Prof. Dr. Hans-Werner Hahn – WS 2014/15: Vorlesung: Geschichte der Weimarer Republik 3. Der Versailler Friedensvertrag und seine außen- und innenpolitische Folgen: Literatur zur deutschen Außenpolitik: Klaus HILDEBRAND, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler 1871-1945. Stuttgart 1995. Thomas LORENZ, Die Weltgeschichte ist das Weltgericht! Der Versailler Vertrag in Diskurs und Zeitgeist der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 2008. Peter KRÜGER, Die Außenpolitik der Weimarer Republik. Darmstadt 1985. Ders., Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung. München 1986 (dtv). Gerd KRUMEICH (Hg.), Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Köln 2001. Gottfried NIEDHART, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, München 1999. I. Neuorientierungsversuche deutscher Außenpolitik: Schon im Laufe des Ersten Weltkrieges und besonders nach der Kriegsniederlage gab es innerhalb des Auswärtigen Amtes vorsichtige Neuorientierungsversuche der deutschen Außenpolitik, die auf eine Abkehr von der militärischen Grundkomponente deutscher Großmachtpolitik hinausliefen und stärker auf internationale Abkommen sowie die weltwirtschaftlichen Verflechtungen setzten. Diese Neuorientierung (z. T. durch BrockdorffRantzau) wurde jedoch zu halbherzig betrieben. Nach der Revolution vom November 1918 unternahm die an die Macht gekommene MSPD auch auf dem Felde der Außenpolitik zu wenig, um eigene Akzente zu setzen. Sie überließ das Feld weitgehend den bürgerlichen und adligen Diplomaten und ließ sich auch rasch von der nationalen Welle mitreißen, die nach Bekanntwerden der alliierten Friedensbedingungen entstand. II. Vom Waffenstillstand zum Friedensschluß: Wichtigste Etappen: - 11. 11. 1918 Waffenstillstandsabkommen in Compiègne - 18. 1. 1919 Beginn der Pariser Friedenskonferenz unter Ausschluss der Mittelmächte: wichtigste Vertreter W. Wilson, G. Clemenceau (Frankreich), D. Lloyd George (England); Orlando (Italien). - 7. 5. 1919 Übergabe der Friedensbedingungen an die deutsche Delegation. Die großen deutschen Hoffnungen auf Wilson erfüllten sich nicht. Die deutsche Vertretung (BrockdorffRantzau) beklagte die demütigende Behandlung in Versailles. - 16. 6. 1919 Alliiertes Ultimatum zur Annahme des Vertrages. - 20. 6. " Rücktritt der Regierung Scheidemann, Nachfolger wird Gustav Bauer (MSPD). Realpolitiker wie ERZBERGER (Zentrum) und General GROENER plädierten für die Annahme des Vertrages, weil eine weitere militärische Besetzung durch Frankreich (FOCH) drohte. - 28. 6. 1919 Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages. Wichtigste Folgen: - Gebietsabtretungen vor allem im Osten (Posen, Westpreußen, Memelland, Danzig wird freie Stadt unter Kontrolle des Völkerbunds; Abstimmungen in Ostpreußen, Oberschlesien u. Nordschleswig, Saargebiet fällt 15 Jahre unter Völkerbundsverwaltung und seine Kohlegruben in dieser Zeit an Frankreich), Verlust der Kolonien - Verbot eines Anschlusses Deutsch-Österreichs - vorübergehende Besetzung deutscher Gebiete (Rheinland). - harte militärpolitische Bestimmungen, einseitige deutsche Abrüstung, 100 000 Mann-Heer. - umfangreiche Reparationen, deren genaue Höhe noch festgelegt werden sollte. - Kriegsschuldartikel 231, der in Deutschland als besonders demütigend empfunden wurde, ursprünglich aber nicht als moralische Verurteilung gemeint war, sondern nur die Reparationsansprüche der Kriegsgegner juristisch sichern sollte. III. Außenpolitische Bewertung des Friedensvertrages: Die deutschen Zeitgenossen sprachen vom "Schandfrieden", „Karthago-Frieden“, vom Todesurteil für das Wirtschaftsleben und vom Ende deutscher Großmachtstellung. Heutige Einschätzung: Trotz aller Härten war es kein Karthago-Frieden. Die französischen Maximalziele kamen nicht zum Durchbruch, weil die USA und Großbritannien eine zu große Schwächung Deutschlands verhindern wollten. Frankreich sah sein Sicherheitsbedürfnis auch nach 1919 als nicht befriedigt an, zumal die USA keine ausreichenden Sicherheitsgarantien gaben und auch nicht Mitglied in dem von Wilson angeregten und mit der Ratifizierung des Versailler Vertrages in Kraft tretenden Völkerbund wurden. (Deutschland blieb zunächst vom Völkerbund ausgeschlossen.) Frankreich verwies darauf, dass Deutschlands Machtpotential noch immer beträchtlich sei. In der Tat blieb nicht nur die Reichseinheit erhalten (Deutschland als Bollwerk gegen den Bolschewismus). Auch das deutsche Wirtschaftspotential blieb beträchtlich, was langfristig wieder als Machtfaktor im internationalen Geschehen eingesetzt werden konnte. Deutschland hatte ferner im Vergleich zu 1914 an außenpolitischer Bewegungsfreiheit gewonnen, weil Russland aus Mitteleuropa abgedrängt war, erst einmal mit sich selbst beschäftigt war (früher Zweifrontensituation) und weil auch Teile Südosteuropas über eine behutsame Politik langfristig wieder in die wirtschaftliche und politische Einflusssphäre Deutschlands eingebunden werden konnten. Eine solch "realistische" Einschätzung der Lage war in der emotional aufgeladenen Situation des Jahres 1919 aber schwerlich zu verlangen. In der neueren Literatur (Krumeich) wird betont, dass es den deutschen Zeitgenossen angesichts der im Vertrag enthaltenen Exklusions-, Stigmatisierungs- und Bestrafungstendenzen kaum möglich war, eine den späteren Bewertungen der Historiker (kein Karthago-Frieden) folgende Haltung einzunehmen. IV. Innenpolitische Folgen des Versailler Vertrages: Literatur zur Innenpolitik 1919-1922: Heinrich August WINKLER, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin/Bonn 1984. Boris BARTH, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage 1914-1933, Düsseldorf 2003. 2 Ulrich HEINEMANN, Die Last der Vergangenheit. Zur politischen Bedeutung der Kriegsschuld- und Dolchstoßdiskussion, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/HansAdolf Jacobsen (Hg.), Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik- Wirtschaft – Gesellschaft, Düsseldorf 1987, S. 371- 386. Heinz HÜRTEN, Der Kapp-Putsch als Wende. Über Rahmenbedingungen der Weimarer Republik seit dem Frühjahr 1920. Opladen 1989. Zu den Wahlergebnissen: Jürgen FALTER u. a., Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933. München 1986. Zu wichtigen Persönlichkeiten: Wolfgang BENZ u. Hermann GRAML (Hg.), Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. München 1988. Der Vertrag von Versailles wurde von Anfang zu einer schweren Bürde für die junge Demokratie und hat ihr Scheitern zweifellos begünstigt. Versailles musste gerade die deutschen Demokraten treffen, die den Neuanfang trugen und das politische System Deutschlands dem des Westens anpassen wollten. Dennoch wäre es verfehlt, allein in den Belastungen des Versailler Vertrages die Hauptursache für das Scheitern der Weimarer Republik zu sehen. Die Revision von Versailles war eine Forderung, der sich keine politische Kraft der Weimarer Republik verschloss. Sie war im Grunde die wichtigste Integrationsklammer der Republik. Den größten Nutzen aus der Anti-Versailles-Stimmung zog von Anfang an die nationalistische Rechte, die den Kampf gegen Versailles mit dem Kampf gegen die Republik insgesamt verband. Erleichtert wurde ihr das durch den Umstand, dass die republiktreuen Kräfte ihre Kritik an Versailles nicht zu einer Generalabrechnung der früheren deutschen Politik nutzten. V. Rechte und linke Angriffe auf die junge demokratische Ordnung: Die Weimarer Republik war von Anfang an der Fundamentalkritik linker und rechter Extremisten ausgesetzt. Beide betrieben keine systemloyale Opposition, sondern zielten auf eine ganz andere Ordnung. Die Rechte orientierte sich dabei zunächst am Kaiserreich und den alten Vorstellungen eines deutschen Sonderweges. Ziele waren entweder die Restauration der vordemokratischen Monarchie oder die Errichtung einer Diktatur mit nationalistisch-plebiszitärem Charakter. Die radikale Linke (linke USPD/KPD) setzte der parlamentarischen Republik eine auf dem Rätesystem basierende Diktatur des Proletariats entgegen. Die Gefahr von rechts wurde von der Reichsregierung seit November 1918 immer wieder unterschätzt. Nach dem Versailler Friedensvertrag begann sich die so genannte "Dolchstoßlegende" zu entfalten, die das Versagen der alten Führungsschichten des kaiserlichen Deutschlands verschleierte und Sozialdemokratie, bürgerliche Demokraten und Vertreter des politischen Katholizismus für die Kriegsniederlage und die mit ihr einhergehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Belastungen verantwortlich machte. Es gab heftige Angriffe auf EBERT, SCHEIDEMANN und ERZBERGER (Zentrum). Erzberger-Prozeß im März 1920, August 1921 Ermordung Erzbergers durch ehemalige Freikorpskämpfer. VI. 13. März 1920 KAPP-LÜTTWITZ-PUTSCH: Hintergründe: Truppen-Abbau, "Nationale Vereinigung" Ludendorffs und Kapps, unterstützt von Großagrariern im Osten und vom Reichswehr-General von Lüttwitz, der am 10. März 3 1920 Ultimaten an die Regierung stellte, dann entlassen wurde und am 13. März mit der "Brigade Ehrhardt" das Regierungsviertel besetzte. Die Reichswehr (General Hans von SEECKT als Chef des Truppenamts) sah sich außerstande, die Regierung zu schützen, verweigerte allerdings auch den Putschisten jede Unterstützung. Die Regierung musste aus Berlin fliehen, gleichzeitig folgte ein Aufruf zum Generalstreik. Die Kampfmaßnahmen der Arbeiterbewegung und die Weigerung der Beamtenschaft, für die selbst ernannte Regierung unter Kapp zu arbeiten, ließen den Putsch schon am 17. März 1920 zusammenbrechen. VII. Folgen des Kapp-Putsches: Nach der Niederschlagung des Putsches forderten die Gewerkschaften als Hauptträger des Widerstandes eine entschiedene Politik zur Sicherung einer sozialen Demokratie. Ihre Forderungen nach einer Arbeiterregierung konnten sich aber schon wegen der Mehrheitsverhältnisse nicht erfüllen. Als Konsequenz aus dem Kapp-Putsch gab es eine Regierungsumbildung im Reich am 27. 3. 1920. Neuer Kanzler wurde Hermann MÜLLER (MSPD). NOSKE musste sein Ministeramt aufgeben, neuer Reichswehrminister wurde GESSLER (DDP). SEECKT stieg zum Chef der Heeresleitung auf und baute die Reichswehr nun vollends zum "Staat im Staate" aus. In den Ländern zog man unterschiedliche Konsequenzen aus den inneren Krisen. In Preußen entschloss sich die neue Regierung unter dem Sozialdemokraten Otto BRAUN zu einem entschiedenen Kurs zur Festigung der Demokratie( SPD-ZENTRUM-DDP-Koalition). In Bayern gab es unter von KAHR einen Rechtsruck. Nach dem Kapp-Putsch kam es angesichts wachsender Unzufriedenheit vieler Arbeiter zu großen Streik- und Aufstandsbewegungen im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland. Im Ruhrgebiet formierte sich eine bis zu 100 000 Mann starke "Rote Armee", die eine neue Revolutionswelle in Gang setzen wollte und im April 1920 durch einen blutigen Militäreinsatz zerschlagen wurde. Der RUHRKRIEG forderte über 1000 Tote. Blutige Unruhen gab es auch in Mitteldeutschland (GOTHA). Die von der radikalen Linken entfachten Aufstände waren von Anfang chancenlos und trugen nur zur weiteren politischen Polarisierung bei. Die inzwischen eingetretene Schwächung der demokratischen Mitte wurde bei den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 deutlich: MSPD 21,6 % (1919: 37,9); USPD 18,6% (7,6); KPD 1,7% (-); Zentrum/BVP 18 % (19,7); DDP 8,4 % (18,5), DVP 13,9% (4,4); DNVP 15,1 (10,3). Während die extreme Rechte und Linke beachtlichen Zulauf erhielt, verlor die bisherige Weimarer Koalition ihre Mehrheit. Man stand vor einer schwierigen Regierungsbildung. 21. 6. 1920 Bildung einer bürgerlichen Minderheitsregierung aus Zentrum, DDP, DVP unter Konstantin FEHRENBACH (ZENTRUM). Sie amtierte bis Mai 1921, dann folgte eine Minderheitsregierung unter WIRTH (Zentrum), die aus Zentrum, DDP und SPD bestand. Die Bedrohung von rechts und links blieb auch nach dem Frühjahr 1920 bestehen: Im März 1921 folgte ein weiterer Aufstand der radikalen Linken im mitteldeutschen Industriegebiet. Vorausgegangen war der Anschluss des linken Flügels der USPD an die KPD im Oktober 1920. Erst jetzt wurde die KPD zu einer mitgliederstarken Organisation (400 000, vorher 80 000), die nun aber immer mehr der Steuerung aus Moskau (Kommunistische Internationale) unterlag. Der Aufstand in Mitteldeutschland scheiterte rasch. Die KPD war zu schwach, um die gesamte Arbeiterbewegung zu einer proletarischen Revolution zu mobilisieren. Sie war andererseits aber stark genug, um den reformorientierten, republiktreuen Teil der 4 Arbeiterbewegung nachhaltig zu schwächen und mit ihrer auf Gewalt setzenden Politik weitere Teile des Bürgertums nach rechts zu treiben. Fememorde der radikalen Rechten (Organisation Consul): Mord an Erzberger, gescheiterte Anschläge auf den Publizisten Maximilian Harden und auf Scheidemann; Ermordung Walther Rathenaus am 24. Juni 1922. Im Reichstag wurde am 18. Juli 1922 das Republikschutzgesetz gegen die Stimmen von BVP, DNVP und KPD erlassen. Im Oktober 1922 verlängerte eine Mehrheit des Reichstages die Amtszeit von Friedrich Ebert, um angesichts der angeheizten innenpolitischen Lage Direktwahlen des Präsidenten zu vermeiden. 5