Prof. Dr. Hans

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Prof. Dr. Hans-Werner Hahn
Vorlesung SS 2011: Geschichte der Weimarer Republik
3. Der Versailler Friedensvertrag und seine außen- und innenpolitische Folgen:
Literatur zur deutschen Außenpolitik:
Klaus HILDEBRAND, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis
Hitler 1871-1945. Stuttgart 1995.
Thomas LORENZ, „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!“ Der Versailler Vertrag in
Diskurs und Zeitgeist der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 2008.
Peter KRÜGER, Die Außenpolitik der Weimarer Republik. Darmstadt 1985.
Ders., Versailles: deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung.
München 1986 (dtv).
Gerd KRUMEICH (Hg.), Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001.
Gottfried NIEDHART, Die Außenpolitik der Weimarer Republik (=EDG 53), München 1999.
I. Neuorientierungsversuche deutscher Außenpolitik:
Schon im Laufe des Ersten Weltkrieges und besonders nach der Kriegsniederlage gab es
gewisse Neuorientierungsversuche der deutschen Außenpolitik, die auf eine Abkehr von der
militärischen Grundkomponente deutscher Großmachtpolitik hinausliefen und stärker auf
internationale Abkommen sowie die weltwirtschaftlichen Verflechtungen setzten. Diese
Neuorientierung (z. T. durch Brockdorff-Rantzau) wurde jedoch zu halbherzig betrieben.
Auch auf dem Felde der Außenpolitik verzichtete im Übrigen die regierende MSPD auf
eigene Akzente. Zudem ließ sie sich rasch von der nationalen Welle mitreißen, die nach
Bekanntwerden der alliierten Friedensbedingungen entstand.
II. Vom Waffenstillstand zum Friedensschluß:
Wichtigste Etappen:
- 11. 11. 1918 Waffenstillstandsabkommen in Compiègne
- 18. 1. 1919 Beginn der Pariser Friedenskonferenz unter Ausschluss der Mittelmächte:
wichtigste Vertreter W. Wilson, G. Clemenceau (Frankreich), D. Lloyd George (England), V.
Orlando (Italien).
- 7. 5. 1919 Übergabe der Friedensbedingungen an die deutsche Delegation. Die großen
deutschen Hoffnungen auf Wilson erfüllten sich nicht. Die deutsche Vertretung (BrockdorffRantzau) beklagte die demütigende Behandlung in Versailles.
- 16. 6. 1919 Alliiertes Ultimatum zur Annahme des Vertrages.
- 20. 6. 1919 Rücktritt der Regierung Scheidemann, Nachfolger wird Gustav Bauer (MSPD).
Realpolitiker wie ERZBERGER (Zentrum) und General GROENER plädierten für die
Annahme des Vertrages, weil eine weitere militärische Besetzung durch Frankreich (FOCH)
drohte.
- 28. 6. 1919 Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages.
Wichtigste ERGEBNISSE:
- Gebietsabtretungen vor allem im Osten (Posen, Westpreußen, Memelland, Danzig wird freie
Stadt unter Kontrolle des Völkerbunds; Abstimmungen in Ostpreußen, Oberschlesien u.
Nordschleswig, Saargebiet fällt 15 Jahre unter Völkerbundsverwaltung und seine
Kohlegruben in dieser Zeit an Frankreich), Verlust der Kolonien
- Verbot eines Anschlusses Deutsch-Österreichs
- vorübergehende Besetzung deutscher Gebiete (Rheinland)
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- harte militärpolitische Bestimmungen, einseitige deutsche Abrüstung, 100 000 Mann-Heer
- umfangreiche Reparationen, deren genaue Höhe noch festgelegt werden sollte
- Kriegsschuldartikel 231, der in Deutschland als besonders demütigend empfunden wurde,
ursprünglich aber nicht als moralische Verurteilung gemeint war, sondern nur die
Reparationsansprüche der Kriegsgegner juristisch sichern sollte
III. Außenpolitische Bewertung des Friedensvertrages:
Die deutschen Zeitgenossen sprachen vom „Schandfrieden“, „Karthago-Frieden“, vom
Todesurteil für das Wirtschaftsleben und vom Ende deutscher Großmachtstellung.
