Wissenschaftliche Artikel zum Selbststudium

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Wissenschaftliche Artikel zum Selbststudium
4. Bereich Naturwissenschaftlicher Sachunterricht
Ziechmann: Konkrete Didaktik des Sachunterrichts
© Agenter für wissenschaftliche Literatur
Ulf Pedersen GmbH
Braunschweig 1985
l. Auflage 1985
Einbandgestaltung: Gerd Gücker
CIP—Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Konkrete Didaktik des Sachunterrichts: Jürgen Ziechmann (Hrsg.)
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort des Herausgebers
Jürgen Ziechmann ..................
1. Sachunterricht als integrierter/offener Unterricht
Jürgen Ziechmann ..................
2. Sachunterricht — ein Unterrichtsbereich in seiner historischen Entwicklung
Dietmar Bolscho ...................
3. Lern - und entwicklungspsychologische Grundlagen des Sachunterrichts
Günter L. Huber ...................
4. Sache und Sprache
Claus Forytta .....................
5. Die fachlichen Bereiche des Sachunterrichts .
5.l Der biologisch orientierte Sachunterricht
Helmut Gärtner ...................
5.2 Der geschichtliche Aspekt des Sachunterricht;
Jürgen Ziechmann ..................
5.3 Der geographische Aspekt des Sachunterrichts
Helmut Strümpler ..................
5.4 Der physikalische Aspekt des Sachunterrichts
Ursula Wrede .....................
5.5 Der sexual-kundliche Aspekt des Sachunterfk
Angelika Tolle-Herlin ...............
5.6 Der sozialwissenschaftliche Aspekt des Sachu:
Jürgen Ziechmann ..................
5.7 Technik als Gegenstand des Sachunterrichts
Heinz Ullrich .....................
6 Das Spiel im Sachunterricht
Horst Schiffler ....................
7 Medien und Medienverwendung im Sachuntei
5 DIE FACHLICHEN BEREICHE DES SACHUNTERRICHTS
5.1 Der biologische Aspekt des Sachunterricht
Helmut Gärtner
5.1.1 Ausgangsposition
Obwohl die Biologie als "Fach" sowohl innerhalb der Heimatkunde als auch innerhalb des Sachunterrichts eine
lange Tradition hat, führte sie in didaktischer Sichtweise ein recht kümmerliches Dasein, was zu belegen ist:
— an der ungewöhnlich geringen Anzahl von Publikationen bis etwa 1971 (Eschenhagen, 1974),
— an der bevorzugten Behandlung des Biologieunterrichts in den Klassen 5-13,
— an der in der Regel vorgenommenen pädagogisch nicht begründeten starren Trennungslinie
zwischen Grundschule einerseits und Beobachtungsstufe andererseits (Meier, 1973).
Um so notwendiger erweist es sich, den biologischen Aspekt darzustellen, herauszuarbeiten und
fortzuentwickeln, gerade im Hinblick auf die Zielstellung: Entwicklung integrativer Modelle.
5.1.2 Von der Naturkunde zum biologisch-orientierten Sachunterricht
Aus der Kritik am traditionellen Heimatkundeunterricht heraus (vgl. u.a. Beck/Claussen, 1976) lassen sich
Elemente biologischer Naturkunde zusammenfassend herausarbeiten und wie folgt beurteilen (vgl. Gärtner,
1982):
— Die Zielstellungen präsentieren sich im "ideologisch-ethisch-emotionalen" Rahmen ("Ehrfurcht vor.
Gott und dem Leben"; "Geimütsbindung zur Heimat"; "liebe zur Natur" usw.) ohne konkreten Welt-,
Wirklichkeits- und Sachbezug.
— Die Inhalte orientieren sich am räumlich-nahen Prinzip ("Lebensraum der Heimat und der
Umgebung: der Hof, die Wiese, das Feld" usw.);
sie sind gekennzeichnet durch jahreszeitliche Zyklen und akzentuieren sich in monographischer
Darstellung ("der Hund", "das Pferd", "die Katze") mit einhergehender statisch-mechanischer
Betrachtungsweise.
Ziele und Inhalte vermitteln den Kindern ein ,harmonisch-verniedlichendes", gefühlsbetontes und oft
verfälschendes Sach- und Weltbild und fördern so in bedenklicher Weise die Bildung von Anthropomorphismen,
wie das folgende Zitat anschaulich belegt: "Wenn das Kind beispielsweise die Teile einer Rose, eines Apfels
oder eines Eies angeben soll, so wird es nur mit halber Aufmerksamkeit folgen. Es wird aber sofort bei der Sache
sein, wenn eine Knospe als schlafendes Blütenkind, die Apfelkerne als braune Bübchen im Apfelstübchen und
das Ei in der Wiege des Küchleins in den Blickpunkt der Betrachtungsweise gestellt wird" (Brücki, 1938, S. 34).
Die angeführten Kritikpunkte führen gegen Ende der siebziger Jahre zu einer ersten Umorientierung sowohl im
Ziel- als auch im Inhaltsbereich (vgl. Eschenhagen, 1974). Die Zielstellungen verlagern sich mehr auf die
biologisch-fachliche Ebene ("Haltung und Pflege", "Freude am Ordnen und Sammeln"). Sie verlieren somit
ihren ideologisch-normativen Charakter und gehen in Form von ersten "ökonomischen Planungsangaben" auf
niedrigem Abstraktionsniveau in den biologisch-fachlichen Kanon ein (vgl. etwa Mücke, 1972).
Die inhaltliche Thematik selbst konzentriert sich — unter Ausklammerung von ökologisch-orientierten
"Heimaträumen" — auf die Aneinanderreihung und zugleich Konzentration anatomisch/morphologischakzentuierter Monographien.
Die Beispiele von Mücke (1972 u. 1974) belegen diese Tendenz; sie stehen gleichzeitig stellvertretend für die
biologischen Themen in den Richtlinien und Lehrplänen der Bundesländer bis etwa 1972:
Klasse l
Der menschliche Körper
Der Kauvorgang (Verdauung I)
Der erste Tag unseres Lebens
Der Vogel
Das Vogelnest (Amsel)
Das Hühnerei
Der Baum
Markante Blattbildungen bei
Laubbäumen
Früchte
Klasse 2
Die Verdauung II
Vogelvergleich Amsel — Star
Der Fisch
Vogelfütterung im Winter
(Vogelhaus)
Aufbau der Blütenpflanze
(Löwenzahn)
Die Blüte (Aufbau)
Die Blätter der Nadelbäume (Kiefer
— Fichte)
Klasse 3
Gelenke (Hauptformen)
Das Gelenk (Aufbau)
Die Fortpflanzung
Der Regenwurm
Klasse 4
Die Atmung (menschliche Lunge)
Der Geburtsvorgang
Die Muskeln
Die Verdauung III (Darm - After)
Die Schildkröte
Die Vermehrung der
Blütenpflanzen(Kirsche)
Der Keimungsprozeß bei der Bohne
Unser Getreide
Der Zahn
Die Blindschleiche
Der Hamster
Der Hund (Skelett)
Der Igel
Der Kartoffelkäfer
Die Zauneidechse
Der Hund, ein Nutztier durch
Rassenbildung
Frühblüher
Die Kartoffelpflanze
Keimungsversuche unter
verschiedenen
Wachstumsbedingungen
Das Wasserleitungssystem der
Blütenpflanze Die Küchenzwiebel
94
Bei ausgewogener Verteilung der Themen in bezug auf die traditionellen"
biologischen Bezugspunkte Botanik, Zoologie und Humanbiologie ist additive
Stofffülle, ja Stoffballast, nicht zu übersehen. Eine spezifisch-didaktische
Begründung der Einzelthemen scheint ebensowenig vorhanden wie die logische
Abstimmung aller Themen untereinander. Das morphologische
Strukturierungsprinzip ist beherrschend und erstreckt sich auf die stereotype
und statische Beschreibung heimischer Pflanzen und Tiere (Aussehen,
Bezeichnung, Anzahl der Körperteile, Skelettelemente, Zähne, Organe usw.).
