Die Dialektik Kants Einleitung Die philosophische Weltöffentlichkeit schätzt die Philosophie Immanuel Kants, des Begründers der deutschen klassischen Philosophie, als einen gewichtigen Beitrag zur Entwicklung der Dialektik, der geistigen Quintessenz der modernen Zeit. Kant hat die Probleme der Dialektik vor allem in Verbindung mit der Erforschung der Fragen der Logik und der Erkenntnistheorie bearbeitet. Die Fragestellung nach den Möglichkeiten der Wissenschaft, des theoretischen Wissens brachte den Philosophen zur Kollision mit der vorangegangenen Philosophie (der Metaphysik), mit der traditionellen Logik und förderte die Erarbeitung der Anfangsideen der dialektischen Logik. Kant kam ihrem wahren Inhalt auf die Spur, als er die Frage nach den Kategorien als allgemeine Formen des Denkens stellte, auf deren Grundlage allgemeines theoretisches Wissen möglich ist. In der transzendentalen Logik ist das Problem der Kategorien (welches immer aus dem Blickfeld der traditionellen Logik geraten war) ihr Hauptinhalt. Hier ist es angebracht festzustellen, dass die Erforschung der allgemeinen Formen des Denkens, der Kategorien und ihre Deduktion gewöhnlich als spezifische Besonderheit der Hegelschen Logik betrachtet, dabei aber vergessen wird, dass das Problem der Kategorien schon von Kant erkannt und tiefschürfend untersucht wurde. In der Philosophie Kants sind auch die spezifischen dialektischen Prinzipien der Erkenntnis, die ihre weitere Entwicklung in den Arbeiten anderer Vertreter der deutschen klassischen Philosophie gefunden haben, grundlegend ausgearbeitet. Die Rede ist vom Prinzip des Widerspruchs (Antinomie) und von der Aktivität des Subjektes im Erkenntnisprozess des erkennenden Subjektes. Ein unvergängliches Verdienst Kants besteht auch darin, dass er, im Unterschied zu den kontemplativen Materialisten, die Idee der Aktivität des Subjektes im Erkenntnisprozess begründet und die kategoriale Bedingtheit seines Denkens bewiesen hat. Dieser Gedanke hatte bei aller idealistischen Beschränktheit seiner Auslegung durch Kant wichtige Bedeutung für das Verständnis der Dialektik der Erkenntnis. Von nun an wurde der Tätigkeit, der Dialektik von Subjekt und Objekt mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wobei man die Dialektik als inneren Rhythmus der menschlichen Tätigkeit betrachtete, die allerdings idealistisch verstanden wurde. Deshalb hat die aufmerksame Erforschung und Analyse der Kantischen Philosophie, insbesondere der Dialektik, nicht nur historische, sondern auch aktuelle Bedeutung. Die Dialektik Kants ist nicht nur Historie; sie ist in bestimmter Weise mit der modernen Kultur, mit den modernen Aufgaben der philosophischen Entwicklung verbunden. Die schöpferische Weiterentwicklung der modernen Philosophie setzt die Ausarbeitung einer Theorie der Dialektik und eine vertiefte Erforschung der Probleme der dialektischen Logik Logik großgeschrieben - voraus. Zur Realisierung einer solchen wichtigen Aufgabe sind nicht nur eine vertiefte Analyse zeitgenössischer Fakten, das aufmerksame Studium von Daten der Gesellschafts- und Naturwissenschaften, sondern auch eine kritische Untersuchung der Geschichte der Wissenschaft und vor allem der Geschichte der Philosophie notwendig. Die Notwendigkeit der Erforschung der Kantischen Dialektik wird auch dadurch diktiert, dass die dialektische Denkweise, die von den besten Vertretern der modernen Naturwissenschaft entwickelt wird, häufig in ihrem theoretischen Niveau nicht an die klassischen Formen der Dialektik heranreicht, die von Hegel und Marx erarbeitet wurden, und in der ihnen zugänglichen Form der Kantischen Dialektik auftritt. Die moderne Naturwissenschaft (insbesondere Physik und Biologie) erhebt sich unter dem Druck einer großen Zahl von Fakten im Wesentlichen bis auf das Niveau der Kantischen Dialektik, d. h. gelangt fast zum Verständnis der Notwendigkeit der Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit, 550 des Endlichen und Unendlichen, des Inneren und Äußeren usw. Es unterliegt auch keinem Zweifel, dass die Notwendigkeit der Vereinigung von Gegensätzen im Akt des theoretischen Denkens gegenwärtig zur allgemeinen Form der Entwicklung des spontanen naturwissenschaftlichen dialektischen Denkens geworden ist. Diese Form seiner Entwicklung hat zwar einige Vorzüge, jedoch auch bestimmte Mängel und Beschränkungen, die in konzentrierter Form in der Kantischen Dialektik auftreten. Deshalb gestatten das aufmerksame Studium und die Analyse der Dialektik von Kant die Aufdeckung ihrer theoretischen Werte und Mängel, das vertiefte Verständnis der Natur jenes dialektischen Denkens, wie es sich in der Form der modernen Naturwissenschaft darstellt. „Das theoretische Denken jeder Epoche, d. h. auch der unseren“, schrieb Engels, „ist ein historisches Produkt, das zu verschiedenen Zeiten sehr verschiedene Formen annimmt und damit auch verschiedene Inhalte. Folglich ist die Wissenschaft vom Denken, wie auch jede andere, eine historische Wissenschaft, eine Wissenschaft von der historischen Entwicklung des menschlichen Denkens. Aber das hat eine große Bedeutung auch für die praktische Anwendung des Denkens auf empirischen Gebieten. Weil, erstens, die Theorie der Gesetze des Denkens nicht eine ein für allemal fixierte „ewige Wahrheit“ ist, wie es die Philister mit dem Wort „Logik“ verbinden... Aber gerade die Dialektik ist für die moderne Naturwissenschaft die wichtigste Form des Denkens, weil nur sie ein Analogon und somit eine Methode der Erklärung für in der Natur vor sich gehende Entwicklungsprozesse bietet“. 1 Die Bedeutung der dialektischen Ideen von Kant und Hegel für die Herausbildung und Entwicklung der Dialektik als Logik kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bis heute bleibt die Dialektik von Kant und Hegel der ernsthafteste und klügste Opponent der marxistischen Philosophie, und die kritische Analyse des theoretischen Erbes dieser beiden großen Denker hilft beim tiefen Verständnis und Freilegen des Inhaltes der Dialektik. Die sorgfältige Erforschung gerade der Kantischen Dialektik ist für uns auch deshalb wichtig, weil einige Philosophen unter der „modernen“ Logik der wissenschaftlichen Erkenntnis nur die formale und mathematische Logik verstehen, und die dialektische Logik, das System der Kategorien und die allgemeinen Gesetze des Denkens sind ihrer Meinung nach keine Logik im eigentlichen Sinne des Wortes. Die Haltlosigkeit eines derartigen Standpunktes tritt am deutlichsten zu Tage, wenn man sich den Quellen der wahren Logik als Lehre vom Denken zuwendet. In der transzendentalen Logik von Kant findet die Tradition von Platon und Aristoteles ihre Fortsetzung, die die Logik als Lehre von den Prinzipien und Gesetzen des theoretischen Denkens verstanden haben. Die sorgfältige Erforschung der Geschichte der Philosophie, der Theorie des theoretischen Denkens läßt keinen Zweifel daran, dass die wahre Logik des modernen Denkens die dialektische Logik ist. In der westlichen Historiographie sind der Kantischen Philosophie eine Vielzahl von Arbeiten gewidmet, aber in ihnen wird den rationellen Momenten der Philosophie Kants, der Dialektik, absolut keine Aufmerksamkeit geschenkt. Sogar solch eine philosophische Richtung wie der Neokantismus, der an die Kantischen Ideale der transzendentalen Metaphysik appelliert hat, erwies sich als absolute Nebenlinie bei der Entwicklung der produktiven Ideen von Kant. Er hat zwar die subjektivistischen, agnostischen Tendenzen Kants als Erbe übernommen, hat jedoch im Grunde genommen die Grundideen des Autors der transzendentalen Methode diskreditiert. Die Philosophie Kants war und ist ungeachtet aller ihrer Mängel eine große Errungenschaft des menschlichen Geistes; ihrem Wesen nach ist sie optimistisch, da sie Hoffnung in die aktiven Kräfte des menschlichen Verstandes gesetzt hat. Der Neokantismus dagegen erscheint in seiner Gesamtcharakteristik als zutiefst pessimistische Philosophie. Übrigens ist ein derartig vollständiges Abweichen aller dieser philosophischen Schulen von den dialektischen Wegen, die Kant aufgezeigt hat, gesetzmäßig und verständlich, weil der modernen westlichen Philosophie die 551 Dialektik, ein wirklich wissenschaftliches und revolutionär-kritisches Prinzip des Denkens, fremd ist. Die dialektischen Ideen Kants auf dem Gebiet der Erkenntnis, seine Lehre von den Kategorien als aktiven Formen der menschlichen Tätigkeit, seine Fragestellung zu Quellen und Formen der Erkenntnis, der Hinweis auf die dialektische Natur der Widersprüche des Verstandes, die fruchtbaren Ideen auf den Gebieten Ethik und Ästhetik und vieles mehr, was später von Hegel weiterentwickelt wurde, erwiesen sich erst in der Philosophie des Marxismus als wahrhaft schöpferisch verarbeitet. Wie bekannt, hat sogar der gesamte deutsche dialektische Idealismus z. B. die wichtige These Kants von der Rolle der produktiven Fähigkeit der Phantasie faktisch unbeachtet gelassen, und nur in der wissenschaftlichen Gnoseologie hat dieses Moment - kritisch überarbeitet - eine wesentliche Rolle bei der Erarbeitung der These von der Aktivität des erkennenden Subjektes gespielt. ² Die materialistische Dialektik ist nach kritischer Aneignung der positiven Seiten der Kantischen Lehre und Ablehnung seiner Fehler und Irrtümer diejenige philosophische Richtung, die seine progressiven Tendenzen und Ideen fortsetzt, d.h. in gewissem Sinne hat sie das schöpferische Erbe der deutschen klassischen Philosophie und natürlich ihres Begründers Immanuel Kant - angetreten. 552 Kapitel I Das Problem der Begründung wissenschaftlichen Wissens und die Dialektik Kritik der traditionellen Philosophie und Bestimmung der Aufgaben der Erkenntnis Bei der Erforschung des Schaffens von Kant ist es üblich, zwei Perioden zu unterscheiden: die vorkritische und die kritische. Wenn auch in einer derartigen Periodisierung immer ein gewisser Formalismus zum Ausdruck kommt, hat bei der allgemeinen Einschätzung der philosophischen Entwicklung Kants diese Einteilung doch einen Sinn. Beim aufmerksamen und umfassenden Überblick über die Philosophie, die wissenschaftlich-theoretischen Interessen, die weltanschauliche Einstellung Kants entdeckt man in den zwei genannten Perioden deutlich wesentliche Unterschiede. Überhaupt hat Kant ja auch selber die Existenz dieser zwei Perioden in seinem Wirken zugegeben. In dem Vorwort zu dem Aufsatz „Prolegomena zu jeglicher zukünftigen Metaphysik, die als Wissenschaft aufkommen kann“ ³ merkte er an, dass seine kritischen Ideen unter dem Einfluss von Hume entstanden, der seinen „dogmatischen Schlummer“ unterbrochen habe. Der vorkritische Kant ist ein bescheidener Philosoph, der sich noch nicht die Aufgabe gestellt hatte, die bisherige Metaphysik und Logik zu reformieren, und auch noch nicht die Frage der kritischen Untersuchung der Grenzen der menschlichen Erkenntnis angegangen war. Er hat damals das Problem des wissenschaftlichen Wissens, der Bedingungen dafür, seines Verhältnisses zu anderen Formen der menschlichen Tätigkeit nicht speziell untersucht. In dieser Periode interessierte er sich mehr für naturwissenschaftliche Probleme, analysierte unter ontologischem Aspekt die Probleme der Bewegung, der Selbstbewegung, des Raumes, der Zeit u. a. In der weltanschaulichen Einstellung Kants dominierte das materialistische Herangehen an die untersuchten Probleme. Unter anderem betrachtete er Raum und Zeit, die er später von den Positionen des Idealismus aus als apriorische Formen der Anschauung behandelte, in der vorkritischen Periode als Formen der objektiven Realität. In seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten stützt sich Kant hauptsächlich auf die Newtonsche Mechanik, an die er sich bemühte schöpferisch heranzugehen: erstens analysierte er ihre Angaben vom Standpunkt des Rationalismus von Descartes und Leibniz, zweitens führte er das Prinzip der Selbstbewegung, der Entwicklung in die entsprechenden Wissenschaftsgebiete ein. In dieser Hinsicht ist schon die erste Arbeit Kants von Interesse - „Gedanken über die richtige Einschätzung lebender Kräfte“: in ihr hat er erstmals die Idee der Selbstbewegung umgesetzt. Dabei hat er sich auf eigene Art bemüht, die Schwierigkeiten zu überwinden, in die Descartes und Leibniz geraten waren. Während die Anhänger Descartes’ meinten, dass die Bewegung proportional der Geschwindigkeit des sich bewegenden Körpers sei und Leibniz dieses Maß als proportional der Geschwindigkeit im Quadrat einschätzte, hat Kant diese Schwierigkeit beseitigt, indem er das Prinzip der Selbstbewegung der Materie einführte, von dem er die Proportionalität der lebenden Kräfte zum Quadrat der Geschwindigkeit ableitete und gleichzeitig die lineare Abhängigkeit beibehielt. Die gedankliche Verarbeitung der Evolution des Begriffes der Bewegung ist auch charakteristisch für andere Arbeiten Kants: „Die Frage, ob die Erde vom physikalischen Standpunkt aus altert“; „Untersuchung der Frage, ob die Erde bei ihrer Umdrehung um ihre Achse, dank derer Tag und Nacht einander abwechseln, seit ihrer Entstehung einige Veränderungen erfahren hat“; „Neue Theorie der Bewegung und der Ruhe“ u. a. Gestützt auf die Allgemeingültigkeit des Leitsatzes, dass alles in der Natur Entstehende seinem Ende entgegengeht, hat der Philosoph auch den Beginn und das Ende der Existenz der Erde als 553 physikalischer Körper gewissenhaft begründet. Das wichtigste - Kant war bemüht, die Allgemeinheit der Bewegung, die Einheit der aufsteigenden und der absteigenden Richtung in der Geschichte zu beweisen. In der Arbeit „Untersuchung der Frage, ob die Erde... einige Veränderungen erfahren hat“ hat Kant den wichtigen Gedanken aufgegriffen, dass Erde und Mond nicht plötzlich entstanden sind, sondern sich in der Zeit, im Entwicklungsprozess geformt haben. Für das frühe Schaffen Kants sind jedoch auch Zwiespältigkeit und Widersprüchlichkeit charakteristisch. Sie zeigten sich darin, dass Kant einerseits die Selbstbewegung der Materie anerkannte, er sich andererseits jedoch bemühte, die Bewegung als mechanisch, als äußerlich im Verhältnis zur Materie zu interpretieren. Das Gleiche geschah mit dem Raum: nach Newton behandelte er den Raum als Behältnis, aber gleichzeitig als etwas mit der Materie Verbundenes, Sekundäres im Verhältnis zu ihr. Unter den naturwissenschaftlichen und philosophischen Werken des vorkritischen Kant nimmt seine „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ einen besonderen Platz ein. Diesem Werk gehört in der Geschichte der Wissenschaft und Philosophie zweifellos ein hervorragender Platz. Der Problemstellung und der Erfassensbreite nach übertraf es sogar die entsprechenden Arbeiten von Laplace. Wie bekannt, hat die Theorie von Kant und Laplace die Geister der Gelehrten mehr als 200 Jahre lang beschäftigt. F. Engels schrieb unter Hervorhebung der methodologischen und theoretischen Bedeutung dieser Arbeiten des Denkers aus Königsberg: „Die Kantische Theorie von der Entstehung aller derzeitigen Himmelskörper aus sich drehenden Nebelmassen war die größte Errungenschaft der Astronomie seit Kopernikus. Erstmals wurde die Vorstellung erschüttert, dass die Natur keine Geschichte in der Zeit hat... In diese Vorstellung, die der metaphysischen Denkweise durchaus entsprach, hat Kant die erste Bresche geschlagen und hat das dermaßen wissenschaftlich getan, dass die Mehrzahl der von ihm angeführten Argumente ihre Beweiskraft bis heute erhalten hat.“ 4 Tatsächlich bestand eine wichtige Bedeutung der erwähnten Arbeit Kants darin, dass in die wissenschaftliche Untersuchung des Gegenstandes das Prinzip der Entwicklung, des Historismus eingeführt wurde. Sich auf dieses Prinzip stützend, hat Kant sich bemüht, die Schwierigkeiten, die es bei der Erklärung der Ganzheit gab, zu lösen und zu überwinden. Vor Platon war die Aufmerksamkeit bei der Erklärung der Natur des Ganzen auf jene Elemente konzentriert, aus denen ein konkretes Ganzes besteht. Als solche Elemente wurden Wasser, Luft, Atome usw. angesehen. Sokrates und Platon haben erstmals in der Geschichte der Philosophie den Gedanken geäußert, dass die Ganzheit nicht einfach auf die Elemente der Materie zurückgeführt werden kann, dass etwas Allgemeines notwendig ist, eine Idee, die jedem Gegenstand zu Grunde liegt und ihn zu dem gegebenen Gegenstand macht. Sie haben dabei dem Einzelnen, aus dem das Konkrete besteht, fast keine Bedeutung beigemessen. Als Begründung eines ganzheitlichen Gegenstandes ließ Aristoteles sowohl das eine wie das andere zu, hat jedoch ihre wahre Einheit nicht begriffen. Die Ganzheit, das Wesen werden laut Aristoteles ausschließlich durch die Form bestimmt, da die Materie passiv ist, die Form jedoch aktiv. Deshalb nahm er an, dass zur logischen Formulierung über den Gegenstand nur Elemente der Form (des Allgemeinen) gehören, nicht jedoch Elemente der Materie. „Die Formulierung des Begriffes des Kreises schließt nicht die Bezeichnung von Abschnitten ein“, schrieb er. „Zur Formulierung des Stils gehört die Bezeichnung seiner Elemente, indessen teilt sich der Kreis in Abschnitte (genauso) wie der Stil in Elemente.“ 5 Seine Ansicht begründete er damit, dass die Elemente (des Stils) Teile der Formulierung seien, die die Form bezeichnet, und keine Materie. Die Abschnitte stellten indessen Teile im Sinne jener Materie dar, in der sich die Form realisiert. 6 Die Schwäche eines solchen Verständnisses der Frage besteht darin, dass Aristoteles den inneren 554 Zusammenhang von Materie und Form, von Allgemeinem und Einzelnen nicht aufdecken konnte. „Der Mensch hat Schwierigkeiten mit der Dialektik von Allgemeinem und Einzelnem“, 7 bemerkte Lenin, als er die „Metaphysik“ von Aristoteles konspektierte. Kant hat im Verhältnis zu Aristoteles einen Schritt vorwärts getan. In seiner Arbeit „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ hat er den Gedanken umgesetzt, dass die Form (das Allgemeine) nicht ursprünglich existiert, sondern im Ergebnis der natürlichen Entwicklung der formlosen Materie selbst entsteht. Ursache der Bewegung und der Gestaltung der Materie ist das Vorhandensein „verschiedener Elemente“ in ihr. Wenn eine ursprüngliche Identität und Homogenität der Elemente der Materie möglich wäre, würde das eine Entwicklung ausschließen. Deswegen ist die Form, das Allgemeine das Ergebnis der Bewegung der Materie selbst. „Die einfachsten und gemeinschaftlichsten Eigenschaften, die scheinbar ohne jegliches Ziel existieren, die Materie, die vollkommen träge und der Form und Organisation bedürftig erscheint, bergen schon in ihren einfachsten Zuständen das Streben nach vollkommenerem Bau durch natürliche Entwicklung. Am meisten wird jedoch die Ordnung der Natur und ihr Verlassen des Zustandes des Chaos’ durch das Vorhandensein von verschiedenen Arten von Elementen gefördert, dank dessen die Ruhe gestört wird, die herrschen würde, wenn die zerstreuten Elemente in jeder Hinsicht gleichartig wären.“ 8 Dass sich die Elemente bewegen, weil sie verschiedenartig sind, war schon seit Leukipp, Demokrit und Aristoteles bekannt. Demokrit stellte eine Theorie auf, die die Entstehung unzähliger, ständig entstehender und vergehender Welten durch Bewegung verschiedenartiger Elemente erklärte. Aristoteles zerstörte dieses System mit der Begründung, dass Atome und überhaupt Körper unabhängig von Größe und Gewicht im luftleeren Raum mit gleicher Geschwindigkeit und parallel zueinander fallen, d. h. sie können weder zusammenstoßen noch sich zu irgendwelchen Kombinationen (Vereinigungen) verflechten. Aristoteles hat auf diese Art versucht, die atomistische Erklärung der Welt zu überwinden. Kant hat nach Newton und anderen seiner Vorgänger des 17. - 18. Jahrhunderts das System von Leukipp und Demokrit wiederhergestellt und es ergänzt und vervollkommnet. Zur Erklärung des Weltalls schlug Kant vor, außer der Verschiedenartigkeit der Elemente die besonderen Kräfte der Anziehung und Abstoßung zu berücksichtigen. „Indem ich mir die Welt im Zustand des einfachsten Chaos’ vorgestellt habe“, schrieb Kant, „habe ich die große Ordnung der Natur durch die Kraft der Anziehung und die Kraft der Abstoßung erklärt, - zwei Kräfte, die gleichermaßen unbestreitbar, gleichermaßen einfach und gleichzeitig... allgemein sind“. 9 In der Auslegung Kants ist die Bewegung, die Selbstbewegung der Materie die Folge ihrer Widersprüchlichkeit. Die Kräfte der Anziehung und der Abstoßung formen und regen Weltsysteme aus dem Chaos der zerstreuten Materie zum Leben an und zerstören sie auch wieder, um aus den Trümmern neue zu schaffen. Der Kampf der gegensätzlichen Kräfte geht sowohl im einzelnen Atom wie auch in grandiosen kosmischen Systemen vor sich. Die Wechselwirkung der Kräfte der Anziehung und der Abstoßung, ihr beständiger Kampf sichern, so Kant, die Unendlichkeit des kosmogonen Prozesses in Raum und Zeit. Gerade dank dieser Kräfte wird jene Bewegung geboren, die das ewige Leben der Natur bedingt. Wenn es Materie gibt, nahm Kant an, so ist sie unbedingt mit einer Anziehungskraft begabt, die von Newton als Eigenschaft materieller Körper, als Gesetz, dem alle Naturerscheinungen unterworfen sind, bewiesen wurde. Materie existiert ewig, ändert in einer unendlichen Vielfalt von Elementen und deren Kombinationen unaufhörlich die Form ihres Seins. Welten entstehen, verschwinden und entstehen erneut, und dieser Prozess kennt weder Anfang noch Ende - sowohl im Raum als auch in der Zeit. Nach Kant vereinigen sich kraft innerer Gesetze die Atome und zerlegen sich auch wieder, ähnlich, wie Welten entstehen und im Ergebnis dieser Prozesse wieder vergehen, um als Material zu dienen, aus dem die Natur neue Systeme aufbaut. 555 Kant nahm an, dass eine für sich genommene Anziehung nur eine einseitige Veränderung hervorrufen kann, und deswegen sichert nur das Vorhandensein einer Abstoßung den Kreislauf, die „Stetigkeit des Lebens der Natur“. Der Vorzug der Kantischen Erklärung der Entstehung des Sonnensystems besteht gerade darin, dass er die Wechselwirkung der materiellen Kräfte der Anziehung und Abstoßung für vollkommen ausreichend hielt, während Newton die Bewegung der Planeten nicht ohne einen Anstoß, d. h. nicht ohne Gott erklären konnte. Nach Kant jedoch „endet der Entwicklungszyklus eines beliebigen Systems damit, dass alle seine Körper unter der Wirkung der Anziehung auf einen zentralen Körper fallen und die dabei frei werdende ungeheure Wärmemenge derartige Abstoßungskräfte hervorbringt, dass sich die Materie aufs Neue zerstreut, wonach ein neuer Prozess der Formung eines Systems beginnt.“ 10 Indem er die Bewegung nicht nur als mechanische Ortsverlagerung unter Einwirkung äußerer Kräfte, sondern als Ergebnis der Wechselwirkung zweier gegeneinander gerichteter, widersprüchlicher und für Materieinneres charakteristischer Kräfte verstand, bemühte sich Kant, die Grenzen der mechanistischen Auffassung seiner Zeit zu überwinden. Zur Grundlage seiner Überlegungen machte Kant jene Eigenschaften des Sonnensystems, auf die schon Kepler, Newton und andere aufmerksam gemacht hatten. Es geht darum, dass alle Planeten und ihre Satelliten komplizierte, jedoch immer kreisförmige Bewegungen machen: Sie kreisen um die Sonne, um ihre eigene Achse und nebeneinander in der gleichen Richtung und auf der ungefähr gleichen Ebene. Descartes suchte den Grund und fand ihn in den Wirbeln der Materie, die auch heute noch die Planeten um die Sonne tragen sowie die Satelliten - um die Planeten usw. Newton lehnte die Hypothese von Descartes mit der Begründung ab, dass die Bewegung feinster Hüllen und Schweife von Kometen dadurch nicht erklärt werde. „Die Kometen“, schrieb er, „jagen durch alle Gebiete des Himmels auf sehr exzentrischen Bahnen. Infolge derartiger Bewegung durchfliegen die Kometen die Umlaufbahnen der Planeten sehr leicht und schnell; in ihrem Aphelium, wo sie sich langsamer bewegen und länger aufhalten, sind sie sehr weit voneinander entfernt und ziehen einander sehr wenig an. Eine derartig elegante Vereinigung von Sonne, Planeten und Kometen konnte nicht anders zustande kommen als durch Willen und Macht eines mächtigen und weisen Wesens.“ 11 Indem er Gott als Grund für die Bewegung der Himmelskörper vorschlug, war Newton nicht originell. Die Wurzeln einer solchen Erklärung finden wir bei Aristoteles, der als Begründung der Einheit der Welt, des Weltalls einen höheren Intellekt, die Form der Formen vorschlug. Die Schwierigkeiten beim Verständnis der komplizierten Gesetzmäßigkeiten des Sonnensystems, die Newton hatte, wurden wesentlich später wissenschaftlich von Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gelöst. Auf dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten ist die Fragestellung und ihre Lösung durch Kant um so bedeutender. Die Wichtigkeit der Kantischen Betrachtung besteht darin, dass er die Quelle der Gestaltung in der Materie selbst sah. Während in der Deutung von Aristoteles die Materie passiv ist und erst die Form ihr Vollendung verleiht; während auch in der Newtonschen Physik das Weltall keine natürliche Geschichte hat und seine Erklärung nur die gegenwärtige Struktur und seinen Zustand umfasst, hat Kant sich die Geschichte des Kosmos als einen ewigen Prozess der Veränderung der Materie vorgestellt. „Es sind vielleicht Millionen von Jahren vergangen“, schrieb er, „ehe diese Sphäre der sich herausbildenden Natur, in der wir existieren, die ihr jetzt eigene Vollkommenheit erreicht hat; vielleicht vergeht noch einmal soviel Zeit, ehe die Natur den nächsten genauso großen Schritt vorwärts im Chaos tut; die Sphäre der sich gestaltenden Natur befasst sich ständig mit ihrer Erweiterung. Die Erschaffung der Welt ist nicht Sache eines Augenblicks. Begonnen mit der Schaffung einer unendlichen Vielzahl von Substanzen und Materien, setzt sie sich in der Ewigkeit mit wachsendem Fruchtbarkeitsgrad fort“. 12 556 Die Geschichte der Welt hat weder Anfang noch Ende. Das Weltall ist unendlich und im Ganzen unsterblich, jedoch in jedem seiner einzelnen Teile relativ, endlich und vergänglich. Das Sonnensystem ist das Ergebnis einer gesetzmäßigen historischen Entwicklung und muß deshalb wie alles Historische - mit dem Lauf der Zeit vergehen. In den einen Systemen erlöschend, entflammt das Leben in anderen aufs Neue, und insgesamt ist der Prozess der Weltenbildung unendlich. Alles, was endlich ist, was einen Beginn und eine Herkunft hat, trägt das Zeichen seiner Begrenztheit. Es muß vergehen und ein Ende haben. „In der unüberwindbaren Neigung jedes voll ausgebildeten Weltalls kann man ein Argument für den Beweis dafür sehen, dass als Gegengewicht das Weltall an anderen Orten neue Welten bilden wird, um den Verlust auszugleichen, der ihm an irgendeinem Ort zugefügt wurde“. 