Heutige Einschätzung: Trotz aller Härten war es kein Karthago-Frieden. Die französischen
Maximalziele kamen nicht zum Durchbruch, weil die USA und Großbritannien eine zu große
Schwächung Deutschlands verhindern wollten. Frankreich sah sein Sicherheitsbedürfnis auch
nach 1919 als nicht befriedigt an, zumal die USA keine ausreichenden Sicherheitsgarantien
gaben und auch nicht Mitglied in dem von Wilson angeregten und mit der Ratifizierung des
Versailler Vertrages in Kraft tretenden Völkerbund wurden. (Deutschland blieb zunächst
vom Völkerbund ausgeschlossen.) Frankreich verwies darauf, dass Deutschlands
Machtpotential noch immer beträchtlich sei. In der Tat blieb nicht nur die Reichseinheit
erhalten (Deutschland als Bollwerk gegen den Bolschewismus). Auch das deutsche
Wirtschaftspotential blieb beträchtlich, was langfristig wieder als Machtfaktor im
internationalen Geschehen eingesetzt werden konnte. Deutschland hatte ferner im Vergleich
zu 1914 an außenpolitischer Bewegungsfreiheit gewonnen, weil Russland aus Mitteleuropa
abgedrängt war, erst einmal mit sich selbst beschäftigt war (früher Zweifrontensituation) und
weil auch Teile Südosteuropas über eine behutsame Politik langfristig wieder in die
wirtschaftliche und politische Einflusssphäre Deutschlands eingebunden werden konnten.
Eine solch „realistische“ Einschätzung der Lage war in der emotional aufgeladenen Situation
des Jahres 1919 aber schwerlich zu verlangen. In der neueren Literatur (Krumeich) wird
betont, dass es den deutschen Zeitgenossen angesichts der im Vertrag enthaltenen Exklusions, Stigmatisierungs- und Bestrafungstendenzen kaum möglich war, eine den späteren
Bewertungen der Historiker (kein Karthago-Frieden) folgende Haltung einzunehmen.
IV. Innenpolitische Folgen des Versailler Vertrages:
Michael Schultheiß / Julia Roßberg (Hg.): Weimar und die Republik. Geburtsstunde eines
demokratischen Deutschlands, Weimar 2009.
Literatur zur Innenpolitik 1919-1922:
Heinrich August WINKLER, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und
Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin/Bonn 1984.
Boris BARTH, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen
Niederlage 1914-1933, Düsseldorf 2003.
Ulrich HEINEMANN, Die Last der Vergangenheit. Zur politischen Bedeutung der
Kriegsschuld- und Dolchstoßdiskussion, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/HansAdolf Jacobsen (Hg.), Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik- Wirtschaft – Gesellschaft,
Düsseldorf 1987, S. 371- 386.
Heinz HÜRTEN, Der Kapp-Putsch als Wende. Über Rahmenbedingungen der Weimarer
Republik seit dem Frühjahr 1920, Opladen 1989.
Zu den Wahlergebnissen: Jürgen FALTER u. a., Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer
Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933, München 1986.
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Zu wichtigen Persönlichkeiten: Wolfgang BENZ u. Hermann GRAML (Hg.), Biographisches
Lexikon zur Weimarer Republik, München 1988.