Wenn in so skizzierter Strukturierung wesentliche grundschulpädagogische
Prinzipien (etwa Motivation, Neugier, Spiel, Lernen usw.) weitgehend fehlen
und zudem der Erfahrungs- und Interessenstand der Kinder kaum
Berücksichtigung finden, so bedeutet dies, "... daß Primarschüler hinsichtlich
der schulischen Biologie unterfordert werden. Ein durch unmittelbare und
mittelbare Begegnung kindhaft erworbenes Wissen ... läge damit jahrelang
brach und bliebe für den Bildungsprozeß ungenutzt" (Gahl, 1973, S.156).
5.1.3 Strukturierungsprinzipien im biologisch-orientierten Sachunterricht
Drei Entwicklungstendenzen beeinflussen den
biologisch/naturwissenschaftlichen Sachunterricht nach 1972 in entscheidender
Weise:
— grundlegende erziehungswissenschaftliche Aussagen, wie sie im
Strukturplan des Deutschen Bildungsrates (1970), in den Empfehlungen
der Kultusministerkonferenz -(1970) und in den Arbeiten des
Arbeitskreises Grundschule (ab 1970) ihren Niederschlag finden (vgl.
Kap. 5.2);
— der Einfluß angelsächsischer Curriculumentwicklung der damals
sogenannten Grundschulbiologie (1970) (vgl. u.a. Griebel, Hrsg., 1971);
— der Beginn eigenständiger Entwicklung zum Lernbereich
Natur/Biologie
in der Bundesrepublik etwa nach 1973.
Die Auswirkungen der angelsächsischen Curriculumreform konzentrieren sich
für den naturwissenschaftlichen Unterricht in der Bundesrepublik auf den
Begriff "Wissenschaftsorientierung" und artikulieren sich in zwei spezifischen
Strukturierungsansätzen (vgl. u.a. Schwartz, Hrsg., 1971 u. 1973):
— den begriffsorientierten Ansatz und
— den verfahrensorientierten Ansatz.
Sowohl der "begriffs"- als auch der "verfahrensorientierte Ansatz" stellen die
"Struktur der Disziplin" in den Mittelpunkt und gehen — im Gegensatz zum
"stoffbezogenen" Lernen als Vermittlung von Einzelfakten — von folgenden
lernpsychologischen Annahmen aus (vgl. z.B. Tütken/Spreckelsen 1970):
95
— das Erfassen und Verstehen grundlegender Schlüsselbegriffe hilft dem Kind, die
Fülle isoliert wahrgenommener Fakten und Umwelterfahrungen in strukturierter Form
im Zusammenhang zu begreifen;
— die Gedächtnisforschung zeigt, daß strukturell-gebundenes Wissen länger
gespeichert und behalten wird als zusammenhangloses Einzelwissen.
Das begriffsorientierte amerikanische Grundschulbiologiecurriculum SCIS (Science
Curriculum Improvement Study) orientiert sich an der biologischen Teildisziplin Ökologie.
Ausgehend von den Ökologischen "Oberbegriffen" "Organismen — Lebenszyklen —
Populationen — Umwelten" werden für die Klassen l —4 folgende thematischen
"Unterbegriffe" dargestellt (vgl. Schütze, 1972):
1.Schuljahr
Organismen
— Mannigfaltigkeit — Tiere, Pflanzen
— Fressen, Verdauen, Ausscheiden
— Geburt, Wachstum, Tod, Zerfall
— Detritus, Bodenfruchtbarkeit
— Nahrungsnetz
— Habitat
2.Schuljahr
Lebenszyklen
— Keimen, Reproduktion,
Generation
— Entwicklung, Metamorphose
— Biotisches Potential
— Biotische Identität
— Pflanze, Tier
— belebt, unbelebt
3.Schuljahr
Populationen
— Populationsschwankung
— Nahrung
— Wettstreit um Nahrung
— Nahrungskette, Nahrungsnetz
— Räuber — Beute — Beziehung
— Pflanzen-, Fleisch-, Allesfresser
— Landhabitat, Wasserhabitat
4.Schuljahr
Umwelten
— Umweltfaktoren
— Licht, Luft, Feuchtigkeit,
Temperatur, Salmität
— biologische Umweltfaktoren
— physikalische Umweltfaktoren
— optimale Umwelt
— Habitat
Die Darstellung dieser komplexen ökologischen Begriffssysteme läßt kritische
Schlußfolgerungen zu:
— Die Gefahr der Überforderung des Primarstufenschülers ist ebenso gegeben wir die
Tatsache, "daß der konzeptorientierte Unterricht die Vermittlung von Phänomenen
und Fakten zugunsten einer verfrühten Abstraktion vernachlässigt"
(Dallmann/Grabowski-Pamlitschka, 1973, S. 43).
— Mit der Darstellung und der Akzentuierung kognitiver "Wissensbegriffe" werden
psychomotorische "Fertigkeiten" und "Fähigkeiten" in den Hintergrund gedrängt (vgl.
u.a. Werner, 1973).
— Gesellschaftsrelevante Bezüge und schülerspezifische "Bedürfnisse" sind nicht
hinreichend berücksichtigt worden (vgl. u.a. Knoll, 1973).
Das "verfahrensorientierte" englische "Nuffield Junior Science Projekt"orientiert sich im
Gegensatz zum "SCIS-Programm" zunächst nicht an Begriffssystemen, sondern legt den
Schwerpunkt auf das Erlernen naturwissenschaftlich-biologischer Arbeitsweisen (vgl. u.a.
Schwartz, 1971 u.
96
1973). "Das Ziel des Unterrichts ist nicht der Erwerb von Stoffkenntnissen, sondern
Förderung naturwissenschaftlicher Denk- und Forschungsweisen" (Fleck, 1973, S. 43). Es
handelt sich um die auch im deutschsprachigen Raum adaptierten und häufig benutzten
"Fertigkeiten und Fähigkeiten", die im hierarchischen Gefüge zusammengesetzt sind, u.a.:
— Beobachten
— Beschreiben
— Benennen
— Vergleichen
— Beziehungen herstellen
— Schlüsse ziehen
— Hypothesen formulieren
— Hypothesen überprüfen
— Experimentieren.
Ausgehend von der Beherrschung dieser Fähigkeiten und Fertigkeiten wird erst in einem
zweiten Schritt auf die Auswahl der Inhalte eingegangen, letztere splitten sich sodann in
zahlreiche Unterthemen auch anderer Fächer auf (vgl. nebenst. Abb. l).
Die Auseinandersetzung mit den angelsächsischen Modellen trägt wesentlich zur
eigenständigen Entwicklung des Lernbereichs Natur/Biologie in der Bundesrepublik zu
Beginn der siebziger Jahre bei. Gleichwohl zeigen sich formale Strukturähnlichkeiten. Aus
der Forderung des Deutschen Bildungsrates (1970) nach konkreten "Lernprozessen" und
"präzisen Lernzielen" lassen sich übereinstimmend drei Merkmalsgruppen darstellen (vgl.
u.a. Schwartz, 1973; Esser, 1978; Gärtner, 1982):
— Inhaltliche Phänomene (fachbezogener Ansatz),
— Verfahrensorientierte "Fertigkeiten und Verfahren",
— Affektiv bezogene "Einstellungen und Haltungen".
