INDIEN (nach Bronger) • GRUNDDATEN - 1 Mrd. Einwohner - 2 Weltreligionen + Sikh, Jains, Buddhisten, Christen, Parsis - 5000 Kasten - Englisch als gemeinsame Sprache - Hindi sprechen 40% - 1952 Gründung von Sprachenstaaten - dennoch: territoriale Konflikte zwischen Teilstaaten, da Grenzen oft willkürlich • 3 Hauptstädte: - Delhi für Politik und Verwaltung - Bombay für Wirtschaft und Geld - Calcutta für Kultur • Separationstendenzen in - Bengalen - Punjab - Kashmir 1 • in Kashmir/Punjab • Widerstand der islamischen Sikh • Kashmir zudem ökonomisches Überschußgebiet Kulturelle Einheit Indiens? • 4/5 Hindus • 11% Muslims (100 Mio.) • 2% Christen • Siks im Punjab • 22 Mio. Cristen in Kerala • 6 Mio. Buddhisten in Maharashtra • Parsen in Bombay • Diese Minderheiten wirtschaftlich überdurchschnittlich bedeutsam • Zudem animistische Urbevölkerung MERKMALE DES HINDUISMUS • Unsterblichkeit der Seele • Wiedergeburt 2 • Schließliches Aufgehen in der Weltseele • Leben nur als Transitorium • Folge: Gewaltlosigkeit, Schicksalsergebenheit • Aber Anbetung von vielen Göttern möglich: vom Stein bis zum Baum • Sowohl Poly- als auch Monotheismus möglich • Vielfalt von Religionsausübungen möglich • Grundsatz der Toleranz • Säkulare Staatsverfassung • Aber seit 80ern: anti-islamische Stimmung => hinduistischkonservative Janata-Partei • Hinduismus = Religion + Gesellschaftssystem (s. Kasten) • => Hinduismus nur schwer auf andere Gesellschaften übertragbar • aber Auswanderung von Hindus und Indern • Kastenbewußtsein noch präsent# 3 • Kasten keine Stände wie im Mittelalter • Kasten-Merkmale: - geschlossene, autonome Gruppen infolge Geburt - Hierarchie untereinander - Entsprechende soziale Gebote - Kontakte nur innerhalb der Kaste: Endogamie, Speisevorschriften usw. - Kateneigener Beruf - Kastenrat mit Kontrollbefugnissen - Karma: Vorherbestimmtheit des Daseins, und Erfüllung der Pflichten demgemäß (dharma) - Dadurch Verhinderung vertikaler Mobilitätswünsche (im Gegensatz zum Klassensystem) - Nur Lockerungen bei den Essensriten - Kaste – Beruf – Reinheitsvorstellungen - Viele Kasten = reine Berufskasten - D.h. auch: Hierarchie der Berufe - Aber moderne Berufe außerhalb der Kastenhierarchie 4 • Kastensystem vs. Demokratie • 23% sind dabei als Unberührbare nicht integriert (hoher Analphabetismus) • Unberührbare aber auch Minister HISTORISCHE ENTWICKLUNG • Hochkultur Ashoka-Reich 250 v.Chr. • Mogul-Reich 1605 n. Chr. • Unter Akbar den Großen (1556) reichster Staat der Welt • Hochkultur hieß aber auch: Armut für die Vielen • Briten „beherrschten“ Indien mit 1000 Beamten • Viele Fürstentümer weiterhin autonom • Diese Fürstenstaaten waren ökonomisch unterentwickelter als die britisch regierten Teile • Nach 1950: Verdoppelung der Bevölkerung, aber auch Verdoppelung der Agrarproduktion • Abbau der Agrarimporte 5 • Erfolge der Kolonisierung: - gute Infrastruktur - effiziente Verwaltung - Stabilität - Demokratie - Entmachtung der Feudalen - Gutes Eisenbahnsystem - Gutes Straßennetz - Keine Kriege - Besserer Stand als China (obwohl ähnliche Voraussetzungen: Hochkultur, monsunales Klima - Aber dennoch geringes Wachstum des BSP im Vergleich zu Brasilien und