Informationen für die Mitglieder und Freunde der Deutsch

Werbung
Deutsch-Japanische Gesellschaft Baden-Württemberg e.V.
バーデンヴュルテンベルク州独日協会
Bambusblätter
Informationen für die Mitglieder und Freunde der Deutsch-Japanischen
Gesellschaft BW e.V.
Februar 2011
Liebe Mitglieder, liebe Japanfreunde,
wir begrüßen Sie herzlich zur Februar 2011 Ausgabe der Bambusblätter. Das Jahr 2011 ist
nicht nur das Jahr des Hasen (siehe unten) sondern auch ein Jubiläumsjahr. Seit 150 Jahren
bestehen diplomatische Beziehungen zwischen Japan und Deutschland, also seit 1861. Das
ist ein Grund zum Feiern. Damals gab es das zweite deutsche Kaiserreich noch gar nicht,
Preußen hatte die Initiative ergriffen. Die diplomatische Mission unter der Leitung des Grafen
Eulenburg stand unter keinem glücklichen Stern. Von den drei Schiffen, die aus der Ostsee
1858 losgeschickt wurden, erreichten nur zwei das Ziel, das dritte ging mit Mann und Maus in
einem Taifun unter. Dann verzögerten sich auch noch die Verhandlungen, weil der
Dolmetscher ermordet worden war. Der Vertrag, der mit der Shogunats - Regierung
abgeschlossen wurde, zählte zu den berüchtigten „Ungleichen Verträgen“. Doch der
Gegenbesuch der japanischen Regierungsdelegation in Berlin 1863 galt als glänzendes
Ereignis. Seitdem waren die deutsch-japanischen Beziehungen meist freundschaftlich. Ein
Grund mehr zum Feiern. Die erste der von der DJG-BW vorgesehenen Festveranstaltungen
hat bereits am 8.12.2010 im Linden-Museum stattgefunden (siehe unten). Weitere werden die
Aufführung des Ensembles „Byakko Gekidan“ im Wilhelma – Theater sein und der Auftritt
eines Chores von Zen-Priestern im Mozartsaal des Kultur -und Kongress-Zentrums Stuttgart.
Doch nicht nur Veranstaltungen zum Hingehen und Zuhören will die DJG-BW bieten, sie hat
zwei Projekte aufgegriffen, die nicht nur vorübergehende Wirkung haben sollen. Erstens die
Erneuerung der Gedächtnistafel für Erwin Bälz an seinem letzten Wohnhaus in Stuttgart und
zweitens die Erneuerung des in die Jahre gekommenen japanischen Gartens, der der Stadt
Stuttgart anlässlich der IGA 93 geschenkt worden war (siehe unten).
Wir hoffen auch mit den übrigen Themen dieser Ausgabe der Bambusblätter Ihr Interesse und
Anteilnahme gefunden zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Dieter Laumeyer
für den Vorstand der DJG- BW e.V.
1
Inhalt
Seite
Titel
02: Aus dem Leben der DJG-BW
04: Japaner denken anders
12: Auf dem Pilgerweg von Shikoku
13: Beziehungen zwischen Kūkai und der Stadt Stuttgart
14: Kyogen, das japanische komische Theater
15: Shinnenkai zum Jahr des Hasen
15: Musikalische Reise
23: Festvortrag: Baden-Württemberger in Japan
24: Yoshino, Ort der Kirschblütenschau und prägender Ereignisse
49: Mitteilungen
50: Anzeigen
Aus dem Leben der DJG-BW
Europäer sehen bekanntlich einen Mann im Mond, Japaner sehen Hasen. Anlässlich seines
Grußwortes zum Schinnenkai des Jahres des Hasen hat der Präsident der DJG-BW Dr.
Laumeyer, eine Geschichte vorgetragen, die erzählt, wie die Hasen in den Mond kamen.
Zum Jahr des Hasen
Selbst wenn Sie die Geschichte kennen sollten, sie wird immer wieder gerne gehört. Der
shintoiastische Gott der Jäger war ein wilder Geselle, der jedes Jahr ein Opfer der Jäger für
sich selbst verlangte. Insbesondere der Fuchs (jap. Inari) wußte ihn mit Beutestücken zu
beeindrucken, weshalb es bis heute viele Schreine im Lande gibt, die “Inari” in ihrem Namen
führen. Als der Hase zu einer Opfergabe aufgefordert wurde, konnte er den Gott nur um
Nachsicht bitten: “Ich bin friedlich veranlagt, jagen kann und mag ich nicht, nimm mich
selbst zum Opfer.” Der gemütsharte Gott liess sich davon bewegen. “Du hast mir die
wertvollste Beute angeboten, dich selbst. Deshalb werde ich dein Bild in den Mond befördern,
damit es allen ein ständiges Vorbild sei.”
2
In der letzten Ausgabe der Bambusblätter waren die Mitglieder und Freunde der DJG-BW
angeregt worden, sich im Dichten von Haikus zu versuchen. Dieser Stimulus hat Wirkung
gezeigt. Sehen Sie selbst:
Regen fällt auf Schnee
Nebel rutscht den Hang runter
Schau, da blitzt das Eis
Verena Grosse
Traurigkeit, die augenblicklich verschwindet. Das entsprach genau der Wetterlage, die wir
gerade durchlebt haben. Mir ist etwas Ähnliches eingefallen, als ich einen Gemüsegarten
betrat, dessen Wegecken und - Kanten durch farbenprächtige Blumen abgegrenzt waren:
Blumen im Garten
Monotonie durchbrochen
Freude im Herzen
Das Leserecho regt dazu an, unsere Haiku – Ecke fortzusetzen. Schicken Sie Ihre eigenen
Haikus ein oder übersetzen deutschsprachige ins Japanische und umgekehrt, sobald wir
japanische haben.
Was die Projekte “Erwin Bälz Erinnerungstafel” und “Erneuerung des japanischen Gartens”
angeht, so hat sich seit sie von der DJG-BW aufgegriffen wurden, einiges gewissermassen
hinter den Kulissen getan. Doch es sollen Projekte aller hiesigen Freunde der deutschjapanischen Kultur sein, deshalb berichten wir hier über den Stand der Angelegenheiten:
Die “Erwin Bälz Erinnerungstafel” hatte nach der Ankündigung des Projektes einige Fragen
aufgeworfen. Wer kommt für die Kosten auf, wenn die neu aufgestellte Tafel mit Grafittis
besprüht wird?”; “Muss die Anbringung der Tafel ins Grundbuch eingetragen werden?”; “Ist
die Tafel nicht besser im Linden-Museum anzubringen?”. Diese Fragen sind inzwischen
geklärt. Im Linden-Museum gibt es bereits Erinnerungstafeln der Stifter, Erwin Bälz nimmt
einen prominenten Platz ein. Der Eintrag ins Grundbuch kostet etwa 100Euro, also keinen
besonders hohen Betrag. Frau Dr. Germann ist dabei ihre Idee der Finanzierung zu realisieren,
d.h. sie kommentiert die 12 Reiseberichte des Erwin Bälz, die er damals in der führenden
Stuttgarter Zeitung veröffentlicht hatte und bringt sie in Buchform, dessen Verkaufserlös die
Erinnerungstafel finanzieren soll. Verhandlungen mit Verlagen einereits und mit den
Hauseigentümern andererseits sind im Gange und eröffnen einen Ausblick auf Gelingen des
Vorhabens.
Die “Erneuerung des japanischen Gartens” hat insofern Fortschritte gemacht, als unser
Mitglied Prof. Dr. Detlef Vogt mit dem Gartenbauamt gesprochen hat. Daraufhin ist der
Garten von freiwilligen Helfern der DJG-BW gesäubert worden, so dass nun ein
Kostenvoranschlag für die Sanierung erstellt werden kann. Dieser wird Grundlage sein für die
Acquistion von Sponsoren. Der Garten befindet sich im Gelände der Villa Berg. Die Helfer
sind von den Parkbesuchern freundlich begrüßt worden bis zu spontaner Unterstützung ihrer
Arbeit. Was wohl auch am herbstlichen Charm des Gartens lag, der trotz seiner Verwilderung
immer noch empfunden wird.
Die beiden Veranstaltungen “Japaner denken anders” und “Pilgerreise in Shikoku” im
Bürgerzentrum Stuttgart-West waren raumfüllend besucht. Einer Erscheinung, die wir seit
einiger Zeit bei Vortragsveranstaltungen mit Konstanz und mit Freude beobachten können
(siehe unten). Die Kyogen–Veranstaltung im Linden-Museum, als erster Beitrag der DJGBW zum 150 jährigen Bestehen der deutsch/japanischen Beziehungen, muss nicht nur wegen
des gefüllten Saales als Erfolg betrachtet werden, sondern auch weil die Kyogen-Künstler das
Publikum zum Mitmachen und zu herzhaftem Lachen animiert haben und selber herzlich
Freude an der Veranstaltung hatten.
3
Schließlich schliesst der Berichtszeitraum dieser Bambusblätter die Feier zum Beginn des
neuen Jahres ein.
In vielerlei Hinsicht war Shinnenkai 2011 ein Fest. Das Angebot an Musik, Vortrag und
geselligem Beisammensein hatte viele Gäste angelockt; der Wannersaal des Linden-Museums
war voll besetzt. Wer den Saal betrat, sah eine Bühne voll mit Musik - Instrumenten und eine
gastlich vorbereitete Empore.
Neben den Grußworten des japanischen Generalkonsules Herrn KOSUGE und unseres
Ehrenvorsitzenden Herrn Prof. LEIBINGER hat Fr. Dr. Werlich vom Linden-Museum diese
Veranstaltung als gelungenen Auftakt auch für das Jubiläum „100 Jahre Linden-Museum“
bezeichnet.
Vom Trommelintro, über das kommentierte Kurz-Konzert bis hin zum Vortrag und dem
Abschluss-Trommeln hat ein weiter Bogen deutsch-japanischen Kennenlernens das Interesse
des Publikums gefunden und diesem einen bislang einmalig schönen Abend beschehrt.
Deshalb ein grosses Kompliment und Dankeschön an alle die vorgetragen hatten.
Die Damen Allgaier vom Restaurant "tokio dining", Sick-Pannen von der Fa. BÜRGER (
Maultaschen..) und Frau Worms von der Stuttgarter Ikebana - Schule haben zum festlichen
Rahmen das Ihre beigetragen.
Besonders anerkennenswert ist die Leistung der beiden Projektleiter, der Herren Andris und
Müller. Aber damit nicht genug, viele fleissige Hände haben den Musikalien-Transport, die
Kasse und die Essens- und Getränkeausgabe erst möglich gemacht. Dabei waren mehrere
junge Leute, die wiederholt geholfen hatten ohne Mitglied der DJG zu sein. Einige junge
Damen hatten sogar angefragt, ob sie wieder helfen dürfen! Allen sagen wir ein herzliches
Dankeschön, domo arigato gozaimasu.
Aber auch einige Sach-und Geldspenden für die Veranstaltung sind eingegangen. Auch dafür
vielen Dank.
Der Erfolg dieses Festes gibt uns Zuversicht das anspruchsvolle Programm des
Jubiläumsjahres 2011 bewältigen zu können. Insbesondere wenn sich noch aktive Mitstreiter
melden werden.
Zur Vortragsveranstaltung am Fr. den 8.10.2010 im Bürgerzentrum Stuttgart-West
Japaner denken anders
Winfried Schneider, ehem. Geschäftsführer der DJG-BW
Einblicke in die japanische Seele
Mit einem freundlichen Lächeln verbeugt sich Kawano-san vor dem gaijin – dem Fremden.
Höflich überreicht er seine Visitenkarte mit beiden Händen und leise fügt er hinzu : „Toyota“.
Das ist zwar nicht sein Name, kennzeichnet aber die Zugehörigkeit zu seiner Firma.
Lächelnd, förmlich und zurückhaltend nehmen Japaner Kontakt auf. Laut, schulterklopfend,
ich-bezogen und dabei noch witzig-verbindlich – das ist wohl eher eine Möglichkeit für Westler.
Solche Unterschiede in der Beziehungsaufnahme zwischen Menschen haben Gründe. Verschiedene Verhaltensweisen sind meist durch andersartige Lebensgrundlagen geprägt. Auf
Grund von Gegebenheiten der natürlichen Umwelt entwickelt sich sodann auf ökonomischen
Überlebenspfeilern eine angepasste Gesellschaftsordnung bis hinein in das persönliche
Menschsein durch Tradition und Erziehung.
Japaner empfinden ganzheitlich
4
Natur und Klima sind Bestimmungsfaktoren des Lebens. Vulkanismus und Erdbeben, Seebeben mit riesigen Tsunami-Flutwellen, tropische Taifune an der Pazifikküste und schwere
Schneefälle am Japanischen Meer prägen von Anbeginn die Japaner. Den Anbau- und
Siedlungsmöglichkeiten sind enge Grenzen gesetzt durch kaum nutzbare steile Vulkanberge,
enge Täler und schmale Küstenstreifen. Die Menschen stehen der Gewalt der Natur duldend
gegenüber. Sie fügen sich den unberechenbaren Zufällen ohne Chance zur Formung der Natur
wie im klimatisch begünstigten Mitteleuropa. Die allgegenwärtige Natur ist göttlich, sie steht
außerhalb des Ich. Die animistischen Götterbindungen im Shintoismus und der taoistische
Grundgedanke des yin-yang – Prinzips haben hier ihre Wurzeln.
Die Japaner waren von Siedlungsbeginn an sesshaft und lebten vom Ackerbau – ganz im Gegensatz zu den Jäger- und Wandervölkern des Westens. Flurregulierungen und Wasserbautechniken zwangen zu gemeinsamem Handeln.
Mit der Natur zu leben und Katastrophen zu meistern sowie die eng begrenzten Anbauflächen von Nassreis und den Fischfang zu nutzen, ist ohne Kooperationsbereitschaft nicht denkbar. Gemeinsames Handeln und kompromissbereite Absprachen sind Kennzeichen der Gruppenkonformität. Die Loyalität zur Gruppe zählt mehr als individuelles Durchsetzungsvermögen. Nur gemeinschaftliches Denken sichert das Überleben.
Die Verbindung zwischen den Göttern und den Menschen, zwischen wechselseitigem Geben
und Empfangen – auch im zwischenmenschlichen Bereich – findet ihre Entsprechung in gesellschaftlichen Strukturen. Im unendlichen Kreislauf der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen göttlicher Natur und menschlichem Wirken wird jedoch das menschliche Eigenstreben
- bedingt durch seine Endlichkeit – zum Unsicherheitsfaktor für die Erhaltung der Harmonie
zwischen oben und unten.
Konfuzius entwarf daher eine Morallehre, die das harmonische Fließen auch zwischen den
Menschen sichert. So entstand ein hierarchisches Gesellschaftssystem, das bis heute alle ostasiatischen , eben die konfuzianischen Kulturen prägt. Erst eine sittliche Ordnung hält das
Weltgesetz des Tao ohne Gegenpole durch kreisendes Ineinanderfließen im Gleichgewicht.
Fünf soziale Grundbeziehungen zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Vater und Sohn,
zwischen Mann und Frau, zwischen älterem und jüngerem Bruder und zwischen zwei Freunden sichern die Ordnung zur Erhaltung der Harmonie.
Eine interessante Variante zum ganzheitlichen Denken ergibt sich aus der physiologischen
Hirnforschung. T. Tsunoda verglich die beiden Hirnhälften von Japanern und Westlern
funktional. Bekannt ist, dass die linke Hemisphäre analytisch-logisch und die rechte synthetisch-intuitiv verarbeitet. Neurophysiologen stimmen überein, dass verbale und rechnerische
Funktionen linkshälftig und nicht-verbale – wie musikalische, bildhafte oder geometrische
Wahrnehmungen rechtshälftig assoziiert werden. Über Apoplexie-Forschungen fand Tsunoda
jedoch Unterschiede zwischen japanischen und westlichen Hirnmustern. Danach zeigt sich
eine Kombination zwischen links-verarbeiteten Konsonanten und rechts-verarbeiteten Vokalen in westlichen Gehirnen, aber eine ganzheitliche Sprachverarbeitung in der linken Hemisphäre der Japaner. Deren rechte Seite wird jedoch ständig stimuliert und genutzt durch
bildhafte Wortbedeutungen der chinesischen Kanji-Schriftzeichen. Auch instrumentale westliche Musik aktiviert die rechte Hirn-Hemisphäre.
Während also japanische Gehirne übergreifend und ausgewogen beide Hälften nutzen, scheint
die rechte Hälfte westlicher Gehirne durch analytisch überlastete linke Suppressorfelder unterdrückt zu werden. Diese Annahme könnte der Tiefenpsychologe C.G.Jung unterstützen: Im
kollektiven Unbewussten sind symbolische Bilder als Archetypen gespeichert, wofür die
rechte Hälfte zuständig ist. Doch mit dem „Bildersturm“ durch die Reformation – einherge5
hend mit der dogmatischen Formulierung des ehemalig bildhaften Unbewussten – ist wohl
eine Sinnentleerung mit Aufgabenverlust für westliche Rechts-Hälften eingetreten. Märchen
und Mythen, Musik und Kunst würden bei uns die Äquivalenz zwischen links und rechts
wieder beleben. Musische und gestalterische Erziehung könnten die bildhafte Phantasie
wieder befruchten. Kanji- und Tuschübungen, jahreszeitliche Haiku-Dichtungen, OrigamiFalten, Vorlese-Kurse, Chor- und Instrumentalunterricht und besonders team-Sport zur Koordination von Körper, Geist und Seele fördern in Japan beide Seiten der Hirnaktivität.
Harmonie bedingt das Lebensprinzip
Die Einbettung der Japaner in ihre natürlichen, religiösen, ökonomischen und gesellschaftlichen Grundlagen setzt sich fort über Traditionen. Traditionen werden durch Erziehung vermittelt. Erziehung findet im Bereich der Mutter statt.
In Japan kann man durchaus von einer matriarchalischen Erziehung sprechen. Kleinkinder
sind immer bei der Mutter. Sie werden traditionell in einem Sitztuch auch bei der Arbeit auf
dem Rücken getragen und nicht schon als Säugling fern von der Mutter in den Kinderwagen
gesetzt. Sie werden mehrere Monate gestillt, obwohl die „moderne“ Milchflasche auch in
Japan immer mehr die natürliche Ernährung verdrängt. Bis zum Kindergartenalter genießen
sie jegliche Freiheiten im Schutz der Familie. Bei unkontrollierten Ausbrüchen, wie Schreien,
werden die Kleinen zwar von der Gemeinschaft isoliert, doch die Mutter bleibt beim Kind bis
zur Beruhigung mit den Worten: Wenn du das tust, lachen dich doch die anderen aus! Statt
Bestrafung durch Liebesentzug erhalten die kleinen Japaner eine Lektion durch Beschämung.
Doch auch wie im Westen geht die Erziehungskraft durch neue Sozialformen immer mehr
verloren.
Ein beschützender Kontakt erfüllt natürlich alle Bedürfnisse, doch eine eigene kreative Stimulierung bleibt dabei aus. Allgemein findet eine erste Sozialisierung durch Gewähren lassen
ohne Forderungen statt, wobei die japanische Mutter ihre Kinder als von ihr selbst geschaffene Wesen betrachtet und als „Göttin“ das Leben ihrer Kinder beschützt – im Gegensatz zu
von Gott geschaffenen Individuen mit eigener Persönlichkeit. Hinzu kommt die Lebensweise
einer japanischen Familie, die von häufiger Abwesenheit des Vaters geprägt ist und zur Projizierung der mütterlichen Hoffnungen auf den Sohn beiträgt.
