Sachunterricht Entwicklung, Ansätze und Perspektiven Gerhard Gümbel, Adolf Messer, Siegfried Thiel Vorwort Der Sachunterricht zählt neben Deutsch, Mathematik und der ästhetischen Erziehung zu den Kernbereichen der Grundschule. In ihm geht es um das gegenwärtige und vergangene Zusammenleben der Menschen in Arbeit und Freizeit, um die privaten und gesellschaftlichen Einrichtungen zu Dienstleistung, Konsum und Produktion und um die dabei auftretenden Probleme naturwissenschaftlich – technischer, politisch – sozialwissenschaftlicher oder biologisch – sexualpädagogischer Art. Immer wieder stehen Didaktiker und Lehrer vor der Frage, wie diese Inhalte in den Büchern oder im Unterricht angemessen darzustellen sind und immer neu werden Curriculumkommissionen eingesetzt, um Leitziele und Richtlinien für die Arbeit zu finden. Das Studium der Unterrichtswerke und der Begleitliteratur und ein Blick in die Lehrpläne der Bundesländer macht offenkundig, welch große Unsicherheiten im Sachunterricht über das Wie, Was und Wohin bestehen. Vielfältige Ausführungen über den Sachunterricht liegen vor und es erfordert viel Zeit und Mühe, wenn Studenten oder Lehrer sich orientieren und auch über die Form der laufenden Unterrichtsarbeit mit ihren Vor- und Nachteilen etwas Klarheit gewinnen wollen. Zu diesem Zweck wurde dieses Workshop-Heft verfasst. Im Teil A werden grundsätzlich unterschiedliche Perspektiven zusammengestellt, wie die Sachen im Sachunterricht angesprochen werden können. Sie sind das Ergebnis jahrhundertelanger didaktischer Reflexionen vieler Pädagogen im mitteleuropäischen Raum. Diese unterschiedlichen Zugehensweisen auf die Sachen ermöglichen nachfolgend die Ordnung der einzelnen Ansätze. Die Ziele, Inhalte, und unterrichtlichen Verfahren sowie die Entwicklung der verschiedenartigen Ansätze im Sachunterricht werden im Teil B umrissen. Mehrere Unterrichtsentwürfe sollen das jeweilige Vorgehen verdeutlichen. Soweit möglich, folgen kritische Stellungnahmen, die Vor- und Nachteile herausheben und eine den Ansatz überschauende Besinnung einleiten könnten. Die vielfältigen Aspekte zeigen sich dann nochmals in der ausschnittweisen Gegenüberstellung der Lehrpläne, und es wird deutlich, dass Reform und Diskussion nicht abgeschlossen sind. Im letzten Teil steht beispielhaft das Problem von sachkundlichen oder wissenschaftsorientiertem Unterricht im Mittelpunkt, das in Kultusministerien und Landtagen und damit auch hin den Massenmedien heftige Debatten auslöste. Hier wird aufgewiesen, wie sich über das Ausdifferenzieren der Begriffe nicht nur die angesprochenen Ansätze im Sachunterricht klassifizieren lassen, sondern auch Defizite in der Diskussion zeigen. Mit dem Lesen und Durcharbeiten der Texte kann an verschiedenen Stellen begonnen werden: Bei den Grundformen S. 3, bei dem Überblick und den Ansätzen S.18, bei den Lehrplänen S.53 oder beim Teil C mit dem aktuellen Problem. Da die Literaturliste weitere Studien ermöglichen soll, sind darin Übersichten und vertiefende Werke aufgenommen. Die Erwartungen sollten jedoch nicht zu hoch angesetzt werden, weil auch dieses Heft die didaktischen Ungereimtheiten und Widersprüche, die gelegentlich in den Konzeptionen zutage treten, bestenfalls nennen, aber nicht lösen kann und weil das eindeutige Ordnen von Ansätzen nicht möglich ist. Freiburg / i. B., August 1976 G. Gümbel A. Messer S. Thiel 1 Zur Sache des Sachunterrichts Wer heute Intentionen, Inhalte und unterrichtliche Verfahrensweisen des Sachunterrichts in der Grundschule bestimmen soll, kommt in große Schwierigkeiten, weil ihm mehrere Auffassungen von Sachunterricht vor Augen stehen. Die von verschiedenen Interessen geleiteten Bemühungen um die Sachen des Sachunterrichts, die Pädagogen, Fachwissenschaftler und Fachdidaktiker zur Ablösung des kritisierten Heimatkundeunterrichts der Vor- und Nachkriegszeit seit Mitte der sechziger Jahre aufnahmen, haben zu dieser Vielfalt geführt, und es bleibt offen, ob jemals ein Konsens darüber hergestellt werden kann. Der Begriff des Sachunterrichts für die Bezeichnung eines Faches oder Lernbereichs in der Grundschule wurde als eine Sammelbegriff gewählt, weil er in seiner Allgemeinheit am besten die heterogenen Aspekte, Ziele, Inhalte oder Unterrichtsgegenstände der natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer (Geographie, Geschichte, Wirtschafts- und Gemeinschaftskunde, Physik, Chemie u. a.) vertreten konnte. Jede der Interessengruppen gab auch vor, sich mir realen, alltäglich-konkreten Gegenständen und Sachverhalten zu befassen und darüber Aussagen machen zu können. Jedenfalls finden wir heute unter dem „Verlegenheitsausdruck“ Sachunterricht zunächst „die Gemeinde derer versammelt, die dem Heimatkundeunterricht und dem Gesamtunterricht abgeschworen haben.“1 Die Auseinandersetzungen mit der rechten Lehre von den Sachen und insbesondere mit der Ausrichtung des Unterrichts an den realen Sachen, sind jedoch nicht neu. In der sehr langen Geschichte des Sachunterrichts, die wir hier im Einzelnen nicht ausführen können, sind verschiedene Ausformungen zu finden, die auch heute noch in den Unterrichtswerken tradiert werden. Wir wollen nun mit Hilfe einiger Textauszüge chronologisch in knapper Form drei Grundformen darstellen, auf ihre erkenntnis- und gesellschaftstheoretischen Implikationen hinweisen und zu zeigen versuchen, unter welchen Intentionen und wie jeweils die Sachen angesprochen oder konstruiert werden2 . 1 K. Giel, Probleme des Sachunterrichts. In: E. Schwartz (Hg.), Regionale Grundschulkongresse 1973 / 74, Lernbereich Sachunterricht, Prinzipien und Beispiele. Frankfurt 1974, S VIII / IX. 2 Die Gedanken zur Ordnung der Ansätze im Sachunterricht nach Grundformen der Anschauung wurden angestoßen durch Auseinandersetzungen mit dem didaktischen Realismus. A. Messer, Räumlichkeit und Mehrperspektivische Didaktik, Diplomarbeit, Freiburg 1976 2 A Die Grundformen des Sachunterrichts 1.Sachunterricht als Realunterricht 2. Sachunterricht als Fachunterricht 3. Sachunterricht als Mehrperspektivischer Unterricht Perspektiven und Positionen im Überblick 1. Sachunterricht als Realunterricht Wenn man vor allem mit Lehrerhandlungen erreichen möchte, dass Kinder lernen, mit dem Löffel zu essen, die Schuhe zu binden, Rad zu fahren u.a., - also ihre Lebenssituationen zu bewältigen, um später geschickte, tüchtige und brauchbare Bürger zu werden -, dann liegt es nahe, unmittelbar von den „res“, den vor den menschlichen Sinnen liegenden natürlichen und kulturellen Sachen und dem aktuellen Handlungsraum auszugehen. Wichtige Lehraufgaben bestehen dann z. B. in der Anleitung zum Gebrauch, zur Herstellung oder Verwertung der konkreten, realen Dinge, in der Weitergabe nützlicher Kenntnisse und in der Einführung in Techniken des Abbildens, der Benennung, des Zerlegens oder Verknüpfens. Diese Art des „Sachunterrichts“ dominierte bisher in der Geschichte der Menschheit. Heute finden wir solchen Realunterricht vor allem z. B. beim Anlernen von ausländischen Arbeitnehmern oder in der Schule beim Einüben von Kulturtechniken, bei der Disziplinierung des Körpers und der Handhabung von Geräten in Sport, Musik, Kunst und Werken. Anhand einiger Beispiele aus der pädagogischen Geschichte wollen wir nun aufweisen, wie trotz des vorwiegend technologisch – lebenspraktischen Bezuges innerhalb des Realunterrichts doch, hinsichtlich der Intentionen, Inhalte und Lehrmethoden, Variationen auftraten. Ein unmittelbar auf die konkreten Dinge bezogener Unterricht ist wohl vorwiegend in der Stammes – und Familienerziehung der frühen vorchristlichen Zeit gepflegt worden (s. Assyrien, Ägypten u.a.), weil zum Gebrauch und zur Herstellung von Kleidern, Wohnungen, Bewässerungsanlagen, Kult – und Grabstätten, Haushaltsgegenständen, Werkzeugen, Waffen, Fortbewegungsmittel u.a. unmittelbar an und mit den Sachen die Verwertungsmöglichkeiten (Festigkeit, Belastbarkeit, Essbarkeit