Politik und Religion im modernen Indien Einleitung Epochales Werk Gora: Debatte über kulturelle Identität Indiens und Bedeutung von Religion, Kaste und Klasse. Setzte Impulse für Fortsetzung der Auseinandersetzung von Politik und Religion Indiens im Kontext zunehmender Öffnung und wirt. Einbindung in int. Entwicklungen. Die Existenz Indiens als Land holt den Geist Gottes aus der jenseitigen Ferne in die Wirklichkeit der Menschen herein. Dies verleiht Indien eine überirdische Existenzgrundlage. Die Unabhängigkeitsbewegung Indiens von der kolonialen und fremdkulturellen rel. Unterwerfung wird damit selbst zum rel. Glaubensakt. Gora weigert sich an eine Form des Religiösen festzumachen, Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen der Gottesbeziehungen ist eigentliche Wesenszug Indiens. Gora meint, dass der indische Respekt vor religiöser Vielfalt und die unterschiedlichen Wege, die zu einem Gott führen, das eigentlich Indische sind und machen damit das religiöse Wesen dieses Landes aus. Idee der Volkssouveränität wurde zur wichtigsten ideologischen Rechtsfertigung des modernen Nationalismus. Das Volk hat eigene Persönlichkeit. Volkssouveränität bedeutet auch einen nach innen gerichteten Zwang zur Vereinheitlichung = politische Emanzipation gegen Kolonialherrn. Prinzip der Volkssouveränität macht Minderheiten zu einem Problem. Vollständige Beseitigung kultureller Differenzen im Inneren des Landes = geäußert im Nationalismus. Modernisierung: vielschichtiger Begriff, Veränderung des Verhältnisses zwischen Religion und gesell. Bereichen, Dichotomie zwischen Tradition und Moderne, Tradition mit Religion gleichgesetzt. Aus Sicht Indiens: Errichtung modernen Verwaltungsstaates, nach westlichen Prinzipien strukturierten Rechtswesens, Kontakt mit Aufklärung, moderner Technologie waren Innovationen, die sich am indischen Subkontinent unter kolonialen Vorzeichen einstellten. Inhalte der Aufklärung wurden im Rahmen eines repressiv-kolonialen Systems vermittelt. So konnte Indien nicht selbst Motor seiner Modernisierung werden. 19. und 20. Jhdt wurde Moderne in Indien zu einem umstrittenen Terrain unterschiedlicher ideol. Lager. Unterschied zum Westen: andauernde Präsenz und Relevanz von Religion. 1 Diskussion zu Politik und Religion durchlief in Indien unterschiedliche Phasen. Beginn des indischen Nationalismus 19 Jhdt und durch starke Präsenz rel. Reformbewegungen spielte Frage der Bedeutung der Religion eine entscheidende Rolle. Kulturelle Fremdheit der Briten war Anlass zur Reformulierung des eigenen kulturellen Erbes indem Religion ein tragendes Element darstellt. Eintritt Ghandis in Unabhängigkeitsbewegung brachte neue Qualität des Verhältnisses zwischen Politik und Religion = konsequent integrativer Ansatz. 1920er religös-nat. Lager propagierte Identität des Hindutum. 1952 Gründung Republik Indien und Bemühung säkularen Grundkonsens. Gleichbehandlung aller Religionen durch Staat sollte friedliche Koexistenz zwischen den Religionsgemeinschaften und Entfaltung rel. Pluralität innerhalb des Landes fördern. Im Kabinett des ersten Premierministers Jawaharlal Nehru unterschiedliche Auffassungen über rechtliche Sonderstellung rel. Minderheiten. Verlust politischen Hegemonie der Kongresspartei 1970er, veränderten wirt. und soz. Rahmenbedingungen 80er und 90er Jahre, Aufstieg einer neuen Mittel- und Oberschicht als Gewinner der Globalisierung und strukturelle Veränderungen in demokratischer Landschaft trat Frage nach Verhältnis zw. Politik und Religion wieder in Vordergrund, vor allem Hinduismus. Für Thema Politik und Religion im modernen Indien spielt Nationalismus wichtige Rolle. Performative Nationalbildung: nicht nur sprachliche Konstruktion einer Nation, sondern ihre Herstellung durch symbolisches Handeln in der Öffentlichkeit. 1. Politik, Nationalismus und Religion im modernen Indien Eine Idee von Indien: Nationalismus im Kolonialstaat Ghandi: Diskrepanz zwischen Idee Europa und bestehenden realpolitischen Verhältnissen (koloniale Bevormundung degradiert Peripherie im Süden zum Vorstadium des eigentlich Modernen und Fortschrittlichen; Diskrepanz zwischen zur Verarmung führender Praxis der Kolonialherrschaft und jüdisch-christliche Merkmale und aufgeklärte politische Inhalte der Idee Europa) Idee Europa bei Ghandis politischem Engagement als normatives Ideal im Hintergrund und als Bezugsrahmen seiner anti-kolonialen Mobilisierungen. 2 Unabhängigkeitskampes in der ersten Hälfte des 20. Jhdts.: verbreiterndes Bewusstsein der eigenen politischen und wirtschaftlichen Rechte Indiens Diskrepanz nicht mehr gerechtfertigt werden. anti-koloniale Emanzipation: Einfordern einer Entsprechung zwischen Realpolitik und Idee Europa Neben Rhetorik negativ formulierter Abgrenzung gegenüber kolonialer Herrschaft bedarf es auch einer positiven Vorstellung vom Danach, einer konkreten Idee des Eigenen und einer politisch realisierbaren Alternative für das unabhängige Indien. Zurückweisung europäischer Assistenz auf dem Weg zur Moderne mit dem Argument der nationalen Selbstbestimmung: Nation (kollektive Identität, Kultur und Geschichte) unterschiedlich definiert. Differenzen auf Grund zwei Fragen: a) welche Elemente und Traditionsgütereiner kollektive Identität Indiens begründen könnten b) Verhältnis zwischen Hindus und Moslems Am Anfang des Diskurses: kooperative Haltung gegenüber Kolonialmacht -> Ram Roy: 1828 Gründung des Brahmo Samaj: Anerkennung der Briten, aber auch Kritik an kolonialer Praxis Im politisch-nationalistischer Diskurs eine duale Aufteilung erfolgt: a) materielle = äußere Domäne (Wirtschaft, moderne Technik, Wissenschaft Überlegenheit der Europäer anerkannt, durch Nachahmung wettmachen) b) spirituelle = innere Domäne (Überlegenheit Indiens, Einmischung der Fremdherrschaft zurückgewiesen, positiv definierte Differenz zu Kolonialherren, Indien Stellvertreter des Ostens Herr über das Feld der Kultur und Religion, sogar offensiver Sendungsauftrag „Spiritualität muss den Westen erobern“ kolonialer Staat deutliche Einschränkung seiner politischen und gesellschaftlichen Zuständigkeit diese Bereiche zu eigentlichen Schlüsselkriterien, leiteten auf diese Weise kulturell motivierte Abschüttelung der Fremdherrschaft ein) Nachdenken über indische Nation: Nationalismus propagiert gemeinsame nationale Kultur, Staatsbürger als Einheit gesehen a) national-radikale Flügel des indischen Nationalkongresses unter Führung von Tilak: Wesen der indischen Nation hat einen kulturellen, nämlich hinduistischen Charakter; Bipin Pal (Mitstreiter Tilaks): zwei Aspekte bei der konkreten Gestaltung einer Nation beachtet werden: 3 1. gemeinsame Struktur des Denkens 2. einheitliche, soziale Organisation Loyalität gegenüber nationalen Idealen und Institutionen stellt einzige Chance dar, als distinktive und individuelle Nation zu leben b) National-Liberalen um Gokhale oder Naoroji: Indien als Nation keine natürlich Konstante der Geschichte, sondern „nation in the making“, muss durch Prozess aus politischer Emanzipation und Bewusstsein entstehen (im Sinne einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft) Nehru, erster Premierminister des unabhängigen Indiens: Indien als Nation resultiert weniger aus der Vergangenheit, wichtiger: prosperierende Zukunft, vor allem ökonomische und soziale Notwendigkeiten und Kooperation auf nationaler Ebene als primärer Kitt der Nation; Kultur und Religion als Gefahrenpotential angesehen (für anti-koloniale Interessen instrumentalisiert, Gefahr für wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes und Politik entlang der religiösen Trennlinien von ihm als reaktionär und vormodern kritisiert, entscheidender Faktor = ökonomische, dadurch religiöse Differenzen in den Hintergrund treten, dieser Nationsbegriff: kulturell neutral, offen für ethnische und religiöse Vielfalt) Merkmal postkolonialer Staaten = alle nationalen Kräfte für die Überwindung der Unterentwicklung mobilisieren Nehru in Konflikt mit Ghandi (Nehru lehnt Ghandis expliziten Bezug auf Religion in seinen Kampagnen ab, für Ghandi ist das Verhältnis von Politik und Religion jedoch substantiell, für ihn Religion = Glaube an geordnete moralische Herrschaft des Universums, geht über die verschiedenen Religionen hinaus, Durchdringung der Politik durch humanistische Religion der Gewaltlosigkeit für Ghandi integrativen Charakter) Die Besonderheit des indischen Nationalismus Debatte um mögliche indische Nation geprägt durch zwei Meinungen: die der Primordialisten und die der Modernisten. (Der Ansatz der Primordialisten geht davon aus, dass die Verbindung zwischen Menschen hergestellt wird durch so genannte "givens" wie Verwandtschaft, Religion und Territorium. Primordialisten betonen vor allem die emotionale Kraft der Gruppenidentität und verstehen das Bestreben der Individuen, einer ethnischen Gruppe anzugehören, weitestgehend als "man's primal need to belonging". Primordialisten vertreten die Ansicht, dass Ethnizität einen Charakter umfasst, der ethnische Gruppen als natürliche Gruppen definiert.) 