Die sanfte Erziehung hat häufig eine Ich-Schwäche zur Folge und zeitigt im späteren Leben
ein oft passives Verhalten gegenüber Autoritäten. Ein Japaner ist dann bestrebt, Konflikten
aus dem Weg zu gehen. Unabhängigkeit, Alleinsein, Selbstbehauptung und Eigeninitiative
sind europäische Erziehungs- und Verhaltenswerte, die das Ich-Bewusstsein schon frühzeitig
durch Erkämpfen der Position unter Gleichaltrigen fordern, aber dadurch auch die in ganz
Asien verpönte Aggressions- und Ego-Mentalität fördern.
Konformes Verhalten ist also schon über die Kindheit vorgeprägt. Das weitere Leben ist von
daher mit dem psychologischen Begriff amae verbunden. Amae kann übersetzt werden mit
passivem Anlehnungs- oder Liebesbedürfnis. Die Sehnsucht nach Mutterstrukturen führt zu
Bindungen an beschützende Gruppen, wie zur Firma, zur Universität oder zu Clubs und Männerbünden. Selbst in der Sprache drückt sich diese Sehnsucht aus. Nach der förmlichen Vorstellung wird stets der Nachsatz „dozo yoroshiku – ich bitte um Ihr Wohlwollen“ – angefügt.
Solche bereits in der Kindheit internalisierte Sozialformen erstrecken sich als Schutzfunktion
auf viele Bereiche des Lebens. Man spricht dabei von einem oyabun- kobun – Verhältnis, das
die Über- und Unterordnung zwischen dem Führer und anderen Mitgliedern der Gruppe regelt. Oya ist die rituelle elterliche Autorität und ko ist das rituelle Kind in Abhängigkeits-Verhältnissen ,wie zwischen Abteilungsleiter und Untergebenen, älteren und jüngeren Schülern,
Professoren und Studenten oder Vorgesetzten und Arbeitern. Diese gegenseitige Abhängigkeit beinhaltet auf der oya-Seite finanzielle aber auch persönliche Fürsorge bis hin zur Hilfe
6
bei Heiratsvermittlungen oder Firmenvermittlungen für graduierte Studenten. Die ko-Seite
verpflichtet sich zur Einbringung von Dienstleistungen und zu loyalem Verhalten. Dieser hohe Grad von Solidarität führt zur Harmonie, die zusätzlich verstärkt wird durch gemeinsame
Feiern oder Kneipenbesuche nach der Arbeit. Die Gruppe in der Firma verhält sich wie eine
Familie – oft zum Leidwesen der eigenen Familie mit einsamen Ehefrauen und quasi vaterlosen Kindern.
Die traditionellen Sozialnormen wirken bis in die individuelle Seele der Japaner hinein. Die
gesellschaftlich-sozialen Verpflichtungen zwischen Mensch und Mensch – giri – und die
menschlich-sympathischen Gefühle – ninjo – widerstreiten oft. Pflichtbehaftetes Ehrbewusstsein bewahrt aber vor Gesichtsverlust. „Das Gesicht verlieren“ bedeutet praktisch einen Ausschluss aus der Gemeinschaft. Die Verpflichtung zu giri beginnt mit geregelten Besuchen, die
mit Geschenken bestätigt werden. Leistung und Gegenleistung bestimmen den Wert, die Art
der Verpackung und den richtigen Zeitpunkt zur Übergabe. Hierdurch hat sich in Japan eine
wahre Geschenkkultur entwickelt. In Kaufhäusern gibt es Geschenkabteilungen, die abgestufte giri-Geschenke anbieten, die dann oftmals als solche zu erkennen sind und unausgepackt
bei nächster Gelegenheit weiter gereicht werden. Und o-miage- Geschenke – als Mitbringsel
von Reisen an alle – sind selbstverständlich. Auch der gaijin – der Außenmensch außerhalb
der Gruppe – sollte bei ersten Kontaktaufnahmen und bei häufigen Besuchen zur Bestätigung
der persönlichen Bindungen die Hälfte seines Koffers mit Geschenken für jede einzelne Begegnung füllen. Bei solchen Gelegenheiten kann auch ein gaijin die Grenzen zwischen uchi
und soto – zwischen Innen und Außen – durchbrechen, allerdings nur in der dritten Stufe. Die
erste Stufe bleibt der familiären und nachbarschaftlichen Gemeinschaft vorbehalten, die
zweite der Firmengruppe und die dritte allen weiteren äußeren Verbindungen.
Der Japaner stellt sein eigenes Ich immer in eine zwischenmenschliche Beziehung. Dem Anderen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten beherrscht sein Gefühl. Er nimmt sich selbst zurück bis hin zur verschwiegenen Wahrheit, um andere nicht zu verletzen. Dieses Verhalten
entspricht den Begriffen von tatemae und honne – einer sich situativ anbietenden Vor-Stellung und der eingestandenen Wahrheit – also zwischen einem angepassten Verhalten nach
außen und dem wahren innerlichen Empfinden. So ist es durchaus möglich, dass ein WegUnkundiger auf die unbedachte Frage: „Geht`s dort zum Bahnhof?“ eine bejahende Antwort
erhält, obwohl das gar nicht der Faall ist. Schließlich will man den Fremden in seiner Überzeugung nicht beschämen. Erst die Frage: “Wo geht`s zum Bahnhof?“ hätte zu einer richtigen Antwort geführt. Direkt „nein“ zu sagen ist dem Japaner ein Gräuel. Damit verletzt man
nur. Doch selbst ein höfliches „Ja“ kann oft nur bedeuten, dass man zugehört hat – mehr
nicht. Aber diese Verhaltensweisen sind auch bei uns hinreichend bekannt: Denken wir nur
an Politiker und deren Wahlversprechen.
Das seelische Empfinden der Japaner ist geprägt durch eine Scham-Kultur als Reaktion auf
gefürchtete Kritik anderer Menschen. Der Westen hat Schuld eingesetzt, die moralische Gewissenswerte über ein christliches Sündenbewusstsein kontrolliert.
Eine homogene Gesellschaft mit geschichtlicher Identität schafft Gruppenbewusstsein über
die Einbindung in das ie – das Haus der Familie. Schon die Gebäudestrukturen aus südostasiatischem Einfluss und die japanische Wohnweise sagen viel über die mitmenschlichen
Beziehungen aus. Bewegliche Schiebewände im Inneren wie auch nach außen sehen keine
Trennung innerhalb der Familie und zu den Nachbarn vor. Räumliche Rückzugsmöglichkeiten gibt es kaum. Das tägliche Leben ist in die Familie eingebunden. Hierdurch entwickelt
sich eine starke Solidarität über das Bewusstsein eines gemeinsamen Schicksals. Selbst der
koban-Polizeiposten in jedem Wohnviertel erfüllt seine Gruppen-verbindenden Schutz-Auf7
gaben durch häufige Besuche bei den Familien als willkommener Freund und Helfer.
Die Gruppenbindung durch offene Kommunikation lässt selten einen Rückzug auf sich selbst
zu. Die Individualität des Einzelnen in der Familie muss zurücktreten oder unterdrückt werden. Ein Weg zu sich selbst scheint die äußerliche Hervorhebung von kleinen persönlichen
Dingen zu sein, wie der Mode-Status von Versace- oder Vuitton-Accessoires bei der Jugend.
Größerer persönlicher Besitz hingegen wird selbstverständlich nicht zur Schau gestellt.
Der innerliche Rückzug auf ein abgeschlossenes Selbst drückt sich in einer melancholischen
Grundhaltung aus. Ordnung, Korrektheit und Pflichtgefühl überlagern die Sehnsucht nach
einem freien Glücksgefühl. Das Empfinden der Einsamkeit und Sehnsucht wird symbolisiert
durch die typisch japanischen Begriffe sabi und wabi – ehrwürdige Schlichtheit und vergängliche Sehnsucht. Ein Gefühl für die Einfachheit der Dinge und das Verlorensein des Menschen charakterisieren das Seelenleben der Japaner. Positiviert wird diese Gefühlshaltung im
Ausdruck des Lebensstils, der von Anspruchslosigkeit, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung
und Zurückhaltung geprägt ist. Im Einklang mit der Natur und sich Gefühlen überlassend haben die Japaner eine ästhetisch-harmonische Verbindung zwischen Natur und Mensch entwickelt, die nicht nur in der Teezeremonie, der Kirschblüten-Schau oder der Mondbetrachtung ihren Ausdruck findet, sondern auch in der klassischen Architektur, in der Kunst und besonders in der Haiku-Dichtung.
Ki fließt zwischen Mensch und Mensch
Die Lebensenergie – ki – ist nach östlicher Auffassung das energetisch Fließende zwischen
den Göttern, der Erde und den zwischengebundenen Menschen. Ki ist die Luft im Ursprung
des Weltalls. Durch Einatmen wird ki zur Lebenskraft des Menschen, also mit der Psyche
identifiziert. So füllt ki das Zwischen von Himmel und Erde aus aber auch zwischen Leib und
Herz und schließlich zwischen Mensch und Mensch in seinen sozialen Beziehungen.
Soziale Beziehungen sind psychisch geprägt. Wenn ki störungsfrei fließt, ist die Harmonie
gesichert. Das erklärt die Wichtigkeit von kimochi – des Gefühls, also des ki-Habens – bei
jeder ersten Begegnung zwischen zwei Menschen. Bevor man sich auf einen anderen persönlich wie geschäftlich einlässt, muss zuerst ein abtastendes kimochi geschaffen werden. Europäer sind regelmäßig überrascht, wenn sie statt zielgerichteter sachlicher Verhandlungen zunächst zu einer Party im Restaurant eingeladen werden. Hier entwickelt sich die emotionale
Würdigkeit als Basis zu vertrauensvoller Zusammenarbeit. Nicht sachliche Gespräche stehen
im Vordergrund sondern die Bereitschaft zur Empathie, auch bei Aufforderung zu karaoke.
Bei solchen kimochi-Gesprächen sind gar keine sachlich-richtigen sondern situativ-richtige
Antworten geschätzt. Auflockernde Witze führen eher zum Rückzug. Lautes Reden erzeugt
Unbehagen. Gar streitbares Verhalten ist schlicht ein Zeichen schlechter Erziehung, das einfach nur lächelnd ertragen wird. Wenn bei dieser unumgänglichen Gelegenheit ein einvernehmliches kimochi geschaffen werden konnte, dann sind die Grundlagen für weitere Kontakte und Verhandlungen geebnet. Bei einem zweiten Treffen wird ein nächst höherer Vertreter der Entscheidungsgruppe dabei sein.
Die gefühlsmäßige Übereinstimmung bestimmt das Miteinander zwischen Mensch und
Mensch. Statt egoistischer Selbstverwirklichung, die die Harmonie stören würde, fühlen sich
die Japaner im uniformen Konservativismus gebunden, der erst im Konsens mit der Gruppe
Sicherheit ergibt. Sympathie und Empathie müssen zusammenfließen.
Das Selbstwertgefühl ist also von anderen Menschen abhängig. Wichtig ist Japanern, was andere über sie denken. Eine latente Verletzungsvorstellung gegenüber anderen ist sicher auch
ein Merkmal der viel gerühmten Höflichkeit der Japaner, die im lächelnden und zurückhaltenden Wesen ihren Ausdruck findet. Seine eigenen Gefühle zeigt man nicht – auch bei traurigen
Anlässen. Die Körpersprache mit ehrerbietigen aber Abstand nehmenden Verbeugungen, die
8
häufige Vermeidung eines als bedrohlich empfundenen Blickkontakts bis zur verbalen Kommunikation über ausgewählte Sprachformeln – unter Hintanstellung des eigenen Subjekts –
signalisieren neben angenehmer Freundlichkeit aber auch eine fehlende Bereitschaft zu einer
gesunden Aggression.
Natürlich leiden Japaner als Individuum auch darunter. Außerhalb ihrer Beziehungsgruppen
zeigen Japaner bei störenden sozialen Befindlichkeiten ihre Nichtbeachtung. Wer nicht in
die homogene Gesellschaft passt, wie Asoziale, Atombombenopfer, Arbeits- und Obdachlose
oder Asylanten, Fremdarbeiter und selbst längst eingemeindete Koreaner aus der früheren Besatzungszeit gilt als burakumin – als Mensch einer diskriminierten Minderheit, der oft in abgegrenzten buraku-Wohnsiedlungen untergebracht ist. Geschichtlich gelten die heutigen burakumin als Nachfahren des untersten Sozialranges der Eta, der im buddhistischen Sinn „unreinen“ Tier-und Lederverarbeiter.
Abgesehen von dieser Abgrenzung von Außenseitern können negative Gefühle aber schon
einmal zu lautstarken Auseinandersetzungen innerhalb der Familie führen, sofern es die hellhörigen Außenwände zulassen. Doch meist werden Aggressionen „in sich hinein gefressen“
und richten sich nach innen gegenüber sich selbst. Seppuku – bei uns als harakiri bekannt –
war oft die einzige Möglichkeit, seinen vermeintlichen Ehrverlust durch den Selbsttod kompensieren zu können. Heute drückt sich unertragbarer Kummer eher im karoshi aus, dem
plötzlichen Tod durch Überarbeitung.
Die japanische Seele hat also oft keine Ausdrucksmöglichkeit zur Selbstbehauptung. Die
Furcht vor bestimmten zwischenmenschlichen Situationen und die Wahrnehmung des Selbst
über die Reaktion von anderen Menschen kann durch Überanpassung zu neurotischen Sozialphobien führen, die im Westen über ein selbstbehauptendes Ich aufgefangen werden, das
jedoch bei Konflikten sehr schnell zur Isolierung führen kann, vor der sich Japaner zu
Recht fürchten.
B.Kimura, ein japanischer Psychiater, zeigt hierzu typisch japanische Formen von Phobien
auf, die auf Störungen des energetischen ki-Flusses zwischen Mensch und Mensch beruhen.
Da das Charakteristikum von Sozialphobien in einer fehlenden Wertschätzung durch sich
selbst bei einer empfundenen negativen Einschätzung durch andere besteht, ist es für leidende Patienten unerträglich, wenn sie auch nur angesehen werden.
Die Erythrophobie, die Angst vor Erröten, ist zwar die einzige Phobie, die sich auch im Westen beobachten lässt, doch unterschiedlich ist ein zwischenmenschliches Schamgefühl bei
Japanern und ein gewissenbelastendes Schuldgefühl bei westlichen Menschen. Die Angst, in
seinen „verwerflichen“ Gedanken durchschaut zu werden, wertet die Blicke anderer als Einfluss auf sein eigenes ki.
Als zweite aber typisch japanische Phobie bezeichnet Kimura die Dysmorphologie, die Furcht
vor Missgestaltung als Ausdruck der Ablehnung der eigenen Existenz, wofür der moderne
Wahn zur Schönheits-Chirurgie stehen mag. Weiter wird die Blickphobie erwähnt, die bei
Augenkontakt Verlegenheit erzeugt, da ein inneres Geheimnis verraten werden könnte. Beispielgebend ist die angenehme Erfahrung, dass sich Ausländer nie durch gaffende Blicke belästigt fühlen, denn Rückblicke würden ja nur unerwünschte Einsichten ermöglichen. Sonnenbrillen dienen Blickphobikern oft zur Verschleierung ihrer Verlegenheit. Letztlich spricht Kimura die Eigengeruchsphobie an. Die Angst, dass verborgene Schwächen zum Geruch werden, der von anderen errochen werden kann, wird als ausströmender ki-Verlust empfunden.
Die ausgeprägte Badekultur der Japaner bei mindestens einem Bad täglich könnte ein Hinweis
auf diese Ängste sein. Im Westen sprechen wir eher von einem Waschzwang, der aber nicht
durch Scham sondern durch Schuld bedingt ist.
9
Diese Darstellungen von Phobien sind natürlich Beispiele aus dem Bereich der Krankheitsbilder von Neurosen. Doch aus solchen Grenzfällen lässt sich deutlich der sozial bedingte psychologische Hintergrund ablesen. Eine spezifische Häufung von Sozialphobien gilt als typisch
japanische Besonderheit für Überempfindlichkeit und Hypochondrie.
Ein Ausblick auf therapeutische Behandlungsmethoden bei Sozialphobien zeigt erhebliche
Unterschiede zwischen der kurierenden Psychotherapie des Westens und der anpassenden
Neurosen-Therapie in Japan. Die Psychoanalyse nach S. Freud versucht den Patienten auf
sein eigenes Selbst zurückzuführen. Die Tiefenpsychologie nach C.G.Jung enthält erweiterte
Gedanken durch Einbeziehung von archetypischen Seelenverwandtschaften. Über das kollektive Unbewusste als verbindende religiöse Urform der Menschheit wurde eine Verbindung geschaffen über das Selbst des einzelnen Menschen hinaus zu einer re-ligio, einer Rück-Bindung an das Göttliche.
Die Therapie von Angst-Neurosen in Japan beruht von vorn herein auf dem Gedanken der
Wiederherstellung einer sozialen Realität. Nach der „Persönlichen Erfahrungs-Therapie“ von
M.Morita wird der Patient von seiner bedrohenden Innenwelt auf die soziale Außenwelt zurück gelenkt. Zur Erreichung dieses Ziels ist ein Rückblick auf das frühere Leben nötig. Doch
rein intellektuelles Verständnis über therapeutische Gespräche verzögert oft die Genesung.
Bei stationärer Behandlung ist zunächst eine Änderung der Umgebung notwendig. Nach einer
Isolationsphase im Bett, bei der sich die Ängste ohne Ausweichmöglichkeit extrem verstärken, wächst der Wunsch nach Befreiung. Die zweite therapeutische Phase beginnt mit leichten Arbeiten im Garten oder mit Tieren zur Stärkung des heilenden Naturgefühls und dem
körperlichen Wieder-Eins-Werden mit der Realität des Lebens. Eine dritte Phase betont den
Mut zur Akzeptanz der Realität durch schöpferische Aktivitäten wie Töpfern, Schreinern oder
Kochen, wobei Interaktion nur im geschützten Raum erlaubt ist aber zu einem Selbstwertgefühl über eine eigene Tätigkeit führt. Die vierte und letzte Phase bereitet auf das tägliche Leben in der Außenwelt vor. Kleine Besorgungen und wichtige Gemeinschaftsarbeiten eröffnen
mit therapeutischer Unterstützung eine neue Sichtweise zu einem harmonisch ausgeglichenen
Leben wieder in der Gemeinschaft.
In Verbindung zur Morita-Therapie steht die Naikan-Methode. Naikan – die Innenschau oder
innere Beobachtung seines Selbst – hat ihre Wurzel in buddhistischen Übungen. Die Erkenntnis, dass der Mensch in seinem Erleben dem Leiden ausgesetzt ist, kann nur durch Loslassen
vom illusionären Ich zur Erlösung führen. Naikan ist keine Therapie im engeren Sinne sondern ein persönliches Hilfsmittel für Menschen auf der Suche nach Selbstvertrauen. Bei
Schwierigkeiten im mitmenschlichen Bereich wird nicht nach äußeren Gründen oder Entschuldigungen gesucht , sondern der Blick wird nach innen auf sich selbst gelenkt. Bei dieser
Methode der inneren Beobachtung sind drei Fragen nötig. Die erste Frage ist: „Was hat meine
Bezugsperson für mich gemacht?“ Dabei kann die Bezugsperson Mutter, Vater, Geschwister,
Partner oder ein anderer sein. Die zweite Frage ist: „ Was habe ich für meine Bezugsperson
gemacht?“ Die dritte Frage lautet: „Welche Schwierigkeiten habe ich meiner Bezugsperson
verursacht?“ Diese Fragetechnik führt sehr schnell zu einer neuen Selbsteinsicht, die über das
eingestandene Verständnis für den Anderen in eine reale Sichtweise der Probleme mündet. Innere Konflikte können so besser bewältigt werden, was wiederum neue Lebensperspektiven
eröffnet.
