Thema Nr. 1: Polymorphismus der Blutgruppen und von MHC (Haupthistokompatibilitätskomplex) Fragen: Was sind Allele (im Unterschied zu Genen)? Was ist eine allele Häufigkeitsverteilung? Wie verteilen sich die Häufigkeiten der Blutgruppen-Allele auf verschiedene Menschen-Rassen? Wie unterscheiden sich Menschen in ihren Gewebeverträglichkeitsantigenen (Histokompatibilitätsantigenen MHC)? Was ist ein stabiler Polymorphismus? relevante Seiten (u.a.): Buch-Kap. 6 und 7: bitte nach „Blutgruppen“, „MHC“ und „Polymorphismus“ durchsuchen. Literatur: es liegt hier keine spezielle Literatur vor Erläuterungen: Es kommt lediglich darauf an, kurz zu erläutern, was Allele sind und die Vielfalt der Menschen zu erläutern, die sich schon daraus ergibt, dass es so viele Blutgruppen und MHCAllele gibt. Polymorphismus Molekulare Vielfalt an einem Genort Allele. Als Allele bezeichnet man molekulare Varianten eines kodierenden Gens bzw. Genortes. Sie entstehen, wenn ein oder mehrere Nukleotidpaare gegen andere ausgetauscht werden (z.B. A-T gegen G-T) oder verloren gehen (vgl. auch Tab. 11). Die Gesamtheit aller Allele wird als Allelie bezeichnet und bestimmt den Umfang des molekularen Polymorphismus - die molekulare Vielgestaltigkeit eines Individuums. Je stärker dieser Polymorphismus ausgeprägt ist, desto besser ist eine Population in der Lage, sich ihrem Lebensraum anzupassen. Abb. 19: Lage des ABO-Gens auf dem Chromosom 9 Blutgruppen. Zu den leichtverständlichen Beispielen, um den Begriff Allel zu verdeutlichen, zählen die Allele des AB0- Blutgruppensystems. Auf Chromosom 9 des Menschen existiert eine Nukleotidsequenz, die die Synthese der Merkmale der AB0Blutgruppen kodiert (Abb. 19). Letztere sind biochemisch gesehen Glykoproteine oder Glykolipide an der Oberfläche der Zellmembran von roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die durch spezifische Antikörper (anti-A oder/und anti-B) verklumpt werden können (Agglutinationsreaktion). Tab. 8: Verteilung der AB0-Blutgruppen bei verschiedenen Populationen (Angaben in Prozent) Blutgruppen O A B AB Deutsche 41 43 11 5 Peruanische Indianer 100 0 0 0 Mayas 98 1 1 1 Blackfoot (nordam. Indianer) 17 82 0 1 Buriaten 33 21 38 8 Kalmücken 26 23 41 11 Tschuwaschen 30 29 33 7 Hinsichtlich der Verteilung der AB0-Blutgruppen auf der Erde bestehen von Region zu Region zum Teil beträchtliche Unterschiede (Tab. 8). In der ersten Zeile ist die Verteilung der AB0-Blutgruppen in einer deutschen Stichprobe dargestellt. Ein ganz anderes Bild erhält man, wenn man bestimmte eingeborene Populationen Südamerikas betrachtet. In diesen Populationen findet man z.B. fast ausschließlich Individuen mit der Blutgruppe 0. In einem anderen nordamerikanischen Indianerstamm sind nur die Blutgruppen 0 und A vertreten. In Zentralasien finden wir Populationen mit einer hohen Frequenz von Individuen mit der Blutgruppe B. Tab. 9: Zusammenhang zwischen Phänotyp (Blutgruppe) und Genotyp Phänotyp (Blutgruppe) Genotyp A AA oder A0 B BB oder B0 AB nur AB 0 nur 00 Jeder Mensch erbt jeweils von einem seiner beiden Elternteile eines der beiden Allele – entweder A oder B, beide (AB) oder keines von beiden (0). Sind diese Allele von Vater und Mutter identisch (AA oder BB), bezeichnet man das Individuum als homozygot für dieses Allel, sind sie unterschiedlich als heterozygot für dieses Allel. Die ererbte Genkombination bildet den Genotyp der Blutgruppe. Da jedes der beiden Merkmale dominant vererbt wird, sich also durchsetzt und das Merkmal 0 stumm ist, kommt es je nach Kombination der väterlichen und mütterlichen Keimzellen zu einer neuen Kombination der Merkmale, den Phänotyp, der bei der Blutgruppenbestimmung erfaßt wird. Den Zusammenhang zwischen Phänotyp und Genotyp erläutert Tab. 9. Gewebeantigene. Ähnlich den roten Blutkörperchen besitzen alle Zellen an ihrer Oberfläche weitere allele Strukturen, die sich von Individuum zu Individuum unterscheiden können. Besonders gut untersucht sind die sog. Gewebeverträglichkeitsantigene (Histokompatibilitätsantigene oder Transplantationsantigene), so genannt wegen ihrer Bedeutung für die Organtransplantation. Wir finden sie auf fast allen Körperzellen mit Ausnahme der roten Blutkörperchen. (Wir werden auch hier wieder für die Bezeichnung von Zelloberflächenmolekülen den Begriff Antigen benutzen.) Abb. 21: Lage des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC) auf dem Chromosom 6 mit seinen Genorten A, B, C, DR, DQ und DP Hier nur so viel: Auf dem Chromosom 6 des Menschen befinden sich mehrere Genorte, die die Synthese der Transplantationsantigene kodieren (Abb. 21). Zusammen bilden sie den sog. Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC), so genannt wegen seiner Bedeutung für die Abschätzung der Gewebeverträglichkeit (Histokompatibilität) im Rahmen der Organtransplantation. Tab. 11: Die Varianten eines einzelnen Genlokus unterscheiden sich oft nur durch den Austausch eines Nukleotids an einer bestimmten Position der DNS. Dargestellt sind molekulare Varianten eines fiktiven Gewebemerkmals (HLA-X*). “Echte” HLA-Sequenzen finden Sie hier. HLA-X*01 ~~~ ACGTGGTCATAATGCTTCCAGACA ~~~ HLA-X*02 ~~~ ––––C––––––––––––––––––– ~~~ HLA-X*03 ~~~ –––––––A–––––––––––––––– ~~~ HLA-X*04 ~~~ –––––––––––––––––TT––––– ~~~ HLA-X*05 ~~~ ––––C––A–––––––––––––––– ~~~ HLA-X*06 ~~~ ––––C––––––––––––TT––––– ~~~ HLA-X*07 ~~~ –––––––A–––––––––TT––––– ~~~ HLA-X*08 ~~~ ––––C––A–––––––––TT––––– ~~~ Für die einzelnen Genorte des MHC besteht ein ausgeprägter Polymorphismus. Im Gegensatz zu den roten Blutkörperchen, wo wir nur drei Allele für den Genort der AB0-Blutgruppen finden, können hier allein für einen der für die klinische Praxis bedeutsamen Genorte hunderte im Labor bestimmbare Allele existieren. Für die ganz Mutigen unter Ihnen kann hier die umfangreiche Liste aller bis heute bekannten der Allele (Klasse I und Klasse II; Stand Januar 2009) des MHC empfohlen werden, die im Internet veröffentlicht wurde. Schon sie allein bildet den überzeugenden Beweis für die möglichen individuellen molekularen Differenzen zwischen zwei Individuen. Der Unterschied liegt vielfach nur im Austausch eines Nukleotids in einem bestimmten Genbereich (Prinzip vgl. Tab. 11). Wenn man dazu noch berücksichtigt, daß die Allele der einzelnen Genorte immer in unterschiedlichen Kombitionen (Mustern) auftreten, so potenziert sich die molekulare Vielfalt um weitere Größenordnungen. Bedenkt man schließlich, daß von den Eltern jeweils zwei verschiedene dieser AllelMuster vererbt werden, so kommt man leicht auf mehrere Millionen möglicher Muster. Die praktische Folge: Es ist schwierig, geeignete Organspender für einen bedürftigen potentiellen Organempfänger zu finden, der in allen bestimmbaren Gewebemerkmalen, die sich bisher für die Transplantation als bedeutend erwiesen haben, mit den Gewebemuster des Empfängers übereinstimmt. (vgl. Abschnitt “Transplantation und Transfusion” ) Enzymgruppen und Immunglobuline (Antikörper): Zum Abschluß dieses Abschnitts soll nicht unerwähnt bleiben, daß es Polymorphismus auch bei bestimmten Enzymen (Tab. 12) und den später zu behandelnen Antikörpern gibt (vgl. Abschnitt “Antigene und Antikörper“). Beiden Molekülgruppen ist gemeinsam, daß sie eine hohe funktionelle Spezifität aufweisen. Funktionell gleiche Moleküle können sich jedoch durch ihren Polymorphismus von Individuum zu Individuum in ihrer molekularen Struktur nachweislich unterscheiden. Tab. 12: Enzymgruppen mit Polymorphismus (Auswahl) Adenosindesaminase Adenylatkinase Esterase D Glutamat-Pyruvat-Transaminase Glyoxalase I Phosphoglukomutase 6-Phosphogukonat-Dehydrogenase Phosphoglykolatphosphatase Phosphoglyzeratmutase saure Erythrozytenphosphatase Fazit: Allele sind Varianten eines Genorts. Beispiele sind die Blut-, Gewebe- und Enzymgruppen. Nimmt man die bereits heute bestimmbaren Allele zusammen, so wird offensichtlich, daß die Anzahl der theoretisch möglichen Allelmuster außerordentlich groß ist und in hohem Maße zur molekularen Vielfalt – insbesondere auf Eiweißebene – beiträgt. Auf dem Gebiet der Organtransplantation ist es deshalb schwer, passende Spender-Empfängerpaare zu finden.