4 Alle politische Akteure hatten gemeinsam: historische Tiefe, Indien als geschichtlich gewachsene Nation (Form der idealisierte Vergangenheit). „Solidaritätstrationalismus“: Führungskräften in (ehem.) Kolonien erlaubt, eine kollektive, politisch wirkmächtige Solidarität als emotionale Grundlage eines Bewusstseins als Nation zu schaffen. (typisches Merkmal des Nationalismus unterworfener Nationen) Modernisten: Schaffung einer Nation gleichzeitig mit wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen Zum Zeitpunkt der Ausbildung des kolonialen Staates Indien war der volkswirtschaftliche Status nicht adäquat agrarisch geprägte, vormoderne Strukturen, koloniale Erschließung: modernes Staatsgefüge übergestülpt, dessen gesellschaftliche Basis in den 20-er Jahren des 20. Jhdts. die Vorraussetzungen für ein nationalistisches Engagement bot. Landesweite, einheitliche Verwaltung, Etablierung des Englischen…. schufen strukturelle Vorraussetzungen für den nationalistischen Diskurs. Gesellschaftliche Elemente (Kastenwesen, regionale und religiöse Gemeinschaftsformen) für bessere politische Kontrolle am Leben erhalten. Abbau vormoderner gleichberechtigter Muster der Ungleichheit Staatsbürgerschaft blieb zugunsten aus moderner traditionell Praxis soziale Segmentierungen in modernen, kolonialen Staat hinein übersetzt. Kolonialismus als strukturell, organisatorischer Rahmen bot Entstehung von N. Kultur = erstes Terrain der nationalen Eigenkompetenz, Fokus auf Spiritualität = klare Strategie der Abgrenzung gegenüber westlichen Kolonialmächten Hegemonie des Westens nur durch Imitation realpolitische in Frage gestellt werden Abgrenzung und Nachahmung = Aspekte der Entstehungsgeschichte eines nationalen Bewusstseins Zweite Vorraussetzung neben Kolonialismus als äußeren Rahmen und inneren Bezugspunkt des Nationalismus ist die kulturelle Vielfalt. Frage der kulturellen Pluralität: indische Nation (un-)möglich? nationale Kulturen nicht als etwas einheitliches, sondern als diskursiven Entwurf denken, der Differenzen als Einheit oder Identität darstellt (alle vormodernen Nationen sind kulturell hybrid). 5 Nation = zunächst ein sprachliches Konstrukt, bezieht ihre entscheidende Relevanz für das politische Handeln nicht aus der Tatsache einer gemeinsamen Kultur, sondern aus dem Glauben daran. Dritte Eigenheit des indischen Nationalismus ist das Verhältnis von Tradition und Moderne. Nationalismus bei Modernisten säkular, Religion als „Marker“ von Gruppenidentitäten. In Indien: keine klare Trennung zwischen Tradition und Moderne, Tradition nicht das begriffliche Gegenstück zur Moderne, sondern das notwendige Medium ihrer Reformulierung, Tradition stellt das symbolisch-kulturelle Repertoire zur Formulierung einer eigenen Moderne 2. Performative Nationsbildung: Religiöse Rituale im politischen Diskurs Indiens Eine Nation als soziale Wirklichkeit Konsequenzen des Nationalismus und der Einrichtung eines modernen, kolonialen Verwaltungsstaates hinsichtlich der Vorstellungen von Gesellschaft und Gemeinwesen: vormoderne Gesellschaften: lokale Fürstentümer, nicht-nationale Einheiten, als Vermittlungsinstanzen moderner Staat: Zentrum als Vermittler zu Staatsbürgern (verwaltungstechn. Zentralisierung, Einführung des allg. Wehrdienstes, Etablierung und Kanonisierung eines einheitlichen Bildungssystems…. = administrative Revolution des modernen Staates), direkte politische Partizipation am modernen Staat und Teilnahme an wirtschaftlichen Prozessen und Zugang zu knappen Ressourcen = notwendig im nation building in traditionell fragmentierten Gesellschaften wie Indien revolutionäres Potential aus sozialen, politischen Reorganisation resultiert Veränderung der Vorstellung sozialer Räume und Beziehungen! Zwei arten: 1. Vorstellung der Gesellschaft nach innen: neu formulierte, nationale Kultur (Indien: stark religiös imprägniert) zum Integrationsmaßstab für ihre Bürger und einzig anerkannte Grundlage aller sozialer Beziehungen und Legitimierung von Vorherrschaft (nicht durch Verweis auf Geburt); Kultur, Religion definieren das Eigene, vor allem das Andere, das der Nation nicht zugehörige 6 2. Vorstellung der Nation als Ganzes: klare Außengrenzen, Fokus auf kulturelle Maßstäbe (geteilte Kultur aus Sprache und Religion) Nation von politischen Verband losgelöst; Nation durch die Geschichte wandelnde Einheit ihrer Mitglieder, unabhängig, ob politisch geeintes Territorium oder eigener Staat Zusammenhang von Nation und Religion in Indien bis heute unauflösbar (Nehru versucht diese zu trennen). Die Politik der religiösen Rituale: Performative Nationsbildung Nationsbildung = Kommunikationsakt zwischen unbekannten Staatsbürgern und zwischen diesen mit politischen Eliten Neue, breitere, kapitalistisch orientierte Kommunikationsformen für Entstehung nationalen Bewusstseins, nicht zu Lasten des Einflusses von Religion Ausbildung einer modernen, materiellen Infrastruktur = moderne mentale Infrastruktur durchgesetzt, die das eigentliche Rückrad des Nationalismus ausmacht „innere Nationsbildung“: Verbreitung nationalistischer Sprach-, Denkkategorien auf dem politischen Feld „diskursive Strategien“ für Konstruktion von nationaler Identität: drei Aspekte: a) Inhalt: sprachliche Konstruktion von Nation, gemeinsame Abstammung und Zukunft, gemeinsame nationale Kultur sowie sprachliche Konstruktion der Abgrenzung nach innen und außen b) Strategien: Vermittlungsebene zwischen inhaltlichen Botschaften und Realisierungsmitteln, sind mentale Schemata, Stellungnahmen gegenüber politischen Status quo und entwerfen Pläne zur konstruktiven Transformation, Zerstörung, Bewahrung des selben c) Realisierungsmitteln, -formen: Nation = soziale Denkkategorie, sind nicht nur mentale Ordnungsprinzipien, müssen einmal produziert und wieder reproduziert werden = „Setzungsarbeit“ (Bourdieu), öffentliche, rituelle Handeln zur Aufrechterhaltung der Kohäsionskraft des Kollektivs, Inhalte in ein aktionistisches Programm Entscheidungsschlacht, übersetzt Friedensschluss…) -> (Nationalfeiertage, Hindu-Rechte singt seit Jahrzehnten eine andere Nationalhymne (nimmt Bezug auf hinduistisches Erbe) „Setzungsriten“ sollen Fortbestand der kollektiven Identität als politisches Fundament garantieren 7 Drei Funktionen politischer Rituale Politische Riten bewirken drei Entwicklungen: a) reproduzieren mentale Infrastruktur und erhalten Kategorien der Einheit und Differenz Ritual = kollektives, interaktives, kommunikatives, symbolisches, performatives Verhalten; innovative, traditionalisierende Eigenschaften; multimediale Ausdrucksformen und theatralische Performanz; häufig integrativ, aber auch aggressive Ausschließung = Instrument zur Erreichung politischer Ziele Sprache der Rituale = Symbole, Zeichen -> Gruppen können an Hand derer durch Stereotypisierung, Simplifizierung, Beschwichtigung mit komplexen Situationen umgehen; religiöse Rituale (mit überirdischen Wesen, Dialog mit dem Jenseits) oft nicht von säkularen, politischen Zeremonien zu trennen. Ritual = aktionistischer Formatismus „nationale Bewegungskultur“ = Nationalismus als politische Programmatik der Performanz, zwei Aspekte: 1. Ritual bewirkt durch Sprechakt oder Handlung die Herstellung, Realisierung einer Idee, zunächst abstrakt, durch die Durchführung schafft es Wirklichkeit 2. Ritual ermöglicht breite Partizipation an einem Ereignis und an der hergestellten Wirklichkeit b) machen kollektiven Zusammenhalt der Nation zur erlebbaren Wirklichkeit politische, religiöse Rituale setzen positive Identität der Gemeinschaft nach innen: kann überregional verbindend wirken, wenn notwenige materielle Infrastruktur und Kommunikationsmittel zur gemeinschaftsfördernd und Verfügung ziehen stehen, Grenzen zu religiöse Praxis Andersgläubigen, wirkt positive Gemeinschaftsstiftung durch gemeinsame Teilnahme an Ritualen auf politischen Bereich übertragbar, können kurzfristig soziale Trennlinien nicht aufheben, aber manipulieren negative Markierung der Differenz nach Außen: Teilnahme an Ritual der Nation Art Privileg, Nicht-Staatsbürgern verweigert (deutlich bei Initiationsriten) Verschränkung von religiöser, politischer Initiation = typisch für Gemeinschaftsbildung des religiösen Nationalismus in Indien 8 durch massenhafte Teilnahme an öffentlichen, politischen Ritualen: Zustimmung zur Nation, begründet und bestätigt auch die führende Position der Eliten, setzt Mindestübereinstimmung mit diesen voraus. Gelingen von ritueller Setzung einer Gemeinschaft setzt Bedürfnis nach kollektiver Setzung voraus, Differenz entscheidend -> Selbstbild eines Kollektivs wesentlich durch Kontrast zu anderen Kollektiv (extrem integrativ – Ghandi oder NationalLiberale verzichten darauf) Außengrenze der Nation = Medium von Privilegierung, sozialer Marginalisierung, symbolische Formen der Diskriminierung Ritual auch gemeinschaftszerstörend: Setzung eines neuen, modernen Kollektivs -> altes wird abgelöst -> dieser Prozess in sozialer Hinsicht diskriminierend, tendiert zur Gewalt (Vorstellung von Reinheit und organischer Ganzheit) Verschiedenheit kein Faktum, entsteht als politische Kategorie erst in der performativen Ausführung c) legitimieren sie Hegemonie und Macht innerhalb der Nation Indien: Kampf um die Durchsetzung einer bestimmten Interpretation von Nation stellt auch Kampf um gesellschaftliche Vormacht dar Konflikt: nicht zwischen Nation und Nicht-Nation, sondern zwischen unterschiedlichen Varianten des nationalen Selbstverständnisses Nationale Führungsrollen müssen sich als Prototypen des kollektiven, kulturellen Charakters der Nation bewähren und ihre Version vom Selbstverständnis der Nation als mentale Kategorie mit aktionistischen Mitteln durchsetzen Sozialer Wandel, basierend auf veränderte materielle Verhältnisse, führt zu Auf- bzw. Abstieg Teilen der Bevölkerung und Neugestaltung der Riten „symbolisches Kapital“ (Bourdieu): gesellschaftlich verliehene, individuell oder kollektiv akkumulierte Kapital der Anerkennung, kann symbolische Wirkung ausüben, in Form von Anerkennung, Vorherrschaft oder Unterwerfung individueller Träger: Prestige, Handlungskompetenzen oder Gemeinbesitz aller Mitglieder einer Gruppe Nationalismus = kollektive Akkumulation symbolischen Kapitals, das gegenüber einer externen Kolonialmacht durch die Formulierung einer glorreichen Vergangenheit oder spirituellen Überlegenheit aufgewertet und für die