Sprachvergleich Türkisch-Deutsch für den pädagogischen Kontext Helga Schwenk (2009/10) ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------TEIL A Ü b e r b l i c k 1. Pädagogisches Rahmenkonzept 2. Sprachfamilien 3. Sprachtypologie TEIL B S t r u k t u r v e r g l e i c h 1. Laut- und Scfriftsystem 2. Grammatik - Morphologie & Syntax a) Personenreferenz b) der einfache Satz c) der türkische „Nominalsatz“, Wortbildung u.a. d) das Verb als Satzkern e) Satzbau, Frage, Negation, Kohärenz ------------------------------------------------------------------------------------------------------------TEIL A - Überblick 1. Pädagogisches Rahmenkonzept In der Praxis stehende Lehrer und auch Hochschullehrer weisen immer wieder darauf hin, dass Kenntnisse über die türkische Sprache und Kultur und allgemein. über die Türkei nicht zu unserem Bildungsgut gehören. Deshalb sei das Nichtwissen des Einzelnen legitim und dürfe nicht als Defizit interpretiert werden. Die Möglichkeit in unserem Informationszeitalter, sich selbständig kundig zu machen, wird folglich auch nicht als Notwendigkeit angesehen. In unserer Bildungstradition erscheint solch ein Ansinnen weit hergeholt. Daher zeichnen sich in der Hinsicht im pädagogischen Diskurs in Deutschland auch bisher keine Veränderungen in der Hinsicht ab. Die Tatsache, dass man sich umgekehrt in vielen „Schwellenländern“ – wie auch in der Türkei - um die deutsche Sprache und Kultur bemüht, scheint durch die implizite Bewertung von höherem und minderem Welt-Bildungsgut diese Einstellung zu rechtfertigen. Eine Gleichwertigkeit von Sprachen und Kulturen wird allenfalls auf einer abstrakten Ebene akzeptiert. Insgesamt entzieht man sich also guten Gewissens der Aufgabe, sich mit der Herkunftssprache und Kultur unserer zweisprachigen Inländer beschäftigen zu müssen. Ich glaube jedoch, dass unser Establishment sich damit eines folgenreichen Versäumnisses schuldig macht und versuche, den eingewurzelten Einstellungen entgegen zu steuern. Dabei kann man immerhin auf die Faszination bauen, die in der Betrachtung des unbekannten Anderen liegt. Bei der türkischen Sprache und Kultur handelt es sich zumal um extrem interessante Gegenstände, die quasi im Zuge einer Entdeckungsreise zugänglich gemacht, auf vielfache Weise die einzelne Lehrkraft ebenso wie die gesamte pädagogische Sprachlandschaft bereichern können! 1 Dieses Ausgreifen im Sinne einer Erweiterung des Bildungshorizonts muss keineswegs eine Entfremdung von dem europäischen kulturellen Erbe bedeuten. Im Gegenteil erscheint der eigene Standpunkt umso klarer und wertvoller je offener man sich auf Fremdes einlässt, sodann aus einer entfernteren Perspektive heraus zurückschaut und das Eigene im Detail betrachtet. Der fremde Blick auf die ganz selbstverständlich benutzte eigene Sprache dürfte viele inhaltliche und strukturelle Eigenheiten des Deutschen in klareren Konturen erscheinen lassen. In den folgenden Abschnitten gehe ich näher auf die Charakteristika der türkischen Sprache ein, die als kulturelles Erbe und funktionale Gegenwartssprache in Mitteleuropa nicht nur im Mündlichen durch die Menschen, sondern auch im Schriftlichen durch eigene Medien (Zeitungen, TV etc.) Fuß gefasst hat und die Landessprache der Republik Türkei ist. Sie sollte daher auch in den Schulen keinem direkten oder indirekten Bann unterliegen, sondern positiv aufgegriffen werden. Zur Art des Umgangs mit fremden Sprachen in der Schule hat der Englischdidaktiker Wolfgang Butzkamm in seinem Buch „Lust zum Lehren, Lust zum Lernen!“ (2004) interessante Bemerkungen gemacht. Er spricht sich vehement gegen die Einsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht aus und plädiert für die sog. Aufgeklärte Einsprachigkeit bzw. bilinguale Methode und sagt: „Gebt den Schülern die stärkste Stütze ihrer Fremdsprache zurück, ihre Muttersprache!“ Natürlich können wir die konkreten Ausführungsbestimmungen dieser These nicht ohne weiteres übernehmen, denn anders als im üblichen Englischunterricht gibt es im Deutsch als Zweitspracherwerb bei Lehrern und Schülern nicht die gemeinsame Muttersprache im Klassenzimmer, die auch zugleich noch Landessprache ist. Wohl aber gelten auch für uns viele Teile der dargelegten Argumentationsstränge, die gegen die rigorose Verbannung bzw. völlige Negierung einer schon erworbenen Sprache gerichtet sind. - Die negativen Effekte möglicher sprachlicher Interferenzen (negativer transfer aus der Muttersprache) schätzt Butzkamm geringer ein als die positiven Auswirkungen durch die Sicherung von Sinnzusammenhängen und ein Sprachlernen durch Vergleichen und induktives Vorgehen. Anders als die überholte Grammatik-Übersetzungsmethode, die vor allem auf die Sprachform abhob, kommt nunmehr der durch den Text vermittelte Inhalt schwerpunktmäßig ins Spiel. Die von Butzkamm propagierte „Sandwich Methode“, wobei die Bedeutung in dem anderen Code etwa flüsternd als zusätzlich ergänzende Schicht beigegeben wird, mag für das Mündliche greifen. Für unseren Fall ist sie weniger geeignet. Für den schriftlichen Bereich können jedoch Anleihen gemacht werden. Butzkamm verweist auf die in alten Zeiten üblichen Interlinear-Übersetzungen, die vorzugsweise für die Verbreitung der Heiligen Schriften genutzt wurden. Er preist dieses Vorgehen besonders wegen der Tatsache, dass damit an sinnvoller, anspruchsvoller Sprache gearbeitet werden kann, die dem analytischen Vorgehen im Spracherwerb zugute kommt. - Anschließend an diese Überlegungen, möchte ich das Postulat ergänzen und sage: Gebt den Lehrern und Schülern mehr Orientierung zum gegenseitigen Verstehen durch den Einbezug der nicht-deutschen Muttersprachen! Durch das Hinschauen auf die „fremden“ Sprachen im Klassenzimmer in ihren hochsprachlichen Varianten kann der Deutschunterricht inhaltlich und strukturell belebt werden. Da in jeder Sprache Inhalt und Form miteinander verquickt sind und die historische 2 Komponente fast unlösbar in das Geflecht eingewoben ist, wird man bei jeder wörtlichen oder freien Wiedergabe einer Aussage auf diese Feinheiten hingewiesen. Damit lässt sich unter der Hand eine nützliche Erweiterung des native-speaker Horizonts auch gerade im Deutschen erreichen. Und weiterhin: durch explizites Vergleichen werden fachspezifische neue grammatische Zugänge zur Sprachbetrachtung/ Reflexion über Sprache aufgetan. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei hier noch einmal betont: Nicht jeder Lehrer muss nun Türkisch beherrschen lernen, aber eine gewisse Einsicht in den Bau und die Logik der Ausdruckweisen dürfte sehr fruchtbar sein! Und zweisprachige Texte mit Kommentaren können zweifellos eine nützliche Bereicherung des Umgangs mit Texten sein. In den folgenden Abschnitten werden wir uns dem Sprach- und Kulturvergleich aus zwei Richtungen nähern. Zum einen wird das über die türkische Sprache vor allem durch die Turkologie zusammengetragene allgemeine enzyklopädische Wissen zusammenfassend kurz dargestellt. Zum anderen werden wir auf solche Einzelheiten eingehen, die für den deutschen Sprachunterricht („Muttersprachunterricht“) relevant erscheinen. Anhand von aussagekräftigen Stichworten und mithilfe von Gegenüberstellungen soll ein Spiegelungseffekt der Strukturen erreicht werden. Der Erkenntnisweg soll sowohl von der höheren allgemeineren Warte aus - von oben - als auch dem Datenmaterial gemäß - von unten - eröffnet werden. Text, Wortschatz und Geschichte sollen im Vordergrund stehen. Ergänzend dazu werden sprachspezifische Formulierungsgewohnheiten erörtert. 2. Sprachfamilien Die Sprachen Europas gehören zum größten Teil der indo-europäischen Sprachfamilie an. So auch das Deutsche. Die türkische Sprache ist hingegen Teil der altaischen Sprachfamilie. Die meisten europäischen Sprachen gehen auf die gemeinsame Ursprache, das Indogermanische, zurück. Diese Sprachgruppe hat (nach Harald Haarmann, Grundzüge der Sprachtypologie, 1976) acht Unterabteilungen in Europa, und zwar: 1. Germanische Sprachen – 1.1. WESTGERMANISCH : Deutsch, Niederdeutsch, Englisch, Niederländisch, Jiddisch u. Friesisch 1.2. NORDISCHE SPRACHEN: Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Isländisch u. Färingisch 2. Slawische Sprachen – 2.1.OSTSLAWISCH: Russisch, Ukrainisch, Weißrussisch 2.2.WESTSLAWISCH: Polnisch, Kaschubisch, Sorbisch 2.3.SÜDSLAWISCH: Slowenisch, Serbisch, Kroatisch, Bulgarisch 3. Baltische Sprachen : Litauisch und Lettisch 4. Romanische Sprachen 4.1.WESTROMANISCH: Französisch, Occitanisch, Spanisch, Portugiesisch, Katalanisch, Rätoromanisch 4.2. OSTROMANISCH: Italienisch, Rumänisch, Sardinisch 5. Keltische Sprachen: Britannisch (Kymrisch, Bretonisch) u. Gälische Sprachen Irisch, Schottisch) 6. Griechische Sprache(n): Alt- und Neugriechisch 7. Albanisch 3 8. Zigeunerisch Als bedeutende nicht-europäische Sprachen seien zusätzlich erwähnt: HINDI mit Sanskrit – URDU im heutigen Pakistan sowie PERSISCH; - K U R D I S C H mit seinen verschiedenen Varianten gehört zu den westiranischen Sprachen, und ist ebenfalls Teil des Indogermanischen. Die altaische Sprachfamilie weist (nach Heinz F. Wendt, Fischer Lexikon Sprachen, 1987) zwei Untergruppen auf: die Turksprachen und die Mongolischen Sprachen. 