© DIE ZEIT, 15

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© DIE ZEIT, 15.03.2007 Nr. 12
Krieg mit menschlichem Antlitz
Warum sich Amerikas Demokraten so schwertun, eine andere Außenpolitik als die
der Republikaner zu entwickeln. Von Thomas Kleine-Brockhoff
Washington
Will Hillary Clinton tatsächlich auf diese Weise Präsidentin werden? Mit
Militärverherrlichung, Frageverboten und ausweichenden Antworten? Da
steht sie im voll verglasten Saal eines Washingtoner Thinktanks, einer Art
Aquarium für Intellektuelle, und singt eine Ode an den amerikanischen
Soldaten. Wie er heldenhaft im Irak kämpft, wo es Granaten von allen
Seiten hagelt und der Truppe die Panzerung fehlt. Wie er – wenn verletzt –
in der Heimat in rattenverseuchten Bettenburgen gelagert wird. Wie er die
Inkompetenz seines Oberbefehlshabers im Weißen Haus klaglos erträgt.
Doch, gottlob, Hilfe naht. Wenn nicht in dieser Amtsperiode, tröstet die
Kandidatin, so doch gewiss in der nächsten. Sie verspricht: mehr Rüstzeug,
mehr Panzerung, mehr Ärzte, mehr Rechte für Veteranen. Man sieht:
Hillary kümmert sich. Noch Fragen? Oh ja! Im Publikum fliegen die Hände
hoch. Eine freundliche Stimme aus der Regie erinnert, die Senatorin werde
allein Fragen zum Thema beantworten. Erste Frage: Wie hält es die
Kandidatin mit dem Krieg? Sieg oder Abzug? Interessante Frage, doch
leider am Thema vorbei.
Irak ist ein Krieg, den Hillary Clinton nicht mehr gewinnen kann. Ein Krieg,
von dem sie behauptet, sie hätte ihn nie begonnen, wäre sie Präsidentin
gewesen. Und doch einer, dem sie als Senatorin ihren Segen gab. Wie
erklärt sich dieser Widerspruch? Und wo steht sie heute? Genau da, wo
einst der Kandidat John Kerry stand. Hätte sie rechtzeitig gewusst,
argumentiert Clinton, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gab,
hätte sie im Senat niemals geholfen, den Krieg zu legitimieren. Diese
Dialektik griff schon 2004 nicht. Heute umso weniger. Das Wahlvolk ist
inzwischen weitergezogen. Viele Demokraten scheinen bloß noch zwei
Worte hören zu wollen: »Fehler« und »Entschuldigung«. Beide bringt
Clinton nicht über die Lippen. Das ist ihr Problem. Auf acht bis zehn
Prozentpunkte ist ihr Vorsprung zusammengeschmolzen. Ihr Konkurrent
Barack Obama, der Senkrechtstarter der Partei, war von Anfang an gegen
den Krieg. Ohne diese Haltung wäre er heute nicht Kandidat. Es ist, als
suche sich das mittlerweile kriegskritische Volk Bewerber und treibe sie vor
sich her. Nichts wird den Wahlkampf 2008 so sehr prägen wie die Kritik am
Irakkrieg, was weitreichende Konsequenzen für die Außenpolitik der
Linksliberalen haben dürfte – egal, wer die Vorwahl gewinnt.
Neue Atomwaffen? Nicht mit Hillary Clinton
In den vergangenen Monaten haben Demoskopen die außenpolitischen
Ansichten in der Bevölkerung getestet. Zu beobachten ist ein dramatischer
Meinungsumschwung. Pragmatismus siegt jetzt über Ideologie, aber auch
über Idealismus. Die Mehrheit will eine weichere Außenpolitik. Amerika soll
weniger dominieren und mehr kooperieren. Weniger auf Militär setzen und
mehr auf Diplomatie. Demokratie in fernen Ländern nicht länger durch
Regimewechsel erzwingen. Neue Nuklearwaffen sollen nicht entwickelt und
die vorhandenen nur nach einem Atom-Angriff eingesetzt werden. Für eine
Erhöhung der Verteidigungsausgaben ist nur eine Minderheit, eine Mehrheit
dagegen für die Stärkung der Vereinten Nationen. Amerika soll die
Emissionen von Klimagasen reduzieren und dem Kyoto-Vertrag beitreten.