politisch-ökonomische Konfrontation aufgerüstet wird 9 Instrument zur Verschleierung realer (ökonomischer) Verhältnisse, Personen/Gruppen mit hohen symbolischen Status können mit symbolischen Sanktionsmöglichkeiten gesellschaftliche Bedeutung der materiell Führenden beschränken Vorherrschaft nicht ausschließlich aufgrund materieller Hegemonie, sondern Ausbreitung von „symbolischer Macht“ = Dimension des Herrschers, die sich nicht auf der Ebene der physischen Kontrolle der Beherrschten ereignet, sondern die Sinnsuche und Erkenntnis anspricht Vier Wirkweisen nationalistischer Rituale, die das nation building ausgestalten: 1. politisch-nationalistische Rituale sind standardisierend: Verhaltensformen aller Beteiligten kanonisieren, verbindlich vereinheitlichen, konservative Festschreibung von Kultur und Tradition bewirken, in chaotischen Situationen den Anschein von Ordnung und Planung verleihen, Mittel = rituelle Wiederholung, vermittelt Kontinuität 2. politisch-nationalistische Rituale sind synchronisierend: Synchronisierung der symbolischen Aktionen, Rituale konzentrieren sich auf einen Moment, gewählter Zeitpunkt etwa als Signifikanz im Jahreskreis (Nationalfeiertag) markiert das kollektive Selbstverständnis 3. politisch-nationalistische Rituale sind emotionalisierend: Emotionalisierung von Politik für Nationalismus wesentlich – Existenz der Nation als politisch relevante Kategorie weniger auf ideologischer Überzeugung als vielmehr auf dem Gefühl der Gemeinsamkeit, positive Bedeutung der Emotion als Identifikationsmaßstab, negative Anfeindung gegenüber Anderen (Personifizierung der Quelle der Bedrohung) 4. politisch-nationalistische Rituale sind traditionalisierend: ergibt sich durch Wiederholung und formaler Standardisierung „kulturelle Gedächtnis“: Traditionsbildung, Vergangenheitsbezug, politische Identität bzw. Imagination; ist ein historisches Produkt, gibt Auskunft (Vorstellungen) über das Woher und Wohin einer Gesellschaft und liefert praktisches Wissen für deren Verwirklichung; rituelle Wiederholung sichert die Kohärenz der Gruppe in Raum und Zeit Politik sucht im Ritual seine Legitimierung, rituell vermittelte 10 Nationalismus = politische Reformulierung des kulturellen Gedächtnis Traditionalisierende Funktion: verleiht Anschein des „immer-schon-so“, geht zu Lasten alternativer Versionen, Exklusivitätsanspruch des religiösen Nationalismus umgesetzt, hohe Gewaltbereitschaft 3. Politische Rituale der Reinheit im kolonialen Indien Die Shuddhi-Bewegung der 1920er Jahre Mahatma Gandhi und führende Politiker des Indian National Congress initiierten 1919 die Khilafat-Bewegung. Ziel war Erhalt des osmanischen Kalifates und Stärkung der Einheit zwischen Hindus und Moslems und Erlangung der Selbstregierung. Prinzip Gandhis: Gewaltlosigkeit. Trotzdem 1921 gewaltsamer Aufstand in Malabar. Agrarisch moslemische Bevölkerung „Mappilas“ gegen Kolonialherren. Monetarisiertes Steuersystem schwere Bürde. Und gegen hinduistische Grundbesitzer und Geldleiher die in enger Kooperation mit Briten standen. = Abhängigkeitsverhältnisse, wirt. Emanzipation moslemischer Bauern unmöglich. Auch im Bereich Bildung rückständig. Gewaltsame Bekehrung Hindus zum Islam. Übertrieben von Presse „Times of India“ dargestellt. Keine genauen Zahlen bekannt. Frage der Koexistenz in einer Nation. Moplah-Rebellen: entführten hellhäutige Mädchen der Nair = hohe Kaste und vergewaltigten diese. Andere wurden zur Konversion gezwungen, wie Moplahs gekleidet. Aryja Samaj in Panjab verabschiedete aufgrund dieser Berichte eine Resolution mit Doppelstrategie: Shuddhi und humanitäre Hilfe. Hilfe für Hindus die ihre Häuser verloren haben oder fliehen mussten. Shuddhi ein rituelles Konzept welches religiöse Marginalisierung der Konvertierten Hindus beseitigten. Übersetzt gereinigt unschuldig = shuddh. Reinheit, Vorgang der Reinigung = shuddhi. Kastenzugehörigkeit stellen Reinheits- und Unreinheitszustand dar. Begriff neu durch polit. Akteure des 19. und 20 Jhdt. Shuddha Begriff existiert im praktizierten Hinduismus = Perfektion, eine unverheiratete Frau, Wasser aus heiligen Flüssen Indiens. Rituale der Shuddhi-Bewegung: Rückführung der Konvertierten, Reinigung der niederkastigen Hindus. Dies geschah unter Einbindung Pandits = hohe Kaste mit 11 Monopol der Durchführung von Riten. Ausdehnung der trad. Kompetenz der Experten von Riten = Brahmanen. Jedoch Unsicherheit über Ausgestaltung von Riten = Kontroversen. In Malabar viele Opfer die den Status der Reinheit wiedererlangen mussten 1922 wurden 4 Resolutionen verabschiedet die Ablauf der Zeremonie im Detail regelten: - Abschneiden des Haarbundes, Wiederholung von Kalima, Ohrendurchstechen der Frauen und Tragen der Moplah-Jacke: Frau musste in einem Tempel 3 Tage verweilen, Opfer darzubringen und Namen Narayana und Shiva 3.000 Mal jeden Tag zu wiederholen. - Beschneidung und gemeinsames Wohnen: Gebete 12 Tage 12.000 Mal wiederholen. - Essen von Speisen von Moplahs: Sünde im heiligen Fluss Sethu abzuwaschen. Zertifikat von Tempelautoritäten, 41 Tage Gebete 12.000 Mal wiederholen. = Verstöße gegen Reinheitsvorschriften. Sehr strikt dafür das die Hindus Zwangsweise konvertiert wurden. Auch für Shuddhi-Bewegung unmöglich den Status der Reinheit ganz wiederzuerlangen. Bsp: Brahmanen = Status durch Geburt erlangen. Beschneidung endgültig und nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, deshalb Strafe höher. = klassisches Merkmal der Zugehörigkeit zum Islam. Somit grundlegende Verunreinigung. Dritte Punkt = Tischgemeinschaft und schwerste Verunreinigung. Tischgemeinschaft und Verheiraten der Tochter = zentrale Angelpunkte der Kastenordnung. Rekonversion in Malabar = kreative Schöpfung, Texte mussten gefunden werden. Devala Smriti Text von hinduistischen Priestern gefunden für Rekonversion. Sehr alter Text der historischen Scheintiefe verlieh. 90 Verse beschrieb Text die Reinigung. Mlecchas = Ungläubigen. Die Konversion von Santals unterschied sich von Resolution von Malabar. Santals waren keine Hindus, folgten tribalen Religionen die außerhalb der Kastenordnung praktiziert wurden und keine Reinheitsgebote zwischen Kasten aufwiesen. Deshalb handelt es sich hier um keine Rekonversion sonder Initiation in Hinduismus. Shuddhi-Bewegung: Kombination aus reformulierter Tradition und moderner Nationalstaatsbildung. Verband verwaltungsstaatliche Prozeduren der Registrierung, wie Staatsbürgerschaft, mir Rituellen Erfordernissen der Reinigung = Integration in 12 Verband der Hindus. Formulierung eines hinduistischen Verhaltenskodex. Hindu betet bei Sonnenaufgang- und Untergang, trinkt kein Alkohol und schützt Heiligtümer vor Feinden. Shuddhi- Bewegung sollte für Auseinandersetzung mit anderen Religionen vorbereiten und Verfall des Hinduismus aufhalten. Shuddhi im größeren Kontext. Religion und soziale Veränderung Sozialer Hintergrund und Veränderungen des 20ten Jhdts. Nach Ersten Weltkrieg Zunahme der Mittelklasse und stärkere Politisierung. Zahl der Absolventen von höherer Bildung stieg in Kriegsjahren an. All National Indian Congress = Mitgliedschaft stieg an, Rückgang von Juristen zugunsten Ärzten, Journalisten in führender Schicht. = ideol. Auffächerung. INC baute sein organisatorisches Netzwerk aus Zweigstellen und Khalifat-Komitees aus. Zuerst hochkastige Hindus der Mittelund Oberklasse und dann Transformation auch andere Kasten teilnehmen. Hindu-Nationalismus der Shuddhi-Bewegung explizite Mittelklasseideologie hochkastiger Hindus. Nationale Kollektivbewusstsein wirkte als Modernisierung jedoch traditionellen Eliten hoher Kasten weiterhin die Führung. Bauern, niederkastige Hindus und Unberührbare sollten in nationales Kollektiv integriert werden. Mittelschicht betrieb sozialkonservative Transformation im anti-kolonialen Politik. Fixierung der Hegemonie der obersten Kasten. Kasteninterne Interaktionsmodus wurde von Hindu-Nationalismus zu einem nationalistischen öffentlichen Paradigma des Kollektives umformuliert. Separationslogik der Reinheitsvorstellung wurden von Kastengrenzen auf Außengrenzen der Nation übertragen. Ausgrenzung basiert auf Schema Reinheit-Unreinheit. Reinheit als politisches Konzept hat Folgen auf Ermordung Moslems in Guajarat 2002. Seit Shuddhi-Bewegung dienst Reinheit als nationaler Integrationsmodus und Fundament rel-nat Ein- und Ausschließung. 4. Religion als Wählermobilisierung in der indischen Demokratie Annahme der republikanischen Verfassung im Jänner 1952 stellte die entscheidenden Weichen für eine demokratische Zukunft. 1975 kam es unter Indira Gandhi zu einem Ausnahmezustand: Indien mittels Sondervollmachten regiert. 13 BJP (Indische Volkspartei): 1980 neu gegründet bis 1998 gelang ihr Aufstieg von marginalen politischen Kraft zur Religionspartei Nutzung von religiös-nationalistischer Mobilisierungen Mobilisierungsstrategien (kontinuierliche Veränderung der Strategien) führten zu Identitätsbildung und Aufbau von organisatorischen Strukturen Dadurch Festigung der Macht nach Übernahme der Regierungsgeschäfte 1998 Atombombentests 1998 als eine ihrer ersten Amtshandlungen Religiöse Rituale als demokratische Opposition: Der Ayodhya- Konflikt 1989 Annäherung der BJP an VHP („Welt-Hindu-Rat“; Errichtung einer Hindu-Nation) und den RSS („Nationaler Freiwilligenbund“) ebnete Weg für Koalition. AYODHYA = Geburtsstadt des Gottkönigs Ram. Die Geschichten Rams eine der wichtigsten rel. Schriften des Hinduismus – 1526 Moslemführer Babar errichtete Moschee dort – entstand Konflikt. VHP und RSS gelang es 1992, Moschee zu zerstören – führte zu gewaltsamen Unruhen im ganzen Land Befreiung des Geburtsortes Rams – Kampagne für Erbauung eines RamTempels – Hauptthema der Wahl BJP kooperierte zeitgleich mit V.P. Singh, ehemaliger Minister der Kongresspartei, der mit BJP Allianzbildung forcierte. (Advani Parteipräsident) RSS erhöhte wegen Wahlen den Druck auf BJP und verlangte Stellungnahme zur polit. Situation (sprach Gründung einer Hindu-Partei explizit an.) A.B. Vajpayee: Nummer 2 in der Partei Forcierung des Themas Ayodhya innerhalb der BJP. „Rückgewinnung“ des Geburtsortes Ram und forderte Moslems auf, Ansprüche auf Moschee aufzugeben. 