usw.) erkundet und die Handhabung mit ihnen eingeübt werden musste. Der Realunterricht erschöpfte sich aber zumeist nicht im Training des mehr vordergründigen Umgehens mit den Gerätschaften, Heilmitteln oder den Mitmenschen, Pflanzen und Tieren, sondern erstreckte sich auch, mehrere Jahrtausende lang, auf theologisch – naturphilosophische Ausführungen über die in oder hinter den Sachen wirkenden Kräfte oder Mächte. Dies geschah vorwiegend deshalb, weil neben der Unterweisung in den Künsten (Fertigkeiten) immer auch die Erziehung zu einer Zucht bzw. Sittlichkeit gefordert war. An zwei grundlegenden inhaltlich – methodischen Problemen, um die noch heute gerungen wird, lassen sich die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen um Anlage und Gestaltung des Realunterrichts gut verfolgen. Dies sind das Problem der Indoktination (a) und das der rechten Lehr – Methode von den Sachen (b). a) Real – und Religionsunterricht oder Physis – Metaphysik Wegen der festgelegten leitenden Erziehungsziele war bis zur Zeit der Aufklärung nahezu unbestritten, dass alles Lehr–Handeln von und mit den Sachen im Dienste der Seelenformung 3 zu geschehen habe. Erste Schritte zur Loslösung von dem religiösen Anschauen der Dinge sind zu erkennen z. B. in der Koppelung des Leseunterrichts mit der Reallehre, in der Betonung der berufsbezogenen Bildung und der gemeinnützigen Kenntnisse, vor allem bei den Philanthropen, oder in der mehr technologisch orientierten Naturlehre in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (A. Diesterweg, J. Crüger u.a.), die durch eine große Zahl empirisch – technischer Unternehmungen (z. B. von F. Bacon, G. Galilei, G.W. Leibniz) schon vorbereitet war. Nach der Revolution von 1848 jedoch bestimmte für mehrere Jahrzehnte wieder der Religionsunterricht, wie über die Sachen zu sprechen sei, weil das Wissen von den Realien ohne „tiefere“ Fundierung und Verbindung sich als „schädlich“ erwiesen hatte. Um die Jahrtausendwende waren Real – und Religionsunterricht zwar Lehrzweige für sich, standen aber wegen der alten Trias „Natur – Mensch – Gott“ weiterhin nahe beieinander und hatten sich gegenseitig zu helfen. Auch heute ist noch nicht abgeklärt (s. Grundformen, Ansätze und Lehrpläne im Sachunterricht), im Hinblick auf welche Leitbilder und „Dogmen“ die Sachen im Unterricht dargestellt werden sollen. Entnommen aus: J. Dolch, Lehrplan des Abendlandes, Aloys Henn Verlag Ratingen, 2. Auflage 1965, S. 38 und 76 Lehrgegenstände nach Platon (427 – 347): Praktisch – theoretische Ausbildung (für die nächtliche Versammlung) (20.-21.) ( Ephebie ) (18.-19.) Höhere Arithmetik, Geometrie und 4. Stufe Astronomie 16.-(17.) ......................................................... Elementare Arithmetik, Geometrie, Astronomie, unentbehrliche Kenntnisse für Krieg, Haus – und Staatsverwaltung Jagd zu Lande und im Wasser als Kriegsvorübung 3. Stufe 13.-15. Leierspiel, Fortsetzung des literarischen Unterrichts, Beteiligung am Chor Marschieren, Lagerschlagen, Bewegungen in der Rüstung 2. Stufe 10.-12. Lesen und Schreiben, Poesie und Prosa, grammatischer Unterricht Fortsetzung, (Schwimmen), Tanz und Ringen 1. Stufe 7.-9. Gesang und Spiel, gelegentlich Abzählübungen Reiten, Bogenschießen, Speerwerfen, Schleuderschießen 3.-6. Kindergarten im ländlichen Bezirk 4 Familiäre Entwicklung und Pflege der Gesundheit und des Gemüts vor allem durch Bewegung und heiteren Gleichmut Nennen Sie bei Platon und Augustinus die einzelnen Lehrgebiete, die dem Lernbereich Sachunterricht in der heutigen Fassung zuzuordnen wären. (Sie können sich dazu die Lernbereiche/Inhalte in den Lehrplänen der BRD auf S. 56 und 57 ansehen). Lehrgegenstände nach A. Augustinus (354 – 430): Menschliche Einführungen. A b e r g l ä u b i s c h e: Götzendienst, Alltagsgebräuche, Astrologie, Vogelflugdeutung u. dgl. N i c h t a b e r g l ä u b i s c h e: Überflüssige: Theaterpossen, Gemälde, Statuen, Dichtungen Zweckmäßige und notwendige: Kleidung, Rangabzeichen, Maße, Münzen, Gewichte; Buchstaben, Sprachen, Kurzschrift. Göttliche Einrichtungen. E r f a h r u n g e n d u r c h S i n n e s w a h r n e h m u n g u n d E r z ä h l u n g: Geschichtswissenschaft, Naturwissenschaft und Astronomie, Fertigkeiten: Baukunst, Schreinerei, Töpferei u. dgl.; Heilkunde, Landwirtschaft, Verwaltungskunst usw.; Tanzen, Laufen, Ringen u.a. E r k e n n t n i s s e a u s r e i n e r g e i s t i g e r V e r n u n f t: Dialektik: Definition, Syllogistik, Sophistik, Rhetorik. Mathematik: Arithmetik, Geometrie, Musik. In den Lehrplänen von Platon und Augustinus, die nach dem „natürlichen und göttlichen Gesetz“ gestaltet wurden, finden wir den Lernbereich Sachunterricht im heutigen, engerem Sinne schon in einzelnen Lehrgebieten vor. Bei Augustinus ist einschränkend zu vermerken, dass die nützlichen Kenntnisse wohl ohne zu sündigen erlernt werden dürfen, „aber sie dürfen uns nur insoweit in Anspruch nehmen, als sie keine größeren Ziele verhindern, zu deren Erreichung sie bloß Mittel sein sollen“. Von den Erfahrungswissenschaften mit Einschluss der Fertigkeiten soll man „nur leichthin und oberflächlich Kenntnis nehmen, nicht um sie auszuüben ..., sondern nur um ein Urteil zu haben“3,. 3 Augustinus, De doctrina II, zitiert nach J. Dolch, a.a.O., S. 76. 5 Diese Rang-Ordnung bleibt auch bei J.A. Comenius (1592 – 1670) erhalten. Er schätzt jedoch die freien, nützlichen Künste anders ein, was nicht zuletzt durch die Skizzierung des Lehrkatalogs für den Elementarunterricht belegt wird. Geben Sie die Ordnung der Lernbereiche nach Comenius an und überlegen Sie, welches Wissen von den Realien zunächst im Vordergrund steht. Prüfen Sie auch, welche der angegebenen Lernziele präzise das Endverhalten der Schüler beschreiben. Entnommen aus: J.A. Comenius, Mutterschule, hg.v. A. Richter. Verlag Friedrich Brandstetter, Leipzig, 4. Auflage 1921, S. 28 und 34 f. In Summa, drey Stücke sindt, darinnen die Christliche Jungendt fleißig unterwiesen werden soll: Glaube und Gottesfurcht; Sitten und Tugenden; Wissenschafft der Sprachen undt allerley Künsten. Unnd zwar der Ordnung nach, wie ist erzehlet, unndt nicht umgekehret: vornehmlich sollen sie lernen From sein: darnach gutte Mores; Letzlich freye nützliche Künste: doch auch in dem letzten Stuck, je weiter manns bringen kann, je besser ist es. Was die Künste anlanget, die selben theilen sich in drey theil. Denn wir lernen in der welt etliche Dinge Kennen, etliche Thun, etliche Reden. Oder also, Wir lernen alles was nützlich und gut ist, Kennen, Thun, und davon Reden. Anlagende die Erkäntnüß, 1) Erstlich der natürlichen Dinge (in Physicis) kann ein Kind in den ersten 6 Jahren so weit gebracht werden, dass es die Elementen, Erde, Wasser, Lufft, Feyer, zu nennen wisse; Item Regen, Schnee, Eyss, Bley, Ehren und Auch etlicher gewächse underscheidt, nemlich, was ein Kraut, Baum, Fisch, ein Vogel, ein thier sey. etc. Letzlich kann ein Kind lernen, seiner eußerlichen gliedmaße nahmen unnd arbeyt. Diß alles sehr leicht; und ist doch ein anfang der ganzen Physicae oder natur Kunst. 2) In Optica hat das Kind genug, wenn es verstehett was licht, was finster ist, undt etlicher farben unterscheyd, unnd nahmen, alß weiß, schwartz etc. 3) Einen Anfang von der Astronomia kann ein Kindt haben, wenn es die Sonne undt den Mond kennet; undt ins gemein, was ein Stern sey, weiß. 4) In Geographia, wenn es wißen wirdt, ob der ort, da es gebohren, oder wo es wohnet, ein dorff oder städtlein, oder Stadt oder Schloß sey; Item, wenn es verstehet, was ein acker, berg, fluß sey. 5) Der Chronologie anfang wird sein, wissen, was eine stunde, tag, nacht, wochen; Item, was winter oder Sommer sey. 6) Der Historien anfang, wenn sie etwas von zwey, drey oder vier Jahren, gedencken, wenn es gleich kindische dinge sein, undt gar schwach, - alß wir durch einen nebel, sich deßen erinnern können. 7) In Oeconomia wissen, wer vom haus gesinde in hauß gehöre oder nicht gehöre. 