1. Die Turksprachen gliedert man in einen westlichen und einen östlichen Zweig. Zum westlichen gehört 1.1. das Oghusisch-Türkmenische; heute die Sprache von Türkmenistan 1.2. das Oghusisch-Bulgarische ; dazu heute noch das Gagausische u.a. in Moldawien 1.3. das Oghusisch-Seldschukische; dazu früher das Seldschukische und Altosmanische sowie das Altaserbeidschanisch; und heute das Türkeitürkische und Aserbeidschanische (Aseri) 1.4. das zur kipschakischen Untergruppe gehörige Tatarische und Kasachische 1.5. das Usbekische und das Neu-uigurische in der Chinesischen Provinz Sikiang (Turkestan) Zum östlichen Zweig gehört u.a. das Kirgisische 2. Die mongolischen Sprachen haben sich aus dem gemeinsamen Altmongolisch des 13./14. Jahrhunderts entwickelt – der Sprache des Eroberers Dschingis Khan. In Europa haben wir zudem noch Vertreter einer dritten Sprachfamilie, der finnischugrischen, die zuweilen mit den altaischen Sprachen als Ural-altaische Sprachgruppe zusammengefasst wird. Gemeinsam ist den Sprechern ihre Herkunft aus Zentralasien. Zum finnischen Zweig gehören 14 Sprachen, davon in Europa vor allem: Finnisch, Estnisch, Lappisch, Livisch und Karelisch. Weitere Sprachen finden sich östlich des Urals. Zum ugrischen Zweig gehört das Ungarische im Westen. Die anderen Vertreter finden sich mehrheitlich in Sibirien. Die Sprachenkarte Europas weist noch zwei einzelne Sprachen auf: das Maltesische, das über eine semitische Grammatik verfügt – ähnlich dem Arabischen und Hebräischen – und das Baskische, das bisher noch nicht eingeordnet werden konnte. Der Vollständigkeit halber und mit dem Blick auf das Sprachenlernen seien zudem als ausgestorbene Sprachen genannt: das Lateinische, das im christlichen Abendland Jahrhunderte lang weiter lebte, und einige anatolische Sprachen indogermanischer Herkunft: das Hethitische, das Tocharische, das Phrygische das Thrakische und Mazedonische, von denen Reste vermutlich in die heutigen Sprachen der Region übergegangen sind. Die indo-europäischen Sprachen sind heutzutage weit verstreut in den verschiedenen Kontinenten vertreten. Das ist insbesondere durch die Verbreitung des Englischen und 4 Spanischen und z.T. auch des Französischen und Portugiesischen in der Folge der europäischen Kolonialisierung erfolgt. Sprachmischungen entstanden auf diesem Boden. Aber auch die Wanderzüge der Völker beförderten sprachliche Übernahmen, die in Ergänzung zu der geneologischen Urverwandtschaft den Sprachen neue charakteristische Züge hinzufügten. Nachbarschaftskontakte, Handelsbeziehungen und Kriegszüge führten zu Ergänzungen vor allem im lexikalischen Bereich der einzelnen Sprachen, während die grammatischen Grundstrukturen meist stabil blieben. Aber auch in diesem Bereich lassen sich Einflüsse beobachten. Die stärksten Gemeinsamkeiten im Sprachmaterial ursprünglich verschiedener Sprachen sind zweifellos durch den Einfluss der großen Religionen bewirkt. Das Christentum, der Islam und der Budhismus strebten jeweils danach, ihre geistigen Werte in die Volkssprachen hineinzutragen, was zur direkten Übernahme von Begriffen aus den heiligen Sprachen und Lehnwortbildungen führte. Daraus haben sich dann oft Parallelitäten im Wortschatz ergeben. 3. Sprachtypologie Die Sprachtypologie unterscheidet die Sprachsysteme allgemein danach, ob sie mehr synthetisch oder analytisch vorgehen, und man konstatiert, dass es keinen ganz reinen Sprachtyp gibt. Diese Tendenz der vermischten Prinzipien zeigt sich sogar schon deutlich bei so eng verwandten Sprachen wie dem Deutschen und dem Englischen, wobei erstere Sprache als eher synthetisch zu bezeichnen ist, während das Englische eine starke Tendenz zum analytischen Sprachbau aufweist. Die Sprachen der Welt werden allgemein nach ihren morphologischen Bildungsprinzipien in folgende drei Hauptgruppen eingeteilt (vgl. W. Dressler, Art. „Sprachtypologie“ im Handbuch der Germ. Linguistik, hg. Althaus u.a., 1973, S.470): agglutinierend (anreihend), wobei die grammatischen Beziehungen durch gleichbleibende Affixe ausgedrückt werden; flektierend (beugend), bei denen die Affixe weitgehend verschmolzen sind und auch innere Beugung vorkommt; isolierend, bei denen die Wörter unveränderlich sind. Unser türkisch-deutscher Sprachvergleich bezieht sich auf den Typ 1 für das Türkische und Typ 2 für das Deutsche. Die beiden Sprachen enthalten zwar jede für sich nicht nur die dem Typ entsprechenden reinen Züge, wohl aber können sich dominante Charakteristika ausmachen lassen. So steht das Deutsche mit seinen nahen Verwandten Englisch etc. für die Flexion und das Türkische mit seinen fernen Verwandten Finnisch und Ungarisch für die Agglutination. Eine Nähe der beiden Sprachen Deutsch und Türkisch ist also weder vom geneologischen noch vom Sprachtyp her auszumachen. Dazu kommen die Verschiedenheiten aufgrund der kulturellen Prägung. Ein Vergleich der Ganzsysteme wäre insbesondere für den pädagogischen Zusammenhang von großem Nutzen. Für das linguistische Herangehen ist das jedoch nur begrenzt möglich, da sich das Gesamtbild einer Sprache immer erst mit Bezug auf die schon versprachlichten und noch auszudrückenden Inhalte und Absichten der kompetenten Sprecher schlüssig ergibt. Dieser Aspekt wird wesentlich durch den Wortschatz, in der konkreten Rede und bei der Textgestaltung realisiert. 5 Bevor im folgenden Abschnitt einige wichtige grammatische Teilsysteme in ihren konkreten sprachlichen Ausprägungen im Deutschen und Türkischen vergleichend dargestellt werden, um die charakteristischen Züge zu verdeutlichen, sei hier vorweg eine Merkmalübersicht gegeben, die die Hauptrichtungen der sprachlichen Produktionskräfte anzeigen soll. Genannt werden vorrangig solche allgemeinen Erscheinungen der grammatischen Systeme, an denen sich die Tendenzen für die strukturelle Sprachplanung der Sprachbenutzer erkennen lassen. (vgl. Haarmann S. 57, nach Skalicka): Als Abkürzungen werden verwendet: fl.= flektierend; aggl.= agglutinierend. 1. Kontrastierung von wortbildenden Elementen und Endungen: fl. stark; aggl. schwach 2. Anzahl der Strukturwörter (Konjunktionen, Präpositionen, Pronomen etc.): fl. zahlreich; aggl. gering 3. Kongruenzindikatoren: fl. stark ausgeprägt; aggl. schwach 4. Wortfolgebindung: fl. schwach; aggl. stark 5. Wortbildende Elemente: fl. wenig; aggl. zahlreich 6. Wortzusammensetzungen (Komposita): fl. zahlreich; aggl. wenig 7. Synonymie und Homonymie bei gramm. Elementen: fl. stark ausgeprägt; aggl. keine 8. Grammatisches Geschlecht und Nominalklassen: fl. vorhanden; aggl. nicht vorh. 9. Existenz von nominalen und verbalen Flexionsklassen: fl. vorhanden; aggl. nicht vorh. 10. Klare Ausprägung der Kategorie des Wortes: fl. vorhanden: aggl. weniger 11. Satzgefüge, Nebensatzbildung: fl. stark; aggl. kaum vorhanden 12. Wortfolge im Satz: fl. S-V-O (= Subjekt-Verb-Objekt); aggl. S-O-V 13. Nominale Verbformen (Infinitiv, Partizip): fl. wenig; aggl. häufig 14. Vokalphoneme: fl. zahlreich; aggl. wenig 15. Konsonantenphoneme: fl. wenig; aggl. zahlreich 16. Systemzwang in der Silbenstruktur: fl. nicht vorhanden; aggl. Vokalharmonie 17. Vokalwechsel im Wortstamm: fl. Ablaut/ Umlaut; aggl. nicht vorhanden Besondere Schwierigkeiten im Deutschen ergeben sich für Sprecher von agglutinierenden Sprachen bei den Merkmalen Nr. 3 (Kongruenz), die im Deutschen stark ausgeprägt ist , sowie bei Nr. 4 und Nr. 12 (Satzgliedfolge und Bindungsstärke), die im Deutschen schwächer sind als z.B. im Türkischen, sodass Irritationen bei der Feststellung von Bezügen aufkommen 6 können. Die Merkmale Nr. 7, Nr.11 und Nr. 17 enthalten Charakteristika, die Grundhaltungen für strukturelle Erscheinungen betreffen. Hier sind für türkische Lerner die Erscheinungen der Oberflächenstruktur auf völlig neue