14 Es kam zu Treffen von BJP und der hindu-nationalistischen Shiv Sena Partei: KOALITION bestätigt! (Geburtsort Rams eigener Punkt der Resolutionen) M. Pingle: + Mitglied des RSS + Massenaktion: Heilige Ziegelsteine in Dörfern und Städten verteilen, für Tempelbau nach Ayodhya gebracht werden (9. Nov.: GRUNDSTEINLEGUNG) + Aufschrift der Steine: Shri Ram („Ram, der Herr“) mit Gangeswasser zum Anrühren von Lehm Einwände der Kongresspartei und V.P. Singh´s, die Gerichtshöfe entscheiden zu lassen, zurückgewiesen. Auch RSS protestierte gegen Einbeziehung der Gerichte. VHP hatte Strategie der offenen Einbindung religiöser Autoritäten; Hinduistische Priester, Heilige und Asketen Ram Shila Pujas: „die Verehrung der Ram-Ziegelsteine“ BJP Wahlprogramm: 2 wesentliche Punkte 1. Korruption und Misswirtschaft der Regierung 2. „Befreiung“ des Geburtsortes Rams Es kam zu Riten der Verehrung, Zeremonie – religiös geladene Atmosphäre. Premierminister Rajiv Gandhi (Kongresspartei): sprach von baldiger Errichtung der Ram Rajya (=Herrschaft Rams), um seine Partei in Nähe der VHP-Kampagne zu positionieren. Allgemeine Hinduisierung der politischen Praxis brachte auch BJP heftige Kritik ein. Diese setzte jedoch Kurs der offenen Kooperation und Beteiligung an Kampagne weiter fort. Während der Kampagne kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems (öffentliche Prozesssionen von Ram-Verehrern führte zur Gegenwehr von moslemischen Bevölkerung): + es folgte ein Verbot der Pujas + Prozessionen benötigten Bewilligungen 15 + VHP wollte Programm der Mobilsierungen nach Ayodhya weiterhin fortsetzen + Am Tag der Grundsteinlegung ließ sich VHP mit teilweise bewaffneter Anhängerschaft auf erweitertem Terrain nieder, um Grundstein zu legen. (Innenministerium befand Aktion als legal) = Beispiel performativer Nationsbildung Stand für die aktionistische und ideologische Neugründung Indiens. Analog zu Nehrus Rede zum 15. August 1947, als Indien unabhängig wurde, unterstrich Singhal (int. Präsident des VHP)mit seiner Rede den markierten Durchbruch zu neuen Idealen und nationaler Freiheit. + betonte Ende von 450 Jahren Unterdrückung + Indien entdeckt sich quasi neu, als „Hindu-Herrschaft“ + er warnte vor Übermut und mahnte zur konsequenten Verfolgung der Ziele Die Grundschemata dieser verschiedenen Stellungnahmen haben bereits bekannte Muster: Moslems werden mit Briten als Besatzer Indiens gezeichnet. Hindus als vereinnahmende hinduistische Gesellschaft als Kollektiv („Opferrolle“, Hindus Opfer der Geschichte) = aggressive „Rennaissance“ der Hindus wird legitimiert. Rajiv Gandhi profitierte von allgemeinen Hysterie um den Geburtsort Rams = Strategie, die sich als Fehleinschätzung der Wähler und Stärke der BJP erweisen sollte. Wahl: Aufstieg der BJP in der Sitzverteilung (85 Sitze in der Lok Sabha=ind. Unterhaus; 11,5 %) Partei gelang zwar Aufstieg, aber Strategie der „Hindu-Herrschaft“ brachte nicht erhofften Erfolg. Breite Etablierung in Uttar Pradesh, dem wichtigste Bundesstaat, gelang erst 1991. Wahl 1989 wahr wohl ausschlaggebendes Ereignis, als motivatorischer Rückhalt und in sozialer Hinsicht Ausgangspunkt für weiteren Weg. BJP hatte in obersten Kasten wichtigste politische Klientel. 16 Weiterhin performative Strategien, diesmal als Hauptdarsteller des aktionistischen religiös-kulturellen Nationalismus. ( --- Notwendigkeit der Transformation der Kampagnen) Nationale Politik als Mythologie Anfang 1990 neu gebildete Regierung unter V.P. Singh – sehr unterschiedliche polit. Zielsetzungen. Gemeinsame Zielsetzung: Verdrängung der Kongresspartei aus Regierungsämtern. BJP Präsident Advani 2-gleisige Strategien: 1. Unterstützung der Regierung 2. Forcierung der hinduistischen Identität seiner Partei unter nationalist. Vorzeichen + VHP wollte mit Kampagne zur Errichtung eines Tempels fortfahren + V.P.Singh wurde gewarnt, sprach sich gegen Schaffung einer Hindu-Gesellschaft aus Advani - kündigte Massenkampagne an, wenn sich Regierung weiterhin gegen Pläne des VHP stellte - griff die Regierung wegen Untätigkeit in Kaschmir an - trat über 10.000 km lange Pilgerreise vor allem durch nordindische Bundesstaaten an. (Ausgangspunkt Somnath; um kollektives Bewusstsein der Nation weiter zu hinduisieren) Gleichzeitig begann auch die VHP, seine Kader für die Konfrontation mit Regierung einzuschwören.(-- „Ram-Lämpchen“ für jeden Haushalt) 3-tägiges parteiinternes Treffen der BJP: bekräftigte Enttäuschung über Regierung; es wurde Parteikader für Durchführung der Kampagne und Kooperation mobilisiert. 17 Als politisches Ritual: visuelle Gestaltung des Streitwagens von Advani (Fernsehserie nachempfunden – Popularisierung der Geschichten um Ram), um ihn ins rechte mythologische Licht zu rücken. Ergebnis: Perfekt organisierte Kampagne, glich einem Wahlkampf. Die Grenzen zwischen Politik, Religion und Mythos verschwammen und ermöglichten es der BJP, unpolitisch zu erscheinen, indem die Geschichte Rams in polit. Imagination übersetzt wrude. Theatrilität zum hauptsächlichen Medium und Inhalt der Politik erhoben! + Advani wollte durch Pilgerfahrt „Stärkung der nationalen Einheit“, keine Entzweiung zw. Moslems und Hindus (als Zeichen dafür Moslem als Fahrer) + ermutigte lokale Bevölkerung überreichte ihm traditionelle Waffen wie Dreizack, Schwert, Pfeil und Bogen. + Feuerwerke, Opferrituale, Tänze,… Kritik: - Eigentum und Infrastruktur der Regierung missbraucht (Bsp Jeeps) - Offene Kult von Waffen Gleichzeitig verschärfte Advani Ton gegenüber Regierung, schloss Bildung alternat. Regierung mit Kongresspartei aus. FOLGE: nur NEUWAHLEN möglich! Während der Reise kam es in Karnataka zu schweren Unruhen zwischen Hindus und Moslems, deswegen wurde President´s Rule, eine Art Ausnahmezustand, verhängt! In Folge strenge Restriktionen bei Versammlungen. Auch in Uttar Pradesh: schwere Ausschreitungen schon vor Advanis Ankunft – 15.000 Aktivisten verhaftet, darunter auch BJP-Politiker Kalyan Singh. Am 23. September bei der Einreise nach Uttar Pradesh wurde Advani verhaftet! (heftige Proteste, Reaktionen der Beteiligten vor Ort). BJP kündigte noch am selben Tag die Unterstützung der Partei für die Regierung auf. Premierminister V.P. Singh musste sich Vertrauensabstimmung stellen. 18 Es kam zu Protestwellen gegen die Verhaftung, Gewalt gegen staatliche Einrichtungen. Gewaltausbrüche forderten unzählige Menschenleben. Die politische Kampagne des Streitwagens hatte eine neue, nationalistische und kulturell definierte Geographie etabliert, die Indien als ein sakrales Territorium darstellte, das seinen Nabel in Ayodhya, der heiligen Pilgerstätte, besaß. (Glaube: Menschen auf Erde und Götter im Himmel treffen sich und als Pilger kann man von einer Welt in die andere blicken.) Gepaart mit dem nationalistischen Programm der BJP wurde der Ort zum kosmischen Geburtsort der Nation der Hindus. Ayodhya - als weltlicher Ort wird zu Hierophanie, zum Medium der Begegnung mit dem Heiligen und zum Kulminationspunkt des nationalen, kollektiven Erwachens. - Begründet moderne, nationale Gemeinschaft, die sich selbst an Ayodhya wieder erkennt, sich darin spiegelt. - Zum politischen Herkunfts- und Zukunftsmythos der Nation der Hindus - Wechselspiel von Nation und Religion leugnete Vielfalt der hinduistischen Religionslandschaft - Wurde zum Ort der Wiedergeburt der Nation - Aktive Beteiligung an „Befreiung Rams“ zum entscheidenden Integrationsmaßstab für das neue, hinduisierte Indien (dem vielen rel. Minderheiten und der Süden des Landes zum Opfer) Neu gewählte BJP-Präsident: Murli Manohar Joshi Wahlprogramm: + konzentrierte sich auf das Scheitern des Nehru´schen Staates + stellte die neue nationale Identität in kultureller, wirtschaftlicher und polit. Hinsicht in den Vordergrund + Hindutva = polit. Version der Hindu-Kultur; als „geopolitisches Konzept“ (auf gemeinsamer Kultur und Ethos aufbauend) + kam noch zu Einigung, neben dem Thema Ayodhya auch die Frage Kaschmirs als 2. Standbein in den Wahlkampf aufzunehmen (beklagte die anhaltende Gewalt im 19 Tal, versprach freie Wahlen und forderte Streichung der Sonderrechte für Bundesstaat Jammu und Kashmir) BJP stieg zur zweitwichtigsten politischen Kraft des Landes auf! (119 Sitze; 20 %) Die Janata Dal, bis dahin 2. stärkste Partei, verlor an Stimmen. 