Egoismus - Café Philosophique

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Moderationsbericht
Café Philosophique am 24.02.2013
Thema: „Egoismus“
Moderator: Dr. Bernard Tucker
Vom Moderator wurden diese drei Themen vorgeschlagen:
Egoismus – anthropologisches Faktum oder Systemimperativ?
Öffentlichkeit – welche Art von Öffentlichkeit ist die angemessene? und
Kunst – wie läßt sich eine Philosophie der Kunst umreißen?
Thema 1 wurde mit deutlicher Mehrheit gewählt.
Das aktuelle Ego-Buch von F. Schirrmacher, eine Kapitalismuskritik, die auf das
Verschwinden subjektiver Entscheidungskompetenz hinter dem System von Algorithmen
abhebt, wurde in der Diskussion mehrfach angesprochen. Nach diesem Autor, dessen
Thesen an die Poststrukturalismus-Debatten der 80iger Jahre erinnern, wäre der Egoismus
ein Systemimperativ, der sich ethischen Maßstäben entzieht.
Der Einstieg in die Diskussion war allerdings nicht Schirrmacher, sondern La Rochefoucauld
(1613-1680), dessen apercu: „l’amour propre est plus habile que le plus habile homme du
monde“ (Die Eigenliebe ist klüger als der klügste Mann von Welt) häufig als Illustration für
den im Menschen wirkenden unbewußten Selbsterhaltungstrieb oder „Willen“
(Schopenhauer, Nietzsches „Wille zur Macht“) dient, und außerdem Adam Smith (17231790), der – entgegen jeder moralischen Rechtfertigung des Egoismus – die drei
sozialphilosophischen Elemente justice (Gerechtigkeit), benevolence (guter Wille) und
prudence (Klugheit) stets zusammenzudenken empfiehlt und dabei in bezeichnender
Weise in dem Element der Klugheit, zu dem auch der Nutzenaspekt gehört, einen
praktischen Egoismus am Werke sieht.
Im folgenden wurde der Versuch unternommen, den Egoismus zwischen einer
moralischen Kategorie, anthropologischer Faktizität, biologischer Funktion
(Selbsterhaltungstrieb, nicht nur des Individuums, sondern auch der Art) und
ökonomischem Systemzwang zu lokalisieren. Logische Verwicklungen blieben nicht aus.
Letztlich zeigte sich hier auch die begriffliche Unschärfe des Terminus Egoismus, mit dem
eine große Reihe unterschiedlicher Ideen verbunden werden kann. Die Definition von
Kant, nach der der „logische Egoist“ über ein geschlossenes Denksystem verfügt und nur
bereit ist, Meinungen zu akzeptieren, die in dieses System hineinpassen, blieb ziemlich im
Hintergrund der Diskussion. Dafür wurde der Unterschied zwischen Egoismus und Altruismus
angesprochen und mit der „goldenen Regel“ verbunden.
Läßt sich „Egoismus“ phänomenologisch, also wertfrei, ohne moralische Entrüstung und
ethische Normen, diskutieren? Schwierig, aber im Kern die Anforderung an eine
philosophische Behandlung des Themas, die ansatzweise in diesem Café versucht wurde.
Dazu gehörte auch der Gedanke, die Endung „-ismus“ zeige, daß man es hier, wie bei
allen „-Ismen“, mit einem Moment der Übertreibung, des Extrems, und des
Totalitätsanspruchs zu tun habe. Egoismus wäre, von hier aus gesehen, ein Herausfallen
aus der „Mitte“. Was bedeutet aber die „Mitte“, die wir seit Aristoteles als Synonym für
praktische Vernunft betrachten? Ist der „Verlust der Mitte“ geradezu das
Hauptkennzeichen aller Aspekte der Moderne und insbesondere des sozio-ökonomischen
Systems im Zeichen des von der Realwirtschaft und der klassischen Funktion der Märkte
entkoppelten, computerregulierten Finanzkapitals? Und: erzwingt – als „Systemimperativ“
– die undurchsichtige und unbeherrschbare Komplexität und Aufkündigung ethischer
Zurechenbarkeit innerhalb dieser Verhältnisse die diffuse Wirklichkeit eine letzte Zuflucht,
nämlich den Fluchtpunkt den Egoismus? Einen gleichsam „wertfreien“, also moralisch
gleichgültigen Egoismus? Wie ich nach Abschluß des Cafés hörte, hätte man sich unter
dem Stichwort „Systemimperativ“ mehr zu diesem wahrhaft unheimlichen Systemproblem
erhofft.
PS – Die Frage, wo der Begriff „Egoismus“ herkommt, wurde gestellt. Ideen- oder
mentalitätsgeschichtlich gesehen, handelt es sich hier um einen Terminus, der an der
Schwelle der Moderne, also im 18./19. Jahrhundert auftaucht. Der Begriff steht in enger
Beziehung zur Emanzipation des Individuums vom philosophischen Mittelalter. Doch schon
bei Descartes, in der Formel vom „Ego cogito“, sehen wir eine Privilegierung des Ego als
Produktionsgrund des Wissens gegenüber der Theologie. (Weitergehende Informationen
zur Philosophiegeschichte von „Egoismus“: der Artikel „Egoismus“ in: J. Ritter (Hrsg.),
Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 2, Basel 1972, S. 310-314; hier auch verwandte
Begriffe wie Egologie und Egozentrismus).
Düsseldorf, 8.3.2013
-Dr. Bernard Tucker-
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