In einer Zusammenfassung dieser kurzen Einblicke in das japanische Seelenleben fällt auf,
dass ostasiatisch geprägte Menschen so fremd gar nicht sind. Vielmehr vermitteln uns diese
10
Denk- und Verhaltensweisen eine Einsicht – oder Rückerinnerung? – an bei uns längst verschüttete Sozialnormen. Ehemals auch im Westen vorhandene Werte des psychischen und
sozialen Einsseins in Harmonie zwischen Göttern und Menschen sind seit der klerikalen Dogmatisierung und der Aufklärung nach dem Motto: „Macht euch die Welt untertan“ durch
übergeordnete -ismen-Ideen ersetzt worden. Politische und ökonomische Kolonialisierung,
bedenkenlose Konsumierung oder gewissensfreier Hedonismus haben aber heute bei uns ihre
Grenzen. Die Suche nach neuen Lebenswerten ist unübersehbar. Seelische Hilfeschreie über
esoterische Sektenbindungen, politischer Verdruss oder schockartige Bildungsergebnisse sind
erste Ansätze zum Überdenken und Umdenken unserer Lebensweise und unserer derzeitigen
psychischen und sozialen Strukturen. Vielleicht können wir uns in dieser neuen globalen Welt
auf Menschen-verbindende Überlebensmuster besinnen, die sich die Japaner zwischen Tradition und Moderne erhalten haben.
Quellen
Ruth Benedict
Siegfried Böttcher
Karlfried Graf Dürckheim
K+E Fels
Horst Hammitzsch
Horst Hammitzsch
Klaus Harpprecht
Josef Hartl
C.G.Jung
H-G Kaethner
Bin Kimura
Leonard Koren
Akihisa Kondo
Chrysanthemum and the sword
London 1947
Die Japaner denken und handeln anders
Politik und Weltgeschichte, Band 19, 1989
Hara. Die Erdmitte des Menschen
Barth Verlag 1999
Die Axt im Chrysanthemenwald
Conbook 2008
Japan Handbuch
Steiner Verlag Wiesbaden, 1982
Das Traditionelle im Gegenwartsdenken der Japaner
Sonderdruck „Die Waage“, 2. 1976, Bd.15
Japan – fremder Schatten
Weltwoche 15,1991, Zürich
Die Naikan-Methode
Naikido-Zentrum Wien, 1998
Von den Wurzeln des Bewusstseins
Rascher Verlag Zürich, 1954
Sumo, Sushi, Dauerlächeln
Conbook 2008
Zwischen Mensch und Mensch
Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1995
Wabi – Sabi
Stone Bridge Press Berkeley, Publ.Weather Hill
Die Morita-Therapie
www.public.rz.uni-duesseldorf.de
www.morita-therapy.org/classica.htm
Takeshi Muramatsu
Niall Murtagh
Christoph Neidhard
Christoph Neumann
Tatsuo Oguro
Die Gedankenwelt der Japaner
Neues aus Japan 1975
Blauäugig in Tokyo
Ullstein 2008
Die Kinder des Konfuzius
Herder Freiburg 2008
Darum nerven Japaner
Piper München 2008
Die rätselhafte Nation
11
Hideo Okuda
Takashi Oshio
Brigitte Steger
Tadanobu Tsunoda
Oskar Weggel
Poller Verlag Stuttgart, 1982
Die japanische Couch
btb Verlag München 2008
Unterschiede in den Lebensauffassungen
zwischen Japanern und Deutschen, Bonn 1981
Inemuri – wie die Japaner schlafen
Rowohlt Verlag 2007
The left cerebral hemisphere of the brain
Japan Found. Newsletter, Vol.VI/1, 1978
Die Asiaten
C.H.Beck Verlag München, 1989
Zur Vortragsveranstaltung am 6.11.2010 im Bürgerzentrum Stuttgart-West
講演会にご招待
„Auf dem Pilgerweg von Shikoku“
„四国八十八箇所遍路“
Ein Reisebericht mit Fotografien
Tilmann Eberhardt, Buchhändler und Freund Fernöstlicher Kultur
Pilgern in Japan zwischen Tourismus und Religion
Shikoku ist die kleinste der vier japanischen Hauptinseln. Viele Japaner verbinden mit
Shikoku vor allem den 88-Tempel-Pilgerweg (四国八十八箇所). Der traditionsreiche
buddhistische Pilgerweg führt als circa 1200 km langer Rundweg über Berge und an der
Küste entlang.
Der Legende nach geht der Pilgerweg auf den buddhistischen Mönch Kūkai 空海 (774–835),
den Gründer der Shingon-Schule des Buddhismus, zurück. Schriftliche Zeugnisse und
Pilgerberichte sind seit dem 17. Jahrhundert nachgewiesen.
12
Tilmann Eberhardt ist den Weg in den Jahren 2007 bis 2010 in Etappen gegangen. Er
berichtet von den Ritualen an den Tempeln, zeigt die Schönheiten der Insel und erzählt von
Begegnungen mit Pilgern und Bewohnern entlang des Weges.
Gerade in den letzten Jahren wird die Kultur der Pilgerreise erneut belebt. Pilger machen sich
auf den Weg durch Bambuswälder, Reisfelder und Zitronenhaine. Sie nehmen die Strapazen
langer Strecken an viel befahrenen Küstenstraßen auf sich, um dann an jedem der 88 Tempel,
das Herz-Sutra zu rezitieren. Dabei tragen die Pilger auch zur touristischen Entwicklung einer
Insel bei, die es wert ist, entdeckt zu werden.
Referent: Tilmann Eberhardt ist Buchhändler und Verlagsvertreter. Seit 20 Jahren reist er
immer wieder nach Japan und Korea. Er hat als Redakteur das Buch „lernen & üben
Koreanisch“ bei PONS betreut und im „Literaturblatt“ einen Überblick zur Koreanischen
Literatur veröffentlicht.
Beziehungen zwischen Kūkai 空海, dem japanischen Heiligen, und der
Stadt Stuttgart
Sie glauben nicht, dass es solche Beziehugen gibt? Doch, es gibt sie. Lesen Sie hier wer
Kūkai war und dass offensichtlich niemand seine Beziehungen zu Stuttgart leugnen kann.
Kūkai war ein Japaner, der 774 auf der Insel Shikoku geboren wurde und 835 auf dem Berg
Koya, einer Tempelstadt 100km südlich von Kyoto starb. In der Zwischenzeit hat er sich dem
japanischen Bewusstsein als Alleskönner bis heute eingebrannt. Posthum wurde ihm der Titel
Kobo Daishi (Weisheit spendender großer Lehrmeister) verliehen. Sein zeitgenössischer
Konkurrent Saicho brachte es als Gründer und erster Patriarch der Klosterstadt Hiei nur zum
Titel Dengyo Daishi (Großer Lehrmeister). Kūkai hat Spuren hinterlassen nicht nur als
Theologe, sondern auch als Bauingenieur und Architekt, als einer der drei herausragenden
Kalligraphen Japans, als Erfinder der japanischen Silbenschrift, als Erfinder der Form
„Lexikon“ und als Führer einer Schar von religiösen Jüngern, von denen er als MaitreyaBodhisatva verehrt wurde. Der Maitreya-Buddha ist eine Figur der buddhistischen
Eschatologie oder Endzeitlehre. Danach soll der Maitreya-Buddha am Ende der Zeit, wieder
auferstehen und soll all jenen, die es nicht geschafft haben, im Laufe ihres Lebens in den
Zustand der Erleuchtung zu kommen, den Übergang ins Nirvana verschaffen und zwar
bedingungslos.
Bis heute sichtbares Zeichen dieser Lehre ist der Friedhof, der das Mausoleum des Kūkai auf
dem Berg Koya umgibt. Er enthält die Gräber vieler prominenter Japaner, einschließlich Oda
Nobunagas und des Matuo Basho, die auf den genannten Zeitpunkt warten. Soweit über die
Bedeutung des Kūkai.
Nun seine Beziehung zu Stuttgart. In Stuttgart lebte ein Mensch namens Rudolf Steiner, der
dort bis heute Waldorfschulen hinterlassen hat. Rudolf Steiner ist auch dafür bekannt, dass er
in Berlin Mitglied der dort existierenden Theosophischen Gesellschaft wurde. Bald ist er aus
dieser Gesellschaft ausgetreten und hat eine eigene Gesellschaft gegründet, die
anthroposophische. Wir wollen hier nicht darauf eingehen, worin die anthroposophische
Gesellschaft sich von der theosophischen unterscheidet. Aber es ist bekannt, weshalb Rudolf
Steiner aus der theosophischen Gesellschaft ausgetreten ist, nämlich wegen eines Konfliktes
über die Frage, wie der Maitreya-Buddha zu verstehen sei. Damit ist die Beziehungslinie
Kūkai, Steiner bis Stuttgart geschlossen.
Ob die Theosophen und Anthroposophen bei ihren Diskussionen und Aktivitäten speziell an
die Inkarnation des Maitreaya Buddahs auf dem Berg Koya in Japan gedacht haben, ist nur
13
von jemand zu entscheiden, der sich durch eine umfangreiche Literatur zu diesem Thema
durchgearbeitet hat, vermutlich nicht. Was den Maitreya – Buddha auf dem Berg Koya
keineswegs abwertet. Er ist nur eine von verschiedenen Manifestationen der uralten
Überlieferung, die bei den Christen und Juden mit dem Messias zu tun hat, bei den Muslimen
mit Mahdi und bei den Buddhisten und Hindus mit Maitreya. Nicht alle Überlieferungen
waren zur Zeit der Diskussionen global bekannt. Der Berg Koya ist allemal einen Besuch wert
und spendet Weisheit.
(Gottfried W. Wollboldt)
Zur Vorführung japanischer Theaterkunst
日本の伝統演劇芸能にご招待: 狂言
Kyôgen – japanisches komisches – Theater
Im Wannersaal des Linden-Museums Stuttgart
Schirmherrschaft:
S.E. Präsident der Bundesrepublik Deutschland, S.K.H. Kronprinz von Japan
Eine Veranstaltung der Deutsch–Japanischen Gesellschaft Baden – Württemberg e.V.
und des Linden – Museums aus Anlass des 150-jährigen Bestehens der offiziellen
deutsch-japanischen Beziehungen.
Der Wannersaal war schon 10 Minuten vor Beginn der Aufführung vollständig gefüllt, was
nicht zuletzt dem DJG-Mitglied Frau Beck-Daim zu danken war, die mehr als 30 ihrer jungen
Schüler der japanischen Sprache mitgebracht hatte. Diese fielen dann im Laufe der
Aufführung an der richtigen Stelle in lautes Lachen, was die japanischen Darsteller ihrerseits
zu Höchstleistungen angeregt haben mag. Die Einzelheiten bezüglich der Namen und des
Herkommens der Künstler sowie ihrer Kunst sind in einem Programmheft niedergelegt
worden, von dem 150 Exemplare gedruckt worden waren. Sie sind restlos verkauft worden,
wodurch die Druckkosten ausgeglichen wurden. Ein Exemplar des Programmheftes befindet
sich auf unserer Hompage, wo es von Interessenen nachgelesen werden kann:
http://www.djg-bw.de. Erstmals wurde im Rundfunk über eine Veranstaltung der DJG-BW
berichtet.
14
Shinnenkai 2011 新年会
Festveranstaltung zum neuen Jahr, Shinnenkai, dem Jahr des Hasen im Wannersaal des
Linden-Museums am 15.1.2011
Die Veranstaltung bestand aus drei Teilen, einer musikalischen Rahmenveranstaltung, dem
Festvortrag „Baden-Württemberger in Japan“ und einem Teil der Begegnung und privater
Gespräche bei einem Glas Tee oder Sake oder beidem. Der Festsaal war prall gefüllt Die
Musikveranstaltung enthielt eine Premiere, nämlich die Aufführung einer Komposition von
Felix Romankiewicz. Das Besondere daran ist die Umkehrung des normalen Trends. Es gibt
mehr japanische Komponisten die westliche Ideen in ihre Kompositionen aufnahmen, als
westliche, die japanische Ideen aufnahmen. Felix Romankiewicz gehört zu den wenigen.
Seine Vertonung von acht Haiku aus dem „oku no hosomichi“ des Matsuo Basho war eine
Uraufführung.
Eine musikalische Zeitreise durch die japanische Musik
von der Edo - Zeit bis heute
日本の音楽でつづる時間の旅 江戸時代から現在まで
Im Linden-Museum Stuttgart, Wannersaal, Samstag 15. Januar 2011
Die Reise beginnt in der Edo-Zeit (1603 bis 1868), benannt nach dem damaligen Namen der
Hauptstadt, Edo - heute Tokio. Diese Zeitspanne beinhaltet die längste ununterbrochene
Friedensperiode eines Landes in der Neuzeit weltweit!
Die Shakuhachi ist eine traditionelle japanische Bambusflöte. Sie stammt von der
chinesischen Xiao ab und kam im frühen 8. Jahrhundert nach Japan. Die Konstruktion des
Instruments ist sehr einfach: ein Bambusrohr mit normalerweise fünf Grifflöchern und einer
Anblaskante, die durch einen schrägen Schnitt am oberen Ende des Rohres gebildet wird.
Diese Einfachheit erlaubt es dem Spieler, sehr feine Abstufungen und Schattierungen von
Klangfarbe und Tonhöhe zu erzeugen.
Ab dem Ende des 16. bis zum 19. Jahrhundert wurde die Shakuhachi von Zen-Buddhistischen
Mönchen als eine Art Meditation gespielt. Aus dieser meditativen Übung entstand die
Tradition der so genannten Honkyoku ('Urstücke'),meditativer Stücke meistens in freiem
Rhythmus, deren Phrasierung eng mit dem Atem des Spielers zusammenhängt. Die Tradition
der Honkyoku ist bis heute durch mehrere Schulen von Meister zu Schüler weitergegeben
worden.
15
Shingetsu ist eines dieser Honkyoku, entstanden in dem Shakuhachi-spielenden Fuke-Orden
des Zen-Buddhismus. Dieses Stück ist eine Variante von einem der Hauptstücke, Yamato
Choshi, in der Überlieferung der Linie von YOKOYAMA
Katsuya.
"Shingetsu"
Herz-Mond
心
月
Rentaro Taki kam als erster japanischer Komponist 1901 nach Deutschland, um in Leibzig
Musik zu studieren. „Kojo no Tsuki“ ist ein sehr bekanntes Stück. Es ist noch in Japan mit
japanischer Melodieführung, aber der westlichen (Moll-)Tonleiter vertont.
Rentaro Taki 瀧廉太郎
(1879 - 1903)
Kojo no Tsuki 荒城の月 (1900)
Der Mond über der Ruine
Es war an einem Frühlingsabend, beim Kirschblütenfest mit Essen und Sake
Auf den Becher, der von Hand zu Hand im Kreis herumgereicht wurde, fiel das
Mondlicht durch die Kiefernäste
Wo ist dieses Licht von einst
(Bansui Doi 土井晩翠 1871-1952)
Etwas unerwartet begegnet uns im folgenden Lied die Melodie des deutschen Kinderliedes
„Hänschen klein“, die auch in Japan sehr verbreitet ist! Kosaku Yamada hat 1910 - 1913 in
Berlin studiert und mit der dort neu erlernten musikalischen Sprache seine ersten Lieder auf
deutsche Texte geschrieben, bis er es wieder wagte, sich japanischen Vorlagen zu nähern.
Kosaku Yamada
(1886 - 1965)
山田耕筰Uta 唄 (1916)
Gesang
Die Sonne scheint, ein kleines Kind singt
„Cho-cho, Cho-cho“ (Schmetterling, Schmetterling)
Wer singt da so ganz alleine,
gerade dieses Lied unter so vielen Liedern
(Rofu Miki 三木露風 1889 - 1964)
Auf den ersten Blick sehr europäisch, fast barock wirkt die polyphone, von Imitationen
durchsetzte Begleitung des nächsten Liedes - trotzdem ist die vermittelte Gefühlswelt und die
Struktur der Gesangslinie ausgesprochen japanisch. Welch ein Aufeinandertreffen zweier
Kulturen!
16
Kunihiko Hashimoto 橋本国彦Botan 牡丹 (1925)
(1904 - 1949)
Päonie
Die treulose Päonie wird bald verblühen
An einem Tag ohne Wind
Ach, wird die rote Päonie verblühen
Wie unsere Beziehung auseinandergeht?
Ach, ohne Regen wird sie bald verblühen
(Hakushu Kitahara 北原白秋 1885-1942)
Im folgenden Lied nähert sich der Klang des Cembalo dem Klang des japanischen
traditionellen Koto.
Das Koto 箏 ist eine mit Seide bespannte Wölbbrett-Zither, die auf der chinesischen Guzheng
basiert. Das Spiel des Koto ist eine der traditionellen Japanischen Künste des Kaiserhofes und
wird auch heute noch gepflegt. Schon in Genji Monogatari (Die Geschichte des Prinzen
Genji), in dem vielleicht ältesten Roman der Welt, wird das Koto aufgrund seiner großen
Beliebtheit am japanischen Hofe erwähnt.
Gesang und Dichtung dieses Liedes verströmen sehr japanische poetische Empfindungen,
ausgedrückt in einer altertümlichen, hohen Sprache in der Tradition der alten Gedichtform
Tanka.
(Zu dem Namen der Stadt Nara: die Nara-Zeit wird 710 - 794 datiert, mit Nara als Hauptstadt)
Dieses Lied hat der Komponist auch mit Begleitung des Koto in der dafür speziell
gebräuchlichen Notation geschrieben.
Kozaburo Hirai
(1910 - 2002)
平井康三郎
Narayama 平城山 (1935)
Der Berg Nara
Sich zu verlieben ist traurig
Hin und her laufend über den Berg Nara
Unerträglich
Schon in vergangenen Zeiten
Wenn sich einer verliebte und über den Berg Nara ging
Fielen seine Tränen auf den Weg
(Shihoko Kitami 北見志保子1885-1955)
Wie aus einer alten japanischen Komödie (Kyogen, als Intermezzo zwischen den Akten eines
Stückes des No-Theaters aufgeführt, ab dem 14. Jahrhundert, Muromachi-Epoche) klingt das
folgende Stück.
17
Kiyoshi Nobutoki 信時潔Karasu 鴉 (1936)
(1987 - 1965)
Krähe
Auf dem dünnen Eis auf dem kleinen Reisfeld
Stampft und bricht durch mit seinem Fuß und läuft kreuz und quer
die Krähe
Schwingt den Kopf, wirft sich in die Brust
als sei es kalt
Pickt unbeschwert
die Krähe
(Shigemichi Shimizu 清水重道 1909 - ?)
Die Musik des folgenden Liedes stammt aus der Edo-Zeit und wurde unter dem Namen „Kouta - stil“ ( 小唄) mit Begleitung des dreisaitigen, lautenartigen Instrumentes Shamisen
gesungen.
In der Edo-Zeit war „Ko-uta“ ein populärer Musikstil, mit Shamisen als Begleitinstrument.
Ikuma Dan komponierte in diesem Stil die „Drei Ko-uta“. Das Shamisen ist ein dreisaitiges,
gezupftes Lauteninstrument mit einem langen Hals und einem relativ kleinen Körper. Es
gehört neben der Shakuhachi und dem Koto zu den traditionellen Musikinstrumenten Japans.
Es kam Ende des 16.Jahrhunderts von China über die Ryukyu-Inseln (Okinawa) nach Japan.
Dort hat sich dann mit den Jahren das damals noch Sanshin genannte Instrument zur Samisen
weiterentwickelt. Später wurde aus diesem Wort Shamisen.
