3. 3 Artbildung und Isolation 3.3.1 Problematik des Artbegriffes Den Begriff „Art“ kann man auf verschiedene Weise definieren: 1. Eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. (= morphologischer Artbegriff) 2. Eine Art ist eine Gruppe sich tatsächlich oder potenziell fortpflanzender natürlicher Populationen, die von anderen solchen Populationen reproduktiv isoliert sind. D. h.: Angehörige einer Art können fortpflanzungsfähige Nachkommen miteinander bekommen. (= biologischer Artbegriff) Problem: Definition 2 nützt nichts bei Arten, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen. 3. Eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die gemeinsam eine ökologische Nische besetzen. (oft eher als Population bezeichnet) 3.3.2 Mechanismen der Artbildung Neue Arten können entstehen 1. durch Artumwandlung in Folge von Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, 2. durch Artaufspaltung in Folge von Isolation, d. h. Abtrennung von Teilpopulationen und Verhinderung der Panmixie untereinander. 3.3.3 Allopatrische, parapatrische und sympatrische Artbildung 1. Bewohnen die neu entstandenen Arten unterschiedliche Gebiete, spricht man von allopatrischer Artbildung (allos, gr. = anders; patris = Heimat). Die Ursache der allopatrischen Artbildung ist meistens geografische Isolation (vgl. unten 3.3.4.1), d. h. der Genfluss zwischen Ursprungs- und Gründerpopulation wurde unterbrochen. 2. Von parapatrischer Artbildung spricht man, wenn die Verbreitungsgebiete zweier Populationen bzw. späterer Arten aneinander grenzen und sich anfangs noch in einer Hybridzone überlappen. (Beispiele: Rabenkrähe und Nebelkrähe; Anubispaviane und Mantelpaviane) 3. Kommt es innerhalb eines geografischen Raumes zur Aufspaltung in verschiedene Arten, spricht man von sympatrischer Artbildung, Die Ursachen sind in den verschiedenen Isolationsmechanismem (vgl. nächster Punkt 3.3.4) zu suchen. 3.3.4 Ursachen der Artbildung: Formen von Isolation/Separation sowie Hybridisierung 1. Geografische Isolation: Trennung von Teilpopulationen durch Meer, Gebirge, Kontinentaldrift… Beispiele: Galapagosfinken, Gemsen, Möwen, Regenpfeifer, Dromedar-Lama 2. Ethologische Isolation: Teilpopulationen „verstehen“ sich nicht mehr, z. B. unterschiedlicher Gesang von Grundfink und Baumfink auf den Galapagosinseln. 3. Jahreszeitliche Isolation: Balz oder Blüte zu verschiedenen Zeiten, z. B. blüht der rote Holunder früher als der schwarze Holunder. 4. Ökologische Isolation: Anpassung an verschiedene ökologische Nischen. Falls viele Nischen zu Beginn frei sind, kann dies zur adaptiven Radiation, d. h. zur breit gefächerten Aufspaltung einer Ursprungspopulation führen. Allerdings sind hierbei vermutlich noch andere Mechanismen wie ethologische Isolation und Hybridisierung der verschiedenen Unterpopulationen von Bedeutung. 5. Genetische Isolation: Genetische Veränderungen, z. B. Polyploidisierung oder Hinzukommen oder Wegfallen eines Chromosoms durch Teilen oder Verschmelzen führen dazu, dass es keine fertilen Nachkommen mehr gibt. Kommt es gar nicht mehr zur Bildung einer Zygote, spricht man von präzygotischer Isolation. Sie kann z. B. durch Gameteninkompatibiltät (Fortpflanzungszellen passen nicht zusammen) verursacht werden. Beim Phänomen der Hybridensterilität (Mulis und Maulesel sind steril), spricht man von postzygotischer Isolation, denn aus den Gameten von Pferd und Esel sind ja noch Zygoten und sogar ganze Tiere entstanden, die sich ihrerseits aber nicht mehr fortpflanzen können. 6. Mechanische Isolation: Blüten oder Begattungsorgane passen nicht mehr nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip zusammen 7. Hybridisierung: Gerade das Gegenteil von Isolation, die Hybridisierung, d. h. Vermischung von Teilpopulationen (bzw. Arten, folgt man einer anderen Definition von Art) ist nach heutigem Forschungsstand für die Entstehung neuer Arten verantwortlich. So entstand der Wasserfrosch (Rana esculenta) aus einer Hybridisierung von Seefrosch (Rana ridibunda) und Teichfrosch (Rana lessonae). Für die Entstehung der vielen Arten von Darwinfinken soll ebenfalls Hybridisierung eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Besonders wichtig ist die Hybridisierung für die Entstehung neuer Pflanzenarten. Anmerkung: Bei Nummer 1 (geografische Isolation) spricht man auch von allopatrischer Artbildung, bei den übrigen (2-6) von sympatrischer Artbildung. Manchmal wird auch nur die genetische Isolation als sympatrische Artbildung bezeichnet. Häufig spielen mehrere Faktoren zusammen, wie bei der adaptiven Radiation, 3.4 Adaptive Radiation (Schroedel S. 410 f.) Die Besiedelung von bis dahin „leeren“ Lebensräumen durch wenige Pioniere führt durch die Besetzung der anfangs noch unbesetzten ökologischen Nischen zur breit gefächerten Aufspaltung einer Ursprungspopulation in viele verschiedene, an die einzelnen Nischen angepassten, Populationen bzw. Arten. Beispiele: ostafrikanische Buntbarsche, Darwinfinken 3.5 Verwandtenselektion und egoistische Gene (Buch S. 414): Altruistisches, d. h. selbstloses Verhalten bei Tieren, das nicht dem eigenen Fortpflanzungserfolg dient, wurde früher mit dem Konzept der Gruppenselektion erklärt. Nach dieser Theorie konnte sich altruistisches Verhalten entwickeln, weil es dem Überleben der Gruppe oder Art diente. Die Theorie der Verwandtenselektion (Hamilton und Smith 1964) geht aber davon aus, dass sich altruistisches Verhalten nur dann durchsetzen konnte, wenn es dem Überleben von Verwandten, die zumindest zum Teil die gleichen Gene tragen, diente. Richard Dawkins entwickelte 1976 den Begriff des „egoistischen Gens“ (selfish gene). Mit diesen Konzepten kann man evtl. den „Verzicht“ auf eigene Nachkommen, z. B. bei Staaten bildenden Insekten (Ameisen, Bienen) erklären, für die Entstehung von komplexen altruistischen Verhaltensweisen greifen sie aber nach meiner Meinung (Hager-Wernet) zu kurz. Ein weiteres Problem ist die anthropomorphe Vorstellung, ein Gen, d. h. ein DNAAbschnitt könne „egoistisch“ sein. Schließlich greift außerdem Selektion nicht am Genotyp, sondern am Phänotyp an. 3.6 Koevolution: (Schroedel S. 416f. und Ökologie S. 232-239) Unter Koevolution versteht man den wechselseitigen Anpassungsdruck zwischen zwei Arten, die innerhalb eines Ökosystems in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen, z. B. in einem mutualistischen Verhältnis (z. B. Bestäubung), einem Räuber-Beute-Verhältnis, oder einer von einseitigem Nutznießertum geprägten Beziehung (z. B. Kuckuck). Bei den letzteren Fällen kommt es durch Koevolution oft zu einem evolutionären Wettrüsten.