1996 kam es zum Wahlsieg der BJP, jedoch gelang es ihr nicht, eine Regierungskoalition zu bilden. Neuerlicher Wahlsieg 1998. Die BJP verdankte einen wesentlichen Teil ihres politischen Potentials der gekonnten Kombination theatralischer Inszenierungen und demokratie-politischer Anforderungen. Religiöser Nationalismus als Regierungschauvinismus: Die Hindu-Bombe Premierminister Atal Bihari Vajpayee (BJP): 1998 erster Premiers in der Geschichte Indiens: ANORDNUNG VON ATOMTESTS IN MUMBAI! Indien dadurch zur neuen offiziellen ATOMMACHT! (USA hatte von all dem nichts mitbekommen – komischer Aspekt) - Nur zaghafte Proteste gegen die Tests, Sanktionen durch die USA - Aber auch hocherfreute Emotionen und Jubel über die „Superbombe“ in Hauptstadt - BJP versuchte, das Ereignis als nationalistisches Hochgefühl zu inszenieren - Nukleartests zum Schauprojekt hindu-nationalistischen Größenwahns - Die Koalition erhielt Schub in Richtung Stabilität - Nationalismus verstärkt - Zündung der Bomben an nationalen Feiertag gekoppelt - „nukleares Bewusstsein“ fehlte sogar in städtischer Bevölkerung - 81 % der Befragten bei Meinungsumfrage begrüßten die Entscheidung Premiers: 20 Die Tests hätten Indien „neuen nationalen Stolz und neues Selbstvertrauen“ gegeben und bauten auf breiten nationalen Konsens auf. Advani, nun Innenminister, forderte am Tag vor den Tests in Pakistan den Bruderstaat auf, seine feindliche Position gegenüber Indien aufzugeben. Mit den Ereignissen von 1998 wurde ein tief greifender politischer Transformationsprozess abgeschlossen. Das Ergebnis war ein hinduistisches Kollektiv. Die wesentlichen Eigenschaften dieser Hindu-Gesellschaft: Die - Wehrhaftigkeit - Kompromisslosigkeit - Härte - Physische Überlegenheit Kampagnen der BJP: nicht linear, mussten auch Rückschläge und Fehleinschätzungen hinnehmen. Das Wechselspiel aus Religion, Politik und Nationalismus bildete dabei Grundstock der Auseinandersetzung mit der Kongresspartei um neue Konzepte von Staat und Gesellschaft, indem sich letztlich global ausgerichtete Hegemonialanspruch eines militanten Hinduismus durchsetzte. 5. Transformation der Öffentlichkeit: Religion, Politik und Globalisierung Die landesweiten Erhebungen wurden 1996 begonnen, als die BJP zum ersten Mal stimmenstärkste Partei wurde. Seither werden diese Wählerbefragungen vom CSDS (Centre for the Study of Developing Societies) in Delhi regelmäßig durchgeführt. Die Wählerschaft der BJP Es liegen Sozialprofile vor, die die Präferenzen der Wählerschaft nach unterschiedlichen Kriterien aufgliedern. 21 BJP ist als strategischer Block im Rahmen der umfassenden Parteienkoalitionen ausgewiesen, nicht als einzelne Partei. Die Zusammensetzung der Koalitionsparteien variierte, sodass sich auch das soziale Profil ihrere Wählerschaft änderte. Die BJP wird im Vergleich zu allen anderen nationalen Parteienkoalitionen im überwiegenden Maß von Männern gewählt. (1996: 26,8 % der Männer; 23 % der Frauen) Auch 2004 Männerdominanz, obwohl BJP + Alliierte gegen die Koalition verloren, Regierungsgeschäfte abgeben mussten Mehr Wähler aus städtischen Raum als aus ländlichem. (ca. 32 % vs. ca. 23 %) Alter: in allen Altersgruppen etwa gleich stark vertreten, aber abnehmende Präferenz bei den über 56-jährigen. Popularität bei Gruppe der 18- bis 21jährigen. Für die Frage des sozio-ökonom. Hintergrundes in Indien ist zwischen Kasten- und Klassenzugehörigkeit zu unterscheiden. Die Wahrscheinlichkeit des materiellen Wohlstandes erhöht sich mit der Höhe der Kastenzugehörigkeit und umgekehrt (aber kein zwingender Zusammenhang abgeleitet). hauptsächliche Klientel die hochkastigen Wähler BJP ist Partei, deren Wählerschaft zu gewichtigem Teil aus obersten Priesterkaste (Brahmanen) kommt. 1998 konnte Partei in unteren Kasten, kastenlosen Wählerschaft und tribalen Bevölkerung Terrain gewinnen. Kampagnen durch Kleinstädte und ländliche Gebiete zielten auf Expansion in diesen Gesellschaftsschichten ab (teilweise erfolgreich). National Executive Committee der BJP: = oberste richtungsweisende Organ für die polit. Linie der Partei (bestand 1998 aus ca. 55 % Mitgliedern der obersten Kasten. 22 Das ökonom. Profil der Wähler (=Klassenzugehörigkeit) ergibt linearen Zusammenhang zw. Einkommen und Wahrscheinlichkeit, dieser Partei Stimme zu geben. Wenn man Wählerschaft in 4 Klassen unterteilt: Anteil der Wähler mit Höhe des Wohlstandes nimmt zu. Die Niederlage der Partei und ihrere Koalition war auf bessere Koalitionsbildung auf Seiten der Kongresspartei in alternativen, ökonomisch schwächeren Rängen der Gesellschaft zurückzuführen (BJP blieb Repräsentantin der aufstrebenden Schicht). Je höher gebildet und höher der berufl. Status, umso deutlicher Präferenz für die BJP. Kaste und Klasse vestärken sich gegenseitig in Wahrscheinlichkeit, BJP zu wählen. (Wahrscheinlichkeit in unteren Kasten erhöht sich, wenn Wohlstand steigt) Die BJP Wählerschaft ist ein sozialer Block aus jenen, die durch wirtschaftl. Liberalisierung und Internationalisierung profitierten und zur neuen Mittel- und Oberschicht wurden aus untergeordneten Kasten, die genau dies werden wollten und aus Anteil sozial Minderprivilegierter, die zunehmend unter Druck geraten bzw. die neuen ökonom. Möglichk. nicht nutzen können. Noch einmal zusammenfassend: Wähler mit höherer Bildung höherem wirtschaftl. Status hochkastiger Herkunft Männer und Städter haben Interesse an polit. Kampagnen. 1998: Zündung der Atombombe als großartige nationale Auferstehung inszeniert, jedoch blieben große Teile der ländlichen Bevölkerung von diesem Geschehen völlig unberührt. 23 Männliche, besser gebildete Hindus in Berufsfeldern des Kleingewerbes im Bundesstaat Uttar Pradesh, in dem Ayodhya liegt, befürwortete die Zerstörung eher als indische Wähler. Über 40 % der BJP-Wähler befürworteten das Geschehen in Ayodhya, befürworteten nicht chaotische und Gewalt geladene Zustände, aber hatten Sympathien für das Anliegen der Kampagne um Ayodhya. Der soziale Block der Wählerschaft ist vorübergehend, instabil und daher auch jederzeit auflösbar. Strukturelle Veränderungen in der politischen Öffentlichkeit Frage: nach Medien und den sich rasch verändernden Strukturen der Öffentlichkeit. BJP-Wähler mehr als alle anderen dem massenmedialen Diskurs ausgesetzt CSDS: 4 Kategorien für die Wählerschaften der einzelnen Parteien unterteilt: von "den Medien nicht ausgesetzt" bis "stark ausgesetzt". Zwischen 1983 und 1998 vollzogen sich die raschesten Entwicklungen auf dem indischen TV-Markt. (enorme Steigerung der medialen Durchdringung Indiens durch das Fernsehen; instrumentelles Repertoire der Politik erweitert. Erste quantitative Sprung in diesem Bereich zw. 1984 u 1985 (Ermordung Indira Gandhis, ihr Sohn Rajiv trat Nachfolge ans Premierminister an) Indira Gandhi hatte noch Expansionspläne des Staatsfernsehens umgesetzt Dezember 1993 83,6 % der Bevölkerung und 64,5 % des ind. Territoriums konnten Doordarshan (staatliches Monopolfernsehen) empfangen 1998: bereits 86 % der Bevölkerung und 68 % des Staatsgebietes Reichweite der Kabel- und Satellitennetzwerke erhöhte sich (2000: 19,1 Mio angeschlossen) Empfangsmöglichkeiten entwickelten sich parallel 24 im städtischen Raum die durchschnittl. Anzahl von Fernseher wesentlich höher als auf dem Land Delhi: ca. 86 % der Haushalte besitzen Fernseher Konsequenzen für die nationale Politik: Gegen Ende der Amtszeit 1988/89 von Rajiv Gandhi er Zugang über TV zur Inszenierung seiner Person (visuelle Kampagnen). Faktor Fernsehen veränderte das Wesen von Kulturproduktion in Indien überhaupt (Bedeutung der Medien signalisierte Industrialisierung der materiellen Güter und "Kultur" im Allgemeinen.) = führte zu ZENTRALISIERUNG DER KULTURPRODUKTION Uniformisierung der Diskurse betraf + Bereich der Kulturproduktion + Politik und ihre Vorstellung von Gesellschaft + Zukunft + nationales Selbstverständnis --- konnten sich im Zuge dessen effektiver, direkter und rascher homogenisieren und entsprechend reformuliert werden. Richtung dieser Vereinheitlichung der Ideen und Bilder.(Vereinheitlichung visuell und inhaltlich) Ausstrahlung von Fernsehserien über die mytholog. Inhalte der hinduistischen Epen ab 1988. (bildete ua den inhaltlichen Bezugspunkt für die hindu-nationalist. Kampagnen) Inhalt dieser Serien bewirkte, das Ram in der kollektiven Vorstellung der Hindus von der Sagengestalt zur historischen Figur wurde. Auch Ayodhya wurde durch die Serien mit der Stadt in Nordindien gleichgesetzt und durch diese Popularität zum Politikum. + Serien propagieren in sozialer Hinsicht ein problematisches Bild von Gesellschaft unter der Herrschaft Rams + Die Frau Rams Sita als unterwürfig und folgsam dargestellt 25 + Leben Rams zur Analogie für das Schicksal Indiens als Nation sowie für das individuelle Leben + Königreich Rams stellt eine Art goldenes Zeitalter in der Vergangenheit der Nation dar, das es in Gegenwart und Zukunft wiederherzustellen gilt. + Darsteller von Sita und des Dämons Ravana konnten 1991 für BJP-Wahlkampf gewonnen werden. + Serien halfen mit, das "visuelle Vokabular" zu erweitern, mit dem sich Nation der Hindus darstellen und politisch inszenieren ließ. BJP übersetzte die Uniformisierungstendenzen kulturell-religiösen der massenmedialen ZentralisierungsÖffentlichkeit in und politische Strategie. (Ram schillernste Figur, Frauen kamen kaum vor. Das neue Hindutum prasselte aus allen Kanälen der Öffentlichkeit auf indische Bevölkerung ein. Advani beklagte Einseitigkeit der Berichterstattung und polit. Färbun der Programmgestaltung war für Liberalisierung des Medienmarktes (von Rajiv Gandhi abgelehnt) 1991 erste Ansätze der Liberalisierung der Wirtschaft und erste Reformen auf dem Medienmarkt (Bsp.: CNN berichtete über Golfkrieg der USA im Irak) Kampagnen wurden bereits von Beginn an auf das mediale Publikum der privaten Fernsehanstalten und lokalen Zeitungen ausgerichtet. Strategien der performativen Nationsbildung waren - zunächst ein Mittel, um Kanäle der Öffentlichkeit zu umgehen - und für die Botschaften der Partei durch Pilgerreisen und mit Hilfe von lokaler und englischer Presse alternative Formern der Öffentlichkeit herzustellen. Durch Liberalisierung des Medienmarktes erkannte BJP die interne Funktionslogik des jungen Medienmarktes und reagierte politisch darauf. 