Im Gegensatz zum oben beschriebenen "begriffsorientierten" Ansatz geht der "fachbezogene"
Ansatz über die Darstellung spezifisch-biologischer Begriffe aus biologischen Teildisziplinen
hinaus und zielt auf übergreifende allgemein-biologische "Phänomene" oder
"Lebensmerkmale des Lebendigen". Es sind dies:
— Stoff- und Energiewechsel
— Reiz und Bewegung
— Fortpflanzung und Entwicklung
— Verhalten
— Umweltbeziehungen der Lebewesen.
Die Orientierung an solchen "Grundphänomenen" ermöglicht sowohl Begrenzung der
fachlichen Stoffülle als auch "didaktische Reduktion" (Killermann, 1978) und führt zu
"Konzentration" im exemplarischen Sinne.
98
Neben der Darstellung inhaltlicher Kriterien muß es darum gehen, wesentliche
verfahrensorientierte "Fertigkeiten" und "Verfahren" herauszuarbeiten. Belgardt stellt für den
Lernbereich Biologie einen umfassenden Katalog auf:
l. Die Schüler werden angehalten und angeleitet, Tiere und Pflanzen zu betrachten, zu
beobachten, zu beschreiben und zu ordnen:
— Zustände werden festgestellt,
— lang- und kurzfristige Veränderungen werden zufällig und gezielt beobachtet,
— Lebewesen, Zustände und Abläufe werden beschrieben,
— Gegenstände und Fakten werden gesammelt und geordnet,
— Lebewesen und Sachverhalte werden unter sachgerechter Verwendung facheigener
Begriffe benannt,
— Lebewesen und Sachverhalte werden verglichen 2. Die Schüler werden angehalten und angeleitet, Phänomene der lebendigen Natur durch
Experimente zu erklären:
— Lösungsmöglichkeiten eines vorliegenden Problems werden vermutet,
— Hypothesen werden formuliert,
—- Versuchsanordnungen werden selbständig oder nach Anweisung geplant und
konstruiert,
— Versuche werden sachgemäß durchgeführt,
— falsche Hypothesen werden aufgegeben,
— Ergebnisse von Versuchen werden überprüft,
— Versuchsergebnisse werden beschrieben und formuliert,
— Deutungen werden begründet und diskutiert.
3. Die Schüler werden angehalten und angeleitet, biologische Sachverhalte darzustellen:
— zu klassifizieren (Oberbegriffe zu bilden),
— mündlich und schriftlich Sachverhalte zu fixieren (z.B. Lang- und
Kurzzeitprotokoll, Versuchsanordnung, Versuchsablauf),
— zeichnerisch und graphisch darzustellen,
— mit Symbolen umzugehen.
4. Die Schüler erlernen und praktizieren Arbeitsformen und Fertigkeiten:
z.B. Tiere und Pflanzen hegen und pflegen,
— in Gruppen kooperieren,
— Informationen einholen und verarbeiten,
— facheigene Arbeitsmittel, technische Geräte und lebende Objekte sachgerecht zu
handhaben,
— messen" (Belgardt, 1973, S. 183).
Im Sinne des "problemlösenden Verhaltens" werden schließlich allgemeine "Einstellungen"
und "Haltungen" für den Sachunterricht als unumgänglich angesehen. Für den Lernbereich
Natur/Biologie bedeutet dies u.a.:
— Interesse an biologischen Vorgängen entwickeln,
— Abbauen von Vorurteilen gegenüber lebenden Organismen,
99
— Ergänzung der erlebnisbezogenen Einstellung zur lebenden Natur durch
versachlichte Betrachtung,
— Entwicklung von Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, Geduld, Phantasie und
Eigentätigkeit beim Umgang mit biologischen Objekten bzw. im biologischen
Experiment,
— Entwicklung von Toleranz und Selbstkritik beim Umgang mit dem Partner,
— Entwicklung von Verantwortungsbewußtsein im Hinblick auf Fragen des Naturund Umweltschutzes.
Alle drei Merkmalsgruppen (vgl. o- S. 96) tauchen als übergreifende Zielstellungen in den
Lehrplänen und Richtlinien der Bundesländer zum biologisch-orientierten Sachunterricht auf
(vgl. Marquardt, 1976).
Alle drei Merkmalsgruppen scheinen gleichwohl weitgehend ohne didaktische Beziehung und
Begründung losgelöst vom inhaltlichen Kanon zu stehen. Für die beiden erstgenannten
Merkmalsgruppen gilt kritisch:
— sie präsentieren sich in ihrem jeweiligen absoluten Anspruch und betonen allein die
biologische Relevanz;
— sie vernachlässigen oftmals die Auswahlkriterien "Schülerrelevanz" und
"Gesellschaftsrelevanz" und lassen "situative Anlässe" kaum sichtbar werden (vgl.
Knoll, 1979).
Insofern kann insgesamt festgestellt werden, daß im biologisch-orientierten Sachunterricht
bislang kaum mehrdimensionale Perspektiven im Hinblick auf integrative Modelle zu finden
sind.
5.1.4 Fachorientiertes Planungsbeispiel: Das Eichhörnchen — seine Nahrung und seine
Feinde (Klassenstufe 3)
Im Sinne der skizzierten theoretischen Darstellung von Strukturierungsansätzen und
Strukturierungsmerkmalen wird im folgenden ein lernzielorientiertes Unterrichtsbeispiel
gegeben: Das Eichhörnchen — seine Nahrung und seine Feinde (vgl. Gärtner/Itzwerth, 1981).
Dieses Unterrichtsbeispiel präsentiert sich
— als biologisch-fachstrukturiertes Modell,
— es bezieht sich begrifflich auf die Teildisziplin Ökologie,
— es betont — in Überwindung der traditionellen Monographie mit
anatomisch/morphologischem Schwerpunkt — die biologisch zusammenhängende
Betrachtungsweise (Bau, Funktion, Umweltbeziehungen).
Lernziele
Die Schüler lernen übergreifend die Nahrung und die Feinde des Eichhörnchens kennen. Im
einzelnen sollen sie
100
— die vorgestellten pflanzlichen und tierischen Objekte benennen und beschreiben;
— die Objekte den beiden Oberbegriffen "Nahrung" und "Feinde" des Eichhörnchens zuordnen;
— die ausgestellten pflanzlichen und tierischen Anschauungsobjekte zum Tafelbild abstrahierend übertragen;
— die einzelnen Abbildungen des Tafelmodells mit Begriffen benennen und mit Pfeilen richtig verbinden;
— versuchen zu erfahren und zu verstehen, daß es ein natürlicher biologischer Vorgang ist, daß Eichhörnchen
"fressen und gefressen werden";
— die in der Stunde erworbenen Kenntnisse anwenden indem sie die auf dem Arbeitsblatt abgebildeten Objekte
mit Begriffen benennen und durch Pfeile in richtige Verbindung setzen (vgl. nebenst. Abb. 2).
Didaktische Aussagen
Die Wahl des Objektes Eichhörnchen erfolgt unter folgenden didaktischen
Gesichtspunkten:
— es ist bei den Kindern bekannt und beliebt;
— es ist an fast allen Orten zu beobachten;
— seine Baumerkmale, Verhaltensweisen und Umweltbeziehungen sind für die Kinder erkennbar und
erklärbar;
— es ergänzt die Reihe der bislang behandelten Nagetiere und schließt sie in sinnvoller Weise ab.
