Kann man Indien noch als Toleranzmodell bezeichnen?

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Dokument:
Sperrfrist:
Freitag, 15. Juni 2001; 10:15 Uhr
Programmbereich:
Themenbereich 3: In Freiheit bestehen
Veranstaltung:
Forum Asien
Zum Beispiel: Indien
Referent/in:
Dr. Subhoranjan Dasgupta, Journalist, Kalkutta/Indien
Ort:
Messe, Halle 5.1 Ludwig-Erhard-Anlage 1
5/046 PF
Kann man Indien noch als Toleranzmodell bezeichnen?
Glossar
Hindutva – (Hindutum) VD Savarkar prägte 1923 diesen Begriff, um das Ideal eines
exklusiven und militanten Hindu-Nationalismus zu beschreiben und herauszuheben.
RSS – Rashtrya Swyamsevak Sangh oder Nationaler Selbsthilfebund. Von KB Hedgewar
1925 mit der ausdrücklichen Mission gegründet, Hindus nationalistisch gegen andere
religiöse Minderheiten auszurichten und zu organisieren.
VHP – Vishwa Hindu Parishad oder ‘World Hindu Organisation’ (Internationale HinduOrganisation); ist die Speerspitze der RSS, gegründet 1964 als Reaktion auf das Wirken
christlicher Missionare. Unmittelbarer Grund dieser Parteigründung war die Gewährung
eines eigenen Bundeslandes, nämlich Nachhallend, für die vorwiegend christliche
Bevölkerung dieses Gebietes.
BD – Bajrang Dal – eine Speerspitze der VHP, gegründet 1984 in den Monaten Mai/Juni.
Hauptsächlich verantwortlich für die Bewegung, die Moschee in Ayodhya zu zerstören. Zur
Zeit erhalten Bajrang Dal-Mitglieder Ausbildung im Gebrauch von Waffen gegen
‘antinationale’ Elemente. Bei weitem die fanatischste Gruppe des Sangh Parivar.
Sangh Parivar -Alle auf einen Hindu-Staat eingeschworenen Verbände, wie RSS, BJP, VHP,
Bajrang Dal und Shiv Sena.
Shiv Sena – Militante Hindu-Macht im Bundesstaat Maharashtra. Ihr Anführer, Bal
Thakerray, schlug vor kurzem vor, allen Muslimen das Wahlrecht zu entziehen.
Vorbemerkungen – Bestimmen der Parameter
Allein der Titel meines Vortrages legt einen Blick in die Vergangenheit nahe, um Vergleiche
mit der gegenwärtigen Situation ziehen zu können. Auch stellt sich die Frage, ob Indien je
ein Toleranzmodell gewesen ist. Man könnte zunächst in die 1920er Jahre zurückgehen, und
wir würden uns da mit der kolonialen Konstruktion von ‘Kommunalismus’ befassen müssen,
eine Aufgabe, die der Historiker Gyanendra Pandey hervorragend in seinem Text 'Die
Konstruktion des Kommunalismus in Nordindien’ gelöst hat. Oder wir könnten das Jahr 1947
als Ausgangspunkt nehmen, das Jahr der Unabhängigkeit Indiens, als die säkulare
Kongresspartei eine parlamentarische Demokratie als Regierungsform initiierte, d.h.
zentralistisch von Delhi aus zusammen mit den einzelnen Bundesländern regierte. Wo man
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auch anfängt, vom Kolonialen und dem offiziell Nicht-Säkularen oder dem unabhängigen und
in der indischen Verfassung verankertem Begriff des Säkularismus – man wird feststellen
müssen, dass Indien nie eine Toleranzmodell gewesen ist. Ich brauche nur zwei Beispiele zu
nennen, um diese Behauptung zu untermauern: Als erstes Beispiel zitiere ich aus G.
Pandeys Untersuchungen britischer Schriftstücke im 19. und 20. Jahrhundert: „Zum Ende
der 1920iger Jahre erstellte die Regierung Indiens ausführliche Listen von gewaltsamen
Vorfällen zwischen Hindus und Muslimen, die in jüngster Vergangenheit stattgefunden
hatten. Einer dieser Listen ist zu entnehmen, daß es zwischen 1923 und 1927 zu
schwerwiegenden Ausschreitungen gekommen war, die ungefähr 450 Todesopfer und ca.
5000 Verletzte zur Folge hatten; 1929 sah ein Blutbad in Bombay, 1931 ein weiteres in
Kanpur. Offizielle Statistiken verzeichnen für Bombay 184 Tote und 948 Verletzte. In Kanpur
gab es mehrere hundert Todesopfer und es hieß, ca. 80.000 Menschen hätten die Stadt
bereits am ersten Tag der drei Tage lang andauernden blutigen Zusammenstöße mit Zügen
verlassen. Ein Bericht der Regierung besagt, daß man auf die schweren Ausschreitungen
1809 für eine vergleichbare Verlustliste zurückgreifen müsse“.
Für das zweite Beispiel stehen nach 1947 viele Vorfälle zur Wahl – Nellie, Jamshedpur,
Baroda, Meerut und natürlich Bhagalpur. Wir wollen uns für Bhagalpur entscheiden, denn die
grauenvollen kommunalen Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen – oder besser
gesagt, das Abschlachten unglückseliger Muslime durch Hindus – ereignete sich zu einem
Zeitpunkt, als das offiziell immer noch säkulare Indien sich auf das Hochkommen der BJP als
zukünftige Regierungsmacht vorbereitete. Was genau geschah zwischen dem 27. und dem
29. Oktober 1989? Innerhalb von drei Tagen und Nächten wurden laut offizieller Angaben ca.
2000 Angehörige der muslimischen Minderheit einschließlich Frauen und Kindern
umgebracht, während die Polizei und andere verantwortliche Behörden nicht nur nicht
eingriffen, sondern einfach wegsahen. Dörfer des Verwaltungsbezirkes Bhagalpur, Chanderi
und Logain, wurden zu ‘killing fields’, zu Schlachtfeldern im wahrsten Sinne des Wortes. Die
davongekommenen Überlebenden ergriffen die Flucht. Bibi Mustari, eine vierzigjährige
Hausfrau, die ausharrte, hat dies zu sagen: „Ich stellte mich dem Tod und seinen
Handlangern.” Nach 11 langen Jahren erhielten im Februar dieses Jahres im Zuge der
zweiten Verurteilung von Bhagalpur 20 Angeklagte Freiheitsstrafen. Bibi Badrumisa, die ihre
Fünf Schwestern und Schwiegermutter verlor, bemerkte dazu: „Bis jetzt haben sie lediglich
die Buben im Kartenspiel der Kommunalpolitik gefaßt und die Könige laufen lassen. Zu
diesen ‘Königen’ gehören hohe Polizeibeamte, Politiker und Verwaltungsleute“.
Bezeichnenderweise riefen mehr als einer der Verurteilten ‘Jai’ oder ‘Hail Shri Ram’, als sie
aus dem Gerichtssaal geführt wurden. (Ram ist eine Hauptgottheit im Hinduismus).
Im darauffolgenden November verlor die regierende Kongresspartei unter Rajiv Gandhi. Am
21. Januar 1990 setzte sich LK Advani an die Spitze einer Prozession des berühmt –
berüchtigten Triumpfwagenmarsches, der quer durch Nordindien nach Ayodhya zog; am 6.
Dezember 1992 stürmten militante BJP-VHP-RSS-BD-Aktivisten die Babri Moschee und
zerstörten sie; und schließlich wird Indien seit vier Jahren von einer BJP-geführten Koalition
regiert, welche trotz ihrer gelegentlichen säkularen Bemerkungen auf die Ideologie und
Praxis einer ‘Hindu Rashtra’, einer Hindu-Nation und eines religiösen Nationalismus
festgelegt ist. Die anderen Parteien dieser Machtgruppe, die noch nicht der Sangh Parivar
angehören, sind noch auf Säkularismus eingeschworen, aber ihre politische Praxis ist von
Anomalien und schlichtweg Irreführungen durchlöchert. Als Beispiel sei genannt: nicht eine
der „säkularen“ Verbündeten der BJP hat heftig gegen die neuesten Praktiken der SafranBrigarde protestiert. (safrangelb gilt als Farbe der Sangh Familie). Es handelt sich hier um
die systematische Verfolgung und tätliche Bedrohung der christlichen Bevölkerungsgruppe
Indiens, die systematische und vorsätzliche Kommunalisierung der akademischen Welt.