Ikuma Dan 團伊玖磨aus „Drei Ko-uta“: Haru no Tori (1958)
(1924 - 2001)
「三つの小唄」より春の鳥
Frühlingsvogel
Frühlingsvogel singt, singt
Dunkles Blau und Silber auf dem Überwurf meines Kimono
Frühlingsvogel singt, singt
Das wehe Gefühl, dass Frühling zu Sommer vergeht,
klingt im Gesang, begleitet vom Shamisen
In der Abenddämmerung glänzt das Gold und Blau des Flusses Okawa
Frühlingsvogel singt, singt.
(Hakushu Kitahara 北原白秋 1885-1942)
18
Ryosuke Hatanaka schrieb die folgende Komposition als erste nach seiner
Heimkehr aus dem zweiten Weltkrieg. Er verwendet eine Art japanischen
Rezitationston, der nicht ganz den alten tradierten japanischen Rezitationston
wiedergibt, aber sich auch nicht in die avantgardistische europäische Klangwelt
entfernt.
Ryosuke Hatanaka 畑中良輔
(1922)
Kaihin Dokusho
海浜独唱 (1946)
Einsamer Gesang am Strand
Allein lasse ich die Tränen tropfen und hocke am Meeresstrand
Wofür diese Tränen
Blaue Wellen kommen und netzen meine Stirn
Schau ihn an, meinen erbärmlichen Schatten auf dem nassen Sand
Die Wellen nehmen meinen erbärmlichen Schatten weg
Die düsteren berührenden Wellen
Ich existiere allein an diesem Strand
Ach, ich bin allein
Als würde ich in das Blau des Meeres einfliessen
(Saisei Muro 室生犀星 1889-1962)
Das Prinzip der traditionellen Volksmelodiebildung „Oiwake“ mit vielen Verzierungen und
Melismen und freiem Takt hat das nächste Lied als Grundlage. Im Original für Gesang und
Klavier geschrieben, wird es hier mit Shakuhachi interpretiert.
Kiyoshige Koyama 小山清茂
(1914 - 2009)
Kemuri 煙 (1933)
Rauch
Vom Berg Daruma steigt Rauch auf
Ist da ein fernes Licht des Lebens
(Yoshio Yabuta 薮田義雄 1902-1984)
19
Das Empfinden von Vergänglichkeit (Mujo-kan) 無常感 ist ein Thema, das in der
japanischen Kultur immer wieder auf typische Weise erscheint, wie auch im folgenden Lied:
es vereint traditionelles Empfinden mit moderner Musik
Kenjiro Urata 浦田健次郎
(1941)
Kana Kana
かなかな (1992)
Die Kana-Kana-Zikade
Die Zikade singt, die Zikade singt, die Zikade singt
Mein Herz ist unruhig
Allmählich wird das Herz von der Zikade beherrscht
Das Herz wird ganz rein und klar
(Jukichi Yagi
八木重吉1897 - 1927)
Inzwischen sind wir also schon in einem ziemlich modernen Musikstil angekommen,
trotzdem schimmert auch in der folgenden Musik immer noch etwas von dem durch, was am
Anfang des Konzertes von der Shakuhachi zu hören war!
Rikuya Terashima
(1964)
Stein und Licht
寺嶋陸也
Ishi to Hikari
石と光 (2004)
Der Stein stößt das Licht nicht ab
Der Stein zieht das Licht nicht an
Auf dem Stein sitzt eine Bremse
Blendend das Licht auf ihrem Flaum
Eben jetzt ist das Licht an der Erde angekommen
(Shuntaro Tanigawa 谷川俊太郎 1931)
Basho Matsuo (1644 - 1694) 松尾芭蕉 gilt als bedeutender Vertreter der japanischen
Gedichtform Haiku. Basho und seine Schüler erneuerten die bis dahin humorvoll spielerische
Haikai-Dichtung und erhoben sie in den Rang ernsthafter Literatur. Das "Oku no hosomichi"
(„Der enge Pfad zum tiefen Norden“ oder „Auf schmalem Pfad durchs Hinterland“) von 1689
ist sein umfangreichstes, reifstes und wichtigstes "Reisetagebuch" der letzten Reise, von der
er berichtet hat.
Basho schreibt keineswegs ein Haiku nach dem anderen, wie man es von den modernen
Haiku - Sammlungen gewöhnt ist. Er führt ein Tagebuch, in dem er sorgfältig wichtige
Ereignisse seiner inneren und äußeren Reise notiert, um dann an der passenden Stelle ein
Haiku einzufügen.
20
Die Wanderungen Bashos
Felix Romankiewicz (1972)
acht haiku aus dem „oku no hosomichi“ des Matsuo Basho (2008/2009)
「奥の細道」より 八つの俳句
auch meine grashütte
草の戸も
im wandel der zeit das puppenfest
住替わる代ぞ
erleben andere
ひなの家
wie verehrungswürdig
あらとうと
zarte blätter junge blätter
青葉若葉の
im sonnenlicht
日の光
stille
tief bohrt sich in den fels
das sirren der zikaden
閑かさや
岩にしみ入る
蝉の声
unter dem gleichen dach
schlafen auch freudenmädchen
buschklee und mond
一家に
遊女も寝たり
萩と月
flöhe und läuse
und ein pferd pisst
nahe meinem kopfkissen
のみしらみ
馬の尿する
枕元
mairegen
sammelt er schnell ein
der mogami-fluss
五月雨を
集めて早し
最上川
wildes meer
über der insel sado
die milchstraße
荒海や
佐渡によこたふ
天の河
21
sommerwolken am gipfel
zerfallen gleich
mondberg
雲の峰
幾つ崩れて
月の山
Jim Franklin, Shakuhachi
Ryoko Wakatsuki, Sopran
Teru Yoshihara, Bariton
Mai Shigeoka, Cembalo und Hammerflüel
Felix Romankiewicz, Komposition, Cembalo
Künstlerporträts
Dr. Jim Franklin ist ein Meisterspieler der Shakuhachi. Er studierte zunächst Komposition
und Musikwissenschaft in Australien, Deutschland und Holland. Während des Studiums
begegnete er der Shakuhachi, und wurde von ihr fasziniert. Nach Studium des Instruments in
Australien bei Dr. Riley Lee und in Japan bei Furuya Teruo und Yokoyama Katsuya, erhielt
er 1996 von Yokoyamasensei den Titel Shihan („Meister“) und somit die Lehr- und
Konzertbefugnis. Als Komponist ist Franklin auch im Bereich der zeitgenössischen Musik
und elektroakustischen Musik tätig. Er komponiert für Shakuhachi solo sowie in Kombination
mit anderen Instrumenten, und tritt bei Projekten mit Shakuhachi und Live-Elektronik auf, oft
in Verbindung mit Tanz und Videokunst. Seit 2004 wohnt er in Deutschland. 2006-2009 war
er Vorsitzender der Europäischen Shakuhachi- Gesellschaft.
Ryoko Wakatsuki, in Tokushima/Japan geboren, studierte Gesang an der Staatlichen
Universität Tokyo für Musik und Kunst. Nach dem Abschluss folgte in Mailand ein
Aufbaustudium, das sie mit großem Erfolg abschloss. Nach Tokyo zurückgekehrt, erwarb sie
den Titel “Master of Arts“ und promovierte über das Thema “Soubrettenpartien in der Oper“.
Privat bildete sie sich in Deutschland weiter bei Anna Reynolds und Bernhard Gärtner. Schon
während ihrer Ausbildung begann ihre rege Konzerttätigkeit in vielen Städten Japans,
Italiens und Deutschlands. 1993 gab sie ihr Operndebut mit der Partie der Susanna in Mozarts
“Le Nozze di Figaro“ in Tokyo. Sie sang unter der Leitung so nahmhafter Dirigenten wie
Seiji Ozawa, James Lockhart und an der Staatsoper Tokyo verschiedene Rollen wie die
Najade in “Ariadne auf Naxos“ und Anna in „Intermezzo“ von Richard Strauss oder Papagena
in Mozarts “Zauberflöte“.
Teru Yoshihara, geboren in Sapporo/Japan, studierte in Tokyo Gesang. Nach dem Abschluss
folgte ein Aufbaustudium in Mailand, das er mit großem Erfolg abschloss. Danach studierte
er an der Stuttgarter Musikhochschule in der Liedklasse von Prof. Konrad Richter und in der
Opernschule. Sein Gesangslehrer war in dieser Zeit Bernhard Gärtner. 1995 erfolgte das
Opern-Debut des Bariton als "Sharpless" in Puccinis "Madame Butterfly". Seit dem sang er
mit großem Erfolg Konzerte und Opern in Deutschland, im europäischen Ausland und in
Japan. Dabei arbeitete er mit namhaften Dirigenten wie Nello Santi und Helmuth Rilling
zusammen. Seit 2002 ist es ihm ein großes Anliegen, japanische Kunstlieder in Europa zu
präsentieren. Im Jahre 2007 betraute ihn die Staatliche Hochschule für Musik und
Darstellende Kunst in Stuttgart mit einem Lehrauftrag für Gesang.
Mai Shigeoka, 1981 in Japan geboren, studierte Cembalo und Hammerflügel bei Masaaki
Suzuki, Yoshiko Kojima und Kikuko Ogura an der Universität für Kunst und Musik in Tokyo
22
und schloss ihre Studium mit Auszeichnung ab. Weiterhin studierte sie Hammerflügel bei
Boyan Vodenitcharov und Piet Kuijken am Königlichen Konservatorium in Brüssel und
erhielt dort 2008 das Masterdiplom mit Auszeichnung. Verschiedene Meisterkurse in
Cembalo und Hammerflügel bei Jos Van Immerseel, Pierre Hantaï, Stanley Hoogland und
Andreas Staier komplettierten ihre Ausbildung. Sie hat zahlreiche Konzerte als Solistin,
Continuo- Spielerin und als Begleitmusikerin in Japan, Belgien, Deutschland und Österreich
unter namhaften Dirigenten wie Philippe Herreweghe oder Philippe Pierlot gegeben. Seit
September 2008 lehrt Mai Shigeoka Hammerflügel am Königlich Konservatorium in
Antwerpen.
Felix Romankiewicz studierte Klavier an der Musikhochschule Stuttgart bei Prof. Felix
Gottlieb und Prof. Wolfgang Bloser und in der Meisterklasse von Prof. Thérèse Dussaut am
Konservatorium in Toulouse. Seit 1989 hat er Konzerte in vielen Städten Deutschlands,
Frankreichs, Japans, Österreichs und der Schweiz gegeben. Eine Zusammenarbeit ganz
besonderer Art verbindet ihn mit Teru Yoshihara: 2002 riefen beide den „DeutschJapanischen Dialog“ ins Leben, der zu zahlreichen Konzerten in vielen Städten Deutschlands
und Japans geführt hat. Einen weiteren Schwerpunkt seiner musikalischen Tätigkeit bildet die
Komposition: Werke entstanden u.a. für den Deutsch-Japanischen Dialog, für Cultura
orientale e occidentale nella musica contemporana, das Junge Musiktheater Esslingen (Die
Kinder- und Jugendoper „Teufels-Werk“, Text von Dietlind Rohm) und die Hugo-WolfGesellschaft.
Denkmal des Haiku-Dichters und Wanderers Basho
Vortrag von Frau Prof. Dr. Eschbach-Szabo
„Baden-Württemberger in Japan“
(Wird in der nächsten Ausgabe der Bambusblätter abgedruckt.)
23
Yoshino 吉野, Ort der Kirschblütenschau und prägender Ereignisse
Waren Sie schon in Yoshino?
Als Gartenfreund oder Gärtner kennen Sie sicher Yoshino-Kirschbäume. Aber Yoshino?
Schade, Sie sollten Yoshino kennen, nicht nur wegen seiner Kirschbäume und spektakulären
Kirschblüte im April jeden Jahres, sondern auch wegen seiner besonderen Rolle, die es immer
wieder im Laufe der japanischen Geschichte gespielt hat. Dabei wurden Fragen angesprochen
oder Probleme gelöst, die auch in der europäischen Geschichte eine Rolle spielten, was
Europäer dazu einlädt, nicht etwa sich einzumischen, dazu ist es zu spät, aber mitzudenken
und Zusammenhänge zu verstehen. Europäer, die es unternehmen, in Japan Land und Leute
kennen zu lernen, sind gut beraten, in Kyoto und Nara mit ihren Bemühungen anzufangen.
Nicht weil es die europäischsten der japanischen Städte wären, ganz im Gegenteil, sondern
wegen ihrer zahlreichen weltlichen und geistlichen Bauwerke und Landschaftsgärten, die
ihnen Staunen und Bewunderung vermittels sinnlicher Wahrnehmung abnötigen. Im
futuristisch anmutenden Tokio gingen sie „easily lost in Translation“. Ästhetische Schönheit
wirkt über die Sinne, weniger über sprachliche Verständigung. Sie regt zwar dazu an,
Interesse für den sozialen Rahmen zu wecken, der bemerkenswerte Werke hervorgebracht hat
und hervorbringt, doch Verständnis kommt aus der Analyse und aus Vergleichen von
Situationen des praktischen Lebens.
Yoshino ist ein kleiner überschaubarer Ort, der in der Kirschblütenzeit von japanischen
Besuchern massenhaft heimgesucht wird, in der übrigen Jahreszeit aber still dahinlebt.
Daneben enthält der Ort sakrale Bauwerke in der Form von Tempeln und Schreinen, die
schwerlich aus der Kraft eines Dorfes entstanden sein können,
also Ausdruck der japanischen Kultur insgesamt sein müssen. An diesem beschaulichen Ort
ist es einfacher, typisch japanische Besonderheiten einzeln zu identifizieren, ihnen
nachzugehen, schließlich zu verstehen und möglicherweise Bekanntes, also Gemeinsamkeiten
in den Unterschieden festzustellen.
24
Blick über Yoshino hinweg in die Yamato-Ebene
Yoshino liegt am südlichen Rande der Yamato-Ebene, in der sich die japanische
Staatenbildung vor etwa 2000 Jahren vollzogen haben soll. Wegen seiner Lage, ca. 200m über
dem Boden der Yamato-Ebene, am Abhang eines Gebirgsstocks, der bis zu 2000m aufsteigt
und die Ebene auf 3 Seiten umschließt, hat der Ort wohl stets besondere Anziehungskraft
ausgestrahlt und es ist nachvollziehbar, dass er von alters her ein Ziel für Ausgestoßene,
Einsiedler und Grübler war, die sich in die Einsamkeit der Berge zurückgezogen hatten, nicht
nur weil sie sich vor der Obrigkeit verbergen mussten, sondern um über religiöse Fragen
nachzudenken, sei es zur persönlichen Vervollkommnung oder zur Rechtfertigung staatlicher
Institutionen. Da sie nicht nur abstrakt, sondern praktisch dachten, haben sie den
kilometerlangen Berghang mit Kirschbäumen bepflanzt, und damit vom heutigen Standpunkt
betrachtet, ein Freizeit-Paradies für die nahen Stadtbewohner geschaffen, zumindest in der
Zeit der Baumblüte. Allerdings lässt diese Betrachtungsweise die ursprünglichen
Hintergründe für seine Entstehung leicht außer Acht geraten.
Von den ersten Herrschern Japans wird angenommen, dass sie Mitglieder von Familien
waren, die als Landwirte Einfluss gewonnen hatten und ihren Herrschaftsauftrag von Göttern
ableiteten und deshalb nicht nur Könige, sondern auch Oberpriester waren. Die aktuelle
Kaiserdynastie, als eine dieser Familien, führt ihren Auftrag auf die Sonnengöttin Amaterasu
zurück, die im Pantheon der ältesten Religion Japans die wichtigste Göttin darstellt.
Am nördlichen Ausgang der Yamato-Ebene, in etwa 50 Kilometer Entfernung von Yoshino,
liegt Nara, die erste gemeinsame Hauptstadt Japans, die um 710 n.Chr. diesen Status erlangte.
Kyoto, die Hauptstadt von 784 - 1868, liegt weitere 50 Kilometer nördlich von Nara. Beides
sind Städte, die nach dem Vorbild der damaligen Hauptstadt Chinas angelegt wurden, nämlich
im Schachbrettmuster, unbefestigt und ohne ausgeprägtes Zentrum. Die Wohnsitze, von
denen die Regierungsmacht ausging, sind in der Regel Tempel oder Schreine, die über das
Stadtgebiet verstreut, nicht selten in den unteren Hanglagen der umgebenden Berge liegen.
Yoshino aber wird selbst heute nicht nur wegen seiner landschaftlichen Schönheit und
spektakulären Kirschblüte besucht, sondern wegen der aktuellen Bedeutung seiner Tempel,
Schreine und sonstigen Kultur-Denkmäler. Seit dem 6. Jahrhundert ist es als eine Brauküche
sowohl für religiöses als auch poetisches Denken und Handeln nachgewiesen. Im 12.
Jahrhundert diente es Minamoto no Yoshitsune, einem Volkshelden, als Zufluchtsort, als er
vor seinem Bruder, dem damaligen Machthaber und politischen Reformator auf der Flucht
war. Im 14. Jahrhundert gründete der Reform-Kaiser GoDaigo einen konkurrierenden
25
Kaiserhof in Yoshino und ab dem 16. Jahrhundert erwiesen sowohl Hideyoshi Toyotomi als
auch andere prominente Personen aus Kunst, Wissenschaft und Politik dem Ort ihre Referenz.
Ein Europäer, der unvorhergesehen nach Yoshino kommt, erfreut sich spontan an der
Landschaft und könnte deren Schönheit als Grund für die Volksmenge annehmen, die sich
durch die enge Hauptstraße des Bergdorfes wälzt, um am Ausgang des Ortes Platz zu nehmen
unter blühenden Kirschbäumen. Aber auf dem Weg dorthin kommt er an einigen Bauwerken
vorbei, die Fragen aufwerfen:
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
Warum ist Yoshino, ein kleines Dorf, Endstation der S-Bahn von Nara und Osaka?
Die Zahl der Einwohner rechtfertigt das nicht und ringsumher am Fuße der Berge gibt
es andere landschaftlich schön gelegene Dörfer.
Wie kommt dieser Wald aus Kirschbäumen nach Yoshino? Es gibt keine Urwälder aus
Kirschbäumen.
Was hat Yoshino mit Religion zu tun? Die Tempel und Schreine des Ortes passen
nicht zur ländlichen Umgebung und werden offensichtlich nicht nur aus musealen
Gründen besucht.
Was hat Yoshitsune mit Yoshino zu tun? Überall liegt der Name in der Luft.
Was hat es auf sich mit dem „Südlichen Kaiserhof“, den GoDaigo in Yoshino
gründete? Die Frage stellt sich aufgrund der vielfach aufgestellten Wegweiser.
Warum gingen Hideyoshi Toyotomi und andere Prominente nach Yoshino? Solch
hochrangige Personen haben besseres zu tun, als landschaftliche Schönheiten in
abgelegenen Gegenden zu besichtigen.
Was hat es mit den Souvenirs auf sich, die Besucher aus Yoshino mit nach Hause
nehmen? Die Hauptstrasse ist gesäumt von Souvenirläden.
Der Reisende wird reich belohnt, wenn er die Antworten darauf sucht.
(1)
Warum ist Yoshino Endstation der S-Bahn von Nara und Osaka?
Da die S-Bahn gebaut wurde, nachdem der Ort seine Aura entwickelt hatte, beantwortet sich
die Frage von selbst. Yoshino liegt im Einzugsgebiet großer Städte, nämlich Nara, Osaka,
Kobe und Kyoto, jeweils die Hauptstädte verschiedener Verwaltungseinheiten, die
Präfekturen genannt werden und zusammen die Region Kansai bilden, die von ca. 17
Millionen Menschen bewohnt wird. Nicht das Einwohneraufkommen des Dorfes Yoshino ist
maßgebend, sondern das Interesse der übrigen Japaner.