Unterrichtliche Bedingungen (vgl. Abb. 3)
— drei mit Tüchern abgedeckte Tische;
— Eichhörnchen-Modell (l. Tisch);
— präparierte Tiermodelle (Fuchs, Habicht, Eule, Marder ...) = Feinde (2. Tisch);
späteres Tafelbild
(entspricht Arbeitsblatt)
Lehrer
Tisch 2:
"Feinde"
Tisch l:
"Eichhörnchen"
Tisch 3:
"Nahrung"
Schüler
(sitzen im Halbkreis um die Tische)
Abb 3: ünterrichtliche Bedingungen.
102
— pflanzliche Präparate und Objekte = Nahrung (S. Tisch) (Pilze, Zapfen» Kastanien,
Eicheln, Eier, Jungvögel);
— Pappabbildungen; Feinde = rot, Nahrung = grün;
— farbige Workarten und beschriftete Pfeile aus Pappe;
— Matrizenabzug für Schüler.
Schüler sitzen um die 3 Tische herum (vgl. Abb. 3).
Unterrichtsverlauf und
Kommentierung
Unterrichtsverlauf
Unterrichtliche Impulse
— L. deckt "Eichhörnchen" auf dem
Mitteltisch auf.
Beschreiben und Benennen durch S.
— L. deckt "Nahrungsmittel" auf.
Beschreiben und Benennen durch S. Finden
des Oberbegriffs "Nahrung" und Aufstellen
der Karte
— L. deckt "Feinde" einzeln auf.
Beschreiben und Benennen durch S. Finden
des Oberbegriffs "Feinde" und Aufstellen der
Kart
— L. deckt "Feinde" einzeln auf.
Beschreiben und Benennen durch S. Finden
des Oberbegriffs "Feinde" und Aufstellen der
Karte
— S. übertragen das räumliche Modell mit
beschrifteten Pappkarten und Symbolen an
die Tafel.
— S. ordnen im Arbeitsblatt die Namen den
Objekten zu und zeichnen die Pfeile richtig
ein.
Didaktische Kommentierung
Motivations- und Gesprächsphase:
Das Aufdecken der einzelnen Modellteile
und Objekte auf den drei Tischen erweist sich
als sehr effektiv:
Ein Abgleiten vom Thema durch die Vielzahl
der Demonstrationsobjekte wird dadurch
vermieden, indem jeweils nur ein
Einzelobjekt sichtbar wird; die Schüler
erarbeiten zielgerichtet die Einzelobjekte. Die
Neugierde der Schüler am weiteren
Unterrichtsverlauf ist geweckt. Nach der
Gesprächsphase, in der die Schüler an Hand
der realen Objekte Bau- und
Funktionsmerkmale erarbeiten, folgt die
Phase der Festigung und Sicherung auf
höherer Abstraktionsebene (vgl. Tafelbild:
entspricht Arbeitsblatt bzw. Abb. 2). Die
Beziehungen von Eichhörnchen zu Feinden
und Nahrung muß durch die mit "friß"
gekennzeichneten Pfeile zugeordnet werden,
so daß sich eine einfache Nahrungskette an
der Tafel entwickelt. Die Schüler sind fähig,
den Sachverhalt an der Tafel
zusammenzufassen :
"Das Eichhörnchen frißt und wird gefressen".
Die Festigung und Sicherung des komplexen
Sachverhaltes erfolgt in Einzelarbeit (vgl.
Abb. 2).
103
Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlich-abstrakten Arbeitsmaterialien, den drei
Tischen sowie Tafel und Abzugsblatt (vgl. Abb. 3) erfordert von den Kindern Konzentration
und Flexibilität im Abstrahieren; vom Lehrer wird gerade in dieser Phase Geschick und
Einfühlungsvermögen in das unterschiedlich schnelle Lerntempo und die spezifische
Lernfähigkeit seiner Schüler erwartet. Das Tafelmodell bildet den visuellen Bezugspunkt zur
zweiten Stunde, dem abschließenden Unterrichtsgespräch. Ziel ist es, zu erkunden, ob und
inwieweit die Kinder in der Lage sind, die natürlichen ökologischen Gegebenheiten mit
eigenen Worten "biologisch richtig" und in zusammenhängender Form darzustellen
(Schüleräußerungen zum Unterricht):
— Das Eichhörnchen frißt seine Nahrung.
— Die Feinde fressen das Eichhörnchen.
— Das Eichhörnchen ist also Nahrung für seine Feinde.
— Das Eichhörnchen frißt und wird gefressen.
— Es ist nicht schlimm, wenn das Eichhörnchen gefressen wird, denn es gibt so viele davon.
— Wenn sie nicht gefressen werden, gibt es zu viele davon.
— Sie haben Feinde, damit sie nicht so viele werden.
— Es gibt so viele Eichhörnchen, weil sie sich so stark vermehren.
— Die Feinde vom Eichhörnchen sterben aus.
— Es gibt immer weniger Füchse, Eulen und Marder.
— In der Stadt hat das Eichhörnchen kaum noch Feinde.
— Das Eichhörnchen frißt Eier und junge Vögel. Das ist nicht schlimm; denn die Vögel legen viel mehr Eier.
— Wenn der Vogel (Eule) groß ist, frißt er das Eichhörnchen; denn er muß ja auch leben.
— Es ist für Eichhörnchen die Rettung, dann muß es sich nicht so lange quälen, wenn es krank ist.
Die Äußerungen zeigen eindrucksvoll, mit welch großem Einfallsreichtum und Wortschatz
die Schüler die ökologischen Beziehungselemente erkennen, erfassen, beschreiben und
analysieren. In diesem Sinne eröffnet die Behandlung einfacher Nahrungsketten und
Nahrungsnetze vielfältige didaktische Möglichkeiten und Perspektiven im biologischorientierten Sachunterricht, unbeschadet der Tatsache, daß die "Fachstruktur" im Sinne des
"Begriffs-orientierten" Ansatzes dominiert und bezogen wird auf einen festumschriebenen
Lernzielkatalog.
5.1.5 Defizite im biologisch-orientierten Sachunterricht
Aus der kritischen Darstellung der Entwicklung des biologischen Sachunterrichts heraus sollen abschließend als
Fazit die spezifischen Defizite aufgeschlüsselt und zusammengefaßt werden, mit dem Ziel, sie aufzuarbeiten und
bereitzustellen für die integrative Modellbildung:
• Die grundlegenden erziehungswissenschaftlichen Zielsetzungen "Qualifikation zur Bewältigung von
Lebenssituationen" (Robinsohn, 1967) und
"Ausstattung zur Handlungsorientierung" (Roth, 1971) stehen losgelöst und ohne "befruchtende
Wechselwirkung" zu den biologisch-übergreifenden Zielangaben und der inhaltlichen Thematik.
• Relevante und verbindende erziehungswissenschaftliche und fachethologische Begriffe (Entwicklung,
Motivation, Neugier und Spiel) wurden für den Lernbereich Biologie bislang weder didaktisch verarbeitet noch
für die Praxis "handhabbar" gemacht.
• Situative Aspekte im Hinblick auf mehrdimensionale Konstruktionen sind ebensowenig vorhanden wie
integrative Aspekte aus den spezifischen Bezugsfächern.
• Der Unterricht mit detaillierten und präzisierten Lernzielkatalogen vernachlässigt gerade bei der Behandlung
lebender biologischer Organismen in der Klasse die Prinzipien des prozeß- und handlungsbezogenen Lernens.