Dieser zweite Aspekt und die Rolle, die die willfährigen Koalitionspartner dabei spielen,
müsste ausführlich gesondert behandelt werden.
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Heute beschränke ich mich in erster Linie auf die Beziehungen, wie sie gegenwärtig
zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften besteht, und auf die Ideologie, die
weitgehend die Struktur dieser Beziehungen formt. Von Interesse ist die Feststellung, daß es
eine klare chronologische Verbindung in diesem Bereich gibt- während einerseits der erste
Haupttheoretiker von Hindutva, VD Savarkar, 1923 seine Theorie des religiösen
Nationalismus auf der Vorherrschaft der Mehrheiten basierte, und KB Hedgewar die
organisatorische Deckung mit der Gründung der RSS im Jahre 1925 in Nagpur erstellte,
wurde andererseits Indien in derselben Phase von beispiellosen Ausschreitungswellen
heimgesucht, die dem Zusammenbruch der Kongress-Khilafat-Gemeinsamkeit und Gandhis
einseitiger Rücknahme der Kooperations-Verweigerungs-Bewegung im Februar 1922
folgten. Diese Praxis-Ideologie-Kombination scheint sich jetzt zu wiederholen, oder anders
ausgedrückt: man sieht ein motiviertes Wiederaufleben desselben Kredos, welches zu den
beiden finstersten Ereignissen in der jüngsten Geschichte Indiens führten – der Zerstörung
der Babri Moschee und den nachfolgenden Ausschreitungen, denen wiederum ca. 2000
Inder, meist Muslime, zum Opfer fielen, und die neueste Praxis der Angriffe auf Christen, die
am 23. Januar 1999 im Dorf Manoharpur in Orissa in den Morden von dem christlichen
Sozialarbeiter Graham Staines und dessen zwei Kindern gipfelten. Während der Präsident
Indiens KR Naraynan, selbst ein Produkt der säkularen Nehru-Gandhi-Schule, diese Morde
als die abscheulichste und verwerflichste Tat verurteilte, die an die Schreckenszeiten der
Nazis erinnere, verehren Elemente der Sangh Parivar den führenden Kopf dieser Taten,
Dara Singh, als eine Art Held, der die „gerechte Hindusache gegen christliche Sabotage“
verteidigt habe.
Der 24. Januar 1999 bringt uns der Gegenwart nahe, dieser bedrückenden Gegenwart, die
die US „Kommission für Internationale Religionsfreiheit“ veranlasste, Indien als
besorgniserregend zu bezeichnen wegen der „Verletzung der Religionsfreiheit und dem
Unterlassen, die Rechte der religiösen Minderheiten zu schützen.“ Die Kommission
beschuldigt die Sangh Parivar in dem mit Nachdruck formuliertem Bericht, die Ansicht zu
verbreiten, nur Hindus seien echte Inder, und verlangt eine Erklärung der indischen
Regierung, die deutlich macht, daß sie gegen jedwede unzulängliche Einmischung in die
Beziehungen zwischen indischen religiösen Gruppen und ihren nicht-indischen
Glaubensgenossen ist. Darüber hinaus wurde die US-Regierung gebeten, diese sehr ernste
Angelegenheit mit der indischen Regierung aufzugreifen. Der RSS-Supremo K S Sudarshan
wurde besonders scharf kritisiert. Auf diese Figur werden wir später noch zurückkommen.
Der Inhalt dieses Berichts gegen das unabhängige Indien unterstreicht zum 1. Mal die
Tatsache, dass trotz anhaltender Intoleranz seit den 20iger Jahren eine große Wandlung im
Staatskörper eingetreten ist. Diese Wandlung zeigt sich in einem peinlich genau geplanten
Überlegenheitsanspruch einer theokratischen Weltanschauung, eines religiösen UltraNationalismus auf Kosten eines säkularen Ideals als leitende Kraft, wie schwach und anomal
letztere zuweilen auch gewesen sein mag. Die Person des Innenministers LK Advani
symbolisiert diese Wandlung – diese Führungsperson, die die Geburtsstätten-Bewegung der
Gottheit Rama anführte, ist das zweitwichtigste Mitglied des Bundes-Kabinetts heute und gilt
bei der RSS als zukünftiger Premierminister.
Das bisher Gesagte entspricht der Wahrheit, aber historisch gesehen ist es nur ein Teil
davon. Dasselbe Indien, das die Wundnarben der kommunalen Ausschreitungen zwischen
Hindus und Muslimen trägt, erlebte auch das friedliche Zusammenleben und gute
Einvernehmen , das zwischen den verschiedenen Glaubensgruppen auf dem Lande und in
den Städten herrschte und noch herrscht. Selbst während der schlimmsten Ausschreitungen
setzten Angehörige der einen Religionsgruppe ihr Leben aufs Spiel, um Mitglieder der
bedrohten Gruppe in Sicherheit zu bringen. Fanatische Angriffe wurden durch tapferste
Rettungsaktionen vereitelt. Dasselbe Land hat Jahrzehnte lang die Evangelisierung der
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verschiedenen Kirchen geduldet. Überdies wurden zum Christentum Übergetretene nie als
Fremdlinge oder Außenseiter betrachtet. In meinem Heimatstaat Westbengalen z.B. trat der
äußerst geschätzte bengalische Dichter Michael Madhusudan Dutta zum Christentum über.
Auch in Bangladesh wird dieser Dichter nach wie vor hoch in Ehren gehalten. Betrachtet
man die anti-kolonialen Bewegungen in Indien, stößt man auf verschiedene leuchtende
Beispiele kombinierter Hindu-Muslimen-Aufstände gegen die britische Kolonialmacht. Hindu
Sanyasis (Eremiten) und muslimische Fakire unternahmen 1772/73 einen gemeinsamen
bewaffneten Aufstand gegen die Briten; der historische Sepoy-Aufstand 1857 , von Karl Marx
der erste Unabhängigkeitskampf genannt, wurde ebenfalls gemeinsam von Hindus und
Muslimen ausgefochten. (Sepoys = indische Soldaten in britischen Diensten). Kurz vor
Erreichung der Unabhängigkeit kämpften ausgebeutete Hindu- und Muslim-Bauern
gemeinsam mit der kommunistischen Partei gegen die Kolonialmächte und deren lokalen
Agenten, den Großgrundbesitzern, und setzten sich damit gegen die vorherrschende
entzweiende Teilung zur Wehr.
Vor allen Dingen aber trug der indische Freiheitskampf trotz seiner vielen Schwächen und
Unzulänglichkeiten einen pluralistischen Charakter, und Anführer wie Mahatma Gandhi,
Jawaharlal Nehru, Maulana Abul Kalam Azad und Netaji Subhash Chandra Bose verliehen
dem Kampf eine solide säkulare Grundlage. In diesem Zusammenhang ist als wesentlich zu
bemerken, daß das Ideal des Säkularismus oder, einfach ausgedrückt, alle Religionen gleich
zu respektieren, keine Anleihe an westliches Gedankengut ist. Schon der indische Mystiker
Ramakrishna sagte: ”Sarba Dharma Samabhava.” (Alle Religionen sind gleichwertig.)
