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OSZ – MOL · Abteilung 4
Wirtschafts- und Sozialkunde
Seite 1
Thema: Die DDR - Aufbau eines
sozialistischen Staates
(Christoph Kleßmann)
Name:
Klasse:
Datum:
Gruppe 3
1. Abrechnung mit Stalin
Im Frühjahr 1956 wurde die SED überraschend mit einer neuen politischen Krise konfrontiert, die der
20. Parteitag der KPdSU und die berühmte Geheimrede des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow
(1894-1971) in vielen kommunistischen Staaten Europas auslöste. In dieser Rede rechnete Chruschtschow mit
Stalins Verbrechen zwar sehr unzureichend, aber doch in einer Offenheit ab, die die stalinistischen Partei- und
Staatschefs der osteuropäischen Länder und der DDR zutiefst schockierte und verunsicherte. Schon im März
1956 wurden Auszüge dieser Rede in der jugoslawischen Presse veröffentlicht, am 4. Juni 1956 machte das
amerikanische Außenministerium den vollen Text bekannt. Das Idol des „Großen Vaterländischen Krieges“ und
der kommunistischen Weltbewegung war plötzlich vom Denkmalsockel gestoßen.
In Polen und Ungarn rief die - nur auf die Person Stalins und den „Personenkult“ konzentrierte - Entstalinisierung
schwere innere Erschütterungen hervor. Ulbricht, der als getreuer Gefolgsmann Stalins und der Sowjetunion galt,
versuchte durch eine Flucht nach vorn einer neuen Unruhe vorzubeugen. Er schloss sich äußerlich der
Verdammung Stalins und des „Personenkults“ an und erklärte, Stalin gehöre nicht zu den „Klassikern des
Marxismus“. Er kritisierte „dogmatische Erscheinungen“, wandte sich aber gegen eine „rückwärtsgewandte
Fehlerdiskussion“. Immerhin wurden mehrere hohe Parteimitglieder rehabilitiert, gegen die 1953 Parteistrafen
verhängt worden waren. 15.000 politische Gefangene erhielten Amnestie, etwa 3300 ehemalige
Kriegsgefangene, die in der Sowjetunion wegen Kriegsverbrechen verurteilt und 1955 in die DDR gebracht
worden waren, wurden begnadigt.
Die mit dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 verbundenen und einen erneuerten Sozialismus verbreiteten sich
insbesondere unter den Intellektuellen der DDR, während die Arbeiter eher zurückhaltend blieben. Unter
Künstlern, Wissenschaftlern und Schriftstellern gab es kritische Diskussionen und Forderungen nach
grundlegenden Veränderungen. Einzelne Wirtschaftswissenschaftler kritisierten die übermäßige Zentralisierung
der DDR-Wirtschaft, von den Universitäten kam der Ruf nach mehr Mitbestimmung und Einschränkung des
Russischunterrichts sowie der Pflichtkurse in Marxismus-Leninismus. Die Redaktion der DDR-Zeitung
„Wochenpost“ fasste in einem Brief an das Politbüro die Stimmung in dem Satz zusammen: „Die These, dass wir
keine Fehler gemacht haben, verwirkt uns das Vertrauen der Massen, die ganz genau wissen, dass wir Fehler
gemacht haben.“
2. Verfolgung der Opposition
Die SED ging jedoch nach kurzem Zögern zielstrebig und rücksichtslos gegen alle Abweichler vor und beendete
bis zum Frühjahr 1957 das kurze „Tauwetter“. Die spektakulärste Aktion war die Verhaftung des Philosophen
Wolfgang Harich, der als Kopf einer kleinen unorganisierten Gruppe von Redakteuren und Kulturschaffenden
grundlegende Veränderungen nach polnischen und ungarischen Vorbildern gefordert hatte. In einem
Schauprozess wurde er 1957 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, etliche andere Parteiintellektuelle erhielten
ebenfalls mehrjährige Haftstrafen. Es folgten Verfahren gegen sieben „partei- und staatsfeindliche
Gruppierungen“ an Universitäten und Hochschulen mit insgesamt 87 Personen.
Mit dieser Machtdemonstration gelang es der SED zwar, die Unruhe unter Teilen der Intelligenz zu unterdrücken.