• Die über zahlreiche Medien (Filme, Fernsehen, Bücher usw.) außerschulisch erworbenen mannigfaltigen
Kenntnisse sowie die Interessen der Schüler hinsichtlich biologischer Organismen und Sachverhalte sind in der
Lehrplanarbeit bislang kaum berücksichtigt worden und führen so zur Unterforderung des Schülers.
• Die ausgewählten Inhalte sind in ihrer Fülle und Vielfalt kaum untereinander begründet und aufeinander
abgestimmt; die einzelnen Sachverhalte präsentieren sich dem Lehrer häufig in Form unzusammenhängender
Begriffe bzw. stichwortartiger Überschriften und führen so zu lückenhaftem und zufälligem "Mosaikwissen"
beim Schüler.
• Morphologisch-akzentuierte Einzelmonographien aus der unmittelbaren Umgebung des Schülers (der Hund,
die Katze, das Huhn usw.) mit "statischer" Betrachtungsweise stehen in der Rangfolge vor ökologischen,
insbesondere jedoch verhaltensbiologischen Themen.
• Komplexere Zusammenhänge von Bau, Funktion, Verhalten und Umweltbeziehungen werden immer noch
ohne didaktische Begründung als Überforderung des Schülers angesehen und demzufolge ausgeklammert.
• Die Begegnung mit dem lebenden Objekt wird im Unterricht zugunsten einer trockenen "Matrizen-und
Tafelbiologie" weitgehend vernachlässigt.
• Der seltene Umgang mit lebenden Objekten führt bei den Kindern zur Fehleinschätzung des Tierverhaltens und
letztlich zur Bildung von Anthropomorphismen.
• Der bevorzugte Einsatz von Arbeitsheften führt eher zu reproduktivem als zu produktivem Denken und
unterbindet kreatives Arbeiten.
105
5.2 Biologische Aspekte im integrierten Sachunterricht
5.2.1 Aufgabenstellung
Aufgabe dieses Beitrages ist es, solche inhaltlichen Elemente aus dem Lernbereich Natur/Biologie darzustellen,
die im Hinblick auf zu entwickelnde integrative Modelle von didaktischer Relevanz sein könnten. Ein solches
Vorhaben erfordert mehrere Arbeitsschritte:
Die im Teil 5.1 herausgearbeiteten Defizite des Lernbereichs Natur/Biologie werden dahingehend abgeschwächt,
indem das "Lebensphänomen Verhalten" (Ethologie) in den Mittelpunkt gestellt wird.
Erziehungswissenschaftlich/entwicklungspsychologische Auswahlkriterien und biologisch-ethologische
Bezugselemente sollten inhaltlich zusammengeführt und konkretisiert werden.
Innerhalb der Verhaltensbiologie (Ethologie) besitzt das Phänomen "Sozialverhalten" eine übergreifende
Bedeutung. Ethologische Aussagen zum "Sozialverhalten" und sozialisationsbezogene Aspekte zur
"Sozialerziehung" könnten einen "integrativen" curricularen Rahmen ergeben.
5.2.2 Erziehungswissenschaftlich-entwicklimgspsychologische Aussagen und lernbereichsdidaktische
Konsequenzen
Aus erziehungswissenschaftlicher Sichtweise heraus wurden nach 1969 (Grundschulkongreß) u.a. folgende
Prinzipien formuliert:
— der Bezug zum wissenschaftsorientierten Lernen
— die Bedeutung von Lernmotivation und Lernprozessen
— die Berücksichtigung von Bedürfnissen und Erfahrungen der Kinder.
In der folgenden Übersicht geht es — in der gebotenen Kürze dieses Beitrages — darum, allgemeine und
relevante erziehungswissenschaftlich-entwicklungspsychologische Kriterien darzustellen und sie in eine
"konstruktive Verbindung" zu bringen zu lernbereichsdidaktisch-biologischen Bezugselementen (vgl. Tab. l, S.
106) — unter besonderer Berücksichtigung des ethologischen Strukturierungsansatzes (vgl. Gärtner, 1982).
Die Zusammenstellung m Tab. l erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und zeigt keinerlei
Prioritätensetzung. Im Hinblick auf das Herausarbeiten integrativer Aspekte des Lernbereichs Natur/Biologie
wird gleichwohl die didaktische Relevanz ethologischer Aspekte insgesamt deutlich:
— verhaltensbiologische Aspekte zielen auf eine Fülle situativer Anlässe und Bedürfnisse beim Kind
und kommen den Interessen der Kinder entgegen;
Allgemeine Erz.-wiss./Entw. psycholog.
Kriterien
Spezifisch Erziehungswiss.Bezugselemente
Spezifisch Lernbereichsdid.-biolog.
Bezugselemente
l. Bedürfnisorientiertheit
Starke Bindung insbesondere affektiver Art
von Kindern zu Personen ihrer direkten
Umgebung (Vater, Mutter. Geschwister,
Spielkameraden usw.).
Brutpflegeverhalten, Mutter — Kind —
Beziehung, Soziale Bindung,
Kommunikation usw.
2.
Situationsbezogenheit
Direkter Bezug zu spezifischen
Lebenssituationen m Familie, Schule, und
Freizeit.
Territorialverhalten, Rangordnung,
Gruppenbildung, Gruppenstruktur usw. im
Bereich "Zwischenmenschlicher
Beziehungen".
3. Spiel
Rollenspielorientiertheit führt zu
Spielverhalten im Kontext zu Neugier,
IchIdentifikation und löst seelische Konflikte Entwicklung und Lernen.
im Umgang mit Bezugspersonen.
4. Interesse / Neugier
Orientierung der Kinder an
Verhaltensabläufen bei Personen und
Sachen ihrer Umgebung.
Bedeutung von "Ethogrammen" am Beispiel
lebender Objekte — insbesondere höher
entwickelter Säugetiere.
5. Erkenntnisstruktur
Ganzheitlichkeit und ungefächerte
Sichtweise; Denken in Zusammenhängen
und Phänomenen. Zunehmende
Befähigung der Verknüpfung von Willen
und Erfahrung.
Relevanz biologische Phänomene hier:
Verhalten im Kontext zur biologisch
zusammenhangenden Betrachtung.
6. Erfahrungsbezug
Bedeutung außerschulischer Erfahrungen
im Sinne von "ausleben" und "bewältigen".
Starker Einfluß biologischer Themen in
spezifischen Medien (Fernsehfilme, Bücher
bzw. in Zoos und Tiergärten). Dominanz
ethologischer und ökologischer Aspekte.
7. Psycho — soziale
Struktur
Mit Beginn der Schulzeit zahlreiche
außerfamiliäre Sozialkontakte zu
Gleichaltrigen.
Rangordnungsstrukturen durch äußere
Merkmale (Imponieren usw.)
107
— verhaltensbiologische
Aspekte fuhren zu überschaubaren, einsichtigen und
nachvollziehbaren Abläufen und Wechselbeziehungen und sind vom Schüler zu
begreifen, zu speichern und anzuwenden;
— verhaltensbiologische
Aspekte eröffnen die Möglichkeit der phänomenalen,
anschaulichen und zusammenhängenden Betrachtungsweise;
— verhaltensbiologische
Aspekte tragen in und mit ihrer Lebendigkeit zu Motivation
und Kreativität bei;
— verhaltensbiologische
Aspekte führen zu sachgerechter Einschätzung der
Verhaltensweisen der Tiere und tragen damit zur Überwindung von
Anthropomorphismen bei.