26 Religiöser Nationalismus als Spiegel sozialer Prozesse In 1920er Jahren Eintritt der Unabhängigkeitsbewegung in das Zeitalter der Massenmobilisierung und Massenpolitik In anbahnende Krise der Kongresspartei als einzig staatstragende Partei - 1980er Jahren internat. Veränderungen der Weltwirtschaft nachhaltige Erschütterungen des postkolonialen Staates in seiner Realpolitik und ----- seiner führte schliesslich ideolog. zur polit. Selbstverständlichkeit. Ablösung der Kongresspartei Pluralisierung der Parteienlandschaft Ökonom. Nationalismus der BJP in 2. Hälfte 80er/90er soll vor allem hochkastige Wähler der unteren Mittelschicht der Städte in Kleingewerbe und Handel ansprechen. (Zunahme der Belastungen, Konkurrenzdruck auf dem Markt) Programm des Swadeshi und des "integralen Humanismus" der BJP - kulturell orientierte Entwicklungskonzepte - wirtschaftlich sehr stark nationalistisch ausgerichtet - versprachen "HUMANISIERUNG" der Politik - BJP befürwortete ökonom. Nationalismus - ausländ. Konkurrenz nur in ausgewählten Bereichen wie Energie und Infrastruktur zugelassen. ---- von Liberalisierungen profitierten Mittel- und Oberschicht stark. (wichtigste Rückhalt der Partei) Kulturell-religiöse Nationalismus der BJP: ist ein dreifaches demokratiepolitisches Instrumentarium, entfaltet Attraktivität für sehr unterschiedliche Gesellschaftsschichten. 1. Hindu-Nationalismus als symbolisches Kapital für die aufstrebende Mittel- und Oberschicht. 27 Neue Selbstbewusstsein Indien als Atommacht hat mit Problemen der untersten Schicht nicht Aufstrebende das Schicht Geringste projeziert ihre zu nationale, tun. innenpolitische Selbstwahrnehmung auch nach außen. 2. Ungeahnte Möglichkeiten des materiellen und gesellschaftlichen Aufstiegs der unterkastigen Wähler durch Liberalisierungen 3. BJP vermochte Kongresspartei im urbanen Raum kurzfristig abzulösen (durch Internationalisierung und Rückzug des Staates unter Druck geraten) BJP versuchte ihre polit. Anhängerschaft in unteren Kasten und bei kastenlosen Hindus zu verbreitern (Kampagnen) Das Wesen des Hinduismus auch im postkolonialen Indien exklusivistisch und nationalistisch reformuliert. Nationalstaatl. Zugehörigkeit wird immer enger an Kriterien der Hindu-Kultur gebunden, um (1) Unterordnung der Anderen unter einen Mainstream zu erzwingen, aber auch (2) um ein Eigenbild der Makellosigkeit als nationale Geschlossenheit zu inszenieren. (Uniformisierung) Neuformulierung des religiösen Erbes des Hinduismus, dabei wird ihre Interpretation des religiös-kulturellen Eigenen mit den Erfordernissen moderner Nationalstaatlichkeit im Kontext postmoderner Marktmechanismen abgestimmt. ART VON IDENTITÄTSKONSTRUKTION: vergrössert internen Widersprüche höhere Opferzahlen, die dieser "WILLE ZUR REINHEIT" provoziert. 6. Hindu-Nationalismus als Polit-Show: Ergebnisse und Schlussfolgerungen Strategien der Vermittlung politischer Inhalte: Diskurs und Performanz 28 Dreifache Unterteilung: Inhalte, Strategien, Realisierungsmittel -> mit diesen Versuchen Nationalisten ihre Version der Nation durchzusetzen Für konkrete Analyse zwei Aspekte übrig geblieben: 1. Diskurs: diskursive Strategien bereiten den theoretischen, konzeptionellen Boden des religiösen Nationalismus als politisches Programm, entwerfen kollektives Selbstverständnis der Nation 2. Performanz: fungiert als aktionistische Methodik der Umsetzung und Vermittlung des Nationalismus diskursive, inhaltliche Strategien des Hindu-Nationalismus: historisch, aber auch zukunftsorientierte Argumentation Akteure nicht nur auf politischem Feld, auch Kader des RSS, VHP, versuchen abseits der Politik Aufbau der Nation gemäß ihres Verständnisses argumentative Legitimation in Bezug auf Geschichte Indiens einseitig und selektiv einzelne Elemente eines hindu-nationalistischen Geschichts-, Gegenwarts- und Zukunftsverständnisses herausgegriffen, stark ideologisch gefärbt sehen sich selbst als Instrumente einer historischen Mission Historisierung der Gegenwart aus Sicht des Hindu-Nationalismus = Kreislauf Kernstück = Ausgangs- und Endpunkt = Das goldene Zeitalter: - gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher Idealzustand - mythologisch formulierte Historisierung der „Herrschaft Rams“ - allgemeine Gerechtigkeit und Wohlfahrt im Inneren sowie Machtfülle und Stärke nach Außen - geeinte Hindu-Nation als kulturelles und spirituelles Vorbild für die gesamte Welt - Illusion des Miteinanders von Menschen und Göttern ↓ Innerer Zerfall: - Perversion des Kastensystems: keine „organische Arbeitsteilung“ mehr, sondern autonomisierte Diskriminierung durch den Status der Geburt 29 - Aufkommen der Unberührbarkeit als Stigmatisierung von Hindus; war unbekannt im Goldenen Zeitalter, schwächt nun den inneren Zusammenhalt der Hindus - Rückgang des Anteils der Hindus an Gesamtbevölkerung (Beginn der Volkszählungen 1911 durch Briten: numerische Konkurrenz zwischen Religionsgemeinschaften entstanden) Gründe: Bekehrungen und religiöskulturelle (Verbot von Wiederverheiratung von Witwen und Kindern etc.) untergraben die Stärke der Hindus - Buddhismus und Jainismus: historisch angeblich aus Hinduismus entstanden, propagieren absolute Gewaltlosigkeit, die die Nation der Hindus für Gewalt von außen angreifbar und verwundbar macht (gleich gilt für Ghandi), Gewaltlosigkeit wird von der Hindu-Rechten nach 1920 stark kritisiert ↓ Äußere Bedrohung: - christliche Missionare gewinnen Anhänger unter den Unberührbaren und unteren Kastenhindus - „Invasion des Islam“ erfolgreich aufgrund der mangelnden Gegenwehr der Hindus - Monotheistische Religionen des vorderen Orients im Vorteil im religiösen Überlebenskampf aufgrund kirchlich-organisatorischer Geschlossenheit einerseits kritisiert andererseits mit hinduistischer Toleranz konterkariert Hindu-Nationalismus Lob für eigene Offenheit, aber auch Ansporn zur Imitation (Ziel des VHP: quasi-kirchliche Strukturen für Hinduismus schaffen) ↓ Victimization: - Hindus werden zu „Opfer im eigenen Land“, macht Gegenwehr notwendig - im Kolonialstaat: Moslems und Christen kooperieren mit Briten -> gemeinsame Unterwerfung der Hindus ↓ Organisation: - „Militarisierung der Hindutums“ zum wehrhaften Kollektiv; aggressive Offenheit als notwendiger Kampf ums Überleben 30 - Beseitigung der gesellschaftlichen Übel im Inneren (Unberührbarkeit, Diskriminierung der untersten Kasten etc.) durch Suddhi - Organisation und körperliche Ertüchtigung gegen den „kollektiven Minderwertigkeitskomplex der Hindus“ - Stärkung der nationalen Kohäsion durch Etablierung eines nationalkulturellen Mainstreams (Hindutva) - Wehrhaftigkeit nach außen: „Hindu-Bombe“, Aufrüstung als Mittel zur Erlangung gebührender, alter internationaler Größe - gesamtgesellschaftliche Aufrüstung mit Reinigung und sozialer wie religiöser Reinigung kombiniert ↓ Fernziel = Goldene Zeitalter: ………… Ausgangs- und Endpunkt hindu-nationalistischer Diskurse ist eine Utopie Performanz = Stadium der Realisierungs- und Umsetzungsstrategien Theoretiker des politischen Liberalismus = John Rawls „übergreifender Konsens“ und „öffentliche Vernunft“ geprägt Ziel: allgemein anerkannten, demokratisch funktionierenden politischen Konsens zu formulieren und friedliche Koexistenz unterschiedlicher kultureller, religiöser Lager innerhalb einer demokratischen Gesellschaft zu ermöglichen Ausgangspunkt bei Rawls: „Faktum des Pluralismus“ = Vielfalt an religiöser, philosophischer, moralischer Lehren = unverrückbare Vorraussetzung für die politische Konstitution von Staaten in der Moderne Herstellung des Konsens unterliegt gewissen Regeln (Nachhaltigkeit): Gleichheit der Bürger, Grundfreiheiten, Gestaltung der sozialen wie wirtschaftlichen Ungleichheiten nach dem Prinzip der Vorteilhaftigkeit für jedermann Formulierung eines Konsens: Regeln folgen um Erfolg zu haben: a) Konsens selbst ist eine moralische Konzeption für die Grundstruktur eines demokratischen Verfassungsstaates (wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Institutionen) b) Konsens muss religiös, philosophisch, moralisch neutral sein c) Konsens muss auf die „intuitiven Gedanken“ zurückgeführt werden, die als bereits existierender, unbewusster Konsens aus der vergangenen 31 gesellschaftlichen Praxis abgeleitet werden kann Indien: teilt „Faktum der Pluralität“ als Vorraussetzung aller Politik und Staatlichkeit Hindu-Nationalisten verfolgen zweidimensionale Strategie: a) Hindutva als religiös-kultureller Nationalismus zwingt religiöse Minderheiten zur Unterordnung, schließt diese von der Formulierung nationalen Selbstverständnisses aus Untergräbt Konstituierung eines Konsenses b) mit Hilfe der Strategien der performativen Nationsbildung Formulierung, Inszenierung eines übergreifenden Konsenses Hindu-Rechte: beschränken sich auf allgemeine Merkmale der Hindus (Verehrung der Kuh, die Gottheit Mutter Indien, der Geburtsort Rams…) = sind keine religionsspezifischen Inhalte, sondern lose Symbole des NichtIslamischen, Nicht-Christlichen darauf konzentrieren sich die politisch-rituellen Kampagnen und reformulieren diese wenigen Aspekte im Kontext politischer Erfordernisse (Bspl.: Wandel Gottkönig Rams vom Mildtäter zum aggressiven Kreuzritter gegen Moslems) Veränderung religiöser Ausdrucksformen: Wandel hin zum öffentlichen Spektakel beide Aspekte: radikalisieren religiöse Inhalte und betonen stärker die Funktion der Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen Ergebnis der religiösen Konsensbildung: keine liberaldemokratische, offene Gesellschaft, sondern eine nationalistische Übereinstimmung möglichst aller Hindus (politische Liberalismus wurde diese Vorraussetzung niemals akzeptieren) Religiöser Nationalismus als Feld der Politik Die indische Nationalismus Forschung ist vielfältig und umfasst vielfältige theoretische Ansätze: Nationalismus in historiographischen Abhandlungen wird als säkulares modernes Phänomen betrachtet und stark abgegrenzt zu einer religiösen-kulturellen Definition einer indischen Nation. 