Der Vertrag von Versailles wurde von Anfang an zu einer schweren Bürde für die junge
Demokratie und hat ihr Scheitern zweifellos begünstigt. Versailles musste gerade die
deutschen Demokraten treffen, die den Neuanfang trugen und das politische System
Deutschlands dem des Westens anpassen wollten. Dennoch wäre es verfehlt, allein in den
Belastungen des Versailler Vertrages die Hauptursache für das Scheitern der Weimarer
Republik zu sehen. Die Revision von Versailles war eine Forderung, der sich keine politische
Kraft der Weimarer Republik verschloss. Sie war im Grunde die wichtigste
Integrationsklammer der Republik. Den größten Nutzen aus der Anti-Versailles-Stimmung
zog von Anfang an die nationalistische Rechte, die den Kampf gegen Versailles mit dem
Kampf gegen die Republik insgesamt verband. Erleichtert wurde ihr das durch den Umstand,
dass die republiktreuen Kräfte ihre Kritik an Versailles nicht zu einer Generalabrechnung mit
der früheren deutschen Politik nutzten.
V. Rechte und linke Angriffe auf die junge demokratische Ordnung:
Die Weimarer Republik war von Anfang an der Fundamentalkritik linker und rechter
Extremisten ausgesetzt. Beide betrieben keine systemloyale Opposition, sondern zielten auf
eine ganz andere Ordnung. Die Rechte orientierte sich dabei zunächst am Kaiserreich und den
alten Vorstellungen eines deutschen Sonderweges. Ziele waren entweder die Restauration der
vordemokratischen Monarchie oder die Errichtung einer Diktatur mit nationalistischplebiszitärem Charakter. Die radikale Linke (linke USPD/KPD) setzte der parlamentarischen
Republik eine auf dem Rätesystem basierende Diktatur des Proletariats entgegen.
Die Gefahr von rechts wurde von der Reichsregierung seit November 1918 immer wieder
unterschätzt. Nach dem Versailler Friedensvertrag begann sich die sogenannte
„Dolchstoßlegende“ zu entfalten, die das Versagen der alten Führungsschichten des
kaiserlichen Deutschlands verschleierte und Sozialdemokratie, bürgerliche Demokraten und
Vertreter des politischen Katholizismus für die Kriegsniederlage und die mit ihr
einhergehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Belastungen verantwortlich
machte. Es gab heftige Angriffe auf EBERT, SCHEIDEMANN und ERZBERGER
(Zentrum). Erzberger-Prozeß im März 1920, August 1921 Ermordung Erzbergers durch
ehemalige Freikorpskämpfer.
VI. 13. März 1920 KAPP-LÜTTWITZ-PUTSCH:
Hintergründe: Truppen-Abbau, „Nationale Vereinigung“ Ludendorffs und Kapps, unterstützt
von Großagrariern im Osten und vom Reichswehr-General von Lüttwitz, der am 10. März
1920 Ultimaten an die Regierung stellte, dann entlassen wurde und am 13. März mit der
„Brigade Ehrhardt“ das Regierungsviertel besetzte. Die Reichswehr (General Hans von
SEECKT als Chef des Truppenamts) sah sich außerstande, die Regierung zu schützen,
verweigerte allerdings auch den Putschisten jede Unterstützung. Die Regierung musste aus
Berlin fliehen, gleichzeitig folgte ein Aufruf zum Generalstreik. Die Kampfmaßnahmen der
Arbeiterbewegung und die Weigerung der Beamtenschaft, für die selbst ernannte Regierung
unter Kapp zu arbeiten, ließen den Putsch schon am 17. März 1920 zusammenbrechen.
