Britische Europapolitik und integrationspolitische Leitbilder seit 1979 Siegen – 21. Juni 2008 Esther Stephanie Schneider Gliederung 1. Einleitung und kurzer historischer Abriss der britischen EU-Integration 2. Integrationspolitische Leitbilder: Kontinuitäten in der britischen EU-Politik Brüche, Wandel, Diskontinuitäten Leitbilder der Conservative Party Leitbilder der Labour Party 3. Erklärende Variablen der britischen EU-Politik 4. Fazit: ‚awkward partner‘ oder ‚normal member‘? Britische Europapolitik 2 1. Stationen der britischen EU-Integration 1951/52 kein Beitritt zur föderalistisch angelegten EGKS 1957/58 kein Beitritt zur EEC 9.8.1960 und 10.5.1967 erste Beitrittsgesuche, die beide durch ein Veto des frz. Staatspräsidenten De Gaulle abgelehnt wurden. 1.1.1973 Beitritt Großbritanniens unter dem konservativen Premier Edward Heath 1975 Nachverhandlungen der Beitrittsbedingungen 1979 Nicht-Teilnahme am Europäischen Währungssystem 1981-1984 Europafeindliche Rhetorik und Budgetstreit unter Thatcher bis zur Einigung von Fontainebleau 1986 Zustimmung der Regierung Thatcher zur EEA und zum Binnenmarkt 8.10.1990 Beitritt der Regierung Thatcher zum EWS 16.9.1992 Ausscheiden Großbritanniens aus dem EWS unter Premier Major nach Währungsturbulenzen ("Black Wednesday") Britische Europapolitik 3 1. Stationen der britischen EU-Integration 1992 Zustimmung der Regierung Major zum Maastrichter Vertrag, Opt-Out bei der Währungsunion und der Sozialcharta 1996 BSE-Krise: sechsmonatige völlige Kooperationsverweigerung 1997 Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrags durch die frisch gewählte Regierung Blair 1999 Initiative zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik 2000 Unterzeichnung des Vertrags von Nizza durch die Regierung Blair (Januar 2002: Einführung des Euro: britische Regierung prinzipiell für eine Währungsunion, aber erst nach Referendum und wenn fünf wirtschaftliche Bedingungen erfüllt sind.) 19.06.2008: Ratifizierung des Lissaboner Vertrags nach drittem Reading im Unterhaus und „Royal Assent“ durch die Queen. („red lines secured!”) Britische Europapolitik 4 2. Integrationspolitische Leitbilder 2.1 Kontinuitäten in der britischen EU-Politik Das Erbe des Empires: weltweite wirtschaftliche und politische Beziehungen, langes Festhalten an der Illusion des Weltmachtstatus Bedeutung der nationalen Souveränität: intergouvernementale Kooperation statt europäischem ‚super-state‘, das britische Pfund als nationales Symbol ‚special relationship‘ zu den USA: Ablehnung einer vom atlantischen Bündnis unabhängigen gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Primat der wirtschaftlichen Integration: Ausweitung eines (freien und flexiblen) EU-Binnenmarktes erwünscht, aber weitgehende Ablehnung einer vertiefenden politischen Integration Pragmatismus statt visionärer Bekenntnisse Britische Europapolitik 5 2. Integrationspolitische Leitbilder 2.2 Brüche, Wandel, Diskontinuitäten Leitbilder der Conservative Party: bei den Integrationsbefürwortern: Integration führt zu offenen Märkten, verbessertem Wettbewerb nur eine konstruktive Beteiligung am Integrationsprozess sichert nationalen Einfluss Befürwortung aus pragmatischen Gründen: man möchte nicht ‚abgehängt‘ werden bei den Integrationsgegnern: Integration führt zu Brüsseler Sozialismus Integration steht nationaler Souveränität entgegen Integration steht ‘Special Relationship’ zu USA entgegen Großbritannien als geographisch und politisch ‚detached‘ von Europa Idee der Integration gilt als ‚altmodisch‘ in einer globalisierten Welt, stattdessen: „diversity, pluralism and the nation state“ (Hague im März 1998) Britische Europapolitik 6 2. Integrationspolitische Leitbilder Thatcher’s Konfrontation mit Jacques Delors, Rede von Brügge: „Today, that founding concept is under attack from those who see European unity as a vehicle for spreading socialism. We haven‘t worked all these years to free Britain from the paralysis of socialism only to see it creep through the back door of central control and bureaucracy in Brussels.“ (Thatcher zitiert in George, 1998: 194) John Major: Britain “at the very heart of Europe” Britische Europapolitik 7 2. Integrationspolitische Leitbilder 2.2 Brüche, Wandel, Diskontinuitäten Leitbilder der Labour Party: bei den Integrationsgegnern: Integration steht nationalen Maßnahmen der Nachfragesteuerung und der aktiven Sozialpolitik entgegen, ‚Capitalist Club‘, Kritik der Prinzipien des freien Marktes in den Römischen Verträgen ‚faceless bureaucracy‘, Kritik am Verlust der parlamentarischen Souveränität und nationalen Autonomie Die EU droht zu einer international interventionistischen Militärmacht zu werden bei den Integrationsbefürwortern: Integration ermöglicht eine Kompensation der auf nationaler Ebene verlorenen staatlichen Steuerungskapazitäten auf europäischer Ebene Sozialcharta und andere Vereinbarungen ideologisch ansprechend Nur eine konstruktive Beteiligung am Integrationsprozess sichert den nationalen Einfluss Britische Europapolitik 8 2. Integrationspolitische Leitbilder „Der Ratsvorsitz hat unterstrichen, dass eine andere politische Generation in Großbritannien die Macht übernommen hat, eine Generation, die keinen Widerspruch zwischen einem konstruktiven Engagement in Europa und der Förderung nationaler Interessen sieht.“ (in Volle 1998: 472) „Our vision of Europe is not that of a federal superstate, but an alliance of independent nations choosing to co-operate with one another to achieve the goals they cannot achieve alone.“ (New Labour Programm 1996, in Volle 1998: 460). „Britisch interests first, second and last!“ (Tony Blair 1997 in ibid.) Britische Europapolitik 9 2. Integrationspolitische Leitbilder “So at every point we have been determined to protect the British national interest and to ensure that the interests of the British people are safeguarded. I believe that if we can succeed in the decisions that are to be made on the amending treaty then it will be possible for Europe to move on, to move on from inward-looking institutional change to deciding the role that it can play not just in the global economy, but in global society.” (Gordon Brown, Oktober 2007, Pressestatement zum Lissaboner Vertrag) Britische Europapolitik 10 Questions to the Prime Minister • 18.06.2008 zum Vertrag von Lissabon Britische Europapolitik 11 3. Erklärende Variablen der britischen EU-Politik inhärente ideologische Ambivalenzen innerhalb der beiden großen Parteien historische und geographische Besonderheiten politische Kultur und politisches System nationale Interessen globale und europäische Interaktions- und Wandlungsprozesse Britische Europapolitik 12 4. Fazit und Diskussion Großbritannien in der EU heute: ‚awkward partner‘ oder ‚normal member‘? Britische Europapolitik 13