8) In Politics, wenn es wird verstehen, dass jemand in der Stadt ein Burgermeister, Rathsmann, oder Vogt heist; dass die Bürger bißweilen in der gemeine zu sammen kommen,etc. Ende des 18. Jahrhunderts, bei J.J. Rousseau, J.B. Basedow, Ch. G. Salzmann, J. H. Pestalozzi u.a., liegt das Ziel der Erziehung dagegen mehr in der „Entfaltung des Menschen im Hinblick auf seine künftige Lebensbewährung“4. 4 J.F. Molitor, Über Bürgerliche Erziehung, zitiert nach W. Schöler, Geschichte des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Berlin 1970, S. 54. 6 „Der Hauptzweck der Erziehung soll sein, die Kinder zu einem gemeinnützigen, patriotischen und glückseligen Leben vorzubereiten“5. So bemüht man sich verstärkt um die Vermehrung wirklicher Sacherkenntnis und räumt jener grundsätzlich den Vorrang vor der Worterkenntnis ein. Einige Ausschnitte aus Basedows Methodenbuch, das 1770 erschien, sollen dies erläutern. Entnommen aus: J.B. Basedow, Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker. In: Ders.: Ausgewählte pädagogische Schriften, hg.v. A. Reble, Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn 1965, S. 118 ff. Ich dringe so oft auf Sacherkenntnis, und man fängt auch immer mehr an, die Notwendigkeit derselben einzusehen, aber was man dafür ausgibt, muss auch wirkliche Sacherkenntnis sein. Wenn ein Kind alle Teile einer Uhr und alle Instrumente eines Uhrmachers nennt und sich die Figuren derselben vorstellt, ohne von der Kraft und Wirkung der Teile, welche in diesem Kunstwerke sind, einen Begriff zu haben, so hat es gar keine Erkenntnis von einer Uhr, sonder vielleicht nur von einem Kammrade und Stirnrade. Es ist der Erkenntnis einer Uhr nähergekommen, aber es hat dieselbe noch nicht wirklich. Wenn es die Teile und Werkzeuge nur nach dem Namen, nicht aber nach ihrer Gestalt und Kraft kennt, so hat es in diesem Stücke schlechterdings keine Sacherkenntnis..... Der Sachunterricht muss wirklich dem Verstande neue Vorstellungen geben, nicht aber das Gedächtnis nur mit Wörtern anfüllen. Schulen und Lehrer aber können ebensowohl einer sehr schädlichen Pedanterie schuldig werden, wenn sie Worterkenntnis statt der Sacherkenntnis unterschieben, als wenn sie die Jugend mit so vielen und solchen Sacherkenntnissen belasten, welch ihr entweder unnütz sind oder in dem Falle des Bedürfnisses auf eine bessere Art und Erkundigung und Erfahrung oder durch Bücher nachher bekannt werden können. Ein kleines Maß nützlicher und vollständiger Erkenntnis ist besser als ein Gemisch zahlreicher Kenntnisse, welche ein Zufall durcheinander geworfen zu haben scheint, und auf deren keine aus Mangel der Zeit nötige Aufmerksamkeit kann gewendet werden.... Nebst den gemeinnützigen Wahrheiten der Mathematik und Naturkunde ist die Sittenlehre die vorzügliche Sacherkenntnis. Aber ob sie viel oder wenig nützen werden, das kommt vornehmlich auf die Wahl der Methode an. Die Furcht des Herrn ist die Weisheit Anfang; dieser Satz ist wahr, aber man muss ihn so verstehen, dass sein Inhalt nicht der Erfahrung widerspreche. Die sittliche Vollkommenheit eines Menschen hat sehr viele Grade, von denen die letzten auf die ersten folgen. Der Name Weisheit wird nicht jedem niedrigen, sondern nur einem ziemlich erhabenen Grade derselben gegeben, zu welchem ein Mensch ohne Scheu vor dem allwissenden Vater der Menschen nicht gelangen kann. Diese Weisheit, nicht aber der vorhergehende Grad des sittlichen Wertes des Menschen fängt mit der Furcht Gottes an. Denn wenn wir nicht eigensinnerweise eine besondere Schulsprache erfinden wollen, müssen wir zugeben, dass schon viel Gutes in der Seele des Menschen stattfinde, ehe er kann Gott fürchten lernen... Entnommen aus: J.B. Basedows Elementarwerk, hg.v. Th. Fritsch, Bd.III, Ernst Wiegandt Verlag Leipzig 1909, S. 28, Abbildungsausschnitt Tafel XLVIII. „Der Unterricht der Kinder um Gottes willen, teils durch das Buch der Natur und Sitten, teils durch das Buch der Religion“. 5 J.B. Basedow, Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker. In: Ders., Ausgewählte pädagogische Schriften, hg. V. A. Reble, Paderborn 1965, S. 81. 7 Entnommen aus: J.B. Basedow, Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker. In: Ders.: Ausgewählte pädagogische Schriften, hg. v. A. Reble, Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn 1965, S. 118 ff Ich dringe so oft auf Sacherkenntnis, und man fängt auch immer mehr an, die Notwendigkeit derselben einzusehen, aber was man dafür ausgibt, muß auch wirkliche Sacherkenntnis sein. Wenn ein Kind alle Teile einer Uhr und alle Instrumente eines Uhrmachers nennt und sich die Figuren derselben vorstellt, ohne Kraft und Wirkung der Teile, welche in diesem Kunstwerke sind, einen Begriff zu haben, so hat es gar keine Erkenntnis von einer Uhr, sondern vielleicht nur von einem Kammrade und Stirnrade. Es ist der Erkenntnis einer Uhr nähergekommen, aber es hat dieselbe noch nicht wirklich. Wenn es die Teile und Werkzeuge nur nach dem Namen, nicht aber nach ihrer Gestalt und Kraft kennt, so hat es in diesem Stücke schlechterdings keine Sacherkenntnis. ... Der Sachunterricht muß wirklich dem Verstande neue Vorstellungen geben, nicht aber das Gedächtnis nur mit Wörtern anfüllen. Schulen und Lehrer aber können ebensowohl einer sehr schädlichen Pedanterie schuldig werden, wenn sie Worterkenntnis statt Sacherkenntnis unterschieben, als wenn sie die Jugend mit so vielen und solchen Sacherkenntnissen belasten, welche ihr entweder unnütz sind oder in dem Falle des Bedürfnisses auf eine bessere Art durch Erkundigung und Erfahrung oder durch Bücher nachher bekannt werden können. Ein kleines Maß nützlicher und vollständiger Erkenntnis ist besser als ein Gemisch zahlreicher Kenntnisse, welche ein Zufall durcheinander geworfen zu haben scheint, und auf deren keine aus der Mangel der Zeit die nötige Aufmerksamkeit kann gewendet werden. ... Nebst den gemeinnützigen Wahrheiten der Mathematik und Naturkunde ist die Sittenlehre die vorzügliche Sacherkenntnis. Aber ob sie viel oder wenig nützen werde, das kommt vornehmlich auf die Wahl der Methode an. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang; dieser Satz ist wahr, aber man muß ihn so verstehen, dass sein Inhalt nicht der Erfahrung widerspreche. Die sittliche Vollkommenheit eines Menschen hat sehr viele Grade derselben gegeben, zu welchem ein Mensch ohne Scheu vor dem allwissenden Vater der Menschen nicht gelangen kann. Diese Weisheit, nicht aber der vorhergehende Grad des sittlichen Wertes des Menschen fängt mit der Furcht Gottes an. Denn wenn wir nicht eigensinnigerweise eine besondere Schulsprache erfinden wollen, müssen wir zugeben, dass schon viel Gutes in der Seele des Menschen stattfinde, ehe er kann Gott fürchten lernen. ... Entnommen aus: J. B. Basedows Elementarwerk, hg. v. Th. Fritsch, Bd. III, Ernst Wiegandt Verlag Leipzig 1909, S. 28, Abbildungsausschnitt Tafel XLVIII. „Der Unterricht der Kinder um Gottes willen, teils durch das Buch der Natur und Sitten, teils durch das Buch der Religion.“ Bild Stellen Sie fest, inwiefern Basedow und Comenius die Sacherkenntnis unterschiedlich auslegen. Nennen Sie Fehlformen, denen ein guter Sachunterricht nach Basedow nicht verfallen darf. Ermitteln Sie, unter welchen Bedingungen das Buch der Religion viel zur Sacherkenntnis beiträgt. Vergleichen Sie rückblickend Zielsetzung und Methoden des Realunterrichts bei Augustinus und bei den Philanthropen. 