Die Leber als Steuerorgan für den Eisenumsatz im Körper – Ein systembiologisches Projekt der hierarchischen organismischen Regulation Bedeutung ionischen Eisens für den Organismus Als Katalysator in nahezu sämtlichen Atmungs- und Redoxprozessen ist ionisches Eisen für jede Zelle absolut lebenswichtig. Der Körper hält sich deshalb einen Vorratsspeicher an Eisen. Ist dieser jedoch gefüllt, dann wird ein Überschuss wegen der Fähigkeit dieses Elements, die Entstehung äußerst aggressiver Radikale zu bewirken, zum hochgefährlichen Zellgift. Eisenvergiftung ist eine der häufigsten genetischen Krankheiten, sehr schwer zu behandeln, im schlimmsten Fall tödlich mit multiplem Organversagen, vor allem als Leberschrumpfung und Leberkrebs, endend. Eisenmangel wiederum ist weltweit eine der häufigsten ernährungsbedingten Mangelkrankheiten, durch chronischen (auch geringfügigen) Blutverlust mitbedingt und durch zahlreiche Folgekrankheiten kompliziert. Schließlich sind Verteilungsstörungen des Eisens im Organismus die Ursache für die verbreitete Anämie bei chronischen Infektionen und bei Krebs. Letztere können auch dann lebensbedrohlich werden, wenn es die Hauptkrankheit noch gar nicht ist. Konkurrenz und Kooperation von zellulärer und organismischer Regulation Mit der Balance des Eisenhaushaltes vollbringt der gesunde Körper eine bemerkenswerte systemische Integrationsaufgabe. Jede Zelle des Körpers hat ein autonomes, sehr kräftiges und auf ihre Funktion spezifisch zugeschnittenes Regulationssystem für Eisenaufnahme, Eisenverwertung, Eisenspeicherung und Eisenfreigabe. Im gesamten Organismus kann diese Vielfalt nur im Gleichgewicht gehalten werden, wenn es homöostatisch programmierte Steuerungsinstanzen gibt. Diese Funktion erfüllt vor allem die Leber, die sowohl den globalen Eisenumsatz als auch (autocrin) den quantitativ bedeutenden eigenen Eisenspeicher durch entsprechende Hormonsignale orchestriert. Auf zellulärer Ebene kommt es zu einem ständigen Wechselspiel von globaler und lokaler Regulation durch transkriptorisch wirksame Signalkaskaden wie auch vor allem durch auf Translationsebene eingreifender Steuersignale, mit je nach Situation sowohl konkurrierenden wie kooperierenden Konstellationen, deren dynamische Auswirkungen ungeklärt sind. Speziell in der Leber koexistieren stabilisierende Effekte mit einer Tendenz zu autokatalytisch verstärkter Schalterdynamik, die einer solchen hierarchischen Struktur inhärent ist. Leber und Eisenumsatz im Körper – als Systemprojekt einer hierarchischen Regulation Die elementale Aufklärung ebenso wie das tiefere Verständnis dieser Zusammenhänge stellen ein systembiologisches Forschungsziel par excellence dar. Nur mit Hilfe eines Systemmodells ist es möglich, die lange vorherrschende rein phänomenale Beschreibung der Eisenverteilung im normalen wie im pathologischen Organismus und die Dynamik der Ausbreitung von radioaktiven Markern mit der zellbiologischen Analyse (z.B. an isolierten Hepatozyten, Macrophagen und Enterozyten) zu integrieren. Unabdingbar ist ebenso eine kybernetische Analyse der Antwort des Systems auf definierte Perturbationen. Die theoretische Beschreibung ist dabei auf Quantifizierung durch das Datenmaterial aus wohldefinierten, experimentellen, zellspezifisch adressierten Eingriffen am Modellorganismus angewiesen. Hier kommt nur die Maus in Frage, mit den für sie ausgearbeiteten Modellkrankheiten sowie den hier möglichen Genkonstruktionen (z.B. mit zellspezifischen Promotern versehenen CreLox-Konstrukten). Dies sind systemtheoretische Perturbationen, deren Auswirkungen dann auf der globalen Stoffwechselebene (Aufnahme, Umsetzung, Ausscheidung, Speicherung) zu studieren sind. Voraussetzungen für ein Systemprojekt „Leber und Eisenumsatz im Körper – systembiologische Grundlagen und klinische Anwendung“ Im zurückliegenden Jahrzehnt gelang es, die am Prozess beteiligten Gene zu identifizieren und zu klonieren und ihre Genprodukte (Signalhormone, Eisen-Rezeptoren, Endozytose- und Abbaumechanismen, Transportproteine, Redoxenzyme, Hämbiosynthese-Enzsyme usw.) sowie ihre Genprodukte zu charakterisieren, so dass die lange notgedrungen vorherrschende Bilanzbeschreibung im Prinzip durch kinetische Substrukturen ergänzbar geworden ist. Dies ist allerdings äußerst komplex, denn es verknüpft die weitgehend autonome zelluläre Regulation verschiedenster Zelltypen mit der übergreifenden globalen Regulation im Organismus – sie ist aber auch vergleichsweise einfach, weil die biochemische Sonderstellung des Spurenelements ein dafür spezifisches Subsystem bedingt. Anders als etwa bei der Regulation der Homöostase des Zentralstoffwechsels oder der Zellproliferation ist die Anzahl der beteiligten molekularen und zellbiologischen Systemelemente absehbar und damit die Komplexität der Vernetzung auch wieder auf ein Subsystem eingegrenzt. Die Untersuchung der zentralen Rolle der Leber im Eisenstoffwechsel erfordert zwingend experimentelles und theoretisches Zusammen wirken auf drei organismischen Ebenen. Für den gesamten Organismus muss die Verteilung des Eisens und seine Gesamtbilanz als Grundlage dienen, wobei neben biochemischen Analyseverfahren auch jahrzehntelange Erfahrungen mit radioaktiven Markern zur Verfügung stehen, mit denen man die Dynamik der Verteilung im normalen Organismus, aber auch bei den wichtigen medizinisch gut erforschten Eisenmangel- oder -verteilungsstörungen messen kann. Diese Ebene gestattet die Feststellung dessen, was geschieht, aber nicht warum und wie es geschieht. Genau das ist die Aufgabe der systembiologischen Arbeit, die experimentell auf zwei Ebenen stattfindet: mit isolierten Zellen oder Geweben (z.B. Hepatozyten, Makrophagen, Enterozyten) und am intakten Modellorganismus, den man verschiedenen Ernährungsregimen unterwerfen, jedoch auch zellspezifisch gezielt an einzelne Gene und Genprodukte adressierte genetische Konstrukte herstellen und pathophysiologisch charakterisieren kann. Einfache Gen-knockouts sind oft schon für den frühen Embryo letal und deshalb nicht aussagefähig, weshalb die CreLox-Strategie eingesetzt werden muss, um ein Gen nur in bestimmten Zelltypen auszuschalten. Eine für isolierte Zellen geeignete Strategie ist die Ausschaltung von Genen durch RNSInterferenz. Schließlich kann man auch die Transkription/Translation gewisser Gene „konstitutiv“ erzwingen, um ihr Wirken ohne Kontrolle zu untersuchen. Alle diese experimentellen Konstrukte dienen dazu, sowohl normale wie beschädigte Regulation in vivo und in vitro zu charakterisieren. Dazu mau man die systemischen Auswirkungen untersuchen, also die resultierenden Umstellungen im Gesamtorganismus studieren, wenn das Modell aussagekräftig sein soll. Da die Maus als Modellorganismus eingesetzt wird, benötigt man nicht nur ein phänomenologisches Gesamtmodell des Menschen (einschließlich der markantesten eisen-relevanten Krankheiten), sondern auch ein vergleichendes bei der Maus, was mehr als eine triviale Reskalierung darstellt. Stand der Arbeiten im Netzwerk „IronLiver“ und Zielsetzung der weiteren Arbeiten Das Netzwerk „IronLiver“ wurde im Rahmen der zweiten Etappe von HepatoSys in Angriff genommen. Es arbeitet seit einem Jahr und 2 Monaten. Es nehmen gegenwärtig 7 Personen, davon 3 PhD-Studenten mit voller Kapazität teil. Es bestehen aus drei eng verflochtene Subprojekte, ein überwiegend theoretisch orientiertes (am MDC) und zwei experimentelle (EMBL und Uni HD). Die experimentellen Gruppen sind gegenwärtig mit der Herstellung aussagekräftiger Genkonstrukte bei der Maus beschäftigt, was aus methodischen Gründen (zellbiologische Vorbereitungen wie züchterische