Kategorien zurückzuführen und als Regelsystem aufzubauen. Die Merkmale Nr.8 (grammatisches Geschlecht und Nominalklassen) und Nr.9 (Flexionsklassen) dürften einem naiven Sprecher des Türkischen total unbekannt sein. Die Linearität der Sprachen wird im Aufbau des Satzes verwirklicht. In der Hinsicht ist ein grundlegender Unterschied in der Planung festzustellen, der in Nr. 12 angesprochen ist. Er zeigt den syntaktischen Bau an und ist folgendermaßen zu beschreiben: Im Türkischen und auch den anderen agglutinierenden Sprachen gehen die Objekte und auch alle anderen Bestimmungen dem Prädikatsverb voran. Der Satzaufbau erfolgt also gewissermaßen von rechts nach links – oder, zeitlich gesehen, vom Ende her; während er in den S-V-O Sprachen im Grundprinzip von links nach rechts verläuft. Insbesondere zeigt sich dies bei attributiven Ergänzungen (Adjektiven und Genitiven), die bei der Agglutination immer vor dem bestimmenden Kopfnomen stehen und bei Supplementen, die dem deutschen nachgeschalteten Relativsatz entsprechen. – Ein direktes Äquivalent zum Relativsatz ist im Türkischen nicht vorhanden! Die strukturelle Dominanz der Endposition im Türkischen zeigt sich in der großen Zahl von Endungen (Suffixen) und Postpositionen, während in flektierenden Sprachen vor allem Präpositionen vorhanden sind und auch Präfixe grammatische Funktionen ausüben (z.B. gekommen). Zudem ist die innere Flexion ausschlaggebend, die im Türkischen praktisch nicht vorkommt. Denn bei der Agglutination bleiben die Wortstämme unverändert. Eine interessante Konsequenz daraus ist, dass das Aufsuchen von Lexemen in Wörterbüchern nach dem Alphabet im Türkischen deutlich leichter ist als im Deutschen (z.B. essen - aß gegessen). Außerdem sei hier noch ausdrücklich auf die Tatsache hingewiesen, dass im Türkischen die grammatischen Elemente in Form und Bedeutung grundsätzlich eindeutig sind – s. Nr. 7 der obigen Übersicht. Dieses Prinzip zeigt sich auch in der modernen türkischen Schreibweise, was allerdings vor allem darauf zurück zu führen ist, dass sie erst im 20. Jahrhundert eingeführt wurde. (Zuvor waren die arabischen Buchstaben benutzt worden.) Daher folgt die Schreibung des Türkischen dem Prinzip 1 Laut – 1 Buchstabe, ein Vorgehen, das sich deutlich von der zum großen Teil historisch basierten Orthographie der westlichen Sprachen durch eine konsequente Handhabung unterscheidet. 7 TEIL B – Strukturvergleich In den folgenden Kapiteln werden weitere strukturelle Charakteristika, und besonders solche, die im Gebrauch der jeweils anderen Sprache häufig als Störfaktor erscheinen, für das Türkische und Deutsche dargestellt. 1. Das Laut- und Schriftsystem Den Lautbestand betreffend, gibt es zwischen dem Deutschen und Türkischen bedeutende Unterschiede, die sich auch auf die Schreibung auswirken. Da der Erstunterricht im Lesen und Schreiben in der Grundschule mit diesen Problemen schon seit langem konfrontiert war, entstanden schon frühzeitig ausführliche vergleichende Darstellungen mit anschließenden didaktischen Überlegungen. Sie wurden von Institutionen der Erwachsenenbildung und Lehrerfortbildung erarbeitet; siehe: Nükhet Cimilli und Klaus Liebe-Harkort Sprachvergleich Türkisch-Deutsch, Publikation alfa, Schwann Verlag 1976; Rüdiger Urbanek, NRW Lehrerfortbildung H.1, Didaktischer Sprachvergleich Deutsch-Türkisch, 1982 und Ilse Witzel & Berrin Nakipoğlu-Schimang, Kontrastive Spracharbeit Türkisch-Deutsch, Handreichung, Dt. Volkshochschulverband, 1990/91. Außerdem haben die in Deutschland lebenden Türken mit der Aussprache des deutschen kaum Probleme; und so können wir uns auf einige wenige lautgesetzliche strukturelle Eigenschaften des Türkischen beschränken: Zur SCHREIBWEISE: Das Türkische wird seit der Schriftreform 1928, die das Osmanische Schriftsystem (in arabischen Buchstaben) ablöste, mit dem lateinischen Alphabet geschrieben. Zusätzliche Buchstaben, die es im Deutschen nicht gibt, sind: ç (Aussprache tsch), ğ („weiches g“), ı ( ein i ohne Punkt, in der Aussprache ähnlich dem reduzierten e in dt. Endungen, z.B. singen) und ş (=dt.sch). Deutsche Buchstaben, die es im Türkischen nicht gibt, sind: ä, qu, w, x, ß (letzteres wird deshalb oft als B/b gelesen). Außerdem sei bemerkt, dass es im Türkischen keine Diphthonge gibt (au,ei, äu, eu, ie) und dass die Lautwerte der Buchstaben s und z gerade umgekehrt sind, sodass z.B. Izmir mit z geschrieben, aber stimmhaft ausgesprochen wird. Wie oben schon angeführt, gilt im Türkischen allgemein das Prinzip: ein Phonem- ein Graphem. Es wird also lauttreu geschrieben. Das ist ein Ergebnis der Schriftreform von 1928, als die osmanischen (arabischen) Buchstaben durch die lateinischen ersetzt wurden. Im Deutschen hingegen ist die Schreibung kaum in einfache Regeln zu fassen. Man folgt verschiedenen Prinzipien, berücksichtigt neben den lautlichen Gegebenheiten vor allem auch historische und grammatische. Die sogenannte VOKALHARMONIE ist eine durchgehende grammatische Eigenschaft der agglutinierenden Sprachen. Im Türkischen gibt es sie in zwei Ausprägungen. Die k l e i n e und die g r o ß e. Sie besagen, dass nach hellen Vokalen im Basiswort die entsprechende Endung auch eine helle Variante enthält, bei dunklen eine dunkle. Helle Vokale sind e, i, ö, ü, dunkle Vokale sind a, ı, o, u. 8 Die Endungsvokale der kleinen Vokalharmonie sind e (hell) a (dunkel). Sie wird z.B. bei der PlURALBILDUNG angewandt >> ev/ler (Häuser), yol/lar (Wege, Straßen), aber auch in den drei Lokalkasus ev/e (nach Hause, ins Haus) ev/de (im Haus), ev/den (von zu Hause, vom Haus weg) ; Yol/a (auf den Weg), yol/da (auf dem Weg), yol/dan, (vom Weg her). Die große Vokalharmonie wird bei sehr vielen nominalen und verbalen Endungen angewandt. Hier gibt es zwei Serien, für helle und dunkle Vokale und zwar nach hellem e oder i erfolgt i in der Endung, nach ö oder ü folgt ü. Nach dunklem a oder ı erfolgt ı in der Endung, nach o oder u folgt u. Als Endungen erscheinen also i und ü nach hellen und ı und u nach dunklen Vokalen. Die Wörter mit ihren Endungen bilden somit eine lautliche Einheit, z.B. müdür (Direktor) müdürlük (Direktion) oder bakan (Minister) bakanlık (Ministerium). Im Deutschen gibt es auch grammatikalisierte Lautvariation. Es ist dies der UMLAUT und der ABLAUT. Den Umlaut finden wir etwa im Plural: Baum-Bäume oder im Konjunktiv: gab gäbe; den Ablaut in den Temporalstämmen der starken Verben: geben – gab – gegeben, singen – sang - gesungen, gehen – ging – gegangen. Im Unterschied zum Türkischen sind in diesen Fällen die Wortstämme betroffen; die Veränderungen zeigen sich nicht in den Endungen sondern im Wortinneren. Sie sind außerdem historisch entstanden und festgelegt; sie werden von den Sprachbenutzern im Redeverlauf nicht aktiv gebildet sondern nur reproduziert. Im Deutschen ist der Lautbestand sowohl bei den Vokalen als auch bei den Konsonanten reichhaltiger als im Türkischen. Die Silbenstruktur ist unbegrenzt vielfältig. Auch gibt es lange Vokale und Doppellaute (Diphthonge) – nicht so im Türkischen. DOPPELKONSONANZ in einer Silbe und besonders am Wortanfang ist dem Türkischen ursprünglich fremd. Diese Erscheinung tritt jedoch in Lehnwörtern auf, z.B. kriter (Kriterium), statüko (Status quo), Professör. Das führt dazu, dass dem Sprachgefühl entsprechend Türken zuweilen Namen mit einem Sprossvokal versehen, z.B. Schumude (=Schmude), oder Şeweng (=Schwenk). Im Türkischen werden regelmäßig die BINDELAUTE, y oder n eingefügt, wenn endungsbedingt zwei Vokale aufeinander stoßen würden. Eine weitere Regelmäßigkeit des türkischen Lautsystems ist die KONSONANTENASSIMILATION bei p, t, k und ç. Diese Konsonanten erscheinen vor Vokalen oder stimmhaftem Konsonant in der Form b, d, ğ und c; z.B. kitap (Buch) ~ kitabı (sein/ihr Buch), kağıt (Papier) ~ kağıdı, çocuk (Kind) ~ çocuğu, ağaç (Baum) ~ ağacı. Diese Regelmäßigkeit zeigt sich auch in den Lokalkasus, z.B. Frankfurt’ta und Giessen’de (=in Frankfurt bzw. Giessen). 2. Grammatik – Morphologie & Syntax Was die grammatischen Strukturen angeht, den Formenbestand und die Kategorien, die die innersprachlichen Bezüge realisieren, so gibt es auf dieser abstrakten Ebene ebenfalls einige Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede. Da die strukturellen Gegebenheiten der jeweils zuerst gelernten bzw. dominanten Sprache des Menschen in der Sprachproduktion durchweg eine führende Rolle einnehmen, kommt es häufig zu störenden Interferenzen bei Zweitsprachlernern. 