8 „Der Lehrplan der Volksschule muss umfassen: a) Die sachunterrichtlichen Fächer: Naturkunde, Menschenleben (in Gegenwart und Vergangenheit), Religion; b) die Sprache (Muttersprache) mit ihren Fertigkeiten: Reden, Lesen, Schreiben; c) die (rein) formunterrichtlichen Fächer; Rechnen, Zeichnen, Gesang“6. In Dörpfelds Lehrplan aus dem Jahr 1873 gehört in den Reigen der sachunterrichtlichen Fächer zwar immer noch die Religion, doch werden die Lehrgebiete getrennt behandelt. Sie sollen sich gegenseitig „Hilfsdienste“ leisten, weil alle dem obersten Ziel, der Pflege einer „religiös-sittlichen Gesinnung“ verpflichtet sind. Solch ein Hilfdienst zwischen Naturkunde und Religionsunterricht könnte z.B. der Folgende sein. „Wenn also da, wo in Josephs Geschichte zuerst von Ägypten die Rede ist, bei Josephs Eintritt in Pontiphars Haus, sofort in der nächsten Realstunde eine Beschreibung von der Bodenbeschaffenheit, der Natur und dem Volksleben dieses Landes gegeben wird, so hat der Lehrer alles zur Hand, was er zu realistischen Erklärung der folgenden Ereignisse (bis in Moses‘ Zeit hinein) bedarf“7. b) Sach- und/oder Sprachunterricht Zur Aufgabe des Sachunterrichts gehört auch, wie schon angedeutet, dass er ein richtiges Verstehen, eine klare Anschauung der Sachen in den Kindern erzeugt. Dazu genügt es nicht, die Dinge nur äußerlich vor die Augen zu stellen, sondern es geht vor allem um das „geistige Spiegeln“8 der Sachen, das über deutliche Begriffe und Beziehungen zunehmend ein Wissen von den Dingen aufbauen und damit ein erstes Verständnis ermöglichen soll. Allein im Realunterricht wurden zur Erreichung dieses Ziels von großen Pädagogen unterschiedliche Wege aufgewiesen, die auch heute noch beschritten werden. Daraus entnehmen wir drei unterschiedliche Verfahren zur rechten Anschauung der Dinge, wie sie in dem Schriften einiger Hauptvertreter niedergelegt sind. Im Mittelalter und in der Renaissance dominierte besonders in der Lateinschule ein Wortbzw. Sprachunterricht, weil man das Wissen von den Dingen in erster Linie in den Texten zu finden glaubte. Deswegen folgte auf das Erlernen der Sprachen bzw. auf das Einbleuen der Begriffe ein gründliches Interpretieren der als wesentlich festgestellten Aussagen. Gegen diese Überschätzung des Sprachlichen oder der Anschauung der Sachen nur über Worte wandten sich vor allem D. Erasmus, Ph. Melanchton, M. Luther, W. Ratke, J.A. Comenius, J. Locke, J.H. Pestalozzi und viele andere mehr. Beschreiben sie den Anschauungsunterricht über die Wortkenntnis anhand der kritischen Stellungnahmen von Pestalozzi und Comenius und umreißen sie ihre Gegenvorschläge. 6 7 8 F.W. Dörpfeld, Schriften zur Theorie des Lehrplans, hg.v. A. Reble, Bad Heilbrunn 1962, S. 10. (Unterstreichungen v.Verf.) F.W. Dörpfeld, a.a.O., S. 88. s. Comenius, Anmerkung 1 auf S.11 und Pestalozzi, Anmerkung 3 auf S. 12. 9 Entnommen aus: J.A. Comenius, Große Unterrichtslehre, übersetzt von G.A. Lindner. Verlag von A. Pichlers Witwe und Sohn, 4. Auflage Wien und Leipzig 1902, S.125f. Das haben die Schulen bisher nicht getan, dass sie die Köpfe gewöhnt hätten, gleichsam wie junge Bäumchen aus der Wurzel zu treiben, sondern sie haben sie vielmehr gelehrt, die anderswoher gepflückten Zweige sich umzuhängen und so der äsopischen Krähe gleich sich mit fremden Federn zu schmücken; sie haben sich auch nicht bemüht, den in ihnen verborgenen Quell der Erkenntniss zu öffnen, als vielmehr mit fremden Bächlein sie zu bewässern. Das heißt: Sie haben ihnen nicht die Gegenstände selbst gezeigt (monstrarunt), wie sie an sich und in sich selbst sind, sondern das, was über diesen und jenen Gegenstand der Erste, Zweite, Dritte, Zehnte denkt und schreibt, damit es für die höchste Gelehrsamkeit gehalten werde, die auseinandergehenden Meinungen Vieler über Vieles zu wissen. Daher ist es gekommen, dass die meisten nicht anderes treiben, als sich in den Autoren herumzuwälzen, Redensarten, Sätze und Meinungen auszuschreiben, (zu exzerpieren) und so die Wissenschaften wie ein zerrissenes Gewand zusammenzustoppeln... Entnommen aus: J. H. Pestalozzi, Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. Ein Versuch den Müttern Anleitung zu geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten. Verlag für Kunst und Wissenschaft, Baden-Baden 1947, S.148. Schwämme wachsen beim Regenwetter schnell aus jedem Misthaufen; und auf die gleiche Weise erzeugen anschauungslose Definitionen ebenso schnell eine schwammige Weisheit, die aber am Sonnenlicht sehr schnell sterben und den heitern Himmel als das Gift ihres Daseins anerkennen muss. Das grundlose Wortgepränge einer solchen fundamentlosen Weisheit erzeugt Menschen, die sich in allen Fächern am Ziel glauben, weil ihr Leben ein mühseliges Geschwätz von diesem Ziel ist, aber sie bringen es nie dahin, danach zu laufen, weil es durch ihr Leben niemals in ihrer Anschauung jenen anziehenden Reiz hatte, der wesentlich notwendig ist, irgendeine menschliche Anstrengung zu erzeugen. Trotz der sehr ähnlichen Kritik an dem sogenannten Schulhumanismus unterscheiden sich Comenius und Pestalozzi wegen ihrer leitenden Erziehungsziele, grundsätzlich auch hinsichtlich ihrer Vorschläge zur Bildung einer Anschauung von den Sachen. Da sie zwei Richtungen vertreten, denen viele Anhänger angehören, wollen wir ihr Programm auf den nächsten Seiten in wenigen Aussagen gegenüberstellen. Die folgenden Hinweise in der Tabelle sollen den Hintergrund weiter erhellen und Ihnen zur Interpretation der Texte dienlich sein. 10 Johann Amos Comenius Johann Heinrich Pestalozzi - möchte ein Wissen um das „Woher“ und „Wohin“ der Dinge vermitteln und dem Menschen zeigen, was er im Sinne Gottes zur Ordnung der Welt tun muss.“...die durch das Bild, ebenfalls wie durch das Wort vermittelte Einsicht in das Ganze lehrt ihn wissen, was er an und mit den Dingen zu tun hat“ (1). Daher intendiert er u.a. die Schulung der menschlichen Sinne und geht unterrrichtsmethodisch von den natürlichen Dingen oder ihren Abbildungen, von Modellen oder ähnlichen Anschauungsmitteln aus. - möchte die Kräfte, die die Natur im Kinde angelegt hat, entfalten über das Trainieren zweier Urformen der Anschauung: der gemeinen Anschauung (der Anschauung des eigenen Leibes und der handelnden und erlebenden Auseinandersetzung mit den Dingen) und der reinen Anschauung (der messenden Analyse der Gegenstände). Er stellt drei Elementarkräfte fest, die besonders zu pflegen sind: das Reden oder Benennen (die „Schallkraft“), das Vorstellen mit dem Zeichnen und Schreiben (die „Vorstellungskraft“) und das Messen oder Berechnen (die „ Rechnungsfähigkeit“). Über die Erfassung der Form - Wort - Zahl Beziehung, die durch methodisch geschickte Stärkung der Kräfte (z. B. über grafische Vorlagen oder Tabellen) erreicht werden kann, ist nach ihm ein nicht ‚schichtabhängiger‘ Zugang zu den Sachen möglich. (2) (1) K. Schaller, Studien zur systematischen Pädagogik, Die Pädagogik des J.A. Comenius. Heidelberg 1962, S. 342. (2) Den Sachen werden innerhalb einer sozialen Schicht häufig spezifische Bedeutungen beigemessen. Entnommen aus: J.A. Comenius, Große Unterrichtslehre, übersetzt von G.A.Lindner.Verlag von A. Pichlers Witwe & Sohn, 4. Auflage Wien und Leipzig 1902, S. 157 f. 1)9 5. Dass nun der Spiegel die Gegenstände gut aufnehme, bewirkt zunächst die Gediegenheit und Augenscheinlichkeit der Gegenstände, und dann die Vergegenwärtigung dieser Gegenstände vor den Sinnen. Nebel nämlich und ähnliche Dinge von geringer Dichtigkeit schimmern wenig und heben sich im Spiegel allzu wenig ab; abwesende Dinge aber gar nicht. Was also der Jugend zur Kenntnisnahme vorgeführt werden soll, das müssen Dinge sein, nicht Schatten von Dingen; ich sage Dinge, und zwar feste wirkliche, nützliche Dinge, welche auf die Sinne und auf das Vorstellungsvermögen einwirken. Sie werden aber einwirken, wenn man sie so nahe bringt, dass sie auf die Sinne anschlagen (ut feriant). 9 Anmerkung: Der Mensch wird hier als Spiegel aufgefasst, der mit den sinnen und dem Verstand die Sachwelt spiegelt und auf Gott hin ausrichtet. 