13 Kant ließ sich vom Prinzip der natürlichen Entwicklung der Materie leiten und zeichnete ein überzeugendes Bild der Entstehung von Sonne und Planeten. Das große Verdienst Kants besteht darin, dass er sich nicht auf die Beschreibung des allgemeinen Prinzips der Entstehung von Sonne und Planeten beschränkt hat, sondern es verstand, konkrete Details und Besonderheiten des den zeitgenössischen Astronomen bekannten Mechanismus der Entstehung von Sonne und Planeten aufzuzeigen. In seiner kosmologischen Hypothese fanden die Formen der Planetenbahnen, die Bedeutungslosigkeit der Exzentrik der Ellipsen dieser Bahnen, das umgekehrte Verhältnis der Dichte der Planeten zu ihrem Abstand von der Sonne, das Verhältnis von Masse und Umfang der Planeten und ihrem Abstand von der Sonne, die Existenz der Saturnringe, sowie auch die Entstehung der Planetensatelliten und des Mondes ihre Erklärung. * * * Die kritische Periode im Schaffen Kants wird deshalb so bezeichnet, weil er in ihr seine drei berühmten kritischen Arbeiten verfasst hat: „Kritik der reinen Vernunft“, „Kritik der praktischen Vernunft“, „Kritik des Urteilsvermögens“. Während der „vorkritische“ Kant noch in das allgemeine Schema der vorangegangenen Philosophie passte, machte er in der „kritischen“ Periode den Versuch, Wissenschaft und Philosophie anders zu erfassen, einen Umschwung im traditionellen Verständnis der Philosophie selbst herbeizuführen. Kant hat jedenfalls die Aufgabe seiner kritischen Arbeiten selber so verstanden. Als Grund für das Entstehen einer derartig grandiosen Aufgabenstellung diente der Umstand, dass zu dieser Zeit Metaphysik und Logik eine tiefe Krise erlebten. Die dogmatische Philosophie und die traditionelle Logik waren nicht nur nicht im Stande, das Material der sich entwickelnden Wissenschaft theoretisch richtig zu verallgemeinern, sondern auch ihre eigenen fundamentalen Thesen apodiktisch zu begründen und kritisch zu beweisen. Die frühere Metaphysik war hauptsächlich bestrebt, den absoluten Beginn der Welt, „den Stillstand der Natur der Seele“, das Sein Gottes usw. zu begründen. Nach Meinung von Kant gingen die Philosophen damit über die Grenzen jeglicher Erfahrung hinaus, ohne vorher die Natur der menschlichen Vernunft selbst einer kritischen Analyse und Kritik unterzogen zu haben. Es wurden viele illusorische dogmatische Systeme geschaffen, die sich beständig im Kriegszustand miteinander befanden und einander ununterbrochen ablösten. „Wegen der inneren Kriege“, schrieb Kant, „ist die Herrschaft der Metaphysik allmählich zu einer vollkommenen Anarchie degeneriert, und die Skeptiker - eine Art von Nomaden, die jegliche ständige Bodenbearbeitung verachten - haben von Zeit zu Zeit die zivile Einheit zerstört“. 14 Aus diesem Grund herrschte in der geistigen Atmosphäre völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Metaphysik. Während früher die Metaphysik „Königin aller Wissenschaften„ genannt wurde, „ist es in unserer Zeit Mode geworden, ihr vollkommene Verachtung entgegenzubringen“. 15 Ein 557 derartiges Verhältnis zur traditionellen Metaphysik ist durchaus verständlich, weil es, wie Kant bemerkte, zu seiner Zeit „unmöglich war, auch nur auf ein einziges Buch zu verweisen, wie man z. B. auf Euklid [„Grundsätze“] zeigt, um zu sagen: hier ist die Metaphysik, hier findet ihr das wichtigste Ziel dieser Wissenschaft“. 16 Seine kritische Beziehung zur Metaphysik hat Kant auch schon früher zum Ausdruck gebracht. Und dieses Verhalten wurde hervorgerufen durch die Krise der Metaphysik im 17./18. Jahrhundert, besonders durch die Krise jener philosophischen Schule, die von Leibniz und Wolff vertreten wurde. Ausgangspunkt der Kantischen Überlegungen ist die Gegenüberstellung von Mathematik und Naturwissenschaften, die er zu den exakten Wissenschaften rechnete, und der Metaphysik (Philosophie), die nicht im Stande ist, exaktes Wissen über einen Gegenstand zu vermitteln. Überhaupt war Kant nicht der erste, der eine solche Einschätzung traf. Von der Reife und Überlegenheit der Mathematik gegenüber der Philosophie haben Descartes und Spinoza mehrere Male geschrieben, und sogar Hume vermerkte die Gesamtheit und Notwendigkeit der Mathematik. Kant hat schon in seiner vorkritischen Periode den Gedanken von der Überlegenheit der Mathematik und Naturwissenschaft über die Philosophie in solchen Arbeiten, wie z. B. „Untersuchung des Grades der Klarheit der Prinzipien der Naturtheologie und der Moral“, „Bekanntmachung des Planes der Vorlesungen für das Winterhalbjahr 1765/66“, „Träume eines Geistersehers, erklärt durch Träume der Metaphysik“, „Brief an Moses Mendelssohn“ aufgegriffen. In der ersten der oben genannten Arbeiten schrieb Kant, die mathematische Definition mit der philosophischen vergleichend: „Für die Mathematik ist es ein Glück, wenn ein Geodät, seine Aufgabe falsch begreifend, sich mit ... analytischen Definitionen befasst und bei ihm dabei nichts herauskommt oder seine Schlußfolgerungen ihrem Wesen nach eine mathematische Definition darstellen; anderenfalls befände sich diese Wissenschaft in der Gewalt der gleichen unglücklichen Differenzen wie die Philosophie“. 17 Nach ausführlicher Analyse des prinzipiellen Unterschiedes zwischen Mathematik und Philosophie, der philosophischen Erkenntnis, und im Ergebnis dieser Analyse der Mathematik den Vorzug gebend, schrieb Kant: „Philosophische Erkenntnisse haben zum größten Teil das Schicksal von Meinungen und sind Meteoren ähnlich, deren Helligkeit nichts über ihre Lebensdauer aussagt. Sie verschwinden, die Mathematik bleibt jedoch bestehen. Die Metaphysik ist zweifellos die schwierigste aller menschlichen Erkenntnisse, aber sie wurde bisher noch nicht aufgezeichnet“. 18 Die Ursache für einen solchen Zustand der Philosophie (Metaphysik) sah Kant darin, dass in allen Wissenschaften ein gewisses Maß existiert; in der Philosophie jedoch hat jeder sein eigenes Maß. Zwar hat Kant diese scharfen Urteile in seinen Briefen an Moses Mendelssohn gebeten, nur als Einschätzung des Zustandes der zeitgenössischen Metaphysik zu verstehen und nicht als Bestrebung, ihre Bedeutung vollkommen zu verneinen. „Ich bin fern davon“, schrieb Kant, „die Metaphysik selbst, objektiv betrachtet, als unbedeutend oder überflüssig anzusehen, besonders seit dem Moment, als ich, wie mir scheint, ihre Natur und ihren wahren Platz unter den menschlichen Erkenntnissen begriffen habe, so dass ich überzeugt davon bin, dass von ihr sogar das wahre und übrige Wohl des Menschengeschlechts abhängt“. 19 Hier stellt sich zu Recht die Frage: Was hat Kant selbst Neues in die Philosophie eingebracht, was hat er an Stelle jener Metaphysik, die er so scharf kritisierte, geschaffen? Vor allem wollen wir festhalten, dass die Kritik der Metaphysik, die Kant in seinen vorkritischen Forschungen geübt hat, sporadischen Charakter trägt; sie geht noch nicht über den Rahmen jener Kritik hinaus, die wir z.B. in den philosophischen Arbeiten von Descartes und Leibniz finden. Eine völlig andere Eigenschaft erlangt die Kantische Kritik der Metaphysik in der zweiten 558 Periode seines Schaffens. Sie wird in Inhalt und Form global und universell. In seinem Hauptwerk („Kritik der reinen Vernunft“) hat Kant nicht einzelne Bücher oder philosophische Probleme der Kritik unterworfen, sondern die ganze menschliche Vernunft, alle Grundformen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Er bemühte sich, die allgemeine Bedingung der Wissenschaftlichkeit zu begründen, die Vorzüge und Mängel der Mathematik, der Naturwissenschaft und Metaphysik aus der Kritik an den Grundformen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit - dem Verstand und der Vernunft - abzuleiten, wollte die exakte Bedingung von wissenschaftlichem, unbestreitbarem Wissen herausfinden und die Grenzen der menschlichen Erkenntnis bestimmen. Nachdem er sich diese Aufgabe gestellt hatte, kritisierte Kant auf neue Art die gesamte frühere Metaphysik. Er ging davon aus, dass, wenn man die gesamte Geschichte der Philosophie überblickt, man klar erkennen kann, dass sie aus verschiedenen philosophischen Systemen zusammengesetzt ist. Dabei hat jedes System sich daran gemacht, solche Fragen zu lösen, wie den absoluten Beginn der Welt oder das Vorhandensein von Gott und auf dieser Grundlage Anspruch auf den Besitz der alleinigen Wahrheit erhoben. Da dieses Streben allen philosophischen Systemen eigen war, hat jedes folgende jeweils das vorangegangene vollkommen widerlegt. Eine solche Lage der Dinge hat nur endlose Streitigkeiten hervorgerufen, der Wahrheit jedoch nicht näher gebracht. Die Ursache für diesen Zustand der Metaphysik sah Kant darin, dass die philosophischen Systeme nicht wirklich begründet waren; sie wurden ohne vorherige kritische Analyse jenes Fundamentes errichtet, auf dem sie ruhen sollten, sowie darin, dass ungeachtet des Vorhandenseins einzelner apodiktischer Begründungen (die Kant als analytisch ansah) ihre hauptsächlichen theoretischen Thesen nicht kritisch begründet und aus der einzigen Vernunft abgeleitet waren. Gerade diese Mängel der früheren Metaphysik waren nach Kants Meinung nicht nur der Grund für die Diskreditierung der Philosophie, sondern brachten auch einen Skeptizismus hervor, bei dem die Vernunft gegen sich selbst handelt. Eine derartige Denkweise konnte nur bei völligem Zweifel daran entstehen, dass eine befriedigende Lösung der Aufgaben der Vernunft zu erzielen ist. Und doch ist der Skeptizismus im Verständnis Kants eine höhere Stufe der philosophischen Entwicklung, ist schon ein zweiter Schritt in den Fragen der reinen Vernunft, der „von Umsicht bei der Urteilsfähigkeit zeugt, die die Schule der Erfahrung durchlaufen hat“, während der Dogmatismus nur der erste Schritt auf dem Wege der Entwicklung der reinen Vernunft ist, die durch ihr Kindesalter charakterisiert ist. Unter den Skeptikern hob Kant besonders Hume hervor, den er immer für einen scharfsinnigen Denker hielt. Kant sah jedoch, dass Hume nicht die Möglichkeit des apriorischen synthetischen Wissens zulassen konnte, dass er die Allgemeinheit und Notwendigkeit logischer Kategorien, besonders des Prinzips der Kausalität für unbedeutend und nur als Folge subjektiver Gewohnheit betrachtete. Hume hat nach Kants Ansicht die Art und Weise der Synthese durch den Verstand mit der Art und Weise der Synthese durch die Vernunft vermischt und aus der Gegenstandslosigkeit der Begriffe der Vernunft den Schluß über die Gegenstandslosigkeit der Kategorien des Verstandes abgeleitet. „Der Skeptiker Hume“, schrieb Kant, „hat diese zwei Arten von Urteilen nicht unterschieden, obwohl er es hätte tun müssen, und hat eine solche Selbstbereicherung von Begriffen und sozusagen die Selbsterzeugung unseres Verstandes (gemeinsam mit der Vernunft) ohne Befruchtung durch die Erfahrung für unmöglich gehalten; deshalb hielt er alle angenommenen apriorischen Prinzipien für imaginär und fand, dass sie nicht mehr als eine aus der Erfahrung und ihren Gesetzen entstehende Gewohnheit, also empirisch, d. h. an und für sich zufällige Regeln sind, denen wir eine angebliche Notwendigkeit und Allgemeinheit zuschreiben“. 20 559 Ein weiterer Mangel der skeptischen Methode von Hume besteht darin, dass er keine systematische Übersicht aller Arten der Synthese gegeben hat, die der Verstand a priori vornimmt, nicht den Unterschied zwischen den verstandesmäßigen Begründungen und den dialektischen Ansprüchen der Vernunft herausstellt. Deswegen hat Hume nur den Verstand eingeengt, indem er seine Grenzen nicht bestimmte, und hat Mißtrauen gegenüber unserer gesamten Erkenntnis hervorgerufen. „Deshalb“, schlußfolgerte Kant, „geschieht mit ihm das, was jeglichem Skeptizismus schädlich ist, denn seine Ansichten stellen sich selbst in Zweifel, weil seine Einwände nur auf zufälligen Fakten beruhen, nicht jedoch auf Prinzipien, die unweigerlich zur Absage an das Recht auf dogmatische Behauptungen führen könnten“. 21 Auf diese Weise hat die skeptische Methode bei der Erforschung der Vernunft nur eine vorübergehende Bedeutung, der Skeptizismus ist nur eine „Rast für die menschliche Vernunft“, um „ihre dogmatische Wanderung zu überdenken“ und den rechten Weg zu wählen, d. h. den dritten Schritt zu tun, nämlich sich der kritischen Methode zuzuwenden, die nach Meinung Kants die reifste Fähigkeit des Urteils ist. „Dieser Schritt besteht darin“, erklärte Kant, „dass nicht die Fakten der Vernunft, sondern die Vernunft selbst vom Standpunkt ihrer Fähigkeit und Tauglichkeit für rein apriorisches Wissen eingeschätzt wird. Das ist keine Zensur, sondern die Kritik der Vernunft, mit deren Hilfe auf der Grundlage von Prinzipien nicht nur die Schranken, sondern bestimmte Grenzen des Verstandes, nicht nur das Nichtwissen in allen möglichen Fragen einer bestimmten Art erraten, sondern auch bewiesen werden kann“. 22 So kann also der Skeptizismus, der in der Lage ist, die ohne wirkliche Kritik an ihren Grundlagen anstellenden Dogmatiker zu verwirren, der Bewegung der menschlichen Vernunft, die ein wirkliches Fundament hat, keine Schranken setzen. Die kritische Methode erforscht die Natur der reinen Vernunft selbst. Und gerade deswegen ist die Kritik der alten Philosophie im Unterschied zum Skeptizismus nicht auf die Negierung der Metaphysik insgesamt ausgerichtet, sondern umgekehrt ist „Kritik die unabdingbare Voraussetzung für die Unterstützung der soliden Metaphysik als Wissenschaft“. 23 Nachdem er sich die positive Aufgabe der Begründung der zukünftigen Metaphysik gestellt hatte, hielt Kant es für notwendig, zur Freilegung des Weges für die Entstehung einer solchen Wissenschaft die Schaffung aller möglichen neuen philosophischen Systeme solange zu unterbrechen, wie nicht die allgemeinen Bedingungen der menschlichen Erkenntnistätigkeit, die allgemeinen Bedingungen für die Begründung theoretischen, synthetischen und apodiktischen Wissens analysiert sind. Deshalb reduziert sich im Verständnis Kants die Frage nach der Möglichkeit der Wissenschaft und Philosophie auf die Frage nach der Möglichkeit des theoretischen Wissens auf diesen Gebieten, die Möglichkeit des allgemeinen theoretischen Wissens, deren Begründung die Reform aller vorangegangenen Philosophie und Logik erfordert. Kant hat sich nicht das Ziel gestellt, alle Weltprobleme zu lösen, die Struktur der Welt insgesamt zu erklären, wie das bei der vorherigen Philosophie der Fall war. Er beschränkte sich auf die Aufgabe, die allgemeine Bedingung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens zu begründen, die Möglichkeiten des synthetischen apriorischen Wissens zu bestimmen. Wie schwierig dieses Unterfangen war, begriff der Philosoph sehr deutlich und hat deshalb mehrere Male unterstrichen, dass es schwieriger ist, eine befriedigende Lösung dieser Aufgabe zu finden (d. h. eine Begründung des synthetischen Wissens a priori zu geben), als mehrere philosophische Systeme zu erstellen. Jedoch hatte schon der Versuch einer Lösung eine große Bedeutung in der Geschichte der Logik und der Erkenntnistheorie, weil er ein entschiedenes Lossagen vom alten Denkstil und der traditionellen Logik verlangte und der Begründung einer vollkommen neuen Logik bedurfte, in der die Prinzipien der Dialektik, die Kategorien des Denkens eine wesentliche Bedeutung haben. 560 Das traditionelle gnoseologische Dilemma In der vorkantischen Philosophie bekämpften sich bei der Begründung der Natur des Wissens hauptsächlich zwei Richtungen - Rationalismus und Empirismus, die bei allen Unterschieden doch etwas Gemeinsames hatten. Den Erkenntnisprozess, die Erkenntnistätigkeit erklärten sie psychologisch, d. h. als Subjekt der Erkenntnis galt nicht die Gesellschaft, das Gattungssubjekt, sondern das einzelne, isolierte Individuum. Deswegen betrachteten sie auch die Gnoseologie nicht als Lehre vom Mechanismus der Erkenntnis, der Erkenntnistätigkeit des Individuums. Der Rationalismus ließ freilich eine gewisse Aktivität des erkennenden Subjektes (Individuums) zu. Das änderte jedoch nichts an dem Wesen der Sache, und die erkenntnistheoretische Position sowohl des Rationalismus als auch des Empirismus blieb insgesamt passiv-kontemplativ. Die wichtigsten Vertreter des Rationalismus - R. Descartes, B. Spinoza, G. Leibniz - gingen davon aus, dass das Empfinden, das Sinnliche überhaupt nicht die Quelle des wahren Wissens sein kann. Als wirkliche Quelle des Wissens betrachteten sie die reine Selbstbetätigung des Subjektes, d. h. seine Vernunft. Deshalb verwiesen die Rationalisten in ihrer Gnoseologie auch nicht auf den Gang der Entstehung von Ideen, Begriffen, sondern benutzten sie in ihrer Eigenschaft als fertige Bestimmungen (z. B. Substanz, Unendlichkeit, Ausdehnung und dgl.). Bei der Struktur des theoretischen wissenschaftlichen Wissens richteten die Rationalisten ihr Hauptaugenmerk auf die Absolutheit, die unmittelbare Unbestreitbarkeit, Klarheit und Bestimmtheit der Ausgangsthesen. Deshalb hat Descartes die Unzulänglichkeit der vorhergehenden Philosophie, der Gnoseologie, im Fehlen fester, unbedingt wahrhaftiger Ausgangsthesen gesehen. „Nicht eine einzige Schlußfolgerung“, schrieb Descartes, „die aus einer nicht offensichtlichen Ursache gezogen wird, kann offensichtlich sein, und wenn sie auch auf die offensichtlichste Weise gezogen worden ist. Daraus folgt, dass nicht ein einziger Syllogismus, der auf dergleichen Ursachen beruht, zur wahren Erkenntnis von irgend etwas führen konnte und dass sie folglich nicht einen einzigen Schritt zum Auffinden der Weisheit tun kann“. 24 Als Ideale für die Wissenschaft stellte er die Arithmetik und Geometrie hin, bei denen alles aus klaren und einfachen Prinzipien heraus erfolgt. Alle Wissenschaften, darunter auch die Philosophie, können ihren Thesen den Charakter der Allgemeinheit verleihen, wenn sie sich der Methoden dieser Wissenschaften bedienen. Descartes war überzeugt, dass jegliches Wissen, das nicht auf derartigen Prinzipien und Grundlagen beruht, wahrscheinlich, doch nicht wirklich vorhanden ist. Wissen hat nur deshalb einen bestimmten Wert, weil es sich auf unmittelbar offensichtliche Prinzipien und Thesen stützt, die uns unbedingt zu den wahren Zielen führen. Wer sich jedoch bei der Begründung der Wissenschaft auf falsche Prinzipien stützt, ist dem Wanderer gleich, der sich immer weiter von seinem Ziel entfernt. Das Descartes’sche Verständnis des Ausgangsprinzips der Natur des wissenschaftlichen Wissens hat eine große Rolle in der neuen Philosophie gespielt und wurde in den Werken vieler Rationalisten weiterentwickelt. In seiner Lehre behandelt er die Ausgangsbegründung der Wissenschaft vor allem als unbedingt wahr, unmittelbar, absolut nicht ableitbar und offensichtlich. Wenn sie ableitbar wäre, wäre sie nicht unbedingt einfach und offensichtlich, da in diesem Falle irgendeine andere Begründung existieren würde, die primärer wäre. Die Prinzipien des wissenschaftlichen Wissens müssen nach der Meinung Descartes’ wahrhaft primär sein. Natürlich hat er die intuitive Art der Erkenntnis für richtiger gehalten als die deduktive, da die Intuition es gestattet, unmittelbar einfache, klare und deutliche Grundlagen des wissenschaftlichtheoretischen Wissens wahrzunehmen und zu betrachten. Indem er der Intuition den Vorzug gab, hielt Descartes auch die Deduktion für notwendig, da „es viele Sachen gibt, die, obwohl nicht offensichtlich, doch der wahren Erkenntnis zugänglich sind, 561 wenn sie aus wahren und verständlichen Prinzipien jeder einzelnen These durch konsequente und an keiner Stelle unterbrochene Bewegung des Gedankens bei scharfer Intuition abgeleitet werden“. 25 Nach Descartes sind die Ausgangsprinzipien des wissenschaftlichen Wissens nicht nur offensichtlich, sondern auch absolut. Das Bedingte wird von ihm als etwas verstanden, was etwas mit dem Absoluten gemein hat, dank dessen es mit ihm in Wechselbeziehung steht und von ihm abgeleitet ist. Die Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Erkenntnis sah Descartes darin, vom Bedingten zum Absoluten zu gelangen, von dem dann konsequent alle Leitsätze der Wissenschaft abgeleitet werden. Er meinte, dass es in Wissenschaft und Philosophie sehr wenig absolute, klare und deutliche Begriffe gibt. Sogar viele mathematische Thesen halten keiner strengen Kritik stand. Deshalb müssen sie gewissenhaft festgehalten werden. Sie sind die einfachsten in jeder Reihe. „Alle anderen können wir nicht anders erkennen“, schrieb Descartes, „als durch ihre Ableitung aus diesen Dingen entweder unmittelbar und direkt, oder mittels zwei - drei verschiedener Schlüsse..., deren Anzahl ebenfalls festgehalten werden muß, um zu wissen, um wie viele Grade sie von der ersten einfachsten These entfernt sind“. 26 Wichtige Bedingung des vollkommenen Wissens ist nach Meinung Descartes die theoretische Methode, die hilft, die Intuition und die Deduktion richtig zu nutzen. „Unter der Methode“, schrieb Descartes, „verstehe ich exakte und einfache Regeln, deren strikte Beachtung immer daran hindert, das Falsche für das Wahre zu nehmen und die ohne überflüssige Vergeudung geistiger Kräfte, aber allmählich und ununterbrochen das Wissen vergrößernd, dazu beiträgt, dass der Geist die wahre Erkenntnis alles dessen erreicht, was ihm zugänglich ist“. 27 Die Hauptaufgabe der Methode besteht nach Descartes darin, das einfache, absolute Prinzip der Wissenschaft aufzudecken, von dem man sich leiten lassen muß, um zur Erkenntnis aller anderen zu gelangen. „Immer mit den einfachsten und leichtesten Dingen beginnen“, schrieb er, „und niemals zu anderem übergehen, bevor man nicht sieht, dass man aus ihnen nichts mehr herausholen kann“. 28 Einen Vorzug der mathematischen Wissenschaft sah der Gelehrte darin, dass in ihr lange Zeit spontan die theoretische Methode angewandt wurde. Descartes war überzeugt, dass die Methode die ihr gebührende Entwicklung in allen Wissenschaften findet, besonders in der Philosophie, über die er schrieb, dass „sie allem anderen Wissen, das uns Menschen zugänglich ist, vorzuziehen ist; denn sie ist seine Quelle“. 29 In seinen berühmten „Betrachtungen über die Methode“ hat er vier Grundregeln formuliert, die sich seiner Ansicht nach wesentlich von den alten Leitsätzen der scholastischen Logik unterscheiden und den Hauptinhalt des neuen methodologischen und logischen Prinzips der Erforschung der Natur ausmachen. Erste Regel: niemals etwas für wahrhaft halten, was sich nicht offensichtlich als solches darstellt; in die Urteile nur das aufnehmen, was sich so klar und so deutlich darstellt, dass es keinerlei Zweifel hervorruft. Zweite Regel: die zu untersuchenden Schwierigkeiten in so viele Teile wie möglich und zu ihrer Überwindung nötig aufgliedern. „Drittens: sich an eine bestimmte Denkordnung halten, beginnend bei einfacheren und leichter erkennbaren Dingen, und dann allmählich zur Erkenntnis des Schwierigen übergehen und Ordnung auch dort voraussetzen, wo die Objekte des Denkens nicht in ihrem natürlichen Zusammenhang erscheinen“. 30 Und schließlich die vierte Regel: so vollständige Regeln und allgemeine Übersichten aufstellen, dass man überzeugt davon ist, nichts ausgelassen zu haben. Die Ausarbeitung der rationalen Methode hatte für Descartes trotzdem nur eine untergeordnete Bedeutung. Er bemühte sich, alle Regeln im Verlaufe der Suche nach dem absoluten Ursprung in der Philosophie zu befolgen. „Aber in Anbetracht dessen, dass alle Prinzipien der Wissenschaften 562 aus der Philosophie übernommen werden müssen, wo ich noch keine echten Prinzipien gefunden habe, meinte ich, dass man sie vor allem gerade in ihr festlegen muß“. 31 Der Ausgangspunkt für die Philosophie Descartes’ ist das Prinzip: an allem zweifeln - an der sinnlichen und inneren Erkenntnis, alles Geistige und Materielle dem Zweifel unterziehen, sogar die eigene Existenz und mathematische Wahrheiten. Der Zweifel Descartes’ unterscheidet sich freilich grundlegend vom Skeptizismus, der sich kein anderes Ziel gesetzt hat, als den Zweifel selbst; bei Descartes hat der Zweifel den Sinn gehabt, nach einer Absage an alle Vorurteile und Voraussetzungen mit dem Denken zu beginnen und auf diese Art den wahren Ursprung der Erkenntnis zu erlangen. Der Philosoph war überzeugt, dass es bei strengster Befolgung des Prinzips „zweifle an allem“ unmöglich ist, das wirklich Wahre zu verlieren. Als eine derartige Wahrheit, die über den Zweifel gewonnen wird, betrachtete Descartes das Prinzip „Ich denke, also bin ich“. Indem er eine tiefschürfende logisch-gnoseologische Analyse dieser Theorie durchführte, unterwarf der Philosoph die Methode der Begriffsbestimmung, die sich seit Aristoteles erhalten hatte, einer gründlichen Kritik. Diese Kritik hatte zweifellos positive Bedeutung, da sie mit ihrer Spitze gegen Formalismus und Scholastik in der Logik gerichtet war. Sich nicht nur auf Kritik beschränkend, gab er ein Beispiel, wie das Wesen des Begriffs zu bestimmen ist. Dabei verfolgte er hartnäckig den Gedanken, dass die Sinnesorgane nur einzelne Kennzeichen eines Gegenstandes erfassen, während die Vorstellung in der Lage ist, die Umwandlung einer Sache aus einer Form in eine andere wahrzunehmen. Das endlose Wesen eines Gegenstandes kann nur im Begriff erkannt werden, mit Hilfe des Denkens. Die von Descartes formulierten Grundprinzipien des Rationalismus wurden in den logischgnoseologischen Prinzipien von Spinoza, Leibniz und Wolff weiterentwickelt, systematisiert und in gewisser Weise modifiziert, haben sich jedoch nicht prinzipiell geändert. Alle Vertreter der rationalistischen Gnoseologie gingen von der Eigeninitiative des erkennenden Subjektes und seiner Vernunft aus, ließen angeborene Begriffe und Prinzipien zu, mit deren Hilfe sie versuchten, die Existenz und das Wesen des menschlichen Wissens zu erklären. Eine völlig entgegengesetzte erkenntnistheoretische Konzeption über die Natur des menschlichen Wissens vertrat die empirische Philosophie. Die Koryphäe der Empiristen G. Locke unterzog die gnoseologischen Prinzipien des Rationalismus einer grundlegenden Kritik und begründete die wichtigste Voraussetzung des englischen Materialismus. Die Lehre von Locke beginnt mit der Kritik der rationalistischen Theorie von den angeborenen Ideen. Nachdem er mit einer Vielzahl von Fakten die Unhaltbarkeit dieser Theorie bewiesen hatte, erklärte er Empfindungen und Reflexionen zu den Quellen unseres Wissens. Allen Inhalt menschlichen Wissens betrachtete Locke vom Standpunkt seines Hauptprinzips aus: „Im Intellekt ist nichts, was früher nicht in den Empfindungen war“. Ungeachtet dessen, dass der Hinweis auf die zweite Quelle der Erkenntnis eine gewisse Abweichung von den Positionen des konsequenten Sensualismus war, hatte die Lehre von Locke von der sinnlichen Herkunft des menschlichen Wissens insgesamt eine große Bedeutung in der Geschichte der Philosophie. Locke beschränkte sich nicht auf die Begründung der Frage von der sinnlichen Herkunft unseres Wissens, sondern untersuchte viele Begriffe und unterzog sie einer kritischen Analyse. Hier zeigte sich jedoch seine empirische Beschränktheit: er verneinte den objektiven Inhalt allgemeiner Ideen. Alle diese Ideen sind nach Meinung Lockes vom Verstand geschaffen und deswegen haben sie in der Realität keine Entsprechung. Nach Locke drücken allgemeine Begriffe und Ideen nicht die Größe des menschlichen Geistes aus, sondern zeugen eher von seiner Schwäche. Die Lehre Lockes von der Substanz ist voller Widersprüche: einerseits sah er in Dingen ihren „Pfeiler“, ihr Wesen, andererseits erkannte er als Wesen der Gattung die Gesamtheit der 563 Eigenschaften an. Das Erstere erklärte er für unbekannt, unerkennbar, das zweite als zugänglich, erkennbar. Das Fehlen eines dialektischen Herangehens brachte Locke zur Verneinung