9 Wir gehen für unseren Überblick zum einen von den grammatikalisierten Phänomenen der beiden Sprachen aus und zum anderen von den intendierten Inhalten. Wie erwähnt, werden generell die Mittel für die Materialisierung der grammatischen Kategorien im Deutschen durch die Flexion und im Türkischen durch die Agglutination bereitgestellt. Gemeinsam ist beiden Sprachen die Suffigierung, d.h. Kennzeichnung der grammatischen Funktionen durch Endungen. Die Methode wird jedoch im Türkischen durchgängig angewandt, während im Deutschen auch die Präfigierung, d.h. die Kennzeichnung durch Vorsilben eine bedeutende Rolle spielt. Was die Morpheme für die grammatischen Beziehungen betrifft, so sind sie im Türkischen deutlich klarer zu erkennen, gegeneinander abzugrenzen und zuzuordnen als im Deutschen, wo Verschmelzungen auftreten und daher Polysemie (Mehrdeutigkeit)häufig ist. Die Beziehungen innerhalb der WORTGRUPPEN werden im Deutschen zum einen durch die Artikel und das grammatische Geschlecht hergestellt und zum anderen durch die Klammerbildung, die sowohl in dem nominalen als auch in dem verbalen Bereich vorherrschend ist. Harald Weinrich nimmt die Klammerbildung geradezu als Ausgangskriterium für seine „Textgrammatik der deutschen Sprache“ – DUDENVERLAG 1993 – und Wilhelm Grießhaber für die „Profilanalyse“ zur Sprachdiagnose.. Für das Türkische gilt, dass die Wörter grundsätzlich selbstständig bleiben und die Aussagen von links nach rechts aufgebaut sind, dass also stets das Bestimmende vor dem Bestimmten steht – wie im Deutschen das adjektivische Attribut: z.B. die neue Regierung. (Hier haben wir eine zusätzliche Markierung durch die Deklination.) Dieses links - rechts Stellungsprinzip zieht sich durch die gesamte Sprachstruktur des Türkischen bis hin zu komplexen Sätzen. Die Stellung der einzelnen Wörter in der Aussage hat also bindenden grammatischen Charakter! Im Folgenden nehmen wir die auszudrückenden Inhalten als Ausgangspunkt. Die Funktionen der Beziehungsmittel führen uns zu den grammatikalisierten Kategorien beider Sprachen. Dabei wird mal die die deutsche und mal die türkische Sprache vorrangig eingesetzt, denn es ist evident, dass in einer Sprache vorhandene grammatikalisierte Kategorien nicht einfach auf die andere zu übertragen sind. Man darf nicht lediglich für deren materielle Realisierung Unterschiede anzunehmen, auch die Semantik enthält verschiedene Varianten. Um das jeweilige Bedeutungsfeld einer grammatischen Erscheinung erkennen zu können, ist es notwendig auf die feldartige Verteilung und Geltung einzugehen, die z.B. beim Ausdruck der „Modalität“ sehr vielgestaltig realisiert werden kann.. Wir werden in fünf Schritten vorgehen: Zunächst wird der Sinnbezirk Personenreferenz / Besitz / Zugehörigkeit abgehandelt (a); darauf folgt der weitere nominale Bereich unter dem Aspekt der Satzglieder in ihrer inneren Struktur und Abhängigkeit vom Verb (Valenz): Attribut / Subjekt / Ergänzungen (b); sodann gehen wir auf den Nominalsatz und die Wortbildung durch Endungen ein, sowie auf die Wortarten / Strukturwörter (c); einen Hauptpunkt bildet das zentrale Gebiet des Verbs als Prädikat mit seinen Einstellungen/Tempus/Modus/Genus (d); 10 darauf folgen weitere Ausführungen zum Ausbau des Satzes, sowie Frage / Negation / Kohärenzmittel (Anschlüsse) (e). a) Personenreferenz Die PERSONENREFERENZ zeigt sich vornehmlich in der Konjugation, die in kategorialer Hinsicht große Übereinstimmungen in beiden Sprachen aufweist. Es gibt im Türkischen und Deutschen 3 Personen im Singular und 3 im Plural, die jeweils durch Endungen ausgedrückt werden. Als Höflichkeitsform wird im Türkischen die 2. Person Plural genutzt. Z.B. Kommen Sie bitte! – Lütfen geliniz! (gel~kommen, lütfen~bitte). Die türkischen Personalendungen erscheinen in der Konjugation in zwei Varianten, die für das jeweilige Verbparadigma festgelegt sind, das „bestimmte“ und das „allgemeine“, z.B.er raucht jetzt – er pflegt zu rauchen. – Im Deutschen gibt es nur eine Reihe. Der Personenbezug ist auch im Besitzverhältnis enthalten. In diesem Feld haben wir einen sehr gravierenden strukturellen Unterschied. Denn im Türkischen verwendet man durchweg Endungen, im Deutschen jedoch selbständige Wörter, die Possessivpronomen, die zudem in Genus und Zahl dekliniert werden, wobei Besitzer und Besitztum in der 3. Person Singular grammatisch zu kennzeichnen sind. Man vergleiche seine Tasche < der Besitzer ist männlich, das Besitztum, die Tasche, weiblich>, sein Haus < der Besitzer ist männlich, das Besitztum sächlich>, ihre Tasche < die Besitzerin ist weiblich, das Besitztum ebenfalls>, ihr Haus < die Besitzerin ist weiblich, das Besitztum sächlich. Die Possessivendungen des Türkischen sind im Singular – 1.Pers.: (i)m ~ mein, 2. Pers. : (i)n ~ dein, 3.Pers.: -si, yu ~ sein/ihr; im Plural – 1.Pers. (i)m(i)z ~ unser, 2.Pers. (i)n(i)z ~ ihr, 3.Pers. – lar ~ ihre. Nur bei besonderer Betonung wird für das Besitzverhältnis zusätzlich der Genitiv der Personalpronomen verwendet, z.B. ev/im~mein Haus benim evim~ mein eigenes Haus. Personalpronomen gibt es in beiden Sprachen für alle drei Personen des Singulars und Plurals und sie werden in beiden Sprachen in die vorhandenen Kasus gesetzt. Das sind im Deutschen die 4 : Nom., Gen., Dativ und Akkusativ, z.B. für die 1.Pers.Sg. : ich, meiner, mir, mich. Im Türkischen zählt man 6 Kasus, nämlich die eigentlichen grammatischen Kasus: Nominativ, Genitiv und Akkusativ; dazu kommen die Richtungskasus: Direktiv (oder Dativ), Lokativ und Ablativ. Für die 1.Person Sg. ergibt sich die Serie ben ~ ich, benim ~ meiner, beni~ mich und bana ~ mir, zu mir, bende ~ bei mir, benden ~ von mir. Was den syntaktischen Einsatz der Personalpronomen angeht, so ist als gravierender Unterschied zwischen den beiden Sprachen anzumerken ist, dass das Personalpronomen im Nom. in der Subjektposition im Türkischen regelmäßig erspart wird, wenn aus der Endung des Verbs (Prädikat) der Handelnde (das Subjekt) eindeutig hervorgeht – was durchweg der Fall ist. Im Deutschen hingegen ist die Setzung des Subjekts obligatorisch! Z. B. geldin ~ du bist gekommen. So hat auch das deutsche unpersönliche ES als Platzhalter in Subjektfunktion keine Entsprechung im Türkischen. Außerdem muss im Deutschen die Numeruskongruenz zwischen Subjekt und Prädikat strikt eingehalten werden – nicht so im Türkischen; z.B. er kam – sie kamen , türk. gel/di – (onlar) gel/di/(lar). 11 Das BESITZVERHÄLTNIS wird im Deutschen ganz wesentlich durch das Verb haben ausgedrückt, das im Türkischen k e i n e Entsprechung hat. Stattdessen wird hier das Besitztum mit dem entsprechenden Possessivsuffix versehen und dazu werden die unveränderlichen Lexeme für den Ausdruck des Vorhandenseins VAR ~ es gibt und YOK ~ es gibt nicht verwendet. So ergeben sich die inhaltlichen Entsprechungen z.B. para/m var ~ ich habe Geld (wörtlich: mein Geld gibt es) und para/m yok ~ ich habe kein Geld (wörtlich: mein Geld gibt es nicht); televisyon/u/muz var ~ wir haben einen Fernseher. Die als bestimmt aufgefasste ZUGEHÖRIGKEIT bei zwei Nomen wird im Türkischen typischerweise durch den Genitiv der Beifügung plus dem Possessivsuffix der 3.Person im Basiswort gebildet. Das entspricht der deutschen Genitiv-Verbindung; z.B. des Lehrers Tasche ~ öğretmen/in çantası (öğretmen~Lehrer; çanta~Tasche) Diese Konstruktion ist im Türkischen sehr geläufig, im Deutschen ist es eher das nachgestellte Attribut: die Tasche des Lehrers. Neben der grammatikalisierten Form der bestimmten Zugehörigkeit gibt es die unbestimmte. Hier wird im Türkischen das beifügende Wort endungslos verwendet, während das Grundwort wie in der zuvor erwähnten Konstruktion die Possessivendung der 3. Person annimmt. So ergibt sich eine Aussage etwa der Art wie „dem Haus seine Tür“ – Haustür – ev kapı/sı (ev~Haus, kapı~Tür). Im Deutschen haben wir eine sehr produktive regelmäßige Entsprechung dieser Ausdrucksweise durch die Wortzusammensetzung, z.B. Schuldirektor – okul müdür/ü. – Zusammensetzungen nach der deutschen Weise (ohne Possessivendung) sind im Türkischen selten. z.B. taş köprü ~ Stein-Brücke. b) Der einfache Satz Der EINFACHE SATZ besteht im Türkischen wie im Deutschen grundsätzlich aus einem Prädikat, Subjekt und Objekt. Der Akkusativ ist der eigentliche Objektkasus, der Genitiv wird in türkischen Grammatiken gesondert behandelt, weil er nicht in dieser Funktion auftritt. Im Deutschen sind Genitiv-Objekte extrem selten, und in der Textgrammatik von Weinrich