26
Lage der Yamato-Ebene innerhalb der Kansai Region.
Die gelben Linien sind Grenzen von Präfekturen, ihre Namen erscheinen in roter Schrift
Diese 17 Millionen wohnen dort nicht etwa gleichmäßig über die Gebietsfläche verteilt,
sondern beschränkt auf die Flächen weniger Ebenen, die rings von steilen Bergen umstellt
sind. Hier wird ein deutlicher Unterschied in den Landschaftsformen zu Europa sichtbar. Bei
uns folgt die landwirtschaftliche und sonstige Nutzung der Landschaft den Wellen des
Bodens, d.h. seinen Erhebungen und Vertiefungen. In Japan sind Wohn- und
landwirtschaftliche Nutzflächen tischflach nivelliert. Das hängt offensichtlich mit dem
Reisanbau zusammen. Die Pflanzen stehen bis zur Ernte im Wasser, was tischflache Felder
erfordert, die vermutlich im Laufe der Zeit durch künstliche Nivellierung entstanden sind.
Reisanbau auf Terrassen ist in Japan selten zu sehen. Die mit Wald bedeckten Berge tragen
weder Reisfelder noch Ansiedlungen. Von dieser Regel gibt es nur wenige Ausnahmen (z.B.
Kobe, Beppu und …Yoshino, weil es auf dem flachen Kamm eines Vorberges errichtet ist).
Erst moderne Erkenntnisse der Bodenmechanik erlauben die Besiedlung von Berghängen,
weil sie bei Regenwetter immer wieder abrutschen, das heißt ins Tal stürzen.
Der größere Anteil der 17 Millionen Menschen in Kansai lebt in der Ebene, die sich nördlich
von Yoshino bis Kyoto dahinstreckt, vom flachen Tal eines Flusses (Yodogawa) durchquert,
dem Abfluss aus dem Biwa-See, der bei Osaka ins Meer mündet. An dessen Unterlauf
zweigen gewissermaßen die Küstenebenen von Osaka und Kobe ab, so dass das gesamte
bewohnte Gebiet der Kansai-Region eine einzige Ebene bildet. Ein Zweig des ausgeklügelten
S-Bahnnetzes der Region endet bei Yoshino, das in ein bis zwei Stunden Fahrzeit aus den
genannten städtischen Ballungszentren zu erreichen ist.
(2)
Wie kommen die Kirschbäume nach Yoshino?
Türken behaupten, die Urform der Kirschbäume sei im Pontischen Gebirge beheimatet. Die
Kirschbäume in Japan bringen keine Früchte hervor, also können sie in der unkultivierten
Natur nicht überleben. Sie müssen daher durch menschliche Kunstfertigkeiten vermutlich
27
nicht aus der Urform des Pontischen Gebirges abgeleitet worden sein. Kurz, der Kirschenwald
am Abhang des Yoshino – Berges muss gepflanzt worden sein. Aber wann? Vor hundert
Jahren?
Der Überlieferung nach hat Yoshitsune im Jahre 1187 am Yoshino – Berg unter blühenden
Kirschbäumen gerastet und neuen Mut gefasst. Zu dieser Zeit hat es dort demnach
Kirschbäume in auffallender Zahl gegeben. Anderen Quellen zufolge sind die Bäume bereits
im 7. Jahrhundert angepflanzt worden, durch En-no-Gyōja, der auch als Gründer des
Shugendô genannt wird, eines religiösen Weges, der Buddhismus, Shintoismus,
Shamanismus, Taoismus und andere Philosophien miteinander zu vereinen suchte. Er
widmete die Bäume dem Gott der Berge Zaou Gongen; daneben sind sie Gegenstand der
frühen Anthologie KOKINSHUU.
Der Abhang des Yoshino-Berges ist je nach Höhenstufe in vier Bereiche eingeteilt: Shimo-,
Naka-, Kami- und Oku-Senbon, übersetzt lauten diese Namen „Unterer-, Mittlerer-, Obererund Innerer 1000-Baum Bereich“, was nicht bedeutet, dass nur 4000 Kirschbäume den
Abhang bedecken, es sind mehr als 30 000. Der Ort Yoshino liegt übrigens in Naka-Senbon.
Der Name Oku-Senbon (Innerer – Bereich) deutet an, dass dieser, bereits einige Kilometer
oberhalb des Ortes gelegene Bereich, wohl derjenige sein muss, auf den es eigentlich
ankommt, obwohl er in seiner Äußerlichkeit nicht an das heranreicht, was weiter unten
geboten wird.
Die vier Höhenzonen des Yoshino-Bergs. Der historische Ort Yoshino liegt im Bereich der Ellipse. Die graue Linie stellt den
Anfang des Omine – Pilgerpfades dar, der sich 130 km durch das schroffe Kii-Gebirge nach Kumano am Ozean schlängelt.
Die Omine – Berge liegen südöstlich von Yoshino
Nicht alle der angepflanzten Bäume sind Exemplare der Art Yoshino-Kirschbaum (Prunus x
yedoensis). Ein abgegrenzter Park im Bereich Naka Senbon enthält mehr als 100 verschiedene
Arten. Eine davon bringt weiße Blüten hervor, die stark nach Bananen duften, besser gesagt,
die so duften, wie Bananen schmecken. Die Bäume sind nicht alle 1000 Jahre alt. Es werden
ständig neue Bäume nachgepflanzt. Das Holz der gefällten Bäume wird von den
Dorfbewohnern zu kunsthandwerklichen Gegenständen verarbeitet.
28
Picknick unter blühenden Kirschblüten
In der Zeit der Kirschblüte (Mitte April) wird der Ort von zahlreichen Besuchern durchströmt,
die einer japanischen Sitte frönen und sich am oberen Ende der Dorfstraße auf freien Plätzen
mit Aussicht auf Täler und Höhen unter den Kirschbäumen am Boden niederlassen, um die
mitgebrachten Leckereien (O-Bento) zusammen mit Reiswein (Sake), Tee und Bier zu
verzehren. Die Arbeitgeber dieser Picknicker drücken ein Auge zu, wenn ihre Mitarbeiter von
den Arbeitsplätzen verschwinden, denn die Zusammenkunft unter freiem Himmel dient nicht
zuletzt der innerbetrieblichen Kommunikation. Man lernt sich kennen und knüpft Netzwerke.
Die weißen und blassroten Blütenblätter sinken im leichten Frühlingswind sanft zur Erde und
landen wie gewichtlose Regentropfen in den Haaren, auf den Tabletten und in den
Trinkbechern der Feiernden.
Dass Japaner Kirschblüten-Feste feiern, ist sprichwörtlich. Offensichtlich handelt es sich um
einen überlieferten Brauch. Die Gründe dafür waren nicht in jeder geschichtlichen Epoche die
gleichen. Mal waren sie religiös motiviert, mal war es die Popularisierung von Festen der
Hofgesellschaft. Doch ein Grund scheint immer und überall motivierend zu sein, nämlich die
Poesie der Baumblüte, das Wetter wird wärmer, als es im Winter war, die Tage bleiben länger
hell, der Himmel ist blau/weiß und nicht bleigrau wie im Winter. Dies alles sind Faktoren, die
auf das Gemüt einwirken. Sowohl in Deutschland (Leichlingen, Werder, Altes Land, …) als
in USA und Kanada (Washington D.C., …Vancouver, …) zieht die Baumblüte traditionell die
Bewohner der nahe gelegenen Städte auf das Land und versetzt sie in festliche Stimmung.
Allenfalls würde es im Westen als Verschwendung betrachtet, sich um Bäume zu kümmern,
die nur blühen. Bäume, die Früchte tragen, blühen die nicht auch? Aber vor 1000 Jahren war
das Erzeugen von Wunschkindern, nämlich Bäumen mit prächtigen Blüten, noch eine Kunst,
die nicht überall praktiziert werden konnte, also eine High Tech - Angelegenheit.
(3)
Was hat Yoshino mit Religion zu tun?
Es ist vielfach belegt, dass der Yoshino-Berg und die umgebenden Berge mindestens seit der
Einführung des Buddhismus in Japan (552) ein Rückzugsgebiet für religiöse Einsiedler und
Asketen waren, die versucht haben, schamanistische, schintoistische und buddhistische
Vorstellungen unter einen Hut zu bringen. Die sich bis heute manifestierenden Ergebnisse
sind der große Tempel von Yoshino (Kinpusenji) und der Omine Pilgerpfad, von dem einige
Teilstrecken 2004 zum UNESCO – Weltkulturerbe erklärt wurden.
29
Satellitenbild des größten der Grabhügel (Kofun), in Sakai gelegen,
einem südlichen Vorort von Osaka,
die sterblichen Überreste des Kaisers Nintoku enthaltend (313-399)
Episoden der japanischen Geschichte sind seit der Einführung der chinesischen Schrift im
sechsten Jahrhundert durch in Japan selbst geschriebene Texte belegt. Die Archäologen haben
aber zahlreiche Artefakte ausgegraben oder identifiziert, die älteren Epochen zuzurechnen
sind. Insbesondere sind megalithische und sonstige Grabhügel (Kofun) bekannt, die mit zu
den größten gehören, die in der Welt gefunden wurden. Die Baumasse des Nintoku Kofun ist
größer als die der Cheops-Pyramide.
Die Errichtung derartiger Grabhügel hörte mit der Einführung des Buddhismus auf. Der Bau
sowie der Verzicht auf den Bau weiterer Grabhügel sind Folgen religiöser Fragen, die die
Menschen bewegt haben müssen.
Der Buddhismus wurde seit der Mitte des 6. Jahrhunderts durch koreanische Vermittlung
eingeführt und fasste dort schnell Fuß, deutlich erkenn bar an den Veränderungen bei der
Totenbestattung.
Im Jahre 552 sandte der König von Peakche eine diplomatische Mission in das Yamatoreich,
mit der Bitte um militärische Unterstützung gegen ein benachbartes Königreich. Auch die
Koreaner waren damals kein geeintes Reich. Als Gegengabe brachte die Mission
buddhistische Priester mit, die religiöse Bilder und Schriften sowie den Mondkalender im
Gepäck trugen. Koreanische Technologie, insbesondere die der Bearbeitung von Eisen, war in
Japan begehrt. Die militärische Hilfe wurde den Koreanern gewährt, war allerdings nicht
erfolgreich, denn im Jahre 562 wurden die Japaner von ihren Besitzungen Mimana in Korea
vertrieben. Die Übernahme der fremden Religion jedoch erwies sich als dauerhaft und
folgenreich.
Die Veränderung religiöser Denkweisen geht naturgemäß nicht ohne innere und äußere
Kämpfe vonstatten. Die äußeren fanden in der Yamato-Ebene statt, die inneren in den
Yoshino-Bergen. Das Ergebnis war ein Modus der Koexistenz. Die alte Religion wurde nicht
durch die neue verdrängt. Die alte änderte sich zwar, was am Losslassen von alten
Totenritualen erkennbar wird, aber der Shintoismus blieb bis heute neben der neuen Religion
bestehen.
Der Sage nach, wurden sich die Japaner durch die neue Religion erst ihrer alten bewusst. Als
30
der Grosskönig1 erkrankte und Gebete an die alten Götter nicht halfen, betete er vor den
Bildern der neuen und wurde gesund. Was ihn der neuen Religion zuneigte. Der Grosskönig
wurde aber auch krank, ohne dass die neuen Götter ihm halfen, was die Gegner der neuen
Religion auf den Plan rief, die meinten, er würde nicht gesund, weil er die alten Götter
vergrault habe.
Die neue Religion war im Jahre 710 fest etabliert, als Nara die erste gemeinsame Hauptstadt
des japanischen Reiches wurde. Es gab eine herausragende politische Gestalt, die die
Reichseinigung zustande brachte, nämlich Shotuoku Taishi, der selbst nur Regent seiner
Tante Suiko war und sie durch seine Bemühungen zur Kaiserin, zur `Himmlischen
Herrscherin (Tennô) ‘ machte, weil er sie in einem Brief an den chinesischen Kaiser, der sich
´Sohn des Himmels´ nannte, so bezeichnete.
Die andere herausragende Persönlichkeit trug den Namen En-no-Gyōja. Sie lebte zeitweise in
Yoshino und hat dort bis heute sichtbare Spuren hinterlassen, nämlich den mit Kirschbäumen
bepflanzten Berghang, einen Tempel, der als zweitgrösstes Holzhaus in Japan gilt, den
Kinpusenji, eine Gemeinschaft von guten Geistern, die in der japanischen Literatur immer
wieder als Helfer in der Not auftreten und Yamabushi genannt werden, die religiöse
Bruderschaft des Shugendo und den Omine-Pilgerpfad, der seit 2004 als Weltkulturerbe der
Menschheit von der UNESCO anerkannt wird.
En-no-Gyōja lebte in der Zeit der Jahrhundertwende vom 7. auf das 8. Jahrhundert als freier
Einsiedler oder Theologe, der mit der Regierung Ärger bekam, weil er mit dem Volk über
religiöse Dinge sprach. Religion aber von der Regierung als ein Hilfsmittel angesehen wurde,
das ihr zur Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben zustand. Als religiöse Aufgaben galten das
Beten für das Wohl des Staates, das Bannen von Epidemien und die Sorge um eine gute
Ernte. Das Staatsamt des Regenmachers hatte die notwendigen Vorkehrungen dafür zu
treffen.
En-no-Gyōja machte die Regierung darauf aufmerksam, dass auch einzelne Menschen
religiöse Bedürfnisse haben und wurde dafür verbannt. Während seiner Verbannung soll er im
Ise – Shrein die Idee gehabt haben, die die alte Religion, den Shintoismus, mit der neuen, dem
Buddhismus versöhnte. Nämlich er erklärte die hauptsächlichen alten Götter, die Kami, es
gibt unendlich viele Kami, zu Bodhisatvas2. Das war einleuchtend, verständlich und
beseitigte alle Einwände. Jeder konnte selbst entscheiden, was er sein wollte, Shintoist,
Buddhist oder beides. En-no-Gyōja wurde posthum von einem Kaiser zum Avatar erklärt,
also zu einem Heiligen.
Wenn wir in die europäische Geschichte blicken, so gab es auch eine Formel für einen
Ausgleich, nämlich der Augsburger Religionsfrieden von 1555 etablierte einen Modus der
Koexistenz zwischen verschiedenen religiösen Richtungen, nämlich auf der Basis: „Wessen
das Land, dessen die Religion“. Der Landesherr bestimmte die Religion der Untertanen.
Nonkonformisten hatten das Recht, auszuwandern. Die Grundlage dieser gegenseitigen
Duldung ist politisches Gleichgewicht, aber kein demokratisches.
Was ist erforderlich, die Gemüter der Menschen zur Ruhe zu bringen? Politisches
Gleichgewicht scheint dafür nicht auszureichen. Der Frage nachzugehen, was die Grundlage
einer Harmonisierung sein könnte, scheint lohnenswert zu sein.
Eines der frühesten buddhistischen Bauwerke in Japan ist der Tôdai-ji (Tempel) in Nara. Er
gilt als die größte Holzkonstruktion der Welt.
1
Zu dieser Zeit gab es noch keine Kaiser. Der Titel Tenno (Kaiser) wurde erwt durch Shotoku Taishi
eingefuehrt, der erst spaeter lebte.
2
Erklaerung des Begriffs Bodhisatva siehe weiter unten Abschnitt Buddhismus
31
Tôdai-ji (Tempel) in Nara
Das zweitgrößte Holzhaus in Japan ist das Hauptgebäude des Kinpusen-ji in Yoshino. Der
Tempel ist ein bedeutendes Zentrum des Shugendô (修験道), wörtlich übersetzt: „Der Weg
des Lernens und des Praktizierens“. Gemeint ist, die Beziehungen des Menschen zu der
Wirklichkeit der Natur zu erforschen. Die Shugen – Sekte oder Schule ist bis heute aktiv und
übt Einfluss auf die Gesellschaft aus.
Das Wort Sekte hat im Westen einen negativen Beigeschmack, weil mit diesem Wort
Gemeinschaften bezeichnet werden, die vom Pfad der etablierten Lehrmeinung abweichen.
Der Buddhismus kennt keinen Papst, der eine Lehrmeinung etablieren könnte, er kennt Wege
(Dô), was auch mit Sekte oder Schule übersetzt wird. Die wichtigste Sekte ist jeweils
diejenige, die die meisten feinen Leute zu ihren Mitgliedern zählt. Im Laufe der Geschichte
Japans haben verschiedene Sekten diese Rolle gespielt.
Zweitgrößtes Holzhaus in Japan: Kinpusen-ji (Tempel) in Yoshino
Shugendô konzentriert sich auf einen asketischen Lebensstil, wie er Bergbewohnern eigen ist,
weil er körperlich erfahrbare Erfolge und Niederlagen in Analogie zu geistigen
Entwicklungen setzte und inkorporierte in seine buddhistische, seinerzeit staatlich favorisierte
Grundhaltung die Lehren anderer östlicher Philosophien wie Shamanismus, Shintoismus und
Taoismus, Konfuzianismus mit dem Ziel, die spirituellen Erfahrungen und Fähigkeiten eines
Menschen zu fördern. An verbaler Fixierung immerwährender Wahrheiten ist er nicht
interessiert.
En-no-Gyōja, der die ersten Kirschbäume am Hang des Yoshino-Berges gepflanzt haben soll,
32
gilt als der Gründer des Shugendô. Wir können uns nun vorstellen, weshalb Kirschblüten
einen religiösen Bezug haben. Die Anhänger des Shugendô heißen shugenja, „Leute des
Shugen“, aber auch “Yamabushi”, was “sich in den Bergen verneigen oder anbeten” bedeutet.
In der japanischen Folklore und den Mythen kommen Yamabushi häufig vor und zwar als
Helfer von verirrten Pilgern in den Bergen und als Heilkundige.
Um zu spirituellen Erfahrungen zu gelangen, sind körperliche Anstrengungen und
Entbehrungen, wie sie auf langen Wanderungen erlebt werden können, hilfreich, z.B.
berichten die Jakobspilger nach Santiago de Compostela davon.
Von Yoshino führen verschiedene Pfade bis zum 130 Kilometer entfernten Meer durch ein
schroffes Bergland, genannt Kii-Gebirge, vorbei an hohen Wasserfällen und entlang steiler
Felsabstürze. Sie bieten sich als Übungsfeld für das Sammeln spiritueller Erfahrungen an und
wurden auch schon vor den Yamabushi zu eben diesen Zwecken genutzt. Im 10. Jahrhundert
erlangten sie den Status heiliger Berge, die selbst in China als Ort für geistige Exerzitien
bekannt waren. Es gab auch anderswo in Japan heilige Berge, z.B. den Fujiyama.
Menschen auf dem Pilgerpfad von Yoshino nach Kumano
Im Jahre 2004 wurden drei Orte in den Kii – Bergen als UNESCO Weltkulturerbe registriert.
Es handelt sich um die zweite UNESCO – Registrierung dieser Art. Die erste Registrierung
betraf Streckenabschnitte des Jakobswegs nach Santiago de Compostela.
Bevor es zur Registrierung der Kii – Berge kam, mussten einige Schwierigkeiten beseitigt
werden, denn heilige Orte durften in Japan nicht von Frauen betreten werden und die
UNESCO hätte eine derartige Regelung nicht akzeptiert, obwohl es eine Ausnahme gibt,
nämlich den Berg Athos in Griechenland. Er ist UNESCO Kulturerbe und darf trotzdem nicht
von Frauen und Kindern betreten werden. Inzwischen ist das Frauenverbot in Japan fast
vollständig aufgehoben worden.
