2. 3 Artbildung 2.3.1 Problematik des Artbegriffes Den Begriff „Art“ kann man auf verschiedene Weise definieren: 1. Eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. (= morphologischer Artbegriff) 2. Eine Art ist eine Gruppe sich tatsächlich oder potenziell fortpflanzender natürlicher Populationen, die von anderen solchen Populationen reproduktiv isoliert sind. D. h.: Angehörige einer Art können fortpflanzungsfähige Nachkommen miteinander bekommen. (= biologischer Artbegriff) Problem: Definition 2 nützt nichts bei Arten, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen. 3. Eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die gemeinsam eine ökologische Nische besetzen. (oft eher als Population bezeichnet) 2.3.2 Mechanismen der Artbildung Neue Arten können entstehen 1. durch Artumwandlung in Folge von Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, 2. durch Artaufspaltung in Folge von Isolation, d. h. Abtrennung von Teilpopulationen und Verhinderung der Panmixie untereinander. 2.3.3 Allopatrische, parapatrische und sympatrische Artbildung 1. Bewohnen die neu entstandenen Arten unterschiedliche Gebiete, spricht man von allopatrischer Artbildung (allos, gr. = anders; patris = Heimat). Die Ursache der allopatrischen Artbildung ist meistens geografische Isolation = Separation, d. h. der Genfluss zwischen Ursprungs- und Gründerpopulation wurde unterbrochen. 2. Von parapatrischer Artbildung spricht man, wenn die Verbreitungsgebiete zweier Populationen bzw. späterer Arten aneinander grenzen und sich anfangs noch in einer Hybridzone überlappen. (Beispiele: Rabenkrähe und Nebelkrähe; Bergkohlmeise) 3. Kommt es innerhalb eines geografischen Raumes zur Aufspaltung in verschiedene Arten, spricht man von sympatrischer Artbildung, Die Ursachen sind in den verschiedenen Isolationsmechanismen zu suchen. Manchmal wird auch nur die genetische Isolation als sympatrische Artbildung bezeichnet. Häufig spielen mehrere Faktoren zusammen, wie bei der adaptiven Radiation, 2.4 Adaptive Radiation (Cornelsen S. 253) Die Besiedelung von bis dahin „leeren“ Lebensräumen durch wenige Pioniere führt durch die Besetzung der anfangs noch unbesetzten ökologischen Nischen zur breit gefächerten Aufspaltung einer Ursprungspopulation in viele verschiedene, an die einzelnen Nischen angepassten, Populationen bzw. Arten. Beispiele: ostafrikanische Buntbarsche, Darwinfinken und auch Säugetiere und Beuteltiere. 2.5 Verwandtenselektion und egoistische Gene Altruistisches, d. h. selbstloses Verhalten bei Tieren, das nicht dem eigenen Fortpflanzungserfolg dient, wurde früher mit dem Konzept der Gruppenselektion erklärt. Nach dieser Theorie konnte sich altruistisches Verhalten entwickeln, weil es dem Überleben der Gruppe oder Art diente. Die Theorie der Verwandtenselektion (Hamilton und Smith 1964) geht aber davon aus, dass sich altruistisches Verhalten nur dann durchsetzen konnte, wenn es dem Überleben von Verwandten, die zumindest zum Teil die gleichen Gene tragen, diente. Richard Dawkins entwickelte 1976 den Begriff des „egoistischen Gens“ (selfish gene). Mit diesen Konzepten kann man evtl. den „Verzicht“ auf eigene Nachkommen, z. B. bei Staaten bildenden Insekten (Ameisen, Bienen) erklären, für die Entstehung von komplexen altruistischen Verhaltensweisen greifen sie aber nach meiner Meinung (Hager-Wernet) zu kurz. Ein weiteres Problem ist die anthropomorphe Vorstellung, ein Gen, d. h. ein DNAAbschnitt könne „egoistisch“ sein. Schließlich greift außerdem Selektion nicht am Genotyp, sondern am Phänotyp an. 2.6 Koevolution Unter Koevolution versteht man den wechselseitigen Anpassungsdruck zwischen zwei Arten, die innerhalb eines Ökosystems in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen, z. B. in einem mutualistischen Verhältnis (z. B. Bestäubung), einem Räuber-Beute-Verhältnis, oder einer von einseitigem Nutznießertum geprägten Beziehung (z. B. Kuckuck). Bei den letzteren Fällen kommt es durch Koevolution oft zu einem evolutionären Wettrüsten.