Kurzum: So tief nistet in den Köpfen die Opposition gegen George W. Bush
und sein Weltbild, dass der Präsident eine Bevölkerungsmehrheit wider
Willen europäisiert hat.
Die Politik, die Opposition zumal, folgt dem Stimmungswandel nur langsam.
Hillary Clintons Probleme sind symptomatisch. Durch ihre Partei geht ein
Riss. Er verläuft zwischen Basis und Establishment. Unter Gefährdung der
eigenen Zukunft erlauben sich die Führungskader einen langen Abschied
von der Bush-Doktrin. Sie wenden sich gegen Bushs Irakpolitik, »ohne das
Ideengut infrage zu stellen, das diese Weltsicht produziert hat«, moniert
der Politologe Tony Smith von der Tufts-Universität. Seiner Ansicht nach
unterscheidet sich die außenpolitische Doktrin des demokratischen
Establishments zu wenig vom Kurs des Weißen Hauses. Verantwortlich
macht Smith dafür die ideologische Nähe von Bushs Neokonservativen und
jenen liberalen Interventionisten, die bis heute die Demokratische Partei
dominieren. Mit einer »muskulösen Außenpolitik« hätten sich eben beide
angefreundet.
Freilich sind es nicht die linken Falken, die Anleihen bei den
Neokonservativen nahmen. Vielmehr war es umgekehrt. Bush und seine
Neokonservativen wilderten im Ideengut des Gründervaters der
linksliberalen Außenpolitik, Woodrow Wilson, und bastardisierten dessen
Philosophie. So sehr, dass es den Demokraten heute schwerfällt, sich von
Bushs Außenpolitik zu distanzieren, ohne die eigene Tradition mitsamt dem
Gründervater Wilson zu verraten. Denn es war Wilson, der während des
Ersten Weltkrieges die Vorstellung entwickelte, nicht allein Interessen von
Staaten bestimmten die Außenpolitik. Vielmehr entscheide deren innere
Verfasstheit über den Willen zur Kriegführung. Autokratien und
Militärregime neigten zum Krieg, Demokratien zum Frieden. Die Förderung
der Demokratie sei deshalb ein Gebot der Sicherheitspolitik. Diese
Annahme ist bis heute ein Mantra der Demokraten und bildet zugleich die
Grundlage von Bushs Nahostpolitik.
Wilsons Paradebeispiel war Deutschland. Er erklärte damals den Krieg, um
»die Welt sicher für die Demokratie zu machen«. Handel, internationales
Recht und gemeinsame Sicherheit sah er als Säulen der Nachkriegsordnung,
die er in seinen berühmten »Vierzehn Punkten« im Januar 1918 postulierte.
»Nach dem Taktstock von Wilsons Idealismus ist die amerikanische
Außenpolitik seither marschiert«, klagte 1994 der berühmteste Kritiker
dieser Schule, der Oberrealist Henry Kissinger in seinem Buch Diplomacy.
Tatsächlich steht Franklin D. Roosevelts Atlantik-Charta aus dem Jahre
1941 ebenso in der Tradition des »aufgeklärten Friedens« wie der
Antitotalitarismus der demokratischen Präsidenten Harry S. Truman und
John F. Kennedy. Wilsons Echo hallt noch in Bill Clintons Interventionen in
Somalia und auf dem Balkan nach. Und weil Kuwaiter und Bosnier,
Kosovaren und viele Afghanen die Amerikaner als Befreier ansahen,
glaubten auch Linksliberale, bei den geknechteten Irakern könne es nicht
anders sein.
»Die Einsicht in die Fehlbarkeit ist Amerikas eigentliche Größe«
Dass Idealismus anfällig ist für Missbrauch, bewies Woodrow Wilson selbst.
1914 und 1916 schickte er Expeditionstruppen nach Mexiko, um, wie er
sagte, dem Land zu helfen, seinen »renitenten Haushalt unter Kontrolle zu
bringen«. Die Trennlinie zwischen Interventionismus und Imperialismus ist
manchmal beunruhigend unscharf, auch in ihrer linksliberalen Version. Die
Neokonservativen bedienten sich bei Wilson wählerisch wie von einem
Büfett und sorgten so für weitere Konfusion. Systeme kollektiver Sicherheit
mutierten bei ihnen zu »Koalitionen von Willigen«. Wilsons Vorstellung von
der zivilisierenden Wirkung des internationalen Rechts schmeckte ihnen
nicht. Und auch nicht seine Idee, Demokratien seien stabiler, wenn sie
erfolgreich wirtschafteten, weshalb Amerika sich zu ökonomischer Hilfe
verpflichten müsse.