der Erkennbarkeit der realen Substanz. Er hat hartnäckig nicht begriffen, dass Wesen und Erscheinung immer als Einheit auftreten, - das Wesen erscheint, und die Erscheinung ist wesentlich. Auf die weitere Entwicklung der Philosophie hat die Gnoseologie Lockes einen zwiespältigen Einfluß ausgeübt. Einerseits hat sie die französischen Materialisten mit Ideen versorgt, andererseits - Berkeley und Hume. Letzterer hat die skeptischen Abweichungen von Locke konsequent weiterentwickelt und die Kategorie der Kausalität einer idealistischen Kritik unterzogen. Nach Ansicht von Hume entspricht in der Realität nichts dem Kausalzusammenhang, außer der Aufeinanderfolge von Erscheinungen, und die scheinbare Allgemeinheit und Notwendigkeit der Kausalität ist nur auf der subjektiven Gewohnheit des Menschen begründet, die Abfolge der Erscheinungen mit ihrem Kausalzusammenhang gleichzusetzen. Hume verneinte die Möglichkeit von Urteilen, die in der Lage sind, unser Wissen zu erweitern und gleichzeitig allgemeine und notwendige Bedeutung zu haben. Seiner Meinung nach wird unser Wissen durch Erfahrung erweitert, die ihm jedoch nicht den Charakter von Allgemeinheit und Notwendigkeit verleiht. Das Wissen, das allgemeine und notwendige Bedeutung hat, gehört nur der Vernunft und hat folglich nur analytischen Charakter, weil die Vernunft nicht auf notwendige Weise einen Begriff mit dem anderen vereinen kann, dessen Inhalt sich früher nicht in ihm befunden hat. Hume sah die Möglichkeit der Verneinung der Allgemeinheit und Notwendigkeit mathematischer Begriffe und erklärte, dass sie nur analytischen Charakter haben. Und natürlich hat Hume kategorisch die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Kategorien der Philosophie verneint und somit auch ihre Erkenntnisrolle. Im Laufe der weiteren Entwicklung der Philosophie und der wissenschaftlichen Erkenntnis traten die inneren Unzulänglichkeiten sowohl des Rationalismus als auch des Empirismus immer deutlicher zu Tage. Während die Rationalisten für die Begründung des menschlichen Wissens und der Wissenschaft von dem Allgemeinen (dem Begriff) ausgingen, konzentrierten die Empiristen ihre Aufmerksamkeit auf das Sinnliche, Einmalige. Außerdem verstanden die einen wie die anderen die Erkenntnistätigkeit des Menschen rein psychologisch, da sie keine Vorstellung von der gesellschaftlichen Erkenntnis, von der gesellschaftlichen praktischen Tätigkeit als universeller Grundlage der menschlichen Erkenntnis hatten. Deswegen trafen sowohl die Rationalisten wie auch die Empiristen bei dem Versuch der Begründung der Natur des wissenschaftlich-theoretischen Wissens auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Indessen hatten Kant und einige andere Gelehrte zu verstehen begonnen, dass wissenschaftlichtheoretisches Wissen, das die Grundlage von Mathematik und Naturwissenschaft ist oder von diesen hervorgebracht wird, nicht etwas Klares und Offensichtliches ist, keine einfache Summe von Fakten und auch nicht deren unmittelbare Verallgemeinerung, sondern ein qualitatives, originelles und sehr kompliziertes Gebilde, dass eine synthetische Natur sowie eine allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Kant hat sehr wohl verstanden, dass alle wirklichen Resultate der Wissenschaft gerade eine derartige Natur haben, wie z. B. die Leitsätze der Geometrie von Euklid und der Physik von Newton. Er sah, dass sowohl die Rationalisten wie auch die Empiristen nicht fähig sind, die Natur wissenschaftlich-theoretischen Wissens befriedigend zu begründen, da sowohl die einen wie die anderen immer nur eine Seite des Problems betrachten. Indem sie als Begründung des Wissens das Allgemeine (den Begriff) herausstellen, sind die Rationalisten in der Lage, nur die Natur des analytischen Wissens zu begründen, jedoch nicht im Stande, das synthetische, schöpferische Wissen zu erklären, da sie den Zusammenhang von Quelle und Form, Ursache und Wirkung als etwas Eindeutiges auffassen. Den synthetischen Charakter des Wissens haben die Empiristen ohne Mühe erklärt, indem sie 564 von der Einmaligkeit, der sinnlichen Herkunft unseres Wissens ausgingen. Es lag jedoch nicht in ihrer Kraft, die Allgemeinheit und Notwendigkeit des menschlichen Wissens zu verstehen und zu erklären. Sie verneinten deshalb die Objektivität logischer Formen, der Kausalitätskategorien und der Substanzen. Die Beschränktheit des Leitprinzips der Empiristen gestattete es ihnen nicht, die seit Platon bekannte Tatsache zu erkennen, dass in der Gesellschaft unabhängig von einzelnen Individuen Formen und Beziehungssysteme und Normen bestehen und jedes Individuum in seiner praktischen Tätigkeit mit diesen Formen zu tun hat, sich den Inhalt dieser Kategorien aneignet und sie anwendet. Diese Formen, die Natur des allgemeinen theoretischen Wissens, sind jedoch nicht auf Gefühle, auf kontemplative Fähigkeiten eines Menschen oder Kollektivs reduziert. Der Mensch erkennt freilich die Welt auch mittels Empfindung, Anschauung. Die Empiristen haben jedoch die Rolle der letzteren übertrieben. Das Ideal der Philosophie des Empirismus ist die reine Anschauung, nach Möglichkeit gereinigt von logischen Formen. Die Aktivität des menschlichen Denkens hat der Empirismus als Hindernis bei der reinen und richtigen Betrachtung der Wahrheit angesehen. Die Rolle des Denkens bei der Erkenntnis haben die Empiristen darauf reduziert, dass es vereint, abstrahiert und Gegenstände zerlegt, weswegen das Wissen, das durch Gefühlsorgane entstanden ist, ihrer Ansicht nach reicher und konkreter war. Die Empiristen haben freilich nicht die Bedeutung der individuellen Vernunft, der Abstraktionen verneint, sie verneinten jedoch die Rolle der allgemeinen logischen Formen. Locke hat z. B. in der Operation der Verallgemeinerung und Abstrahierung nur eine Verarmung der Erkenntnis gesehen und gemeint, dass Abstraktion nur nötig ist für die Bequemlichkeit und Verkleinerung der sinnlichen Vielfalt, die in der Empfindung gegeben ist. Dabei hat der Empirismus doch unzweifelhaft eine positive Rolle in der Geschichte der Philosophie gespielt, da er die Aufmerksamkeit der Forscher auf Fakten, auf einmalige Realitäten gelenkt hat. Von nun an wurden Gegenstände der Natur und die Verallgemeinerung sinnlicher Daten zur Hauptsache in der Forschung. Diese Philosophie ging Hand in Hand mit der sich entwickelnden Wissenschaft, da sie sich nicht für das Ganze, sondern für die einzelnen Tatsachen, die Details interessierte. Als Folge davon wurden viele Thesen des Empirismus von Vertretern der Naturwissenschaft begeistert aufgenommen. Der Empirismus ist jedoch nicht in der Lage, die Natur des wissenschaftlich-theoretischen Wissens befriedigend zu klären. Für das volle Verständnis und die Erklärung der Natur dieses Wissens erwiesen sich die Ausgangsthesen der empirischen Philosophie als zu eng und abstrakt. Und Kant hat das sehr gut verstanden. Deswegen hat er nicht nur die Thesen des Rationalismus und auch des Empirismus einer grundsätzlichen Kritik unterzogen, sondern alles daran gesetzt, um in seiner Philosophie die Einseitigkeit beider Richtungen zu überwinden. Die Reform der Logik Die Kantische Begründung des synthetischen Wissens In seiner Philosophie ging Kant direkt davon aus, dass die Daseinsform der Wissenschaft das schöpferische Wissen ist (synthetisches Urteil a priori), das eine allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Daher ist die wichtigste Aufgabe der Philosophie und der Logik die Begründung der Möglichkeit, des Mittels zur Gestaltung eines solchen Wissens. Kant hat das synthetische Wissen vom analytischen deutlich unterschieden. Unter analytischem verstand er solches Wissen (Urteil), bei welchem der Zusammenhang zwischen Subjekt und Prädikat gedanklich über die Identität geht. Aus diesem Grund betrachtete er das analytische Wissen als erklärendes, da die Prädikate solcher Urteile nichts prinzipiell Neues zum Inhalt des 565 Begriffes des Subjektes hinzufügen. Bei analytischen Urteilen entsteht das Prädikat im Ergebnis der Aufgliederung des Subjektes. Z. B. ist das Urteil „alle Körper haben eine Ausdehnung“ analytisch, da der Begriff der Ausdehnung von vornherein im Begriff des Körpers enthalten ist. Synthetische Urteile sind etwas völlig anderes. Solche Urteile nannte Kant erweiternd, da ihr Prädikat gedanklich nicht im Subjekt enthalten ist und aus letzterem nicht durch Analyse gewonnen werden kann. So verbinden wir bei dem Urteil „alle Körper haben ein Gewicht“ mit dem Subjekt ein solches Prädikat, das zusätzliche Information in sich trägt. Und tatsächlich kann man laut Kant aus dem Begriff „Körper“ auf dem Wege des Widerspruchs (analytisch) die Merkmale der Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Form usw. an den Tag bringen, die in diesem Begriff gedanklich enthalten sind. Aus dem Subjekt des Urteils (aus dem Begriff des Körpers) kann man jedoch auch bei sorgfältiger Analyse nicht den Begriff des Gewichtes ableiten, ohne sich an die Erfahrung zu wenden. Mit anderen Worten: im gegebenen Fall geht das Prädikat über die Grenzen des Subjektes, d. h. den Begriff des Körpers hinaus. Gerade das synthetische und dabei apriorische Wissen hielt Kant für eine wirklich produktive Form der Entwicklung der Wissenschaft. In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat Kant mehrmals unterstrichen, dass jegliches apriorisches synthetisches Wissen sich nicht aus der sinnlichen Vielfalt ergibt, da in dem Wissen, das theoretische Bedeutung hat, neben der Erfahrung, sinnlicher Vielfalt auch apriorische Elemente vorhanden sind, die vor jeder Erfahrung, vor allen sinnlichen Eindrücken da waren und also nicht von der Erfahrung abhängen. Im Unterschied zu jenen Philosophen, die meinten, dass die Grundlage jeglichen Wissens nur die vorangegangene Erfahrung ist, bestand Kant nicht nur auf der Existenz unbedingt „von jeglicher Erfahrung“ 32 unabhängigen Wissens, sondern hielt sein Vorhandensein für die wirkliche Bedingung der Existenz der theoretischen schöpferischen Erkenntnis. Kant bemühte sich, nach Möglichkeit die Bedingung des apriorischen Wissens zu begründen. Im Unterschied zum empirischen ist das apriorische Wissen seiner Meinung nach hauptsächlich durch das Moment der Notwendigkeit und strikten Allgemeinheit gekennzeichnet. „Notwendigkeit und strikte Allgemeinheit“, schrieb Kant, „sind genaue Anzeichen des apriorischen Wissens und miteinander untrennbar verbunden. Es ist jedoch, wenn man sich dieser Anzeichen bedient, manchmal leichter, die Zufälligkeit des Urteils zu entdecken, als seine empirische Beschränktheit, manchmal auch umgekehrt. Die unbegrenzte Allgemeinheit, die wir dem Urteil zuschreiben, kann klarer sein, als seine Notwendigkeit; es ist deswegen nützlich, diese Kriterien unabhängig voneinander anzuwenden, - jedes ist für sich genommen fehlerlos“. 33 Bei der Begründung des theoretischen Wissens erkannte Kant es für notwendig an, apriorische Elemente, die Apriorität von Raum, Zeit und logischen Kategorien zuzulassen, da es anders nicht möglich ist, ihre allgemeine Bedeutung bei der Erkenntnis zu beweisen. Wenn wir alle derartigen empirischen Charakteristika wie Farbe, Härte oder Weichheit beiseite lassen, behauptete er, sind wir trotzdem nicht in der Lage, die räumliche Charakteristik des Körpers zu negieren. Genau wie man, wenn man alle aus der Erfahrung bekannten Eigenschaften eines Körpers beiseite läßt, ihm nicht die Eigenschaft nehmen kann, dank derer man ihn sich als Substanz denkt. Auf diese Art und Weise ist das apriorische, theoretische Wissen laut Kant durch Allgemeinheit, Notwendigkeit und vor der Erfahrung liegende Entstehung charakterisiert. Kant schätzte die apriorischen Formen des menschlichen Wissens sehr hoch, denn ohne sie ist seiner Überzeugung nach die eigentlich wissenschaftliche Erkenntnis, das wissenschaftlich-theoretische Begreifen eines Gegenstandes unmöglich. Wenn man sich in die Kantischen Bestimmungen des apriorischen Wissens vertieft, stellt man sich unwillkürlich die Frage: wodurch unterscheidet es sich von der rationalistischen Idee vom Angeborensein der menschlichen Begriffe? In der Annahme, dass eine solche Frage möglich ist, hat Kant nicht nur von vornherein alle Versuche der Annäherung dieser beiden seiner Meinung 566 nach unterschiedlichen Konzeptionen verworfen, sondern auch die Anhänger der Konzeption der angeborenen Ideen ärgerlich „faule Philosophen“ genannt. Der Unterschied besteht laut Kant darin, dass, während man als angeboren diejenigen Elemente des menschlichen Wissens bezeichnet, die ursprünglich im menschlichen Intellekt verwurzelt und dessen unabdingbare Eigenschaft sind, die Apriorität nur vom Wissen des Menschen zeugt, das er besaß, bevor er Erfahrungen gemacht hat. Der Philosoph war überzeugt, dass der Mensch die sinnliche Vielfalt erkennt und begreift, sie in allgemeines und notwendiges theoretische Wissen nur mittels apriorischer Formen der Kontemplation (des Raumes und der Zeit) oder apriorischer Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes verwandelt. Dabei haben die apriorischen Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes nur im Rahmen der Erfahrung Bedeutung, in den Grenzen der Natur als Gesamtheit der Erfahrung. Ungeachtet aller Bemühungen Kants, die Idee der Apriorität des Wissens überzeugend zu gestalten, kommt man nicht umhin, ihre Künstlichkeit und kolossale Ungereimtheit hervorzuheben. Allein der Umstand, dass so ein scharfsinniger Denker wie Immanuel Kant nicht die innere Widersprüchlichkeit gesehen hat, ruft schon Verwunderung hervor. Und tatsächlich, wenn wir Kant sogar glauben, dass seine Konzeption der Apriorität des Wissens nichts mit den Vorstellungen über das Angeborensein der Ideen gemein hat, so genügen allein die Versicherungen des Autors der Konzeption nicht, um von ihrer Wissenschaftlichkeit überzeugt zu sein. Kant hat indessen nur auf die Tatsache der Existenz und die Notwendigkeit apriorischer Formen für die Erklärung der Möglichkeit wissenschaftlich-theoretischen Wissens hingewiesen und nicht einmal den Versuch gemacht, die Art und Weise ihrer Herausbildung zu analysieren und aufzuzeigen. Alle diese Seltsamkeiten sind durchaus erklärlich, wenn man die Grundfehler und Schwächen der Kantischen Gnoseologie in Betracht zieht. Ähnlich wie die Rationalisten und Empiristen hat Kant den Erkenntnisprozess psychologisch begriffen, d. h. hat als Subjekt der Erkenntnis das einzelne Individuum betrachtet und völlig außer Acht gelassen, dass die menschliche Erkenntnis sozial bedingt ist. Der Philosoph ging von der Tatsache der Existenz wissenschaftlich-theoretischen Wissens aus, das allgemeine und notwendige Bedeutung hat, und sah seine Aufgabe in der Begründung der Möglichkeit und Wirklichkeit solchen Wissens. Deshalb begnügte er sich nur mit der Konstatierung der Tatsache, dass im Prozess der Herausbildung theoretischen Wissens apriorische Formen der Sinnlichkeit und Kategorien notwendig sind, die unseren synthetischen Kenntnissen den Charakter von Allgemeinheit und Signifikanz verleihen. Kant verstand, dass die Kategorien des Denkens keine gewöhnlichen empirischen Verallgemeinerungen sind, sondern allgemeine universelle Formen. Da er nur von der individuellen Erfahrung ausging und nicht die Gattungserfahrung, die gesellschaftlichgegenständliche Tätigkeit des Menschen verstand, war er auch nicht fähig, die Art und Weise der Herausbildung, die objektive Herkunft dieser beiden Formen rationell zu erklären, die er für unbedingt apriorische und Vorerfahrungsformen des menschlichen Verstandes hielt. Das apriorische Verständnis des menschlichen Wissens wurde erst dann endgültig überwunden, als die Erkenntnistätigkeit des Menschen als sozial betrachtet wurde und in die Erkenntnistheorie das Prinzip des Historismus Einzug hielt. Beim Beweis der Unhaltbarkeit des Apriorismus stützt sich der Marxismus hauptsächlich auf die Gattungs- und gesellschaftlich-historische Erfahrung der Menschheit, die auf natürliche Weise die Herausbildung, Objektivität und Allgemeinheit der logischen Kategorien erklärt. In der marxistischen Philosophie wird die praktische Tätigkeit, die gesellschaftlich-historische Erfahrung der Menschen nicht nur als Grundlage des Denkens betrachtet, sondern auch als etwas, was Prinzipien, Kategorien, universelle logische Formen, die die allgemeinen Gesetze der Natur, der Gesellschaft und des Denkens widerspiegeln, angesehen. Die sogenannten apriorischen Formen erweisen sich als nichts anderes, als historisch entstandene 567 Formen der Erkenntnis und der Tätigkeit, mit deren Hilfe der Gegenstand begriffen und gedanklich erfasst werden kann. Dabei ist die Grundlage dieser Formen nicht die lokale Tätigkeit der Individuen, sondern die gesamte menschliche Praxis. Logisches Denken ist eine Form der tausendjährigen menschlichen Arbeit. Was das aposteriorische (empirische) Wissen angeht, so hat es im Unterschied zum apriorischen vor allem Erfahrungscharakter. Und Kant meinte, dass gerade aus diesem Grund so ein Wissen keine strikte Allgemeinheit besitzt, nicht aufzeigt, was den gegebenen Gegenstand zu diesem macht. Im Kantischen Verständnis besitzt das empirische Wissen nur eine relative und bedingte Allgemeinheit. „Folglich“, schrieb Kant, „ist die empirische Allgemeinheit nur eine willkürliche Erhöhung der Signifikanz des Urteils von der Stufe, auf der es für die Mehrzahl der Fälle zutrifft, auf die Stufe, wo es für alle Fälle zutrifft, wie z. B. in der These „Alle Körper haben ein Gewicht“. 34 In der Erkenntnistätigkeit gibt es nach Ansicht des Philosophen Fälle, wo einzelnes aposteriorisches Wissen als apriorisch erscheint. So könnte z. B. ein Mensch, der das Fundament seines Hauses untergräbt, eigentlich vorher wissen, dass es einstürzt. „Jedoch konnte er davon vollkommen a priori nichts wissen. Dass Körper ein Gewicht haben und deshalb fallen, wenn sie ihrer Stütze beraubt werden, hätte er jedoch vorher aus Erfahrung wissen müssen“. 35 In der „Kritik der reinen Vernunft“, wo Kant kurz den Unterschied von analytischem und synthetischem, empirischem und apriorischem synthetischen Wissen formuliert hat, geht er zur Begründung der Möglichkeit und Notwendigkeit des synthetischen Urteils a priori über. In seinem Hauptwerk unterstrich er mit aller Deutlichkeit, dass das wahre Ideal wissenschaftlichtheoretischer Erkenntnis gerade dieses Wissen ist. Seiner Natur nach hat das synthetische (schöpferische) apriorische Wissen eine erweiternde Bedeutung und gleichzeitig allgemeinen und notwendigen Charakter. Deshalb führt die Möglichkeit der Naturwissenschaft, der Wissenschaft laut Kant auf die Begründung der Möglichkeit und Notwendigkeit derartigen apriorischen synthetischen Wissens zurück. Kant hat klar begriffen, dass die Begründung der Möglichkeit wissenschaftlich-theoretischen Wissens eine schwierige philosophische Frage ist. Er hat mehrmals unterstrichen, dass alle vorangegangene Philosophie und Logik nicht nur die Möglichkeit solchen Wissens nicht begründen und seine inneren Mechanismen freilegen, sondern diese wichtige erkenntnistheoretische Aufgabe nicht einmal deutlich formulieren konnte. Nach Kants Meinung sind Rationalismus und Empirismus nicht fähig, dieses Problem zu lösen. Kant war der Ansicht, dass es in der Metaphysik natürlich schwer ist, die Möglichkeit apriorischer synthetischer Urteile zu beweisen, in der Mathematik und Naturwissenschaft existieren sie jedoch unbedingt. Z. B. ist die These der Geometrie „Eine gerade Linie ist der kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten“ synthetisch und apriorisch, da in dem Begriff der geraden Linie, wie er auch immer zergliedert werden mag, keine Vorstellung über den kürzesten Abstand enthalten ist. Eine ähnliche synthetische Bedeutung a priori maß er der naturwissenschaftlichen These „Jegliche Veränderung in der Natur hat ihre Ursache“ bei. Kant war überzeugt, dass die Möglichkeit und Notwendigkeit solchen theoretischen Wissens, wie sie die Geometrie von Euklid und die Physik von Newton enthalten, unmöglich mit analytischen Thesen und mit Erfahrung zu begründen sind. Die Leitsätze der Newtonschen Physik und der Geometrie von Eukild haben keine problematische, sondern eine allgemeine und notwendige Bedeutung in jeder Erfahrung. Und jegliches wahrhaft wissenschaftlich-theoretisches Wissen muß laut Kant allgemeine Bedeutung haben und gleichzeitig unser Wissen über den Gegenstand erweitern. Z. B. werden wir in dem Urteil „die Sonne ist die Ursache der Wärme“, so oft wir auch den Begriff der Sonne analysieren, nicht den Begriff der Wärme entdecken. Dieses Urteil ist laut Kant auch nicht das Ergebnis empirischer Verallgemeinerung durch Induktion. Mittels 568 empirischer Verallgemeinerung läßt sich nur das Urteil „die Sonne erwärmt den Stein“ formulieren; es unterscheidet sich jedoch prinzipiell vom vorangegangenen Urteil. Letzteres ist nur das Ergebnis empirischer Beobachtung und konstatiert das, was bisher durch Erfahrung gewonnen wurde; deshalb ist es keine Garantie für die Zukunft, da das Verhältnis von Subjekt und Prädikat nicht auf die notwendige Weise ausgedrückt ist. Für die Wissenschaft, meinte Kant, ist der Ausdruck der allgemeinen Beziehungen der Dinge äußerst wichtig, da sie ohne diesen allen Wert verlieren würde. Die Hauptaufgabe der Kantischen Kritik ist der Beweis allgemeiner Bedingungen für die Möglichkeit synthetischen apriorischen Wissens. Obwohl die Form der Fragestellung nach dem synthetischen Urteil a priori eine typisch Kantische ist, ist sie selbst in der Gegenwart noch aktuell. Für die Wissenschaft ist es immer wichtig, dass das Ergebnis der Tätigkeit des Wissenschaftlers keine allgemeine Vorstellung, sondern ein Begriff ist, der allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Wenn man diese Frage vom Standpunkt der modernen Logik betrachtet, unterscheidet sich die Art und Weise der Herausbildung eines theoretischen Begriffs wesentlich von der Bildung einer abstraktallgemeinen Vorstellung. Während der Bildung des Abstrakt-Allgemeinen, QuantitativAbstrakten einfach das Allgemeine, das allgemeine wesentliche Merkmal zu Grunde liegt, hat die Herausbildung eines theoretischen Begriffs, des Qualitativ-Allgemeinen das Erfassen des Wesens der Dinge und Erscheinungen zur Grundlage. Dabei wird unter Wesen nicht nur das Allgemeine, nicht nur das Kennzeichen des Gegenstandes verstanden, sondern der Platz des Gegenstandes im System eines Ganzen, die inneren Wechselbeziehungen des Gegenstandes. Deshalb bedeutet die Erkenntnis des Wesens das Erfassen der Art und Weise der Herausbildung des Gegenstandes, der Art und Weise seiner Entstehung und seines Aufbaus. Nur ein derartiger theoretischer Begriff ist durch Ganzheit, durch die Einheit vieler Definitionen charakterisiert; während die abstraktallgemeine Vorstellung auf die Unterscheidung eines Gegenstandes vom anderen gerichtet ist, zielt der theoretische Begriff hauptsächlich auf das Erfassen des Gegenstandes, die Aufdeckung seines Wesens. Z. B. existiert von Gold, von Geld eine abstrakt-allgemeine Auffassung. Der wahre theoretische Begriff von der Funktion des Goldes als Geld bildete sich erst dann heraus, als das Geld innerhalb von Warenbeziehungen in Betracht kam. Nur die Entwicklung und der Widerspruch der Warenbeziehungen erlauben es, das Wesen des Geldes, die Genesis der Entstehung von Geldbeziehungen zu verstehen. Dabei ist Gold als Geld innerhalb eines Ganzen, im System der Warenbeziehungen verständlich, wo die eigentlich empirische Bestimmung des Goldes als Form der Erscheinung des tiefen Wesens des Gegenstandes auftritt. Die Wichtigkeit und Bedeutung der Fragestellung Kants über das synthetische apriorische Wissen besteht darin, dass er auf seine Weise begründet hat, dass es hier nicht um eine gewöhnliche empirische Verallgemeinerung geht, sondern um qualitatives theoretisches Wissen. Obwohl Kant nicht über den Unterschied von Abstrakt-Allgemeinem und Konkret-Allgemeinem mit jener Klarheit gesprochen hat, wie darüber in der nachfolgenden Philosophie die Rede war, hat jedoch jener Gedanke von ihm zweifellos größte Bedeutung, dass die Existenz der Wissenschaft, der Naturwissenschaft innerlich mit der Möglichkeit des synthetischen und allgemeinen Wissens, mit der Möglichkeit einer besonderen Form der theoretischen Tätigkeit verbunden ist. Die Fragestellung vom Unterschied des empirischen Wissens und theoretischen, allgemeinen und notwendigen Wissens hat an sich eine große Bedeutung in der Geschichte der Logik. Die Dialektik besteht hier jedoch nicht in der Fragestellung selbst, sondern in der prinzipiellen Lösung, zu der der Philosoph kam. Vor allem hat Kant die Überzeugung ausgedrückt, dass synthetisches apriorisches Wissen auf der Grundlage der Regeln der allgemeinen Logik unmöglich ist. Die allgemeine traditionelle Logik stellt überhaupt nicht die Frage nach der 569 Herausbildung wissenschaftlich-theoretischen Wissens. Solches Wissen kann nicht begründet werden, auch wenn man sich von der Erkenntnistheorie der Rationalisten und Empiristen leiten läßt. Der Rationalismus ist nur in der Lage, die Möglichkeit des analytischen Wissens zu begründen, und der Empirismus ist unfähig, seinen Urteilen einen allgemeinen und notwendigen Charakter zu geben. Kant hat die Minderwertigkeit sowohl des Rationalismus wie des Empirismus nachgewiesen. Sie sind gleichermaßen einseitig, denn jede Richtung betont nur eine Seite und läßt die andere außer Acht. Ein großes Verdienst Kants besteht auch darin, dass er in der „Kritik der reinen Vernunft“ als erster Philosoph Gegensätze vereint hat. Während die gesamte alte Philosophie und Logik bei der Betrachtung von Gegenständen und Erscheinungen die gute Hälfte aller Glieder aus dem Denkprozess ausgeschlossen hat, bemühte sich Kant, das ganzheitliche Denken wiederherzustellen. Ihm war zutiefst bewußt, dass zum Beweis der Möglichkeit des synthetischen apriorischen Wissens die Einheit von Gegensätzen notwendig ist, d. h. die Einheit des Allgemeinen mit dem Einzelnen, des Notwendigen mit dem Zufälligen, der Form mit dem Inhalt, des Einen mit dem Vielen. Freilich hat Kant diesen Gedanken niemals so deutlich formuliert, aber er tat es bei der Begründung des apriorischen synthetischen Wissens. Auf diese Weise hat sich Kant entschlossen vom alten Denktyp, von der alten Logik losgesagt und bewies die Notwendigkeit einer neuen Logik zur Begründung des synthetischen Wissens. Während für die gesamte vorkantische Logik das Prinzip des Wissens die abstrakte Identität und der abstrakte Unterschied war, hat Kant als Hauptprinzip die Einheit des Einen mit dem Anderen aufgestellt. Darum hat auch Hegel der Logik Kants Gerechtigkeit widerfahren lassen im Vergleich zur gewöhnlichen verstandesmäßigen Logik. Wahrscheinlich hat gerade aus diesem Grund H. Heine die Philosophie Kants mit der Französischen Revolution verglichen. Der wahre Sinn der Kantischen Philosophie ist von den modernen Kantianern entstellt worden. In der dialektischen Begründung des synthetischen apriorischen Wissens sehen sie nur eine Erscheinungsform der Idee des gnoseologischen Dualismus des Philosophen. In einem derartigen Verständnis und in einer solchen Auslegung ist nichts Verwunderliches, weil die Kantianer von Dialektik nichts verstehen. Bedauern ruft der Umstand hervor, dass diese falsche Vorstellung von der Philosophie Kants eine große Verbreitung gefunden hat. Die Kantische Begründung des synthetischen apriorischen Wissens wäre unmöglich ohne die Anerkennung der Einheit von Allgemeinem und Einzelnem. Man kann nicht damit einverstanden sein, dass die Ideen des synthetischen apriorischen Wissens angeblich nur aus dem gnoseologischen Dualismus des Denkers aus Königsberg geboren wurden. Freilich erinnert die Form der Begründung an Dualismus, ihr hauptsächlicher Sinn läuft aber nicht auf den Dualismus hinaus, sondern ist der Versuch, den Widerspruch bei der Herausbildung des Wissens zu begreifen, ist die Anerkennung der Verbindung des Allgemeinen mit dem Einzelnen. Dafür spricht auch, dass es zur Begründung des prinziplosen Dualismus nicht nötig war, eine neue, transzendentale Logik zu schaffen. Die Kantische dualistische Form ist eine unentwickelte, schamhafte Form der Dialektik. In der transzendentalen Lehre von den Ursprüngen sind deutlich die Grundprinzipien der Kantischen Dialektik zu Tage getreten. Es geht hauptsächlich um die transzendentale Synthese. Während die Sensualisten die Rolle des sinnlichen Wissens überbetont haben und die Rationalisten die Wahrhaftigkeit des Wissens, welches aus Empfindungen abgeleitet ist, verneinten, hat Kant in der Sinnlichkeit und im Verstand zwei Seiten einer Einheit, des allgemeinen synthetischen Wissens gesehen. Die erste ist die Fähigkeit, eine Vorstellung (Empfänglichkeit für Eindrücke) zu erhalten, die zweite ist die Fähigkeit, einen Gegenstand zu erkennen („Selbsttätigkeit der Begriffe“). Wirkliches Wissen ergeben Verstand und Sinnlichkeit 570 gemeinsam. So können also „weder Begriffe ohne die ihnen in gewisser Weise entsprechende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe zu Wissen führen“. Sinnlichkeit ist der Inhalt der Erkenntnis, und der Begriff ist die Form, die die Verbindung der Erscheinungen der Erfahrung herstellt. „Ohne Sinnlichkeit“, schrieb Kant, „wäre uns nicht ein einziger Gegenstand zugänglich, und ohne Verstand könnten wir keinen einzigen erfassen. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauung ohne Begriffe ist blind“. 36 Die Kategorien sind objektiv, wenn sie gegenständlich sind, und die Anschauung ist objektiv, wenn sie von Kategorien untermauert ist. Diese Feststellung ist selbst dialektisch, sie ist schon ein Schritt vorwärts im Vergleich zur vorhergehenden Philosophie. Kant hat sich nicht auf die Feststellung der Einheit von Sinnlichem und Verstandesmäßigem beschränkt, sondern hat jede Seite dieses einheitlichen Prozesses der theoretischen Erkenntnis einer gewissenhaften Analyse unterzogen. Kant hat weiterhin die Frage untersucht, wie Gegenstände und Erscheinungen durch Kategorien des Verstandes untermauert werden. Gegenstände durch Kategorien untermauern heißt Urteile ableiten, und die dieser Tätigkeit entsprechende Fähigkeit wird als Urteilsfähigkeit bezeichnet. Die allgemeine Logik, die von jeglichem Inhalt ablenkt, kann nach Meinung Kants keine Begründung der Urteilsfähigkeit geben. Etwas anderes ist die transzendentale Logik, die nicht vom Inhalt der Begriffe abschweift, sondern die richtige Anwendung der reinen Begriffe des Verstandes lehrt. Sie zeigt, ob sich der Gegenstand diesen Regeln des Verstandes unterwirft oder nicht, und in ihrer Eigenschaft der Kritik schützt sie uns vor Fehlern der Urteilsfähigkeit bei der Anwendung reiner verstandesmäßiger Begriffe. Welches sind nun die Regeln für die Untermauerung von Gegenständen durch reine verstandesmäßige Begriffe? Nach Meinung Kants muß bei jeglicher Untermauerung eines Gegenstandes durch einen Begriff die Vorstellung des ersteren mit dem letzteren verwandt sein, d. h. der Begriff muß das enthalten, was der ihn untermauernde Gegenstand darstellt. Es ist z. B. nicht schwer, das Urteil aufzustellen „der Teller ist rund“, da im gegebenen Fall sowohl Prädikat als auch Subjekt gleichermaßen sinnlich sind, d. h. der empirische Begriff des Tellers ist mit dem rein geometrischen Begriff der Kreisförmigkeit verwandt, da die Kreisförmigkeit, die im Begriff des Tellers denkbar ist, im reinen geometrischen Begriff betrachtet werden kann. Aber völlig anders sieht es aus, wenn man das Urteil „die Sonne ist die Ursache der Wärme“ nimmt. Hier kommt zum verstandesmäßigen Begriff der sinnliche hinzu. Verstandesmäßige Begriffe sind nicht mit empirischen anschaulichen Vorstellungen verwandt, sie kommen aus völlig unterschiedlichen Quellen. Apriorische Kategorien können niemals notwendig in einer anschaulichen Vorstellung gefunden werden. Hieraus ergibt sich notwendigerweise die Frage: Wie ist die Anwendung reiner Kategorien auf Erscheinungen möglich? Die Antwort gibt die transzendentale Lehre von der Urteilsfähigkeit, die zeigt, dass reine Begriffe des Verstandes auf Erscheinungen überhaupt nicht angewendet werden. Reine verstandesmäßige Begriffe betreffen nur die Form des Denkens, als apriorische Begriffe sind sie nicht auf Erscheinungen anwendbar. Zur Anwendung von Kategorien des Verstandes auf Erscheinungen ist etwas Drittes nötig, das sowohl mit Erscheinungen als auch mit Begriffen verwandt ist. Diese vermittelnde Vorstellung muß rein und trotzdem einerseits intellektuell und andererseits sinnlich sein. Ein solches Schema mit der Einführung einer dritten Vorstellung nennt Kant ein transzendentales Schema und seine Anwendung - Schematismus reiner Begriffe des Verstandes. Die Kantische Idee des Schemas ist auch sehr interessant und fruchtbar von der Position der Dialektik aus. In dieser Idee spiegelt sich in ursprünglicher Form die Bedeutung des Besonderen, in dem das Allgemeine mit dem Einzelnen verbunden ist. Dem Schema liegt die Form der Zeit zu 571 Grunde. Nach Kant ist die Zeit als formale, ihrer Herkunft nach apriorische Bedingung jeglicher Erscheinung eigen und jeglichem verstandesmäßigen Begriff verwandt, wie auch jeglicher Form der anschaulichen Vorstellung. Das ist der Grund, warum Kant die Zeit als notwendige Komponente des Begriffsschemas betrachtet. Das Schema des Begriffs hat Kant von der Gestalt unterschieden, da das Schema nicht als eine einmalige anschauliche Vorstellung verstanden wird, sondern als Einheit bei der Bestimmung der Sinnlichkeit. Es verweist nur auf die allgemeine Art und Weise der Schaffung einer dem Begriff entsprechenden Gestalt. Und folglich liegen reinen Begriffen nicht die Gestalten von Gegenständen zu Grunde, sondern ihre Schemata. Nur die betrachteten Objekte haben Gestalten, reine Begriffe können keine haben. Als Beispiel führte Kant das Dreieck an. Tatsächlich, nicht eine einzige Gestalt fällt mit seinem Begriff zusammen, da die Gestalt nicht die Allgemeinheit des Begriffes erreichen kann, der für alle Dreiecke gilt. Deshalb haben wir es, wenn wir über ein Dreieck überhaupt sprechen, mit einem Schema als Regel für die Bestimmung unserer anschaulichen Vorstellung entsprechend der bekannten allgemeinen Vorstellung zu tun. Ein Schema kann keine sinnlichen Erscheinungen farbig ausmalen, es kann nur Umrisse der Begriffe in allgemeinen Zügen entwerfen. Der Schematismus unseres Verstandes in Bezug auf die Erscheinungen und ihre reine Form ist nach Kant „eine in der Tiefe der menschlichen Seele versteckte Kunst, deren wahre Methoden es uns kaum irgendwann gelingen wird, der Natur abzusehen und sie zu entschlüsseln.“ Jegliche Erscheinung hat eine bestimmte zeitliche Dauer. Diese Dauer der Erscheinungen macht nach Kant eine zeitliche Abfolge aus. Die Vorstellung der zeitlichen Abfolge durchläuft eine aufeinander folgende Summierung von gleichartigen Bestandteilen der Zeit, von denen jeder eine Einheit ist und deren Summierung eine Zahl ergibt. Jegliche Erscheinung füllt mit ihrem Ablaufen die Zeit aus, bildet den Inhalt der Zeit. Aber die Erscheinungen füllen die Zeit nicht auf die gleiche Art und Weise aus: die einen bleiben, während die anderen vergehen; sie folgen aufeinander oder existieren zur gleichen Zeit. Ein derartiges zeitliches Verhalten nannte Kant die Zeitordnung. Schließlich nimmt die Zeit „in sich das Sein“ der Erscheinung auf gewisse Art auf: Die Erscheinung war oder ist in einem bestimmten Moment oder jederzeit zu beobachten. Eine solche Definition der Zeit nennen wir die Gesamtheit der Zeit. Damit sind alle möglichen Definitionen der Zeit erschöpft: Sie ist eine zeitliche Abfolge, der Inhalt der Zeit, die Zeitordnung, die Gesamtheit der Zeit. Jegliche Erscheinung hat eine bestimmte zeitliche Größe, bildet einen bestimmten Inhalt der Zeit, steht im Verhältnis zu anderen in einem bestimmten zeitlichen Verhalten. Wenn wir nun diese Definition der Zeit mit reinen Begriffen vergleichen, so erweist sich, dass die Zahl der Quantität entspricht, der Inhalt - der Qualität und die Gesamtzeit - der Modalität. Die Zahl ist das Schema der Quantität, der Inhalt der Zeit: als ausgefüllte Zeit - das Schema der Realität, als leere Zeit - das Schema der Negierung. Die Ordnung in der Zeit hat dreierlei Verhalten: die eine Erscheinung dauert an, während andere verschwinden (eine bleibt, die anderen werden abgelöst); das Andauern bei der Ablösung ist das Schema der Substanz der Akzidenzien; die Aufeinanderfolge der Erscheinungen, wenn sie nach der Regel erfolgt, ist das Schema der Kausalität, und das gleichzeitige Andauern von Erscheinungen ist das Schema der Kommunikation oder der Wechselwirkung. Das Sein in jedem beliebigen Moment ist das Schema der Möglichkeit, das Sein in einem bestimmten Moment ist das Schema der Wirklichkeit, das Sein in jeglicher Zeit (immer) ist das Schema der Notwendigkeit. Diese Schemata machen Erscheinungen und Kategorien einander zugänglich. Der Verstand verbindet die Erscheinungen mit Hilfe der Kategorien. Er bringt Urteile mittels der Schemata durch die Kraft der Phantasie hervor. So sind nun nicht nur Regeln, sondern auch ein Leitfaden für ihre Anwendung gegeben. Erscheinungen, die sich richtig zu einer Zeit wiederholen, werden 572 wir nicht als Ursachen und Folgen miteinander verbinden; Erscheinungen, die innerhalb der Zeit ablaufen, werden wir uns nicht unter dem Begriff der Substanz vorstellen, und Erscheinungen, die zu jeder Zeit existieren, werden wir nicht als Erscheinungen betrachten, die nur zufällig vor sich gehen. Weiterhin wird von Kant die Frage untersucht, auf welche Art und Weise aus Kategorien reiner Begriffe des Verstandes Gesetze des Verstandes hervorgehen. Die Grundzustände des reinen Verstandes gliedern sich nach Gattungskategorien in vier Gruppen: Axiome der Anschauung, Antizipation der Wahrnehmung, Analoge der Erfahrung und Postulate des empirischen Denkens. So ist der Schematismus des reinen Verstandes, die transzendentale Kraft der Phantasie in der Kantischen Gnoseologie das Bindeglied zwischen der Sinnlichkeit und dem Verstand, von denen bisher die Rede war als von der einzigen Fähigkeit der Erkenntnis. Ihre Funktion (die Synthese genannt wird) besteht darin, das gegebene Vielfältige in Raum und Zeit zu verbinden. Wenn das der Verbindung unterliegende Vielfältige in der Erfahrung gegeben ist, wird die Synthese empirisch sein, wenn jedoch das Vielfältige a priori gegeben ist, wird sie rein sein. Wenn man die angeführten Leitsätze der Philosophie Kants von der Position der materialistischen Dialektik einschätzt, muß man bekennen, dass es das große Verdienst Kants ist, sich um die Verbindung des Sinnlichen und des Verstandes bemüht zu haben. Kant hat zwar selbst den dialektischen Sinn dieser seiner Ideen nicht verstanden, was schon Hegel angemerkt hat: „Reine Sinnlichkeit und reiner Verstand, die uns Kant früher als absolut gegensätzlich dargestellt hat, vereinen sich nun. In dieser Ansicht ist schon ein gewisser anschaulicher Verstand oder eine verstandesmäßige Anschauung vorhanden; aber Kant versteht das nicht, er kommt nicht zurecht, versteht nicht, dass er hier die beiden Bestandteile der Erkenntnis zusammengeführt und sie damit „an sich“ ausgedrückt hat. In Wirklichkeit ist die Erkenntnis selbst die Einheit und die Wahrheit dieser beiden Momente. Bei Kant bleiben der denkende Verstand und die Sinnlichkeit etwas Getrenntes, das nur auf äußere, oberflächliche Weise zusammengeführt wird, - so ähnlich, wie man z. B. ein Stück Holz und ein Bein zusammen bindet“. 37 Tatsächlich, nachdem Kant die Frage nach der Einheit von Sinnlichkeit und Begriffen richtig gestellt hatte, konnte er sie nicht endgültig lösen, weil er das Prinzip der Dialektik nicht konsequent durchgesetzt und nicht verstanden hat, dass das Sinnliche die Quelle der Begriffe und Kategorien ist. Nach Kants Meinung sind das Sinnliche und die Kategorien einander fremd, da sie aus vollkommen unterschiedlichen Quellen kommen. Deshalb griff Kant zur Anwendung der Kategorien auf das Sinnliche, auf Erscheinungen, auf die Form der Zeit zurück, mit deren Hilfe er Kategorien und Erscheinungen künstlich, äußerlich vereint hat. In Wirklichkeit werden die Kategorien deshalb nicht auf Erscheinungen angewendet, weil es etwas Mittleres (die Form der Zeit) gibt, das sie mit der Sinnlichkeit verbindet. Und weil die Kategorien selbst aus der objektiven materiellen Welt abstrahiert sind, werden sie auf letztere angewendet. Bei der konsequenten Umsetzung der Dialektik in der Erkenntnistheorie hat Kant sein Subjektivismus gestört. Nach Meinung Kants spiegeln weder die Sinnlichkeit, noch die Begriffe den realen Inhalt der objektiven Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten wider. In beiden Fällen ist deshalb bei Kant nur von etwas Subjektivem die Rede. Die Kantische Gnoseologie ist voller ungelöster Widersprüche: In der Anerkennung der Erfahrung als Quelle der Erkenntnis einerseits und andererseits in der Feststellung, dass Erfahrung ohne die Kategorien des Verstandes unmöglich ist, ebenso in der Anerkennung der Existenz der Dinge außerhalb von uns, wie in der Negierung der Möglichkeit der Erkenntnis dieser Dinge. Im Verständnis der Wahrnehmungen als eine der Quellen der Erkenntnis der Philosophie Kants steckt schon ein Widerspruch. Kant behauptete, dass die Sinnlichkeit das Ergebnis der Einwirkung des Gegenstandes auf uns sei. Aber Gefühle, Wahrnehmungen spiegeln nicht den realen Inhalt der Dinge wider, sondern rufen nur Erscheinungen hervor, die laut Kant nichts mit 573 den Dingen „an sich“ zu tun haben. Zwischen unseren sinnlichen Kenntnissen und den Dingen an sich existiert prinzipiell keinerlei Ähnlichkeit. Formal die Wahrnehmungen überbewertend und sie für den Inhalt der Erkenntnis haltend, hat Kant sie nicht als Quelle der Erkenntnis der äußeren Welt anerkannt. Der Kantische Standpunkt wurde schon von I. M. Setschenow einer überzeugenden Kritik unterzogen. In seiner Arbeit „Eindruck und Wirklichkeit“ fragte er: „Haben Gegenstände und Erscheinungen der äußeren Welt an und für sich irgendeine Ähnlichkeit - und welche genau - mit den Wahrnehmungen, die das menschliche Bewußtsein von ihnen hat?“ Und im Gegensatz zu Kant antwortete er bejahend auf diese Frage, da „äußerliche leuchtende Bilder von der empfindlichen Oberfläche des Auges (Netzhaut) mit fast fotografischer Genauigkeit aufgenommen werden, wobei die Netzhaut so eingerichtet ist, dass jeder einzelne Punkt von ihr, der von einem Lichtstrahl getroffen wird, ihn einzeln aufnimmt. Die fotografische Ähnlichkeit zwischen den äußeren Bildern und ihren Abbildungen im Auge wird bekanntlich dadurch erreicht, dass sich das Licht im Auge genauso bricht, wie in den Linsen optischer Instrumente, und die punktförmige Wahrnehmung leuchtender Bilder kommt dadurch zustande, dass von jedem Punkt der Netzhaut ein Nerv zum Nervenzentrum führt“. 38 Wie wir sehen, hat I. M. Setschenow wissenschaftlich bewiesen, dass die Ähnlichkeit eines unbekannten Gegenstandes mit seiner Abbildung auf der Netzhaut keinem Zweifel unterliegt. Nach Meinung Setschenows sind unsere Sinnesorgane ein Werkzeug zur Orientierung in Raum und Zeit, und diese Rolle können sie nur in dem Fall ausüben, wenn sie die Wirklichkeit richtig wahrnehmen. Kant ist es nicht gelungen, die wahre Dialektik von Sinnlichkeit und Verstand aufzudecken. Eine Analyse dieses Problems leidet unter ernsten Mängeln. Das alles kann jedoch die Bedeutung seines Versuches, das synthetische apriorische Wissen zu begründen, nicht vollkommen wertlos machen. Kant hat deutlich die synthetischen Urteile a priori, die objektive Bedeutung haben, von den Urteilen der Wahrnehmung unterschieden, die nur subjektive, individuelle Bedeutung haben. Es muß bemerkt werden, dass das Kantische Verständnis des Objektiven und Subjektiven nicht mit dem wirklich wissenschaftlichen Verständnis dieser Frage zu tun hat, weil er die Objektivität der synthetischen apriorischen Urteile nicht in dem Sinne versteht, dass ihr Inhalt das Wesen der Dinge widerspiegelt, die außerhalb und unabhängig von uns existieren. Die Urteile, da sie unsere sind, hielt Kant immer für subjektiv, unabhängig davon, ob es um Wahrnehmungsurteile oder Erfahrungsurteile geht; und das heißt, dass sie alle von den Dingen an sich durch eine unüberwindbare Grenze getrennt sind. Kant verstand nicht, dass die Formen der Gedanken, die Urteile deshalb nicht objektiv sind, weil sie für jegliches Bewußtsein eine verbindliche Bedeutung haben, sondern weil ihr Inhalt die Widerspiegelung der Zusammenhänge der objektiven Welt ist. Ungeachtet der Mängel, der idealistischen Fehler der Kantischen Auslegung des Problems ist unzweifelhaft, dass bei der Erforschung der Natur der Erkenntnis, bei der Begründung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens Kant einen Schritt vorwärts getan hat im Vergleich mit der vorangegangenen Philosophie. Er hat auch die Logik wesentlich voran gebracht, indem er die Frage nach dem synthetischen Charakter des Wissens, nach der Herausbildung des Wissens gestellt hat. Der Beitrag, den er zur Ausarbeitung logischer Kategorien geleistet hat, und der Umstand, dass er ihnen bei der Herausbildung wissenschaftlich-theoretischen Wissens größte Bedeutung beigemessen hat, gestattet es, mit aller Überzeugung zu erklären, dass Kant etwas Neues in das Verständnis der Logik selbst eingebracht hat. In der traditionellen formalen Logik werden die allgemeinen logischen Formen, die Kategorien, nicht speziell erforscht. In der Neuzeit hat Kant als erster die Tradition der Metaphysik von Aristoteles wiederbelebt. Im Verlauf der Begründung des synthetischen apriorischen Wissens hat er sich den Kategorien als allgemeinen Formen und Gesetzen des wissenschaftlich-theoretischen 574 Wissens zugewandt. Die transzendentale Logik Kants ist keine Logik in ihrem traditionellen Verständnis (über die reinen Formen, die Sprache der Wissenschaft), sondern tritt als inhaltliche Logik, als Logik der allgemeinen Formen der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis auf. Dank dessen ist die Entwicklung des logischen Gedankens von Kant und Hegel bis zu Marx die einzig richtige, produktive Form der Entwicklung des logischen Gedankens. Die Neokantianer führen die Logik von ihrem wahren Entwicklungsweg fort, indem sie die Mängel der Kantischen Philosophie, den Apriorismus und Agnostizismus, aufbauschen. Die Kantische Philosophie unterscheidet strikt zwischen transzendentaler und allgemeiner Logik. Letztere erforscht laut Kant nicht den Inhalt der Erkenntnis, da es für sie völlig gleich ist, ob dieser Inhalt empirischer oder apriorischer Herkunft ist. Deswegen verhält sie sich gleichgültig gegenüber dem Streit der Richtungen in der Wissenschaft und Philosophie. „Die Grenzen... der Logik sind völlig exakt dadurch bestimmt“, schrieb Kant, „dass sie eine Wissenschaft ist, die nur die formalen Regeln jeglichen Denkens gründlich darlegt und streng beweist“. 39 Wegen ihrer Formalität hat die allgemeine Logik einen geringen Anwendungssektor und kann nicht als Instrument des wissenschaftlich-theoretischen Wissens dienen. Kant war vollkommen mit jenen Kritikern der formalen Logik einverstanden, die sich für nicht tauglich für die Überprüfung der Richtigkeit der sogenannten analytischen Urteile hielten. In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat er nicht nur die Begrenztheit der traditionellen Logik konstatiert, die er als beendet (d. h. alle Möglichkeiten der Entwicklung erschöpft habend) qualifizierte, sondern war bestrebt, eine solche Logik zu erarbeiten, die nicht vom Inhalt der Erkenntnis abstrahiert und die Herkunft, die objektive Bedeutung logischer Formen in Betracht zieht. Mit diesem Ziel hat er die transzendentale Logik entwickelt, die die theoretische Anwendung der Vernunft in Betracht zieht und solche Regeln aufstellt, deren Einhaltung eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit synthetischen allgemeinen Wissens ist. Die Rede ist nicht von formallogischen Gesetzen der Identität und des Gegensatzes, sondern es wird die Bedeutung logischer Kategorien in der theoretischen Erkenntnis tiefschürfend erforscht. Laut Kant erhält das theoretische Wissen seine Allgemeinheit und Notwendigkeit nur dank logischer Kategorien. Ähnlich wie eine Statue dank künstlerischer Formen und der Idee zur Statue wird, wird auch das Wissen allgemein und notwendig dank logischer Kategorien. Auf Grund alles dessen unterscheidet sich die transzendentale Logik Kants, die so etwas wie der Entwurf der späteren dialektischen Logik von Hegel ist, ernsthaft von der allgemeinen Logik genauso, wie sich die wissenschaftlich-theoretische Anwendung der Vernunft im Denkakt von der formalen, empirischen Beschreibung vorhandener Formen von Vorstellungen unterscheidet. Die transzendentale Analyse der Kategorien In der Philosophie Kants tritt die transzendentale Logik in zwei Teilen auf - als Analytik und als Dialektik. Unter Analytik der Begriffe verstand Kant durchaus nicht die „in philosophischen Forschungen [übliche] Methode, die auftretenden Begriffe ihrem Inhalt nach zu zerlegen und sie deutlich zu machen, sondern die bisher noch wenig angewandte Aufgliederung der Fähigkeit des Verstandes selbst mit dem Ziel, die Möglichkeit apriorischen Wissens zu studieren und nach ihr dabei ausschließlich im Verstand als dem Ort seiner Entstehung zu suchen und die reine Anwendung [des Verstandes] überhaupt zu analysieren“. 40 Den drei Abschnitten der „Kritik der reinen Vernunft“ entsprechen drei Teile der „Prolegomena“, und zwar: wie sind Mathematik, Naturwissenschaft und Metaphysik möglich? 575 Bei der Herausbildung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens (des synthetischen Urteils a priori) spielen, wie schon dargelegt, die zahlreichen Kategorien, die Kant im zweiten Teil der „Kritik der reinen Vernunft“ tiefschürfend erforscht hat, eine große Rolle. Die Kantische Analyse der logischen Kategorien, der universellen Formen des Denkens nimmt einen bedeutenden Platz in der Geschichte der Philosophie ein. Während vor Kant die Kategorien hauptsächlich unter dem Aspekt der Ontologie als allgemeine Zusammenhänge der Welt betrachtet wurden, ist in der Kantischen Philosophie ein neuer Aspekt hinzugekommen: Die Kategorien werden als Prinzipien, als allgemeine Bedingungen der Herausbildung wissenschaftlich-theoretischen Wissens betrachtet. Wichtig ist auch, dass bei Kant die Kategorien erstmals näher als Gegenstand der Logik, der transzendentalen Logik erforscht werden. Wir können deshalb keinesfalls mit denjenigen Autoren einverstanden sein, die sich zu beweisen bemühen, dass Kant bei der Analyse der Kategorien im Vergleich zu Aristoteles einen Schritt zurück getan hat. Derartige Behauptungen haben nichts mit der Wahrheit zu tun und entsprechen nicht der Realität. Sie zeugen nur davon, dass ihre Autoren bei der Analyse der Kantischen Lehre von den Kategorien ihre Aufmerksamkeit nur auf einen Aspekt seiner Lehre richten - seinen Idealismus und Agnostizismus. Sie vergessen dabei leider die produktiven Ideen Kants bezüglich der universellen Formen des Denkens. Kant gehört tatsächlich ein wichtiger Platz in der Geschichte der Philosophie und Logik gerade wegen jener dialektischen Ideen, die er in seiner Philosophie, darunter auch in der Lehre von den Kategorien, entwickelt hat. Um diese Lehre vollständig zu verstehen, muß man sie in ihrem ganzen Umfang erforschen und dabei alle Errungenschaften und produktiven Ideen des Philosophen beachten. Vor Kant finden wir eine mehr oder weniger vollständige Analyse der Kategorien in der Philosophie von Platon und Aristoteles. Platon hat, wie bekannt, fünf Kategorien analysiert. Auf ein höheres Niveau bei der Untersuchung der Kategorien hat sich dann Aristoteles erhoben. In der „Metaphysik„ und in den „Kategorien„ hat er eine tiefschürfende Betrachtung der Kategorien vorgenommen, die er als Gattungen des Seins qualifizierte. Nach Aristoteles hat vor Kant keiner der Philosophen die logischen Kategorien so tiefschürfend erforscht. Das Neue in Kants Herangehen bestand darin, dass er die Kategorien als allgemeine und notwendige Bedingung für die Herausbildung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens betrachtete. Während er die Tatsachen, die sinnliche Vielfalt, die Erfahrung als Eigenschaft der Materie der Erkenntnis annahm, waren die Kategorien für ihn das organisierende Wesen des wissenschaftlich-theoretischen Wissens (der synthetischen Urteile a priori). Und das ist noch nicht alles. Kant hat mehr als irgend jemand vor ihm den Umstand hervorgehoben, dass die Kategorien die Formen des Denkens sind. Eine solche Auffassung hatte eine kolossale Bedeutung in jener Zeit, als die traditionelle Logik unter den Formen des Denkens nur die Urteile, Schlussfolgerungen und Begriffe verstand. Diese Gedanken Kants haben ihre Bedeutung auch heute noch nicht verloren: Die formale Logik und der Positivismus wollen prinzipiell die Kategorien nicht als universelle Formen des Denkens anerkennen. Die Kantische Analyse der Kategorien ist freilich untrennbar mit seinem Idealismus, Agnostizismus und Apriorismus verbunden, was in der marxistischen Philosophie einer allseitigen Kritik unterworfen wurde. Wir dürfen jedoch nicht den Umstand vergessen, dass Kant der große Begründer der deutschen klassischen Philosophie nicht deshalb ist, weil er ein Idealist und Agnostiker war, sondern dank seiner fruchtbaren Ideen, die in der weiteren Entwicklung der Philosophie aufgegriffen und vertieft wurden. Die Kantische Lehre von den Kategorien hat unzweifelhaft eine Reihe von Vorzügen. Das hat Kant auch selber begriffen, denn bei dem Vergleich seiner Lehre von den Kategorien mit der von Aristoteles hat er direkt die Überlegenheit seiner Betrachtungen hervorgehoben. Nach Meinung Kants hat Aristoteles nur die Kategorien beschrieben, ihre Natur bestimmt, ist dabei jedoch nicht 576 den Regeln der Deduktion gefolgt; er hat sogar nicht genau gewußt, wieviel Kategorien überhaupt existieren, denn anfangs hat er zehn Kategorien, die er als Prädikamente bezeichnete, beschrieben und dann noch mal fünf, die er Postprädikamente nannte. Nach Meinung Kants besteht der Hauptmangel der Lehre von Aristoteles von den Kategorien im Fehlen einer Systemhaftigkeit, eines einheitlichen Prinzips, infolgedessen Aristoteles zu den Kategorien einige Modi der reinen Sinnlichkeit rechnete und zu den ursprünglichen Kategorien diejenigen zählte, die abgeleitet sind; einige ursprüngliche hat er überhaupt nicht genannt. Kant war auf sein Kategoriensystem stolz, in dem er sich bemühte, ein einheitliches System durchzusetzen und nicht willkürlich die ersten ihm untergekommenen Kategorien zu beschreiben. Und man muß in gewissem Maße mit dem Königsberger Philosophen einverstanden sein: seine Deduktion der Kategorien ist tatsächlich eine große Errungenschaft des philosophischen Denkens. Diesen Umstand hat auch Hegel vermerkt, obwohl gerade er auf die in der Kantischen Auffassung enthaltenen Fehlleistungen hingewiesen hat. Auch die materialistische Auffassung verneint nicht, dass die Kategorien miteinander verbunden sind und man sich bei ihrer Klassifizierung von einem einheitlichen Prinzip leiten lassen muß. Dem Zusammenhang der Kategorien liegen die realen Zusammenhänge der Dinge und Erscheinungen zu Grunde. In der Welt gibt es nichts voneinander Isoliertes. Der Ausdruck des umfassenden Zusammenhanges sind die Gesetze der Dialektik, und die Kategorien sind Momente des universellen Zusammenhanges, die sich in ihrer Einheit ständig der Erfassung eines ganzheitlichen Bildes der Welt nähern. Die Frage der Klassifizierung der Kategorien berührend, schrieb Lenin: „Kategorien muß man ableiten (und nicht willkürlich oder mechanisch hernehmen) (nicht „erzählen“, nicht „überzeugen“, sondern beweisen)... und dabei von den einfachsten und hauptsächlichsten ausgehen (das Sein, das Nichts, das Werden) [und keine anderen nehmen] - in ihnen steckt die ganze Entwicklung im Keim“. 