Aber auch in der Parteispitze hatten sich Ulbrichts Gegner zu Wort gemeldet, die auf eine flexiblere Haltung in der
Deutschlandpolitik und in der Haltung gegenüber den „revisionistischen2 Intellektuellen drängten. Erst im Februar
1958 erreichte Ulbricht ihre Ausschaltung. Der zweite Mann in der Parteiführung, der Kaderchef Karl Schirdewan,
erhielt eine „strenge Rüge“ und wurde aus dem Zentralkomitee der SED entfernt. Ebenso ging es dem Chef der
Staatssicherheit, Ernst Wollweber. Damit war es Ulbricht gelungen, seine Führungsposition in der Partei zu
festigen. 1960 übernahm er nach dem Tode des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck den Vorsitz im neu
geschaffenen Staatsrat und im ebenfalls neu gegründeten „Nationalen Verteidigungsrat“, dem wichtigsten
Gremium für die innere und äußere Sicherheit der DDR. Bis zum Ende der sechziger Jahre hielt Ulbricht damit
alle Fäden der Politik der SED in seinen Händen.
3. Folgen des V. SED-Parteitages
Die langwierige, aber konsequente Überwindung der Herrschaftskrise im Gefolge des 20. KPdSU-Parteitages
veranlasste die SED-Führung zur abermaligen Tempobeschleunigung bei der sozialistischen Umgestaltung. Der
V. Parteitag der SED 1958 und die Bitterfelder Autorenkonferenz 1959 wurden in dieser Hinsicht Marksteine in
der Partei- und Kulturgeschichte des SED-Staates. Angesichts relativ günstiger Wirtschaftsdaten und erheblich
sinkender Fluchtzahlen 1958 und 1959 verkündete der Parteitag als „Hauptaufgabe“ die „Vollendung der
sozialistischen Produktionsverhältnisse“ und die Parole vom „Einholen und Überholen“ Westdeutschlands im ProKopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung bei allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern. 1959 wurde
der noch laufende Fünfjahrplan entsprechend dem Planungsrhythmus der Sowjetunion durch einen neuen
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Siebenjahrplan ersetzt, der den Weg zu diesem utopischen Ziel in wirtschaftliche Daten umsetzte und nun sogar
ins Auge fasste, die Bundesrepublik auch in der Arbeitsproduktivität, die dort um ca. 30 Prozent höher lag,
einzuholen. Der Plan musste jedoch bereits 1962 wegen falscher Einschätzung der Kapazitäten vorzeitig wieder
abgebrochen werden.
Einschneidende Veränderungen setzte die SED mit der weiteren Zurückdrängung des privaten Mittelstandes
durch. Ein großer Teil der noch privaten kleinen Industrie- und produzierenden Handwerksbetriebe wurde in
halbstaatliche Betriebe umgewandelt, um eine bessere Steuerung und Einbeziehung in die Wirtschaftsplanung zu
ermöglichen. Noch gravierender aber war der Entschluss, in kurzer Zeit die 1952 begonnene, nach dem 17. Juni
1953 aber verlangsamte Kollektivierung der Landwirtschaft zu Ende zu führen. In einer riesigen Kampagne,
verbunden mit physischem und psychischem Druck, wurden die privaten Bauern zum Eintritt in die
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) gezwungen. Seit Ende 1959 versuchten Scharen von
SED-Agitatoren, die Bauern von den Vorzügen der LPG zu überzeugen. Wo das nicht gelang, half die Stasi durch
Verhaftungen nach. Am 4. März 1960 meldete als erster der Bezirk Rostock, der unter der Parole „De Appel is
riep“ angetreten war, die Vollkollektivierung.
Rund 450.000 Bauern und Bäuerinnen traten in den ersten drei Monaten des Jahres 1960 den bereits
bestehenden oder neu gegründeten LPG bei. Damit war eine radikale Veränderung der Landwirtschaft
eingetreten. Einzelbäuerlichen Besitz gab es - neben den kirchlichen Ländereien, die von der Kollektivierung
ausgenommen waren - nur noch als Randerscheinung. Die rund 19.000 LPG bewirtschafteten circa 85 Prozent
der landwirtschaftlichen Nutzfläche, sechs Prozent gehörten den Staatsgütern.