5.2.3 Ethologie und Sozialverhalten — lernbereichsdidaktische Elemente im Hinblick
auf einen integrativen Sachunterricht
Die den erziehungswissenschaftlich-entwicklungspsychologischen Kriterien zugeordneten
ethologisch-didaktischen Aussagen gilt es nunmehr zu strukturieren und aufzuarbeiten mit
dem Ziel, sie "handhabbar" zu machen für die integrative Modellbildung.
In der; fachethologischen Literatur nimmt das Thema "Sozialverhalten und Kommunikation"
eine zentrale Stellung ein (vgl. u.a. Eibl-Eibesfeldt, 1978 u. Immelmann, 1979). Wenn hierbei
übereinstimmend die Begriffe
— Sexualverhalten
— Kampfverhalten
— Brutpflegeverhalten
— Gruppenverhalten
— Territorialverhalten
— Spielverhalten
als Strukturierungsprinzipien Geltung finden, so läßt sich hieraus insbesondere die spezifischgrundschulpädagogische Relevanz des Brutpflegeverhaltens ableiten (vgl. Gärtner, 1982).
Brutpflege m "didaktischer Reduktion" erfolgt in drei Abschnitten:
— Mutter-Kind-Beziehung
— Ausdrucksformen und Kommunikation
— Spiel und Entwicklung.
Zur Mutter-Kind-Beziehung
Die Beziehungen zwischen Mutter und Kind sind bei höheren Säugetieren außerordentlich
vielseitig und haben für die Entwicklung des Kindes im Hinblick auf die spätere
Eingliederung in den sozialen Gruppenverband eine große Bedeutung. Nach der Geburt sorgt
die Mutter für die lebensnotwendigen Bedürfnisse des vollkommen abhängigen Jungen. Sie
nährt, füttert, säubert das Junge und trägt es meistens mit sich herum. Nach dieser Zeit, wenn
das Junge von den notwendigen Lebensbedürfnissen unabhängig ist, sorgt die Mutter für den
Schutz und gibt ihm in verschiedenen Situationen
108
Abb. 4:
Mutter-Kind-Beziehung bei Menschenaffen (nach Schaller, 1963).
Hilfen, "Ermutigung" und Unterweisung zur Beherrschung der Umwelt (stehen, laufen,
klettern, jagen, Nahrungssuche).
Die Materialien in Abb. 4 illustrieren diese spezifischen Verhaltensweisen bei
Menschenaffen. Das kindliche Kontaktbedürfnis muß frühzeitig und auf dauerhafte Weise
befriedigt werden. Nur so kann sich das "Urvertrauen" als Voraussetzung für spätere feste
Bindungen an Partner oder Gruppen bilden.
Zum Ausdrucksverhalten
Menschen und höhere Säugetiere verfügen über ein spezifisches Spektrum von
Ausdrucksformen, Körperhaltungen, Bewegungen und Lautäußerungen, die insbesondere in
der Entwicklungsphase von Bedeutung sind. Bekannt
Wutanfall Abscheu Erstaunen Angst Schrecken Ärger
Abb. 5:
Gesichtsmimik eines Schimpansen und ihre Bedeutung (nach Eibl-Eibesfeldt.1968).
109
etwa ist das typische Minenspiel bei Schimpansen, welches für die Artgenossen ein gezieltes
Ausdruckssignal darstellt (vgl. Abb. 5).
Bei allen Mimiken kommt den Augen die Hauptfunktion zu. Kinder besitzen ein
unmittelbares und direktes Verständnis für mimische Äußerungen von Mitmenschen. Die
Schlüsselreize können dabei auf wenige Gesichtsmerkmale bzw. Krümmungen beschränkt
sein (vgl. Abb. 6). Die Ausdruckssignale von R. Spitz mit Hilfe von Attrappengesichtern
zeigen charakteristische Ergebnisse (vgl. Abb. 7):
Abb. 6:
Bedeutung einfacher mimischer Ausdrücke.
Abb. 7:
Reaktion eines Kleinkindes auf spezifische Gesichtsattrappen. Die waagerechten Striche
zeigen die Dauer der Fixierung durch das Kind an (nach Spitz, 1972).
— das Kind lächelt, wenn ein lächelndes Gesicht frontal geboten wird,
— das Kind lächelt nicht beim Anblick eines lächelnden Profils,
— das Kind lächelt, wenn Mund und Nase der Attrappe abgedeckt sind,
— das Kind lächelt nicht, wenn die Augen der Attrappen abgedeckt sind,
— das Kind lächelt nicht, wenn die Augen abgedeckt sind.
110
Über die skizzierten mimischen Ausdrucksformen hinaus ergibt sich ein Spektrum von
Lauten, Farben, Düften und Formen im "Zwischenmenschlichen Feld", auf das im Rahmen
dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden kann.
Das gesamte Ausdrucksverhalten muß — aus der biologischen Sichtweise heraus —
eingebettet werden in das Netz sozialer Kommunikation im Gruppen verband.
Zu Spiel und Entwicklung
Spiel und Spielverhalten stellen wesentliche Elemente der Entwicklung bei
Mensch und Tier dar und führen aus der Etappe der "nur Mutter-Kind-Beziehung"
Tab. 2:"Spiel" und "Spielverhalten" im Spiegel didaktischer Relevanzkriterien (vgL Gärtner,
1980).
Fachwissenschaft
Biologie (Ethologie)
Gesellschaft
Schüler
— Instinkt- u.
Erwerbshandlungenlaufen
im Spiel ohne Ernstbezug
ab
— Instinkthandlungen
sind beim Spiel offenbar
von den ihnen
vorgesetzten
Antriebsmechanismen
abhängig
— Verhaltensweisen sind
beim Spiel mit
verschiedenen
Funktionsweisen frei
kombinierbar (z.B.
beliebiger Rollenwechsel
beim Spielpartner)
— Beim Spiel wird die
Fähigkeit des
Abstandnehmens
(Umschalten auf neue
Situationen)als
Voraussetzung für jegliche
Art der
Auseinandersetzung
geschult
— Tiere lernen im Spiel
für das spätere Leben
— Typische
Verhaltensweisen werden
durch Spielerfahrung mit
den Geschwistern
entwickelt
— oder Spielappetenz
liegt ein Neugiertrieb
- Spielen fördert das
soziale Verständnis der
Kinder untereinander
— Spielen übt ein in
soziale Rollen und
Verhaltensweisen
— Spielen schult die
Anpassung an soziale
Spielregeln
— Spielen führt zur
Entwicklung physischer
und psychischer
Ausgeglichenheit
— Spielen steigert die
Leistungsfähigkeit
— Spielen erfordert
anregungsreiche
Umweltangebote
— Spielen fördert die
Entwicklung und
Befriedigung eigener
Bedürfnisse,
Vorstellungen und
Interessen
— Spielen stärkt die
intrinsische Motivation
und die selbst gesteuerte
Aktivität
— Spielen fördert die
Entwicklung für
aktives,Entdecken des
Lernen
— Spielen unterstützt die
Entwicklung kreativer
Verhaltensweisen durch
Explorieren,
selbständiges
Experimentieren und
Erfinden
zugrunde
— Spielen ist
gekennzeichnet durch
einen starken motorischen
Antrieb
— Spiel ist Form des
aktiven Lernens
111
hinüber zur Einübung und zum Erlernen von sozialen Regeln bzw. zur Eingliederung in den
sozialen Gruppenverband insgesamt- Spiel und Spielverhalten zielen im ethologischen Sinne
auf die Begriffe "Neugier", "Erwerbskoordination" und "Appetenz" und treffen im
erziehungswissenschaftlichen Grundverständnis auf
— den Zusammenhang von Neugier, Spiel, Motivation und Lernen und die Ausrichtung auf
spätere Ernstsituationen;
— die spielerische Komponente bei der Entwicklung und das spielerische Hineinwachsen in
den sozialen Gruppenverband (vgl. Tab. 2).