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VII. Folgen des Kapp-Putsches:
Nach der Niederschlagung des Putsches forderten die Gewerkschaften als Hauptträger des
Widerstandes eine entschiedenere Politik zur Sicherung einer sozialen Demokratie. Ihre
Forderungen nach einer Arbeiterregierung konnten sich aber schon wegen der
Mehrheitsverhältnisse nicht erfüllen. Als Konsequenz aus dem Kapp-Putsch gab es eine
Regierungsumbildung im Reich am 27. 3. 1920. Neuer Kanzler wurde Hermann MÜLLER
(MSPD). NOSKE musste sein Ministeramt aufgeben, neuer Reichswehrminister wurde
GESSLER (DDP). SEECKT stieg zum Chef der Heeresleitung auf und baute die Reichswehr
nun vollends zum „Staat im Staate“ aus. In den Ländern zog man unterschiedliche
Konsequenzen aus den inneren Krisen. In Preußen entschloss sich die neue Regierung unter
dem Sozialdemokraten Otto BRAUN zu einem entschiedeneren Kurs zur Festigung der
Demokratie (SPD-ZENTRUM-DDP-Koalition). In Bayern gab es unter von KAHR einen
Rechtsruck.
Nach dem Kapp-Putsch kam es angesichts wachsender Unzufriedenheit vieler Arbeiter zu
großen Streik- und Aufstandsbewegungen im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland. Im
Ruhrgebiet formierte sich eine bis zu 100 000 Mann starke „Rote Armee“, die eine neue
Revolutionswelle in Gang setzen wollte und im April 1920 durch einen blutigen
Militäreinsatz zerschlagen wurde. Der RUHRKRIEG forderte über 1000 Tote. Blutige
Unruhen gab es auch in Mitteldeutschland (GOTHA). Die von der radikalen Linken
entfachten Aufstände waren von Anfang chancenlos und trugen nur zur weiteren politischen
Polarisierung bei.
Die inzwischen eingetretene Schwächung der demokratischen Mitte wurde bei den
Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 deutlich:
MSPD 21,7 % (1919: 37,9); USPD 17,9% (7,6); KPD 2,1% (-); Zentrum/BVP 18 % (19,7);
DDP 8,3 % (18,5), DVP 13,9% (4,4); DNVP 15,1 (10,3).
Während die extreme Rechte und Linke beachtlichen Zulauf erhielt, verlor die bisherige
Weimarer Koalition ihre Mehrheit. Man stand vor einer schwierigen Regierungsbildung.
21. 6. 1920 Bildung einer bürgerlichen Minderheitsregierung aus Zentrum, DDP, DVP unter
Konstantin FEHRENBACH (Zentrum). Sie amtierte bis Mai 1921, dann folgte eine
Minderheitsregierung unter WIRTH (Zentrum), die aus Zentrum, DDP und SPD bestand.
Die Bedrohung von rechts und links blieb auch nach dem Frühjahr 1920 bestehen: Im März
1921 folgte ein weiterer Aufstand der radikalen Linken im mitteldeutschen Industriegebiet.
Vorausgegangen war der Anschluss des linken Flügels der USPD an die KPD im Oktober
1920. Erst jetzt wurde die KPD zu einer mitgliederstarken Organisation (400 000, vorher 80
000), die nun aber immer mehr der Steuerung aus Moskau (Kommunistische Internationale)
unterlag. Der Aufstand in Mitteldeutschland scheiterte rasch. Die KPD war zu schwach, um
die gesamte Arbeiterbewegung zu einer proletarischen Revolution zu mobilisieren. Sie war
andererseits aber stark genug, um den reformorientierten, republiktreuen Teil der
Arbeiterbewegung nachhaltig zu schwächen und mit ihrer auf Gewalt setzenden Politik
weitere Teile des Bürgertums nach rechts zu treiben.
Fememorde der radikalen Rechten (Organisation Consul): Mord an Erzberger, gescheiterte
Anschläge auf den Publizisten Maximilian Harden und auf Scheidemann; Ermordung Walther
Rathenaus am 24. Juni 1922. Im Reichstag wurde am 18. Juli 1922 das Republikschutzgesetz
gegen die Stimmen von BVP, DNVP und KPD erlassen. Im Oktober 1922 verlängerte eine
Mehrheit des Reichstages die Amtszeit von Friedrich Ebert, um angesichts der angeheizten
innenpolitischen Lage Direktwahlen des Präsidenten zu vermeiden.
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