Hall, Stuart Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität. Aus: Hall, Stuart (1994): Rassismus und kulturelle Identität. Argument, Hamburg, S. 44-65 Abstract: Der Text „Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität“ handelt von Globalisierung und Ethnizität. Der Autor Stuart Hall versucht anhand des Beispieles Großbritannien diese beiden Begriffe und deren Auswirkungen zu erklären. Zusätzlich geht er auf historische Ereignisse (Weltwirtschaftskrise, …) ein und verknüpft diese mit den oben angeführten Begriffen. Am Ende des Textes geht Hall auf den Begriff Identität ein und verdeutlicht dies anhand eines Beispiels – der Fotoausstellung des Commonwealth Institutes. Schlagwörter: Hall, Stuart; Globalisierung; Ethnizität; Englisch-Sein; Identität; Thatcherismus; das Lokale; Fotoausstellung Commonwealth Institute; Kogler Verena, Matrikelnr.: 0305201, Studienkennzahl: 297 Kogler Sonja, Matrikelnr.: 0305200, Studienkennzahl: 033 641 696511 VO Medienpädagogik, Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, WS 2004/2005 Stuart Hall zeigt einige der sich verändernden Konfigurationen der Frage des Lokalen und des Globalen, insbesondere im Zusammenhang mit Kultur und Kulturpolitik, auf und will herausfinden, was dabei entsteht und wie unterschiedliche Subjektpositionen transformiert oder produziert werden. Der Autor möchte diesen Prozess speziell von England aus betrachten. Hall geht davon aus, dass die Globalisierung Teil einer sehr viel längeren Geschichte ist. Stiglitz (2003) erläutert in seinem Buch über Globalisierung folgendes zu diesem Begriff: „Die Globalisierung hat das Gefühl des Ausgeschlossenseins verringert, das viele in der dritten Welt empfinden, und sie hat vielen Menschen in den Entwicklungsländern Zugriffsmöglichkeiten auf Wissen eröffnet, die weit über das hinausgehen, was selbst den Vermögendsten in einem beliebigen Land vor 100 Jahren offen stand.“ 1 „Das System des Imperialismus, ebenso wie die Verschärfung der weltweiten Rivalitäten zwischen imperialen Formationen bildete den Rahmen, der die Welt in sich hineinzog.“ 2 meint Stuart zu diesem Thema. Diese Periode nennt er die Identität des „Englisch – seins“. Die Engländer machten die Erfahrung, dass sie die Diskurse fast aller anderen bestimmen konnten. Das „Englische Auge“ weiß dadurch, wo es ist und was es ist und platziert dadurch alles andere. Das wundervolle an der englischen Identität ist, dass sie jeden anderen platziert. Die Identität ist in diesem Sinn immer eine strukturierte Repräsentation. Eine frei geborene englische Person war eindeutig ein freier englischer Mann. Als Engländer geboren, wird man immer Engländer bleiben. Worin besteht der Sinn, wenn diese Identität nicht einheitlich ist? Man hofft darauf, dass sich die Identitäten begegnen, weil der Rest der Welt unübersichtlich ist. Alles andere ist in Bewegung, aber die Identitäten sollten stabile Referenzpunkte sein, die Ruhepunkte darstellen. Nach Linton (1974) sind aber noch andere Punkte zu berücksichtigen, die ebenfalls auf die Identität eines Individuums einwirken: „Trotz der funktionellen Verknüpfungen von Individuum, Gesellschaft und Kultur können, ja müssen diese drei Dinge auseinandergehalten werden. Obwohl ein einzelnes Individuum für den Fortbestand und die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft, zu der es gehört, oder der Kultur, an der es teilhat, selten von großer Bedeutung ist, bildet doch das Individuum mit seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten die Grundlage aller sozialen und kulturellen Erscheinungen.“3 Mit dem Prozess der Globalisierung beginnt diese Form der Beziehung zwischen nationaler und kultureller Identität und Nationalstaat zu verschwinden. Im britischen Fall ist das durch 1 Stiglitz 2003, S. 18 Hall 1994, S. 44-45 3 Linton 1974, S. 12 2 einen langen Prozess des ökonomischen Niedergangs bedingt. Die kapitalistische Krise der siebziger Jahre beschleunigt den Prozess der Öffnung neuer globaler Waren- und Finanzmärkte. Britannien versucht sich durch den Thatcherismus auf die Seite der neuen führenden Technologien zu schlagen. Ein anderes Element, das zum Aufbrechen der älteren, einheitlichen Formation geführt hat, ist sicherlich die enorme und kontinuierliche Arbeitsmigration in der Nachkriegszeit. Ein weiterer Aspekt der Globalisierung beruht auf einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich der zunehmenden internationalen Interdependenz. Dies kann aus zwei sehr verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Zuerst ist die Zunahme der monetären und regionalen Abkommen und schließlich die enormen Auswirkungen der globalen ökologischen