wird der Genitiv sogar unter Junktionen aufgeführt (s. Weinrich, a.a.O. § 7.2.). In beiden Sprachen gilt die Unterscheidung von transitiv (d.h. ein direktes Objekt wird verlangt) und intransitiv (subjektbezogen, z.B. er fastet) für die Verben in Prädikatsfunktion. Die Ergänzungen sind im Deutschen und Türkischen in Bezug auf das Kriterium notwendig/ nicht notwendig und zusätzlich nach der grammatischen Art der Ergänzung festgelegt. Die obligatorischen Mitspieler im Satz sind jeweils durch die sog. Valenzwerte gegeben, die außer dem direkten Objekt auch die anderen grammatischen Bindungselemente – Kasus und Präpositionen bzw. Postpositionen - festlegen. Jedoch gibt es nur eine begrenzte Zahl direkter Entsprechungen in beiden Sprachen. So wird etwa der Akk. gleichermaßen verlangt bei görmek ~ (etwas) sehen ; kullanmak ~ (etwas) benutzen ; ısmarlamak ~ (etwas) bestellen. Der Dativ bzw. Direktiv drückt in beiden Sprachen eine Hinwendung aus und wird im Deutschen auch als Objektkasus bezeichnet, zuweilen im Unterschied zum Akkusativ als indirektes Objekt. Im Türkischen wird er eher als einer von drei lokalen Kasus oder Richtungskasus empfunden, die alle auch im übertragenen Sinne verwendet werden. Dahin weist auch der Terminus ‚Direktiv’. Die lokalen Kasus markieren Satzergänzungen, die auf die folgenden Fragen antworten und entsprechende Endungen aufweisen: 12 I Wohin? Wem? – Dativ bzw. Direktiv II Wo? Bei wem? - Lokativ III Woher? Von wem? - Ablativ türk. Endung auf -e/a (kleineVokalharmonie.) türk. Endung auf -de/da (kl.Vok) türk. Endung auf -den/dan (kl.Vok.) Beispiele wären: I müdür/e ~ dem/zum Direktor, okul/a ~ in die Schule; II müdür/de ~ beim Direktor, okul/da ~ in der Schule; III müdür/den ~ vom Direktor, okul/dan ~ von/aus der Schule. Der Vergleich zeigt, dass diese Lokalkasus mit Ausnahme des Falles I, (+menschlich) im Deutschen allesamt mit Präpositionen und nachfolgendem Wechselkasus erscheinen. Dabei ist die Verteilung der Präpositionen und ihre Rektion im Deutschen sehr mannigfaltig, ein Befund, der besonders angesichts der regelmäßigen Entsprechung von Form und Bedeutung im Türkischen als Erschwernis für Deutschlerner ins Auge springt. Man betrachte folgende Beispiele für den Direktiv (I): Bu masa/yı büro/ya aldım. ~ Ich kaufte diesen Tisch für das Büro. (masa~Tisch) Vaso masa/ya koy. ~ Stell diese Vase auf den Tisch. Ayşe/ye gidiyorum. ~ Ich gehe zu Ayşe. Toplantı yarın/a ertelendi. ~ Die Versamlung wurde auf morgen vertagt. (toplantı~Versammlung, yarın~morgen) Ähnlich verhält es sich mit den anderen beiden Lokalkasus (II und III). In der deutschen Grammatik sprechen wir von dem präpositionalen Objekt, wenn die Präposition sehr eng an das finite Verb gebunden ist. Das sind die Fälle mit übertragener Bedeutung, z.B. denken an..(+Akk.), bestehen aus..(+Dat.), aufhören mit.. (+Dat). In den mitgedachten Übersetzungen entsprechen diese Ausdrücke oft nur einem Vollverb, so auch schon im Englischen: aufhören mit etwas (Präp.+Dat) ~ stopp it (Akk). Der Vergleich der Ergänzungen im Türkischen und Deutschen bringt manche völlig gegenläufigen Richtungshinweise zutage, die in den reinen Kasus erscheinen; z.B. das Verb fragen ~ sormak wird im Türkischen mit dem Dativ/Direktiv verbunden, im Deutschen mit dem Akk. (jemanden fragen); oder lesen ~ okumak > ich habe in der Zeitung gelesen ~ gazete/den okudum (Abl.). Neben den reinen Kasus gibt es für weitere Satzergänzungen im Deutschen präpositionale Fügungen und im Türkischen die Lokalkasus. Letztere nehmen gewissermaßen eine Mittelstellung ein, denn es gibt auch analytische Fügungen, die mit Postpositionen gebildet werden und ihrerseits bestimmte Kasus regieren. Im Deutschen werden die Präpositionalgefüge durch die Artikel und Genusbindung näher bestimmt, z.B. in der Großstadt. Die Zahl und Verwendungsbreite der Präpositionen im Deutschen ist deutlich höher als die der Postpositionen im Türkischen. Und in letzterem Falle ist die inhaltliche Aussage dieser Strukturwörter in der Regel eindeutiger. Auch sind die lokalen Kasus in dem Beziehungsgeflecht selbständig mit beteiligt, denn sie können auch selbst adverbiale Fügungen konstituieren, so z.B. der Ablativ, der u.a. zur Angabe des Grundes verwandt wird, z.B. parasizlik/tan .... oder parasizlik/tan dolayı (Postposition) ~ wegen Mangel an Geld.... In beiden Sprachen gibt es einen fließenden Übergang zwischen notwendigen Satzergänzungen und freien Angaben. Letztere werden im Türkischen üblicherweise durch die reinen Lokalkasus und Postpositionen + Nomen im Kasus näher bestimmt, oder durch Adverbien; z.B. ich wohnte in Paris ~ Paris/te oturdum. Ankara’ya taşınacağım ~ ich ziehe nach Ankara (um). Im Deutschen stehen dementsprechend Präpositionalgefüge oder auch 13 Adverbien, z.B. wegen des schlechten Wetters; - ausnahmsweise auch als Postposition: des schlechten Wetters wegen…- oder z.B. es regnete ohne Unterlass, ständig. Neben dem Direktiv( Dativ) und dem Ablativ findet sich im Türkischen auch der unmarkierte Kasus (Nom.) in Abhängigkeit von Postpositionen. Hierher gehören vor allem die häufigen Beziehungswörter ile (mit), için (für) und gibi (wie). Bei der Verwendung mit Personalpronomen erscheinen letztere jedoch in ihrer genitivischen Form, also etwa: abla gibi ~ wie eine große Schwester und senin gibi ~ wie Du; baba için ~ für den Vater und onun için ~ für ihn. Beim Direktiv ist die grammatische Fügung eindeutig in der Form und der Anwendung: z.B. bana göre ~ nach mir (meiner Meinung nach) oder müzakere/ye doğru ~ direkt zu der Verhandlung. – Es gibt im Türkischen keine Postpositionen, die den Lokativ regieren. c) Der türkische „Nominalsatz“, Wortbildung u.a. Eine Eigentümlichkeit der türkischen Satzbildung, die im Deutschen und verwandten Sprachen keine Entsprechung hat, ist der sog. NOMINALSATZ. Es handelt sich um Fügungen ohne verbalen Handlungskern, die als vollständige Sätze empfunden werden. Oben wurde schon erwähnt, dass die sprachliche Realisierung des Subjekts entfallen kann, wenn die Konjugationsendung für die beteiligte Person eindeutig ist. Hier geht es nun um das Prädikat im Existenzsatz, das im Deutschen mit der Kopula ‚ist’ konstruiert wird. Das einzige türkische Hilfsverb, eine Entsprechung des deutschen SEIN, ist aus einem vollständigen Verb entstanden, und zwar er-, das zu ir- wurde und dann verkürzt als ierscheint. Aus sprachökonomischen Gründen kann zuweilen auch dieses total wegfallen. Diese Erscheinung – der Wegfall des Prädikats - läuft einem durch die deutsche Sprache entwickelten Sprachgefühl deutlich zuwider, stellt aber im Türkischen eine normale und korrekte Formulierungsweise dar. In Nominalsätzen sind Aussagen mit diesem Hilfsverb zu nominalen Inhalten sowohl aus dem Subjekt- als auch aus dem Prädikatsbereich möglich. In türkischen Grammatiken nennt man dieses ‚Hilfsverb’ ‚Endungsverb’ (ekeylem). Es erscheint mit den Personalendungen zusammen. Für die 6 Personen des Konjukationsschemas sind das im Singular (große Vokalharmonie) (i)m, sin, dir; für den Plural iz, siniz, dirlar. Diese Suffixe werden an die Inhaltswörter angefügt. So entstehen sehr häufige und geläufige Sätze allein aus Substantiven, Adjektiven oder Adverbien, die dem Deutschsprachigen als unvollständig erscheinen: z.B. Türk/üm ~ ich bin Türke, emekli/yim ~ ich bin pensioniert, hasta/yım ~ ich bin krank oder fakir/iz ~ wir sind arm, burada/yiz ~ wir sind hier. Derartige Sätze werden auch mit Lokalkasus verwandt: evde/yim ~ ich bin zuhause/ im Haus. Weiterhin können die Aussagen sogar die Tempus- und Modussuffixe der Konjugation in die Satzbildung integrieren, z.B. gelmişsin ~ du bist gekommen/angekommen; evdeyisin ~ wenn du zu Hause wärst. In dem folgenden Nominalsatz, der allerdings eine Kontextstütze benötigt, ist das Hilfsverb völlig verschwunden: memurlar ~ sie sind Beamte (memur~Beamter). In diesem Feld sind die Unterschiede in den Sprachstrukturen, die bei der Satzgenerierung als internalisierte Grammatik zur Wirkung kommen, besonders gravierend; denn das Deutsche verlangt strikt die Setzung von Subjekt und Prädikat, um einen vollständigen Satz zu bilden. 