41 Der Hauptmangel der Kantischen Philosophie besteht gerade darin, dass sie die Begriffe nicht vom Leben ableitet, von der realen Basis, sondern sie für rein und apriorisch erklärt. Ungeachtet dessen, dass sich Kant bei der Ableitung der Kategorien auf die Urteilsfunktionen des Verstandes berufen hat, aus denen die Kategorien resultieren (d. h. nach Kant muß es genau so viele Gattungen reiner Begriffe geben wie Gattungen in den logischen Urteilen), hat er in Wirklichkeit die Kategorien nicht mit Hilfe der Deduktion abgeleitet, sondern nahm sie aus der vorangegangenen formalen Logik. Letzteres hat schon Hegel bemerkt. 42 In der Kantischen Analyse ist vor allem die Fragestellung wertvoll. Er hat klar verstanden, dass zur Deduzierung der Kategorien der Weg ihrer einfachen Beschreibung untauglich ist, dass es notwendig ist, von Beginn an ein gegenständliches Objekt der Untersuchung zu wählen. Wenn die Vernunft die Quelle der Kategorien ist, so existiert sie und zeigt sich in Urteilen. Die Kategorien sind die allgemeinen Bedingungen jeglichen Urteils. Daraus folgt, dass die gesamte Anzahl, die Klassen der Urteile gleichzeitig auf die Gesamtzahl und Klassen der Kategorien hinweisen. Die vorkantische Logik kannte vier Klassen von Urteilen: nach Quantität, Qualität, Verhältnis und Modalität. In jeder Klasse gab es drei Arten von Urteilen. Da die Kategorien nach Kant die allgemeine Bedingung für Urteile sind, müssen diese ebenfalls aus vier Klassen bestehen, von denen jede drei Arten von Kategorien einschließt. Folglich, nahm Kant an, stimmt die Gesamtzahl der Kategorien mit der Gesamtzahl der Formen des Urteils überein, d. h. es gibt zwölf. Die Besonderheit des Kantischen Herangehens besteht darin, dass er im Unterschied zu Aristoteles ein strenges Kriterium aufstellte, dementsprechend es zwölf Kategorien gibt, - nicht mehr und nicht weniger. Das verleiht an sich der Kantischen Deduktion schon den Charakter der Wissenschaftlichkeit und Gründlichkeit, obwohl sie schon Hegel wegen ihres Formalismus streng 577 kritisiert und bemerkt hat, dass Kant keine vollwertige Deduktion betrieb, weil er als Ausgangspunkt die vorhandenen Formen der Urteile, die in der Logik existieren, genommen hat. Allein die Tatsache der Suche nach einem Sachgebiet für die Begründung der Kategorien verdient zweifellos Aufmerksamkeit und muß positiv gewertet werden. Die deutsche klassische Philosophie, deren Wegbereiter Kant war, hat diese Seite seiner Philosophie aufgegriffen. Insbesondere Hegel, der zur Systematisierung (Deduktion) der Kategorien seiner Logik zunächst deutlich das ursprüngliche Ganze (den Gedanken) herausstellte, indem er als Gegenstand dieses Ganze nahm, hat danach die nächste Frage der wissenschaftlichen Untersuchung formuliert: Was ist die abstrakteste, allgemeine Bestimmtheit gerade dieses Ganzen? Da der Gedanke das Ausgangssachgebiet ist, muß als Ausgangsgedanke der abstrakteste angenommen werden, d. h. das Sein, das seinem Inhalt dem Begriff „Nichts“ gleich ist. Aus der Einheit dieser Ausgangskategorien hat Hegel den Begriff „das Werden“ abgeleitet, der der erste konkrete Begriff des logischen Systems ist. Die Auswahl des Sachgebietes hat eine riesige Bedeutung in der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis. Die weitere Entwicklung der Philosophie, besonders der marxistischen, hat klar die Wichtigkeit der Auswahl des Sachgebietes gezeigt, hat entschieden die Beschränktheit und die Mängel der Kantischen Problemstellung überwunden und gleichzeitig allseitig jene im Ansatz positiven Ideen, die in ihr enthalten waren, weiterentwickelt. Die wirklich wissenschaftliche Auswahl des Sachgebietes (des ursprünglichen Ganzen) hat Marx im „Kapital“ allseitig realisiert. Zur Auswahl allgemeiner Bedingungen (der Ware) des Kapitalismus hat Marx vor allem die Forderungen der dialektisch-logischen Erkenntnismethode befolgt. Im „Kapital“ beginnt er direkt mit der Konstatierung der These, dass die kapitalistische Gesellschaft eine riesige Anhäufung von Waren ist, wo jede einzelne Ware eine „Zelle“ der gesamten bürgerlichen Gesellschaft ist. Kant gehört das unzweifelhafte Verdienst, als erster in der neuen Philosophie die Bedeutung eines einheitlichen Prinzips bei der Begründung der Deduktion logischer Kategorien hervorgehoben zu haben. In der „Kritik der reinen Vernunft“ unterstrich er mehrere Male, dass die zwölf verstandesmäßigen Kategorien ihr ganzes System bei weitem nicht erschöpfen, sondern nur die hauptsächlichen Begriffe des Verstandes sind. In seinem Hauptwerk beschränkte sich der Philosoph nicht auf die Deduktion dieser Kategorien, was er für äußerst wichtig hielt. Die Entwicklung eines ganzheitlichen Systems der Kategorien hielt er für nicht schwierig, da es genügt, zu den Hauptkategorien die von ihnen abgeleiteten hinzuzufügen. Z. B. zur Hauptkategorie der Kausalität sind die abgeleiteten Begriffe (Prädikabilien) Kraft, Handlungen, Leiden hinzuzufügen; zur Kategorie des Umgangs - die Prädikabilien Anwesenheit, Gegenwirkung; zur Kategorie der Modalität - die Prädikabilien Entstehung, Verschwinden, Veränderung usw. Schritt für Schritt ist es auf diese Art nicht schwer, nahm Kant an, das ganze Gebiet, das ganze System des Verstandes zu erfassen. Bei der Klassifizierung der Kategorien führte Kant das Prinzip der Dreiheit ein, was ebenfalls einen Schritt vorwärts im Vergleich zu Aristoteles bedeutete, der die Kategorien nur aufzählte. Diese Seite der Kantischen Deduktion hat Hegel hoch geschätzt. In der „Phänomenologie des Geistes“ schrieb er: „Nachdem die Kantische nur instinktiv gefundene, noch nicht in den Begriff Dreifaltigkeit gefasste... in ihre absolute Bedeutung erhoben war..., wurde die wahre Form mit ihrem wahren Inhalt bestimmt und trat der Begriff der Wissenschaft auf “. 43 Hegel würdigte die Vorzüge und nannte vollkommen exakt auch die Mängel der Kantischen Art des Verständnisses der Dreiheit. Da es Kant nicht gelungen war, das Prinzip der Entwicklung in die Logik einzuführen, ist das Prinzip der Dreiheit kein allgemeines Gesetz der inneren Wechselbeziehung aller logischen Kategorien, sondern tritt als lokale und enge Regel in dieser 578 oder jener Gruppe auf. Das Verdienst Kants besteht zweifellos schon darin, dass er als erster versucht hat, das Prinzip der Dreiheit in der Logik anzuwenden, obwohl er nicht bis zum inhaltlichen, allgemeinen Verständnis dieses Prinzips gelangt ist. Dabei ist dieses Prinzip das fundamentale und allgemeine Gesetz der Dialektik als Logik der wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Vorzüge der Kantischen Kategorien-Tabelle erschöpfen sich nicht mit dem Dargelegten. In ihr gab es zweifellos eine Reihe fruchtbarer Ideen, die in ihrer weiteren Entwicklung einen wichtigen Platz in der Dialektik, die als Logik und Erkenntnistheorie verstanden wird, einnahmen. Es geht vor allem um folgendes: Jede Kategorien-Klasse in der Tabelle Kants enthält die gleiche Anzahl von Kategorien, nämlich drei. Die dritte Kategorie in der Tabelle entsteht immer aus der Vereinigung der ersten und zweiten Kategorie der gleichen Klasse. Z. B. ist die Gesamtheit (Totalität) im Kantischen Verständnis immer die Vielzahl als Einheit betrachtet; die Begrenzung ist die Realität, verbunden mit der Verneinung; Umgang ist die Kausalität der Substanzen, die einander bestimmen; Notwendigkeit tritt als Existenz auf, die schon durch ihre Möglichkeit selbst gegeben ist. Die Wechselbeziehung der ersten beiden Kategorien mit der dritten behandelnd, hat Kant gewarnt, dass man letztere nicht als abgeleitet betrachten darf, sondern als Synthese, als qualitativ neue Bildung usw. „Man darf jedoch nicht denken, dass die dritte Kategorie“, schrieb Kant, „nur ein abgeleiteter und kein Grundbegriff des reinen Verstandes ist. Die Vereinigung der ersten und zweiten Kategorie, die einen neuen Begriff bildet, verlangt einen besonderen Verstandesakt, der nicht mit dem Verstandesakt in der ersten und zweiten Kategorie identisch ist“. 44 Es ist nicht schwer zu begreifen, dass der Philosoph hier fruchtbare dialektische Ideen geäußert hat. Schon Hegel hat die Idee der Dreiheit in der Kantischen Kategorien-Tabelle gewürdigt, weil er in ihr Ansätze, ursprüngliche Gedanken des Gesetzes der Negation der Negation sah. Dem Blick Hegels ist freilich auch nicht der globale Formalismus Kants entgangen, der auch in diesem Fall vorhanden ist. Bei der aufmerksamen Analyse der Betrachtungsweise Kants lassen sich in seinen KategorienTabellen auch Anfangsideen der Einheit der Gegensätze entdecken. Tatsächlich negieren die ersten beiden Kategorien einander, und die dritte ist ihre Synthese, ein qualitativ neuer Begriff. Z. B. negieren Einheit und Vielheit einander. Die Ganzheit als neue Kategorie ist die Synthese, die Einheit der Vielheit. Die Künstlichkeit der Kantischen Analyse ist die Folge davon, dass sich seine Kategorien-Tabelle nicht auf das fruchtbare Prinzip der Entwicklung stützt. Obwohl die Kantische Problemstellung ursprüngliche Ideen der Dialektik, ihre Umrisse enthält, hat sie keine richtige Seele, d. h. kein Prinzip der Entwicklung. Der prinzipielle Vorzug der Hegelschen Dialektik besteht darin, dass sie sich allseitig auf das Prinzip der Entwicklung stützt, und deshalb werden alle künstlichen Dialektik-Schemata Kants (Tabellen) bei Hegel wesentlich umgewandelt und erhalten gleichsam ein reales Leben, ein organisches Sein. Wenn man die Kantische Definition der Kategorien unvoreingenommen mit der von Aristoteles oder überhaupt mit der vorkantischen Definition vergleicht, so kann man leicht neue Elemente, die Neuartigkeit der Auslegung entdecken. So widerstanden in der gesamten vorkantischen Philosophie die Kategorien „Einheit“ und „Vielheit“ einer Synthese. Kant jedoch führte die Kategorie „Ganzheit“ ein und versuchte, sie in Einheit zu betrachten. Es ist ihm leider nicht gelungen, eine wahre, dialektische Synthese dieser Kategorien herzustellen. Wichtig ist jedoch der Schritt selbst, den Kant in dieser Richtung getan hat. Eine wesentliche Bedeutung hat für uns auch die Tatsache, dass Kant die Kategorien nicht als etwas Abstrakt-Allgemeines betrachtet hat, sondern als etwas Allgemeines, konkretes Allgemeines, was die Möglichkeit gibt, das sinnliche Vielfältige in das wissenschaftlichtheoretische Wissen umzubilden. Kant hat verstanden, dass das empirische Allgemeine keinesfalls für wissenschaftliches Wissen gehalten werden kann; es ist subjektiv und hat nicht die 579 Funktion der Allgemeingültigkeit. Solches Wissen wird nur dann objektiv, wenn zu ihm logische Kategorien hinzukommen, die apriorische Formen des Verstandes sind. Kant hatte insgesamt Recht, wenn er Kategorien von empirischer allgemeiner Vorstellung, vom Abstrakt-Allgemeinen unterschied, aber er zog daraus unhaltbare, apriorische Schlüsse. Ihm schien, dass die einzige Möglichkeit, die Allgemeinheit der Kategorien zu beweisen, die Zulassung ihrer apriorischen Entstehung ist. Nach Meinung Kants haben die Kategorien, die Begriffe eine bedeutende Rolle bei der Erkenntnis. Kant unterschied Urteile der Erfahrung und theoretisches Wissen, die objektive Bedeutung haben, da sie beständige Bedeutung für uns und auch für andere haben, von Urteilen der Wahrnehmung, die nur subjektive, individuelle Bedeutung haben. Wie wir bemerkt haben, hat das Kantische Verständnis von Subjektivem und Objektivem nichts mit dem wahren wissenschaftlichen Verständnis dieser Frage gemein. Wir können aber nicht außer Acht lassen, dass die Kantische Teilung in Urteile der Erfahrung und der Wahrnehmung auch positive Bedeutung hat, besonders, wenn Kant den Übergang vom Einen zum Anderen betrachtet. Hier stellt er die Frage vom Wechselverhältnis des empirischen und theoretischen Wissens, und darin liegt eine der starken Seiten seiner Philosophie. Der Übergang von Urteilen der Wahrnehmung zu Urteilen der Erfahrung ist nur mittels der Begriffe des Verstandes möglich, die das Prädikat eines möglichen Urteils sind. Nehmen wir ein Beispiel von Kant selbst: Nach Meinung Kants ist das Urteil „Wenn die Sonne den Stein bescheint, wird er warm“ ein einfaches Urteil der Wahrnehmung, das nur subjektive Bedeutung hat. Wenn wir diesem Urteil den Charakter der Allgemeinheit, der Objektivität verleihen wollen, müssen wir ihm reine Begriffe des Verstandes hinzufügen. So ein Begriff mag der Begriff der Kausalität sein. Sie verbindet notwendigerweise den Begriff der Sonne mit dem Begriff der Wärme und verwandelt das subjektive Urteil der Wahrnehmung in das objektive Urteil der Erfahrung, welches allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Diesen Umstand betonend (und sogleich in Agnostizismus verfallend) schrieb Kant, dass „die Urteile der Erfahrung ihre objektive Bedeutung nicht aus der unmittelbaren Erkenntnis des Gegenstandes (die unmöglich ist) schöpfen, sondern nur aus der Bedingung der Allgemeingültigkeit empirischer Urteile; ihre Allgemeingültigkeit hängt nicht von empirischen und überhaupt nicht von sinnlichen Bedingungen ab, sondern immer vom reinen verstandesmäßigen Begriff“. 45 Das Urteil der Erfahrung (das synthetische Urteil a priori) ist laut Kant nur mittels der Begriffe des Verstandes möglich. Bei der Bildung des synthetischen Urteils spielen die Kategorien des Verstandes die Hauptrolle. Hieraus folgt, dass im System der Kantischen Gnoseologie den Kategorien des Verstandes ein hervorragender Platz gehört, da sie die Bedingungen für die Möglichkeit des synthetischen Urteils a priori schaffen, dessen Begründung die „Kritik der reinen Vernunft“ gewidmet ist. Man kommt nicht umhin, auch folgenden Mangel zu bemerken: Der Philosoph betrachtet die Begriffe und Kategorien nur vom Standpunkt ihres Wertes aus, den er darin sieht, dass sie die Möglichkeit des Erfahrungsurteils bedingen. Gerade diese Schwäche der Kantischen Philosophie war den Neokantianern sehr recht, besonders Rickert, der verneinte, dass Begriffe die objektive Welt widerspiegeln; er erkannte sie nur als Erkenntniswerte, als subjektive Werkzeuge der Erkenntnis an. Dabei ist die Idee Kants vom Zusammenhang der Kategorien und den Urteilen genial, weil sie - wenn auch noch rudimentär - die Vorstellung vom Zusammenhang und der gegenseitigen Abhängigkeit der Formen des Denkens ausdrückt. Die Art der Beweisführung und der Ausgangspunkt der Kantischen Philosophie halten keiner Kritik stand, weil sie idealistisch sind: Nach Kants Meinung vollzieht sich der Übergang vom individuellen Urteil der Wahrnehmung zu Urteilen der Erfahrung nicht auf der Basis der Wirklichkeit, sondern mittels 580 des Anschlusses an die sinnlichen Fakten der apriorischen Begriffe des Verstandes. Aus diesem Grunde enthält die Kantische Lehre von den Kategorien nicht wenige ernsthafte Mängel. Nehmen wir nur die Kantische Auslegung der Kategorien als apriorische Produkte des Verstandes. Sie zeugt deutlich davon, dass Kant die wahre Quelle der Entstehung der Kategorien nicht begriffen hat und sich deshalb mit aller Kraft bemühte, ihre apriorische, Vorerfahrungsherkunft zu beweisen, da er darin die Grundlage der Allgemeinheit und Notwendigkeit der Kategorien sah. Wie auch Hume hielt es Kant für unmöglich, die Allgemeinheit der Kategorien auf empirischer Verallgemeinerung zu begründen. Und obwohl er sich in der Lehre vom synthetischen apriorischen Wissen bemühte, den Verstand zu überwinden, blieb er doch im Rahmen des verstandesmäßigen Denkens, da der Apriorismus die äußerste Anstrengung der verstandesmäßigen Art der theoretischen Begründung ist. In der Kantischen Lehre von den Kategorien ist auch der Psychologismus nicht überwunden. Bei der Analyse der Struktur des theoretischen Wissens fand der Philosoph neben sinnlichen Werten auch Kategorien, die er deswegen als apriorische auffasste, weil er die Dialektik der individuellen und gesellschaftlichen Erfahrung nicht verstand. Deshalb sah er nicht die wirkliche Quelle der Entstehung der Kategorien. Im Unterschied zu Hume führte er die Kategorien nicht auf subjektive Gewohnheiten zurück, - ihm war bewußt, dass sie eine objektive allgemeine Bedeutung haben; er war jedoch nicht in der Lage, sie aus der Erfahrung im engen, empirischen Sinne herzuleiten und trat darum für die Apriorität ihrer Entstehung ein. Die kritische Überwindung des Kantischen Apriorismus wurde von Hegel auf der Grundlage des objektiven Idealismus bewerkstelligt. Hegel suchte die Quelle der Entstehung der Kategorien nicht im Bewußtsein des Individuums, sondern in der Selbstentwicklung des Geistes, in der Tätigkeit des absoluten Bewußtseins, des unbedingten Subjektes, das ursprünglich objektiv und unabhängig nicht nur vom Individuum und seinem Bewußtsein, sondern auch von der Natur und vor der Entstehung der menschlichen Gesellschaft existiert. Logische Kategorien sind laut Hegel Stufen, Knotenpunkte in der Tätigkeit des absoluten Denkens. Er hielt es für falsch davon zu sprechen, dass ein Urteil deswegen zustande kommt, weil dem Subjekt ein Prädikat zugeteilt wird, da das Subjekt selbständig existiert, außerhalb von uns, das Prädikat jedoch - im Kopf. Solch einer Vorstellung widerspricht angeblich auch die Kopula „ist“ in Urteilen. „Wenn wir sagen „diese Rose ist rot“ oder „dieses Bild ist schön“, behaupten wir, dass nicht wir von außen die Rose gezwungen haben, rot zu sein, oder das Bild - schön zu sein, sondern das macht die Eigendefinition dieser Gegenstände aus“. 46 Wie wir sehen, hat Hegel die Schwäche der Kantischen Gnoseologie richtig erfasst, obwohl er selbst seine Kritik von den Positionen des Idealismus ausübte und annahm, dass die Dinge dank der Begriffe existieren. Die wissenschaftliche Auffassung geht davon aus, dass nicht wir den Dingen, dem Subjekt willkürlich ein Prädikat zuordnen, sondern dass unsere Urteile selbst die Widerspiegelung objektiver Prozesse, realer Zusammenhänge und Beziehungen sind. Wenn wir das Urteil äußern „die Sonne erwärmt den Stein“, ordnen wir nicht die Kategorie der Kausalität den Fakten zu, wie Kant annahm, sondern drücken in unserem Urteil nur die realen Zusammenhänge der Dinge aus. Die Kategorien der Philosophie sind keine reinen Produkte des Verstandes, sondern Abbildungen der Gesetzmäßigkeiten der objektiven materiellen Welt und gleichzeitig Stufen, Knotenpunkte in der Erkenntnis. Die Kategorien haben sich historisch im Ergebnis der Erfahrung herausgebildet. Aus der Praxis entstanden und viele Urteile und Schlüsse in sich aufnehmend, erlangen sie axiomatischen Charakter, dank dessen sie Grundlage des Urteils sind. Die wissenschaftliche Auffassung von den Kategorien unterscheidet sich dadurch von der Lehre der kritischen Philosophie, dass - während die Kategorien nach Kant apriorische Formen des Verstandes sind, denen Fakten von außen zugeordnet werden, um ihnen allgemeine Bedeutung zu geben - sie nach materialistischer 581 Auffassung die Widerspiegelung der Gesetzmäßigkeiten der objektiven Welt sind und unseren täglichen Urteilen insofern zu Grunde liegen, als sie die verkürzten Widerspiegelungen des inneren Zusammenhangs der Wirklichkeit sind. Die Kategorien würden niemals den Urteilen zu Grunde liegen, wenn sie nicht das Wesen des objektiven Zusammenhangs ausdrückten. Die Übereinstimmung der fortschreitenden Entwicklung der Kategorien und Urteile (z. B. Wesen - kategorisches Urteil, Kausalität - kausales [bedingtes] Urteil, Notwendigkeit - apodiktisches Urteil usw.) ist dadurch zu erklären, dass sowohl die Kategorien als auch die Urteile eine einheitliche Grundlage haben, sowohl die einen als auch die anderen die Wirklichkeit widerspiegeln: In der Wirklichkeit schreitet die Entwicklung vom Niederen zum Höheren fort, und auch in der Erkenntnis erleben wir die folgerichtige Entwicklung sowohl der Urteile als auch der Kategorien. Wenn wir auch Kant Gerechtigkeit dafür widerfahren lassen, dass er als erster das Problem des Zusammenhanges von Kategorien und Urteilen untersucht hat (in seiner „Kritik der reinen Vernunft“), müssen wir doch die Kantische Deutung der Begriffe als bequemes Instrumentarium des Erkenntnisprozesses als vollkommen unwissenschaftlich anerkennen. Die Begriffe haben wirkliche Erkenntnis vermittelnde Bedeutung, weil sie innere Zusammenhänge, das Wesen von Dingen und Erscheinungen ausdrücken. Kant hat bekanntlich den objektiven Charakter von Gesetzen der Natur und Gesellschaft negiert. Nach Kant werden der Natur die Gesetze von unserem Verstand diktiert. Er schrieb: „Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht (a priori) aus der Natur, sondern er schreibt sie ihr vor“. 47 Im Zusammenhang damit muß bemerkt werden, dass - wenn über den subjektiven Idealismus Kants gesprochen wird - meistens nur die eben zitierte Überlegung gemeint ist. Dabei wird jedoch nicht beachtet, wie Kant die Natur selbst verstanden hat. Der Philosoph hat indessen die Natur für einen Fakt der Erkenntnis gehalten. Er untersuchte sie freilich auf subjektiver Ebene, als „Gesamtheit der möglichen Erfahrung“, und die Kategorien des Verstandes - als „Bedingungen der möglichen Erfahrung“. Aber er hielt sowohl die Kategorien als auch die Gesetze des Verstandes für Bedingungen der Natur, obwohl seiner Meinung nach nicht die Natur die Möglichkeit der Kategorien und Gesetze des Verstandes bedingt, sondern umgekehrt die Kategorien und Gesetze des Verstandes die Möglichkeit der Erfahrung und der Natur bestimmen. Angesichts der Ähnlichkeit seiner Position mit dem Standpunkt von Berkeley klammerte sich Kant mit aller Kraft an die nicht erkennbaren „Dinge an sich“ und erklärte sie für unabhängig von den Kategorien des Verstandes. „Tatsächlich“, schrieb Kant, „existieren die Gesetze nicht in Erscheinungen, sondern nur in Beziehung zum Subjekt, dem diese Erscheinungen eigen sind, da es einen Verstand besitzt; genau, wie die Erscheinungen nicht für sich alleine existieren, sondern nur in Beziehung zu dem gleichen Wesen, da es Gefühle hat. Die Gesetzmäßigkeit alleine wäre ihnen eigen auch außerhalb des sie erkennenden Verstandes. Aber die Erscheinungen sind nur Vorstellungen über Dinge, von denen unbekannt bleibt, wie sie an sich sein können. Als Vorstellungen ordnen sie sich einfach keinem Gesetz unter, das eine verbindende Fähigkeit vorschreibt“. 48 In dieser Frage wurde der Standpunkt Kants von Hegel einer gerechten Kritik unterzogen, der schrieb, dass - wenn wir die Eigenschaften eines Dinges kennen - wir auch das Ding selbst kennen. Das Kantische unerkennbare Ding an sich, so Hegel, ist eine leere und inhaltslose Abstraktion. Den Standpunkt des Marxismus in dieser Frage hat Engels formuliert, der schrieb, dass die Praxis die Macht des menschlichen Wissens zeigt; auf der Grundlage der menschlichen Praxis vollzieht sich ununterbrochen vor unseren Augen die Verwandlung der „Dinge an sich“ in „Dinge für uns“. Zwischen ihnen gibt es keine unüberwindbare Grenze, und der Unterschied besteht nur darin, dass die einen schon erkannt und die anderen noch nicht erkannt sind. Kant betrachtete die Frage nach der Entstehung der Kategorien und ihrer Erkenntnis 582 vermittelnden Rolle in Einheit. Das muß zweifellos als positiv anerkannt werden. Im Vorwort zu seinen „Prolegomena“ die Meinung von Hume über den Begriff untersuchend, schrieb Kant: „Es war nur von der Entstehung dieses Begriffs die Rede, nicht von der Notwendigkeit seiner Anwendung; wenn seine Entstehung erklärt worden wäre, wären auch von selbst die Bedingungen seiner Anwendung und die Sphäre seiner Anwendbarkeit klar geworden“. 49 Die dialektische Logik untersucht auch die Frage der gnoseologischen Rolle der Begriffe im Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung der Begriffe, löst sie jedoch direkt entgegengesetzt zu der Kantischen Position. Sie ist der Ansicht, dass der Erkenntniswert der Begriffe mit ihrem objektiven Charakter zusammenhängt. Die Begriffe sind aus der Wirklichkeit abstrahiert und bilden das Wesen der Erscheinungen ab. Erdachte und mit dem objektiven Gang der Dinge nicht verbundene Abstraktionen haben keinerlei Erkenntnis vermittelnde Bedeutung. Kant jedoch - wie wir sehen - ging an die Kategorien von der entgegengesetzten Seite heran. Er verneinte freilich das Angeborensein der Ideen und ist sich dabei mit Locke einig, der die Anhänger der Theorie von den angeborenen Ideen als faule Philosophen bezeichnete. Aber gleichzeitig war Kant nicht mit der Ansicht Lockes von der Entstehung unseres Wissens aus der Erfahrung einverstanden, da die Erfahrung angeblich nur eine einmalige und subjektive Vorstellung gibt. Nach Kants Meinung sind die Erkenntnis vermittelnde Bedeutung, Allgemeinheit und Notwendigkeit der Begriffe untrennbar mit ihrer apriorischen Entstehung verbunden. Daher ist es natürlich, dass die Kategorien des Verstandes auf keinen Fall empirische Produkte sind. Bezüglich der Kategorie der Kausalität erklärte Kant z. B., dass es notwendig sei, die Apriorität ihrer Entstehung anzuerkennen, ansonsten sei sie nur wert, weggeworfen zu werden. Er schrieb: „Dieser Begriff verlangt unbedingt, dass etwas (A) so ist, damit aus ihm unbedingt und nach absolut allgemeiner Regel etwas anderes (B) folgt. Die Erscheinungen geben natürlich viele Gelegenheiten für die Aufstellung einer Regel, nach der gewöhnlich etwas entsteht, sie beweisen jedoch niemals, dass die Folge mit Notwendigkeit entsteht; deshalb hat die Synthese von Ursache und Handlung solch einen Vorzug, den man nicht empirisch ausdrücken kann: er besteht darin, dass sich die Handlung nicht einfach an die Ursache anschließt, sondern als Ursache angenommen wird und aus ihr folgt. Die strikte Allgemeinheit der Regeln kann auch keine Eigenschaft der empirischen Regeln sein, die mit Hilfe der Induktion nur eine relative Allgemeinheit, d.h. eine breite Anwendbarkeit erlangen. Die Anwendung reiner verstandesmäßiger Begriffe würde sich vollkommen verändern, wenn sie nur als empirische Produkte betrachtet würden“. 