11 6. Hieraus folgt die goldene Regel für die Lehrer: Alles, was sie nur können, vor die Sinne zu stellen; nämlich das Sichtbare vor das Gesicht, das Hörbare vor das Gehör, die Gerüche vor den Geruch, das Schmeckbare vor den Geschmack und das Berührbare vor den Tastsinn; und wenn Etwas von mehreren Sinnen zugleich erfasst werden kann, so führe man es mehreren zugleich vor. 7. Hierfür gibt es drei triftige Gründe: Erstens: Der Anfang der Erkenntniss muss jederzeit von den Sinnen ausgehen (denn es gibt nichts im Verstande, was es nicht zuvor vor dem Sinne dagewesen wäre); warum sollte also auch der Anfang der Unterweisung anstatt mit der Auseinandersetzung in Worten nicht lieber mit der Anschauung der Dinge gemacht werden? Und dann erst, wenn die Sache gezeigt worden ist, trete die Rede hinzu, um die Sache weiter zu erklären. 8. Zweitens: Die Wahrheit und Gewissheit der Wissenschaft hängt von nichts Anderem so ab, als von dem Zeugnisse der Sinne. Denn die Dinge prägen sich vor allem und unmittelbar den Sinnen ein und dann erst durch Vermittlung der Sinne dem Verstande. Daher ist die Wissenschaft um so sicherer, je mehr sie auf der sinnlichen Anschauung beruht. Wenn man daher den Lernenden eine wahre und zuverlässige Kentniss der Dinge beibringen will, so muss vor allem gesorgt werden, dass alles durch Autopsie (Selbstschau) und sinnliche Anschauung gelehrt werde. 9. Drittens: Und weil der Sinn der treueste Handlanger des Gedächtnisses ist, so wird er jene allgemeine Versinnlichung bewirken, dass man das, was man weiss, auch auf die Dauer behält. In der That, wenn ich einmal Zucker gekostet, einmal ein Kamel gesehen, einmal eine Nachtigall singen gehört habe, einmal in Rom gewesen bin und es betrachtet habe (jedoch mit Aufmerksamkeit), so haftet dieß Alles fest im Gedächtnisse und kann nicht wieder herausgerissen werden. Daher sehen wir, dass sich die Knaben biblische und andere Geschichten aus Bildern leicht einprägen. Dass sich einer von uns viel leichter und nachhaltiger vorstellen könnte, was ein Nashorn ist, wenn er es, wenn auch nur ein einziges Mal (und sei es nur im Bilde) gesehen hätte, und dass einer die Geschichte einer Begebenheit, bei der er selbst zugegen war, sicherer erfahren habe, als wenn sie einem, der nicht dabei war, sechshundert Mal erzählt würde, liegt auf der Hand. Daher der Ausspruch des Plautus: Ein Augenzeuge ist mehr werth, als zehn Ohrenzeugen. 10. Wenn aber die Dinge bisweilen nicht vorhanden sind, so können ihre Stellvertreter herangezogen werden. Es sind dieße Abzüge oder Abbildungen, die für Unterrichtszwecke angefertigt sind; so ist es bei botanischen, naturgeschichtlichen, geometrischen geodetischen und geografischen Schriftstellern Brauch, ihren Schriften Abbildungen beizugeben. 11. Wenn Jemand zweifeln würde, ob Alles auf diese Weise vor die Sinne gestellt werden könne, selbst das Geistige und Abwesende (was im Himmel und in der Hölle, und jenseits des Ozeans ist und geschieht), - so möge Derselbe bedenken, dass Alles von Gott in Übereinstimmung gebracht worden sei, so dass das Überirdische durch das Irdische, das Abwesende durch das Gegenwärtige, das Unsichtbare durch das Sichtbare dargestellt werden kann. 12 Stellen Sie ebenfalls in einer Tabelle stichwortartig gegenüber, wie und mit welchen Mitteln Comenius und Pestalozzi ein rechtes Wissen bzw. deutliche Begriffe von den Sachen bei den Kindern erreichen wollen. Entnommen aus: J.H. Pestalozzi, Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. Ein Versuch den Müttern Anleitung zu geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten. Verlag für Kunst und Wissenschaft, Baden-Baden 1947, S.145. Alles, alles, was du immer der äußeren, blinden Natur sorglos überlässest, das geht zugrunde. Das ist in der leblosen, sinnlichen Natur wahr wie in der belebten. Wo du die Erde sorglos der Natur überlässest, da trägt sie Unkraut und Disteln, und wo du ihr die Bildung deines Geschlechts überlässest, da führt sie dasselbe weiter nicht, als – in den Wirrwarr einer Anschauung, die weder für deine noch für die Fassungskraft deines Kindes so geordnet ist, wie ihr es für den ersten Unterricht bedürft. Um das Kind auf die zuverlässigste Art zur richtigen und vollendeten Kenntnis eines Baums oder einer Pflanze hinzuführen, ist es bei weitem nicht die beste Art, dass du dasselbe ohne weitere Sorgfalt in den Wald oder auf die Wiese hinausgehen lässest, wo Bäume und Pflanzen aller Art durcheinander wachsen. Weder Bäume noch Kräuter kommen hier auf eine Wiese vor seine Augen, die geschickt ist, das Wesen einer jeden Gattung derselben anschaulich zu machen, und durch den ersten Eindruck des Gegenstandes zur allgemeinen Kenntnis des Faches vorzubereiten. Um dein Kind auf den kürzesten Wege zum Ziel des Unterrichts, zu deutlichen Begriffen, zu führen, musst du ihm mit großer Sorgfalt in jedem Erkenntnisfache zuerst solche Gegenstände vor Augen stellen, welche die wesentlichsten Kennzeichen des Faches, zu welchem dieser Gegenstand gehört, sichtbar und ausgezeichnet an sich tragen und dadurch besonders geschickt sind, das Wesen desselben im Unterschiede seiner wandelbaren Beschaffenheit in die Augen fallen zu machen, versäumst du aber dieses, so bringst du das Kind beim ersten Anblick des Gegenstandes leicht dahin, die wandelbare Beschaffenheit desselben als wesentlich anzusehen, und sich auf diese Weise in der Kenntnis der Wahrheit wenigstens zu verspäten und den kürzesten Weg, in einem jeden Fache von dunkeln Anschauungen zu deutlichen Begriffen zu gelangen, zu verfehlen. In den folgenden Zitaten versuchen die Autoren, aus ihrer Sicht die Beziehung Sache – Sprache auf eine Formel zu bringen. Heben Sie diese Beziehung grafisch durch Haupt- und Nebenpfeile hervor und diskutieren Sie, ob ein gemeinsamer Kern in den Aussagen zu finden ist. „Und doch sind die Dinge das Wesentliche, Worte das Zufällige; Dinge die Körper, Worte nur das Gewand; Dinge der Kern, Worte Schalen und Hülsen. Beide sollen also gleichzeitig dem Menschengeiste dargeboten werden; vor allem aber die Dinge, da sie ebensowohl ein Gegenstand der Erkenntnis als der Sprache sind“.10 „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.h. ihnen den Gegenstand in der Anschauung 10 J. A. Comenius, Große Unterrichtslehre, a.a.o., S. 96. Kann man zusammenfassen. Worte ohne Sachkunde sind leere Worte? 13 beizufügen), als seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe zu bringen).11 „Sprache ohne Anschauung ist nicht denkbar, Anschauung in der Natur ohne Sprache nicht fruchtbar, und Anschauung und Sprache ohne Liebe, führt in der Natur nicht zu dem, was die Anschauung unseres Geschlechts menschlich macht“.12 2. Sachunterricht als Fachunterricht Bevor pauschal der “ Fachunterricht“ des 19. und 20. Jahrhunderts angesprochen wird, ist darauf aufmerksam zu machen, dass eigentlich zunächst aufgrund der vielen Fächer im naturund gesellschaftswissenschaftlichen Bereich mit ihren jeweiligen Lehrzielen und Fachdidaktiken ein buntes Bild darzustellen wäre. Wir verzichten hier darauf, weil es uns nur um die Grundzüge des Fachunterrichts geht und nur der Frage nachgegangen werden soll, wie der an den Wissenschaften orientierte Unterricht es mit den Sachen hält. Der Fachunterricht in den Schulfächern wird grundsätzlich nach den Denkweisen, Inhalten und Arbeitstechniken der wissenschaftlichen Disziplinen didaktisch ausgerichtet, weil letztlich ein in dem Fach kompetenter Fachwissenschaftler herangebildet werden soll, der sich an die gesetzten Normen und Regeln hält und danach denkt und laboriert. Somit bestehen die Hauptaufgaben des Fachunterrichts darin, die Kinder mit den jeweiligen Fachbegriffen, Definitionen, Gesetzen, Grundeinsichten, Hypothesen und dem strukturierenden Denken bekannt zu machen und über das Üben an einigen Problem- und Anwendungsfällen dahin zu bringen, dass sie analog der fachlichen Sichtweise mittels formaler Denkoperationen selbst Inhalte und Probleme erzeugen, diese diskutieren und gegebenenfalls lösen können. Hier wird gewissermaßen das Training der Anschauungsformen oder die Kräftebildung, die Pestalozzi allgemein zum Erkennen der Form- Wort- Zahl Beziehung aufnahm, begrenzt und verdichtet auf das fachspezifische Denken und Umgehen mit den