Position Indiens dpa NEU DELHI. Indien und Deutschland sehen sich als Kandidaten für einen ständigen Sitz in einem erweiterten UN-Sicherheitsrat. "Indien ist eine der Schlüsselmächte im 21. Jahrhundert", sagte Bundesaußenminister Joschka Fischer in Neu Delhi nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Jaswant Singh. "Indien und Deutschland sind in dieser Angelegenheit keine Konkurrenten, sondern sollten zusammenarbeiten", fügte Singh hinzu. Fischer eröffnete in Neu Delhi das deutsche Kulturfestival in Indien, das bis zum März kommenden Jahres dauert. Am Sonntag flog er wieder zurück nach Deutschland. Bei seinem Treffen mit Singh forderte Fischer Indien erneut auf, den Atomteststoppvertrag (CTBT) zu unterzeichnen. Deutschland gehöre zu den Staaten, die diesen Vertrag unterstützten. "Wir hoffen, dass auch alle anderen Staaten, Indien eingeschlossen, den CTBT unterzeichnen", sagte Fischer. Zum Thema UN-Reform sagten Fischer und Singh, Deutschland und Indien seien bereit, eine starke Rolle in einem reformierten Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu spielen. "Wir würden eine stärkere Rolle Indiens begrüßen", sagte Fischer. Singh drückte die Hoffnung aus, dass die Zusammensetzung des Sicherheitsrats die Welt künftig besser repräsentiere. Politische Beobachter in Indien meinen, dass die beiden Länder ihre Ambitionen auf einen Sicherheitsratssitz durch eine gegenseitige Unterstützung verbessern könnten. Mit Indien wäre eines der armen Länder des Südens in dem UN-Gremium vertreten, mit Deutschland eine weitere wichtige Industrienation. Quelle: http://www.handelsblatt.com/archiv/indien-und-deutschland-streben-un-sicherheitsratssitz-an;333283 Indiens Außenpolitik Einführung und Überblick Stefan Mentschel Indien hat in den vergangenen Jahren erheblich an politischem Gewicht gewonnen. Zugrunde liegen dem selbstbewussten Agieren auf der Weltbühne unter anderem eine Neuausrichtung der indischen Außenpolitik nach Ende des Kalten Krieges und die kontinuierlich boomende Wirtschaft als Stütze dieser Politik. […] Nach Erlangung der staatlichen Souveränität 1947 agierte die junge Nation unter Führung von Premier Jawaharlal Nehrus unabhängig und selbstbewusst auf internationaler Bühne. Jenseits der Konfrontation der Supermächte erwarb sich Indien durch das Engagement in der Bewegung der Blockfreien Respekt und Anerkennung. Im Jahr 1955 hatten auf Initiative Nehrus 23 asiatische und sechs afrikanische Staaten im indonesischen Bandung den Grundstein für diese Organisation gelegt, die sich im OstWest-Konflikt neutral verhielt. Die Konferenz verabschiedete mehrere Resolutionen, in denen unter anderem "jede Form von Kolonialismus und Rassendiskriminierung" verurteilt und die "Beachtung der Charta der Vereinten Nationen" gefordert wurde. Zudem sprach man sich für den "Abbau der Spannungen zwischen den Machtblöcken und eine allgemeine Abrüstung" aus. Das Bündnis konstituierte sich 1961 in Belgrad, wobei Indien neben Jugoslawien und Ägypten die Führungsrolle übernahm. Auch die starke Bindung an die Sowjetunion war lange eine wichtige Konstante der Position Indiens Außenpolitik Neu Delhis. Als überzeugter Demokrat strebte Nehru nie eine sozialistische Gesellschaftsordnung an, zollte aber wie viele indische Intellektuelle den sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften in dem kommunistischen Land großen Respekt. Daher reagierte er positiv, als Moskau Mitte der 50er Jahre um Indien zu werben begann und den Weg für ein "besonderes Freundschaftsverhältnis" ebnete. Im Gegensatz dazu waren die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten bis zum Ende des Kalten Krieges ambivalent, bisweilen sogar frostig. So gehörte Indien zu den schärfsten Kritikern des US-amerikanischen Krieges in Vietnam. Auch die Rolle Washingtons im Konflikt mit dem Nachbarn Pakistan belastete lange die Beziehungen der beiden größten Demokratien. […] Das indisch-chinesische Verhältnis Nehrus feste Überzeugung, dass sich zwischen den großen asiatischen Staaten Indien und China eine Freundschaft entwickeln würde, ließ ihn die im Laufe der 50er Jahre zunehmenden Spannungen im bilateralen Verhältnis übersehen. Noch auf der erwähnten Konferenz von Bandung hatte Nehru seinen chinesischen Amtskollegen Zhou Enlai wohlwollend in den Kreis der blockfreien Staaten eingeführt. Umso größer war das Entsetzen, als der "chinesische Bruder" Indien 1962 einen Grenzkrieg im Nordosten des Landes aufzwang. Über Jahrzehnte blieb das Verhältnis angespannt. Zwar markierte 1988 der Besuch von Premier Rajiv Gandhi in Peking eine zwischenzeitliche Entspannung. Doch zehn Jahre später begründete die Vajpayee-Regierung die Atomtests auch mit der Bedrohung Indiens durch das chinesische Kernwaffenarsenal. Der damalige Verteidigungsminister George Fernandes ging sogar noch weiter und bezeichnete China als "Feind Nr. 1". Mit Vajpayees China-Besuch 2003 änderte sich die