50 Aus dem Gesagten folgt, dass nach Kant die Kategorien ihrer Erkenntnis vermittelnden Bedeutung beraubt wären, wenn sie einen empirischen Ursprung hätten. Ein wichtiges Moment der Kantischen Philosophie ist auch die Idee der Systemhaftigkeit der Kategorien, dank der es Kant für möglich hielt, die ganze Fülle des Wissens einer Wissenschaft auszudrücken, wobei er unterstrich, dass er unter Fülle die innere Einheit des Wissens versteht. Diese Fülle „ist möglich“, schrieb er, „nur mit Hilfe der Idee des apriorischen verstandesmäßigen Wissens als Ganzes und dank der dadurch bestimmten Teilung der Begriffe, die diese Idee des Ganzen ausmachen; folglich ist sie nur dank dessen möglich, dass sie sich in ein System verbindet“. 51 Die Frage der Systemhaftigkeit, der Ganzheit des Wissens wurde von Kant am detailliertesten im Zusammenhang mit der Analyse der Architektonik des reinen Verstandes ausgearbeitet. Da das Wissen die Form der Wissenschaftlichkeit erwirbt, ist die Architektonik im Verständnis des Philosophen die Lehre von der wissenschaftlichen Seite unseres Wissens. Kant versuchte, auf eigene Art den Inhalt des Begriffes des Systems zu analysieren. Am inhaltsreichsten deckte er drei Aspekte dieses Begriffes auf. Erstens - das System als Einheit vielfältigen Wissens, das durch eine Idee vereint ist. In diesem Fall hat der Philosoph die ursprüngliche Idee der Ganzheit, 583 Totalität und Konkretheit u. dgl. erfasst. Ursprünglich nennen wir die Idee deshalb, weil Kant sie noch nicht mit dem Prinzip der Entwicklung verband; seine Auslegung des Systems als Ganzheit ist abstrakt, künstlich. Zweitens - ist das System im Verständnis des Philosophen durch eine einheitliche Idee vereinigt, die das Ziel und die Form des Ganzen enthält. Drittens - im Verständnis Kants ist das Ganze, das System nicht eine einfache Anhäufung, sondern das Ergebnis einer bestimmten inneren Aufgliederung. In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat Kant sein Verständnis der Systemhaftigkeit des Wissens folgendermaßen formuliert: „Unter einem System ... verstehe ich die Einheit vielfältigen Wissens, das durch eine Idee vereint ist. Und die Idee ist der Begriff der Vernunft von der Form eines gewissen Ganzen, da er a priori den Umfang der Vielfältigkeit und die Stellung der Teile zueinander bestimmt. Folglich enthält der wissenschaftliche Begriff der Vernunft das Ziel und die ihm entsprechende Form des Ganzen. Durch die Einheit des Ziels, zu der alle Teile (des Ganzen) gehören und in deren Idee sie ebenfalls miteinander in Verbindung stehen, ist zu erklären, dass man beim Erwerb von Wissen nicht ein einziges Teil außer Acht lassen darf und auch keine einzige zufällige Hinzufügung tun oder auf einer unbestimmten Größe der Vollkommenheit Halt machen darf, die a priori nicht bestimmte Grenzen hat. Folglich ist das Ganze gegliedert ... und nicht angehäuft ...; es kann freilich innerlich wachsen ... aber nicht äußerlich ... im Unterschied zum Körper eines Tieres, dessen Wuchs nicht in der Hinzufügung neuer Glieder besteht, sondern darin, dass jedes Organ ohne Veränderung der Proportionalität stärker und seinen Zielen angepasster wird“. 52 Bei aller Abstraktheit und Unvollkommenheit hatte diese Kantische Charakteristik des Systems, der Systemhaftigkeit des Wissens wichtige Bedeutung bei der Vorbereitung des konkreten, dialektischen Verständnisses vom Wissen. Gerade Kant vermochte es, zum Problem der Systemhaftigkeit eine Reihe wichtiger Gedanken zu äußern, die sich als sehr fruchtbar erwiesen. Seine Idee der Systemhaftigkeit, der inneren Gebundenheit, Ganzheit des Wissens wurde sofort von den folgenden Vertretern der deutschen klassischen Philosophie, insbesondere von Fichte und Hegel aufgenommen. Fichte betrachtete die Systemhaftigkeit als wichtigstes Charakteristikum der Wissenschaft, des wissenschaftlich-theoretischen Wissens. Hegel verstand die Systemhaftigkeit ebenfalls als wichtiges Charakteristikum, als Form des Seins der Wissenschaft. „Die wahre Form, in der die Wahrheit existiert“, schrieb er, „kann nur ihr wissenschaftliches System sein. Meine Absicht war es, der Annäherung der Philosophie an die Form der Wissenschaft dienlich zu sein, an das Ziel, nach dessen Erreichung sie sich von ihrem Namen Liebe zum Wissen lossagen und wirkliches Wissen sein kann“. 53 Im Unterschied zu Kant und Fichte verstand Hegel das System, die Systemhaftigkeit nicht abstrakt, sondern konkret, da er sie mit dem Prinzip der Entwicklung verband. Auf diese Weise ist das System, das systematische Wissen im Verständnis Hegels nicht eine einfache Einheit auf der Basis irgendeiner Idee, sondern das Ergebnis des Werdens, des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten. Als Idealist hat Hegel freilich die Systemhaftigkeit des Wissens als Ergebnis der Selbstentwicklung aufgefasst, als Selbstbewegung des Ausgangsbegriffs - der Idee. Er hat erstens nicht verstanden, dass die Systemhaftigkeit des Wissens, die Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten nur die Form, die Art der Reproduktion der objektiven Konkretheit im Denken, in der Systemhaftigkeit der Wirklichkeit ist. „Das ist jedoch keinesfalls das Produkt des nachdenkenden und sich außerhalb von Kontemplation und Vorstellung selbst entwickelnden Begriffs, sondern die Verarbeitung von Kontemplation und Vorstellungen zu Begriffen“. 54 Zweitens hat er auch nicht die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche verstanden, hat nicht die Rolle der materiellen, gesellschaftlich-produktionsbezogenen Praxis verstanden, sondern kannte nur die abstrakte theoretische Tätigkeit der absoluten Idee. Deshalb wurde die wirklich wissenschaftliche Fragestellung und Lösung der Frage nach dem System, der Systemhaftigkeit 584 des Wissens erst in der marxistischen Philosophie, in der die Systemhaftigkeit des Wissens als Widerspiegelung der Systemhaftigkeit der gegenständlichen Tätigkeit, die die Systemhaftigkeit der objektiven materiellen Welt wieder herstellte, möglich. Als produktiv erwies sich bei Kant auch, dass er seine Aufgabe nicht auf die Begründung der Idee des ganzheitlichen Wissens beschränkte, sondern auch auf seine Art die Beziehung der Idee zu den Erscheinungsformen, d. h. die Beziehung der Idee zu den anderen Bestimmtheiten des Systems hervorhob. Diese Bestimmtheiten nannte Kant Schemata, bei denen er technische und architektonische unterschied. Wenn man beim Aufbau des theoretischen Wissens von zufälligen, empirischen Zielen ausgeht, ergibt sich eine technische Einheit; wenn man aber beim Aufbau des Wissens direkt von der Idee, vom Bedürfnis und Hauptziel der Vernunft ausgeht, ergibt sich eine architektonische Einheit. Die Wissenschaft im engeren Sinne hat es mit der architektonischen Einheit zu tun. Kant hat in der „Kritik der reinen Vernunft“ den Gedanken umgesetzt, dass keine Wissenschaft ohne eine vereinigende einheitliche Idee auskommt. „Jedoch“, schrieb er, „bei der Ausarbeitung der Wissenschaft entsprechen das Schema und sogar die am Beginn gegebene Definition der Wissenschaft sehr selten der Idee, da sie in der Vernunft wie ein Keim angelegt ist, dessen Teile noch nicht entwickelt und sogar einer mikroskopischen Beobachtung kaum zugänglich sind. Deshalb müssen die Wissenschaften, da sie vom Standpunkt eines gewissen allgemeinen Interesses heraus erfunden werden, nicht entsprechend der von ihrem Gründer gegebenen Beschreibung erklärt und bestimmt werden, sondern gemäß der Idee, die sich angesichts der natürlichen Einheit der sie ausmachenden Teile als in der Vernunft selbst begründet erweist. Tatsächlich erweist es sich nicht selten, dass der Gründer [der Wissenschaft] und sogar seine späteren Jünger um die Idee umherirren, da sie sich selber nicht klargemacht haben und deshalb nicht den wahren Inhalt, die Gliederung (systematische Einheit) und die Grenzen ihrer Wissenschaft bestimmen können“. 55 Weiter hat Kant die Wege und Arten der Herausbildung systematischen theoretischen Wissens erforscht, eingedenk dessen, dass die Wissenschaft zu ihrer Herausbildung einer riesigen Menge von faktischem Material bedarf, welches zunächst empirisch, d. h. mittels der technischen Einheit, verallgemeinert werden muß. Erst nach derartiger vorausgehender Arbeit der Vernunft wird es möglich, die Natur des Ganzen zu umfassen, eine systematische, architektonische Einheit zu bilden. Der Philosoph hat so die Wechselbeziehung empirischer Fakten und theoretischen, ganzheitlichen Wissens verstanden, die nicht von Anfang an postuliert wird, sondern sich im Ergebnis titanischer geistiger Arbeit herausbildet. Bei der Verfolgung des Prozesses der Herausbildung des theoretischen, ganzheitlichen Wissens hat Kant auch die reale Beziehung von Ausgangs-, „embryonalem“ Wissen und systematischem, ganzheitlichen Wissen aufgezeigt. Nach Ansicht des Philosophen stimmt das Ausgangswissen sowohl in Form als auch in Inhalt nicht mit dem ganzheitlichen Wissen überein. Anfänglich scheinen die Systeme eine einfache Anhäufung „gesammelter Begriffe [zu sein], zunächst in verstümmelter, aber mit der Zeit jedoch in vollständig entwickelter Form, obwohl sie alle ihr Schema als ursprünglicher Keim in der sich entfaltenden Vernunft hatten. Deshalb ist nicht nur jedes [System] selbst entsprechend der Idee gegliedert, sondern sie sind alle zweckmäßig im System des menschlichen Wissens vereinigt und Teile eines einheitlichen Ganzen und ermöglichen die Architektonik des gesamten menschlichen Wissens, die es nicht nur möglich, sondern auch nicht schwer ist, in unserer Zeit zu schaffen, wo aus den Ruinen alten Wissens soviel gesammelt ist oder entnommen werden kann“. 56 In diesem kurzen Abschnitt sind sehr interessante Gedanken enthalten. Es geht darum, dass Kant zur Systematisierung des Wissens etwas gesagt hat, was über den Rahmen der normalen, 585 formalen Deduktion hinausgeht, laut der in der ersten Prämisse, d. h. ganz am Anfang, der Inhalt des gesamten Ganzen gegeben sein muß. In der Kantischen Problemstellung von der Beziehung der ursprünglichen Idee zum gesamten Ganzen in unentwickelter, abstrakter und schematischer Form sind einige ursprüngliche Elemente des Prinzips des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten enthalten. Kant ist tatsächlich nicht bis zum Verständnis dieser Methode gelangt, die im Grunde genommen erst von Hegel ausgearbeitet wurde. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass Kant, nachdem er den Begriff des Systems, die Beziehung zwischen dem Keim und dem Ganzen analysiert hatte, eine Reihe von Ideen geäußert hat, die Hegel als Ausgangspunkte dienten. In der Hegelschen Philosophie sind Abstraktheit und metaphysischer Charakter des Kantischen Verständnisses vom System, der Wechselbeziehungen von Ursprung und Ergebnis überwunden. Nach Hegel sind die Begriffe Ursprung und Resultat keine abstrakten Gegensätze, da die Bewegung, die logische Entwicklung vom Abstrakten zum Konkreten ein einheitlicher Prozess ist, nämlich das Werden des Konkreten. Der Ursprung tritt nur als abstraktes Moment dieses Konkreten auf. „Das Wahre ist das Ganze“, schrieb Hegel. „Aber das Ganze ist nur das Wesentliche, das sich durch seine Entwicklung vollendet. Über das Absolute muß man sagen, dass es im wesentlichen das Resultat ist, dass es nur am Ende das ist, was es wirklich ist“. 57 An anderer Stelle unterstrich er: „So, wie ein Gebäude nicht fertig ist, wenn nur das Fundament gelegt ist, ist der erreichte Begriff des Ganzen noch nicht das Ganze selbst. Dort, wo wir die Eiche mit ihrem mächtigen Stamm zu sehen wünschen, mit ihren weit ausladenden Ästen, mit der Masse ihres Laubes, drücken wir unsere Unzufriedenheit aus, wenn man uns statt dessen nur eine Eichel zeigt. So vollendet sich auch die Wissenschaft, die Krönung einer bestimmten Welt des Geistes, nicht an ihrem Ursprung. Der Ursprung eines neuen Geistes ist das Produkt einer sich weit ausbreitenden Umwälzung vielfältiger Formen der Bildung; er wird nur auf außerordentlich verschlungenen Wegen und durch den Preis vielfacher Anstrengungen und Bemühungen erreicht“. 58 Die angeführten Zitate gestatten es, die Ähnlichkeit und den Unterschied zwischen der Kantischen und der Hegelschen Auslegung des Begriffes des Systems zu erfassen. Insgesamt ist die Überlegenheit des Hegelschen Verständnisses dieses schwierigen Problems offensichtlich, obwohl es ebenfalls keiner wissenschaftlichen Kritik standhält. Von der Position der dialektischmaterialistischen Philosophie aus sind Systemhaftigkeit und Konkretheit vor allem eine objektive, sachliche Charakteristik der Wirklichkeit. Deshalb kann die Realität im Denken in der Theorie nur in systemhafter, konkreter Form als Einheit zahlreicher Bestimmungen wiedererzeugt werden. Die Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten wird von Marx nur als Verfahren ausgelegt, mit dessen Hilfe der Gedanke das objektiv Konkrete geistig als Konkretes meistert und wiedererzeugt. Das Konkrete im Denken ist gerade die natürliche Form, in der sich die Wahrheit realisiert. Jede Bestimmung, die zum System gehört, erfasst eine Seite; isoliert genommen ist sie abstrakt, aber in der Synthese, im System ergeben sie wahres konkretes Wissen. Im Prozess des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten vereint der Mensch nicht mechanisch die ausgesuchten Abstraktionen, sondern synthetisiert wirklich, zunächst die Abstraktionen erkennend, die im gegebenen System allgemeine Bedeutung haben und der Ursprung, der Ausgangspunkt des gegebenen Konkreten sind. Die Frage nach der ursprünglichen, der Ausgangsabstraktion ist in jeder beliebigen Theorie notwendig, weil das Problem der systematischen Erkenntnis so lange nicht gelöst werden kann, wie wir nicht den Ursprung des sich entwickelnden Systems entdeckt und die Verfahren seiner theoretischen Bewegung verfolgt haben. Im „Kapital“ analysiert Marx die Ware in ihrer Eigenschaft als elementare „Zelle“, die die 586 Möglichkeit des gesamten konkreten Ganzen enthält. Das, was Marx als Allgemeines, als Ausgangsbestimmtheit betrachtet, fällt mit dem objektiv-historischen Prozess des Werdens und der Herausbildung der kapitalistischen Produktion zusammen. Wenn man sich die kapitalistische Gesellschaft als soziales System innerlich verbundener Beziehungen, als Sein in-sich-und-fürsich vorstellt, ist die Ware das Sein-in-sich der kapitalistischen Gesellschaft. Darum hat Marx auch die Erforschung der bürgerlichen Ordnung mit der Analyse der Ware begonnen. „Die Analyse deckt“, schrieb Lenin, „in dieser einfachsten Erscheinung (in dieser „Zelle“ der bürgerlichen Gesellschaft) alle Widersprüche (respektive Keime aller Widersprüche) der modernen Gesellschaft auf. Die weitere Darlegung zeigt uns die Entwicklung (sowohl Wachstum als auch Bewegung) dieser Widersprüche und dieser Gesellschaft in der Summe ihrer einzelnen Teile von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende“. 59 Das Erkennen der Ausgangsabstraktion hat fundamentale Bedeutung für den Aufbau einer wissenschaftlichen Theorie. Nach Marx ist jedoch die theoretische Erkenntnis nicht mit dem Erkennen der Ausgangsabstraktion beendet. Für die konkrete Erkenntnis der Wirklichkeit ist die Bewegung der Erkenntnis vom Abstrakten zum Konkreten notwendig. Während des Prozesses des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten vollzieht sich die Wiedererzeugung, die logische Aneignung des ganzheitlichen Objektes. Das dialektische Prinzip der Wiedererzeugung der Wirklichkeit ist kein künstliches Verfahren, sondern eine dem Gegenstand adäquate Methode. Im Unterschied zur formalen Deduktion und Induktion, in denen nur eine Seite des konkreten Ganzen erfasst wird, ist die dialektisch-logische Methode des Aufstiegs die am meisten entwickelte, ganzheitliche Methode der Erkenntnis; sie tritt als ideale Form der objektiven Entwicklung, der Formenbildung des Gegenstandes auf. Auf diese Weise übertrifft das moderne Verständnis des Systems, des Konkreten, der Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten um ein Vielfaches die Hegelsche idealistische Auslegung des Problems, schon gar nicht zu reden vom Verständnis Kants, in welchem nur ursprüngliche, embryonale Ideen dieses komplizierten Problems dargelegt sind. Es ist natürlich die Frage zu stellen: Hat die Kantische Lehre vom System, von der Systemhaftigkeit des Wissens irgendeine aktuelle Bedeutung oder ist sie nur von historischem Interesse? Es steht außer jedem Zweifel, dass das Kantische Verständnis des Systems, des architektonischen Charakters des menschlichen Wissens nicht nur historische, sondern auch aktuelle Bedeutung hat. Bei der Erforschung der Dialektik, des dialektisch-logischen Verständnisses des Problems sind zweifellos jene ursprünglichen Ideen Kants von historischem Interesse, die in gewisser Weise als Ausgangspunkt für ein neues, dialektisches Verständnis der Frage von der Systemhaftigkeit des Wissens dienten; die Frage nach dem System, das systemhafte Herangehen ist auch heute noch aktuell. Diese Frage wird meistens parallel mit der Dialektik aufgeworfen, mit dem dialektischen Verständnis des Systems; dabei wird sie als etwas Neues im Vergleich zur Dialektik ausgegeben. Die aufmerksame Analyse dieser Methode zeigt, dass ihr gedanklicher Gehalt im wesentlichen nicht über jene Urteile hinausgeht, die Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ und Fichte in der „Wissenschaftslehre“ formuliert haben. Deshalb bringt die kritische Analyse des Kantischen und Fichteschen Verständnisses gleichzeitig auch die Mängel der sogenannten Systemmethode, der systemhaften Betrachtung ans Licht. Es versteht sich, dass nicht jegliche systemhafte Betrachtung unbedingt ein Synonym für Dialektik ist. Nur diejenige systemhafte Betrachtung stimmt mit der Dialektik überein, deren Systemidee immanent mit dem Prinzip der Entwicklung verbunden ist und deren Kernpunkt das Gesetz der Einheit der Gegensätze ist. Bis zur Idee der Systemhaftigkeit als solcher ist schon Kant gelangt und Fichte noch entschlossener. Die Schwäche und Abstraktheit ihrer Problemstellung besteht darin, dass sie die Idee der Systemhaftigkeit nicht mit dem Prinzip der Entwicklung vereinen konnten. Und wenn wir uns der Kantischen Idee von der Systemhaftigkeit gegenüber mit aller 587 Ernsthaftigkeit verhalten, dann nur deshalb, weil sie als Ausgangsidee für die folgende dialektische Fragestellung gedient hat. Die Kantische Idee der Aktivität des erkennenden Subjektes Wie schon erwähnt, drang in die Logik zusammen mit der Kantischen Analyse der allgemeinen Bedingungen des theoretischen Wissens und der Kategoriestruktur des Denkens die Dialektik ein, die dialektische Methode der Betrachtung der Erkenntnis. Wenn wir uns nur mit dieser Feststellung begnügen würden, wäre das äußerst ungenügend. Denn Kant hat auch andere produktive Ideen hervorgehoben und erarbeitet, die unzweifelhaft eine wichtige Bedeutung im Werden, in der Herausbildung der dialektischen Denkmethode hatten. Es geht um die Idee der Aktivität des erkennenden Subjektes, des theoretischen Denkens. Die vorkantische Philosophie (insbesondere der Rationalismus und der Empirismus) konnten, wie bekannt, die Idee der Aktivität, der Tätigkeit des erkennenden Subjektes nicht erarbeiten. Sie ging passiv an den Gegenstand heran, begriff nicht die aktive, tätige Funktion des erkennenden Subjektes im Verhältnis zum Gegenstand der theoretischen Tätigkeit. Freilich haben die Rationalisten, wie schon erwähnt, im Unterschied zu den Empiristen der Tätigkeit des Subjektes Aufmerksamkeit gewidmet und fassten das Wissen als Selbsttätigkeit des Subjektes auf, was jedoch ihre erkenntnistheoretische Grundeinstellung nicht wesentlich verbesserte. Im Verständnis der Rationalisten sind das Objekt und die Wirklichkeit ein und dasselbe, sie identifizieren sie nicht, und die angeborenen Ideen, die intuitiven Gedanken haben an und für sich Bedeutung nur insofern, als ihre Verbindung den Verbindungen der Dinge entspricht. Insbesondere Spinoza hat unterstrichen, dass die Verbindung der Gedanken den Ideen der Verbindung der realen Dinge entspricht. Die passive, kontemplative Deutung der Erkenntnistätigkeit ist auch für den Empirismus, den metaphysischen Materialismus charakteristisch. Die Idee der wahren Erkenntnis sieht er in einem Zustand, in dem die Aktivität, die Tätigkeit des Subjektes, sein Einfluss auf den Erkenntnisprozess gleich Null sind. In der empirischen Philosophie werden nur solche Art von Verallgemeinerungen, Begriffen positiv eingeschätzt, die das Ergebnis der Analyse, des Vergleichs, der abstrahierenden Tätigkeit des Verstandes sind. Die Empiristen sind freilich bei der konsequenten Durchsetzung dieser Konzeption auf unüberwindliche Hindernisse gestoßen, da in der Struktur der menschlichen Erkenntnis Begriffe und Kategorien existieren, die es nicht leicht ist, durch unmittelbare Verallgemeinerung der Erfahrung zu begründen. Als sie die Aktivität des erkennenden Subjektes entdeckten, sahen sie darin nur etwas Negatives, ein Anzeichen der Unvollkommenheit der menschlichen Erkenntnis und versuchten, eine sichere Methode zu erarbeiten, mit deren Hilfe man die menschliche Aktivität aus dem Erkenntnisprozess entfernen könnte. Interessant ist die Kritik von Bacon an den sogenannten Idolen der Erkenntnis. Es gibt darin zwei Momente: 1) Bacon bemühte sich, aus der Philosophie überlebte, antiwissenschaftliche, falsche Ideen zu verbannen, aber gleichzeitig 2) trat er dem Wesen nach gegen jegliches aktives Verhältnis zum Gegenstand im Erkenntnisprozess, gegen universelle theoretische Formen in der Erkenntnis der Wirklichkeit auf. Bei der aufmerksamen Betrachtung seiner Kritik entdecken wir, dass er zu den Idolen nicht nur falsches, veraltetes Wissen rechnete, sondern auch positive Gegenstände, alle Ergebnisse der menschlichen Kultur. In gewisser Weise hat diese weltanschauliche Richtlinie auch ihre Widerspiegelung in der Philosophie von Rousseau, Voltaire und vieler anderer Denker gefunden. Z.B. hat Voltaire bei der praktischen Realisierung der theoretischen Richtlinie des Empirismus angenommen, dass die Quelle aller menschlichen Laster die Gesellschaft und die Zivilisation sind. Deshalb wurde sein 588 Candide außerhalb gesellschaftlicher Verbindungen erzogen. Die gleiche Linie hat in seinen philosophisch-soziologischen und pädagogischen Arbeiten auch Rousseau verfolgt. In ihrem löblichen Bemühen, die Menschheit von den Lastern zu befreien, haben diese Philosophen nicht den Umstand beachtet, dass der Mensch nicht nur in der Gesellschaft verdorben wird, sondern alles Menschliche nur in der Gesellschaft erlangen kann. Im Unterschied zu seinen erwähnten Vorgängern hat Kant die Natur des menschlichen Bewußtseins nicht als passive Widerspiegelung des Objektes betrachtet, sondern hat die Aktivität, die Tätigkeit des menschlichen Bewußtseins unterstrichen. Es ist keine Übertreibung, wenn wir sagen, dass die Idee der Aktivität des erkennenden Subjektes in gewisser Weise die Besonderheit der Kantischen Dialektik bestimmt und die Dialektik der gesamten deutschen klassischen Philosophie durchdringt. Tatsächlich, vor Kant wurden dialektische Ideen hauptsächlich in Verbindung mit der Analyse der ontologischen Welt, der Natur, ihrer Endlichkeit und Unendlichkeit, Harmonie und dgl. ausgearbeitet. In ihren dialektischen Gedanken bemühten sich die Philosophen, das allgemeine Werden der Welt auszudrücken, zu beschreiben. In der Philosophie Kants hingegen ist die Dialektik erstmals auf eine andere Ebene gehoben. Indem er der transzendentalen Logik die Aufgabe gestellt hatte, das synthetische apriorische Wissen zu begründen, hat Kant tiefschürfend die Beziehung der Kategorie zur sinnlichen Vielfalt, des Selbstbewußtseins zum Gegenstand, des Subjektes zum Objekt erforscht. Von nun an bewegte sich in der gesamten nachfolgenden deutschen Philosophie der dialektische Gedanke in dieser Sphäre; die Dialektik trat als Dialektik der Tätigkeit, als Dialektik des Schaffens und dgl. auf. Die Kantische Idee der Aktivität der Erkenntnis, des erkennenden Subjektes ist in der transzendentalen Deduktion der Kategorien und in der Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption ausgearbeitet. Im Unterschied zu den Empiristen hat Kant vor allem die Idee der Kategorien-Aktivität, der Kategorien-Bedingtheit des menschlichen Bewußtseins unterstrichen. Er wies darauf hin, dass das Wissen nur dank der Kategorien, der Normen, mit deren Hilfe sich das Material der Anschauung formt, zu einem wahren theoretischen wird und allgemeine Bedeutung erlangt. Das empirische Wissen dagegen, das Urteil der Wahrnehmung erlangt die Bedeutung der Objektivität und Wissenschaftlichkeit nur dank der Kategorien des Verstandes. „Empfänglichkeit kann nur im Verein mit Selbsttätigkeit Wissen erzeugen“, schrieb Kant. Die Kategorien des Verstandes sind Prinzipien und Gesetze des Denkens, sie bilden die Grundelemente der menschlichen Erkenntnis. Deshalb wurde der Erkenntnisprozess von Kant nicht als seitenverkehrt-toter Akt, wo das Ding die Ursache und das Bewußtsein die Folge sind, ausgelegt, sondern als zweiseitiger Prozess, in dem Ursache und Folge ständig die Plätze wechseln. Allein die Fragestellung zu den Kategorien hatte große Bedeutung, obwohl natürlich eine geringere, als Kant ihr zumaß. Laut Kant ist die allgemeine Bedingung der Möglichkeit wahren Wissens die tatkräftige Bearbeitung des empirischen Faktes mittels Kategorien, Gesetzen des Denkens. Nur mit ihrer Hilfe entstehen apriorische theoretische Kenntnisse, in denen alle unsere Kontemplationen synthetisiert sind. Der Philosoph hat besonders stark jenen Gedanken unterstrichen, dass die ganze Welt unserer Anschauungen sich gesetzmäßig mit der Kraft der Einbildung entsprechend den Normen der Kategorien gestaltet, weswegen die Kategorien selbst und die sich aus ihnen ergebenden Gesetze immer neu entdeckt werden können. In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat Kant mit großer Bestimmtheit den Gedanken verfolgt, dass auch die Wahrnehmungen nur dank der durch Kategorien verbindenden Tätigkeit möglich werden. „Es gibt nur zwei Wege“, wies Kant hin, „auf denen man die notwendige Übereinstimmung der Erfahrung mit den Begriffen von ihren Gegenständen denken kann: 589 entweder macht die Erfahrung diese Begriffe möglich, oder diese Begriffe machen die Erfahrung möglich. Das Erstere geht nicht im Verhältnis zu den Kategorien (sowie der reinen sinnlichen Anschauung), da sie sowohl apriorische als auch von der Erfahrung unabhängige Begriffe sind... folglich bleibt nur das Zweite übrig (wie ein System der Epigenese der reinen Vernunft), d. h., dass Kategorien von Seiten des Verstandes Grundlagen der Möglichkeit jeglicher Erfahrung überhaupt enthalten“. 