Dingen. Grundlegend ist hierbei das “sachlogische “, bzw. übergreifender das formale Denken, das z. B. nach rationalen Gesichtspunkten die Gegenstände in Elemente zerlegt, symbolisiert, nach Kriterien ordnet, Beziehungen ausmacht und Handlungsregeln oder Messverfahren festlegt, nach denen auch intersubjektiv überprüfbare Aussagen über die Sachen möglich sind. Das wissenschaftliche Denken führt also die Gegenstände in Denkkonstrukte oder formale Strukturen über, um sie einer weiteren Bearbeitung besser zugänglich zu machen. Die Folge ist, dass sich dadurch eine neue Anschauung oder Wissensform von den Sachen konstituiert, weil z. B. dieses mit wissenschaftlichen Verfahren erhobene und gesicherte “explizite Wissen“1 nichts mehr mit den subjektiven Wissen gemein hat, das sich immer auch auf die reale, sinnliche Begegnung mit den Dingen gründet. Die personalen Beziehungen zu den Sachen, also die subjektiven Intentionen und Bedeutungsgebungen werden von vornherein ausgeschlossen, was zwangsläufigerweise dazu führen muss, dass – vor allem vom Grundschulkind her gesehen - “das Realobjekt im Erkenntnisgegenstand der Wissenschaft 11 I. Kant, Werke in sechs Bänden, hg. v. W. Weischedel, Band II, Kritik der reinen Vernunft, Wiesbaden 1956, S.98. 12 J. H. Pestalozzi, Über den Sinn des Gehörs, in Hinsicht auf Menschenbildung durch Ton und Sprache. In: Ders., Sämtliche Werke, 16. Band. Leipzig 1935, S.331. Hinweis: Die Sprache spiegelt bei Pestalozzi nicht unmittelbar die durch die Sinne gewonnenen Anschauungen (Wahrnehmungen und Empfindungen) wieder, sondern denkt diese, indem sie sie ins Bewusstsein erhebt und schafft damit anstelle des realen Zusammenhanges einen geistigen. Vgl. I. Roeder, Das Problem der Anschauung in der Pädagogik Pestalozzis. Weinheim, Berlin, Basel 1970. S.67. 1 K. Giel, Probleme des Sachunterrichts, a. a. o., S.120. 14 nicht wiederzufinden ist. Die Katze, die ihre Milch bekommt, gestreichelt wird und schnurrt, ist keine besonders ausgefallene Konkretion der Katze, von der im Biologieunterricht die Rede ist. So ohne weiteres haben die biologischen Aussagen für den Schüler keinen gegenständlichen Bezug und keine sachliche Deckung“2 Ermitteln Sie aus dem Zitat, weshalb der Sachunterricht auf den Fachunterricht verpflichtet werden soll. „Ein auf Sachkenntnis abzielender Unterricht – und das ist auch der Sachunterricht der Grundschule, muss sich um gegenstandsspezifische Lernweisen bemühen, weil Gegenstand und Methode eine Einheit bilden. Jede gegenstandsfremde Methode verkürzt, verhindert oder verfälscht die Erfassung des Lerngegenstandes. Für den Sachunterricht jeder Schulstufe ist deshalb die Orientierung an den Forschungs- Darstellungsmethoden der Bezugswissenschaften unerlässlich. Das gilt für das Lehren und Lernen gleichermaßen.“3 In den folgenden Ausschnitten werden drei spezifische Ausformungen des Fachunterrichts umrissen: der fachbezogene- , der verfahrens- und strukturorientierte Ansatz. Stellen sie fest, mit welchen Begründungen das Lernen fachwissenschaftlich ausgerichtet wird. Prüfen Sie dann in einem zweiten Schritt, ob außer den fachwissenschaftlichen noch andere Interessen zur Erschließung der Sachen berücksichtigt werden könnten. Entnommen aus: W. Pfänder, Physik der Grundschule in Unterrichtsbeispielen. Reihe Exempla, Band 8. Ludwig Auer Verlag Donauwörth 1974, S. 31. Die Aufgabe des Sachunterrichts, das Kind vom naiven Umgang mit der Sache zu bewusster Auseinandersetzung mit ihr und zu ersten Schritten einer Theoriebildung zu führen, verlangt einen an der Struktur der Sache orientierten Lernprozess. Gemessen an den psychischen und intellektuellen Voraussetzungen des Kindes bedeutet dies für den Sachunterricht zwar noch keinen Fachunterricht, wohl aber dessen Vorform, den fachbezogenen Unterricht, der bereits auf die Sache in ihrem spezifischen Beziehungsgefüge, auf die sie umgreifende fachliche Ordnung und die Grundzüge der sie tragenden verschiedenen Wissenschaftsbereiche ausgerichtet ist. Entnommen aus: K.J. Leiprecht, Von der Heimatkunde zum Sachunterricht. In : D: Adrion, K. Schneider ( Hg. ), Grundschule im Wandel. Otto Maier Verlag Ravensburg 1975, S. 116. Allgemeines Lernziel ist die Herstellung der Fähigkeit, wissenschaftlich denken und handeln zu können. Im Sachunterricht geht es also vor allem darum, die Schüler einzuüben in die Methoden des Erwerbs wissenschaftlicher Erfahrung. Weniger die Inhalte der Fachwissenschaften selbst als vielmehr die Verfahren, sich die Inhalte selbständig aneignen zu können, sind die Lernziele dieses „verfahrensorientierten“ Modells. Verfahrensorientierte Lernziele werden heute nicht nur für die naturwissenschaftliche, sondern auch für die gesellschaftswissenschaftliche (sozialwissenschaftliche) Fächergruppe des Sachunterrichts aufgestellt. 2 K. Giel, Der konstruktive Aufbau der Realität in Modellen. In: H. Halbfas, F. Maurer, W. Popp (Hg.), Neuorientierung des Primarbereichs, Band 4, In Modellen denken. Stuttgart 1976, S. 232, mit dem Verweis auf R. Dahrendorf, Der Weg der Erfahrungswissenschaft. In: Ders., Pfade aus Utopia. Gesammelte Abhandlungen 1. München 1967. 3 R. Rabenstein, Einführung. In: F. Bauer, W. D. Engelhardt u.a.( Hg.), Fachgemäße Arbeitsweisen im Sachunterricht der Grundschule. Bad Heilbrunn, 3. Auflage 1975, S.9. 15 Beispiele für verfahrensorientierte Lernziele der naturwissenschaftlichen Gruppe sind: beobachten können, experimentieren können, schließen können, klassifizieren können, messen können. Beispiele für verfahrensorientierte Lernziele der gesellschaftswissenschaftlichen Gruppe sind: zuhören können, argumentieren können, Entscheidungen begründen können, andere Meinungen verstehen und tolerieren können, einen Standpunkt verteidigen können. Allgemeines Lernziel ist das Verstehenkönnen von Sachverhalten dadurch, dass fachwissenschaftliche Leitlinien für das Begreifen der Sachverhalte vermittelt werden. Diese fachwissenschaftlichen Leitlinien sind identisch mit der logischen Struktur der jeweiligen Fachwissenschaft bzw. von Nachbarwissenschaften ( Physik- Chemie etwa), die unter einer einheitlichen logischen Struktur subsumiert werden können. Im Sachunterricht müssen also vor allem die für eine Fachwissenschaft grundlegenden, sie bestimmenden Begriffe vermittelt werden, mittels derer sich der Schüler schließlich selbstständig orientieren kann. Man bezeichnet diese Modellvorstellung eines lernzielorientierten Unterrichts als struktur- oder begriffsorientiert. 3. Sachunterricht als Mehrperspektivischer Unterricht Ende der sechziger Jahre, im Anschluss an die Diskussion über Kritischen Rationalismus und Kritische Theorie, reflektierte man in der Didaktik erneut unter sozialkritischem Aspekt das Problem des Anschauens von Wirklichkeit. Unter dem Leitbild einer freisetzenden Erziehung sollten die Kinder angeleitet werden, in den gesellschaftlichen Institutionen nicht nur gewandt und sicher zu handeln, sondern diese auch unter verschiedenen Interessen immer wieder auf ihren Sinn zu überprüfen. Diesen Intensionen versuchte man didaktisch mit dem Konzept des Mehrperspektivischen Unterrichts zu entsprechen, in dessen Mitte unterrichtliche Handlungen stehen, die Kindern ermöglichen sollen, die kulturellen Sachverhalte und Handlungsformen von unterschiedlichen Gesichtspunkten her zu rekonstruieren und neu zu verstehen. Mehrperspektivisch besagt hier, dass man die Sache nicht nur unter dem subjektiv erlebnishaften oder dem wissenschaftlichen Blickwinkel analysiert und beleuchtet, sondern dass darüber hinaus noch wirtschaftliche, rechtliche, politische Interessen, sowie der Aufweis von Raum- und Handlungsmustern in darstellenden Spielen miteinbezogen werden. In diesem Konzept geht es, kurz gesagt, um den Versuch, die Sachen in Ihrer Abhängigkeit von den jeweiligen Denkweisen oder Intentionen darzustellen oder allgemeiner, „Formalia und Realia in eine sinnvolle Beziehung zueinander“1 zu setzen. Mittels weniger Textausschnitte soll nun, unter Weglassung aller Details, der Ausgangspunkt, der Ansatz und die Methode des Mehrperspektivischen Unterrichts angedeutet werden, wobei gleichzeitig auf die weiteren Ausführungen verwiesen wird, die zu diesem Unterricht in den Ansätzen später folgen. Der Mehrperspektivische Unterricht gründet sich auf eine andere erkenntnistheoretische Position, die sich von den bisher dargestellten unterscheidet, denn man geht weder davon aus, dass die Sachen einfach da seien und sich das Wissen um die Bedeutung der Dinge durch den umfassenden und rechten Gebrauch der Sinne nach metaphysischen Bestimmungen ermitteln lässt, noch dass dies für immer durch den rechten Gebrauch des rational instrumentellen Denkens und der technischen Apparate geschehen kann, sondern davon, dass alle Dinge 1 K. Giel, Perspektiven des Sachunterrichts. In: K. Giel, G.G. Hiller, H. Krämer, Stücke zu einem mehrperspektivischen Unterricht, Aufsätze zur Konzeption 1. Stuttgart 1974, S. 36. 