Während der gläubige Gandhi in seiner „Essence of Hinduismus“ (Das Wesentliche im
Hinduismus) Gott mit der Wahrheit gleichstellt, einer namenlosen Wahrheit, die je nach
historischen Besonderheiten so viele Namen annehmen kann als da sind: Rama, Allah,
Ahura Mazda, Christus, plädierte der nicht-religiöse Nehru eindeutig für eine größere Rolle
von Vernunft und Wissenschaft, eben für die Aufklärung. In seinem Buch „Die Entdeckung
Indiens“ bemerkte er: „Es gibt Hindus, die zurück zu den Veden wollen, manche Muslime
träumen von einer islamischen Theokratie. Dieses sind müßige Vorstellungen, denn es gibt
keinen Weg zurück in die Vergangenheit; darum muß Indien seine Religiosität herabsetzen
und sich der Wissenschaft zuwenden.” Subhash Chandra Bose verwirklichte dieses wahre
säkulare Ideal in der „Indian National Army“, der indischen nationalen Armee, deren
Regimenter von Hindus, Muslimen und Sikh Soldaten kommandiert wurden.
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um historische Ereignisse und Traditionen,
die in die Formulierung von Artikel 17, 25, 26 und 46 der indischen Verfassung gipfelten. Sie
versprachen Abschaffung der Unberührbarkeit, Schutz den Minderheiten und die Förderung
der rückständigen Kasten. Den Verfassungsentwurf verdanken wir dem genialen Babasaheb
Ambedkar, einem Unberührbaren, der Emanzipierung durch den Übertritt zum Buddhismus
suchte. Die hohen Ideale sind noch nicht erreicht worden, es gab zu viele Übertretungen, es
ist noch ein weiter Weg bis zum Ziel. Aber das bedeutet nicht, daß die Verfassung durch
eine engstirnige, sektiererisch-theokratische Weltanschauung ersetzt werden muß, die gleich
zu Anfang erklärt, Indien sei eine Hindu-Nation, in der jedermann Rama als Nationalhelden
zu akzeptieren habe! Es gibt viele andere wichtigere nicht gelöster Aufgaben, wie z.B. ganz
mundan die Trinkwasserversorgung aller indischer Dörfer – das wäre eine wirklich religiöse
Verpflichtung!
Ein weiterer wichtiger Punkt sind Schutz und Förderung der Dalits und Adivasis, die
sogenannte „Scheduled Castes and Tribes“ (ehemals Unberührbare und Stammesvölker).
Das vorher bereits erwähnte ‘Indian Social Institute’ veröffentlichte in seinem Bericht zur
Verletzung der Menschenrechte für 1998 folgende Daten: 50 Greueltaten einschl. Mord und
Vergewaltigung gegen Angehörige der „Scheduled Castes“ und weitere 40 gegen
Angehörige der „Scheduled Tribes“. 1999 verzeichnet keine Besserung. Es überrascht
darum nicht, dass 1 Mill. Dalits am 14. Okt. zum Buddhismus übertreten wollen als Protest
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gegen die brahmanische Ordnung und die Willkürherrschaft der oberen Kasten. Vor 45
Jahren entsagte Ambedkar an diesem Tage dem Hinduismus und fand im Buddhismus, der
wie das Christentum keine Unbelehrbarkeit kennt, Trost und Frieden. Die von ihm
mitgeprägte indische Verfassung indes erklärt deutlich:
Artikel 17 – die Unberührbarkeit ist abgeschafft und ihre Ausübung in jedweder Art und
Weise verboten;
Artikel 25 sorgt für Gewissens- und Religionsfreiheit, was Bekundung, Ausübung und
Verbreitung beinhaltet;
Artikel 26 sorgt für Freiheit in der Verwaltung religiöser Angelegenheiten;
Artikel 46 trägt besondere Fürsorge für Dalits und Adivasis und bietet Schutz gegen alle
Formen sozialer Ungerechtigkeiten.
Die indische Verfassung, die trotz mancher Übertretungen in diesen unruhigen Zeiten unser
Leitstern ist, ist bedroht. K. Ramakutty, Präsident der Gesamtindischen Föderation der
„Scheduled Castes and Tribes“, bemerkte am 8. April 2001 als Reaktion auf die jüngsten
Versuche der Sangh Parivar, an der Verfassung herumzupfuschen: „Sie versuchen eine
Mißdeutung der Verfassungsvorrichtungen. Bald werden wir keinen Platz mehr in der
sozialen Rangordnung haben.” Wie Sie sehen, hat das Ringen begonnen. Der Präsident der
indischen Republik, KR Narayanan, ist durch und durch säkular. Während er gegen
jedweden Versuch einer Verfassungsänderung gewarnt hat, möchten die Anhänger der
Sangh Parivar die Verfassung am liebsten begraben. Tatsächlich ist diese Verfassung eines
der stärksten Hindernisse für „Hindutva“, und darum hat die gemäßigte Stimme des
Hindutva, die des indischen Premierministers Vajpayee, eine ‘Reparatur’ angeregt – dieses
unschuldige Wort ist mit Gefahr geladen und führt uns gleich in die Gegenwart.
Hauptteil
1. Übergriffe gegen Christen
Wo steht Indien jetzt, und wie sieht die Zukunft aus? Zugegeben, die Übergriffe auf Christen
haben im Vergleich zu den Geschehnissen in Gujarat im Nov. /Dez. 1998 an Heftigkeit
verloren – das war zweifellos die schlimmste Zeit. Laut Bericht des „Indian Social Instituts“
fanden da nicht weniger als 50 Übergriffe auf christliche Bürger in Dörfern und Städten
dieses Bundesstaates statt. Gujarat ist auch der Bundesstaat, wo die „Safran-Brigade“
hyperaktiv ist. Gujarat ist für sie ein Versuchslabor wo man die Bildung des Hindu Rashtra
oder der Hindu-Nation experimentiert und vorantreibt. Aber die verminderte Heftigkeit
bedeutet kein Aufhören der Übergriffe und Diskriminierungen. Die frühere Seelenruhe der
kleinen Minderheit ( kaum 2,4 % der Gesamtbevölkerung) ist zerstört.
Kurz vor meiner Abreise aus Kalkutta sprach ich mit meiner christlichen Schwägerin. Sie
sagte, nach den Vorfällen 1998/9 in Gujarat, Orissa, Karnataka, Uttar Pradesh, – wohl nicht
in dem links regierten Westbengalen,- müsse man sagen, dass die guten alten Tage vorbei
seien. Diese Dame ist keineswegs eine Sektiererin, sie ist eine gläubige Christin, ist aber
ganz selbstverständlich bei den hinduistischen Andachten meiner Frau anwesend. Sie
analysiert den radikalen Stimmungsumschwung und bemerkt dazu, daß sie und ihre
Verwandten nun wohl die sprichwörtlichen „anderen“ seien und in irgend einer vagen Weise
gegen Hindus. „Glaube mir,“ sagt sie, dieses bittere Gefühl der Entfremdung haben wir noch
nie gehabt. Diese Veränderung der Psyche und Wahrnehmung, der Wechsel in der
Gleichheitsbeziehung – das ist die größte Tragödie. Nach diesen schmerzlichen Worten aus
der Hauptstadt von Westbengalen, wo in den letzten vier Jahren kein einziger Übergriff auf
Christen stattgefunden hat, mußte ich notgedrungen die Schlußfolgerung ziehen, daß die
Gründerväter und Theoretiker des Safran-Kredos – V.D. Savarkar, M.S. Golwalkar, K.V.
Hedgewar et al – doch bis zu einem gewissen Grade ihr Ziel erreicht haben. Niemand sonst
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als Savarkar stufte 1923 in seiner Flugschrift „Hindutva – Wer ist ein Hindu?“ den
Patriotismus von Muslimen und Christen als minderwertig ein und hegte außerdem den
Verdacht, ihr Heiliges Land sei nicht Bharatvarsha (Indien), sondern Arabien oder Palästina.