60 Kontemplationen, deren Komplexe die Welt der Erscheinungen ausmachen, sind also durch die Verarbeitung des Materials der Wahrnehmungen nach den Normen der Kategorien aufgebaut, deshalb kann eine vernünftige Erkenntnis dieser Welt der Kontemplationen (der Welt der Erfahrungen) aus der Untersuchung jener Verbindungen gewonnen werden, die in Urteilen mittels Kategorien zustande kommen. Die Frage nach der Aktivität der Kategorien, nach der Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen, die die Funktionen der Kategorien logisch gestalten, wurde von Kant im Abschnitt „Über die Prinzipien der transzendentalen Deduktion im Allgemeinen“ behandelt. Das Wesen der Deduktion charakterisierend, schrieb Kant: „Die Erklärung dessen, auf welche Weise sich die Begriffe a priori zu den Gegenständen verhalten können, nenne ich die transzendentale Deduktion der Begriffe und unterscheide sie von der empirischen Deduktion, die darauf hinweist, auf welche Art und Weise der Begriff dank der Erfahrung und des Nachdenkens über ihn erworben wird und deshalb nicht die Rechtmäßigkeit, sondern nur den Fakt anbetrifft, dank dessen wir den Begriff angeeignet haben“. 61 Nach Meinung Kants ist bezüglich der Begriffe des Verstandes nur die transzendentale Deduktion möglich, nicht jedoch die empirische. Bei der aufmerksamen Analyse der Kantischen Idee von der Aktivität der Kategorien im Erkenntnisprozess, ihrer gestaltenden Tätigkeit, entsteht gesetzmäßig die Frage: Reine verstandesmäßige Begriffe (Kategorien) betreffen nur die Form des Denkens, d. h. an und für sich sind sie des Inhalts beraubt; in der Eigenschaft als apriorische Begriffe sind die Kategorien aus keinerlei Erfahrung entlehnt; wie können wir sie folglich auf Gegenstände anwenden? Mit anderen Worten: Unabhängig von jeglicher Erfahrung müssen die reinen Begriffe Bedeutung in jeglicher Erfahrung haben. Ihrer Herkunft nach rein subjektiv, stellen sie in ihrer Bedeutung Anspruch auf die empirische Objektivität. Wie geht das vor sich? Die Antwort Kants auf diese Frage ist folgende: Wir haben es nicht mit Dingen an sich zu tun. Bezüglich dessen, was Dinge an sich sind, kann der Verstand uns genauso wenig lehren, wie die Sinnlichkeit. Dinge an sich sind nicht erkennbar. Wir können ihnen keine anderen Bestimmungen zuschreiben, müssen nur anerkennen, dass sie existieren und auf bestimmte Weise auf unsere Sinnlichkeit wirken, sie affizieren. Hieraus folgt nach Kant: Wir haben nicht das Recht zu behaupten, dass sich die Dinge in Raum und Zeit befinden und eine Größe besitzen, dass Dinge an sich Substanzen sind, dass sie sich im Zusammenhang von Ursache und Handlung befinden und dgl. Raum und Zeit sind nach Kant keine objektiven Formen des Seins der Dinge an sich, sondern Formen der menschlichen Anschauung. Die Bezeichnungen der Substanzen, die Ursachen und Notwendigkeiten sind reine verstandesmäßige Formen. Laut Kant sind die Begriffe nicht aus der Erfahrung entlehnt, und die Möglichkeit der Erfahrung ist durch die Kategorien des Verstandes bedingt. Die Kategorien haben nicht deshalb objektive Bedeutung, weil sie irgendwie mit der von der Anschauung freien Welt verbunden sind, mit dem Transzendentsein, was Kant verneint, sondern deshalb, weil sie allgemeine und notwendige Bedingungen jeglicher Erfahrung sind, weil sie im Grunde selber Gegenstände der Erfahrung schaffen. Hierin - in der Signifikanz der Kategorien im Rahmen der reinen Erkenntnis - sah der Idealist Kant die Quelle der Objektivität sowohl der Formen der Anschauung als auch der Kategorien. Deshalb hatte Hegel recht, als er sagte, dass die Kantische „Objektivität„ in Wirklichkeit subjektiv sei. 590 Auf diese Weise ermöglicht es die aufmerksame Analyse der Kantischen Philosophie, nicht nur die produktiven, positiven Ideen zu offenbaren, sondern auch die Grundmängel und Hauptfehler seiner Gnoseologie. Kant hat zweifellos Tiefe und Scharfsinn bewiesen, als er die Aktivität des menschlichen Bewußtseins unterstrichen und die logischen, das Wissen gestaltenden Funktionen der Kategorien entdeckt hat. Die Unzulänglichkeit seiner Gnoseologie besteht darin, dass er es nicht verstand, das Prinzip der Aktivität des Bewußtseins, der Kategorien mit ihrer Objektivität, ihrer Widerspiegelungsfähigkeit zu vereinen. In seiner Philosophie hat Kant konsequent den Gedanken umgesetzt, dass die Aktivität der Kategorien, des theoretischen Wissens, ihre das Wissen gestaltende Fähigkeit nur mit Subjektivismus, Agnostizismus, Negation der Erkennbarkeit der Dinge an sich vereinbar ist. Breiter und bestimmter ist die Konzeption der Aktivität des erkennenden Subjektes, des Bewußtseins von Kant in seiner Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption ausgearbeitet, einer Lehre, die ihrem Charakter nach zutiefst idealistisch ist. In ihr hat der klassische deutsche Idealismus seinen Ursprung. Die Aneignung dieses Prinzips hat auch die Eigenart der Dialektik in der klassischen deutschen Philosophie bestimmt, deren Vertreter sie als Dialektik der Erkenntnis, des Denkens, als Dialektik der Tätigkeit, des aktiven Selbstbewußtseins, als Dialektik des Objektes und des Subjektes ausgearbeitet haben. Es wäre deswegen auch nicht richtig, nur den idealistischen Charakter, nur die negativen Seiten hervorzuheben und nicht auch die produktiven, positiven Elemente in diesem theoretischen Prinzip zu sehen, das der große deutsche Philosoph erarbeitet und dann selbst idealistisch entstellt hat. Wie bekannt, hat Marx hervorgehoben, dass die aktive, tätige Seite der Erkenntnis vom Idealismus entwickelt wurde, allerdings nur abstrakt, weil der Idealismus keine wirkliche, sinnliche Tätigkeit kennt. Die Charakteristik von Marx kann man auch vollständig auf die Kantische Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption anwenden. Die Kantische Lehre von der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins ist eine ziemlich komplizierte Lehre, die aus einer Reihe von Elementen, strukturellen Formationen besteht. Ihr Ausgangspunkt ist die allgemeine Tatsache, dass die vielfältige Anschauung, wie sie uns unmittelbar gegeben ist, immer als innerlich zusammenhängend erscheint. Die Vereinigung der Vielfalt kann von uns überhaupt niemals über die Gefühle wahrgenommen werden und kann folglich auch nicht in der reinen Form der sinnlichen anschaulichen Vorstellung bestehen. Sie muß auf die Erfahrung des Verstandes zurückgeführt werden (ob wir uns seiner bewußt sind oder nicht, ob das die Vereinigung der Vielfalt in der anschaulichen Vorstellung oder in irgendwelchen anderen Begriffen ist), den „wir mit der allgemeinen Bezeichnung Synthese benennen, um damit auch hervorzuheben, dass wir uns nichts als zusammenhängend im Objekt vorstellen können, was wir vorher nicht selbst verbunden haben; unter allen Vorstellungen ist der Zusammenhang die einzige, die nicht vom Objekt gegeben wird, sondern nur geschaffen werden kann vom Subjekt selbst, weil das ein Akt seiner Selbstbetätigung ist“ 62 Kant hat dann diesen Gedanken detailliert behandelt. Der Begriff „Zusammenhang“ enthält seiner Meinung nach außer dem Begriff des Vielfältigen und seiner Synthese auch noch den Begriff der Einheit des Vielfältigen. „Zusammenhang ist die Vorstellung über die synthetische Einheit des Vielfältigen. Folglich kann die Vorstellung über diese Einheit nicht aus dem Zusammenhang entstehen, eher umgekehrt, sie macht den Begriff des Zusammenhangs vor allem infolge dessen möglich, da sie sich der Vorstellung über das Vielfältige anschließt“. 63 Dieser Gedanke Kants ist vor allem deshalb wichtig, weil hier nicht einfach über das Vielfältige, die Synthese in ihrer üblichen oberflächlichen Auslegung gesprochen wird, sondern die Frage nach der Einheit des Vielfältigen gestellt wird. Kant hat mehrfach unterstrichen, dass die Vielfalt noch kein wirkliches Wissen ist. Es versteht sich, dass sich Kant im Verständnis des Inhalts der fundamentalen Kategorie „Einheit des Vielfältigen“ noch nicht auf jenes hohe Niveau begeben 591 konnte, auf dem sie später Hegel weiterentwickelt hat; dessenungeachtet verdient allein die Tatsache, dass Kant dieses Problem aufgeworfen und darüber anfängliche, jedoch wertvolle Ideen geäußert hat, ernsthafte Aufmerksamkeit. Unbedingt produktiv ist auch Kants Gedanke, dass der Zusammenhang sich nicht in „Vielfalt“ und „Synthese“ erschöpft und dass es viel wichtiger ist, im Erkenntnisprozess die Einheit des Vielfältigen zu beachten. Um die Idee der Einheit des Vielfältigen zuzulassen, mußte Kant nicht nur die Vielfalt und die Einheit an sich verstehen, sondern auch begreifen, dass im Begriff der Einheit des Vielfältigen nicht von zwei, sondern nur von einem einheitlichen konkret-allgemeinen Begriff die Rede ist. Er konnte freilich noch nicht eine solche klare Formulierung fassen. Jedoch geht allein die Fragestellung schon über den Rahmen der traditionellen Logik, des traditionellen Verständnisses der Beziehungen des Einzigen und des Vielen hinaus. Darum hat auch Hegel die Bedeutung der Kantischen Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption für die Dialektik, die dialektische Logik so hoch geschätzt und stellt die Vorzüge der Kantischen transzendentalen Logik im Vergleich zur sogenannten verstandesmäßigen Logik heraus. Laut verstandesmäßiger Logik, bemerkte Hegel, „verfüge ich über Begriffe genau so wie über irgendwelche äußeren Eigenschaften“. Die verstandesmäßige Vorstellung über den Begriff wurde erstmals von Kant erschüttert, der die wichtige These aufgestellt hat, dass die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, die ursprüngliche Einheit der Apperzeption ist. Die transzendentale Deduktion der Kategorien hielt Hegel für einen der schwierigsten Teile der Philosophie von Kant. Sie erfordert, dass wir über die verstandesmäßige Vorstellung vom Begriff hinausgehen. Bei der verstandesmäßigen Betrachtung steht jegliche Vielfalt außerhalb des Begriffes. Den Kategorien ist nur die Form der abstrakten Allgemeinheit eigen. Das synthetische Urteil a priori ist nicht abstrakt-allgemein, sondern es stellt ein Allgemeines dar, in dem der Unterschied eine ebenso wesentliche Bedeutung hat. „Diese ursprüngliche Synthese der Apperzeption“, schrieb Hegel, „ist eines der wichtigsten Prinzipien der spekulativen Auslegung... es enthält den Ursprung des wahren Verständnisses der Natur des Begriffes“. 64 Hegel hat richtig erfasst, dass ihrer logischen Natur nach das synthetische Urteil a priori und die ursprüngliche Einheit der Apperzeption dem Abstrakt-Allgemeinen, dem QuantitativAllgemeinen entgegengesetzt sind, das in sich keine Synthese bildet. Deshalb kann man das synthetische apriorische Wissen nicht auf der Basis der Regeln der allgemeinen Logik erklären. Hegel schätzte die dialektisch-logischen Elemente in der Lehre Kants hoch ein, kritisierte aber scharf die Beschränktheit und Konsequenz seiner Dialektik insgesamt. „Diesem Beginn“, schrieb Hegel, „entspricht die weitere Auslegung sehr wenig... Schon der Ausdruck „Synthese“ führt erneut leicht zu der Vorstellung von einer gewissen äußeren Einheit und der einfachen Kombination solcher [Momente], die an sich getrennt sind“. 65 Die Hegelsche Kritik an Kant ist völlig gerecht, da sie von den Positionen der konsequenten Dialektik aus erfolgt. Das Allgemeine, Einheitliche und Vielfältige sind miteinander nicht äußerlich vereint. Der Begriff in seiner eigenen, immanenten Bewegung bringt Vieles und Einzelnes hervor, wobei, wie Hegel unterstrich, sie nicht dem Allgemeinen fremd sind, sondern als Bestimmtheiten des Konkret-Allgemeinen auftreten. Bei allen Mängeln, die der Dialektik Hegels selbst anhaften, ist seine Kritik an Kant zweifellos fruchtbar und trifft direkt auf den Punkt. Bei der Interpretation der Dialektik dieser Frage hat Kant wesentliche Fehler gemacht, da er nicht die innere Einheit des Konkreten verstand und das Prinzip der Entwicklung fast nicht in die Logik eingeführt hat. Die Bestimmtheiten des Einheitlichen und Vielfältigen bleiben ursprünglich bei Kant noch einzeln und selbständig, und erst in der Folge wird ihre Synthese vorgenommen. Deswegen treten die Beziehungen des Einmaligen zum Vielfältigen nicht als Ergebnis der eigenen, immanenten Tätigkeit des Allgemeinen, Einheitlichen auf, sondern bleiben etwas Äußerliches, wie eine von Außen 592 kommende Beziehung. Hegel hat richtig auch das bemerkt, dass Kant solche immanente Synthese nicht vornehmen konnte, da er sich in der Logik nicht substantiell und breit auf das Prinzip der Entwicklung stützte. In der „Kritik der reinen Vernunft“ ist Kant, nachdem er die allgemeine Idee des Zusammenhangs des Vielfältigen, das auf den Verstand zurückgeführt werden sollte, unmittelbar zur Einheit der Apperzeption übergegangen, zu der sich die Vielfalt der Anschauung von Beginn an in gewisser Beziehung befinden sollte, um die Möglichkeit der Verbindung über den Verstand zu erhalten. Der Einheit der Apperzeption widmete Kant in seiner Deduktion besondere Aufmerksamkeit. Kategorien sind Bedingungen der Einheit des Selbstbewußtseins, - hierin besteht hauptsächlich das Charakteristikum der Deduktion. Der Zusammenhang setzt notwendigerweise die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins voraus, und die Vorstellung von dieser Einheit entsteht nicht aus dem Zusammenhang, sondern eher umgekehrt, „macht den Begriff des Zusammenhangs vor allem infolgedessen möglich, dass er sich der Vorstellung über das Vielfältige anschließt“. 66 Diese Einheit a priori geht allen Begriffen der Vereinigung, des Zusammenhangs voraus. Die ursprüngliche Einheit der Apperzeption unterscheidet Kant vom empirischen Bewußtsein, in dem das „Ich“ ohne jegliche Beziehung zur Einheit des „Ich“ nur den gegebenen Inhalt darstellt. An einigen Stellen der Einheit der Apperzeption unterscheidet Kant auch von der Apperzeption selbst: „Einheit der Apperzeption“ wird im ersten Fall als jene Einheit verstanden, die vom Bewußtsein in die vielfältige Vorstellung eingebracht wird. Im größten Teil der Fälle wird die Einheit der Apperzeption im Sinne der Identität der Apperzeption verstanden und mit der reinen Apperzeption gleichgesetzt. Das ist gerecht in Beziehung zur analytischen Einheit der Apperzeption; die synthetische Einheit stellt jedoch eine Kombination der ursprünglichen Apperzeption mit anderen Momenten der Erkenntnis dar. Die analytische Einheit der Apperzeption, d. h. die Tatsache, dass ich dem Bewußtsein die Identität meines „Ich“ zuführen kann, dass ich jedesmal, wenn ich an diese Identität denke, die Vorstellung „ich denke“ hervorrufen kann, unterscheidet sich von der synthetischen Einheit der Apperzeption. Die analytische Einheit ist nur durch die Vermittlung der synthetischen Einheit möglich. Ich muß eine Vielzahl von Vorstellungen zu einer Einheit verbinden und diese verbindende Tätigkeit als von mir ausgeführt begreifen, - nur in solchem Falle kann ich dem Bewußtsein auch die Identität meines „Ich“ als verbindendes Subjekt klar machen. Die analytische Einheit des Selbstbewußtseins ist so nur unter der Bedingung des bewußten Verbindens der Vorstellungen möglich und setzt deswegen überhaupt die Vereinbarkeit meiner Vorstellungen, ihre Fähigkeit voraus, in der Einheit meines Bewußtseins verknüpft zu werden. „Somit“, schrieb Kant, „ist die synthetische Einheit des Vielfältigen [des Inhalts] der Anschauungen als Gegebenes die Begründung der Identität der Apperzeption selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorausgeht. Jedoch nicht den Gegenstand schließt in sich der Zusammenhang ein, den wir aus ihm durch die Wahrnehmung entlehnen können und nur dank dessen sie durch den Verstand festgestellt werden kann, sondern der Verstand selbst ist nichts anderes, als die Fähigkeit a priori, das Vielfältige [den Inhalt] der gegebenen Vorstellungen zu verknüpfen und sie als Einheit der Apperzeption einzustufen“. 67 Kant formulierte die wichtigsten kognitiven Bedeutungen des Begriffes von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption. Vor allem hat diese ursprüngliche Einheit nichts mit dem empirischen Allgemeinen, dem abstrakten Allgemeinen und der Assoziation gemeinsam, sondern ist etwas Allgemeines, das die Vielfalt der Vorstellungen vereint, synthetisiert und formt, d. h. diese Vielfalt zu meiner Vorstellung macht. Die Vorstellungen, die in den Anschauungen gegeben sind, wären nicht meine, wenn sie nicht meinem Selbstbewußtsein gehörten. Da sie aber meine sind, müssen sie sich nach jenen Bedingungen richten, dank derer sie sich gemeinsam in einem 593 allgemeinen Selbstbewußtsein befinden. „Dank dessen, dass ich das Vielfältige [den Inhalt] der gegebenen Vorstellungen in einem Bewußtsein verknüpfen kann, besteht die Möglichkeit, dass ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstellen kann“. 68 In seiner Philosophie hat Kant auch einen anderen Aspekt der These von der Einheit der Apperzeption hervorgehoben und aufgedeckt, und zwar den, dass das Objekt, seine Existenz bedingt ist durch das Subjekt und innerlich mit ihm, der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins verknüpft ist. Kant war der erste Philosoph, der das Objekt, seine Existenz vom einfachen Sein unterschieden hat, d. h. „vom Ding an sich“ - laut kantischer Terminologie. Das sinnliche Wissen hielt er nicht für ein Objekt, da es subjektiv ist. Ein Ding an sich kann auch kein Objekt sein, da es sich außerhalb der Grenzen jeder Erkenntnistätigkeit befindet. Folglich können im Verständnis Kants wirkliche Objekte, Gegenstand der Erkenntnis, nur die sinnliche Vielfalt sein, deren allgemeine Bedingung reine Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes sind. Kant hat mehrmals unterstrichen, dass gerade darin die Besonderheit der menschlichen Erkenntnis und ihr Unterschied zu dem unmittelbar betrachtenden oder göttlichen Verstand besteht. „Das Objekt ist das“, schrieb Kant, „in dessen Begriff das Vielfältige, von der Anschauung Erfasste vereint ist. Aber jegliche Vereinigung von Vorstellungen erfordert die Einheit des Bewußtseins in ihrer Synthese. So ist also die Einheit des Bewußtseins das, was nur die Beziehung der Vorstellungen zum Gegenstand ausmacht, folglich - ihre objektive Signifikanz, folglich - ihre Umwandlung in Wissen; auf dieser Einheit ist die Möglichkeit des Verstandes selbst begründet“. 69 „Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also die objektive Bedingung jeglicher Erkenntnis; nicht nur ich selbst brauche sie für die Erkenntnis des Objektes, sondern jegliche Anschauung muß sich, um für mich ein Objekt zu werden, dieser Bedingung unterordnen, weil sich auf andere Weise und ohne diese Synthese das Vielfältige nicht in einem Bewußtsein vereinen würde“. 70 Ehe wir weitergehen, müssen wir hier eine Anmerkung machen: Bei Kant treten viele Termini in unterschiedlichen Bedeutungen auf. Das trifft auch auf den Begriff des Gegenstandes zu. Gegenstände, die auf mich einwirken und dadurch in mir Empfindungen hervorrufen, sind wirkliche Dinge im normalen Sinne des Wortes. Kant nennt sie „Dinge an sich“. Ihnen ist - im Unterschied zu meinen Vorstellungen - eine reale Existenz eigen, die vollkommen unabhängig ist von der Vorstellungstätigkeit. Hingegen sind Gegenstände, die mir gegeben sind (Kant nennt sie auch Objekte, - ein Ausdruck, den er in einzelnen Fällen auch für „Dinge an sich“ benutzt), identisch mit meinen Anschauungen. Letztere nennt Kant als Produkte der anschaulichen Tätigkeit auch Erscheinungen, während in den Fällen, wo er mit dem Ausdruck „Anschauung„ die Selbsttätigkeit der Anschauung bezeichnet, die Erscheinungen selbst als Gegenstände der Kontemplation bezeichnet werden. In Kants Deduktion sind reale Zusammenhänge und Beziehungen verzerrt und auf den Kopf gestellt. Nach Meinung Kants ist der Ausgangspunkt der Erkenntnis und der Ableitung der Kategorien die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins. In seiner Philosophie hat Kant nicht nur die Aktivität des menschlichen Bewußtseins, den Zusammenhang von Subjekt und Objekt der Erkenntnis konstatiert, sondern auch versucht, diese Frage mit der Möglichkeit der Wissenschaft, des wissenschaftlich-theoretischen Wissens (des synthetischen Urteils a priori) zu verbinden. Dabei ging er davon aus, dass einerseits Mathematik, theoretische Physik, die von allen als wahre und vollkommene Wissenschaften anerkannt werden, existieren, andererseits die Philosophie existiert, die, obwohl sie viel früher als andere Wissenschaften entstanden ist, immer noch nicht anerkannt ist, - sowohl in ihrem eigenen Milieu, als auch von anderen. Die Philosophie wurde zur Arena endloser Streitigkeiten und Diskussionen, bei denen jedes nachfolgende philosophische System vollkommen die von den Vorgängern erreichten Ergebnisse ablehnte. Und es ist schwer, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, da es keine realen Kriterien der Prüfung gibt. 594 Die Ursache für diesen Zustand sah Kant darin, dass Mathematiker und Naturwissenschaftler auf irgendeine Weise früher als andere die Aktivität der menschlichen Erkenntnis, den Zusammenhang von Subjekt und Objekt, die Bedingtheit der Erfahrung, die sinnliche Vielfalt als apriorische Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes begriffen haben. Kant meinte, dass gerade dank dieser neuen gnoseologischen Elemente die Mathematik und die Naturwissenschaft eher als die Philosophie synthetische apriorische Urteile formulieren konnten, die die Bedingung für die Existenz jeglicher wahren Wissenschaft sind. Dieses neue Element ist laut Kant der Ursprung einer neuen Art des Denkens, der Ursprung eines neuen Herangehens. Während die traditionelle Philosophie in dem Wunsch, den absoluten Ursprung, die unzweifelhafte Synthese zu erkennen, immer den Gegenstand als etwas Gegebenes angenommen hat, das vor jeglichem Subjekt und seiner Erkenntnis existierte, immer das Objekt mit der objektiven Wirklichkeit identifiziert hat, so behauptete Kant, dass der Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis außerhalb der Beziehung des Subjektes zu seiner Erkenntnis nicht existiert. Deshalb, so nahm er an, ist die Identifizierung des Gegenstandes, des Objektes mit der objektiven Wirklichkeit (den Dingen an sich) unrechtmäßig. Das Ding an sich ist kein realer Gegenstand, obwohl es auf eine bestimmte Art und Weise das Subjekt und seine Erkenntnis beeinflusst. Folglich muss man als Gegenstand der Erkenntnis, der Wissenschaft nicht den Gegenstand, der an sich existiert (das Ding an sich), betrachten, sondern die Erfahrung, die Gesamtheit der sinnlichen Vorstellungen, die durch die Aktivität des Subjektes bedingt sind. Mit anderen Worten: Der wirkliche Gegenstand der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis ist solch ein Gegenstand (Gesamtheit der Erfahrungen), dessen Möglichkeit und Wirklichkeit von Anfang an durch apriorische Formen der Anschauung bedingt sind, d. h. durch Raum und Zeit, apriorische Formen des Verstandes, d. h. durch logische Kategorien. Bei allem Idealismus hat dieser Gedanke Kants etwas Neues in die Untersuchung des Problems hineingebracht, d. h. nun wurde klar, dass außerhalb des Subjektes die Wirklichkeit an sich existiert, und alles, womit der Mensch zu tun hat, seine Erkenntnis, existiert nicht außerhalb des Subjektes und seiner Aktivität. Folglich ist der Gegenstand, das Objekt - laut Kant - dem Wesen nach ein aktiv gestalteter Gegenstand. Nach Meinung Kants besteht der Vorzug von Mathematik und Naturwissenschaft darin, dass sie das auf irgendeine Weise früher verstanden haben. Bezüglich der Mathematik, behauptete der Philosoph, geht es nicht darum, wer ihr Begründer, der Erfinder einfachster „Elemente geometrischer Demonstrationen“ ist, sondern darum, dass er auf gewisse Weise verstanden hat: Die Aufgabe der Mathematik ist nicht der gedankliche Ausdruck realer Eigenschaften des Dreiecks, sondern der Aufbau der Anschauung nach vorgegebenen Bedingungen. „Das Licht ist demjenigen aufgegangen“, schrieb Kant, „der als erster das Theorem vom gleichschenkligen Dreieck bewiesen hat (gleichgültig, ob es Thales oder jemand anders war); er hat begriffen, dass seine Aufgabe nicht in der Erforschung dessen bestand, was er in der Figur oder nur in ihrem Begriff festgestellt hat, so als hätte er aus ihr ihre Eigenschaften herausgelesen, sondern darin, eine Figur mit Hilfe dessen zu schaffen, was er selbst a priori entsprechend den Begriffen in sie hineingelegt und gezeigt hat (durch den Aufbau). Er begriff, dass er über etwas ein richtiges apriorisches Wissen nur dann haben kann, wenn er dem Ding nur das zuschreibt, was notwendig aus dem von ihm entsprechend seinem Begriff in es Hineingelegten folgt“. 71 Kant war überzeugt, dass auch die Naturwissenschaftler bedeutende Erfolge nur deshalb erringen konnten, weil sie, wie auch die Mathematiker, die einzig richtige Methode der Erforschung der Natur gefunden hatten. Seine Betrachtungen über die Vorzüge dieser Methode resümierend, erklärte der Philosoph: „Die Vernunft muß sich der Natur nähern, - einerseits mit ihren Prinzipien, entsprechend denen nur die übereinstimmenden Erscheinungen Gesetzeskraft haben können, und andererseits mit Experimenten, die entsprechend diesen Prinzipien deshalb erdacht 595 wurden, um aus der Natur Wissen zu schöpfen, jedoch nicht wie ein Schüler, dem der Lehrer alles vorsagt, sondern wie ein Richter, der den Zeugen zwingt, auf alle ihm gestellten Fragen zu antworten“. 72 Kant hat das von den Mathematikern und Naturwissenschaftlern gefundene Verfahren der Untersuchung von Erscheinungen so hoch geschätzt, dass er es mit einer großen Revolution in der Entwicklung des theoretischen Denkens verglich. Und da die Metaphysik so einen glücklichen Moment noch nicht erlebt hatte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Erfahrung der erfolgreicheren Mathematik und Naturwissenschaft zu übernehmen und sie in dem Rahmen nachzuahmen, „in dem es ihre Ähnlichkeit mit der Metaphysik als auf der Vernunft begründetem Wissen gestattet“. 73 Solche Nachahmung ist deshalb um so wichtiger, weil nach ihrer Art und Weise der Forschung die Philosophie auch nicht annähernd an das Niveau dieser höchste Achtung verdienenden Wissenschaften heranreichte. Ja schlimmer noch: die Metaphysik ließ sich von einer Methodologie leiten, die ihrer Herausbildung als Wissenschaft nicht nur nicht dienlich war, sondern sie sogar dabei störte. Insbesondere waren die Philosophen der Ansicht, dass all unser Wissen sich nach den Gegenständen richten muss. Und natürlich haben alle ihre Versuche, durch Begriffe apriorisch bezüglich der Gegenstände so etwas nachzuweisen, was unser Wissen über sie erweitern könnte, ein Fiasko erlitten. „Deshalb“, empfahl Kant, „müsste man versuchen zu klären, ob wir die Aufgaben der Metaphysik nicht erfolgreicher lösen können, wenn wir von der Vermutung ausgehen, dass die Gegenstände sich nach unserer Erkenntnis richten müssen, denn das stimmt besser mit der Forderung nach der Möglichkeit apriorischen Wissens über sie überein, welches früher etwas über die Gegenstände feststellt, als sie uns gegeben sind“. 