16 Mittel für etwas sind, ja dass sie eigentlich erst in einem Handlungsrahmen bzw. unter bestimmten Intentionen auftauchen und somit zuerst diese aufgewiesen und hinterfragt werden müssen. Welcher Weg didaktisch verfolgt werden kann, ist den folgenden Texten zu entnehmen. Sie wurden zu diesem Zweck in eine andere Ordnung gebracht und mit Überschriften versehen. Versuchen Sie im Anschluss zu beschreiben, mit welcher Technik ein Anschauen bzw. ein neues Verstehen der Sachen und Zusammenhänge ermöglicht werden soll. Erörtern Sie nach dem Lesen der Texte die folgende These an einem Beispiel: ‚Nach Maßgabe von Modellen werden Erfahrungsdaten zu Gegenständen organisiert‘2 Entnommen aus: K. Giel, Studie über das Zeigen. In: Bildung und Erziehung, 18.Jg. 1965, Heft 3, S. 184. a) Die Dinge erhalten ihre Bedeutungen in Situationen Zunächst und alltäglich lernen wir die Dinge so kennen, wie sie uns die mannigfachen Situationen und Lagen, in denen wir uns befinden, zuführen. Dass der Mensch sich je in konkreten Situationen befindet, bedeutet, dass er sich nicht in einen „reinen Anfang“ versetzen kann. Dies ist jedoch nicht negativ als „ Grenze“ des Menschseins ( Geworfenheit ) zu verstehen, sondern sofern der Mensch sich in Situationen befindet sind ihm die darin befindlichen Dinge in seine Macht gegeben. Die Dinge sind hier genau das, als was sie im Bewältigen von Situationen erschlossen werden: Sie sind durch die Möglichkeiten bestimmt, die sie dem Menschen im Bewältigen von Situationen gleichsam zuspielen. Die Situation, die durch die Art, wie sie angegangen wird, bestimmt ist, strukturiert sich durch dasjenige, was an den Dingen gesehen und was übersehen wird, und in der Art, wie die Dinge in jemandes Situation einbezogen sind, besteht ihre Bedeutung ( Verständlichkeit und Verfügbarkeit ). In der Weise, wie jemand in Situationen über die Dinge verfügt, sie sich darin aneignet und im Aneignen Eigenschaften entdeckt, ringt er sich selber erst Möglichkeiten des Verhaltens ab. Wie nur in Situationen ergründet werden kann, „ was an den Dingen ist“, so misst der sich darin befindliche Mensch erst in ihnen den Umkreis dessen aus, was er vermag. ... Entnommen aus: K. Giel, Der konstruktive Aufbau der Realität in Modellen. In: H. Halbfas, F. Maurer, W. Popp ( Hg. ), Neuorientierung des Primarbereichs, Band 4, In Modellen denken. E. Klett Verlag Stuttgart 1976, S.234f.; 233 und 247. 2 Vgl. K. Giel, Der konstruktive Aufbau der Realität in Modellen, a.a.O., S. 233. Hinweis: Unter Gegenständen sind alle Sachen zu verstehen, die man mit Symbolen oder Begriffen o.ä. eingefangen hat oder noch einfangen will. Die Sachen werden durch das Wissen repräsentiert. ‚Außerhalb des Wissens, d.h. der sozio - kulturell vermittelten objektiven und objektivierbaren Darstellungsformen (z.B. Bilder, Begriffe, Aussagen) , gibt es keine objektiv fassbare Realität‘. Nach K. Giel, Probleme des Sachunterrichts, a.a.O., S.X. 17 b) Die “ gegenstandslose“ Wirklichkeit und was dagegen zu tun ist ...Wie die Naturführung blind ist und blind macht, so der naive, nur vermeintlich unmittelbare, in Wahrheit aber durch Vorschriften und Gebrauchsanweisungen gesteuerte Umgang. Die Dinge, die wir in Betrieb nehmen und sicher gebrauchen, stehen uns schon längst nicht mehr zur Verfügung. Der Umgang ist nicht mehr “gegenständlich“ gedeckt, d.h. der Laie kann keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und dem Funktionieren der Dinge, mit denen er alltäglich zu tun hat. Gebrauch und Gegenstand sind nur durch den Fachmann zu vermitteln, der letztlich auch die Betriebsanweisungen verfasst. Der „common man“ wird, nur darauf möchten die letzten Bemerkungen aufmerksam machen, in einer hoch differenzierten Gesellschaft immer mehr zum bloßen Befolger von vorgeschrieben, normierten Verhaltensweisen. An die Stelle von Gegenständen treten die extrinsischen Sanktionen oder Gratifikationen für Verhaltensvorschriften und Normen. Da Kinder an einer hochdifferenzierten gesellschaftlichen Wirklichkeit nur als Laien partizipieren können, würde aus dem Gesagten folgen, dass sie zunehmend in eine „gegenstandslose“, weltlose Wirklichkeit der Gebote und Verbote, des Tadels und der positiven Verstärkungen abgedrängt werden. In der Gegenstandslosigkeit ihrer Wirklichkeit bestünde letztlich das häufig beklagte Erfahrungsdefizites nicht durch die Vergrößerung des Verhaltensrepertoires oder durch die „Modernisierung“ eines unangepassten Verhaltens beizukommen, sondern ausschließlich durch die „gegenständliche Vemittlung“ von Verhaltensformen. Der Erfahrungsverlust lässt sich jedenfalls nicht durch den Aufbau eines Verhaltensrepertoires kompensieren, das in einer wissenschaftlichen Zivilisation oder im Zeitalter der industriellen Produktion „ erwünscht“ ist. c) Die Modelle als Instrumente zur Vergegenständlichung der Wirklichkeit Der Pestalozzischen Trennung von Naturführung und Wissenschaft vergleichbar, wird gegenwärtig, im sogenannten Strukturalismus, zwischen der „konkreten Realität“ und der „ wirklichen Realität“ unterschieden.3 Die „ konkrete Realität“, das ist die mehr oder weniger ungeordnete Fülle von Fakten, Sinnesdaten; die „wirkliche Realität“ stellt dagegen die intellektuelle Ordnung der Fakten dar, eine Ordnung, von der E. Leach behauptet, sie sei nur im „Hirn“ des Forschers als gedankliche Fiktion existent. Vermittelt sind die beiden Realitätsebenen durch Modelle: Die „ wirkliche Realität“, das ist die durch Modelle vorstrukturierte und damit gedanklich fassbar gemachte Realität. Die Modelle überführen die konkrete Realität in die wirkliche Realität. ... ... Die Dinge sind das, als was sie vom Menschen gemacht werden können. Die Modelle stellen somit die von ihnen repräsentierten Dinge in die Macht des Menschen und versetzen ihn dadurch in die Möglichkeit, sich selbst als Subjekt ( hypokeimenon) der Dinge zu fassen und zu bestimmen. Die Objekte selbst erscheinen dabei als die im Modell entgegengesetzten Möglichkeiten des Menschen. Das Modell wird zum Mittel, mit dem der Mensch die Zufälligkeiten seines historischen, gesellschaftlichen und psychischen Schicksals abstreift und sich als Subjekt hervorbringt: Die am Modell dargestellte Machart von Objekten ist schließlich nichts anderes als eine Form, in der der Mensch sich selbst in seiner Verfügungsgewalt über die Wirklichkeit feststellt und objektiviert. In diesem Sinne der Vergegenständlichung des Subjektseins ist die im Modell zugänglich gewordene Wirklichkeit eine gegenständliche, d.h. auf die Subjektivität bezogene. Modelle eröffnen also den Raum, in dem Subjekt- Objekt- Beziehungen sich entfalten können, d. h. Wirklichkeit als gegenständliche begriffen wird. Festzuhalten ist hier allerdings, dass die expliziten Subjekt3 Michael Oppitz, Notwendige Beziehungen. Abriss der strukturalen Anthropologie, Frankfurt a. M. 1975, S. 48 ff. 18 Objekt- Beziehungen gerade nicht über die