14 Die NEGATION wird im Nominalsatz durch die Partikel değil ausgedrückt, die dann die Personalendungen annimmt, z.B. memur değillim ~ ich bin kein Beamter, fakir değilliz ~ wir sind nicht arm. Die formale Unterscheidung von WORTARTEN ist in beiden Sprachen möglich. Hier wie dort gibt es Übergänge, doch sind sie im Türkischen deutlicher ausgeprägt und häufiger realisiert als im Deutschen. Beispiele sind: Adjektiv krank > Nomen der Kranke oder Adjektiv/Adverb müde > Nomen der Müde oder Verb schreiben > Nomen die Schreibung etc. Der freiere Umgang im Türkischen wird durch das sprachproduktive Mittel der Suffigierung ermöglicht. Es gibt eine immens große Zahl von Endungen, die inhaltlich präzisiert sind; sie dienen zuweilen sowohl zur Bildung von Wortableitungen als auch zur Kennzeichnung grammatischer Funktionen. Deshalb werden sie in türkischen Grammatiken generell in einem Kapitel gemeinsam zusammengefasst behandelt. Die Grenze zwischen dem Wortstamm und den Ableitungssuffixen und Flexionsendungen ist dabei nicht scharf zu ziehen. Doch gibt es eine feste Regelung für die Abfolge der Suffixe am Wort: an erster Stelle stehen die Wortbildungssuffixe, dann folgen die Deklinationsendungen (Kasus), sodann der Numerus und schließlich die Possessivendungen bei nominalen Lexemen; bei Verben sind die Konjugationspersonalendungen am Schluss, davor die Einstellungen der Tempora / Genera Verbi / Modi / Aspekte bzw. Aktionsarten. In seiner Grammatik unterscheidet Tufan Demir (Türkçe Dilbilgisi, Ankara, 2004/05, S.99f.) nominale, verbale und gemischte Wortstämme. Letztere sind die legitime Basis zum Wechsel von einer Wortart in die andere. Aber auch bei den anderen (nominalen u. verbalen) gibt es Übergänge. Zu der nominalen Klasse rechnet er Nomen, Adjektive, Pronomen, Adverbien, Postpositionen und Konjunktionen, da sie die entsprechenden Endungen annehmen können. Beispiele für reine Stämme sind: Nomen: ev ~ Haus; Verben: gel ~ kommen, git ~ weggehen. Zur dritten Gruppe gehören Wörter wie boya- ~ malen/Farbe, eski~ alt/alt werden/veralten, göç- ~ fliehen/flüchten/abwandern/Flucht. Häufige produktive Wortbildungsendungen des Türkischen sind: -li (mit etwas versehen), z.B. sakal ~Bart - sakal/lı ~ bärtig; -siz (ohne), iş ~ Arbeit - işsiz ~ arbeitslos; -lik (nominal abstrakt zusammenfassend) beş ~ fünf - beşlük ~ ein Fünfer(bei Geld), iyi ~ gut - iyilik ~ etwas Gutes, die Güte; -ci (eine Person betreffend); sol ~links – solcu ~ ein Linker; iş ~Arbeit – iş/çi ~ Arbeiter; çay~Tee – çay/ci ~ Teekocher; -daş (Zugehörigkeit bei Personen) yurt ~Heim – yurt/taş ~ Landsmann; -cik (Verkleinerung), mini ~ klein – mini/cik ~ klitzeklein. Anzumerken ist hier, dass es im Türkischen grundsätzlich keine Präfixe gibt. Vgl. Deutsch Haus – Gehäuse, binden – Verband, graben – untergraben, hoch – erhöhen u.a. Bei der KOMPARATION wird im Türkischen die Gleichheit mit Hilfe der Postpositionen gibi oder kadar ausgedrückt; im Deutschen haben wir die Partikel wie; z.B. kar gibi beyaz ~ weiß wie Schnee, wobei kar ‚Schnee’ bedeutet und beyaz für ‚weiß’ steht. Auffallend ist hier die Wortstellung, die im Vergleich zum Deutschen in umgekehrter Richtung verläuft, also etwa *Schnee wie weiß. Weitere Beispiele: tüy kadar hafif ~ leicht wie eine Feder (tüy~Feder; hafif~leicht). Auch die Steigerungsstufe wird von rechts nach links aufgebaut. Vergleichspartikel sind daha, welche in Kombination mit dem Ablativ des Vergleichsobjekts verwandt werden. Das Adjektiv bleibt unverändert, also z.B. kedi/den daha büyük bir hayvan ~ Ein Tier, größer als eine Katze (kedi~Katze, büyük~groß, hayvan~Tier). 15 Der Superlativ lässt sich durch den Zusatz en ausdrücken, der vor dem auch hier unveränderten Adjektiv zu stehen kommt, z.B. en büyük adam ~ der größte Mann (büyük~groß, adam~Mann). Die Höchststufe wird wie im Deutschen auch durch den Zusatz çok (sehr, viel) gekennzeichnet, z.B. çok yorgun ~ sehr müde , çok para ~ viel Geld. Die Tendenz in der türkischen Wortstellung, vom Ende her zu strukturieren, zeigt sich auch bei der Angabe der UHRZEIT. Z.B. heißt zwanzig vor acht > sekiz/e yirmi var, wörtlich übersetzt: *bis acht zwanzig gibt es ; oder zwanzig nach acht > sekizi yirmi geçiyor, wörtl. *die acht zwanzig vorübergeht. Ähnliche Konstruktionsprinzipien finden wir auch bei PROZENTANGABEN, wo es lautet, z.B. dreizehn Prozent > yüzde onüç, wörtl. *in hundert 13 und geschrieben sieht das dann so aus: deutsch :13% , türkisch: %13. Aus der Klasse der Pronomen seien noch die DEMONSTRATIVA erwähnt. Ähnlich wie im Deutschen gibt es im Türkischen auch drei Reihen. Sie lauten: bu, şu, o ~ dieses, jenes, das dort. Dabei sind die Vorstellungen bezüglich der Entfernungen anders verteilt als im Deutschen, was im Gebrauch gelegentlich zu interferenzbedingten Abweichungen führt. Die Pronomen nehmen in beiden Sprachen Kasussuffixe an, so etwa: ich kaufe dieses, ich bin von diesem begeistert, oder türkisch: bunu aliyorum, ondan hoşlaniyorum. FRAGEPRONOMEN sind im Türkischen kim? ~wer?, ne? ~ was? und hangi? ~ welches? Sie können die Kasus- und Possessivsuffixe annehmen, z.B. nesi var? ~ was hat er? wörtlich: * sein Was gibt es? oder kimlerden? ~ von wem alle(s)? Zur Betonung einer PERSON wird im Türkischen das Wort kendi + Possessivsuffix angewandt in der Bedeutung von ‚er selbst’. Diese Form wird auch bei reflexiven und reziproken Verben benutzt, wenn es sich um eine besondere Hervorhebung handelt, z.B. Kendimi iyi hissediyorum ~ Ich fühle mich gut, wörtl. * mich gut fühle.. Das INDEFINITPRONOMEN deutsch ein, türkisch bir ist in beiden Sprachen mit dem Zahlwort gleichlautend. Im Gebrauch gibt es jedoch deutliche Abweichungen. Die Stellung im Zusammenhang mit Adjektiven ist im Türkischen in der mittleren Position festgelegt, z.B. güzel bir kız (güzel~schön, kız~Mädchen) > ein schönes Mädchen. Hier ist daran zu erinnern, dass im Türkischen keine Artikel vorhanden sind. - Daher ist für Türkischsprachige auch das Erlernen der deutschen Negation mit k e i n ein beträchtliches Problem. d) Das Verb als Satzkern Wie im Deutschen ist auch im Türkischen das VERB als Handlungskern für den normalen Aussagesatz bestimmend. Bezüglich der Wortstellung gibt es jedoch grundlegende Unterschiede. Während im Deutschen das finite Verb jeweils an der zweiten Stelle im Aussagesatz steht und das Prädikat durch die Klammerbildung charakterisiert ist, haben wir im Türkischen in der Regel die Verbaussage kompakt in einem Wort am Satzende. – Diese Art der Wortstellung ist zu vergleichen mit der des eingeleiteten untergeordneten Nebensatzes im Deutschen, z.B. ..., weil er....... nach Hause kommt. Im Türkischen werden die Einstellungen des Verbs, die die Zeitreferenz, die Modi und die genera verbi betreffen, als Suffixe an den Wortstamm angehängt. Ein Vergleich dieser Kategorien beider Sprachen zeigt wiederum Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dabei geht 16 es zum einen um den Bestand an Formen und Funktionen, die für die Aussageweisen der jeweiligen Sprache vorhanden sind und zum anderen darum, welche in der praktischen Rede und im schriftsprachlichen Gebrauch häufig realisiert werden, somit als typisch bezeichnet werden können und für die Sprachproduktion leitend sind. Betrachten wir zunächst die TEMPORA und MODI. Ein Blick in die Grammatiken beider Sprachen zeigt, dass es jeweils zwei Modi und fünf Kategorien mit Zeitbezug gibt. Diese sind jedoch ihrem Inhalt nach nicht deckungsgleich. Zudem beobachten wir verschiedene Gewichtungen und Überschneidungen mit Aspekt-Kategorien. Im Deutschen unterscheidet man bei der Modalität als Großgruppen den Indikativ und den Konjunktiv, im Türkischen spricht man bei je einem Konjugationsparadigma von der Mitteilungs-Perspektive und der Wunsch-Perspektive, wobei die Mitteilungsreihe neutral ist und dem Indikativ entspricht. Auch bei den Kategorien der Tempora gibt es beträchtliche Unterschiede neben einigen wenigen Gemeinsamkeiten. Eine gewisse inhaltliche Übereinstimmung existiert in dem Bereich von Präsens und Futur insofern, als das Präsens auch für futurisches Geschehen eingesetzt wird, wenn die Bedeutung durch das Umfeld deutlich ist, z.B. durch Zeitadverbien wie morgen, z. B. Ich gehe morgen ins Kino. Im Allgemeinen aber überwiegen die Unterschiede bei der Grammatikalisierung der relevanten Kategorien. Im PRÄSENS haben wir im Türkischen zwei Konjugationsklassen – wie oben bereits erwähnt.. Die eine mit dem Themensuffix –yor wird bei aktuellem Handlungsgeschehen eingesetzt, die andere ist die sog. allgemeine oder weite Formreihe mit dem Affix –r, in vielen Grammatiken als Aorist bezeichnet. In türkischen Grammatiken spricht man meist vereinfacht nur von -yor und -r Präsens. Letzteres wird sehr häufig angewandt, z.B. als Antwort auf die Frage: Rauchen Sie? Evet, sigara içerim ~ Ja, ich