In bezug auf inhaltliche Strukturierungsprinzipien sind aus biologischer Sichtweise
— Jagd- und Beutespiele
— Flucht- und Verfolgungsspiele
— Balg- und Kampfspiele
— Bewegungs- und Experimentierspiele
von ebensolcher Bedeutung wie im erziehungswissenschaftlichen Feld die
Kategorien
— Rollenspiele
— Regelspiele
— Freie Spiele.
5.2,4 Sozialverhalten, Sozialerziehung, Soziales Lernen — Modellbildung zum
integrierten Sachunterricht
Alle in Abschnitt 5.2.3 entwickelten Aspekte zum Sozialverhalten enthalten "situative" und
"bedürfnisorientierte" Elemente und könnten Ausgangspunkt neuer spezifisch-biologischer
Inhalte für den Sachunterricht der Primarstufe sein. Wenn im folgenden auf eine solche
"isolierte" Darstellung bewußt verzichtet wird, so geschieht dies in der Absicht, ethologische
Aspekte zum Sozialverhalten in integrativer Weise zu verbinden mit wesentlichen
Bezugspunkten zum Lernbereich Gesellschaft.
Als ein solcher Bezugspunkt wird der in der Literatur übereinstimmend geforderte und
abgeleitete Begriff "Sozialisation" und "Soziales Lernen" gesetzt (vgl. Beck/Claussen, 1979).
"Sozialverhalten" und "Sozialisation" sind somit die zentralen Bezugspunkte. Sie "verdichten"
sich unter dem Leitthema "Erziehung und Sozialisation" zu ersten konkreten Curriculumelementen. Es geht also um "die bewußte sozialerzieherische Planung in einem Curriculum
für soziales Lernen, das nach sozialwissenschaftlichen Einsichten in die gruppendynamischen
Prozesse aufgebaut ist, in dem die sozialen Grundbedürfnisse des Kindes zu Wort kommen.
Sprache und Gestalt annehmen und Modell werden: sein Wunsch, einer Gruppe anzugehören,
sein Recht, selbst jemand sein und sich verteidigen zu dürfen, Anerkennung zu finden usw.,
Spiele und Rollen, in denen seine inneren, noch
112
unverarbeiteten Konflikte in äußeren Handlungen als erlaubte und lösbare Geschehnisse personifiziert dargestellt
werden" (Roth, 1971, S. 523).
Curriculumelemente "Erziehung und Sozialisation"

Die Entwicklung des Kindes innerhalb der Mutter-Kind-Beziehung Mit der Nahrungsaufnahme des
Säuglings erste soziale Bindung. Kommunikation zwischen Mutter und Kind in Form spezifischer
Signale und Laute schaffen "Urvertrauen". Weinen: Signal für Hunger und als Kontaktruf (Beruhigung,
Beschwichtigung). Lächeln: Begrüßung, Bestätigung angebahnter Kontakte mit der Bezugsperson.
Bedeutung der Wirkung der Augen als Funktion der Wahrnehmung: Identifikation mit der Mutter.
Lippenkontakt und "sich anklammern": Bedürfnis nach Beruhigung und Abschirmung.
Ausdrucksverhalten: "Mund — offen — Gesicht" trägt zur Beschwichtigung und Ermutigung bei.
"Kindchenschema": Auslöser nach Kontaktbedürfnis. Mutter-Kind-Beziehung im Spannungsfeld von
Wunscherfüllung und Wunschversagung: Duldung, Kanalisierung, Befriedigung, Regulation und
Ablehnung libidinöser Affekte des Kindes durch die Mutter. Erleben von Triebaufschub und Trieb
verzieht. Bedeutung und Konsequenzen von Lob, Tadel, Anerkennung, Liebesentzug usw.
Problematik frühzeitiger Trennung von den Eltern: weniger soziale Bindungsfähigkeit und Interaktionsfähigkeit.
Einflüsse der Heimerziehung:
Hospitalismus. Trennung vom Vater: Geschlechtsrollenidentität.

Das Selbständigwerden des Kindes durch Erkunden, Neugier, Spiel und Nachahmung
Erkunden des Kindes: Berühren und Betasten von Gegenständen; Durchstreifen der Wohnung und der näheren
Umgebung. Neugier und "Wißbegierde" in Form gezielten Untersuchens als "Triebfeder" für die weitere soziale
Entfaltung. Neugier und Erkunden gehen in Spiel über. Aktives Tun mit beweglichen Gegenständen oder
Partnern. Bedeutung spezifischer Spieltheorien. Freie Spiele: Gestaltungsspiele — Hingabespiele, Regelspiele,
Rollenspiele. Zusammenhang zu den Ursachen: Spiel als Zweckfreiheit. Spiel als Auseinandersetzung mit Neuen
(Erregung, Spannung). Spiel als Verhalten in vertrauter Umgebung (Entspannung, Gelöstheit). Spiel als
Ausdruck von Spontaneität und Selbstbestimmung. Spiel als Übung und Erholung. Spiel als Ausdruck von
Gefühlen und Phantasien. Spiel als Erlernen und Tolerieren bestimmter Regeln. Bedeutung der Nachahmung als
Einübung in soziale Rollen im Hinblick auf Ich-Identität, Selbständigkeit und Sozialverhalten. Bezug zu
Vorbildern, Idolen und Idealen in und außerhalb der Familie.

Entwicklung sozialer Beziehungen im Familienverband Bedeutung "positiver Grundstimmung" in der
Familie durch Erfüllung elementarer kindlicher Bedürfnisse: Hunger, Bewegungsdrang, Wißbegierde,
Spielen, liebevolles Bejahen und Geborgenheit. Konsequenzen:
Eltern als Vorbilder. Bedeutung des Erlebens eigenen Triebaufschubs und Triebverzichts als schmerzlich,
beglückend und lohnend. Notwendigkeit
113
von Regelspielen in der Familie ohne Gewinner und Verlierer. Aggressivität beim Kind,
Formen und Ursachen: Spielerische Aggressivität in Bezug auf Gruppenspiele mit den
Geschwistern. Aggression als Mittel zur Erkundung des Verhaltensspielraums
(Neuorientierung) in der Ordnung des Familienverbandes. Aggression als Funktion zur
Verteidigung von Geschwistern gegenüber Außenstehenden. Erfahren komplexer
Verwandtschaftsbeziehungen. Unterschiedliche Einschätzung von Lebensformen. Begegnung
spezifischer Lebensphasen und Lebensbahnen (Geburt, Hochzeit, Tod).

Entwicklung und Sozialisation im Gruppenverband in Freizeit und Schule
Bedeutung der Loslösung von der affektiv- und personenzentrierten Familienstruktur in die
Lebenswelt von Schule und Freizeit. Eigene Bewältigung komplexer Lebenssituationen: von
der Belehrung zur Auseinandersetzung. Identitätskrise und Pubertät. Erste
Kooperationsformen in der Gruppe Gleichaltriger. Bedeutung der Rollenspiele. Eigenart,
Struktur und Zusammenhalt einer Gruppe. Formen und Ursachen des Zusammenschlusses in
Gruppen, Kreisen, Vereinen, Gemeinschaften usw. Anforderungen der Gesellschaft an den
Jugendlichen (Streß, Normen, Rollendistanz, Schichtenproblematik usw.) Suche nach
Identität, nach "sich befreit und geborgen fühlen". Bedeutung der Rangordnung im
Gruppenverband durch äußere Merkmale (Kleidung, Imponieren usw.). Gruppenzwänge und
Gruppennormen. Aggression und Toleranz. Entwicklung der Liebesfähigkeit: Bedeutung
frühkindlicher Erlebnisse aus späteres sexuelles Verhalten. Ödipaler Konflikt. Bedeutung der
Rollenübernahme von den Eltern. Bedeutung und Merkmale ^umfassender
Liebespartnerschaft bis ins Alter.