den USA z.B. BEVÖLKERUNGSDYNAMIK • in Kolonialzeit gebremst durch Hungersnöte und Epidemien (wie auch zuvor, vor der Kolonialzeit)) • erst nach 1920 Verbesserung des Gesundheits- und Sozialsystems 6 • seit 20er Jahren rückläufige Sterberate • => Absinken der Sterberate auf unter 10 Promille • => konstante Geburtenrate bei 41 Promille • Säuglingssterblichkeit nur noch bei 10% • Bevölkerungsexplosion von 2,25% • Dagegen Familienplanungsprogramme • Aber ohne Erfolg • Daher nun: Familienplanung + wirtschaftliche Freiheit für Frauen • Weitere Maßnahmen: - Arbeitsplatzbeschaffung - Altersversorgung über den Staat - Verbesserung der Infrastruktur, insbesondere im Bildungssystem • Zwangssterilisationen gescheitert • Bildungsstand ist wichtig für Präventionsmaßnahmen • Agrarland Indien dicht besiedelt, aber sehr unterschiedlich • 640.000 Gemeinden; 1700 Städte 7 • vor allem Wachstum auf dem Lande • Metropolen (z.B. Bombay) als bevorzugte Einwanderungsgebiete • Kastenordnung zur Abgrenzung der Arier gegenüber den Ureinwohnern • Kasten als Folge von Eroberungen • Brahmanische Sozialkonstruktion der Stände (varna) • Jede Kaste hat bestimmte berufliche Funktion, jedoch von Region zu Region sehr unterschiedlich • Geringe Verstädterung • Enorme Steigerung der Agrarproduktion um das Dreifache ENTWICKLUNGSSTRATEGIEN • Gandhi für autarke Dorf- und Subsistenzproduktion • => Dezentralisierung = Demokratie • Nehru für staatlich geplante Industrialisierung 8 • Letztlich wurden beide Ziele verfolgt – Zielkonflikte • 1943: Bombay-15-Jahres-Plan • Unterscheidung zwischen privaten und staatlichen Industriezweigen + Industriezweige unter staatlicher Kontrolle, auch Lizenzzwang für private Gründungen • 1949 Industries Control Bill • staatliche Preis- und Qualitätskontrollen • staatliche Preisfestsetzungen ab 1955 • 1969: Antimonopolgesetz • Neuinvestitionen nur, wenn wenige Devisen kosten • Importsubstitution • Angst vor Überfremdung • Ausländer nur 40% Anteil • Einrichtung einer Plankommission • Ähnlich wie in UdSSR, aber weniger imperativ • Auch Planungen auf regionaler Ebene 9 • Geringere Investitionen in die Landwirtschaft • Dominant Schwerindustrie • => 60er Jahre Inflation durch Nahrungsmittelknappheit • => befristete Aussetzung des 5Jahresplanes • => Erhöhung der agrarischen Investitionen • Schlußfolgerungen: - Indien unter den 15 größten Industrienationen - Aber geringer industrieller Export - Nur wenige Beschäftigte in der Industrie - Starker Import von Technologien - Nur begrenzte Produktion für den einheimischen Massenbedarf - High Tech (Satelliten) neben Unterentwicklung - Oft aber auch veraltete Industrieparks und Ausbeutung 10 - Teurer als Industrieländer, aber günstiger Anbieter für andere Entwicklungsländer - Stark diversifizierte Industriestruktrur - Breite einheimische Unternehmerschicht - Sekundärer Sektor: von 15% auf 27% - Dominant weiterhin Agrarstaat - Importsubstitution => geringer Export von Hochtechnologie - Da auch Binnenmarkt genügend groß und oft Qualität von Exportprodukten zu wünschen übrig läßt - Als Folge der Briten: ½ der Arbeiterschaft in Textilindustrie - Aber nun: starker Rückgang der Textilindustrie, auf 