Auch wenn langfristig ein Gewöhnungsprozess an die neue Organisationsform der Landwirtschaft einsetzte und
die sozialpolitischen Vorteile unübersehbar waren, wie beispielsweise geregelte Arbeitszeit, Urlaub,
Altersversorgung, führten die überstürzten und gewaltsamen Formen der Kollektivierung nicht nur zu einem
erneuten dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen, sondern auch zu einer akuten Versorgungskrise, die
ihrerseits die Fluchtbewegung weiter anheizte. „Die Ziffern in Bezug auf Nichterfüllung des Planes in der
Landwirtschaft sind schlimm“, erklärte Ulbricht im Politbüro am 6. Juni 1961, 2vielleicht steht in der Presse etwas
anderes, das ist möglich, aber die Ziffern, die ich habe, die sind echt.2
4. Berlin-Ultimatum
Zudem fiel die erneute Versorgungskrise in eine Zeit verstärkter außenpolitischer Spannungen, die durch
Chruschtschows Berlin-Ultimatum ausgelöst worden waren. In einem Schreiben an die Westmächte vom 10.
Oktober 1958 hatte Chruschtschow, um in seinem Sinne Bewegung in die festgefahrene „deutsche Frage“ zu
bringen, den Viermächtestatus Berlins in Frage gestellt und angekündigt, die Kontrolle über die Zufahrtswege
nach Berlin an die DDR zu übertragen. Später drohte er mit Umwandlung West-Berlins in eine „selbständige
politische Einheit“, eine entmilitarisierte freie Stadt und mit dem Abschluss eines Friedensvertrages, den beide
deutsche Staaten unterzeichnen sollten. Zwar wurde das Ultimatum vom November 1958 zum Rückzug
westalliierter Truppen aus Berlin innerhalb von sechs Monaten zurückgenommen, aber die Drohung gegen Berlin
blieb. Hektische diplomatische Verhandlungen charakterisierten die Jahre zwischen dem Berlin-Ultimatum von
1958 und dem Mauerbau 1961. Erst mit der Rede des seit Anfang 1961 amtierenden amerikanischen Präsidenten
John F. Kennedy vom 25. Juli, in der klare Aussagen über die amerikanische Berlin-Politik formuliert wurden, war
diese Phase der außenpolitischen Unsicherheit halbwegs beendet.
Die innere Situation der DDR verschärfte sich angesichts der doppelten Wirtschafts- und außenpolitischen Krise
derart, dass der Zusammenbruch absehbar schien, wenn nicht einschneidende Maßnahmen erfolgten. Die
Sowjetunion und ihre osteuropäischen Verbündeten wollten die Lösung, die die SED schon seit 1958 unter dem
Stichwort „Operation Chinesische Mauer“ ins Auge gefasst hatte, zunächst vermeiden: die vollständige
Abriegelung West-Berlins von der DDR. Anfang August erhielt Ulbricht auf einer Konferenz der Führer der
kommunistischen Parteien in Moskau schließlich grünes Licht für den Mauerbau. Noch am 15. Juni 1961 hatte
Ulbricht in einer Pressekonferenz vor westlichen Journalisten erklärt: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu
errichten.“
Es ist nicht ohne bittere Ironie, dass zu den außenpolitischen Voraussetzungen für den Mauerbau Kennedys
Rede vom 25. Juli 1961 gehörte, in der der amerikanische Präsident drei Grundsätze formulierte, deren
Verletzung zum militärischen Konflikt führen könne: Sicherung des Zugangs der Westalliierten und der
Westdeutschen von der Bundesrepublik nach Berlin, Lebensfähigkeit der Stadt, Anwesenheit westlicher Truppen
in Berlin. Da sich diese Forderungen de facto auf West-Berlin bezogen, auch wenn allgemein von Berlin die Rede
war, bedeutete die Abriegelung des Westteils keine unmittelbare Verletzung der amerikanischen Interessen. Für
die Öffentlichkeit jedoch war der 13. August ein tiefer Schock und eine gravierende Zäsur in der deutschen
Nachkriegsgeschichte.
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5. Mauerbau 1961
In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 marschierten entlang der innerstädtischen Demarkationslinie
Volkspolizei, Nationale Volksarmee und Betriebskampfgruppen auf und riegelten die Grenze zunächst durch
Stacheldraht ab, der bald darauf durch eine Mauer aus Hohlblocksteinen und Betonpfählen ersetzt wurde. Eine
lange vorbereitete, komplizierte Aktion wurde technisch präzise innerhalb weniger Tage realisiert. Die Tatsache,
dass zunächst ein Stacheldrahtzaun gezogen wurde, lässt darauf schließen, dass sich die Initiatoren des Risikos
durchaus bewusst waren. Die Reaktion des Westens auf die Verletzung des Viermächtestatus Gesamtberlins ließ
sich noch nicht genau kalkulieren. Die westliche Antwort fiel jedoch überraschend zurückhaltend aus. Es dauerte
zwei Tage, bis sich auf heftige Vorwürfe des Berliner Regierenden Bürgermeisters, Willy Brandt, die westlichen
Stadtkommandanten überhaupt zu einem Protest bewegen ließen. Um so größer war die Erbitterung der
Berlinerinnen und Berliner.