Rhetorik, wobei sogar die Möglichkeit einer Dreierbeziehung zwischen Russland, China und Indien ins Gespräch gebracht wurden. Nach Gegenbesuchen von Ministerpräsident Wen Jiabao (2005) und Staatspräsident Hu Jintao (2006) näherten sich die asiatischen Großmächte weiter an. In der heiklen Frage der Grenzziehung wurde bislang allerdings noch keine abschließende Regelung gefunden. Für Jochen Buchsteiner sind die Beziehungen zwischen Indien und China von "internationaler Bedeutung". "Nicht nur werden die beiden Volkswirtschaften nach Berechnung von Fachleuten spätestens Mitte des Jahrhunderts etwa die Hälfte des Welthandels unter sich aufteilen", schreibt er. Als Nuklearmächte beanspruchten sie auch mehr Mitsprache auf der Bühne der Weltpolitik. "Am Verhältnis von Peking und Delhi wird sich in der Weltpolitik der kommenden Jahrzehnte vermutlich vieles entscheiden." Indiens Rolle in Südasien: Regionale Vormachtstellung In Südasien ist Indien zweifellos das politische und wirtschaftliche Schwergewicht. Aufgrund dieser Dominanz, die nach Ansicht von Beobachtern teilweise zu "Großmachtallüren" führt, dauerte es lange, bis überhaupt eine regionale Kooperationsgemeinschaft gebildet werden konnte. Erst 1985 konstituierte sich die "South Asian Association for Regional Cooperation" (SAARC). Doch Indiens Übermacht sowie die ungeklärte Kaschmir-Frage und das latente Misstrauen der übrigen kleinen Staaten behindern bis heute eine Vertiefung der regionalen Zusammenarbeit. Position Indiens Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere Anbindung an Südostasien an. Im Zuge seiner Look-East-Politik (Blick nach Osten) wurde es im Juli 1996 Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN ("Association of Southeast Asian Nations") und Mitglied im "ASEAN Regional Forum". Neu Delhi hat aber auch selbst die Initiative zur Gründung neuer Regionalorganisationen ergriffen. So wurde 1997 die "Bay of Bengal Initiative for MultiSectoral Technical and Economic Cooperation" (BIMSTEC) ins Leben gerufen, die neben Indien Bangladesch, Myanmar, Sri Lanka und Thailand einschließt. Außenpolitische Neuausrichtung nach Ende des Kalten Krieges Experten werten das Jahr 1991 als wichtige Zäsur in der indischen Geschichte. Der Zerfall der Sowjetunion, das Ende des Kalten Krieges und ein mit tief greifenden Reformen einhergehender wirtschaftspolitischer Kurswechsel waren Ursache dafür, dass auch außenpolitisch allmählich ein Prozess der Neuorientierung einsetzte. Neben der angesprochenen Ausweitung des Interesses für Süd- und Südostasien steht dabei auch die Öffnung gegenüber den westlichen Staaten im Mittelpunkt. Zunächst hatten die Atomtests von 1998 die Außenbeziehungen Indiens erheblich belastet. Neu Delhi erklärte allerdings bald den Verzicht auf den Ersteinsatz von Kernwaffen und weitere Tests – ohne von seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Atomwaffensperrvertrag abzurücken. Dennoch gelang es seit 2000, die historisch schwierigen Beziehungen zu den USA nachhaltig zu verbessern. Gründe für die Annäherung liegen vor allem im wirtschaftliche aber auch im sicherheitspolitische Bereich. So stellte sich Indien nach dem 11. September 2001 im Kampf gegen den internationalen Terrorismus vorbehaltlos an die Seite der Vereinigten Staaten. Vorläufiger Höhepunkt der bilateralen Beziehungen ist ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei der zivilen Nutzung der Atomenergie, dass Premier Manmohan Singh und US-Präsident George W. Bush im März 2006 unterzeichneten. Durch die Anerkennung der Existenz des indischen Atomwaffenprogramms und die faktische Gleichstellung Indiens mit den etablierten Atommächten habe die Bush-Administration das Land auf eine Stufe mit China gehoben, schreibt C. Raja Mohan. "Das Nuklearabkommen ist Beweis dafür, dass Indien und die Vereinigten Staaten in Zukunft nicht nur als pflichtbewusste Demokratien kooperieren, sondern darüber hinaus als Partner gemeinsam am Aufbau einer neuen Weltordnung arbeiten." In Indien stößt diese Entwicklung jedoch nicht nur auf Zustimmung. So plädieren etwa linke Spitzenpolitiker vehement für eine stärke Zusammenarbeit mit Russland, China sowie Brasilien und Südafrika, um ein politisches Gegengewicht zum "Hegemon USA" zu schaffen. Auch die Beziehungen zwischen Europäischer Union und Indien wurden im Jahr 2000 durch die Verabredung jährlicher Spitzenreffen auf eine neue Basis gestellt. Zudem verabschiedete man auf dem Gipfel im Herbst 2005 einen umfassenden Aktionsplan für eine Strategische Partnerschaft. Nach Ansicht von C. Uday Bhaskar haben beide Seiten ihr Potenzial bei der Umsetzung gemeinsamer Interessen aber noch längst nicht ausgeschöpft. Auch die bilateralen Beziehungen zu Deutschland sind ausbaufähig, wobei beide Seite bereits gemeinsam für eine zügige und ausgewogene Reform der UNInstitutionen (in denen sich Indien stark engagiert) werben. Quelle: http://www.bpb.de/themen/ZVL89P.html