Ausgewähltes Unterrichtsbeispiel: Brutpflege — Kontakt — Kommunikation
Der vorgestellte curriculare Rahmen offenbart eine Fülle integrativer Momente.
Am Beispiel des folgenden Unterrichtsentwurfes soll abschließend der Versuch unternommen
werden, biologisch-didaktische Elemente im Hinblick auf die skizzierte Integration
aufzubereiten und handhabbar zu machen.
Diese Absicht konkretisiert sich in Form des Beispieles "Brutpflege, Kontakt und
Kommunikation". Das ausgewählte Beispiel wird inhaltlich abgeleitet über das didaktische
Raster "Fach — Gesellschaft — Schüler" (vgl. Tab. 3, S. 114), es wird zugeordnet
bestimmten Unterrichtsphasen:
Motivationsphase/Gesprächsphase, Vertiefungsphase/Anwendungsphase.
Die übergreifenden fachlichen und didaktischen Intentionen sind u.a. dem Raster in Tab. 3
bzw. dem Kap. 5.2,3 zu entnehmen. Handlungsimpulse/Prozeßverlauf:
Als Motivations-/Gesprächsphase bieten sich alternative Möglichkeiten an:
• Filmvorführung: "Wildkatze – Jungenentwicklung" (FWU-360757);
• Demonstration mit dem lebenden Objekt: Brutpflegeverhalten bei Hausmäusen;
114
Tab. 3: Brutpflege verhalten im Spiegel didaktischer Auswahlkriterien
Fachwissenschaft
— Brutpflege im engeren
Sinne umfaßt sämtliche
Verhaltensweisen, die im
Dienste der
Fortpflanzung stehen
— Brutpflege beschreibt
angeborene
Auslösemechanismen
und erworbene
Verhaltensweisen
— Brutpflege äußert sich
in typischen
Strukturschemata, z. B.
Kindchenschema
— Brutpflege führt zum
Abbau innerartlicher
Aggression und zum
Zusammenleben im
sozialen Gruppenverband
Gesellschaft
— Befriedigung von
Kontakten schafft
"Urvertrauen" und
Kommunikationsfähigkeit
— Kontakt u.
Kommunikation sind
Voraussetzung
frühzeitiger
Eingliederung in den
sozialen Gruppenverband
— Kommunikation
äußert sich in
normenbedingten
Signalen und Lauten
Schüler
— Bedürfnis des Kindes
nach Kontaktpersonen
— Kontakt und
Kommunikation führen
zum Abbau von Angst,
Aggression und
Frustration
— Kontakt und
Kommunikation fördern
Spiel, Erkundung und
Nachahmung

Besuch im Zoo: Mutter-Kind-Beziehung bei höheren Säugetieren (Pavianfelsen);

Zeigen von Photos und Abbildungen (vgl. Abb. 4).
Die beiden erstgenannten Möglichkeiten stellen zweifellos die originellsten — weil
lebendigsten — Einstiege dar. Die Kinder bekommen einen anschaulichen Einblick in das
Mutter-Kind-Verhalten und erkennen die typischen Verhaltensweisen der Jungtiere ohne, daß
Vorkenntnisse über den Körperbau der Tiere notwendig sind bzw. vorausgesetzt werden!
Eine gezielte Beobachtung der Mutter-Kind-Beziehung am Pavianfelsen erweist sich —
bedingt durch die Dichte der "Horde" — als für viele Schüler dieser Stufe teilweise zu
schwierig. In diesem Falle sollte auf die Beobachtung einzeln lebender Familien
"ausgewichen" werden.
Die Demonstration mit dem lebenden Objekt erfordert die (problemlose) Haltung von
Hausmäusen über einen längeren Zeitraum hinweg im Klassenraum. Haltung, Pflege und
Aufzucht der Mäuse in der Klasse regen Motivation und Interesse der Kinder an und fördern
"entdeckendes Lernen".
Die über mehrere Wochen hinweg beobachteten Verhaltensweisen der Tiere "verdichten" sich
bei den Kindern in Form der zusammenhängenden Betrachtungsweise und führen zu
dauerhaftem und anwendungsbezogenem Wissen (vgl. Gärtner/Itzwerth, 1979). Dies gilt
insbesondere für den Zusammenhang von Bau, Funktion, UmweltbeziehungenDas Zeigen von Photos und Abbildungen sollte einer vertiefenden bzw.--abschließenden
Phase vorbehalten bleiben.
115
In der Gesprächs-/Vertiefungsphase geht es darum, die vielfältigen Eindrücke und
Beobachtungen der Kinder zusammenzufassen und zu ordnen:
• Film: Transport der Jungen durch die Mutter ins Nest; Nackengriff, ausgelöst durch hohe
"schreiende" Laute; Führung der Jungtiere durch die Mutter fördern Erfahrungs- und
Entdeckungshorizont der Tiere; Verteidigung des Nestes durch die Mutter bei Angriff anderer
Artgenossen und Feinde.
• Lebendes Objekt: Nesteintrageverhalten der Mutter (Nackengriff) ausgelöst durch
"fiepende" Laute der Jungtiere; Intensive Körperpflege der Jungtiere durch die Mutter
(Lecken).
• Zoobesuch: Ständiger Körperkontakt zwischen Mutter und Kind dient der Beruhigung,
Beschwichtigung, Ermutigung und Säuberung; Jungtiere spielen im sozialen
Gruppenverband; Schutz der Jungtiere durch die ranghohen Männchen bei Streitigkeiten
(Rangordnung) der Männchen und infolge Feindeinwirkung von außen.
Abb. 8:
Kindchenschema als pflegeaktivierender bzw. nicht-aktivierender Auslösemechanismus (nach
Eibl-Eibesfeldt, 1968).
116
In der abschließenden Anwendungsphase empfiehlt es sich, in Abhebung vom spezifischen
Brutpflegeverhalten bei Tieren, auf grundlegende Verhaltensmerkmale der Mutter-KindBeziehung bei Menschen einzugehen.
Grundlage dafür sind die Materialien in Abb. 8 (s. S. 115) zum "Kindchenschema". Das
"Kindchenschema" stellt für den Menschen als "Auslösemechanismus" einen
"pflegeaktivierenden" bzw. "nicht-aktivierenden" Faktor dar und eignet sich als didaktisches
Element zum Abbau anthropo-morpher Vorstellungen (vgl. Gärtner, 1982).
Grundschulkinder sind fähig und in der Lage, die spezifischen Merkmale des
"Kindchenschemas" herauszuarbeiten:
— der übergroße Kopf im Verhältnis zum Körper,
— die starken Backenrundungen,
— die kurzen und runden Gliedmaßen.
Durch die vergleichende Beobachtung der Mutter-Kind-Beziehung bei verschiedenen Tieren
und beim Menschen findet der Schüler die Bedeutung in seinem eigenen "Bedürfnisfeld" und
in der Erziehung insgesamt: Geborgenheit, Sicherheit, Ermutigung usw. als notwendige
Elemente einer positiven Entwicklung bis hinein ins Erwachsenenalter.
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