(12) In den dreißiger Jahren gab M.S. Golwalkar dieser intoleranten Theoresierung eine
stärkere fundamentalistische Wendung, indem er erklaerte: ”Ihre Aktivitäten sind nicht nur
nicht religiös sondern auch anti-nationalistisch. Solange Christen hier solchen Aktivitäten
frönen und sich als Agenten der internationalen Bewegung für die Verbreitung des
Christentums verstehen und es ablehnen, ihre erste Loyalität ihrem Geburtsland zu
zollen……solange werden sie hier als feindlich gesinnt gelten und müssen entsprechend
behandelt werden.” Sie werden fragen, warum ich diese beiden wichtigen Hindu- Theoretiker
so ausführlich zitiere. Es gibt drei spezifische Gründe dafür:
Es ist die nach sieben langen Jahrzehnten von dieser Theorie geschürte Durchführung oder
Praxis, die Indiens Erscheinungsbild bezüglich der Beziehungen zu den Christen beschmutzt
hat.
Nicht eine einzige Führungsperson der BJP – ich spreche hier nicht von der bösartigen VHP
oder Bajrang Dal – hat auch nur einmal diese spekulative Theoriekonstruktion angefochten
oder hinterfragt. Das bedeutet doch, daß sie diese tief im Herzen als wahr ansehen, ganz
gleich, wie viele „säkulare“ oder „pseudo-säkulare“ Erklärungen sie von Zeit zu Zeit abgeben,
um ihre politischen Verbündeten zu beruhigen und ihr Erscheinungsbild rein zu halten.
Tatsächlich schwören sie weiterhin auf Savarkar-Golwakar-Hedgewar und befürworten deren
Gedanken als bessere Alternative zu dem Nehru-Gandhi-Linke ausgerichtetem säkularem
Ideal.
Dieser Punkt ist die unumstößliche Folge von Punkt 2: unser Premierminister Vajpayee, der
zuweilen im Urlaub säkulare Betrachtungen anstellt, hätte zu allererst die ‘Safran-Ideologie’
ablehnen sollen, ehe er im September 2000 einen Entschuldigungs – und
Versöhnungsbesuch im Vatikan unternahm. Man kann nicht gleichzeitig den Theorien
Savakars und Golwakars zustimmen und im selben Atemzug im Vatikan tiefstes Bedauern
ausdrücken. Diese Doppelmoral ist von schockierender Durchsichtigkeit. Es verwundert
daher nicht, daß der Chef der Indien-Abteilung von Radio Vatikan, Cyprian Ekka,
kommentiert: „Vajpayee ist weiterhin bestrebt, die Angelegenheit zu übertünchen, da noch
kein Zugeständnis gemacht wurde, in dem die Sangh Parivar oder die ‘Safran-Brigade’
verantwortlich gemacht wird.” In solch einer gefährlich ambivalenten Atmosphäre finden
weiterhin Übergriffe gegen die christliche Gemeinschaft in Indien statt, wenn auch in
verringertem Masse. Hier ist eine Auflistung der in den letzten sechs Monaten
stattgefundenen Vorfälle:
Dez. 3, 2000 : Lumpenelemente und verbrecherische Typen überfielen die Höhere Schule
St. Anne in Kurpania in der Stahlstadt Bokaro im neugegründeten Bundesland Jharkand,
vergewaltigten die 18jaehrige Köchin und belästigten mehrere Nonnen. Sie zogen mit Geld
und Wertsachen ab. Innerhalb von drei Monaten war dies der dritte Vorfall.
Interessanterweise gab es bei dem Überfall keine anti-christlichen Propagandarufe. Warum?
Zwei mögliche Gründe wären: erstens, sie wollten ihre ideologische Identität verheimlichen,
zweitens, – und dies ist wirklich von schlimmer Vorbedeutung –, gewöhnliche Kriminelle
glauben, Überfälle auf Christen würden toleriert, da sie ja bereits als „anti-national“ gelten,diese sowieso schon in Verruf gebrachten „Anderen“!
Dez.7 : Christen durften im Dorfe Kusudiha, Mayurbhang-Bezirk , Orissa, keine Christusfigur
aufstellen. Eine gewisse Gruppe der Dorfbewohner reagierte heftig auf das Vorhaben, und
die Figur mußte wieder entfernt werden. Diese Art von Opposition wäre noch vor fünf Jahren
undenkbar gewesen. Das zeigt , wie tiefgreifend und rapide die Safranbotschaft sich
ausbreitet.(16)
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Jan. 25 : Angeführt von dem BJP-Parlamentsmitglied Dilip Singh Judejo wurden 2200
Stammesangehörige von 341 Familien, die in der Vergangenheit zum Christentum
übergetreten waren, in einer feierlichen Zeremonie im Stadion von Sitapur, Bezirk Sarguja in
Madhya Pradesh, rekonvertiert oder’ zum Hinduismus zurückgebracht. Singh Judejo brüstet
sich damit, daß bis jetzt 1.65 000 christliche Stammesangehörige von Orissa, Bihar und
Madhya Pradesh rekonvertiert worden seien, und daß das so weiter gehen werde. Um ganz
fair zu sein – bei dieser Rekonvertierung ist nichts Unrechtes auszusetzen, wenn Christen
und Muslime mit der Prämisse konvertieren, daß nur ihre Religion allein seligmachend sei,
können Hindus dasselbe tun. Niemand hinderte natürlich die Hindu-Eiferer in irgend einer
Weise daran, aber – und da ist der Haken!
Febr.23 : Die örtliche Polizei vereitelte gewaltsam die Bekehrung zum Christentum einer
fünfköpfigen Stammesfamilie im Dorfe Jamboni. Bezirk Balasore, Orissa.(18). Dies zeugt von
einem schändlichen doppeltem Moralkodex in einem Land, das immer noch dem
Säkularismus verpflichtet ist. Nicht nur das, es beweist, daß die Hüter des Gesetzes in
diesem Land voreingenommen und blind sind und je nach Situation verschieden reagieren.
Ich sage hier nichts außergewöhnlich Neues – jeder, der die Rolle des Polizeiapparates
während der Greuel in Uttar Pardesh und Gujarat näher betrachtet hat, wird feststellen
müssen, wie parteiisch er handeln kann. Man rufe sich lediglich die Rolle der Provincial
Armed Constabulary (PAC = bewaffnete provinzielle Polizeitruppe) während der HinduMuslimen-Ausschreitungen im vergangenen März in Kanpur ins Gedächtnis.
Vibhuti Narain Rai, ehemaliger Polizeidirektor mehrerer Bezirke Uttar Pradeshs, verfaßte zu
diesem brisanten Thema ein Buch, in dem Qualität und Quantum von Toleranz bzw.
Intoleranz des im gegenwärtigen Indien herrschenden Staatsapparates gewertet werden.
Der Titel dieses Buches lautet übersetzt: ”Bekämpfung kommunaler Konflikte –
Wahrnehmung der polizeilichen Neutralität während der Hindu-Muslim Konflikte in Indien„.
Mit diesem Buch wird die Maske des indischen Säkularismus zerrissen und, was wichtig ist,
es weist hin auf die verwundbare Lage der Minderheiten in Indien. Ein solches Buch erklärt,
warum 50 Angriffe auf Christen in Gujarat im Nov,/Dez. 1998 ungestraft stattfinden konnten.
Wenn Christen in Indien sich hilflos, in die Enge getrieben und verängstigt fühlen, kann man
es ihnen nicht verdenken. Dieses Gefühl wird noch gesteigert, wenn der RSS-Supremo KS
Sudarshan am 8. März 2001 erklärt: ‘Alle ausländischen Kirchen und Missionare sollten
einpacken und das Land verlassen. Es ist an der Zeit, daß in Indien lebende Christen und
Muslime ihre Religionen indisieren. Sie sollten mit Mekka und dem Papst brechen und statt
dessen swadeshi , d.h. national-indisch, werden.’ Weiter erklärt er im Mai 2001: „Warum
sollte es diesen ausländischen Kirchen erlaubt sein, in unserm Land zu wirken? Wir sollten
hundertprozentige indische Kirchen haben so wie die Syrische Orthodoxe Kirche und die Mar
Thoma Kirche in Kerala, diese haben mit dem Vatikan nichts zu tun wie die katholische
Kirche”. Nun, das Rad hat eine volle Drehung vollzogen – der RSS-Supremo ist eine
genaues Abbild von Savarkar und Golwalkar. Die Gegenwart ist daher intoleranter.
