologisch charakterisieren kann. Einfache Gen-knockouts
sind oft schon für den frühen Embryo letal und deshalb nicht aussagefähig, weshalb die CreLox-Strategie eingesetzt werden muss, um ein Gen nur in bestimmten Zelltypen
auszuschalten.
Eine für isolierte Zellen geeignete Strategie ist die Ausschaltung von Genen durch RNSInterferenz. Schließlich kann man auch die Transkription/Translation gewisser Gene
„konstitutiv“ erzwingen, um ihr Wirken ohne Kontrolle zu untersuchen. Alle diese
experimentellen Konstrukte dienen dazu, sowohl normale wie beschädigte Regulation in vivo
und in vitro zu charakterisieren. Dazu mau man die systemischen Auswirkungen untersuchen,
also die resultierenden Umstellungen im Gesamtorganismus studieren, wenn das Modell
aussagekräftig sein soll. Da die Maus als Modellorganismus eingesetzt wird, benötigt man
nicht nur ein phänomenologisches Gesamtmodell des Menschen (einschließlich der
markantesten eisen-relevanten Krankheiten), sondern auch ein vergleichendes bei der Maus,
was mehr als eine triviale Reskalierung darstellt.
Stand der Arbeiten im Netzwerk „IronLiver“ und Zielsetzung der weiteren Arbeiten
Das Netzwerk „IronLiver“ wurde im Rahmen der zweiten Etappe von HepatoSys in Angriff
genommen. Es arbeitet seit einem Jahr und 2 Monaten. Es nehmen gegenwärtig 7 Personen,
davon 3 PhD-Studenten mit voller Kapazität teil. Es bestehen aus drei eng verflochtene
Subprojekte, ein überwiegend theoretisch orientiertes (am MDC) und zwei experimentelle
(EMBL und Uni HD). Die experimentellen Gruppen sind gegenwärtig mit der Herstellung
aussagekräftiger Genkonstrukte bei der Maus beschäftigt, was aus methodischen Gründen
(zellbiologische Vorbereitungen wie züchterische Reindarstellung der angestrebten
genetischen Linien) bis zu zwei Jahren dauern kann. Erst dann können die systemischen
Auswirkungen der konstruierten Perturbationen am Organismus (Eisenverteilung,
Eisenumsatz, „Phänotyp“ d.h. evtl. sichtbar werdende Erkrankung) vermessen werden.
Gleichzeitig wird die Entwicklung eines mathematischen Modells des Eisenstoffwechsels von
Mensch/Maus vorangetrieben. Gegenwärtig wurde vor allem aus Literaturdaten ein
umfassendes Eisen-Fluss-und -Verteilungsmodell des Menschen erarbeitet – die Parallele für
die Maus soll durch Kooperation mit einer Arbeitsgruppe der TU München erreicht werden.
Für die bei globalen Modellen unabdingbaren Abschätzungen der kinetischen Parameter
wurde eine Kooperation mit der Gruppe Timmer/Freiburg begonnen, in der Experten für die
Charakterisierung von Modellparametern bei Unterbestimmung durch experimentelle
Information arbeiten. Wir werden im Herbst eine erste Publikation vorlegen können.
Methodisches Profil des Netzwerks und seine Verbreiterung durch Kooperation
In dem bestehenden Netzwerk gibt es theoretische Arbeitskapazität mit langjähriger
systembiologischer Erfahrung, allerdings noch nicht auf dem Gebiet des Eisenstoffwechsels.
Die zwei experimentellen Arbeitsgruppen haben ebenfalls lange Erfahrung mit biochemischer
Analyse und gentechnischer Konstruktion des Untersuchungsobjektes, jetzt auch bei der
auswertenden Vermessung systembiologisch relevanter Gesamtparameter des
Eisenstoffwechsels. Ihre Publikationsliste weist international führende Arbeitsergebnisse aus.
Es besteht außerdem weltweite intensive Zusammenarbeit mit weiteren methodischen
Wissensträgern im Rahmen der internationalen Community.
Es ist geplant, durch internationale Kooperation das methodisch-konzeptionelle Potential des
Projekts zu vertiefen. Wir planen dazu intensivere (als bisher) Kooperation mit theoretischen
Gruppen (vor allem Timmer und Reuss) sowie mit experimentellen Gruppen, die know-how
für Untersuchungen an isolierten Hepatcyten haben (Hengstler, Gebhard, Klingmüller,
Zerial). Außerdem ist beabsichtigt, die AG Toxikologie (Prof. Schümann) des
Wissenschaftszentrums Weihenstephan, Technische Universität München für die Mitarbeit zu
gewinnen. Hierbei wird angestrebt, die mit dieser Gruppe kooperierenden pharmakologischen
Firmen ggf. zur Mitwirkung zu gewinnen.
Zukunftsvision für das Netzwerk
Eine Zukunftsprognose ist gefragt. Wie könnte ein vollendetes Leber-EisenstoffwechselModell aussehen, und welchen Anwendungsbereich und welchen Nutzen würde es haben?
Es wird ein Modell entstehen, in dem die hierarchischen Organisations- und
Regulationsebenen, von den Molekülen und Zellorganellen über die Zelle bis zum Gewebe,
Organ und dem gesamten Organismus, für einen abgegrenzten, aber medizinisch wichtigen
Teil der Körperhomöostase mathematisch und als Computerprogramm integriert sind. Als
Anhang wird eine Datenbank von physiologisch und zellbiologisch wichtigen Einzeltatsachen
mit Referenz auf publizierte Quellen vorliegen. Das Computerprogramm wird es erlauben, in
silico Experimente durchzuführen, um den Abgleich experimenteller Messungen mit den
theoretischen Vorhersagen darzustellen. Es werden auch solche in silico Studien
aussagekräftig sein, die sich in vitro aus den verschiedensten technischen und ethischen
Gründen nicht durchführen lassen. Es lässt sich auch die Entwicklung einer wissensbasierten
Datenbank skizzieren, die bei der oft schwierigen Differentialdiagnose hämatologischer
Erkrankungen von eisenbedingten Störungen und ihres Umfeldes von Nutzen für die
medizinische Praxis sind. Das Modell wird auch die Toxikologie des Eisens dynamisch
darstellen und kann als Therapieüberwacher für oralen und/oder parenteralen Eisenersatz
unter Vermeidung der gefährlichen toxischen Nebenwirkungen dienstbar sein.
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