Die erste Lockerung des Verbots erfolgte speziell für den Fujiyama im Jahre 1872, weil man
nicht wusste, wie das Verbot den nun im Lande zugelassenen Westlern erklärt werden sollte.
Für die Kii-Berge wurde das Verbot 1960 teilweise aufgehoben und zwar Dank der
insistierenden Tätigkeit einer Westlerin, die mehr als 30 Jahre lang in Japan gelebt hatte
(Edith Hansen). Es gibt auch heute noch Beschränkungen, jedoch nicht in den registrierten
Bezirken.
Die drei zum UNESCO Kulturerbe erhobenen Orte sind der Berg Koyasan (Wakayama), der
Pilgerpfad Yoshino-Omine (Nara) und die Schreine Kumano Sanzan (Wakayama). Sie liegen
innerhalb des in moderner Zeit geschaffenen Yoshino-Kumano National Parks und im
33
Netzwerk der traditionellen Pilgerpfade. Kumano, an sich ein heiliger Ort des Shinto, hat
seinen Ruf durch eine Legende aufgewertet, wonach im Jahre 420 ein Inder an den Strand
gespült worden sei, der aufgrund von Visionen an einem in der Nähe gelegenen Wasserfall
eine buddhistische Einsiedelei errichtet habe und durch einen Sektengründer, der seine
buddhistische Erleuchtung in einem shintoistischen Schrein erhielt (Ippen Shonin, Gründer
eines Nebenzweiges der Jodo-Shu).
Heutzutage werden die Pilgerpfade nicht nur zu religiösen Übungen benutzt, sondern von
Erholung suchenden Wanderern, die sich an den landschaftlichen Schönheiten erfreuen. Für
Europäer ist die Wanderung durch Wälder mit turmhohen, kerzengeraden Nadelhölzern
besonders faszinierend, weil er sie in Europa nirgendwo sieht.
Der Buddhismus entstand bekanntlich im sechsten vorchristlichen Jahrhundert in Indien und
kam in der Form des Mahayana „Großes Fahrzeug“ über China und Korea nach Japan, wo er
verschiedene Schulen hervorgebracht hat, die auch Sekten genannt werden. In China hat der
Buddhismus nur periodisch eine bedeutende Rolle gespielt. Dort war es der Konfuzianismus,
der die soziale Ordnung stark beeinflusst hat. Der chinesische Konfuzianismus und der in
Japan entwickelte Neokonfuzianismus haben auch in Japan die staatliche Organisation
geformt.
In Japan existieren unterschiedliche Religionen, die sich vom Standpunkt der Logik
betrachtet, sogar gegenseitig widersprechen, nicht nur konfliktarm nebeneinander, sondern ein
großer Teil der Bevölkerung bekennt sich sowohl zum Buddhismus als auch zum
Shintoismus. Von christlicher Seite hat den Japanern das den Ruf eingetragen, schizophren zu
sein, weil der Shintoismus als diesseitig orientierte Religion zu betrachten sei und der
Buddhismus als jenseitig orientierte, beides gleichzeitig zu glauben sei unlogisch. Japaner, auf
dieses Problem angesprochen, bezichtigen Westler ihrerseits der Schizophrenie, weil sich die
christliche und die Religion der Wissenschaft gegenseitig widersprächen, die eine sei
gottgläubig, die andere versuche die Welt ohne Gott zu erklären und das auch noch, ohne je
wissen zu können, ob ihr das jemals gelingen könnte, eine Hoffnung wird als Gewissheit
gesetzt. Damit unterscheidet sich Wissenschaft nicht grundsätzlich von Religion, beide
verlassen sich auf eine Hoffnung, auf etwas, das sich erst noch als zutreffend erweisen muss.
Wissenschaften wurden auch immer schon von Christen betrieben und es gibt
Wissenschaftler, die sich explizit zum Glauben bekennen neben erklärten Atheisten und
Materialisten, die in diesem Sinne als logisch konsequente Puristen gelten können. Mir
scheint, beide haben Recht, reden aber aneinander vorbei, weil verbalisierte Diskrepanzen
nicht wegen der Verbalisierung den Status der Existenz erlangen, sie gehören ins Reich der
Phantasien. Die kulturellen Errungenschaften beider Seiten zeigen, dass die Angelegenheit
auf verbaler Ebene nicht zu lösen ist. Europäer neigen dazu, die verbale Fixierung absoluter
Wahrheiten als anzustrebendes Ziel zu betrachten, während Japaner versuchen, Fähigkeiten
zu entwickeln, mit denen Wahrheiten erlebt oder geschaffen werden können, z.B. in der Form
von Ergebnissen der Poesie, Malerei, Meditation oder auch der Schwertkunst.
Das Ziel eines christlichen Lebens ist die Erlösung durch Glauben, weil Werke dazu nicht
ausreichen. Das Ziel eines buddistischen Lebens ist die Erleuchtung, die es durch
Selbstvervollkommnung zu erreichen gilt, aber praktisch erreichen nur wenige diesen
Zustand. Deshalb gibt es zumindest im Mahajana Buddhismus die Idee des Bodhisatva, eines
Menschen, der den Zustand der Erleuchtung erreicht hat, nun aber von der Erlösung, dem
Eingang ins Nirvana keinen Gebrauch macht, weil er anderen Menschen dabei helfen will,
den Zustand der Erleuchtung zu erlangen.
Der Jodo-Shin-Shu Buddhismus geht so weit, zu sagen, dass die Bohisatvas bereits alles
dafür getan haben, jeden Menschen in den Zustand der Erleuchtung zu versetzen, aber es wäre
schön, wenn der somit Erleuchtete Dankbarkeit dafür zum Ausdruck brächte. ZenBuddhisten vertreten eine davon leicht abweichende Meinung. Sie betrachten sich
gewissermassen von Natur aus im Zustand der Erleuchtung, fühlen in diesem Zustand aber
34
die Notwendigkeit, entsprehend zu leben. Sie streben danach, ihre Lebenstätigkeit möglichst
perfekt auszuführen. Wobei es nicht auf die Art der Tätigkeit ankommt, sie könnte in
perfekter Müllabfuhr bestehen oder im perfekten Umgang mit dem benötigten Werkzeug. Zur
perfekten Ausführung von Tätigkeiten gehört stetes Dazulernen. Der Vorschlag eines
europäischen Politikers, nämlich zur Reduktion der überlaufenden Staatsschulden bei der
Bildung zu sparen, würde nur dann verstanden, wenn mit Bildung etwas Überflüssiges
gemeint wäre. Schliesslich können Menschen mit Wissen vollgepumpt werden, das keine
Fähigkeiten erzeugt und auch sonst oder ihnen selbst nichts nutzt
Die Schugen Sekte, die neue und alte religiöse Vorstellungen miteinander zu versöhnen
suchte und bis heute Einfluss und Wirkung hat, wurde vom Volk nur zögernd aufgenommen,
weil ihre Lehren zu komplex sind. Im Jahre 805 kam eine neue Sekte direkt aus China hinzu,
nämlich die Tendai Sekte, nicht zuletzt weil die in der Nara-Zeit aktive buddhistische Kegon
– Sekte ein politisches Chaos angerichtet hatte. Die neue Tendai - Sekte hielt immer enge
Beziehungen zum Kaiserhaus, verweltlichte aber im Laufe der Zeit. Ihr Hauptquartier
errichtete sie auf dem Berg Hiei am Rande Kyotos, das die Rolle des geistlichen Zentrums des
Landes übernahm, in dem u.a. die Gründer der neuen Richtungen ausgebildet wurden (Zen,
Jodo, Jodo-Shin und Nichiren), die in der Kamakura-Zeit entstanden, um das politische Chaos
zu lösen, das in der Heian-Zeit angerichtet worden war. Die Tendai Sekte handelte nach der
Erkenntnis, dass Menschen auf mindestens zwei Arten zu einer Überzeugung gelangen
können, nämlich durch Überredung oder durch Zwang, weshalb sie sich in beiden Techniken
übte, sowohl in der Kunst der Überredung als im Umgang mit Waffen. So wird z.B.
Minamoto no Yoshitsune zusammen mit dem Kampfmönch Benkei abgebildet (siehe unten).
Als Symbol für die Fähigkeit der Theologen, für ihre Überzeugung einstehen und Böses
behindern zu können. Kampfmönche oder Sohei sind Vorläufer der sprichwörtlichen
japanischen Kampsportler und wurden sowohl von der Tendai-Schule als auch anderen
ausgebildet.
Benkei war Yoshitsunes treu ergebener und nützlicher Gefährte, nachdem er in einem
Zweikampf von diesem besiegt worden war. Politisch gefährlich wurde die Tendai - Sekte in
der Zeit der „kämpfenden Provinzen“ im sechszehnten Jahrhundert, weil sie sich aus nicht
religiösen Gründen in politische Angelegenheiten eingemischt hatte, sie war verweltlicht.
Um 806 wurde zudem die Shingon – Schule direkt aus China eingeführt. Sie vertrat und
vertritt den tantrischen oder esoterischen Buddhismus und hat sich aus politischen
Angelegenheiten stets herausgehalten. Ihre Lehren werden oft als geheimer Buddhismus
bezeichnet, was aber nur bedeutet, dass der Lernende besondere Mühe aufwenden muss und
enge Beziehungen zum lehrenden Meister zu halten hat, nicht etwa sein Ausschluss von
Teilen der Lehre.
Die in der Kamakura-Zeit gegründeten neuen Richtungen waren u.a. auch deshalb entstanden,
weil die Theologen sich das Ziel gesetzt hatten, die komplizierten theologischen
Zusammenhänge des Buddhismus dem Volk näher zu bringen. Was ihnen tatsächlich gelang,
denn bis heute hängen die meisten Japaner den Richtungen Jodo-shin-shu und Nichren-shu
an. Die Zen-Richtungen fanden Aufnahme beim Militär. Bekannte Militärführer des zweiten
Weltkrieges waren eloquente Zen-Anhänger, wenn nicht Priester.
Der Shintoismus ist die ursprüngliche Religion der Japaner. Sie kennt keine heiligen Bücher
oder geschriebenen Regeln, sondern gilt als im Bewusstsein der Menschen verankert. Shinto
heißt „Weg der Götter (Kami)“. Kami können Berge, Bäume, Gegenstände und Menschen
sein, sofern sie durch die Wirkung ihrer Werke oder ihres Daseins den Nachfahren in
Erinnerung bleiben. Z.B. ist Mozart ein Mensch, der schon lange gestorben ist, sein Leib ist
ein für alle mal zu Staub und Erde zerfallen, seine Musik aber wird überall gespielt. Darin
wird seine Göttlichkeit gesehen. Menschen gelten im Grunde als gut. Das Böse kommt durch
Geister in die Welt, die mit Hilfe der Kami gebannt werden können. Der größte Kami ist die
35
Sonnengöttin. Die Japaner wurden sich ihrer eigenen Religion erst bewusst, als ihr 31. Kaiser
Yomei krank wurde und vor dem Bild eines Buddha um Gesundheit betete.
Was den Schamanismus ageht, so ist zwar nicht die Herkunft des Wortes Schamane bekannt,
aber es handelte sich um Menschen, die sich als Heiler betätigten. Ihre Heilungskräfte
beziehen sie aus einer psychedelischen Kosmogonie deren Ursprung im nordöstlichen
Sibirien vermutet wird, aber Spuren in anderen Weltregionen und Religionen hinterlassen hat,
sogar im verfassten Christentum. Exorzismus und Hexenverbrennung gelten als Ausdruck des
Schamanismus. Der japanische Schamanismus kam wahrscheinlich mit den Ainu ins Land,
die zur Zeit der japanischen Staatenbildung die Kurilen Inseln, Hokkaido und den
nordöstlichen Teil der Insel Honschu bewohnten und, was Japan betrifft, auch heute noch als
Minderheit auf der Insel Hokkaido leben. Die Japaner, die den Yamato-Staat gründeten, sind
offensichtlich spätere Zuwanderer, über deren Herkunft spekuliert wird. Sie übernahmen den
Schamanismus und vermischten ihn mit eigenen Vorstellungen, was den Shintoismus ergab.
Als ich in Osaka den Sumioshi Schrein besichtigte, den einzigen, der die Brandbomben
Angriffe des Zweiten Weltkriegs überstanden hatte, wurde ich von einem Japaner
angesprochen, der mich fragte, ob ich verstehe, was ich sähe. Ich weiß nicht mehr, was ich
antwortete, weil ich glaubte, die Grundprinzipien des Shintoismus zu verstehen, nicht zuletzt
wegen des informativen Vortrags von Frau Maruyama-Fritz bei der DJG-BW. Er fragte
mich, ob ich wisse, dass der Shintoismus stark von den Hebräern beeinflusst sei. Daraufhin
entwickelte sich ein Gespräch, in dem er mich auf verschiedene Dinge aufmerksam machte.
Der 'Omikoshi' dort drüben, sieht der nicht so aus, wie die Bundeslade der Hebräer? Wenn er
von den Trägern angehoben wird, sagen sie ein Wort, das ‚auf’ bedeutet, es klingt ebenso wie
das hebräische Wort für ‚auf’. Mein Gesprächspartner spielte also auf die biblische
Geschichte von den 10 verlorenen Stämmen Israels an, die im Jahre 722 v. Chr. von den
Assyrern entführt worden waren und in den ‚letzten Tagen’ wieder auftauchen sollten. Auf
meine Frage, woher er seine Kenntnisse habe, antworte er, er sei Hobby-Historiker und habe
das Buch eines deutschen Juden gelesen, das ihn neugierig gemacht habe. Japanische
Historiker hielten sich mehr an das Kojiki und Nihon-Shoki, offiziellen Geschichtsbüchern,
die am Anfang der Nara-Zeit entstanden seien, also viel später als die Ereignisse, um die es
geht. Aber auch sie könnten nicht verdrängen, dass die mythischen Überlieferungen, auf die
sie sich stützten, den hebräischen ähnlich seien.
Als ich wieder Zugang zu einem Computer hatte, gab ich die Suchworte „Japan & Hebrew“
ein und erhielt eine lange Trefferliste, aus der ich entnahm, dass der Gedanke, die Japaner
seinen Überbleibsel der 10 verlorenen Stämme, gar nicht neu war. Bereits Engelbert Kämpfer,
hatte in seinem Buch, aus dem Goethe für seinen ‚west-östlichen Divan’ schöpfte, diesen
Gedanken als Vermutung geäußert und begründet.
Das Buch des Joseph Eidelberg, The Biblical Hebrew Origin of the Japanese People führt eine
lange Liste von Beweisgründen auf, die diese Annahme unterstützen. Selbst die Kritiker
verdammen das Buch nicht völlig. Sie geben zu bedenken, die angeblichen Hebräer in Japan
müssten nicht unbedingt Nachfahren des Stammvaters Jakob sein, auch die Nachfahren von
Esau sprachen so ähnlich wie die Hebräer und wohnten in deren Umgebung. Unter den
Assyreren sei es üblich gewesen, besiegte Völker zu entführen und in Palästina hätten sie
nicht nur Samaria angegriffen und besiegt, sondern auch andere Landesteile.
Sei dem wie es sei, jedenfalls als ich Yoshino besuchte, war ich sensibilisiert für diese
Thematik, weshalb mir im Ausstellungsraum des Rathauses, in dem Artefakte der Geschichte
das Ortes ausgestellt waren, sofort die Wachsfigur eines zünftigen Yamabushi auffiel. Sie trug
als Kopfputz ein „Tokin“ die Hebraer nennen es „Phyloctery“ (siehe Foto). Ansonsten sind
nur noch die Pharaonen als Träger ähnlichen Kopfputzes bekannt, doch der pharaonische
36
unterscheidet sich in der Form von dem der Yamabushi und Hebräer.
Zünftiger Yamabushi mit Tokin
Wachsfigur im Rathaus von Yoshino
Konfuzianismus und Taoismus sind ca. 500 Jahre vor Christus in China entstanden. Der
Konfuzianismus kann als Religion ohne Götter verstanden werden, sein Ziel ist die Beziehung
der Menschen untereinander und zum Staat in harmonischer Weise zu ordnen. In China galt er
bis 1908 als Richtschnur für die Verwaltung des Landes. In Japan war er Richtschnur für die
Reformen, die zur Etablierung von Nara als Hauptstadt geführt hatten und im späten 16. Jh.
war der in Japan entwickelte Neokonfuzianismus Grundlage der staatlichen Neuordnung. Der
Konfuzianismus ist einfach verständlich, entspricht aber nicht dem tiefer greifenden
menschlichen Bedürfnis nach Welterklärung. Dem kommt der Taoismus entgegen, der in
Japan durch Vermittlung der beiden Zen-Sekten (ab 1191) einen erneuten, Kultur bildenden
Einfluss ausübte.
In China gibt es viele geistliche Richtungen und Techniken, die sich nach dem „Tao“
benennen. Vom Standpunkt der Wissenschaften wird er aus dem Buch „Tao te king“ (Buch
vom Tao) abgeleitet, als dessen Autoren die angesehenen Weisen Laotse und Jangtse gelten.
Laotse wird auch als Lehrer des Konfuzius und des Gründers des Buddhismus, Buddha
Gautama Sidarta, genannt. Eine von europäischen Missionaren hergestellte Übersetzung des
„Tao te king“ kam im 16. Jahrhundert nach Europa, wo sie sowohl Ablehnung als auch
Zustimmung erfuhr. Ein Grundprinzip des Taoismus ist das „nicht Tun“, worunter nicht
„nichts tun“ zu verstehen ist, sondern das Nichteingreifen in die Natur der Dinge. Ein
Europäer könnte daraus schließen, Taoisten verböten das Heilen von Kranken, was aber nicht
der Fall ist, denn es hat sich ein Zweig der Medizin entwickelt, der taoistische Praktiken zur
Heilung anwendet. Merkwürdigerweise sind taoistische (und schamanistische) Heilmethoden
37
manchmal erfolgreich, wo westliche versagen. Die Westler weisen in solchen Fällen auf die
zuverlässigere Wiederholbarkeit der Ergebnisse ihrer Methoden hin.
Da Menschen die Tendenz haben, den geistigen Dingen des Lebens mehr Bedeutung
zuzumessen als den alltäglichen, gab es auch in Japan Konflikte zwischen weltlicher und
geistlicher Macht. Staatliche Stellen versuchten in geistliche Entwicklungen einzugreifen und
umgekehrt, Geistliche versuchten die staatliche Macht zu beeinflussen oder zu ergreifen.
Beides ohne nachhaltigen Erfolg. Letzteres wurde auf zwei verschiedene Arten verhindert:
Erstens durch Verlegung der Hauptstadt von Nara nach Kyoto und zweitens durch grausame,
aber wirksame Vernichtung der Prätendenten (nach 10 jähriger Vorwarnzeit).
Übrigens verlangt der Buddhismus von seinen Anhängern nicht, sich grundsätzlich aus
politischen Angelegenheiten herauszuhalten, im Gegenteil, Bösem darf nicht freier Lauf
gestattet werden. Allerdings macht es einen Unterschied, ob sich jemand in die Politik
einmischt, um Böses zu verhindern oder aus eigennützigen Gründen.
Der Eingriff der weltlichen Macht in geistige Angelegenheiten z.B. den Shinto als
Staatsreligion zu verordnen, konnte zunächst widerspruchslos vorgenommen werden, prallte
im Laufe der Zeit aber wirkungslos ab. Einer der Versuche wurde durch Einwirkung von
Douglas McArthur formal aufgehoben.
Doch dies ist eine Geschichte, die weniger mit Yoshino als mit Nara, Kyoto und Edo zu tun
hat.
(4)
Was hat Yoshitsune mit Yoshino zu tun?