20% 11 INFRASTRUKTUR: • Engpaß Energieversorgung • Strom verhindert Baumabschlag • Strom => Erhöhung der agrarischen Produktivität • Strom => Stadt-Land-Ausgleich • Energiesektor staatlich • 56% Kohle • die größten Eisenerzvorkommen der Erde • noch 40% durch nichtkommerzielle Energiererzeugung; Holzschlag z.B. • starker Energiebedarf => Ölimporte • Briten bauten größte Eisenbahnsystem • Aber räumlich ungleichgewichtig • Gebirge und Kapitalmangel als Hemmnis des Eisenbahnausbaus • Auf dem Lande weiterhin vorrangig: Ochsenkarren • Inder nie Seefahrtsnation wie auch die Chinesen 12 • => starke Binnenorientierung GESCHICHTLICHE GRÜNDE FÜR UNTERENTWICKLUNG • koloniale Integration in die Weltwirtschaft durch die Briten • Einigung des Subkontinents durch die Briten, aber weiterhin starke regionale Unterschiede • Vor Briten-Zeit: Möglichkeit einer regionalen Industrialisierung in MogulZeit • 1600: Gründung der East India Company • Aufbau von Stützpunkten • Indien dominant agrarisch, oft noch tauschwirtschaftlich • Agrarische Produktivität in Indien um 1600 so hoch wie in Westeuropa • Grund: genug fruchtbarer Boden, billige Arbeitskräfte in Indien • => agrarischer Überschuß 13 • hohe Besteuerung => Bauernaufstände => keine Investitionen in die Landwirtschaft • Überschuß ging in Luxuskonsum, in unproduktive Bereiche (Wissenschaft) • In den Städten: wenig technologisiertes Handwerk für Luxusproduktion • Exporte nach Südostasien, Ostafrika und Europa • Aber nur Fernhandel bei Luxusgütern, nicht bei Grundnahrungsmitteln => Hungersnöte ohne Handelsausgleich • Verfall des Mogul-Reiches 18. Jh. => Rückgang des Handels • Insgesamt: statische Wirtschaft ohne Entwicklungsperspektive • Statik verstärkt durch Kasten => keine flexiblen Arbeitskräfte • GB erschloß Indien industriell, aber auch mit Nachteilen für Indien • Briten: Aufbau der Infrastruktur • Löhne für Eisenbahnarbeiter => gewisser geldlicher Wohlstand 14 • Aber auch: Plünderung Bengalens durch die Briten • Aufkauf von Produkten unter Preis • Ausrichtung auf den Export von Textilien • Befreiung der Briten von der Steuer • Abzug von Silbergeld aus Bengalen, Übernahme der Steuerhoheit • Rigorose Eintreibung der Steuern auch bei Hungerkatastrophen • Grundbesitz wurde handelbar und Kapitalanlage • Aufkommen von Zwischenhändlern • => Entstehen landloser Pächter • aber keine Rationalisierung der Landwirtschaft • Spezialisierung auf Weltmarktbedürfnisse • Briten erhofften Kapitalisierung der Landwirtschaft, was aber an Unkalkulierbarkeit des Monsuns scheiterte 15 • Diese indischen Landbesitzer wurden zur Stütze britischer Herrschadft • => keine Modernisierungsimpulse der Briten mehr • Teil der indischen Steuern ging nach GB • Abschaffung der Binnenzölle, => einheitlicher Wirtschaftsraum • Kodifizierung des Gewohnheitsrechts und neue Gesetzeswerke • Hochqualifizierte, englische Beamtenschaft • Zunehmende Indianisierung der Verwaltung • Eisenbahnbau in Indien war aber nur Förderprogramm für die englische Wirtschaft • Keine indische Industrie zum Aufbau der Eisenbahnen • Streckenführung im britischen Import/Export – Interesse, z.T. kein Anschluß traditioneller Handelszentren 16 • Dominanz