Um die Erregung der Bevölkerung zu besänftigen und wenigstens eine symbolische Geste der
Verteidigungsbereitschaft zu zeigen, kam am 17. August General Lucius D. Clay, der legendäre Vater der
Luftbrücke von 1948, zusammen mit dem amerikanischen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson in die deutsche
Hauptstadt und sicherte den Westberlinern die Unterstützung der USA zu. Eine geringfügige Verstärkung der
amerikanischen Garnison in Berlin sollte diese politische Geste unterstreichen. Intern machte jedoch der
amerikanische Präsident deutlich, dass es sich um eine grundlegende „sowjetische Entscheidung“ handelte, „die
nur ein Krieg rückgängig machen könnte“.
Die Mauer blieb und wurde ebenso wie die gesamte innerdeutsche Grenze durch Kontrollstreifen,
Hundelaufanlagen und Selbstschussgeräte perfektioniert. Das letzte Schlupfloch war versperrt, Deutschland
brutal und offenbar definitiv geteilt. Nach den Memoiren des westdeutschen Botschafters in Moskau, Hans Kroll,
hat Chruschtschow dem Mauerbau zugestimmt, um den ökonomischen Zusammenbruch der DDR zu verhindern,
auch wenn ihm bewusst war, dass die Mauer eine „hässliche Sache“ sei, die eines Tages wieder verschwinden
müsse, wenn die Gründe ihrer Errichtung entfielen.
Sie entfielen bekanntlich nicht. Die Gründe lagen sowohl in dem enormen Wohlstandsgefälle zwischen
Bundesrepublik und DDR als auch in der fehlenden politischen Legitimation des SED-Regimes und in der blinden
Entschlossenheit, die forcierte sozialistische Umgestaltung des zweiten deutschen Staates fortzusetzen. Die
Existenz der DDR war damit an die Mauer gebunden, die von der Sowjetunion und vom Warschauer Pakt
politisch abgesegnet worden war. Erst als diese Rückendeckung 1989 überraschend entfiel, konnte auch die
Mauer fallen.
Insgesamt sind nach Ermittlungen der westdeutschen „Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter“ von 1949 bis 1989
bei Fluchtversuchen aus der DDR 899 Menschen getötet worden. 255 starben an der Grenze um West-Berlin,
371 an der innerdeutschen Grenze und 189 in der Ostsee, die übrigen an den DDR-Grenzen zum Ausland.
Aus der Rückschau lassen sich die Langzeitwirkungen des Mauerbaus deutlicher erkennen. Einerseits begann
nun ein Stabilisierungs- und Modernisierungsprozess. Im Inneren gab es auf der Basis der - im wörtlichen Sinne Ausweglosigkeit neue Formen des Arrangements zwischen Regime und Bevölkerung. Andererseits bildete die
vollständige Abgrenzung die Voraussetzung für die Weiterführung eines sozialistischen Experiments, das ohne
tiefgreifende Reformen auf die Dauer nicht lebensfähig war. Die groteske offizielle Bezeichnung der Mauer als
„antifaschistischer Schutzwall“ hat dieses Problem propagandistisch zuzudecken versucht.
In der DDR stellte sich nach anfänglicher großer Verbitterung ein allmählicher Prozess der Gewöhnung an das
Unvermeidliche ein. Ein verstärkter Rückzug ins Private war die Folge, den auch die SED in Grenzen akzeptierte.
Die deprimierende Grunderfahrung des „Eingeschlossenseins“ entwickelte aber auf lange Sicht auch bequeme
Seiten. Der „vormundschaftliche Staat“ (Rolf Henrich) setzte zwar enge Grenzen und reduzierte radikal die
Bewegungsfreiheit, er schuf aber gleichzeitig unter der Bedingung politischer Anpassung ein Höchstmaß an
sozialer Sicherheit.
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