Interdependenz (Bsp. Tschernobyl oder die globale Erwärmung). Der Thatcherismus und andere europäischen Gesellschaften versuchen herauszufinden, wie die neuen Formen der Globalisierung erreicht werden können. Diese unterscheiden sich deutlich von den bisherigen. Sie sind gleichzeitig lokal und global. Das Globale und das Lokale sind zwei Seiten derselben Bewegung weg von einer Epoche der Globalisierung, die durch den Nationalstaat, die nationalen Ökonomien und nationale kulturelle Identitäten dominiert war, hin zu etwas Neuem das nicht englisch sondern amerikanisch ist und wird durch Fernsehen, Film und durch das Bild, die Metaphorik und die Stille der Massenwerbung bestimmt. Als Inbegriff all dieser Formen der Massenkommunikation könnte das Satellitenfernsehen gelten, da es nicht ohne seine Verankerung in einer bestimmten hoch entwickelten nationalen Ökonomie und Kultur verstanden werden kann. Für Linton „schiebt sich zwischen die natürliche Umwelt und das Individuum stets eine menschliche Umwelt, die weitaus bedeutsamer ist. Diese menschliche Umwelt besteht aus einer organisierten Gruppe anderer Individuen, das heißt einer Gesellschaft, und einer besonderen Lebensform, die für diese Gruppe charakteristisch ist, das heißt einer Kultur.“4 Als eine Konsequenz der Explosion dieser neuer Formen der kulturellen Kommunikation hat sich ein neues Feld für visuelle Repräsentation selbst geöffnet. Dieses Feld bezeichnet Hall als die globale Massenkultur. Zunächst hat sie das Zentrum im Westen und spricht englisch – nicht mehr das Englisch der Queen, sondern Englisch als eine internationale Sprache. Also nicht mehr Standart- und Hochenglisch. Das meint Hall, wenn er vom „Westen als Zentrum“ spricht. Das Zweitwichtigste Charakteristikum dieser Form globaler Massenkultur ist ihre spezifische Form der Homogenisierung. „Es handelt sich nach wie vor um eine homogenisierende Form 4 Linton 1974, S.17 der kulturellen Repräsentation, die die Dinge aufsaugt, aber sie ist nicht absolut und zielt auch nicht auf Vollständigkeit.“ 5 Früher dachte man, dass die Erfassung der Logik des Kapitals ausreiche um zu begreifen, wie diese Logik nach und nach die ganze Welt bestimmen werde. Aber je mehr man von der Entwicklung des Kapitals selber versteht, desto eher begreift man, dass dies nur der eine Teil der Geschichte ist. Das Kapital war immer an der geschlechtsspezifischen Natur der Arbeitskraft interessiert. Als Folge hat man eine der tiefsten Einsichten von Marx’ Kapital, nämlich dass der Kapitalismus sich nur auf widersprüchlichem Terrain entfaltet, aus den Augen verloren. Wir werden den Kapitalismus solange nicht verstehen, wenn wir nicht erkennen, dass es seinen Widerstand geltend macht und es teilweise überwunden wird und in der Überwindung wieder erscheint. Man bewegt sich nicht auf die Einheit einer einzigen übergreifenden Firma zu, sondern in Richtung einer viel stärker dezentralisierten und dezentrierten Form der sozialen und ökonomischen Organisation. In einigen der entwickeltsten Bereiche des Globalisierungsprozesses finden sich neue, flexiblere Akkumulationsregime. Diese werden durch den Markt, die just – in – time Produktion und die Fähigkeit angetrieben, sich nicht an das Massenpublikum oder den Massenkonsumenten zu wenden, sondern mit ihrer Anziehungskraft zu erheblich spezifischeren, kleineren Gruppen und Individuen vorzudringen. Hall lässt ebenfalls den Einfluss der Werbung in seine Ausführungen einfließen: „Anhand der modernen Formen der Werbung lässt sich zeigen, wie dieser Umgang mit Differenzen sich mitteilt und darzustellen beginnt. Einerseits lässt sich beobachten, dass bestimmte Formen der Werbung immer noch auf der exklusiven, mächtigen, dominanten, höchst maskulinen alten fordistischen Metaphorik, einem sehr exklusiven Ensemble von Identitäten beruhen. Aber Seite an Seite damit finden sich neue Exotismen, und wirklich schick ist es, sich exotisch zu geben.“ 6 „Wenn der Fatalismus der Postmoderne und des neoliberalen Globalen zur sich selbst bestätigenden Prophezeiung wird, wird es wirklich fatal. Dann allerdings könnten die Horrorvisionen Wirklichkeit werden, die schon jetzt fast ausschließlich die öffentliche Phantasie beschäftigen. Rufen wir (…)eine ab: die Brasilianisierung Europas.“ 7 5 Hall 1994, S.53 Hall 1994, S. 56 7 Beck 1998, S.266 6 Damit meint Beck zum Beispiel, dass es in Zukunft immer gefährlicher sein wird, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln aufzuhalten, da man sich dadurch quasi selbst für einen Überfall preisgibt und eine solche Situation heraufbeschwört. 