In der Folge des Irakkrieges bemühen sich linksliberale Intellektuelle,
Überschneidungen und Unterschiede zwischen Neokonservatismus und
linksliberalem Interventionismus neu zu definieren. Sie wollen Wilsons Erbe
quasi von neokonservativem Missbrauch befreien. Den wichtigsten Versuch
hat Peter Beinart in seinem Buch The Good Fight unternommen. Vor dem
Beginn des Krieges war Beinart Chefredakteur der Zeitschrift The New
Republic, der Denkerstube der linksliberalen Bellizisten. Unter seiner
Führung unterstützte das Blatt die Invasion, was Beinart heute als
»desaströse Entscheidung« bezeichnet.
Als wichtigsten Unterschied zur neokonservativen Weltsicht identifiziert
Beinart den Skeptizismus über das Wesen Amerikas. Neokonservative
sähen sich selbst als Menschen reinen Herzens. Ihre größte Sorge gelte der
Linken, die den Glauben an die Überlegenheit über die Feinde unterminiere.
So entstehe Werterelativismus. Amerikaner sollten deshalb nach Meinung
Neokonservativer beständig von der eigenen Tugendhaftigkeit überzeugt
werden. Man müsse sie fortwährend daran erinnern, dass sie im Kampf mit
dem Bösen das Gute verkörperten. In internationale Institutionen
eingebunden, werde Amerika schwach, ungefesselt sei es stark. »In dieser
konservativen Mythologie«, so Beinart, »erzählen die vergangenen 50 Jahre
die Geschichte eines Landes, das periodisch sein Selbstvertrauen verliert
und immer wieder neu findet.«
Nach Beinart fürchten Linksliberale dagegen nichts mehr als die ständige
Selbstbelobigung. Die wahre Gefahr sei nicht der Selbstzweifel, sondern die
Selbstgefälligkeit. Nur die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit und die Grenzen
des eigenen Vermögens begründeten amerikanische Größe. Dieser Einsicht
folge die freiwillige Selbstbindung Amerikas – durch internationales Recht
und Systeme kollektiver Sicherheit sowie Institutionen, die den
Kapitalismus stabilisierten. Nur so seien kleinere Länder bereit, sich
amerikanischer Vorherrschaft zu beugen. Beinart schreibt: »Amerikanischer
Exzeptionalismus – unsere Überlegenheit über die räuberischen Mächte der
Vergangenheit – beruht auf der Bereitschaft, Einhegungen zu akzeptieren.«
Beinarts persönliches Drama besteht darin, so schreibt er, dieses »zentrale
Argument selbst ignoriert« zu haben, als es »besonders wichtig« war –
nämlich vor dem Irakkrieg.
Weil diese selbstkritische Analyse vom Partei-Establishment weitgehend
geteilt wird, folgen daraus mindestens vier Kurskorrekturen amerikanischer
Außenpolitik, denen sich kein siegreicher Demokrat verschließen dürfte:
Der Präventivkrieg würde wieder, was er immer war: letztes Mittel im
belegbaren Notfall. Die Skrupel gegenüber Waffengewalt dürften spürbar
zunehmen.
Die Mittel der Demokratieförderung könnten sich verändern und der
Regimewechsel erst mal aus dem Werkzeugkasten der Außenpolitik
verschwinden. An dessen Stelle dürfte eine langfristig auf Veränderung
zielende Politik treten sowie eine Strategie, die Amitai Etzioni in der
Zeitschrift The National Interest mit »Sicherheit zuerst« betitelt. Der
Übergang zur Demokratie darf eben nicht ganze Weltregionen ins Chaos
stürzen (siehe Seite 6).
Im Geiste der Selbstbegrenzung könnten Nato und Vereinte Nationen neue
Bedeutung erhalten. Anne-Marie Slaughter, Princeton-Professorin und
führende Intellektuelle der Demokraten, träumt sogar von der
Globalisierung der Nato und einer »Wieder-Erfindung der UN«.