Besonders, wenn der Premierminister des Landes eben diese RSS als geistige Führung und
als seine Seele betrachtet.
Manchen mag die Folgerung meiner Argumente als Schwarzmalerei vorkommen, als ob ich
die Hindu-Kommunalisten in einem denkbar schlechtem Licht erscheinen lassen wollte. Ich
bin mir durchaus der Tatsache bewußt, daß fanatische Missionare sich gelegentlich
fragwürdiger Methoden bedienten, um ihre Schäflein zu vermehren. Warum fragwürdig?
Zuweilen bedienten sie sich schlicht der Irreführung und Doppelzüngigkeit, um ihr Ziel zu
erreichen. Ich weiß auch, daß es eine deutliche Verbindung zwischen Baptisten und der
Nationalen Freiheitsfront besteht, einer in Tripura wirksamen aufständischen Gruppe. Mehr
als alles andere bin ich als Humanist und Agnostiker absolut gegen den Anspruch jeglicher
organisierten Kirche einschließlich der römisch- katholischen, den alleinigen Schlüssel zum
ewigen Leben im Himmel zu besitzen. Meine Botschaft ist für Gläubige fast elementar in
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
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ihrer Schlichtheit, nämlich sarvadharma samabhava, oder „alle Religionen haben im
Wesentlichen dasselbe Ziel“. Dieses einfache Prinzip setzt keine Bekehrung voraus.
Akzeptabel ist nur, wenn die entsprechende Person nach reiflichem Nachdenken und völlig
freiwillig sich zum Glaubensübertritt entschließt. Anders ausgedrückt, es hat sich um eine
rein persönliche Entscheidung zu handeln. Margaret Noble, eine irische Christin, nahm so
den hinduistischen Glauben an, Schwester Nirmala, eine gebürtige Hindu, trat umgekehrt
zum Christentum über. Im gegenwärtigen Indien, jedoch, dominiert keineswegs persönliche
freiwillige Entscheidung, die zu einem solchen Schritt führt, sondern Nötigung,
Gewalttätigkeit und Einschüchterung. Wenn letzteres dazu noch von einem Teil der HinduMehrheit – 82,4 % der Gesamtbevölkerung sind Hindus – ausgeübt wird , vom Staat oft
gleichgültig abgetan,- dann nähert sich die Sektiererei der Mehrheiten, vor der Nehru warnte,
dem Faschismus. Ich kritisiere auch eindeutig den Aufruf des Vatikans und des Papstes, das
nächste Jahrhundert solle der Einführung von Christus und der Kirche in Asien geweiht sein,
wenn dieser Aufruf ein vorgeplantes und organisiertes Bestreben bedeutet, Hindus, Muslime
und Buddhisten in Asien zum römisch-katholischen Glauben zu bekehren anstelle der
Verbreitung der wesentlichen christlichen Tugenden, welche wir schätzen und ehren. Aber
auch solch ein Aufruf oder aehnliche Bestreben, so provozierend sie auch klingen mögen,
rechtfertigen auf keinen Fall die Übergriffe auf Christen, die ihren Höhepunkt 1998/99
erreichten. Es gibt überhaupt keine Entschuldigung für das Loslassen dieses andauernden,
absolut einseitigen Angriffs auf eine wehrlose Minderheit, welche sich nicht einmal
unabsichtlich ähnlicher Gewalttätigkeiten oder Verbrechen zu Schulde hat kommen lassen.
Es stimmt, daß starker Druck der westlichen Länder auf die indische Regierung und ein
Gesichtsverlust im Ausland die BJP-geführte Koalitions-Regierung dazu veranlaßte, die
Sturmtruppen von Hindutva zum Teil zurückzuziehen. Glauben Sie mir aber, diese
Kontrollmaßnahmen reichen als Gegenmittel nicht aus. Wie meine christliche Verwandte
bemerkte, hat sich die Atmosphäre radikal verändert, und jede Provokation in diesem
Szenario könnte entflammbar wirken. Ich reiste per Auto im März dieses Jahres zwei Tage
lang durch Orissas Dörfer und konnte mich davon überzeugen, wie weit diese Änderung
geht. Fast neben jeder Dorfkirche, gleich welcher Konfession, steht jetzt ein von der SafranBrigade gebauter neuer Hindu- Tempel. Früher gab es das nicht. Sogar in dem abgelegenen
Dorf Sunabeda steht ein neuer Tempel gegenüber der Kirche. Die Botschaft ist eindeutig –
der Tempel beaufsichtigt die kirchlichen Aktivitäten. Sollte die Kirche zum Übertritt zum
Christentum anhalten, gäbe es eine nicht aufzuhaltende heftige Gegenreaktion. Falls die
Kirche ihre bestehende Gemeinde halten will, muß sie zur Zeit auf Bekehrungen verzichten,
wenn man die Flut von Rückbekehrungen betrachtet, wie sie bereits ungehindert in Bihar,
Jharkand, Uttar Pradesh, Madhya Pradesh und sogar in dem von Kommunisten regiertem
Westbengalen problemlos stattfinden.
Alle, die an eine friedliche Koexistenz aller Glaubensrichtungen glauben, sollten sich nun
wundern, warum es keinen Dialog zwischen den Kirchen einerseits und den Verfechtern des
Hindutva andererseits gibt. Nachdem er die betroffenen Gebiete in Gujarat bereist hatte,
machte der Premierminister selbst den äußerst unschicklichen Versuch, zu einer Debatte
bezüglich von. Bekehrungen auf nationaler Ebene aufzurufen. Da sprach aber der RSSVajpayee und nicht der Premierminister des Landes, wo wenigstens die Verfassung am
säkularen Prinzip festhält. Anstatt ein einziges Wort des Mitgefühls für die betroffenen
zahlenmäßig in der Minderheit Verfolgten zu sagen , anstatt wenigstens mit einem einzigen
Satz diejenigen zu beschuldigen, die die Raserei in den Dörfern Gujarats angestiftet hatten,
gab er geschickt und schnell die Schuld an die christlichen Missionare weiter. Sein Rezept,
aus dem eine unverwässerte Safran-Botschaft spricht, lautete schlicht: „Christen, hört mit
Bekehren auf, und es wird wieder Friede sein!”
Voller und abgesicherter Friede, der auch den Seelenfrieden mit einschließt, ist nicht wieder
eingekehrt, wenn auch das Nachlassen der gewalttätigen Vorfälle in letzter Zeit die Nationale
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Minderheiten-Kommission dazu veranlaßte, einen Dialog zwischen dem Nationalen
Kirchenkonzil und der Sangh Parivar einzuleiten. Leider scheiterte dieser Versuch gleich zu
Anfang. Warum? Das Nationale Kirchenkonzil kritisierte die Nationale MinderheitenKommission, weil diese behauptete, „in den vergangenen Monaten habe es keine
organisierten Überfälle auf Christen gegeben“. Auch bestand die Kommission darauf, den
Dialog nur mit der sektiererischen Sangh Parivar zu halten. Die Parivar repräsentiert aber
lediglich eine kleine Randgruppe der grossen Hindu-Gemeinschaft. Warum sollte das
Nationale Kirchenkonzil mit den RSS-VHP-Bajrang Dal verhandeln, deren politischer Arm
lediglich nicht mehr als 28% aller Wahlstimmen bei den letzten Wahlen erhalten hatte. Es
gibt Abermillionen von Hindus in Indien, die dieser Kombination von Theorie und Praxis
äußerst kritisch gegenüber stehen, und das ist die Mehrheit, wenn auch eine passive. Es ist
noch ein Haken bei dieser Sache: wenn die Kirche nur mit der Safran-Brigade verhandelt,
verleiht sie dieser eine Legitimität, die sie nicht verdient.
