Manfred Weber, im Namen der PPE-Fraktion. – Herren Präsidenten, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie ist die Lage, in der sich Europa derzeit befindet? Wir sind umgeben von Krieg – in der Ukraine, in Syrien, in Libyen. Wir haben mit Putin einen Partner an der Seite, der nationalen Imperialismus betreibt. Wir haben leider nur geringes Wachstum in der Europäischen Union, wir haben eine Generation von jungen Menschen, die Arbeitsplätze und eine Perspektive für ihr Leben sucht. Ehrlich gesagt: Wenn man sich diese Lage anschaut, dann ist es schon schwierig zu sehen, dass in der letzten Sitzung des Europäischen Rates tatsächlich die Fragestellung im Raum stand, ob die Sonderinteressen der City of London oder ob die Kindergeldgerechtigkeit in der Europäischen Union diskutiert wird, dass das die beiden offensichtlich wichtigsten Themen waren, die diskutiert worden sind. Ich frage mich dort, ob die Prioritäten, die wir miteinander diskutieren, richtig gesetzt werden. Es ist leider so, dass wir das diskutieren müssen, weil die Briten diese Wünsche mit eingebracht haben. Großbritannien hatte Sonderforderungen, die diskutiert werden mussten. Ich halte zunächst einmal fest, dass es gut ist, dass wir ein Ergebnis haben, dass ein Ergebnis vorliegt und dass wir dieses Ergebnis auch unterstützen können. David Cameron hat seine Punkte vorgelegt, hat gekämpft und hat ein solides Ergebnis für die britischen Bürger mit nach Hause gebracht. Wir als EVP-Fraktion unterstützen das Ergebnis im Kern, und wir stellen auch klar: Wenn die Bürger Großbritanniens sich für den Verbleib in der Europäischen Union aussprechen, wird die EVP-Fraktion auch ein fairer Partner bei der Umsetzung der Zusagen sein. Das Dritte, was man klarstellen muss, ist: Das Ergebnis wird respektiert! Diejenigen, die jetzt in Großbritannien unterwegs sind und den Menschen erzählen, dass es bei einem Nein eventuell Nachverhandlungen gibt, noch einen besseren Deal gibt, denen muss man sagen: Der Deal liegt auf dem Tisch, die Sondervereinbarungen liegen auf dem Tisch, und jetzt liegt es an den Briten, sich zu entscheiden. Aus unserer Sicht, aus Sicht der EVP-Fraktion, wird es keine Nachverhandlungen geben. (Beifall) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Briten entscheiden, sie gehen jetzt in die Debatte. Da wird zunächst natürlich die Wahrheit strapaziert werden. Ich habe Nigel Farage gehört, als er gesagt hat, der Handel sei außerhalb Europas viel besser möglich für Großbritannien. Man fragt sich dann, warum dann Deutschland die größte Handelsmacht ist, obwohl es in Europa ist, warum Irland 6 % Wachstum hat, obwohl es in Europa tätig ist, warum China, Indien und die Amerikaner die Briten bitten, in der Europäischen Union zu bleiben, weil es besser ist, mit dem Handelspartner Europa zu arbeiten. Nigel Farage behauptet, dass 5 000 foreign fighters unterwegs sind. Die Zahl hat er übrigens nur, weil es Europol gibt. Das ist nämlich eine Zahl von Europol, ohne diese Institution hätte er die Zahl gar nicht. Und der Europol-Chef Wainwright sagte klar, dass es große Sicherheitslücken für Großbritannien gibt, wenn es aus der Europäischen Union aussteigt. Das erste, was leiden wird, ist die Wahrheit. Nigel Farage wird die Unwahrheit sagen, um die Menschen in die Irre zu führen. Das Zweite ist: Wer freut sich, wenn die Briten sich wirklich dagegen entscheiden? Liebe Kolleginnen und Kollegen! Freuen werden sich Putin und die Terroristen, weil die es dann einfacher haben, ihr Geschäft zu machen, Europa zu spalten und Unsicherheit zu erzeugen. Das Dritte: Wir können nur eine Einladung an die britischen Bürger aussprechen, es gemeinsam zu schaffen. Wir leben in einer Zeit großer Unsicherheiten. Das muss jeder sehen, der vernünftig ist. Und ein gespaltenes Europa ist definitiv schwächer, weniger in der Lage, die Herausforderungen zu beantworten. Deswegen steht die Einladung an die britischen Bürger, es auch in Zukunft gemeinsam zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einen Satz zur Migration: Ja, was soll man sagen? Der Kommissionspräsident hat es recht nett umschrieben, dass das bereits Beschlossene bestätigt worden ist. Es ist gut, dass es bestätigt worden ist. Aber ich würde feststellen, dass wir leider Gottes viel Egoismus – nationalen Egoismus und auch parteipolitischen Egoismus – erleben mussten, von allen Parteien, das möchte ich ausdrücklich dazusagen. Wenn man es positiv sehen würde, würde ich sagen: Das commitment ist klar, dass wir die Grenzen Europas sichern müssen, dass wir die NATO-Initiative auch in der Ägäis unterstützen. Und es ist klar geworden, dass wir Menschen, die beispielsweise jetzt in Aleppo vor den Bomben fliehen, vor den russischen Bomben, nicht an der syrischtürkischen Grenze liegen lassen dürfen, dass wir nicht die Türkei einerseits bitten können, die Grenze nach der Türkei aufzumachen, sie aber gleichzeitig bitten, die griechische Grenze abzuriegeln. Das wäre nicht im Sinne des humanitären Ansatzes dieses Kontinents. Deswegen gehören beide Seiten zusammen: einerseits Grenzen sichern und zum anderen Hilfsbereitschaft zeigen. Es ist genug geredet worden. Es wäre wichtig, dass jetzt gehandelt wird! Zum Schluss darf ich vielleicht noch die Bürger an Bord holen, weil die BertelsmannStiftung vor wenigen Tagen in ganz Europa eine sehr repräsentative Studie veröffentlicht hat, in der die Bürger gefragt wurden – nicht Politiker, sondern Bürger. Da wurden uns zwei Aufgaben mit auf den Weg gegeben, nämlich zum einen, dass 79 % der Europäer wollen, dass wir die Reisefreiheit auf diesem Kontinent erhalten – übrigens wollen 60 % der Briten, dass die Reisefreiheit erhalten bleibt –, und zum anderen, dass 79 % – die gleich große Zahl – der Europäer wollen, dass wir Flüchtlingen helfen und das miteinander tragen. Die Bürger Europas sind manchmal klüger als manche Politiker. (Der Redner ist damit einverstanden, eine Frage nach dem Verfahren der „blauen Karte“ gemäß Artikel 162 Absatz 8 der Geschäftsordnung zu beantworten.)