Amerika würde eine Wende in der Klimapolitik vollziehen. Die Partei dürfte
den beiden Umweltengeln Al Gore und Arnold Schwarzenegger nacheifern.
Schon in den ersten Wochen des demokratisch geführten Kongresses
wurden vier Gesetzentwürfe zur Energiepolitik eingebracht. Nancy Pelosi,
neue Sprecherin des Abgeordnetenhauses, hat eigens die
Zusammensetzung der Ausschüsse verändert, um Widerstand in den
eigenen Reihen ins Leere laufen zu lassen. Umstritten ist, ob die
Demokraten die wichtigsten Veränderungen erst nach der Wahl 2009
anstreben sollen, um (womöglich) mit eigenem Präsidenten weitreichendere
Gesetze beschließen zu können. Dass Amerika den Kyoto-Vertrag
unterzeichnet, wie die europäischen Verbündeten und inzwischen auch die
eigene Bevölkerung wünschen, gilt als unwahrscheinlich. Die Mängel des
Abkommens dürften auch Demokraten abschrecken. Aber Folge-Abkommen,
die auch die Verschmutzer der Dritten und Zweiten Welt einschließen,
könnten auf Sympathie treffen.
Das alles deutet auf spürbare Veränderungen hin. Doch die Stimmung in
der Bevölkerung deutet auf mehr als auf pragmatische Kurskorrekturen.
»Die Menschen wünschen sich einen neuen Blick auf die Welt und Amerikas
Rolle darin«, konstatiert der Kolumnist David Broder. »Eine Darstellung, die
Bushs ausgemusterte Weltsicht ersetzt.« Die Demokraten haben es (noch)
nicht im Angebot. Ihr Angebot ist ein Puzzle.
Die Alternative zu Bushs Außenpolitik wächst rechts, nicht links
heran
Bislang versucht die Partei mit Hilfe nostalgischer Energie, den Status quo
vor der Bush-Revolution wieder herzustellen. Doch das wäre der Zustand
der größten Machtausdehnung Amerikas, jener polare Moment, der längst
verflogen ist. Dass Amerikas moralische Macht weltweit schwer beschädigt
ist und der Einfluss der Supermacht auf allen Kontinenten sinkt, sickert
auch in das Bewusstsein der Demokraten nur langsam ein. Stattdessen
schreibt der Partei-Intellektuelle Will Marshall in With all our Might, einem
kürzlich erschienenen Sammelband über die demokratische Version
muskulöser Außenpolitik: »Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir
verpflichten uns darauf, Amerikas militärische Vorherrschaft zu sichern.«
Wenn auch fußend auf einer skeptischeren Version des amerikanischen
Exzeptionalismus, wurzelt hier dasselbe Hegemonialdenken wie bei rechten
Nationalisten und Neokonservativen. Das Bild eines notgedrungen
bescheideneren Amerikas inmitten einer Welt der vielen Machtzentren harrt
seines Malers.
Das mag daran liegen, dass sich parteiintern kaum Herausforderer wider
das Establishment profilieren. Die Führungspersönlichkeiten der Partei –
Hillary Clinton und Richard Holbrooke, Madeleine Albright und Joseph Biden
– entstammen alle derselben außenpolitischen Schule. Früher war das
anders. Der linke Flügel der Demokraten, machtskeptisch und bisweilen
isolationistisch, hatte in den vierziger Jahren in Henry Wallace seinen
Sprecher, in den siebziger Jahren in George McGovern. Heute fehlen solche
Führungsfiguren. Da gibt es nur den Komödianten und Filmemacher Michael
Moore und die dauerdemonstrierende Soldatenmutter Cindy Sheehan. Ihr
gesinnungsethisch begründeter Friedens-Utopismus empfiehlt sich kaum als
Rezept für eine Weltmacht.
Eine ironische Pointe liegt darin, dass die linksliberalen Interventionisten in
der Demokratischen Partei heute weniger Konkurrenz haben als die
Neokonservativen bei den Republikanern. Die grundlegende Alternative zur
Außenpolitik George W. Bushs wächst deshalb nicht links heran, sondern
rechts: im klassischen Realismus der Konservativen.
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