Aber stellen wir uns die angenommene Situation vor: das Nationale Kirchenkonzil, das 29
christliche Konfessionen vertritt, trifft die Anführer der Sangh Parivar und akzeptiert alle
deren unmöglichen Forderungen: (1) alle ausländischen Christen und NGOs müssen das
Land verlassen, (2) alle Kirchen in Indien werden vollständig indisch oder national und lösen
sich von ihren Mutterkirchen im Ausland, (3) alle Kirchen hören auf zu predigen und ihre
Lehre zu verbreiten und akzeptieren die jetzige Anzahl der christlichen Bevölkerung als
oberstes Limit. Die Grundfrage ist : wird die Safran-Brigarde dann ihrerseits ihre GegenVersprechen einhalten, i.e. die Angriffe auf Christen hören ab sofort auf; es ist den Christen
erlaubt, ihren Glauben vollkommen friedlich auszuüben; sie selber werden ebenfalls ein für
allemal auf Rückbekehrungen verzichten. Ehrlich gesagt, die in die Enge getriebene und
verängstigte christliche Gemeinschaft wird es nicht schaffen, diese reziproken Versprechen
auszuhandeln, da diese angenommene kriecherische Unterwerfung die Fundamentalisten
noch mehr anfeuern wird. Ihnen werden neue Forderungen einfallen und viele neue Mittel,
um die christliche Gemeinschaft zu reizen, und sie werden mit Sicherheit ihr
Rückbekehrungs-Programm fortsetzen. Warum? Weil Philosophie und Weltanschauung von
Hindutva auf dem Traum aufbaut, ein Hindu Rashtra oder eine Hindu-Nation zu gründen,
wobei es sich bei den „inneren Feinden“ um Christen, Muslime und Kommunisten handelt.
Diese unverhohlen missionarische und militante Position ist unmißverständlich. Savarkar sah
in seinem theoretischen konstruiertem Gebilde in den 20iger Jahren eine unlösbare
Verbindung zwischen Bharatvarsha/Indien oder ‘pitribhumi oder Vaterland ( nicht etwa
„matribhumi“ – Mutterland!) oder punyabhumi oder Heiligem Land und dem Hindu und
seinem Hindutva. Golwalkar veröffentliche in 1938 in Nagpur, dem Hauptquartier der RSS,
sein Buch ‚Wir und unsere definierte nationale Einheit’; und heute hören wir fast täglich die
Aussprüche eines Sudarshan – in dieser listig konstruierten fundamentalistischen Doktrin
zeichnet sich die sehr deutliche doch unheilvolle Linie ab, die bei einem Volk, einer Kultur
und der Dominierung einer Religion in einem so mannigfaltigen Land wie Indien schwört. Ein
Zitat aus Golwalkars oben erwähntem Buch wird meine Argumentation rechtfertigen. Auf S.
26 singt er ein Loblied auf Hitlers kulturellen Nationalismus:
„Deutschlands Nationalstolz ist jetzt Tagesgespräch geworden. Um die Reinheit der Nation
und ihrer Kultur zu erhalten, schockierte Deutschland die Welt, indem es das Land von der
semitischen Rasse – den Juden, säuberte. Nationaler Stolz in seiner höchsten Form hat sich
hier kundgetan. Deutschland hat auch gezeigt, daß es für Rassen und Kulturen, die
grundlegende Unterschiede aufweisen, fast unmöglich ist, sich zu einem geeinigtem Ganzen
zu assimilieren, eine gute Lektion für uns in Hindustan, daraus zu lernen und zu
profitieren…..Von diesem Standpunkt ausgehend, sanktioniert durch die Erfahrung kluger
alter Nationen, müssen die Nicht-Hindus Hindustans entweder die Hindu-Kultur und –
Sprache annehmen, müssen lernen, die Hindu-Religion zu respektieren und zu ehren, dürfen
keine anderen Gedanken außer der Glorifizierung der Hindu-Nation haben, i.e. sie müssen
nicht nur ihre intolerante und undankbare Neigung diesem Lande und seiner uralten
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Tradition gegenüber ablegen, sondern sie haben auch die positive Einstellung von Liebe und
Hingabe für dieses Land zu hegen; in einem Wort, sie müssen aufhören Ausländer zu sein
oder sie mögen in diesem Land bleiben, der Hindu-Nation völlig untergeordnet, nichts
verlangend, keine Privilegien verdienend oder gar Sonderrechte, nicht einmal Bürgerrechte.”
Bis zum heutigen Tage haben die RSS und ihre Verbündeten diese Kerndefinition einer
Hindu-Nation nicht widerrufen. Im Gegenteil, Safran-Historiker machen vorsätzliche
Versuche, Golwalkar als tiefsinnigen Denker darzustellen und als Patrioten, dessen Name im
selben Atemzug mit den beiden größten Indern dieses Jahrhunderts genannt werden solle,
nämlich Mahatma Gandhi und Rabindranath Tagore. Auf obiges Zitat und der
vorausgegangenen Anwendung hin, möchte man dem Wort „intolerant“ noch ein anderes
Wort , nämlich „Faschist”, zugesellen.
Ich bezweifle daher, daß eine versöhnliche Geste seitens der Kirche den gewünschten
Eindruck auf die Anhänger Golwalkars haben wird. Richard Howell, Generalsekretär der
Evangelischen Körperschaft Indiens, gibt zu, daß „einige Kirchen anstößige weltliche
Ausdrücke” benutzt haben, um den Hinduismus zu verunglimpfen. In der Tat tagte die
Nationale Konferenz der theologischen Kommission der EFI vor kurzem in Bangalore, um
anstößige Ausdrücke wie ‚Finsternis’, ‚heidnisch’, ‚Heide’ usw. auszumerzen. Howell nennt
diese Ausdrücke ‚lieblos’ und ‘das Gegenteil bewirkend’.(29) Dies sind allerdings relativ
kleine Zugeständnisse und werden summarisch beiseite gefegt. Die Kirchenführer wissen,
daß diese und andere Maßnahmen der Safran-Brigade nicht genügen, deshalb zögern sie zu
verhandeln. Innerhalb von vier Jahren wurden die Christen in Indien zu Opfern und die
Kirche zu einer angeblich anti-nationalen Institution.
Hauptteil –II
Babri Moschee und Rama Tempel
(Beziehungen zwischen Hindus und Muslimen)
Wenn die Beziehungen mit der christlichen Minderheit zwangsläufig in eine Sackgasse
geraten sind, hier und da unterbrochen durch gewalttätige Vorfälle, so haben die Bindungen
mit der groteskeren und stärkeren, 13% der Gesamtbevölkerung ausmachenden MuslimenGemeinschaft einen verbitterten Zustand erreicht. Der Grund dafür ist, das bis jetzt noch
keine nennenswerte Initiative ergriffen wurde, den angespannten und zermürbenden Disput
um die Zerstörung der Babri Moschee in Ayodhya und den vorgesehenen Bau des RamaTempels auf ihren Ruinen zu lösen. Zwei unbotmäßige Stellungnahmen der beiden
ranghöchsten Politiker des Landes haben die Muslimen-Gemeinschaft schockiert: der
Premierminister Vajpayee höchst persönlich erklärte am 6. Dez. 2000, der Rama-Tempel
drücke nationale Empfindsamkeit aus und verfolgte dies weiter mit dem Vorschlag, der
Tempel könne auf dem umstrittenen Grundstück erbaut werden. Einige Tage nach diesen
empörenden Bemerkungen erging er sich wieder in säkularen Betrachtungen, aber da war
es schon zu spät – der Schaden war nicht wieder gut zu machen. Zu einem noch neueren
Datums, nämlich im April 2001, behauptete der Innenminister Advani, die Moschee sei schon
immer ein Tempel gewesen, wenigstens von dem Zeitpunkt an, da die Muslime aufhörten,
ihre Gebete dort zu verrichten und Hindus anfingen, dort ihre Gottheit Rama zu verehren.