ausländischer Konkurrenz gegenüber indischer Industrie • Bevorzugung britischer Warentransporte • Aufbau der indischen Industrie gemäß britisch-liberalen Interessen, z.B. kaum Grundstoff- und Schwerindustrien • Keine Herausbildung vollständiger Wirtschaftskreisläufe • Zerstörung der indischen Textilindustrie • Dennoch erneuter Aufbau einer indischenBaumwolltextilindustrie • Gründe: - indische Industrielle entdeckten Marktlücke für grobe Tuche für den einheimischen Markt - Gewinne der Inder im 1. + 2. Weltkrieg - Zollschutz seit den 1930ern • Schotten bauen Juteindustrie auf • Aber Import der Maschinen aus GB 17 • Stahlwerk von 1907 überlebt nur wegen 1. Weltkrieg • Keine Vernetzung der Industriezweige • Nur Industrialisierung in den Nischen während der Kolonialzeit • Indien Rohstoffexporteur • Importeur von verarbeiteten Produkten • 1994 aber 75% verarbeitete Produkte im Export LANDWIRTSCHAFT Kastensystem vor den Briten • Briten lösen Kollektivbesitz auf dem Dorf auf • Mythos der Dorfgemeinschaft • Weder gänzlich autark noch kollektiv bewirtschaftet • Schon in vorbritischer Zeit kontrollierte eine Minderheit den Boden • Briten machten aber Land handelbar – großer Vorteil!! 18 • Briten änderten Agrarverfassung nicht • Entscheidenste Entwicklungshemmnis ist vorbritisch: das Kastensystem • => keine berufliche Mobilität, keine Qualifizierung • Scheitern der CommunityDevelopment-Programme infolge der Kasten • Unberührbare durch Quoten-System gefördert, was aber an deren Verarmung nichts ändert KASTEN UND ENTWICKLUNG • Merkmale des Kastensystems - Zugehörigkeit durch Geburt - Verbot des Interkonnubiums - Reinheits/Speisevorschriften - Ranghierarchie - Kastenberufsbedingtheit • Kastenhierarchie erstickt Initiative und Vernetzung 19 • Kein Wechsel zu industriellen Berufen auf dem Lande, sondern nur zur Landwirtschaft • Agrarwachstum von 1950-94 dennoch um das 3-fache, Industriewachstum um das 10-fache • Grund: Steigerung der Elektrizitätserzeugung • 310 $ pro Jahr Einkommen • 2,1% Bevölkerungswachstum • aber Verbesserung der Lebensverhältnisse insgesamt • überjüngter Altersaufbau • 40% Analphabeten • 23% Städter • parasitäre versus generative Urbanisierung - EL-Metropolen => erdrücken andere Städte - Sind wenig mit ihrem Hinterland verflochten - Überlastung der Infrastruktur - Im Gegensatz zu IL-Metropolen 20 • INDUSTRIALISIERUNGSSTRATEGIE - Liberalisierung seit 1980ern - Widerstände der staatlichen Bürokratie - Anfang der 90er folgende Anlässe: - Stagnation im Agrarsektor - 0-Wachstum der Industrie - erhöhte Staatsausgaben => Inflation - Abwertung der Rupie, trotzdem Exportrückgang, auch wegen des Unterganges der UdSSR - Handelsbilanzdefizit: 1991 106 Mrd. DM - Staatsverschuldung - Unproduktive Ausgaben - Chronisch defizitäre Staatsbetriebe - Nur 0,4% Anteil am Welthandel - 53% weniger als 10 $ pro Monat - Südostasien wächst weitaus schneller • rigorose Liberalisierung von Premier Rao seit 1991 21 - u.a. Erhöhung der Auslandsbeteiligungen an joint ventures - Reduzierung der Einfuhrzölle - Aufhebung der Lizenzpflicht für alle Wirtschaftsbereiche - Rückzug des Staates - Statt Importsubstitution => Weltmarktintegration - 22