Eigentlich nur wenig. Aber Yoshitsune zusammen mit seinem Freund und Vasallen, dem
Kampfmönch Benkei, sind die Volkshelden Japans schlechthin und daher bedeutet es den
Bewohnern von Yoshino schon etwas, auf die Anwesenheit der Helden in ihrer Gemeinde
verweisen zu können. Die Überlieferung lässt sie einmal (1187) in Yoshino rasten, als
Yoshitsune auf der Flucht vor den Häschern seines Halbbruders war, dem ersten auf Dauer
ernannten Shogun. Unter blühenden Kirschbäumen fassten er und seine Begleiter neuen Mut,
nicht zuletzt weil seine Lebensgefährtin Shizuka Sakuya, auch genannt Yuriru, eine
sagenhaft schöne Tempeltänzerin, ihn und seine wenigen Gefährten mit kunstvollen Tänzen
aufmunterte. In den Annalen werden sie als heilige Tänze bezeichnet. Bei anderen
Gelegenheiten diente sie ihm, dem politisch unerfahrenen Jüngling, als kenntnisreiche
politische Beraterin, denn sie war am Kaiserhof aufgewachsen. Sie scheute sich nicht, dem
Halbbruder in Kamakura öffentlich seine Schändlichkeit vorzuhalten und wäre deshalb auf
der Stelle getötet worden, wenn dies nicht im letzten Augenblick durch die einsichtige
Gemahlin des Halbbruders verhindert worden wäre. Yoritomo war durch sein Amt
misstrauisch geworden, doch seiner Frau Masaoko vertraute er, er hörte auf sie.
38
Minamoto no Yoshitsune mit dem Kampfmönch Benkei,
Darstellung von Yoshitoshi
Welch ein außergewöhnlicher Mensch muss das sein, an dessen Rast die Menschen sich 1000
Jahre später noch erinnern. Die Plaketten: „Goethe war hier“ an den Häusern, in denen er
einmal übernachtet hatte, sind nicht 1000 Jahre alt. So ist es. Yoshitsune war verstrickt in
bedeutende Ereignisse, die zum Übergang von einer japanischen Geschichtsepoche in eine
andere führten, nämlich von der Heian- (794 - 1192) in die Kamakura-Zeit (1192 - 1333) und
zwar als Schönling und erfolgreicher, tragischer Held, als der Innbegriff des japanischen
Ritters, der seinem Halbbruder Yoritomo die Schlachten gewann, die er brauchte, um seine
Macht als Shogun zu begründen und zu festigen.
Das Volk liebte ihn. Deshalb misstraute ihm sein Halbbruder und er erntete nicht Lohn,
sondern wurde in den Selbstmord getrieben. Anders als der sagenhafte Frauen- und
Kriegsheld Don Juan, der illegitime Sohn von Kaiser Karl V, der von seinem Halbbruder,
König Philipp II zur Lösung heikler Aufgaben eingesetzt wurde, die meist unerwartet
glücklich ausgingen, zum Beispiel die Seeschlacht bei Lepanto 1571. Erst mit seiner letzten
Mission, nämlich der Befriedung der Niederlande, erregte er den Ärger des Königs, doch
Don Juan starb, bevor der Ärger ihm etwas anhaben konnte.
Ein Mensch, der aus schwierigen Verhältnissen kommend, etwas aus sich macht, sein
Geschick dazu einsetzt, anderen zum Erfolg zu verhelfen und dafür bitter bestraft wird, liefert
Stoff, aus dem Mythen gestrickt sind. Er bedarf keiner weiteren Erklärung, er braucht den
Literaten nur bekannt zu werden. So gibt es in Japan viele Theaterstücke, sonstige literarische
Werke und eine Fernsehserie in 40 Folgen, die das Schicksal von Yoshitsune und seines
Freundes Benkei besingen.
Yoshitsune war der jüngste Sohn von Yoshitomo no Minamoto. Als sein Vater starb, war er
noch ein Wickelkind. Sein älterer Halbbruder Yoritomo war gerade 10 Jahre alt. Der
Stammvater der Familie Minamoto ist der Prinz Genji, Held des ersten Romans der
Weltliteratur, der „Geschichte des Prinzen Genji“ aus dem 11. Jahrhundert. Der Roman dient
heute noch als Lehrstoff zur Vermittlung guter Manieren und überzeugt selbst skeptische
Europäer davon, dass Japaner bereits im 11. Jahrhundert moderne Menschen waren.
Der Prinz Genji war Sohn eines Kaisers und einer seiner Nebenfrauen, die von der
Hofgesellschaft wenig geachtet wurde. Der Kaiser liebte diese Frau und seinen Sohn. Er
konnte ihn zwar nicht zu seinem Nachfolger machen, doch sorgt er dafür, dass er der
Stammvater der dem Hofadel ebenbürtigen Minamoto-Familie wurde.
Kurz bevor Yoshitsune geboren wurde, hatte sich sein Vater gegen die aktuelle
Machthaberfamilie Taira erhoben und war dabei umgekommen, nicht nur er, sondern alle
männlichen Mitglieder der Familie Minamoto bis auf vier Knaben. Yoshitsune und zwei
seiner Brüder überlebten nur deshalb, weil seine Mutter von Kiyomori no Taira, dem Sieger
in der Auseinadersetzung begehrt wurde. Um ihre Kinder zu retten, willigte sie ein. Die
Kinder wurden einem Kloster zur Erziehung übergeben, was die Auslöschung ihrer Identität
bedeuten sollte. Doch Yoshitsune gewann die Sympathie seiner Erzieher und kam hinter das
Geheimnis seiner Abstammung. Das ermunterte ihn, sich selbst, unbemerkt vom
Klosterbetrieb, zum Schwertkämpfer auszubilden.
Als er 16 Jahre alt war, verließ er das Kloster. In Kyoto hörte er von Benkei, einem
Kampfmönch von enormer Körpergröße, der sich vorgenommen hatte, tausend
Herausforderer zu besiegen. Yoshitsune wollte wissen, was seine heimlich erlernten Künste
wert seien, stellte sich dem Kampf und besiegte den Mönch. Aus dem Kampf entwickelte
sich eine dauerhafte Freundschaft. Die beiden blieben bis zum Tode Yoshitsunes
39
unzertrennlich.
Durch Benkei gewann Yoshitsune die Anknüfung an das Weltgeschehen und hörte von
seinem Halbbruder Yoritomo, der inzwischen in Kamakura von sich reden machte.
Yoshitsune besuchte ihn am traditionellen Familiensitz. Eine Familienzusammenführung
fand statt. Yoritomo hatte sich zu einem politisch denkenden Kopf entwickelt, der die
Gründe des Niedergangs der Heian – Zeit durchschaute und Lösungen dafür ausgedacht
hatte. Doch noch war die Taira Familie mächtig und bestimmte den Lauf der Dinge.
Als Yoshitsune etwa 20 Jahre alt war, wurde er von seinem Halbbruder mit einer kleinen
Streitmacht nach Kyoto entsand, um die Tairas zu vertreiben. Er benötigte fünf Jahre, von
1180 – 1185, um die Aufgabe, die Gempei – Krieg genannt wurde, zu erfüllen. Zunächst war
er noch unter die Tutelage älterer Heerführer gestellt worden, doch er erwies sich nicht nur als
mitreissender Kämpfer, sondern auch als strategischer Kopf, der die Tairas aus fast
aussichtsloser Lage in zwei entscheidenden Ereignissen besiegte.
Das Heimatgebiet der Tairas ist das westliche Japan. Ihr Hauptschrein ist der Itsukushima auf
der Insel Myiajima in der Nähe von Hiroshima. Daher fanden die meisten Kämpfe entweder
an der Küste oder auf der japanischen Inlandsee statt. Einmal hatten die Tairas sich in
unangreifbarer Lage auf einer Halbinsel verschanzt. Doch Yoshitsune griff sie genau aus der
Richtung an, die für einen Angriff völlig unmöglich betrachtet wurde. Mit Umsicht und
Wagemut hatte er sich in diese Position gebracht und die Tairas überrascht. Die letzte
Schlacht fand auf See bei Dan no Ura in der Nähe der Meerenge von Schimonoseki statt,
auch hier hatte esYoshitsune verstanden, Wasserströmungen und Gezeitenwechsel geschickt
für seine Zwecke auszunutzen. Bei all seinen Kämpfen hatte sich Yoshitsune grossmütig
gegen seine Gegner verhalten, was ihm beim Volk Ansehen eintrug.
Das machte seinen Halbbruder Yoritomo eifersüchtig, so dass zwischen beiden ein Streit
entstand. Yoshitsune wollte keinen Bürgerkrieg heraufbeschwören, anders als der im
Hintergrund intrigierende Exkaiser und Oberpriester (Bonze) Go-Shirakawa und entzog sich
dem Zugriff seines Halbbruders durch Flucht. Aber 1189 war seine Position unhaltbar
geworden und er beging Selbstmord.
Als Yoshitsune erstmals mit Go-Shirakawa zusammentraf, begegnete er einem Menschen von
der Gestalt des bekannten Durchhalte-Mönchs Daruma, nämlich mit kugelrundem Rumpf,
vom Lotussitzen verkümmerten Beinen und viereckigem Kopf und er freute sich darüber, dem
Mönchsleben entkommen zu sein. In der Umgebung des Go-Shirakawa lernte er jedoch die
wunderschöne Frau kennen, die er heiratete und die ihn in politischen Fragen beraten konnte,
weil sie das Hofleben von Kindheit an kannte.
1191 hatte sich Minamoto no Yoritomo gegen alle Gegner durchgesetzt und gründete eine
neue Regierungsform, genannt Bakufu (Herrschaft des Zeltes). Schon die Wortwahl zeigt,
dass es nun ein Ende haben sollte mit schöngeistiger Hofkultur, dem Reimen von Gedichten
und der Vernachlässigung von Regierungsarbeit. 1192 verlieh ihm der neue Kaiser Go-Toba
das Amt Seii Tai Shogun, was Oberbefehlshaber gegen die Barbaren heißt. Yoritomo, der
fähige Politiker, stürzte jedoch im Jahre 1199 vom Pferd und starb.
Was außer dem Streit um die Nachfolge von ihm blieb, sind die Shogunatsregierungsform,
die den Kaiser praktisch dauerhaft auf religiöse Funktionen beschränkte, eine neue
Kriegerkaste, nämlich die Samurai als Vasallen des Shoguns, aber auch anderer hochadliger
Landeigentümer, der Daimyo und die Zen-Sekten, als von den Samurai bevorzugte religiöse
Richtung, die dafür sorgte, dass die Kunst der Samurai bezüglich des Umgangs mit ihren
Waffen und deren Herstellung auf eine religiös/philosophische Grundlage gestellt wurde und
dass in der Kriegerkaste auch Künste wie Poesie, Malerei, Nô-Theater, Teezeremonie und
andere gepflegt wurden. Samurais gab es schon früher, aber die neuen hatten einen anderen
Rechtsstatus, was unvorhergesehen später zur Unabhängigkeit der Daimyos von der
40
Zentralgewalt beitrug und zu neuen Problemen.
Minamoto no Yoritomo
Die Nachfolger im Shogunatsamt, genau genommen des Shogun – Vertreters (Sesshu)
stammten aus der Familie Hojo. Masaoko die Frau von Yoritomo war Mitglied dieser Familie
und sorgte als geschickte Regentin für den Machtübergang. Die Hojo-Familie, ein Zweig der
Taira, war zunächst sehr mächtig. Sie organisierte die Abwehr des Einfalls der Chinesen
(unter den Mongolen-Kaisern) 1274 und 1281. Doch ihre Macht zerfiel bald, weil sie die
Folgen des Sieges nicht verarbeiten konnte, was 1333 zu einem erneuten Epochenübergang
führte, nämlich zur Muromachi - Zeit (1333 – 1576).
Das Verdienst der Hojo bestand in der Abwehr der Chinesen. Als diese kamen, erlebten die
Japaner mehrere Überraschungen, nämlich überlegene Waffentechnik, insbesondere waren
die chinesischen Bogenwaffen schneller zu handhaben, durchschlagkräftiger und treffgenauer
als die japanischen Langbögen, sowie überlegene Taktik, die Chinesen kämpften in
Formation, während die Japaner den Mann zu Mann-Kampf gewohnt waren. Die Chinesen
wurden wegen schlechten Wetters abgewiesen (Kamikaze), nicht weil sie militärisch besiegt
worden wären.
Der Abstieg der Hojo begann nach dem Rückzug der Chinesen, weil sie ihre Helfer nicht
belohnen konnten. Ein Mann zu Mann – Kampf hatte die implizite Eigenschaft, den Sieger zu
belohnen, weil er in die Besitznachfolge des Besiegten treten konnte. Die Chinesen brachten
kein Land mit, das verteilt werden konnte, aber viele der Japaner, die gekämpft hatten, hielten
nun die Hand auf. Die Hojos konnten nur ihr eigenes Land anweisen und verloren damit an
Einfluss. Die übrigen hochadligen Landeigner hatten inzwischen ihre eigenen Samurai –
Truppen aufgebaut, was sie unabhängig von den Hojos machte. Auch hierdurch verloren sie
an Einfluss.
Der neue Kaiser Go-Toba beging einen Staatasstreich, der misslang, was zunächst die Macht
der Hojos stärkte.
Der Ort in Yoshino, an dem Yoshitsune und seine Gefährten den Tänzen der Shizuka Sakuya
zugesehen haben sollen, ist der Katte-Schrein. Auf der Suche nach dem Katte-Schrein, wurde
mir 2010 von den Bewohners des Ortsteils mitgeteilt, er sein von Kurzem abgebrannt. Ich
konnte nur ein Photo von der mit gelb blühenden Blumen überwachsenen Zugangstreppe
aufnehmen.
(5)
Warum macht Go-Daigo Yoshino zum „Südlichen Kaiserhof“?
Den Niedergang der Hojo nutzte Go-Daigo seit 1318, die politische Macht erneut in das
Kaiserhaus zurück zu bringen. Er war nicht der erste Kaiser, der versucht hatte, aus der Rolle
der politischen Bedeutungslosigkeit heraus zu kommen. Die Episode um Go-Daigo jedoch ist
bis heute sowohl aus legalistischen als auch aus allgemein menschlichen Gründen interessant
und hatte mit Yoshino zu tun, wo noch heute Bauwerke stehen, die Bestandteil seines Hofes
41
waren.
Go-Daigo, nach langer Zeit der erste, der nicht im Kindesalter Titularkaiser wurde, sondern
im Alter von 31 Jahren. Er war als Kenner der klassischen chinesischen Literatur (Taoismus)
anerkannt und wollte die Gunst der Stunde nutzen, um die direkte Kaiserherrschaft wieder
herzustellen und zwar zu Gunsten einer harmonischen Gesellschaft, die Ungerechtigkeiten
gegen das gemeine Volk vermeidet. Das Ende der Hojo- Herrschaft war nicht nur durch die
Lasten der Landesverteidigung gegen die Chinesen geprägt, sondern zusätzlich durch
Missernten, Erdbeben und Epidemien. Go-Daigo träumte davon, hier berufen zu sein, eine
grundsätzliche Besserung der Verhältnisse durchzusetzen.
Go-Daigo träumte nicht nur theoretisch von einer besseren Welt, sondern tatsächlich und das,
was er träumte, trat ein. Kein Wunder, Träume unter diesen Umständen als Auftrag zu deuten.
Zum Beispiel träumte er einmal, unter einem mächtigen Kampferbaum zu sitzen und sich
geborgen zu fühlen. Kampferbäume können älter werden als 2000 Jahre. Kusunoki ist der
japanische Name für Kampferbaum. Solche Bäume sind Wahrzeichen in der Landschaft. Der
Traumdeuter des Kaisers meinte, Kusunoki sei der Name seines treuesten Mitarbeiters. In der
Tat wurde ein Mann namens Kusunoki Masashige gefunden, der sich als sein treuester Vasall
erweisen sollte und als ein glänzender militärischer Stratege, der mit wenigen Soldaten ganze
Armeen aufhalten konnte. Er hatte keine Verbindung zu einer der angesehenen
Adelsfamilien, aber er war in der Nähe von Yoshino beheimatet und kannte dort Wege und
Stege. .
Bei der Umsetzung seiner Träume beging Go-Daigo Fehler. Geradlinig realisierte er die
abstrakten Ideen seiner neuen Weltordnung und vergaß dabei, die Leute, die ihm geholfen
hatten, zu belohnen. So ernannte er seinen Sohn Prinz Morinaga zum neuen Shogun, nachdem
ihm Ashikaga Takauji mit den Truppen der Hojo Kyoto, seine Hauptstadt erobert hatte und
Nitta Yoshisada in Kamakura die Reste der Hojo – Familie vertrieben hatte. Seine
Geradlinigkeit überzeugte lokale Machthaber jedoch von seinen guten Absichten, weshalb sie
ihn unterstützten. Er war in ein Netzwerk von berechnenden Anhängern gestellt, die ihn je
nach Situation unterstützten oder verrieten. Ashikaga-Takauji hatte erwartet, zum Shogun
ernannt zu werden, doch als das nicht geschah, wandte er sich gegen den Kaiser. Auch andere
gab es, die ihm Pflicht ergeben mit ihren Talenten beistanden, obwohl sie seine Sache für
aussichtslos erkannt hatten und mit ihr untergingen, insbesondere Kusunoki Masashige. Der
wegen seiner Loyalität zu Go-Daigo von den Zeitgenossen für einfältig gehalten wurde und
erst durch den Meji-Kaiser zu Ehren kam. Dieser trug mit Stolz das von Kusonoki
hinterlassene Schwert. Ein Symbol, das in jener Zeit gebraucht wurde. Auch die KamikazePiloten im zweiten Weltkrieg zitierten Worte, mit denen Kusunoki seine Pflichtergebenheit
begründet hatte.
Go-Daigo floh 1336 aus Kyoto, weil Ashikaga-Takauji inzwischen ein anderes Mitglied der
kaiserlichen Familie zum Kaiser erhoben hatte, der den nördlichen Kaiserhof bildete. GoDaigo gründete den südlichen Kaiserhof in Yoshino, der lange über seinen Tod hinaus, bis
1392 bestehen blieb und durch einen Vertrag mit dem wirkungsvollsten Ashikaga – Shogun,
Yoshimitsu aufgehoben wurde. Die Vertragsbedingungen wurden von Seiten des Shogunats
allerdings nicht eingehalten. Go-Daigo war nicht nur legal in sein Amt gekommen, er war
auch im Besitz der drei Insignien, die laut Gründungsmythos zur Kaiserwürde gehören. Da
diese Insignien vertragsgemäß 1392 an den nördlichen Kaiserhof übergeben wurden, die
Vertragsbedingungen von dieser Seite aber nicht eingehalten wurden, betrachten sich die
Nachkommen des Go-Daigo bis heute als die wahren Träger der Traditionslinie und machen
dieses Privileg der aktuellen Kaiserfamilie streitig. Streitigkeiten um Rechtsfragen gibt es
demnach nicht nur in Deutschland.
42
Kaiser GoDaigo
Bild aus dem Yoshimizu Schrein in Yoshino
Durchgesetzt hatte sich damals (1338) Ashikaga Takauji, Mitglied eines Nebenzweiges der
Minamoto-Familie, indem er das Shogunatsamt durch kaiserliche Ernennung des nördlichen
Hofes übernahm. Den nördlichen Kaiser hatte er selbst eingesetzt. Das Schogunatsamt blieb
dann 250 Jahre lang in der Ashikaga – Familie, aber nur 50 Jahre lang war das Regiment
effektiv, danach wurde es immer schwächer, weil nun die Daimyos aufgrund ihrer
Handelstätigkeit mit China Reichtum und damit Unabhängigkeit gewonnen hatten. Yoshimitsu
Ashikaga hatte die Beziehungen zur Ming-Dynastie nach den Mongoleneinfällen erneuert und
nannte sich "König von Japan". Er hatte in den Wirren um das Kaiserhaus versucht, die
Kaiserwürde an sich selbst zu reißen, was fehlschlug. Auch die stärkste Macht ändert nicht
die akzeptierte Wirklichkeit.