Advani ist rangmäßig der zweite im Kabinett, gleich nach dem Premierminister. Er ist
angeklagt, die Geburtsstätten-Bewegung Ramas angezettelt zu haben, die in der Zerstörung
der Moschee gipfelte. Kurzsichtige politische Stellungnahmen wie diese bestärken die
Safran-Brigade in ihrem Plan der gewaltsamen Erbauung des Tempels. Zwei von der VHP
unterhaltenen Werkstätte in Ayodhya haben bereits Teile des Tempels hergestellt, und die
RSS zusammen mit der VHP haben der Vajpayee-Regierung ein strenges Ultimatum
gesetzt, in dem sie die Zentralregierung auffordern, bis zum 12. März 2002 alle Hindernisse,
die dem Tempelbau im Wege stehen, zu beseitigen. Sollte dieses Ultimatum unbeachtet
bleiben, würden diese beiden zusammen mit der Shiv Sena und Bajrang Dal, mit den
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Bauarbeiten auf dem umstrittenen Grundstück anfangen. Die Safran-Brigade erklärt
kategorisch, dass es keine Verhandlngs-Möglichkeiten in dieser ihnen am meisten am
Herzen liegenden Sache gibt.. Auch wuerden sie ein etwaiges Urteil des Obersten
Gerichtshofes ignorieren. Ich möchte mich nicht aufhalten mit Einzelheiten dieser Bewegung,
die vom Sangh Parivar als „nationalistisch“ und „patriotisch“, und von ihren Gegnern als
„faschistisch“ und „rachsüchtig“ angesehen wird.
Entscheidend ist an dieser Stelle, daß sich die Safran-Familie arrogant herausnimmt, zu tun
was ihr gefällt. Während der zur Zeit machthabende politische Arm, die BJP, von einem
durch Verhandlung herbeigeführten Ausgleich spricht, lehnt sie es gleichzeitig ab, die
kriminellen Spekulationen ihrer Schwester-Organisation zu verdammen. Diese bedroht
weiterhin ungestraft das in der Verfassung verankerte demokratische und legale Gerüst des
Landes. Dies zeugt von einer Doppel- oder gar Tripelzüngigkeit, wie Goebbels es nicht
besser gekonnt hätte. Und wie reagieren die Muslim-Organisationen auf dieses Ultimatum?
Um nur ein Beispiel zu nennen: Zafaryab Zilani, Vorsitzender des Babri MoscheeAktionskomitees, bestätigt, daß Muslime den Bau des Tempels auf dem umstrittenen
Grundstück aufhalten werden, wenn erforderlich mit Gewalt. Auf die herausfordernde Frage,
wie 200 Millionen Muslime eine Sturmtruppe von zweihunderttausend aufhalten könne, war
die Antwort ebenso unheilverkündend:” Zwingen Sie mich nicht, daß zu erklären. Es ist keine
glückliche oder willkommene Entscheidung, aber wir haben keine Alternative. Wenn wir den
Tempelbau auf diesem Grundstück zulassen, wäre die Behauptung falsch, wir seien
gleichberechtigte indische Staatsbürger.” So würde Gewalt auf Gewalt treffen, und mir graut
vor den Konsequenzen. 2.000 Staatsbürger, in der Hauptsache Muslime, fielen den blutigen
Unruhen als Folge der Moscheezerstörung am 6. Dez. 1992 zum Opfer. Wird diese
Schreckensphase wiederholt werden, sollte der Tempel gewaltsam erbaut werden? Meine
qualvolle Angst ist die Angst aller Inder mit gesundem Verstand. Rajinder Puri, einer unserer
beliebtesten Kolumnisten gab dies am 5. Februar 2001 in seinem Kommentar auf die
Herausforderung der VHP-Bajrang Dal zum Ausdruck, indem er schrieb: „ Dies ist eine
Kriegserklärung. Dies ist eine offene Herausforderung des indischen Staates. Nun wird es
nicht genuegen, daß Premierminister Vajpayee sich von dieser Feststellung distanziert. Er
und die BJP müssen sich von der Sangh Parivar distanzieren. Auch nach vier Monaten hat
diese Distanzierung noch nicht stattgefunden, und sie wird auch in Zukunft nicht stattfinden.
Derselbe Vajpayee, der Sätze von sich gab wie „Ich muß zugeben, daß die wachsende
Tendenz zur Intoleranz in unserer Gesellschaft mich zutiefst beunruhigt. Dieser Tendenz
muß Einhalt geboten werden.” Zog es am 1. Januar2001 vor, knapp drei Wochen später,
nicht zu reagieren, als Paramhans Ramchandra Das als Sprecher der VHP-Bajrang Dal-RSS
lauthals erklärte: Ich fordere die indische Regierung heraus. Wenn sie bis zum März 2002
das Grundstück für den Tempelbau nicht übergeben hat, werden wir dasselbe besetzen und
mit der Konstruktion beginnen!”
SCHLUSSFOLGERUNG
(Eine indische Befreiungstheorie)
Was geschehen muß
Durch einen gewaltsamen oder durch Arglist ausgeführten Tempelbau an dieser Stelle
würde Indien leise oder gewaltsam zu einem anderen Land werden. Wir sind gerade Zeugen
eines langsamen politisch-religiösen Putsches. Da das Trachten der Konstruktion des RamaTempels auf der Ruine der zerstörten Moschee unentwirrbar mit dem Traum verbunden ist,
unbestrittene politische Autorität durch den Einsatz religiöser Trümpfe zu erlangen, können
wir es uns nicht leisten, dem ruhig dabei zuzusehen. Mukul Kesavan, ein weiterer
Kommentator, schrieb in glühenden Worten in der Zeitung „The Telegraph“ vom 22. April
2001: „Bei dem umstrittenen Grundstück handelt es sich nicht um den Platz, auf dem einmal
die Babri Moschee stand, sondern um den verfassungsmäßigen Grund, auf dem unsere
Republik aufgebaut ist, diese Republik, die aus dem säkularen Nationalismus unseres
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Freiheitskampfes erblühte. Überdies wird der Rama-Tempel weniger eine religiöse Stätte
sondern ein Symbol für den Hindu-Besitz der indischen Nation sein.” Kesavan vergaß den
Zusatz, daß es sich bei dem betreffenden Hindu-Eigentumsrecht lediglich um eine militante
Sekten-Randgruppe der Hindugesellschaft handelt, nicht mehr als 15-20 %. Als Neville
Chamberlain um des Friedens willen den deutschen Anschluß des Sudetenlandes an das
Reich stillschweigend duldete, verkannte er das Vorspiel für die Eroberung der ganzen Welt
als eine Grenzen-Kontroverse. Ein analoger Fehler in einem anderen Land zu einem
anderen Zeitpunkt sollte nicht gemacht werden.
Zu diesem spezifischen Zeitpunkt hat Indien zweifache Pflichten zu erfüllen: zum Ersten eine
Termin gebundene Pflicht den Muslimen gegenueber, daß ihre schmerzlich verletzten
Gefühle rechtmäßig anerkannt und geheilt werden durch irgend eine mögliche Begleichung
der Moschee-Tempel-Kontroverse. Wenn die Mehrheiten-Gruppe in diesem Aspekt versagt,
wird sich das sozio-politische Ethos der Nation ändern. Zweitens wird es höchste Zeit, daß
wir uns in Indien aus unserer glorreichen Denktradition und Kreativität eine eigene
unerläßliche Befreiungstheologie aufbauen, welche dem ausschließlichen und
sektiererischem Angriff des Hindutva mit einer eigenen erlösenden Weltanschauung
entgegentreten könnte. Unsere Geschichte bietet viele unsterbliche Wegweiser als Hilfe für
die Formulierung dieser Theorie,- viele indische Versionen eines Ernesto Cardenals sind Teil
unserer Vergangenheit und Gegenwart.
In dieser kurzen Schlußfolgerung erwähne ich nur die Höhepunkte dieser aufgeklärten
Tradition, auf die jeder Inder mit Recht stolz sein könnte. Die Upanischaden gehen zurück
bis zu den Jahren 800 vor Christi Geburt. In ihnen ist die reine Essenz der Veden enthalten.
Die Rezitation dieser Upanischaden-Verse lassen ihre große Gedankentiefe erkennen.