32 „Kommunalismus“ (communalism): 1920er erlebte der Hindu-Nationalismus seine Hochkonjunktur. Der Nationalkongress interpretierte religiöse Formen des Nationalismus als Opposition zum eigenen N. und stritt sogar ab, dass es sich dabei um N. handle. „Kommunalismus“ selbst war ein Relikt kolonialer, orientalistisch beeinflusster Geschichtsschreibung. Bipan Chandra: Laut ihm definiert im „Kommunalismus“ die Religion die sozialen Beziehungen der Menschen und bestimmt auch die säkularen, d.h. weltlichen Interessen einer Gruppe. Interreligiöse Gewalt: Gewalt dient der Verbreitung der Ideologie und Ideologie der Rechtfertigung der Gewalt (WECHSELWIRKUNG) Die Grundlage dafür: ein falsches Bewusstsein der sozialen Wirklichkeit in Indien! Religion: Instrument, mit dessen Hilfe sich die Eliten politische und wirtschaftliche Vorherrschaft und Ressourcen sichern wollen A.R. Desai (1948): Verbindung zwischen Deindustrialisierung Indiens unter den Briten und der Entstehung des Nationalismus. weiters: Panikkar: Aufwertung und genauere Betrachtung des kulturell-religiösen Zusammenhanges auf lokaler Ebene. Paul R. Brass: Nationalismus = Elitenphänomen; dient Erhöhung des Zusammenhaltes der Gruppe – garantiert Interessenswahrnehmungen im öffentlichen Raum. (MOBILISIERUNG durch gelungene Auswahl an religiösen Symbolen möglich!) In den 1980ern kam es zur Veränderung der Nationalismus-Forschung, da breite Beschäftigung mit A. Gramsci einsetzte = Neubewertung religiöser und kultureller Aspekte in der Geschichte! Parta Chatterjees: 1. Werk: Schema „passsive Revolution“ Gramscis Dreierschritt: 33 Moment des Aufbruches (von religiösen Nationalisten initiiert – Kultur bildete Terrain des strategischen Wettkampfes um Autonomie und nationales Selbstbewusstsein) Moment des Manövers Moment der Ankunft Er verweist auf eine duale Aufteilung der Wirklichkeit für die Bewertung von Kultur und Religion innerhalb des politischen Diskurses im kolonialen Indien. 2. Werk: erweitert; erklärt die Konstitution von Differenz in kolonisierten Gesellschaften überhaupt. Hintergrund für diese Herangehensweise = Interpretation von Kultur als „Kampfschauplatz“; als Territorium der Auseinandersetzung um gesellschaftliche und politische Hegemonie. (Gramsci – Gefängnishefte) Historische Block: Kultur dient der Formierung eines „historischen Blocks“: unterschiedliche gesellschaftliche Klassen, die wegen Interessenskoordination zu strategischen Kooperation zusammenfinden und mit Hilfe von Kultur und Religion den Anspruch auf Vorherrschaft durchsetzen. Andere indische Sozialwissenschafter gehen einen Schritt weiter, indem sie versuchen einen quasi „indischen“ Begriff von Eigenrecht und Autonomie in Abgrenzung zur westlichen Dominanz zu entwickeln. (Begriff an vormodernen Lebensweisen der indischen Bevölkerung orientiert, Begriff ist aber nicht modern oder postmodern!) „Postnationalismus“: Blick auf strukturelle Gewalt gegenüber den rel. und kulturell marginalisierten Gruppen der postkolonialen Gesellschaft. Modernes Modell von Nationalstaatlichkeit sprengen Fehlentwicklungen und gewaltgeladenen Momente der Durchsetzung des nationalen Selbstbewusstseins durch Kritik anzuprangern Alternative Ansätze zur politischen Organisation 34 Wichtigste Veränderung: Neubewertung von Kultur und Religion in Fragen der Staatlichkeit! Religiöser Nationalismus als diskursives als auch als performatives Feld verstehen: Begriff des Feldes von Pierre Bourdieu geprägt, muss aber neu interpretiert werden. Gesellschaft = Ansammlung von unterschiedlichen Strukturen, die nach jeweils eigenen Spielregeln funktionieren und Macht und Vorherrschaft verleihen bzw. legitimieren. Strukturen: Ökonomie, Politik, Religion, Kunst,.. sind Strukturen, die Gesellschaft durchziehen und eigene autonome Bereiche des Lebens begründen. Diese Bereiche = Felder Felder prägen zweierlei Bereiche: Welt der Vorstellungen Handlungen (Möglichkeiten von Aktionen festlegen) Politisches Feld: Ort, wo „miteinander konkurrierende Akteure politische Produkte“ erzeugen. (Programme, Analysen, Kommentare, Konzepte; aber auch die PROBLEME SELBST UND IHRE LÖSUNGEN!) „Formulierungsgewalt“: - Innerhalb der Felder die Problem- und Lösungsformulierung an sich zu binden und die eigene Version gegenüber Konkurrenten durchzusetzen. - Praxis der Politik zu bestimmen Staatlichkeit: - politisches Feld verwandelt sich zu Feld des Nationalismus, das nach Spielregeln funktioniert - die moderne Staatlichkeit setzt Rahmenbedingungen, auf die die unterschiedlichen Versionen der Nation (siehe „Formulierungsgewalt“) als politisches, vorgestelltes Kollektiv zu reagieren versuchen 35 - verlangt kulturelle Uniformisierung des Kollektiv ( -- Verwaltungsapparat, Zusammenhalt der Bevölkerung als Staatsbürger) - verlangt die Formulierung kulturelle Kriterien der Ein- und Ausschliessung, um Grenzen der Verwaltung auch ideologisch zu markieren. - fordert Formulierung von anwendbaren Kategorien, um Staat als kognitive Kategorie durchzusetzen (gesamtstaatliche, nationale Definition) Es entsteht heterogenes Feld des Nationalismus (unterschiedliche Versionen der Nation,..), jedoch hat Diskurs des N. geteilte Spielregeln, gemeinsame Leitlinien. Rel. Nationalismus realisiert genau die gleichen Erfordernisse wie der säkulare. Historische Umbrüche im ökonom. & politischen Feld einer Gesellschaft sind Zäsuren alternativer nationalistischer Ideologien. ( - weil sie Kampf um Hegemonie als sozialen Raum kulturell konkretisieren) In den 1990ern kam es zu Paradigmenwechsel: - Hindu-Nationalismus schliesst an „säkularen“ N. der Kongresspartei an. - In Städten änderten sich gesellschaftl. Rahmenbedingungen = ZÄSUR - Alternativversion angenommen - Neue religiös gefärbte Nationalismus im Inneren - Urbane Oberschicht verlangte nach int. Position Indiens als Global Player - Konkurrierenden Versionen im Feld des N. beeinflussen Auftreten Indiens nach außen - Entwicklungen der ind. Wirtschaft und militärischen Kapazität - Internen Vorgänge in Indien werden für Position des Landes als regionaler und internationaler Machtfaktor für internationalen Beziehungen von Bedeutung sein Rabindranath Tagore (Schriftsteller, Nobelpreisträger): Er hielt nationalistische Denkweise in Bezug auf sein Land für unangebracht. N. hat inhumanen Abstraktionsgrad von Realität. („OKTOPUS VON ABSTRAKTIONEN“) Nationalismus = Wurzel des Übels, verursacht Leid und Gewalt + er eröffnet neue Horizonte in Kritik an N. 36 + N. als politisches Instrument bringt Zwang zur Homogenisierung und Drang nach Stärke mit sich. Ausweg: 1. Föderalismus auf staatlicher Ebene 2. „intensiven Internationalismus“ 3. Prinzip der Neutralität auf außenpolitischer Ebene Notwendig: gewaltfreie Umsetzung! 7. Indien als Kampfschauplatz religiösen Fundamentalismus und Terrorismus Einschränkung der Diskussion von Fundamentalismus, Terrorismus auf Indien als Staat unzulässig -> grenzüberschreitende Phänomene (bes. Beziehung zwischen Indien und Pakistan) Möglichkeiten von Fundamentalismus und religiös motivierter Gewalt im Hinduismus Begriffliches Verständnis im Falle des Hinduismus: monotheistischen Religionen des vorderen Orients (Islam, Christentum) -> Buchreligionen, schriftliche Grundlage als Fundament -> entsprechend radikal, wörtlich, diskussionslos umgesetzt Ghandi – Hinduismus: „….Hinduismus keine exklusive Religion… Platz für die Verehrung aller Propheten dieser Welt…. Lebt auf diese Weise mit allen Religionen in Frieden….“ kann von Fundamentalismus gesprochen werden? Da: dogmatische Offenheit, keine Berufung auf singuläres schriftliches Fundament. Zentrale Vorraussetzung für Entstehung von Fundamentalismus = Situation des beschleunigten Wandels Beginn der fundamentalistischen Bewegung: 19. Jahrhundert (bis in die Gegenwart) Entscheidend: Wandel als Krise, massive Bedrohung für Lebensweise und Werte gedeutet wird Zentrum fundamentalistischer Weltbilder: Abschließung ausgewählter Elemente der Tradition, Festschreibung, monopolisierte Verwaltung der Tradition, Absolutheitsanspruch hat primär nichts mit der tatsächlichen Existenz eines Fundaments (Buches) zu tun Zweck: Solidaritäts- und Identitätsstiftung im Sinne einer zukunftsorientierten, totalen Neugestaltung der Welt; keine Pluralität akzeptiert 37 Entscheidender, gefährlicher Schritt ist einzelne, selektive Elemente der Tradition zu verabsolutieren und diese so zu handhaben, als seien diese Fragmente der Tradition selbst das Fundament der Religion dadurch Denk-, Reflektionsverbot universalisiert. Prinzip der willkürlichen Abschließungsbewegung – jede Weltanschauung kann fundamentalistischen Charakter annehmen! Fundamentalismus: Vorstellung von Differenz zu einem als feindlich empfundenen Anderen (offensive Abwehrreaktion), aktive Bekämpfung Politik = entscheidendes Terrain zur Durchsetzung, Fundamentalismus als Strategie der Politisierung kultureller Differenz (Politisierung des Religiösen und Besetzung des Politischen durch religiöse Sprache und Logik) Gewalt im Hinduismus: orientalistisches Fremdbild von Indien im 19. Jahrhundert – Hinduismus als Religion der Toleranz und Gewaltlosigkeit im Laufe religiöser Reformbewegungen zu Eigenbild umformuliert. Anfänge des 20. Jahrhundert (HinduNationalismus): Militarisierung des Hindutums keine neuen Formen (hinduistische Epen beinhalten Elemente der Kriegerethik…), Gewalt und Hinduismus durchaus vereinbar: es existieren Kriegerkasten, deren Standesethik die Ausübung von Gewalt ist. Religiöser Terrorismus als Kommunikationsform Rel. Fundamentalismus: Ablehnung, Anfeindung jeglicher Form von Differenz sowohl gegenüber anderen Religionen wie auch innerhalb der eigenen Langfristiges Ziel = Vernichtung der Differenz Religiöser Terrorismus – drei Wesensbestimmungen: a) Methode = Gewalt b) Auswahl der Opfer (häufig: zivile Opfer als Mittel für einen anderen, politischen Zweck) c) Zielsetzung (zentral ist die politische Wirkung) Strategischen Absichten – Unterscheidung zwischen direkt und indirekt einbezogenen Personengruppen: Direkte Opfer und jene, die die Tat selbst ausführen Indirekte potentiellen Opfer, jene Nächsten „Noch-eimal-Davongekommenen“, (Verbreitung größtmöglicher Angst die und Schrecken) sind eigentliches Publikum der Aktion 38 gelingt Terrorakt: klimatische Veränderungen in der Zielgesellschaft hat unmittelbare politische Konsequenzen, Handlungszwänge für politischen Gegner geschaffen vorrangige Ziel des Terrorismus: atmosphärische Transformation der gegnerischen Gesellschaft Terrorismus ist dann religiös, wenn er seine ideologische Letztbegründung in einem kosmologischen Endzeitkampf sieht. Religiöser Terrorismus ist eine Kommunikationsstrategie und funktioniert analog zur performativen Nationsbildung: - Nur dann sinnvoll, wenn von einer möglichst breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und interpretiert - Eigentliche Zielsetzung der Gewalt vom Gewaltakt selbst losgelöst, nur Mittel zum Zweck -> eigentlicher Inhalt = zeichenhafter Eindruck der Gewaltaktion - plötzliche Entladung von Gewalt: punktuelle Wehrlosigkeit, Unterlegenheit und Schwäche des Gegners dargestellt Der eigentliche Inhalt terroristischer Gewalttaten besteht sowohl in der symbolischen Kommunikation mit der Öffentlichkeit als auch in der Transformation von Wirklichkeit. Drei unterschiedliche Formen von Terror betrachtet: kommunale, interreligiöse Gewalt von Hindus gegen Moslems, Terror islamischer Fundamentalisten, Rolle des Kaschmir-Konfliktes. Religiös motivierter Terrorismus in Indien 1. Interreligiöse Gewalt von Hindus gegen Moslems „Gujarat 2002“: Gewalt zwischen Hindus und Moslems -> neue Qualität des Terrors und fundamentale Krise des indischen Staates 27. Februar 2002: in Godhra (Bundesstaat Gujarat) – Sabarmati-Express angehalten, nachdem ein Wagon Feuer gefangen hatte, 58 Insassen (ausnahmslos Hindus, Großteil Pilger) verbrannten unter den Pilgern: viele aktive Anhänger des VHP 39 unmittelbar nach dem Anschlag: indische Öffentlichkeit sprach von gezielten Terroranschlag islamischer Fundamentalisten (Akt der Provokation) nationale, lokale Regierung unterstützten diese Version VHP rief zu Generalstreik auf Auftakt einer Gewaltwelle (2 000 Menschen, Mehrheit Moslems, starben) in mehr als 20 Städten in Gujarat brachen Unruhen aus, Ausgangssperren verhängt Reaktion der politischen Führung: Versäumnisse, stille Duldung (= Gegenterror) März: Premierminister Vajpayee rief zur Ruhe und Frieden auf, April: Vajpayee mahnte Moslems endlich zu lernen, mit anderen Religionen in Frieden zu leben Lokalregierung in Gujarat unter Chiefminister Narendra Modi (BJP): mitverantwortlich für Unruhen, verhinderte nicht Wüten der Banden des VHP, Plünderungen moslemischer Geschäfte, Zerstörung Kultureinrichtungen, moslemischer Häuser, Ermordung Moslems wurden mit Hilfe staatlicher Daten (Wählerlisten, Wohnungsverzeichnisse) organisiert Narendra Modi: Verfechter des politisch-gesellschaftlichen Konzeptes der HinduRashtra (Herrschaft der Hindus in Indien), Gehilfe in der Umsetzung eines moslemfreien Gujarat Untätigkeit der BJP-Regierung in Gujarat = durch den Staat selbst mitgetragener Terror gegen religiöse Minderheit VHP: keine unmittelbaren oder spätere Sanktionen durch den Staat und die Justiz Errichtung über 30 Flüchtlingslagern in Gujarat, unzureichendes finanzielles Engagement der Regierung, Versorgung durch NGOs übernommen politische Führung von Gujarat nutzte terroristischen Akt zur Mobilisierung radikaler, gewaltbereiter hindu-fundamentalistischer Organisationen, um daraus politischen Profit im Sinne demokratischer Unterstützung in der Hindu-Wählerschaft zu ziehen Narendra Modi: Anfeindung gegen Minderheit = notwendige Selbstverteidigung der Hindus, mobilisierte mit politischen Ritualen seine Wähler im Namen eines fiktiven religiösen Überlebenskampfes der Hindus Erste Gelegenheit: 2002 Pilgerreise (Yatra) durch Ahmedabad unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen, Exodus tausender Moslems aus dem Stadtgebiet bewirkt 40 moslemische Bevölkerung aufgefordert, aus Anlass ihres Moharram-Festes keine Prozessionen zu unternehmen, da sie ansonsten selbst für etwaige Gewalt verantwortlich wären Yatra verlief ohne Gewalt Juli 2002: Modi ersuchte um Termin für Neuwahlen, für Dezember angekündigt Modi organisierte die Pilgerreise des Stolzes quer durch Gujarat Wahlprogramm bestand im Wesentlichen aus alten Stereotypen und Anfeindung gegen Moslems (spielte z.B. auf das Klischee der numerischen Übervorteilung der Moslems an -> durch ihre höhere Fertilität hätten sie bald die Vorherrschaft in Indien) Ergebnis der Wahlen deutlich: BJP Zweidrittelmehrheit. Empirische Studie zu politischen Vorgängen in Gujarat, die noch vor der Wahl durchgeführt wurde: - Modi ging als die mit Abstand fähigste politische Persönlichkeit aus den Wirren der Unruhen hervor - quer durch alle Bildungsniveaus Unwissenheit über die Verhältnisse der Minderheiten (v.a. Moslems) - Zusammenhang zwischen der Intensität der interreligiösen Voruteile und dem Hang, der BJP die Stimme zu geben, nachgewiesen „Gujarat 2002“: besondere Form des Terrors Intention (Vernichtung von Einrichtungen der Minderheit und ihrer wirtschaftlichen Infrastruktur) ging über Schaffung des Klimas von Angst und Schrecken hinaus; durch exemplarische Morde langfristige ökonomische und soziale Verdrängung abgezielt; durch kollektiven, anhaltenden Angstzustand soll Vertriebenen es unmöglich gemacht werden, in ihre Häuser, Geschäfte zurückzukehren Arbeitsteilung zwischen regierenden BJP, die dadurch politisches Profil als „Beschützer der Hindus“ gewann und den radikalen Hindu-Organisationen, die die Gewalt ausführten Gegen die Verwendung des Begriffs Terrorismus in diesem Zusammenhang: - keine punktuellen, zeitlich äußerst begrenzten Anschläge 41 - es findet keine Umkehrung der Machtverhältnisse statt (eigentliches Ziel des Terrorismus; in diesem Fall: religiöse Mehrheit agiert in Absprache mit staatlichen Autoritäten gegen eine ohnehin marginalisierte Minderheit) - besondere Dynamik durch die Verbindung mit demokratischen Vorgängen wie Wahlen Terror aus dem radikal-islamischen Milieu Beginn einer Serie politisch höchst effektvoller Anschläge islamisch- fundamentalistischer Gruppierungen im Oktober 2001: o Anschlag auf das Lokalparlament Organisation Jaish-e-Mohammed (JeM, Armee Mohammeds) zugeordnet (enge Verbindung zu Osama bin-Ladens alQuaida), Attentäter stammten aus Pakistan innerindisches Verhältnis zwischen Hindus und Moslems stark belastet o JeM mit in Kaschmir operierenden Lashkar-e-Taiba (LeT, Herr der Reinen) Anschlag im Dezember 2001 auf das tagende Nationalparlament in Neu-Dehli konnte verhindert werden (LeT: Heiligenverehrung unter Moslems bekämpft, intolerant gegenüber lokalspezifischen Glaubensformen des indischen Islams) Premierminister Vajpayee (BJP): reagierte mit Truppenaufmarsch entlang der Grenzen, obwohl Anschlag missglückte -> Keil in die vorübergehenden bilateralen Annäherungen zwischen Indien und Pakistan getrieben beide Anschläge: bewusste politische Provokation, strebten politische Sachzwänge anstrebten Konflikt in Kaschmir = Schlachtfeld in einem global geführten Krieg um die Wiedererrichtung des Kalifates und der politischen Einheit aller Moslems unter seiner Führung; eigentliche Gegner ist somit nicht nur Indien als Besatzer, sondern der Westen in ihrer Existenz. terroristische Aktivitäten der LeT in Zusammenhang mit hindu- fundamentalistischen Gewalteskalationen Beispiel: der indische Zweig der LeT, die Tanzim Islahul Muslimeen (TIM, Organisation für die moralische Verbesserung der Moslems) unmittelbar nach einer Serie von Ausschreitungen gegen Moslems gegründet. 1993, ein Jahr nach Zerstörung der Babri-Moschee: TIM trat in Erscheinung mit Bombenanschlägen 42 o Anschlag der LeT auf religiöse Einrichtung der Hindus (Akshardham-Tempel) in Gujarat 2002 folgte zeitlich auf die Pogrome gegen Moslems in Gujarat o Anschlag 2005 auf das vom indischen Staat streng abgegrenzte Terrain der 1992 zerstörten Babri-Moschee alle Beteiligten getötet schnelle Reaktion hindu-fundamentalistischer Organisationen VHP: Druck auf die politische Führung in Delhi und die BJP, diese sollen sich wieder stärker um die Anliegen des VHP und des RSS kümmern alle diese Beispiele: Terrorismus als Kommunikationsstrategie islamistische Gruppierungen: hervorragende interne Organisation, Nutzung des Internets -> können sehr flexibel in Indien operieren Die Bedeutung des Kaschmir-Konfliktes 2002: militante Islamisten (Unterorganisation des LeT) attackieren Gruppe von Hindu-Pilgern im Kaschmir-Tal Kaschmir Konflikt zwischen Indien und Pakistan: Stellvertreterkrieg der fundamentalistischen Gruppierungen (radikal-islamische Gruppen agieren blutig, hindu-fundamentalistische rhetorisch, aktionistisch) Verständnis des RSS einer indischen Nation = Kaschmir und Pakistan sind ein „organischer“ Teil Indiens Konflikt nur durch die Auslöschung Pakistans als Staat zu lösen Lösung unmöglich, weil Verhandlungspartner das Existenzrecht abgesprochen wird islamistische Gruppierungen: Kaschmir = Prototyp des globalen islamischen Befreiungskampfes und Front gegen die Feinde der weltweiten Neo-Umma (neu zu schaffende Gemeinschaft aller Moslems) indische Teil des Kaschmir-Tals: zunehmende Fundamentalisierung geht zurück auf veränderte politische Rahmenbedingungen Mitte der 80-er innerindische Anfeindung der moslemischen Minderheit seit 1999: Prozess der „Talibanisierung“ des Kaschmir-Konflikt setzte ein und schuf damit eine zusätzliche bilaterale Konfliktdimension zwischen Indien und Pakistan 43 44