rauche (normalerweise); oder im Zusammenhang mit auszuführenden Arbeiten: yaparız ~ wir machen das / können das machen. Unverzichtbar ist oft auch die negative Form, bes. in der dritten Person Sg., die ausdrückt, dass etwas nicht eintritt, z.B. bir şey olmaz ~ es wird nichts passieren (* eine Sache (kann) nicht sein). Diese Form des allgemeinen Präsens wird üblicherweise in Sagen und Märchen und feststehenden Redeweisen angewandt. Die Zeitangaben der VERGANGENHEIT sind im Türkischen dementsprechend auch in eine bestimmte und eine unbestimmte Formreihe auf gespalten. Die bestimmte Form trägt das Affix -di/ti, die unbestimmte das Affix -miş. Sie wird zum Ausdruck des Nichtgesicherten verwendet, z.B. in einem Bericht, wenn der Berichterstatter sich etwas distanzieren will. Die bestimmte Form gilt für etwas selbst Erlebtes, z.B. ich fuhr nach Ankara ~ Ankara’ya git/tim; aber: er ist wohl nach Ankara gefahren ~ Ankara’ya git/miş. Diese unbestimmte, allgemeine Vergangenheitsform ist sehr häufig und auch für Märchen etc. sehr typisch. Im Deutschen ist die Rückperspektive in drei Formen grammatikalisiert, es gibt das Präteritum bzw. Imperfekt, das Perfekt und das Plusquamperfekt, die Vorvergangenheit. Eindeutig spielt hier der Aspekt des Abgeschlossenseins einer Handlung hinein. Hervorzuheben ist, dass im Deutschen in der mündlichen Rede das Perfekt bevorzugt wird, während das Imperfekt das Tempus der schriftlichen Erzählung ist. Ein Sprecher mit Türkisch als Muttersprache wird jedoch geneigt sein, seinem kategorialen Sprachgefühl entsprechend im Deutschen das Präteritum auch in der alltäglichen Sprache zu verwenden – wo das Perfekt angesagt ist. Zudem gibt es bei dem analytisch gebildeten deutschen Perfekt noch die formale Schwierigkeit, zwischen den Hilfsverben haben und sein wählen zu müssen, das 17 Auseinandertreten der Prädikatsteile zu berücksichtigen und das Partizip zu bilden, z.B. ich bin nach Ankara ...... gefahren, aber: ich habe Ankara .......besucht. Dagegen lautet das Präteritum: ich besuchte Ankara; ich kam in Ankara an. Das FUTUR wird im Deutschen auch analytisch mit einem Hilfsverb gebildet, z.B. ich werde .... nach Ankara fahren. Außerdem trägt diese Kategorie nicht rein futurischen Charakter, z.B. wir werden die Sachlage genauestens prüfen. Im Türkischen ist das Futur hingegen eine sehr eindeutige, einfache und geläufige Kategorie, die durch das Formans –ecek (kleine Vokalharmonie) gebildet wird und von Jedermann – auch schon von kleinen Kindern sowohl für Absichten als auch allgemein Erwartbares eingesetzt wird, z.B. Görüş/eceğ/iz ~ wir werden uns wieder treffen. Parallel zu den Tempusformen des Indikativs gibt es im Deutschen die modale Kennzeichnung durch den KONJUNKTIV. Die Konjugation verläuft ebenfalls teils synthetisch und teils analytisch gebildet. Inhaltlich geht es um restriktive Aussagen bei unfester Geltung. Der Konjunktiv tritt vor allem in gepflegter Rede und in der Schriftsprache in Erscheinung. Für den sog. Konjunktiv II, der aus dem Präteritalstamm gebildet wird, z.B. er gäbe, führt Weinrich (a.a.O. S.250 ff) folgende inhaltliche Funktionen an: Modalität (1), Wünsche (2), Bedingungsgefüge mit Konjunktionaljunktoren (3), fiktive Vergleiche (4), Negationsinhalte (5) sowie Diskretion und Höflichkeit (6). Der Konjunktiv I, der dem Präsensstamm zugehört, wird dort als indirekter Restriktiv bezeichnet. Sein Gebrauch ist noch stärker eingegrenzt; er taucht zuweilen in der indirekten Rede auf, z.B.: er gebe mir... . Im Gegensatz zum Konjunktiv ist der Gebrauch der deutschen MODALVERBEN sehr weit verbreitet. Zu dieser Verbgruppe - kann, muss, darf, will, soll, mag/möchte – gibt es im Türkischen keine Entsprechung. Aufgrund unscharfer inhaltlicher Abgrenzung der einzelnen Verben ist der Gebrauch für Nicht- Muttersprachler schwierig zu erlernen. Dazu kommt, dass bei der Satzgenerierung die prädikative Klammer obligatorisch ist z.B. er wollte ...............kommen. Im Türkischen gibt es neben dem Indikativ drei grammatikalisierte Formen zum Ausdruck der Modalität. Es sind dies der Optitativ, der Nezessitativ und der Konditional. Alle verfügen über entsprechende Paradigmata bezüglich der Zeiten und der Personen. Die Affixe sind: für den Optativ -e-, z.B. gid/e/yim ~ ich möchte gehen; für den Nezessitativ -meli-, z.B. git/meli/yim ~ ich muss gehen; für den Konditional -se-, z.B. git/se/m ~ wenn ich ginge. Im Türkischen sind die grammatikalisierten Tempus- und Modusformen durchgängig synthetischer Natur, während sie im Deutschen teils synthetisch und teils analytischen Charakter haben, also mit Hilfsverben gebildet werden. Eine weitere Aussageweise des verbalen Bereichs ist der IMPERATIV, die Befehlsform. Hier haben wir deutliche strukturelle Übereinstimmungen in beiden Sprachen. Der reine Verbstamm ist jeweils die Form für den Singular, z.B. git! ~ geh! und für den Plural wird die zweite Person (Pl.) hinzugefügt, z.B. gid/iniz! ~ geht!, was auch für die höflichere Aussageweise gilt, z.B. gid/iniz lütfen ~ gehen Sie bitte. Im Türkischen sind durch die Kombination einer Zahl von Affixen am Verb weitere Aussageweisen entstanden, die als grammatikalisiert gelten. Es sind gewissermaßen Nebenformen der Konjugation, die unter folgenden Aspekten zusammengefasst werden: 1. die HIKAYE-Gruppe, eine Erzählform mit dem Affix -idi-. Das entspricht nur annähernd dem deutschen Imperfekt, denn im Türkischen können weitere Zeiten und Modi mit dieser 18 Endung kombiniert werden, z.B. gid/ecek/ti/m (Verg. Kombiniert mit Futur) ~ ich wollte/sollte/würde gehen. 2. Die RIVAYET-Gruppe mit dem Modalindikator -imiş, die die Distanzierung des Sprechers anzeigt und keine temporalen Inhalte transportiert, z.B. git/meli/ymişim ~ ich hätte wohl gehen sollen. 3. Die sog. KOŞUL-ŞART- Gruppe, deren Formen mit dem Konditional -ise- gebildet werden. In Kombination mit dem Aorist etwa entsteht : gid/er/sem ... ~ wenn ich ginge/gehen würde...... Nach dieser stark verkürzten Darstellung steht außer Zweifel, dass der Ausdruck der Modalität im Deutschen und Türkischen strukturell sehr stark voneinander abweicht. Viele Bildungen des verbalen Prädikats im Türkischen können im Deutschen oft nur durch ergänzende Satzadverbien unvollkommen wiedergegeben werden. Diese an solchen Stellen unverzichtbaren Partikel sind allerdings im Türkischen wiederum extrem selten. Der Vergleich der GENERA VERBI ergibt ein ähnlich komplexes Bild. Als klare Parallele findet sich neben der aktiven Ausdrucksweise eine passive, die jeweils als vollständiges Konjugationsparadigma vorhanden ist. Im Deutschen haben wir eine durchgängig analytische Bildungsweise für das Passiv, z.B. das Fleisch wird / wurde gebraten mit und ohne Realisierung des Agens als präpositionale Fügung (von + Dat.). Durch die Verwendung des Partizip Perfekts ist immer der Aspekt der Vollendung dabei mit im Spiel. Im Türkischen wird die Passivität, das Zusammenfallen von Subjekt und Objekt, durch Affixe gekennzeichnet, die entsprechend dem Auslaut des Verbstammes variieren; sie lauten -il, -n oder -in, z.B. yakala/n/dı ~ er wurde gefangen / ist gefangen worden. Im Deutschen gilt die passivische Ausdrucksweise als kompliziert und nicht einfach erlernbar. Sie wird in der mündlichen Rede eher selten angewandt. Deshalb wird diese Kategorie oft als ein Kriterium für einen hohen Grad von Sprachbeherrschung bei Tests zur Sprachentwicklung von Kindern angewandt. Im Türkischen hingegen gehört die passivische Ausdrucksweise zum alltäglichen Sprachgebrauch und wird schon von kleinen Kindern beherrscht. Sie sagen z.B. dövüldüm ~ man hat mich gehauen / ich wurde geschlagen. - Ähnliches gilt auch – wie oben schon angemerkt - für das Futur, dessen Bildung im Türkischen sehr einfach ist, daher auch als geläufig zu charakterisieren ist und entsprechend häufig genutzt wird. Neben dem Aktiv und Passiv rechnet man im Türkischen zu den Genera Verbi weiterhin das REFLEXIV, REZIPROK und KAUSATIV als grammatikalisierte Verbeinstellungen. Das reflexive und reziproke Verhältnis in der verbalen Aussage ist im Deutschen mehr als im Türkischen an bestimmte Verben gebunden. Außerdem betont man im grammatischen Beschreibungssystem für das Deutsche die Realisierung durch Pronomen, im Türkischen ist der Fokus auf dem Verb, denn das mögliche Pronomen kendi wird nur in Ausnahmefällen bei besonderer Betonung verwendet. Das Affix der Reflexivität ist -in. Dabei zeigt sich eine Überlappung mit der passivischen Ausdrucksweise. Die dadurch eventuell entstehenden Probleme werden jeweils durch den Kontext geklärt. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Wortbildungen, die Bedeutungsverschiebungen hervorrufen und zu festen Formen führen, z.B. sev- ~ lieben > sevin- ~ sich freuen. Die Reziprozität hat ein eindeutig charakteristisches Affix, nämlich -ş-, das nach konsonantischem Auslaut zusätzlich einen Vokal annimmt. Die Bedeutung ‚gegenseitig’ ist deutlich erkennbar und schwingt auch bei fest gewordenen abgeleiteten Idiomen mit, z.B. gör- ~ sehen > gör/üş- ~ sich wiedersehen/ wieder treffen. 19 Die fünfte Art der grammatikalisierten verbalen Aussageweise im Türkischen ist das Kausativ oder Faktitiv. Es ist sehr geläufig und wird von den Sprechern produktiv eingesetzt. Mehrer Affixe dienen dieser Funktion – in Abhängigkeit meist wieder vom auslautenden Vokal des Verbstammes. Es sind dies -t, -dir, -t, -ir, -er; z.B. yap- ~ machen > yap/tır- ~ machen lassen; evlen- ~ heiraten > evlen/dir- ~ (jemanden) verheiraten; giy- ~ anziehen > giy/dir- ~ einkleiden. Auch hier zeigen sich fließende Übergänge zwischen den grammatikalisierten Formen und der Wortbildung in Bezug auf die gleiche Funktion. e) Satzbau: Frage, Negation, Nebensätze, Kohärenz Beim Vergleich der Sprachen auf der Satzebene ist zunächst die unterschiedliche Art und Weise des Ausdrucks der FRAGE und der NEGATION hervorzuheben. Im Deutschen wird die Satzfrage durch eine charakteristische Wortstellung gebildet, indem das finite Verb an den Satzanfang rückt, z.B. Kommt er morgen? Im Türkischen wird die Partikel mi (große Vokalharmonie) zur Kennzeichnung der Satzfrage verwandt, die nach jedem Satzglied stehen kann, das für die Fragehaltung von Bedeutung ist; z.B. yarın mı Anneanne gel/ecek? (yarın~morgen; anneanne~Großmutter; gelecek~wird kommen) oder yarin anneanne mi gelecek? Im Deutschen lauten beide Satze: Kommt Großmutter morgen? Der Frageschwerpunkt wird durch die Betonung spezifiziert. In manchen Tempora erscheint die Fragepartikel mit der Personalendung verschmolzen, z.B. gelecek misin? ~ kommst Du? Die Satznegation wird im Deutschen durch die Partikel nicht hervorgerufen, die möglichst nah am verbalen Aussagekern zu stehen hat. Im Türkischen dient das Infix -me- (kleine Vokalharmonie) dieser Funktion. Es erscheint direkt nach dem Verbstamm und seinen Ableitungen und vor den Bildungsformatien mancher Genera Verbi, vor den Tempora und Modi sowie den Personalendungen; z.B. tan/ış/ma/dık ~ wir haben uns (noch) nicht kennen gelernt (tan-/kennen; -ış- reziprok; -ma- negativ; dık 1.Pers. Pl.). Für den Aorist gibt es Sonderformen. Besonders in der dritten Person ist der Gebrauch sehr häufig zum Ausdruck der allgemeinen Nicht-Existenz, z.B. hört man oft: bir şey olmaz ~ nichts wird geschehen. Ein Beispiel für den Nezessitativ wäre: bu yap/me/yacağ/ım ~ ich werde das nicht machen, oder gel/me! ~ komm nicht! Der im Zusammenhang mit der Textproduktion wohl weitgreifendste Unterschied der beiden Sprachen besteht darin, dass die Erweiterung von Sätzen und der Ausbau von Phrasen im Türkischen generell nicht durch die uns bekannte Art von NEBENSÄTZEN geschieht. Vielmehr werden die vielfältigen Ergänzungen durch die Umwandlung von Verben in Verbalnomen, Verbaladjektive (Partizipien) und Nominaladverbien vorgenommen. Konjunktionen sind selten. Sie dienen der Nebenordnung und Anreihung, kaum aber der Unterordnung, d.h. es gibt im Türkischen nicht die im Deutschen und den verwandten Sprachen übliche Hypotaxe. Hier ist an vorderster Stelle bezüglich der Gebrauchshäufigkeit der Relativsatz zu nennen mit seiner weit reichenden attributiven Funktion und den besonderen formalen Regeln zur Berücksichtigung der Kasus in den Pronomen, regiert vom finiten Verb und der Rück-Bezüge zum vorangegangenen Basiswort, z.B. der Mann, den ich kenne..... oder (ich sehe) den Mann, der sich verspätet hat. Der Relativsatz hat im Türkischen keinen Platz. Wie also werden in der Sprache die Satzerweiterungen gebildet und eingesetzt? Wie wird der einfache Satz zum komplexen Satz ausgebaut? 20 Im Türkischen als einer linksläufigen Sprache sind alle Zusätze und Erweiterungen normalerweise dem Aussagekern vorangeschaltet. Oben wurde dieses Prinzip schon bei der Darstellung der Komparation und den Prozentangaben erwähnt und exemplifiziert. Hier sei ein weiterer Typ genannt. In Berichten, die eine Differenzierung bei einer Zahl von Menschen beigeben wollen, heißt es z.B. in einem entsprechenden deutschen Satz: 20 Menschen kamen ums Leben, darunter (waren) viele Frauen und Kinder. Im Türkischen würde folgendermaßen formuliert: *viele Frauen und Kinder (seiend), 20 Menschen ums Leben kamen. Das Türkische benutzt vorzugsweise das Mittel der NOMINALISIERUNG von Verben für Satzerweiterungen, die dem deutschen Sprachgefühl entsprechend sehr kompakt wirken. Wir kennen sie aus Partizipialfügungen und den sog. Nominalismen, die aber als Äquivalente von Nebensätzen bei weitem nicht in allen Fällen möglich sind. Beispiele wären: Aufgrund der Sachlage .... bzw. weil die Dinge sich so entwickelt haben, .... oder z.B. der gestern erst spät in der Nacht eingetroffene Freund bzw. der Freund, der gestern erst spät in der Nacht eingetroffen ist. Oder: Ich studiere die mir bislang unbekannt gewesenen Papiere etc. bzw. Ich studiere die Papiere, die ...... Die Struktur der türkischen Sprache eröffnet eine sehr große Zahl von Möglichkeiten der Satzerweiterung durch solche Umwandlungen mit Suffigierung von Verben in Gebilde, die dann sowohl verbale als auch nominale Eigenschaften haben. Dabei gibt es drei verschiedene Arten bzw. Grade der Umbildung (vgl. Songül Rolffs, Zum Vergleich syntaktischer Strukturen im Deutschen und Türkischen mittels der Dependenz-Verb-Grammatik, Lang-Verlag, 1997, S.110 ff). In der ersten werden einfache Wortklassen in andere überführt. Es sind dies die Infinitiv- und Partizipialfügungen als Nominalisierung. Das Subjekt wird getilgt oder fällt mit dem Objekt zusammen. Bei der zweiten Art behält das Verb viele Charakteristika bei, nämlich die Modi und Tempora (genera verbi), obwohl es wie die Nomina die Kasusflexion annimmt. Was es abgibt, ist das Person – Konjugations –Paradigma; aber durch die Possessivsuffixe und den Genitiv der Pronomina kann der personale Bezug wieder hergestellt werden. Die dritte Art wird durch die Nebenordnung von unveränderten Hauptsatzstrukturen repräsentiert. Durch diese syntaktischen Möglichkeiten ergeben sich vielfältige verbale Konstrukte mit reichhaltigem Ausdruckspotential, das satzstrukturell die Rolle von Satzergänzungen, Angaben und Attributen innehat bzw. die entsprechenden Gliedsätze, die im Deutschen jeweils potentiell ein Subjekt und Prädikat (finites Verb) enthalten müssen. Zur Charakterisierung der syntaktischen Bezüge werden im Türkischen Kasussuffixe verwendet, die z. T. durch die verbalen Inhalte und z. T. durch die strukturellen Gegebenheiten vorgegeben sind. Den Valenzen der Verben entsprechend bestimmen sie die Struktur des Satzes und können sowohl als notwendige Ergänzungen als auch als freie Angaben und Attribute, also auch als Satzgliedteil fungieren. Beispiele wären: (Infinitiv als Nomen) Yarın geme/ye planli/yorum ~ Morgen zu kommen plane ich oder: Anne/nın erken gelme/sin/den sevin/iyor ~ er freut sich, dass seine Mutter früh kommt, wörtlich *Seiner-Mutter früh Kommen-ihr-über freut-er-sich. 21 Im Deutschen werden die TEXTVERWEISE, die Wiederaufnahme von Satzgliedern des Vorsatzes, durch Personalpronomen und Demonstrativa realisiert. Diese sind grammatisch bezüglich Geschlecht und Numerus markiert, z.B. Der König……..er…..; die Tür ……..sie….. (vgl. oben Abschnitt a). In diesem Punkt geht das Türkische aufgrund seiner Strukturmerkmale völlig anders vor. Die Personen- und Objektreferenz ist im VerbalnomenKomplex enthalten und dort zu identifizieren. Die Herstellung der Kohärenz im Text durch Anaphora und Kataphora (Vor- und Rückverweise) ist also in beiden Sprachen sprachtypbedingt völlig unterschiedlich. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Stilgebung. Im Deutschen werden z.B. Wiederholungen der Nomen als unschön empfunden und sollen vermieden werden. Nicht so im Türkischen, wo andere Kriterien die Ästhetik der Sprache bestimmen. Dies ist ein tief greifender Unterschied mit pädagogischer Brisanz. - Eine weitere Bearbeitung dieser Thematik ist zweifellos notwendig; hier konnte nur die Richtung angedeutet werden. 22