8 Die Werbung produzierte das Bild des post – feministischen Mannes, eine für die damalige Zeit kaum vorstellbare Veränderung des Werbebildes des Mannes. Der Autor glaubt nicht an einen Begriff der Globalisierung als widerspruchsfreien, unumkämpften Raum. Er ist der Meinung, dass das Kapital hin, um seine globale Position zu erhalten, verhandeln müsse. Mit dem Begriff „Verhandeln“ meint Hall, „dass es die Differenzen, die es zu überwinden versuchte, inkorporieren und teilweise reflektieren musste. Es musste versuchen, die Differenzen bis zu einem gewissen Grade zu kontrollieren und zu neutralisieren.“ 9 Die globale Postmoderne ist demnach nicht einheitlich und gleich über die ganze Welt verteilt. Hier spricht er über den Prozess der tiefen Ungleichheit. Die Rückkehr zum Lokalen ist oft eine Antwort auf die Globalisierung. Homogenisierung und Absorption einerseits, Pluralität und Diversität andererseits sind Charakteristika der neuen Form der dominanten kulturellen Postmoderne. Sie müssen versuchen die Geschichte neu zu erzählen. „Dieser Moment ist von so tiefer Bedeutung, dass die Nachkriegsgeschichte nicht ohne dieses Ereignis geschrieben werden könnte.(…) Ebenso wenig können die modernen feministischen Bewegungen ohne die Wiederentdeckung der verborgenen Geschichten richtig begriffen werden.“ 10 Die direkten Kontakte der Gemeinschaften sind erfahrbar, sie sind lokalisierbar und man/frau kenn ihnen einen Ort geben. Es ist dieses Greifen nach den Grundlagen, welches er Ethnizität nennt. Dieser Begriff kann aber auch negativ aufgefasst werden so meint Jäggi (1996) zu dem Begriff Ethnizität folgendes: „Menschen und Gruppen werden so auf einzige und oft willkürliche Wahrnehmungskategorie reduziert. Die vielfältig sozialen und persönlichen Zusammenhänge werden ausgeblendet, wodurch die Wirklichkeit reduziert und nicht selten verzerrt wird.“ 11 Hall meint dazu: „Die Wiederentdeckung der eigenen Ethnizität ist ein wichtiges Moment für die Geburt und Entwicklung all der lokalen und marginalen Bewegungen, die die letzten zwanzig Jahre verändert haben. (…)Moderne Theorien des Sprechens zwingen uns 8 vgl. Beck 1998, S. 267 Hall 1994, S. 58 10 Hall 1994, S. 60 11 Jäggi 1996, S. 430 9 anzuerkennen, dass immer von einem Ort aus gesprochen wird. Das Sprechen muss einen Ort und eine Position haben und ist immer innerhalb eines Diskurses positioniert. „ 12 Entsteht eine neue exklusive Anordnung lokaler Identitäten? Halls Antwort ist, dass dies zwar wahrscheinlich, aber nicht notwendigerweise so ist. Am Ende des Textes geht der Autor auf ein kleines lokales Beispiel ein. Er arbeitete an einer Fotoausstellung mit, die in London vom Commonwealth Institute organisiert wurde. Sie bitten verschiedene Gesellschaften ihr eigenes Leben zu repräsentieren, über die Gemeinschaften zu sprechen und uns etwas mitzuteilen über die Unterschiede und Vielförmigkeit des Lebens in diesen Gesellschaften, die durch die Herrschaft des englischen Imperialismus miteinander verwoben waren. Die Idee war das kulturelle Medium der Fotografie zu nutzen. Durch die Medien werden Probleme wie Globalisierung und Ethnizität an die breite Masse der Öffentlichkeit weitergegeben. Dadurch ist es möglich sie für jeden zugänglich zu machen und dadurch die Bevölkerung über Veränderungen zu unterrichten. Medienpädagogisch gesehen ist der Aufsatz von Stuart Hall eventuell ein Aufruf sich mit der eigenen Identität zu beschäftigen und sich dabei über den Einfluss, den die Gesellschaft auf das Individuum hat, bewusst zu werden. Durch diesen Einfluss verändert sich auch die Sichtweise über den Begriff Globalität. Dadurch hängt das Verständnis über diese Begriffe eng zusammen und die Medien haben die Möglichkeit die Auffassung der Gesellschaft beliebig zu verändern. 12 Hall 1994, S. 61 Bibliografie: Beck, Ulrich (1998): Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalen – Antworten auf Globalisierung. Edition Zweite Moderene, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt Hall, Stuart (1994): Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität. In: Hall, Stuart (1994): Rassismus und kulturelle Identität. Argument, Hamburg, S. 44-65 Jäggi, Christian: Von der multikulturellen zur interkulturellen Gesellschaften – Überlegungen aus kommunikationstheoretischer Sicht., In: Wicker, Hans-Rudolf u.a. (1996): Das Fremde in der Gesellschaft: Migration, Ethnizität und Staat. Seismo-Verlag, Zürich. S. 427-438 Linton, Ralph (1974): Der Begriff der Kultur., In: Linton, Ralph (1974): Gesellschaft, Kultur und Individuum. Interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Grundbegriffe. Frankfurt am Main, S. 9-49 Stiglitz, Joseph (2002): Die Schatten der Globalisierung. 3.Auflage, Siedler-Verlag, Berlin