Arthur Schopenhauer stellte die Upanischaden über die Philosophie von Giordano Bruno,
Malebranche und Spinoza und beschrieb diese Bleuten aus der Vorzeit als’ Ausgeburt der
höchsten Weisheit’. In einer Upanischade nach der anderen entdeckt man das
hingebungsvolle menschliche Wesen, das um Liebe, Frieden, gutes Einvernehmen und das
Gute betet. Die unvergänglichen Grundweisheiten des Lebens werden hier immer wieder in
einem erhebenden Widerholungskreis geehrt. Eescha Upanischade , an den Schöpfer des
Universums, Gott den Herrn, gerichtet, schließt mit dem Gebet:” Heiliges Licht! Erleuchte
den Weg ,damit wir das Gute, das wir gesät haben, ernten. Du kennst unsere Taten. Laß’
uns nicht unaufrichtig werden, wir, die wir immer wieder vor dir knien und beten „(36). Und
dann der erhabenste Text in diesem Oeuvre, die Brihodaranyaka Upanischade, welche man
als „Grosse Debatte im Walde” übersetzen kann, beginnt mit der Bitte:” Führe uns aus dem
Unwirklichen zu dem Wirklichen! Führe uns aus der Finsternis zum Licht! Führe uns aus dem
Tode in die Unsterblichkeit!”
Die zweite Phase dieses fordernden Glaubens wurde von den großen indischen Mystikern
konstruiert. Sie befürworteten direkte Kommunikation mit dem Schöpfer, das heißt., ohne die
Hilfe von eigennützigen Vermittlern.; sie entlarvten mit kompromißlosem Nachdruck das
Kastensystem und brachten Hindus und Muslime wie Kabir auf eine gemeinsame Plattform
bei ihrer Suche nach einem einzigen Schöpfer. Liest man diese unsterblichen Verse der
Mystiker, wird bewußt, daß sie den feierlichen Ernst der Upanischaden in etwas Warmes und
Greifbares umwandelten; sie erinnern an die christlichen Mystiker, vor allem an den Hl.
Johannes vom Kreuz. Der bengalische Sri Chaitanya (1485-1527) Anführer und Begründer
der egalitären Vaishnava-Bewegung gegen den tyrannischen Brahmanismus; Guru Nanak,
Begründer der reformistischen Sikh-Religion, in der Dogmen des Hinduismus und des Islams
kombiniert sind; Ramanand, ein Brahmane, der seine eigene Kaste aufgab; Farid, ein
Muslim, der die unterscheidenden Merkmale zwischen Hindus und Muslimen tilgte, und ganz
besonders der unvergessliche Kabir, dessen Gebete von keinem geringeren als
Rabindranath Tagore übersetzt wurden, sie alle begründeten diese Tradition von Pietismus,
Hingebung und Toleranz im 15. und 16. Jahrhundert. Indien hat diese glorreiche Tradition
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geerbt, und wenn wir uns das Gebet Guru Nanaks ins Gedächtnis rufen, i.e.:” Der Tempel
und die Moschee sind gleich, die Hindu-Weise der Andacht und das Gebet des Muselmanns
sind sich gleich: alle Menschen sind gleich: sie sind sich alle ähnlich: nur durch einen Irrtum
scheinen sie verschieden zu sein” (38), dann fühlen wir, daß das letzte Wort noch nicht
gesprochen ist.
Der große deutsche Indologe Friedrich Max Mueller schmiedete die feste Verbindung
zwischen dieser mystischen Bhakti- oder Hingebungs-Tradition und der dritten Phase,
dargelegt von den großen Denkern der bengalischen Renaissance, vor allem Raja
Rammohan Roy, Keshabchandra Sen u.a. Der Begründer und das Leitlicht dieser
Renaissance des 19. Jahrhunderts, Rammohan Roy, war ein außergewöhnlich vielseitiger
Gelehrter, der die Essenz der eigenen Tradition, vor allem der Upanischaden, mit dem
Wesentlichen des Christentums und des Islams zu einer neuen Glaubensrichtung
verschmolz, der Brahma Samaj. Ihre Anhänger glauben allein an den göttlichen Geist .Wie
zu erwarten war, schrieb er glänzende Kommentare zu den Upanischaden, aber gleichzeitig
auch Schriften auf Arabisch und Persisch, in denen er die gemeinsame Essenz aller
Religionen hervorhob und seine Schrift mit dem Aufruf endete:” Möge dem universellen
Menschen Friede geschenkt werden.” 1980 veröffentlichte er sein berühmtes Werk „ Die
Lehre Jesu, der Leitfaden zu Friede und Glück.”
In der Tat führt uns diese weite und offene Vision der Bengalischen Renaissance zur vierten
Etappe unsere Suche, die ihren strahlenden Ausdruck in Glaube und Praxis der beiden
größten Inder der Moderne erhielt, Mahatma Gandhi und Rabindranath Tagore. Jede
indische Befreiungstheorie sollte Essenz und Starke diesen zwei Figuren entnehmen, die
den Beweis erbrachten, daß sogar die Welt der Politik mit dem Geist kooperativer Toleranz
erfüllt sein kann. Gandhi erklaerte mit entwaffnender Schlichtheit, seine Politik sei untrennbar
von seiner Religion, – mit ‘Religion’ meinte er seinen Glauben an grundlegende Werte, auf
der Harmonie des Humanismus basierend. Tagore beschwor seine Religion oder Ethik mit
der Darlegung seiner These in dem Klassiker „ Die Religion des Menschen”. Beide betonten
gleichzeitig die Unverletzlichkeit des Menschen als Teil des Göttlichen.
Gandhi, von seinem hartnäckigem politischem Gegner Mohammed Ali Jinnah, dem
Begründer Pakistans, als großer Hindu beschrieben, sprach täglich das Gebet von Kardinal
Newman „ Lead, kindly light, amidst the encircling gloom’ (Führe mich, o gütiges Licht,
inmitten der mich umgebenden Finsternis”; täglich sagte er die Namen Allah und Iswar
(Hindu Anrede für Gott). in einem Atemzuge und züchtigte die Entweihungen heiliger Orte
mit folgenden Worten:” Diejenigen, die die Moschee entweihen, sind Teufel und keine
Menschen, denn Moscheen, Tempel, Kirchen sind alle Gotteshäuser. Ich bin heute zu euch
gekommen, um euch meinen Kummer zu übermitteln. Vielleicht lächelt ihr und denkt, daß
das, was geschehen ist, gut war. Aber ich behaupte, das dies starke Ungerechtigkeit ist, ich
bin sehr bekümmert, wenn ich höre, daß Muslime einen Tempel entweiht haben. Sollte ich
Vergeltung üben, indem ich eine Moschee beschädige? Wie kann solch ein Schaden den
Tempel erhalten oder der Hindu Religion zugute kommen?”
Rabindranath Tagore, der die Geburt Christi mit den rührenden Liedern begrüßte wie
„Welches Licht bringst du in diese Welt mit all deinem Glanz!“, verschrieb sich den
unsterblichen Lehren der Upanischaden und der mystischen Tradition Chataniyas und
Kabirs. Er trug die Hoffnung in sich, die in diesem Zitat zum Ausdruck kommt: „ Ich lebe
heute in der Hoffnung, daß der Retter kommt, daß er inmitten dieser beschämenden Armut,
die Indien ist, geboren wird…. Ich blicke auf die vergangenen Jahre zurück und sehe die
zerfallenden Ruinen einer stolzen Zivilisation darniederliegen als Abfallhaufen aus der
Geschichte! Und doch werde ich nicht die schwere Sünde begehen und den Glauben an die
Menschheit verlieren, ihre gegenwärtige Niederlage als endgültig zu akzeptieren. Ich blicke
vorwärts auf einen Wendepunkt in der Geschichte, wenn die verheerende Umwälzung
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
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vorüber ist, und der Himmel ist wieder unbelastet und leidenschaftslos.” Deren befreiender
Glaube gewährleistet, daß das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, daß erlösender
Humanismus im Kampf gegen Sektentum und Bigotterie triumphieren wird.
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