Der Staatsmann und Gelehrte Kitabake Chikafusa, ein Gefolgsmann von Go-Daigo, verfasste
ein Buch über die lückenlose göttliche Herkunft des japanischen Kaiserhauses "Jinnô
shôtôki", was in späteren Zeiten den Mythos um das Kaiserhaus wohl erst begründete. Selbst
MacArthur wurde noch mit dem Problem konfrontiert, dass nicht Hirohito der legitime Kaiser
sei, sondern ein Nachkomme von Go-Daigo, der ihm einwandfreie Dokumente darüber
vorlegte. MacArthur war klug genug, sich darauf nicht einzulassen.
Nicht zuletzt trugen die seit 1540 ins Land drängenden Europäer, zur Schwächung der
Zentralgewalt bei, weil sie durch die Zusammenarbeit mit den Daimyos der südwestlichen
Provinzen ihr Bleiberecht erhielten und deren Handeltätigkeit belebten.. Erst seit 1570 traten
Politiker auf, die nach und nach die Zentralgewalt erneuern konnten.
Der politische Zerfall jedoch ging mit kultureller Blüte einher. Zeugnis davon sind der
bekannte Steingarten (Rioan-ji) und der Goldene Pavillon (Kinkaku-ji) in Kyoto. Sie liegen
im Stadtteil Muromachi, wo die Ashikagas ihren Regierungssitz, ein neues Bakufu,
eingerichtet hatten und Bauwerke hinterließen, die moderne Touristenströme anlocken.
Muromachi ist der Name der Epoche, die von Takauji begründet wurde. Wie der Goldene
Pavillon deutlich zeigt, bestanden die Gebäude der neuen Regierung des Zeltes nicht aus
Zelten.
43
Ashikaga Takauji(1305 – 1358),
Begründer der Muromachi-Epoche (1336—1573)
Go-Daigo hat in Yoshino sein Grab hinterlassen, er wollte mit Blickrichtung nach Norden
(Kyoto) begraben werden. Der Besucher kann die Erfüllung zumindest dieses Wunsches
bestätigen, das Monument blickt nach Norden. Ferner hinterließ er verschiedene Utensilien
und Dokumente, die in zwei Gebäudekomplexen aufbewahrt werden, die er zu Bestandteilen
seines Hofes gemacht hatte, aber in grauer Vorzeit erbaut worden waren, einem
shintoistischen Schrein (jinja) und einem buddhistischen Tempel (ji).
Yoshimizu-jinja war Ort seiner Wohnung und seines Thron-Saales, Nyoirin-ji war geistiger
Mittelpunkt des Hofes und Ort des Gebetes für das Wohlergehen des Landes. Der Sohn von
Kusunoki hatte vor dem Abzug in seine letzte Schlacht, nämlich am Minato-Fluß bei Kobe,
ein Abschiedsgedicht in die hölzerne Tür des Tempels geschnitzt. Die Tür ist bis heute
erhalten, die Inschrift wird von vielen voller Hingabe entziffert.
Schwertknauf mit Darstellung von Kusunoki Masashige wie er mit seinem Sohn über die Aussichtslosigkeit ihrer Situation
spricht
44
Yoshimizu-jinja war ursprünglich Tempel des Shugendô,
wurde aber durch Go-Daigo Sitz der Thron-Halle des „Südlichen Hofs“
Die Muromachi – Epoche wurde 1573 nach mehr als 100 jährigem Bürgerkrieg mit der
Einnahme Kyotos durch Oda Nobunaga beendet. Dieser wurde offensichtlich nicht so geführt
wie der 30 jährige und länger währende Krieg in Europa, der ganze Landstriche verwüstete,
Nyoirin-ji, Tempel aus den 10.Jh,
mit Bildnis des Sohnes von Masashige Kusunoki,
sein Abschiedsgedicht in die Tür schnitzend
und schlafender Katze
sondern so wie Friedrich der Große von Preußen es sich vorstellte: „Wenn der König sich
schlägt, soll die Nation nichts davon merken.“ Bürgerkrieg in Japan war in der Regel
Privatsache der Adelshäuser, die Differenzen miteinander hatten. Nicht selten traten die Chefs
der Häuser Mann gegen Mann an, die Gefolgschaft durfte dabei zusehen und Banner hoch
halten. Die tiefe, sonore Vortragsweise japanischer Männer stammt daher, dass derartige
Kämpfe mit gegenseitigen Beschimpfungen begannen. Eine Ausnahme von dieser Regel
stellte jedoch der Onin – Krieg dar (1467-77), der in der Gegend von Kyoto wütete und weder
auf die Zivilbevölkerung noch auf Bauwerke von Tempeln oder auf Kunstschätze Rücksicht
nahm.
Bekanntlich hat Franz Xavier um 1550 Kyoto besucht. Er fand den Kaiserpalast nicht, weil
45
dieser vermutlich im Onin-Krieg zerstört worden war. Bei dem Vergleich zwischen Kyoto
und Lissabon, den er in seinen hinterlassenen Schriften angestellt hat, kommt Kyoto besser
davon als seine Heimatstadt.
Die der Muromachi nachfolgende Epoche wird nach den Hauptwohnsitzen ihrer Gründer
benannt: Azuchi-Momoyama-Zeit (1573-1603).
(6)
Warum besuchten Toyotomi Hideyoshi und andere Prominente Yoshino?
Nach den Tumulten der Muromachi – Epoche kehrte durch Oda Nobunaga, einem Nachfahren
der Taira und Toyotomi Hideyoshi, seinem Hausdiener und Nachfolger, als Bauernsohn
geboren, erneut eine Periode der politischen Stabilität ein. Zur Befriedungsstrategie gehörte
die Errichtung befestigter Burgen und Burgstädte, um renitente Provinzfürsten in Schach
halten zu können. In den alten Machtzentren, weder in Nara noch in Kyoto sind Spuren von
Befestigungsanlagen erkennbar3.
Die Burg von Osaka ließ Toyotomi als uneinnehmbare Festung bauen, sie wurde aber schon kurz nach der
Fertigstellung durch Verrat eingenommen und später vom Blitzschlag zerstört.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde sie in Betonbauweise erneuert und ist heute Museum.
Mit 130 Meter Höhe bis Ende der 1960ger Jahre das höchste Bauwerk Osakas
3
Doch, nämlich im Stadtschloss der Shogune in Kyoto gibt es Reste von Befestigung, die Hideyoshi
Toyotomi angelegt hatte.
46
Die Burg von Himeiji dagegen hat weniger zyklopische Fundamente, ist nie angegriffen worden und als einzige
der großen Burgen unversehrt. Sie wurde als UNESCO – Kulturerbe registriert.
Japaner sehen das Bild eines fliegenden Reihers in den Umrissen der weißen Burg.
In den Augen der Intellektuellen der Epoche war Toyotomi der ungebildete Bauernlümmel.
Aber er hatte ein Gespür für das, was ihm nützlich sein konnte, nämlich Prestige im Volke
und unterstützte daher die Künste. Oda Nobunaga hatte die Versuche politischer
Einflussnahme insbesondere der Tendai – Sekte nachhaltig unterbunden und die religiös
motivierten Bauernaufstände befriedet.
Toyotomi konnte daher die kulturellen Aspekte der religiösen Gemeinschaften gefahrlos
fördern, was er landesweit durch die Erneuerung oder Verschönerung alter (meist religiöser)
Bauwerke tat, nicht zuletzt aus Gründen eines aufkeimenden Personenkultes. Sein Sohn und
Nachfolger sowie dessen Mutter als energische Regentin ließen an den renovierten
Bauwerken Schrifttafeln anbringen, die seinen Namen in Beziehung setzten zu den
ursprünglichen Gründern und Bauherren, die bereits einen festen Platz im Bewusstsein des
Volkes hatten. Außerdem bauten sie ihm einen prachtvollen Schrein, was nach ShintoVerständnis seine Vergöttlichung bedeutete. Der Schrein wurde von den nachfolgenden
Tokugawa Shogunen sehr bald abgerissen, was sie nicht davon abhielt, einen eigenen in
Nikko, nordöstlich von Edo, zu errichten, der bis heute existiert.
Altes Kloster Chikurin: Edelherberge schon für
Toyjotomi Hideyoshi,
Sen no Rikyu gestaltete Teeraum
Zen no Rikyu, der berühmte Teemeister
Auch Yoshino wurde mit den Großzügigkeiten des Toyotomi bedacht. Der berühmte
Teemeister Sen no Rikyu, einer seiner Lehrmeister in kulturellen und wirtschaftlichen
Angelegenheiten, ergänzte den uralten Chikurin – Tempel um ein Teehaus, das schöner ist als
47
Teehäuser an anderen Orten. In dieser Zeit wurde der Tempel zu einer Edelherberge
umfunktioniert, die heute sogar von normalen Menschen gebucht werden kann.
Zwischen Februar und März 1594 erschien Toyotomi Hideyoshi mit großem Gefolge in
Yoshino, um die Kirschblüte (hanami) zu erleben. Er wohnte im Chikurin. In seinem Gefolge
befanden sich berühmte Künstler. Ihr Erscheinen war nicht ohne Vorbild, denn im inneren
Bereich von Yoshino, mitten im Wald und abseits von Wegen und Stegen sind verschiedene
Einsiedeleien zu besichtigen, von denen bekannt ist, dass sie monate- und jahrelang von
Künstlern behaust wurden, die dort ihre Inspiration empfingen, so z.B. vom Poeten Matsuo
Bashô, den Gelehrten Motoori Norinaga, Rai San'yo und den Schriftstellern Shimazaki Toson,
Tanizaki Jun'ichiro. Die Herberge im Chikurin bot sicher mehr Bequemlichkeit als die
Einsiedeleien in den Bergen, dass sie ebensoviel Inspiration vermittelte wie die Einsiedeleien,
davon schweigen die Überlieferungen.
Die heutige Form des Kinpusenji stammt aus 1588 und stellt eine von Toyotomi in Auftrag
gegebene Renovierung eines viel älteren Gebäudes dar.
(7)
Was hat es mit den Souvenirs auf sich, die Besucher aus Yoshino mit nach Hause
nehmen?
Außer der Pflege der Kirschbäume gibt es in Yoshino keine Landwirtschaft. Industrie gibt es
lediglich in der Ebene in Richtung Norden. Was den Bewohnern bleibt, um ihren
Lebensunterhalt zu verdienen, ist der Tourismus, der in den 10 Tagen der Kirschblüte seinen
Höhepunkt erreicht. Wenn sie nicht aus den Kassen der religiösen Gemeinschaften versorgt
werden, müssen sie den Touristen anbieten, was sie brauchen oder als Souvenir mit nach
Haus nehmen und das wird in den Geschäften, die sich rechts und links der Hauptstraße
aneinander reihen, feilgeboten.
Dabei handelt es sich neben Galerien, in denen Kunsthandwerker und Künstler ihre Werke
zur Schau stellen, um Dienstleister wie Herbergen und Gaststätten und um Verkäufer von
Fingerfood. Da es in Yoshino wie fast überall in Japan Thermalquellen gibt, bieten die
Herbergen einen Mehrwertdienst für das Hanami (Kirschblütenschau) an, nämlich nicht aus
der traditionellen Perspektive des Sitzens auf einer Schilf- oder blauen Plastikmatte, sondern
aus der bequemeren Perspektive eines Thermalbeckens, das auf einer Terrasse des
Hinterhauses installiert ist.
Das angebotene Fingerfood besteht aus japanischen Spezialitäten, wie süßen weißen und
schwarzen Bohnen, auf Holzspießchen aufgesteckte Stückchen von gebratenem Fisch oder
Hühnchen, Mehlpfannekuchen mit eingebackenem Gemüse (Okonomiyaki, „was ihr wollt
Gebratenes“), gerösteten Kastanien …
In der Nachbarschaft des Kinpusen-ji gibt es die besten Dangos (in grüne Blätter
eingewickelte rosarote Bällchen aus teigiger Masse, denen pulverisierte Teile von
Kirschblüten beigemischt sind) aus ganz Japan. Sie haben einen feinen charakteristischen,
ungewohnten aber angenehmen Geschmack und Japaner freuen sich sehr, wenn sie Dangos
geschenkt bekommen, besonders die aus Yoshino.
Das Kunsthandwerk bietet metallische Teebüchsen, die außen mit der Rinde junger
Kirschbäume belegt sind und bildliche Darstellungen in der Form von Intarsien oder
Strichzeichnungen enthalten. Diese Büchsen gibt es in beachtlichen künstlerischen Qualitäten.
Andere Galerien bieten Aquarelle mit Ansichten aus Yoshino an, die das gezeigte Motiv
reichlich mit gemalten blühenden Kirschbäumen garnieren. In den Tempeln und Schreinen
sind holzgeschnitzte und gemalte Darstellungen im Range „Nationaler Kunstschatz“ zu
sehen. Die künstlerische Qualität religiöser buddhistischer Werke erkennt ein Europäer oft auf
48
Anhieb, ihre geistliche Bedeutung allerdings erst nach Einführung und Unterweisung. Was
zum Beispiel ein Buddha ausdrückt, der auf einer spiralig aufgewickelten Schlange sitzt, ist
mir inzwischen klar geworden. Die christlichen Tempelritter aus den Kreuzzügen wussten es
offensichtlich auch und einiges mehr. Sie hatten Kontakt, nicht nur mit Mohamedanern,
sondern auch mit Buddhisten, nämlich mit den Mongolen, die damals einige islamische
Länder überrannt hatten, aber sie wurden wegen solcher Kenntnisse der Ketzerei bezichtigt
und 1307 verboten. Ihr Großmeister wurde verbrannt. Einfach ist dies nicht zu erklären.
In den Devotionalien- und Antiquitäten-Läden von Yoshino können Sie keine Figuren eines
entzückten oder verklärten Buddhas erstehen, der als „Nationaler Kunstschatz“ eingestuft
wäre. Doch Coca und Pepsi sind an jeder Ecke zu haben. Wer sein Mittagessen bevorzugt bei
McDonalds einnehmen will, braucht in Yoshino darauf nicht zu verzichten. Dort bekommt er
die gleichen Menüs vorgesetzt, die er aus seiner Heimat kennt.
Eingang zu einem Badehaus in Yoshino
In der Zeit der Kirschblüte
In der Sommerzeit
(Gottfried W. Wollboldt)
Mitteilungen
Treffen beim Stammtisch 常連会 (jôrenkai)
Unser Stammtisch findet regelmäßig am ersten werktäglichen Dienstag eines Monats statt.
Das Lokal ist der Ratskeller Stuttgart, Rathausplatz 1.
Das Treffen beginnt jeweils um 19 Uhr. Unser nächstes Treffen findet am Di. 1.März. 2011
statt, an einem Tisch, der uns jeweils vor der Veranstaltung zugewiesen wird.
49
Treffen der IGV
Die „Initiativgruppe Veranstaltungen“ (IGV) trifft sich jeweils am gleichen Tag im Lokal des
Stammtischs vor dem Stammtischtreffen um 18 Uhr. Wir bitten alle Mitglieder und Freunde
der DJG-BW, sich eingeladen zu fühlen, an der Arbeit der IGV teilzunehmen.
Der Deutsch/Japanische Handelsvertrag von 1861
Wenn Sie den Wunsch haben, den Vertragstext nachzulesen, so können wir Ihnen helfen. Die
Rechtsanwaltskanzlei ARQIS hat uns eine PDF-Datei zugesand, die genau den Vertragstext
enthält. Melden Sie sich bei der DJG-BW, falls Sie eine Kopien der Datei haben wollen.
Vielleicht können Sie diese Datei auch auf der Hompage der Kanzlei finden:
http://www.arquis.com.
Anzeigen
Neue Bücher über Japan
Wir empfehlen jeweils auf der Homepage des Iudicum Verlages nachzuschauen, dort finden
Sie auch Veröffentlichungen der OAG Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde
Ostasiens, die seit 1873 tätig ist und in ihreen Archiven einen enormen Wissensschatz über
Japan angesammelt hat: http://www.iudicium.de/katalog/010-1.htm
Anschrift des japanischen Restaurants, das uns bei der Ausrichtung
des Shinnenkai 2011 geholfen hat:
Echte originale Sushi & Nudel (Ramen und Sanuki-Udon)
Mittags von 11:30 bis 14:30 (außer Sonntags)
Abends von 17:30 bis 22:30 (jeden Tag)
Ruhetag nur Feiertags
Wo finden Sie uns?
Tokio Dining
Steubenstrasse 12
Stuttgart, in der Nähe des japanischen Gartens im Gelände der Villa Berg
Die auffallend schönen Ikebana – Arrangements
bei unseren Veranstaltungen im Linden –Museum sind von der Stuttgarter Ikebana-Schule
hergestellt worden. Deren Homepage erreichen Sie unter:
http://www.stuttgarter-ikebana-schule.de/
Japanisch-Unterricht für Ihre Kinder
Falls Sie wünschen, dass Ihre Kinder die japanische Sprache erlernen, so empfehlen wir das
Königin Charlotte Gymnasium in Stuttgart-Möhringen. Es liegt zwar nicht im Zentrum der
Stadt, hat aber guten Anschluss an das Stuttgarter U-Bahn-Netz.
An Sportsfreunde
In Verbindung mit dem Verlag des Japan-Magazins wird eine neue Sportreise nach Japan
organisiert. Im Mittelpunkt der Reise steht ein 6-tägiger Kata-Intensiv-Lehrgang im Kodokan.
Aber auch die Möglichkeit zu anderem Training sowie dazu, Land und Leute kennen zu
lernen, kommt nicht zu kurz. Die wesentlichen Eckdaten finden sich auf der Judo-Homepagehttp://www.judo-sport.de, wo man auch zwei Berichte und einige Fotos von der im Oktober
durchgeführten Reise sehen kann. Anfragen bitte an [email protected] richten
50
===========================================
Dieter Born, c/o Judo-Sport.de / Verlag Dieter Born
Postanschrift: Postfach 180230 - D-53032 Bonn - Germany
Hausanschrift: Bendenweg 101 - D-53121 Bonn - Germany
Sitz: Bonn - AG Bonn, HRA 4229 - Inhaber: Dieter Born
Tel.: - Fax: (+49) 0228/55925-55
Email: [email protected]
Shoji
Atmosphäre für Ihr Zuhause
Japanische Trennwände
für Raumteilung, Schrank,
Kleiderkammer und Fenster
0 84 23 - 602
www.shoji-zeitlos-schoen.de
Dorfstraße 28
85135 Kaldorf
Ihr TopaTeam-Partner aus Kaldorf
Impressum
Verantwortlich für diese Ausgabe: Gottfried W. Wollboldt
Tel.: 0711 – 65 83 223 e-Mail: [email protected]
Ihr Kontakt zur DJG- BW:
Leitung :
Dr. Hans-Dieter Laumeyer (Präsident),
Tel.: 07 11 – 2 26 02 02 e-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:
Wolfgang Grosse
Buchenweg 12, 73 650 Winterbach
Tel.: 0 71 81 – 7 39 30
e-Mail: [email protected]
Schriftführer:
Kassenprüfer:
Konto:
Gottfried W. Wollboldt
Wolfgang Müller, Christoph Andris
BW -Bank Stuttgart Kto.:137 68 36, BLZ 600 501 01,
www.japan-in-baden-wuerttemberg.de
Internet:
51
Herunterladen