74 Indem er dieses Forschungsverfahren mit der Kopernikanischen Revolution verglich, drückte Kant die Gewissheit aus, dass es - ähnlich, wie es Kopernikus gestattete, dem wahren Verständnis des Sonnensystems näher zu kommen - auch der Metaphysik die Möglichkeit gibt, das Funktionieren wissenschaftlich-theoretischen Wissens zu erklären. Dabei lenkte Kant die Aufmerksamkeit der Philosophen auf das prinzipiell Neue im Herangehen von Kopernikus, der, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Hypothese vom Kreisen aller Gestirne um den Beobachter die Bewegung der Himmelskörper ungenügend erklärt, annahm, dass sich der Beobachter bewegt und die Sterne unbeweglich sind. „Einen ähnlichen Versuch“, schrieb Kant, „kann man in der Metaphysik unternehmen, wenn es um die Betrachtung der Gegenstände geht. Wenn die Betrachtungen mit den Eigenschaften der Gegenstände in Einklang stünden, verstehe ich nicht, auf welche Art und Weise man etwas a priori über diese Eigenschaften wissen könnte; umgekehrt, wenn die Gegenstände (als Objekte der Gefühle) mit unserer Fähigkeit zur Betrachtung in Einklang stehen, kann ich mir durchaus die Möglichkeit des apriorischen Wissens vorstellen. Ich kann aber nicht bei diesen Betrachtungen stehenbleiben; damit sie zu Wissen werden, muss ich sie als Vorstellungen irgend etwas zuschreiben, wie einem Gegenstand, den ich mit Hilfe dieser Betrachtungen definieren muss“, da wir apriori „über Dinge nur das erkennen, was wir selbst in sie hineingelegt haben“. 75 Wie wir sehen, unterstreicht Kant hier mit allem Nachdruck die Idee der Aktivität des menschlichen Bewußtseins, der apriorischen Kategorien im Prozess der Erkenntnistätigkeit. Im Unterschied zu seinen Vorgängern, besonders den Vertretern des kontemplativen Materialismus, behauptete Kant, dass das menschliche Bewußtsein nicht passiv ist und ihm eine ursprünglich mit Inhalt (mit Kategorien und apriorischen Formen der Sinnlichkeit) angefüllte Beziehung zum Objekt eigen ist. Wenn wir auch die Idee der Aktivität des Bewußtseins nach Gebühr würdigen, müssen wir doch darauf verweisen, dass sie stark vom Kantischen subjektiven Idealismus, Apriorismus und Agnostizismus gefärbt und ihre Rolle in der Kantischen Auslegung verzerrt und mystifiziert ist. Von der nachfolgenden deutschen klassischen Philosophie wurde das Prinzip der Aktivität der 596 Erkenntnis noch stärker mit der idealistischen Weltanschauung verbunden. Während Kant noch neben dem Objekt, dem Gegenstand, die durch Bewußtsein bedingt sind, die Existenz von Dingen an sich zulässt, haben Fichte, Schelling und Hegel das Objekt mit der Wirklichkeit identifiziert und konsequent den Idealismus, das idealistische Verständnis der Hauptfrage der Philosophie durchgesetzt. Erst in der marxistischen Dialektik wurde das materialistische Prinzip der Aktivität des Menschen, der menschlichen Erkenntnis allseitig und universell begründet. In ihr wird die Aktivität des Menschen vor allem als sinnlich-gegenständliche Produktionstätigkeit aufgefasst, und die Aktivität des menschlichen Bewußtseins, des Denkens wird als ideale Form der praktischen Tätigkeit ausgelegt. In der materialistischen Dialektik wird das Objekt (der Gegenstand) nicht mit der objektiven Realität identifiziert, da die objektive Realität, die Natur als solche, schon vor dem Menschen, vor der Entstehung der Gesellschaft existierte, aber als Objekt (Gegenstand der menschlichen Tätigkeit) hat sie sich ständig verändert. Folglich sind der Beweis und die Begründung der objektiven Realität auf der Grundlage der gesellschaftlichen Praxis und die Frage der Ausgliederung des Objektes (Gegenstandes) der Tätigkeit und der Erkenntnis auf der Grundlage der Praxis zwei innerlich zusammenhängende Aspekte. Tatsächlich, wenn die objektive Realität für sich genommen (absolut unabhängig vom Subjekt) existiert, so muss auch das Verständnis des Objektes (Gegenstandes) ständig die gegenständliche Tätigkeit des Subjektes einschließen. Den Gegenstand (das Objekt) kann man schwer außerhalb seiner Beziehung zum Subjekt begreifen. Deswegen muss bei der Definition (der Auswahl) des Sachgebietes der Forschung der dialektische Zusammenhang zwischen Gegenstand (Objekt) und Subjekt unbedingt beachtet und möglichst genau formuliert werden, ohne dabei die innere Verbindung von Objekt (Gegenstand) und objektiver Realität zu vergessen. So eine Problemstellung ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal des dialektischmaterialistischen Erkenntnisprinzips, dem zufolge bei der Erkenntnis des Gegenstandes, des Objektes, und bei der Formulierung der theoretischen Vorstellungen und Begriffe von Anfang an die Aktivität des erkennenden Subjektes unterstrichen wird, seine Bedürfnisse, seine konkrete Beziehung zum Objekt beachtet werden. Die Beschränktheit der Gnoseologie des kontemplativen Materialismus bestand vor allem im Nichtverstehen der Bedeutung dieses fundamentalen Prinzips. „Der hauptsächliche Mangel des gesamten vorhergehenden Materialismus einschließlich des Feuerbach‘schen – besteht darin“, schrieb Marx, „dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, die Sinnlichkeit nur in der Form des Objektes oder der Anschauung, jedoch nicht als menschliche sinnliche Tätigkeit, als Praxis, nicht subjektiv erfasst werden. Deshalb ist es so gekommen, dass die aktive Seite, im Gegensatz zum Materialismus zwar vom Idealismus entwickelt wurde, jedoch nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt“. 6 Entsprechend der materialistischen Gnoseologie ist es notwendig, um den Gegenstand wirklich zu erkennen und von ihm einen Begriff zu bilden, von Anfang an die Frage richtig zu stellen und jenes System, jene objektive Position zu bestimmen, in der der Gegenstand real existiert, sowie ihn der theoretischen Analyse zu unterziehen. Dabei geht die Praxis, die praktische Beziehung unmittelbar in die Formulierung des theoretischen Begriffes ein. Im entgegengesetzten Fall, d. h. wenn im Prozess der Herausbildung des Begriffes über den Gegenstand nicht die praktische Beziehung des Subjektes beachtet wird, wird die Erkenntnis nicht konkret. Von der abstrakten Position aus ist es unmöglich, solche Begriffe wie „Freiheit“, „Demokratie“, „Mensch“, „Gleichzeitigkeit“ usw. zu verstehen; deshalb ist es notwendig, von Anfang an jenes Bezugssystem zu benennen, das in die Formulierung des theoretischen Begriffes eingeht. Dialektisches Herangehen ist notwendig bei der Erforschung aller sozialen Erscheinungen, 597 darunter auch solcher komplizierten Erscheinungen wie „Gesellschaft“, „Mensch“ und dgl. Der Hauptfehler der Soziologen vor Marx bestand darin, dass sie Betrachtungen über die Gesellschaft überhaupt angestellt haben. Im Unterschied zu ihnen hat Marx den Begriff der gesellschaftlichökonomischen Formation erarbeitet, dem die konkrete Beziehung der Gesellschaft zur Natur (Charakter der Produktivkräfte) und dementsprechende Beziehungen der Menschen zueinander im Produktionsprozess zu Grunde liegen. In der modernen wissenschaftlichen Erkenntnis hat dieses methodologische Prinzip universelle Bedeutung erlangt; es wird auch erfolgreich in der Relativitätstheorie angewandt. Bei der Untersuchung solcher fundamentalen Begriffe wie „Raum“ und „Zeit“ bestand der große Irrtum der klassischen Physik darin, dass sie das Bezugssystem außer Betracht ließ und diese Begriffe wie absolute, nicht miteinander in Beziehung stehende behandelte. Einstein hat jedoch bewiesen, dass die Gleichzeitigkeit nicht absolut ist, sondern nur in Bezug auf dieses oder jenes Trägheitssystem Sinn hat. Er hat damit die kolossale Bedeutung des Bezugssystems im Forschungsprozess unterstrichen. Die Analyse hat gezeigt, dass die Gleichzeitigkeit in allen Systemen eine Fiktion ist, da in Wirklichkeit die Ereignisse, die in einem System gleichzeitig sind, überhaupt nicht gleichzeitig in einem anderen System sein müssen, und das heißt, dass die Zeit relativ und nicht absolut ist. Vom methodologischen Standpunkt aus hat das Herangehen A. Einsteins größte revolutionierende Bedeutung. Die Relativitätstheorie hat mit der Tatsache ihrer Entstehung bewiesen, dass der Rahmen der klassischen Physik zu eng ist, dass man mit ihren Methoden nicht solche kardinalen Begriffe wie „Raum“ und „Zeit“ erforschen kann. Die Theorie Einsteins rief die Notwendigkeit hervor, die Methode, den Stil des physikalischen Denkens zu verändern. Einstein leistete auch einen großen Beitrag zur modernen Logik, da er unumstößlich bewies, dass man bei der Bildung eines wissenschaftlichen Begriffes (bei der Formulierung seines Inhalts) jenes System berücksichtigen muss, in welchem der Gegenstand existiert. Ein spezielles Beispiel, das die Novität und Produktivität der Einsteinschen Methode bestätigt, ist seine Art und Weise, die „Transformationen von Lorentz“ zu erklären. Es geht darum, dass Lorentz und Fitzgerald selbst bestrebt waren, die entstandenen Schwierigkeiten bei der Erklärung des bekannten Versuches mittels der künstlichen Hypothese von der Längsverkürzung zu erklären. Sie gerieten dabei natürlich in eine Sackgasse, da es unmöglich ist, fundamentale Widersprüche in der Physik zu lösen, ohne dabei die Grundlagen der alten Theorie wesentlich zu verletzen. Nach L. Landau besteht das Wesen der Theorie von Einstein in der Aufdeckung des Zusammenhangs des Relativitätsprinzips mit dem Prinzip der Endlichkeit der elektromagnetischen Wechselwirkungen, mit der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Wenn die Theorie von diesen beiden Thesen ausgeht, wird sofort die Unnötigkeit des Äthers klar, und das Ziel der Theorie konzentriert sich auf die Transformationen. Die klassischen Transformationen sind jedoch unpräzise, da sie nicht beachten, dass in elektromagnetischen Erscheinungen relativistische Effekte auftreten. Diese Effekte sind nicht die Folge der Abflachung von Körpern, von mechanischen Veränderungen, sondern das Ergebnis von räumlich-zeitlichen Charakteristika der Körper. Die Zeit ist eben nicht absolut, sie hängt von der Wahl des Ausgangssystems ab. Ein solches Verständnis der Frage schien vielen Philosophen und Physikern, die in den Traditionen der alten Physik erzogen worden waren, als etwas Subjektives, als willkürlich ausgewählter Beobachterstandpunkt, da sie meinten, dass die Objektivität der Formulierung des Begriffes nur auf dem Wege des Ausschlusses des Subjektes gesichert werden kann, das heißt also auch - des Bezugssystems. Sie verstanden nicht, dass sie in diesem Fall die Möglichkeit selbst ausschlossen, auf echte wissenschaftliche Art und Weise einen Begriff zu erarbeiten. Die 598 Untersuchung eines Gegenstandes in Form der Betrachtung kann weder als objektiv, noch als wahrhaft wissenschaftlich anerkannt werden, da der Mensch den Gegenstand nicht dann begreift, wenn er ihn nur betrachtet, sondern dann, wenn er diesen Gegenstand in seine praktische Tätigkeit einbezieht. * * * Wir wollen nun eine gewisse Bilanz unserer Untersuchung der Kantischen Lehre von der transzendentalen Deduktion ziehen. In der „Kritik der reinen Vernunft“ durchläuft die Deduktion der Kategorien des Verstandes zwei Hauptstadien. Da wir zu Beginn dieses Kapitels die wesentlichen Charakteristika des ersten Stadiums untersucht haben (und das mit der Fragestellung in Kants „Prolegomena“ übereinstimmt), werden wir sie hier nur in den allgemeinsten Zügen erwähnen. Vor allem hat Kant bestimmte Begriffe der objektiven Einheit des Selbstbewußtseins formuliert und es dabei als jenen inneren Zusammenhang des in der Anschauung gegebenen Vielfältigen dargestellt, der notwendig in den Gesetzen des Bewußtseins begründet wurde und deshalb Bedeutung für jegliches denkende Subjekt hat, wobei es sich von der subjektiven Einheit des Bewußtseins unterscheidet, die nur individuelle Bedeutung hat. Wie schon bemerkt, ist Kants Teilung in das Subjektive und Objektive nicht stichhaltig, da in beiden Fällen die Urteile in den Grenzen des Subjektiven bleiben. Von der vorläufigen Bestimmung ging Kant dann zur Definition des Urteils über, in welchem sich die eben genannte Verknüpfung realisiert. Während Kant in den „Prolegomena“ einen Unterschied zwischen subjektivem Urteil der Wahrnehmung und dem Erfahrungsurteil machte, hat er in der zweiten Ausgabe der „Kritik der reinen Vernunft“ den Sinn des Wahrnehmungsurteils eingeengt und es mit dem Erfahrungsurteil identifiziert. Nur mittels der Kategorien entstehen die die Erkenntnis bildenden Urteile, die jenen inneren Zusammenhang realisieren, zu dem alle unsere Anschauungen fähig sein müssen. Der Fakt der Verknüpfung der Anschauungen mittels der Urteile, genauso wie die Begründung ihrer Möglichkeit wird im zweiten Stadium der Deduktion bewiesen. Hier wird besonders der Gedanke verfolgt und betont, dass die gesamte Welt unserer Anschauungen gesetzmäßig durch die Einbildungskraft nach den Normen der Kategorien herausgebildet wird, weshalb die Kategorien selbst und die aus ihnen hergeleiteten Gesetze der Natur immer wieder entdeckt werden können. Nun wollen wir untersuchen, welche Bedeutung Kant den Begriffen „Ding an sich“ und „Erscheinung“ gegeben hat. Der erste ist im Verständnis des Philosophen die Wirklichkeit an sich, die auf eine bestimmte Weise auf das Subjekt einwirkt, aber das Subjekt hat über sie kein zuverlässiges Wissen. Das Ding an sich ist nicht erkennbar. Etwas anderes ist es mit der Erscheinung. Die Wissenschaft, die wissenschaftlich-theoretische Erkenntnis hat es laut Kant nur mit der Welt der Erscheinungen zu tun, mit der Natur als Gesamtheit der Erfahrung, die nicht objektiv und unabhängig vom Subjekt existiert, sondern als Gegenstand, als Objekt ist sie bedingt und hat sich mittels allgemeiner Formen der Anschauung und des Denkens herausgebildet. Für Kant ist die Welt der Erscheinungen nur Material der Erkenntnis, ihr notwendiges Element, das selbst nicht imstande ist, zu Wissen zu werden. Auf diese Weise urteilend, war Kant nicht originell. Aristoteles nahm ebenfalls an, dass die Materie nur potentiell möglich ist, und damit sie wirklich wird, benötigt sie eine Form; ähnlich wie ein Haufen Ziegelsteine ja noch kein Haus ist, ist die Vielfalt der sinnlichen Anschauung noch kein Wissen. So bemühte sich auch Kant - nur unter Benutzung einer etwas anderen Terminologie - zu beweisen, dass wissenschaftlichtheoretisches Wissen nur bei Vorhandensein einer organisierenden Grundlage, d. h. apriorischer 599 Formen der sinnlichen Anschauung und des Verstandes erreichbar ist. Wobei Raum und Zeit laut Kant apriorische Formen der Anschauung sind, und logische Kategorien - apriorische Formen des Verstandes. Kant glaubte auch nicht an die Möglichkeit der Erarbeitung theoretischen Wissens über das Objekt, das absolut unabhängig vom Subjekt betrachtet wird. Wissenschaft, wissenschaftlichtheoretisches Wissen, nahm er an, haben es nur mit einem solchen Objekt zu tun, dessen allgemeine Formierungsbedingung sich im Subjekt befindet, genauer gesagt, in der Struktur seines Denkens. In der modernen Philosophie wurde begründet und allseitig der Kantische Agnostizismus, sein nicht erkennbares „Ding an sich“ und die Gegenüberstellung dieses Dinges an sich und der Erscheinung kritisiert. Die Begründer des Marxismus wiesen auf die Unrechtmäßigkeit einer solchen Gegenüberstellung hin und begründeten wiederum ihrerseits, dass in der praktischen Tätigkeit und im Erkenntnisprozess ständig eine Umwandlung des Dinges an sich in ein Ding für uns vor sich geht. „Es gibt absolut keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der Erscheinung und den Dingen an sich und kann ihn auch nicht geben“, schrieb W. I. Lenin. „Ein Unterschied besteht einfach zwischen dem, was erkannt ist, und dem, was noch nicht erkannt ist, und philosophische Erfindungen über besondere Grenzen zwischen dem einen und dem anderen und darüber, dass sich das Ding an sich „jenseits“ der Erscheinungen befindet (Kant)... - all das ist dummes Zeug, Geschraubtheit, Erfindung“. 77 Den Agnostizismus von Kant entschieden verurteilend, traten die Begründer des Marxismus auch gegen Versuche auf, die Kantische Philosophie mit dem konsequenten subjektiven Idealismus zu identifizieren. In seiner Arbeit „Materialismus und Empiriokritizismus“ deckt Lenin die Zwiespältigkeit, Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz der Kantischen Philosophie auf. „Der Grundzug der Philosophie Kants“, schrieb er, „ist die Versöhnung des Materialismus mit dem Idealismus, der Kompromiss zwischen dem einen und dem anderen, die Kombination verschiedenartiger, widersprüchlicher philosophischer Richtungen. Wenn Kant annimmt, dass unseren Vorstellungen etwas außerhalb von uns entspricht, irgendein Ding an sich, dann ist er Materialist. Wenn er dieses Ding für unerkennbar erklärt, für transzendent, jenseitig - dann ist er Idealist“. 78 Tatsächlich, Inkonsequenz, Vermischung von Idealismus und Materialismus durchdringen das gesamte Kantische philosophische System, in welchem, wie schon Feuerbach vermerkte, ein frappanter Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Denken und Sein existiert. Während Kant die Existenz eines Dinges an sich zulässt und seine Erkennbarkeit negiert und dabei zwischen Materialismus und Idealismus schwankt, bemüht er sich, mittels dieser Teilung in „Ding an sich“ und „Erscheinung“ die Wissenschaft mit Moral und Religion zu versöhnen. Nehmen wir nur seine Betrachtungen darüber, dass zur Begründung theoretischen Wissens im Verstand des Subjektes allgemeines, apriorisches Wissen vorhanden sein muss. Auch hier sehen wir Widersprüche: Das Subjekt (sein Bewußtsein) kann keine apriorischen Bedingungen jener Wirklichkeit (des Gegenstandes) enthalten, die objektiv existiert und nicht vom Subjekt abhängt. Kant bemüht sich, aus dieser Verlegenheit herauszukommen, indem er den Ausgangsgegenstand in zwei Gegenstände teilt. Die menschlichen Kategorien sind jedoch keine allgemeinen Bedingungen für jene Wirklichkeit (Ding an sich), die objektiv und unabhängig vom Subjekt existiert. Folglich treten die Kategorien als allgemeine Bedingungen jenes Gegenstandes auf, der von diesen Kategorien abhängig ist, sich mit ihrer Hilfe herausbildet, eine objektive Existenz erhält. Die Begriffe „Ding an sich“ und „Erscheinung“ benötigte Kant auch noch für andere Zwecke. Er ging von folgenden Fakten aus: Es gibt Mathematik, Naturwissenschaft und praktische Philosophie - die Moral. Während die wichtigste Bedingung für die Existenz der Wissenschaft 600 die Welt der Natur ist, die sich den allgemeinen Bedingungen des Verstandes unterordnet, haben wir es bei der Moral, der praktischen Philosophie mit einer bedingungslosen Welt, mit der Freiheit zu tun. Wie ist die Widersprüchlichkeit dieser beiden Gebiete zu rechtfertigen? Dabei hilft, war Kant überzeugt, die Teilung in „Ding an sich“ und „Erscheinung“. „Weil das“, schrieb Kant, „was uns notwendig dazu anregt, über die Grenzen der Erfahrung und aller Erscheinungen hinauszugehen, das Bedingungslose ist, das die Vernunft notwendig und völlig zu Recht in den Dingen an sich als Ergänzung zu allem Bedingten sucht, dabei eine abgeschlossene Reihe von Bedingungen fordernd. Wenn sich jedoch bei der Annahme, dass sich das von unserer Erfahrung erworbene Wissen nach den Gegenständen als Dingen an sich richtet, erweist, dass das Bedingungslose überhaupt nicht ohne Widersprüche denkbar ist, und, im Gegenteil, bei der Annahme, dass sich nicht die Vorstellungen von den Dingen, wie sie uns gegeben sind, nach diesen Dingen als Dingen an sich richten, sondern diese Gegenstände sich als Erscheinungen eher danach richten, wie wir sie uns vorstellen, entfällt dieser Widerspruch, und folglich muss sich das Bedingungslose nicht in den Dingen befinden, soviel wir wissen (soweit sie uns gegeben sind), sondern in den Dingen, insofern wir sie nicht kennen, [d. h.] wie in den Dingen an sich, - hieraus wird klar, dass die von uns zu Beginn in Form eines Versuches gemachte Annahme begründet ist“. 79 Nach Untersuchung dieser Gruppe von Argumenten unterwarf sich Kant der Versuchung ihrer Überprüfung und bemühte sich zu klären, was wäre, wenn man bei der Erforschung der Welt nicht in Dinge an sich und Erscheinungen teilen würde. Dann wäre folgendes: „In einem solchen Falle müßten sich das Gesetz der Kausalität und folglich der Mechanismus der Natur bei der Definition der Kausalität unbedingt auf alle Dinge überhaupt als funktionierende Ursachen erstrecken. Dann wäre es unmöglich, ohne in klaren Widerspruch zu geraten, von ein und dem gleichen Wesen, z. B. von der menschlichen Seele, zu sagen, dass ihr Wille frei, gleichzeitig jedoch der natürlichen Notwendigkeit untergeordnet, d. h. nicht frei ist. [Der Widerspruch würde hier entstehen], weil ich in beiden Behauptungen die menschliche Seele in ein und der gleichen Bedeutung nehme, nämlich als Ding überhaupt (als Sache an sich), und sie nicht anders nehmen konnte, ohne vorher Kritik angewendet zu haben“. 80 Und vor dem Widerspruch Angst habend und ihn nicht auf andere Weise lösen könnend und sich davor fürchtend, seine Berechtigung anzuerkennen, kehrte Kant eilig zu der rettenden Teilung der Welt in Dinge an sich und Erscheinungen zurück, da mit Hilfe einer solchen Operation „ein und der gleiche Willen in [seiner] Erscheinungsform (in den zu beachtenden Handlungen) einerseits als sich notwendig nach dem Gesetz der Natur richtend und deshalb nicht frei denkbar ist, andererseits aber als dem Ding an sich gehörend und folglich deshalb dem Gesetz der Natur nicht untergeordnet, also frei denkbar ist“. 81 Wie wir sehen, ist für Kant die Teilung in „Ding an sich“ und „Erscheinung“ wirklich notwendig, da er bei der Begründung seiner Philosophie nicht nur von der objektiven Existenz der Naturwissenschaften (Physik und Mathematik) ausgeht, sondern auch von der Existenz der Moral als Objekt der praktischen Philosophie. Damit eine Wissenschaft existieren kann, sind bekanntlich logische Kategorien notwendig, die die allgemeine Bedingung jeglicher Erfahrung sind. Die Gesamtheit der Erfahrung ist die Natur. Die Natur wiederum ist die Arena der Kausalität, der Gesetze, denen die Möglichkeit jeglicher Erfahrung untergeordnet ist. Eine andere Sache ist die Moral. Sie ist unmöglich ohne die Idee der Freiheit. Auf diese Seite des Problems eingehend, schrieb Kant: „Nehmen wir nun an, dass die Moral unbedingt Freiheit (im striktesten Sinne dieses Worte) als Eigenschaft unseres Willens voraussetzt, dabei a priori auf solche ursprünglichen Grundsätze als Anlagen unserer Vernunft weist, die ohne Voraussetzung der Freiheit unmöglich wären; nehmen wir weiterhin an, dass die spekulative Vernunft bewiesen hat, 601 dass man sich Freiheit überhaupt nicht vorstellen kann. In solchem Falle muss die erste Voraussetzung, nämlich die moralische, unbedingt demjenigen den Platz räumen, dessen Gegensatz einen offensichtlichen Widerspruch enthält“. 82 Kant vermutete, dass es ohne Teilung in „Ding an sich“ und „Erscheinung“ unmöglich ist, die Unfreiheit der Natur und die Freiheit der Moral zu vereinen; sie würden einander widersprechen. Sobald man aber eine solche Teilung zulässt, hebt sich der Widerspruch auf, und Freiheit und Notwendigkeit bleiben in ihren Grenzen. Er schrieb darüber folgendes: „Genau so eine Erklärung des positiven Nutzens der kritischen Leitsätze der reinen Vernunft kann man bezüglich der Begriffe Gott und der einfachen Natur unserer Seele geben, aber der Kürze halber verzichte ich darauf. Ich kann folglich nicht einmal die Existenz Gottes, der Freiheit und der Unsterblichkeit für den Zweck der notwendigen praktischen Anwendung der Vernunft zulassen, wenn ich der spekulativen Vernunft nicht auch ihre Ansprüche auf transzendentes Wissen nehme, weil die Vernunft beim Streben nach diesem Wissen solchen Leitsätzen folgen muss, die - in Wirklichkeit nur auf die Gegenstände der möglichen Erfahrung anwendbar - auf das angewendet werden, was nicht Gegenstand der Erfahrung sein kann, und es in diesem Falle in Erscheinungen verwandeln, damit jede praktische Erweiterung der reinen Vernunft für unmöglich erklärend. Deshalb musste ich das Wissen aufheben, um dem Glauben Platz zu machen“. 83 Auf diese Art und Weise ist Kant in dem Bestreben, Widersprüche zu vermeiden, in die Sackgasse des Idealismus und Agnostizismus geraten. Der Idealist Kant konnte den Anschlag der Vernunft auf Gott nicht zulassen, hat ihr aber nicht das Recht abgesprochen, die gegenständliche Welt zu erkennen, d. h. er bemühte sich, das Unvereinbare - Wissenschaft und Religion - zu vereinbaren, und die Begriffe „Ding an sich“ und „Erscheinung“ leisteten ihm dabei einen guten Dienst. ____________________________ 1. Marx K, Engels F. Werke, Bd. 20, S. 366 - 367 2. Siehe Borodai J. M. Einbildungskraft und Erkenntnistheorie (Kritischer Essay zur Kantischen Lehre von der produktiven Fähigkeit der Einbildungskraft) M. 1966 3. Im weiteren wird der Titel dieser Arbeit von I. Kant in abgekürzter Form angeführt 4. Marx K., Engels F. Werke, Bd. 20, S. 56 - 57 5. Aristoteles. Metaphysik. M. - L., 1934, S. 126 6. siehe a. a. O. 7. Lenin W. I. Sämtliche Werke, Bd. 29, S. 327 8. Kant I. Werke in 6 Bd., M. 1964-1965, Bd. 1, S. 156 9. a. a. O. 10. Arsenjew A., Gulyga A. Frühe Arbeiten Kants (einleitender Artikel) // Kant I. Werke Bd. 2, M., 1964, S. 18 11.Newton I. Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, M., 1989, S. 659 12. Kant I. Werke, Bd. 1, S. 208 13. a. a. O., S. 211 14. a. a. O., Bd. 3, S.74 15. a. a. O. 16. a. a. O., Bd. 4, S. 88 17. a. a. O., Bd. 2, S. 246 18. a. a. O., S. 254 19. a. a. O., S. 365 20. a. a. O., Bd. 3, S. 634 602 21. a. a. O., S. 636 22. a. a. O., S. 632 23. a. a. O., S. 99 24. Descartes R. Ausgewählte Werke, M., 1950, S. 416 25. a. a. O., S. 87 26. a. a. O., S. 98 27. a. a. O., S. 89 28. a. a. O., S. 94 29. a. a. O., S. 91 30. a. a. O., S. 272 31. a. a. O., S. 274 32. Kant I. Werke Bd. 3, S. 106 33. a. a. O., S. 107 34. a. a. O. 35. a. a. O., S. 106 36. a. a. O., S. 155 37.Hegel. Werke Bd. 11, S. 430 38. Setschenow I. M. Ausgewählte Werke. M., 1953, S. 187, 270 39. Kant I. Werke Bd. 3, S. 83 40. a. a. O., S. 83 41. Lenin W. I. Sämtliche Werke Bd. 29, S. 86 42. siehe Hegel Werke Bd. 11, S. 427 43. a. a. O. Bd. 4, S. 26 44. Kant I. Werke Bd. 3, S. 178 45. a. a. O. Bd. 4, Teil 1, S. 116-117 46. Hegel. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. M., 1930, S. 274 47. Kant I. Werke Bd. 4, Teil 1, S. 140 48. a. a. O., Bd. 3, S. 213 49. a. a. O., Bd. 4, Teil 1, S. 73 50. a. a. O., Bd. 3, S. 186 51. a. a. O., S. 164 52. a. a. O., S. 680 53. Hegel. Werke Bd. 4, S. 3 54. Marx K. Engels F. Werke Bd. 12, S. 727 55. Kant I. Werke Bd. 3, S. 681 56. a. a. O. S. 681-682 57. Hegel. Werke Bd. 4, S. 10 58. a. a. O., S. 6 59. Lenin W. I. Sämtliche Werke Bd. 29, S. 318 60. Kant I. Werke Bd. 3, S. 214 61. a. a. O., S. 182 62. a. a. O., S. 190 63. a. a. O. 64. Hegel. Die Wissenschaft der Logik, M., 1972, Bd. 3, S. 23 65. a. a. O. 66. Kant I. Werke Bd. 3, S. 91 67. a. a. O., S. 193 68. a. a. O., S. 195 603 69. a. a. O., S. 192 70. a. a. O., S. 195 71. a. a. O., S. 84-85 72. a. a. O., S. 85-86 73. a. a. O., S. 87 74. a. a. O. 75. a. a. O., S. 87-88 76. Marx K., Engels F. Werke Bd. 3, S. 1 77. Lenin W. I. Sämtliche Werke Bd. 18, S. 102 78. a. a. O., S. 206 79. Kant I. Werke Bd. 3, S. 89-90 80. a. a. O., S. 93-94 81. a. a. O., S. 94 82. a. a. O., S. 94-95 83. a. a. O., S. 95 604