Helmut-Schmidt-Universität Professur für Verwaltungswissenschaft Prof. Dr. Rainer Prätorius Probleme der Verwaltungsanalyse II Hamburg, 29.05.10 OFR Patrick Rose, OFR Konrad Ludwig Handzettel zum Referat: Planende Verwaltung als „normative“ Organisation: Städtebauliche Leitbilder 1 Definition und Zweck von Leitbildern: - Psychologie: Vorbildhafte Menschen oder Berichte über bedeutsame Ereignisse, die in einer bestimmten Gruppe als Norm angesehen werden, Identifizierung In das Umgangssprachliche übertragen: grobes Bild der angestrebten Zukunft koordiniert Handeln auf bestimmtes Ziel hin Funktionen: - Motivationsfunktion: Identifikation, Attraktivität Orientierungsfunktion: Koordinierung, Kompassfunktion Legitimation: Aufklärung, Rechtfertigung Städtebauliches Leitbild: - 2 generalisierter Entwurf eines anzustrebenden räumlichen Zustands generalisierter Problemlösungsansatz Orientierungsmerkmal für das Handeln mit allgemeiner Gültigkeit kein dogmatischen Leitbild sondern programmatische Leitlinien Zielkatalog flexible Anpassung an unterschiedliche Rahmenbedingungen, nehmen Bezug aufeinander, entstanden teilweise parallel Leitbilder vor 1945: - (19. Jhd): Industrialisierung; Dringlichkeit zur Lösung städtebaulicher Probleme ging über bekannte Formen der mittelalterlichen und vorindustrialisierten Stadt hinaus negative Begleiterscheinungen zu lindern (reaktiv) Anpassungsplanung 3 Die Gartenstadt: - 4 Die gegliederte und aufgelockerte Stadt: - 5 Ende 19. Jh.: Großstädte am Rand technischer und ökonom. Funktionsunfähigkeit schlechte Wohnverhältnisse, hoher Krankenstand, Streiks und Unruhen Ebenezer Howard: Konzept der Gartenstadt Planung verbunden mit Bodenreform (sozialreformerischer Ansatz) 6 kleine Städte (32.000 Einwohner) umringen polyzentrisch größere Stadt (52.000 Einwohner) Stadtsystem mit ca. 250.000 Einwohnern Bahn als Hauptverkehrsmittel Ziel: gemäßigte Dichte, sozialgerechtes und gesundes Leben, Fußläufigkeit im Siedlungsbereich Wohnbereich durch Grünflächen getrennt Kern: öffentliche Einrichtungen darum: Ring mit Fachgeschäften darum: Wohngebiete mit Gärten Entlastung der Kernstadt durch Suburbanisierung Beispiel: Dresden–Hellerau Kritik: hoher Flächenbedarf, vollständiger Neubau von Städten notwendig Entwicklung des Konzepts 1933 auf europ. Stadtplanerkongress Umsetzung in Deutschland nach 2. Weltkrieg durch Göderitz, Rainer, Hoffmann 1945: zerstörter Wohnraum, Frage nach Neugestaltung Konzept einzelner Städte, Unterteilung in Siedlungs- und Nutzungsbereiche Auflockerung durch Grünzüge Gliederung in Zellen: Nachbarschaft, Stadtzelle, Stadtbezirk, Stadtteil 4 Nachbarschaften zu 16.000 Einwohnern = 1 Stadtzelle 3-4 Stadtzellen = Stadtbezirk, weitgehend autark Fußläufigkeit, keine Notwendigkeit für Automobil Funktionstrennung (Wohnen, Arbeiten, Erholen, Verkehr) Beispiel: Berlin-Wedding Kritik: o niedrige soziale Qualität durch fehlende Überlappung sozialer und ökonom. Aktivitäten o zu geringer Gebäudeabstand o erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Funktionstrennung o Ordnungs- und Kontrollstreben, da Konzept aus NS-Zeit Die autogerechte Stadt: - Hans Bernhard Reichow: „Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem verkehrschaos“, 1959 kein vollständiges Leitbild, nur Fokussierung auf Automobil Verkehrsfluss des Autos als Maß aller Dinge Ziel: Anpassung der engen Städte und Straßen an moderne Mobilitätsbedürfnisse Funktionstrennung Konzept weitgehend beim