Reindarstellung der angestrebten genetischen Linien) bis zu zwei Jahren dauern kann. Erst dann können die systemischen Auswirkungen der konstruierten Perturbationen am Organismus (Eisenverteilung, Eisenumsatz, „Phänotyp“ d.h. evtl. sichtbar werdende Erkrankung) vermessen werden. Gleichzeitig wird die Entwicklung eines mathematischen Modells des Eisenstoffwechsels von Mensch/Maus vorangetrieben. Gegenwärtig wurde vor allem aus Literaturdaten ein umfassendes Eisen-Fluss-und -Verteilungsmodell des Menschen erarbeitet – die Parallele für die Maus soll durch Kooperation mit einer Arbeitsgruppe der TU München erreicht werden. Für die bei globalen Modellen unabdingbaren Abschätzungen der kinetischen Parameter wurde eine Kooperation mit der Gruppe Timmer/Freiburg begonnen, in der Experten für die Charakterisierung von Modellparametern bei Unterbestimmung durch experimentelle Information arbeiten. Wir werden im Herbst eine erste Publikation vorlegen können. Methodisches Profil des Netzwerks und seine Verbreiterung durch Kooperation In dem bestehenden Netzwerk gibt es theoretische Arbeitskapazität mit langjähriger systembiologischer Erfahrung, allerdings noch nicht auf dem Gebiet des Eisenstoffwechsels. Die zwei experimentellen Arbeitsgruppen haben ebenfalls lange Erfahrung mit biochemischer Analyse und gentechnischer Konstruktion des Untersuchungsobjektes, jetzt auch bei der auswertenden Vermessung systembiologisch relevanter Gesamtparameter des Eisenstoffwechsels. Ihre Publikationsliste weist international führende Arbeitsergebnisse aus. Es besteht außerdem weltweite intensive Zusammenarbeit mit weiteren methodischen Wissensträgern im Rahmen der internationalen Community. Es ist geplant, durch internationale Kooperation das methodisch-konzeptionelle Potential des Projekts zu vertiefen. Wir planen dazu intensivere (als bisher) Kooperation mit theoretischen Gruppen (vor allem Timmer und Reuss) sowie mit experimentellen Gruppen, die know-how für Untersuchungen an isolierten Hepatcyten haben (Hengstler, Gebhard, Klingmüller, Zerial). Außerdem ist beabsichtigt, die AG Toxikologie (Prof. Schümann) des Wissenschaftszentrums Weihenstephan, Technische Universität München für die Mitarbeit zu gewinnen. Hierbei wird angestrebt, die mit dieser Gruppe kooperierenden pharmakologischen Firmen ggf. zur Mitwirkung zu gewinnen. Zukunftsvision für das Netzwerk Eine Zukunftsprognose ist gefragt. Wie könnte ein vollendetes Leber-EisenstoffwechselModell aussehen, und welchen Anwendungsbereich und welchen Nutzen würde es haben? Es wird ein Modell entstehen, in dem die hierarchischen Organisations- und Regulationsebenen, von den Molekülen und Zellorganellen über die Zelle bis zum Gewebe, Organ und dem gesamten Organismus, für einen abgegrenzten, aber medizinisch wichtigen Teil der Körperhomöostase mathematisch und als Computerprogramm integriert sind. Als Anhang wird eine Datenbank von physiologisch und zellbiologisch wichtigen Einzeltatsachen mit Referenz auf publizierte Quellen vorliegen. Das Computerprogramm wird es erlauben, in silico Experimente durchzuführen, um den Abgleich experimenteller Messungen mit den theoretischen Vorhersagen darzustellen. Es werden auch solche in silico Studien aussagekräftig sein, die sich in vitro aus den verschiedensten technischen und ethischen Gründen nicht durchführen lassen. Es lässt sich auch die Entwicklung einer wissensbasierten Datenbank skizzieren, die bei der oft schwierigen Differentialdiagnose hämatologischer Erkrankungen von eisenbedingten Störungen und ihres Umfeldes von Nutzen für die medizinische Praxis sind. Das Modell wird auch die Toxikologie des Eisens dynamisch darstellen und kann als Therapieüberwacher für oralen und/oder parenteralen Eisenersatz unter Vermeidung der gefährlichen toxischen Nebenwirkungen dienstbar sein.