Vemittlung der sinnlichen Apparatur oder der lebensgeschichtlich bedingten Erfahrungen laufen. Die realen Gegenstände gibt es somit nur in der Form des irgendwie ausgefallenen Erfülltseins von Bedingungen, d. h. als Fälle von Begriffen.1 Die Begriffe, um die es hier geht, sind immer als Konstrukte an Modellen entwickelt, d. h. nicht aus der Erfahrung gewonnen. ... Perspektiven und Positionen im Überblick Die unterschiedlichen Perspektiven auf Wirklichkeit, die in den Grundformen zutage treten, zeigen an, „ dass es eine in sich ruhende Sache, die man nur unmittelbar vorführen brauchte, gar nicht gibt“2, sondern dass man sich immer wieder um sie im Umgang oder in der intellektuellen Auseinandersetzung bemühen muss. „ Die Realität wird in dem Maße geschaffen, wie sie untersucht wird“3. Diese programmatische Aussage von L. Sebag gilt auch für den Unterricht, denn es geht hier, zumindest von seiten der Kinder, um ein Eindringen in die Sachverhalte grundsätzlich mit dem Ziel, diese besser handhaben und verstehen zu können. Real-, Fach- und Mehrperspektivischer Unterricht untersuchen die Sachen mit unterschiedlichen Intentionen und Methoden und vermitteln von ihnen unterschiedliches Wissen. Zu diskutieren wäre, inwieweit diese Grundformen mit ihren Mitteln den Kindern ein gründlicheres Verstehen der Dinge und zusammenhänge eröffnen können. Vergleichen Sie rückblickend die Grundformen des Sachunterrichts nach den angegebenen Gesichtspunkten. Notieren Sie dazu in der Matrix einige Stichworte. Gesichtspunkte vorrangig intendierte Erziehungsziele Grundformen Methoden zu einer freisetzenden Anschauung der Dinge Art des vermittelten Sach-Wissens Erkenntnis Theoretische Voraussetzungen u. Grundgedanken Realunterricht Fachunterricht Mehrperspektivischer Unterricht 1 Hans LIPPS, Beispiel, Exempel, Fall und das Verhältnis des Rechtsfalles zum Gesetz, in: Ders., Die Verbindlichkeit der Sprache. Arbeiten zur Sprachphilosophie und Logik, Frankfurt a.M. ² 1958. 2 K. Giel, Der konstruktive Aufbau der Realität in Modellen, a.a.O., S.232. 3 zitiert nach K. Giel, a.a.O., S.230. 19 7. Der mehrperspektivische Ansatz Der von der CIEL Arbeitsgruppe Reutlingen erarbeitete mehrperspektivische Ansatz steht unter dem Leitgedanken, die Handlungsfähigkeit der Kinder in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verbessern. Da das Ziel der Handlungsfähigkeit schon einmal im situationsbezogenen Ansatz genannt wurde, soll dem Leser die tendenziell unterschiedliche Auslegung dieser Begriffe an zwei pointierten Zitaten verdeutlicht werden: Mehrperspektivischer Ansatz: Handlungsfähig ist erst der, der an der Legitimation, d.h. an der Kritik, Aufklärung, Begründung und Funktionalisierung, kurz an der Sinngebung des Handelns teilnehmen kann, der sich vom faktischen handeln „selbstreflexiv“ zu distanzieren und dessen Voraussetzungen kritisch zu bewältigen in der Lage ist 1. Situationsbezogener Ansatz: Handlungsorientierung ist gegeben, wenn Verhalten der Schüler aufgegriffen und analysiert wird – z.B. Konfliktverhalten im Bereich der Schule - , wenn Handlungsgelegenheiten bereit gestellt werden – z.B. Rollenspiele, experimentierendes Lernen, Befragungen, ... – und wenn Aktivitäten zugelassen bzw. provoziert werden – z.B. Schülerinitiativen oder Protestaktionen innerhalb oder außerhalb der Schule 2. Stellt man also im einen Fall stärker die Reflexionsfähigkeit als Ziel des Unterrichts heraus, so betont man im anderen Fall mehr die Aktionsfähigkeit. Beide Ansätze versuchen, das Problem der Relevanz schulischen Wissens für die gesellschaftliche Praxis in den Griff zu bekommen, indem sie nicht von wissenschaftlichen Strukturen oder Verfahren, sondern von alltäglichen Situationen bzw. von der Alltagswirklichkeit ausgehen. Trotz der übereinstimmenden Intention sind die Wege unterschiedlich, die zu ihrer Realisierung beschritten werden. Während die Unterrichtsmodelle im situationsbezogenen Ansatz der Realität möglichst genau zu entsprechen versuchen, betont man im mehrperspektivischen Ansatz bewusst den Bruch mit der Realität und weist auf den konstruierten Charakter der Modell hin. Inhaltlich bezieht sich der mehrperspektivische Ansatz auf die Formen unspezialisierten Handelns, in denen jedermann an der Alltagswirklichkeit teilnimmt, auf die alltäglichen Besorgungen: Einkaufen, Telefonieren, einen Arzt aufsuchen usw. Auch Kinder nehmen in diesen Formen an der gesellschaftlichen Wirklichkeit teil und besitzen schon bestimmte Handlungsmuster, Sprachspiele, Werthaltungen und Vorurteile. Aufgabe des Sachunterrichts i. S. einer freisetzenden Erziehung soll es deshalb sein, die Kinder aus ihrem Verstricktsein in die Alltagswirklichkeit zu befreien, indem er ihnen zeigt, wie diese gemacht und arrangiert ist und in welchen Sinnzusammenhängen einzelne Dinge, Personen und Handlungen stehen. „Durch die Anknüpfung an Besorgungen wird die Aufgliederung des „Lehrplans“ in Funktionen, d.h. Formen der Vermittlung von Bedürfnissen und der Art, wie sie gesellschaftlich auf Dauer gestellt befriedigt werden können, ermöglicht“3. Die Arbeitsgruppe hat sich auf einen Katalog von Funktionen geeinigt, mit dem es möglich ist, die Inhalte des Unterrichts zu klassifizieren. Sie werden, nach Lernstufen – Schuljahren gegliedert, den 1 G.G. Hiller, Die Elaboration von Handlungs- und Lernfähigkeit durch eine kritische unterrichtliche Rekonstruktion von Themen des öffentlichen Diskurses. In: K.Giel, G.G. Hiller, H.Krämer, Stücke zu einem mehrperspektivischen Unterricht, Aufsätze zur Konzeption 1, Stuttgart 1974, S. 72. 2 G. Beck u.a., Politische Sozialisation und politische Bildung in der Grundschule. Frankfurt/M. 1972, S.17. 3 K. Giel, Perspektiven des Sachunterrichts, a. a. O. , S. 58. 20 Funktionen bestimmte thematische Felder, sogenannte Handlungsfelder zugeordnet (vgl. Abbildung S.52). Der mehrperspektivische Ansatz macht mit der erkenntnistheoretischen Einsicht ernst, dass objektive Aussagen über Realität nicht möglich sind, weil in jede Aussage durch Vorwissen und Interessen subjektive Voraussetzungen eingehen, die unter dem Einfluss historischer und gesellschaftlicher Bedingungen zustande kommen4. Um auch für den Schüler von vornherein auszuschließen, bestimmte Darstellungen der Realität als Tatsachen mißzuverstehen, wird in den Unterrichtsmodellen ganz bewußt der interessengeleitete Zugriff hervorgehoben und die Wirklichkeit unter verschiedenen Perspektiven rekonstruiert. Weil in der Rekonstruktion das jeweilige Darstellungsintresse und die abstrakten Sinnzusammenhänge besser aufgezeigt werden können als in der Simulation von Situationen, weichen die Modelle in ihrer Anlage deutlich von denen im situationsbezogenen Ansatz ab5. Man unterscheidet im mehrperspektivischen Ansatz zwei Typen der Rekonstruktion von Handlungsfeldern, die aus den verschiedenen Arten der Teilnahme des Menschen an den ihn betreffenden Situationen des Alltags abgeleitet sind: 1. die wissenschaftliche Rekonstruktion: sie soll das Handlungsfeld als einen in wissenschaftlichen Aussagen gefassten und damit weitgehend geordneten und intersubjektiv überprüfbaren Zusammenhang sichtbar machen. 2. die öffentlich-politische Rekonstruktion: Sie soll das Handlungsfeld als ein von Interessen einzelner Personen oder gesellschaftlicher Gruppen bestimmten Bereich deutlich werden lassen. 3. die subjektiv-erlebnishafte Rekonstruktion: Sie soll das Handlungsfeld als einen Bereich zeigen, der persönliche Erlebnisse und Erfahrungen ermöglicht, beansprucht und herausfordert. 4. die szenische Rekonstruktion: Sie soll das Handlungsfeld als Szene oder eine Abfolge von Szenen nachbauen, die durch bestimmte Rollenträger mit charakteristischen Dialogmustern Gebärden und Kostümen definiert ist. 4 s. Sachunterricht als Mehrspektivischer Unterricht Vgl. auch zum Problem: Personalisierung von komplexen Sachverhalten im Rahmen der Kunde, s. Sachkunde oder Sachunterricht S. 60. 5 21