Wiederaufbau deutscher Städte nach dem 2. WK umgesetzt Beispiel: Hannover Kritik: o Feinstaub, Lärmbelastung, Unfalltode o Vernachlässigung anderer Bereiche eines Leitbildes (Arbeit, Erholung, Wohnen) 6 Urbanität durch Dichte: - Konzipiert von Edgar Salin um 1960 Wiederaufbau wird von Wachstumsdenken abgelöst gegliederte und aufgelockerte Stadt führt zu Zersiedelung, lässt Innenstädte veröden Wohnvororte werden zu reinen „Schlafstätten“ Konzept der Stärkung des Stadtkerns Gleichzeitig: Schaffung von Großwohnanlagen am Stadtrand mit eigenen Freieit- und Versorgungseinrichtungen Ziel: Steigerung des urbanen Stadtlebens Mensch benötigt als soziales Wesen ständig sozialen Kontakt, Möglichkeit zur Interaktion wichtiger als Grünflächen Vorteile: geringer Flächenverbrauch und weniger Verkehrserzeugung als aufgelockerte Stadt Beispiel: Märkisches Viertel – Berlin Kritik: o keine Nutzungsmischung (Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsplatz für Fußgänger zu weit, erzeugt Verkehr) o Akzeptanzprobleme (Bevorzugung von Einfamilienhäusern statt Hochhäusern) Leerstand, soziale Brennpunkte 7 Stadtplanung der Postmoderne: Die Kompakte Stadt: - Bevölkerungsrückgang, geringere Budgets, Planungsskepsis Verbesserung des Bestandes statt Neubau ganzer Stadtviertel und Großwohnanlagen Brachflächen und Baulücken nutzen Nutzungs- und Funktionsmischung kurze Wege, Abkehr vom Idealbild der autogerechten Stadt Dezentrale Konzentration: - Mauerfall, Grenzöffnung zu Osteuropa Zuwanderung statt der vorausgesagten Schrumpfung deutscher Städte System von Zentren und Subzentren statt der Konzentration auf ein alleiniges Hauptzentrum Umsetzung durch Stärkung der Vororte von Städten, Bildung regionaler Städtenetze Nutzungs- und Funktionsmischung Schutz von Freiräumen Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, Ziel: kurze Wege und geringer Individualverkehr 8 Fazit: - - Leitbilder in Deutschland (West) im 20. Jh. rasant gewechselt: o Kriegszerstörung, Wiederaufbau, sich stetig ändernde Rahmenbedingungen o 80er Jahre = Fokussierung auf ökologische Aspekte Verbesserung soziologischer oder ökologischer Bedingungen durch Leitbilder ist unklar teilweise immer größere Diskrepanz zwischen Planung und Umsetzung trotz ökologischer Leitsätze gegenläufige Entwicklung der Siedlungsstrukturen Umweltverträglichkeit der Städte (Verkehrsaufkommen, Flächenanspruch) nie so gering wie heute Zersiedelung nimmt weiter zu dadurch weiter Zunahme Individualverkehr und Pendlerströme 9 Quellen: Krappweis/Nuissl: Leitbilder der örtlichen und regionalen Gesamtplanung, in: http://planung-tu-berlin.de/SSP-III-Einfuehrung/10_12.pdf, 09.05.10. Kuder: Städtebauliche Leitbilder, in: http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2002/496/pdf/kuder_thomas.pdf, 09.05.10. Fürst/Himmelbach/Potz: Leitbilder der räumlichen Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert, in: http://docs.google.com/viewer?a=v&q=cache:GRc0hKzQ77MJ:www.raumplanung.unidortmu nd.de/irpud/fileadmin/irpud/content/documents/publications/ber41.pdf+neuere+achsenmodelle &hl=de&gl=de&pid=bl&srcid=ADGEESg65_yl2NE7GEAgAqwZK3jrDfPEaebSlGr2Okax8s HMLwiyQpRTUKYmOXyZdjlsnVfOW636hPE2K4A6E3FsCd0MqaldZiGHaAp59hQoxPQd K_uUqdDTJE5CM9ZIx2Ytxx3FaE&sig=AHIEtbTZ_etf7gTEf3IjuQlzCsikvD6IUA, 09.05.10. Streich: Stadtplanung in der Wissensgesellschaft. Ein Handbuch, Wiesbaden 2005. Hotzan: dtv-Atlas zur Stadt. Von den ersten Gründungen bis zur modernen Stadtplanung, München 1994.