Das Problem der Begründung wissenschaftlichen Wissens und die

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Die Dialektik Kants
Einleitung
Die philosophische Weltöffentlichkeit schätzt die Philosophie Immanuel Kants, des Begründers
der deutschen klassischen Philosophie, als einen gewichtigen Beitrag zur Entwicklung der
Dialektik, der geistigen Quintessenz der modernen Zeit.
Kant hat die Probleme der Dialektik vor allem in Verbindung mit der Erforschung der Fragen der
Logik und der Erkenntnistheorie bearbeitet. Die Fragestellung nach den Möglichkeiten der
Wissenschaft, des theoretischen Wissens brachte den Philosophen zur Kollision mit der
vorangegangenen Philosophie (der Metaphysik), mit der traditionellen Logik und förderte die
Erarbeitung der Anfangsideen der dialektischen Logik. Kant kam ihrem wahren Inhalt auf die
Spur, als er die Frage nach den Kategorien als allgemeine Formen des Denkens stellte, auf deren
Grundlage allgemeines theoretisches Wissen möglich ist. In der transzendentalen Logik ist das
Problem der Kategorien (welches immer aus dem Blickfeld der traditionellen Logik geraten war)
ihr Hauptinhalt. Hier ist es angebracht festzustellen, dass die Erforschung der allgemeinen
Formen des Denkens, der Kategorien und ihre Deduktion gewöhnlich als spezifische
Besonderheit der Hegelschen Logik betrachtet, dabei aber vergessen wird, dass das Problem der
Kategorien schon von Kant erkannt und tiefschürfend untersucht wurde.
In der Philosophie Kants sind auch die spezifischen dialektischen Prinzipien der Erkenntnis, die
ihre weitere Entwicklung in den Arbeiten anderer Vertreter der deutschen klassischen
Philosophie gefunden haben, grundlegend ausgearbeitet. Die Rede ist vom Prinzip des
Widerspruchs (Antinomie) und von der Aktivität des Subjektes im Erkenntnisprozess des
erkennenden Subjektes. Ein unvergängliches Verdienst Kants besteht auch darin, dass er, im
Unterschied zu den kontemplativen Materialisten, die Idee der Aktivität des Subjektes im
Erkenntnisprozess begründet und die kategoriale Bedingtheit seines Denkens bewiesen hat.
Dieser Gedanke hatte bei aller idealistischen Beschränktheit seiner Auslegung durch Kant
wichtige Bedeutung für das Verständnis der Dialektik der Erkenntnis. Von nun an wurde der
Tätigkeit, der Dialektik von Subjekt und Objekt mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wobei man die
Dialektik als inneren Rhythmus der menschlichen Tätigkeit betrachtete, die allerdings idealistisch
verstanden wurde. Deshalb hat die aufmerksame Erforschung und Analyse der Kantischen
Philosophie, insbesondere der Dialektik, nicht nur historische, sondern auch aktuelle Bedeutung.
Die Dialektik Kants ist nicht nur Historie; sie ist in bestimmter Weise mit der modernen Kultur,
mit den modernen Aufgaben der philosophischen Entwicklung verbunden.
Die schöpferische Weiterentwicklung der modernen Philosophie setzt die Ausarbeitung einer
Theorie der Dialektik und eine vertiefte Erforschung der Probleme der dialektischen Logik Logik großgeschrieben - voraus. Zur Realisierung einer solchen wichtigen Aufgabe sind nicht nur
eine vertiefte Analyse zeitgenössischer Fakten, das aufmerksame Studium von Daten der
Gesellschafts- und Naturwissenschaften, sondern auch eine kritische Untersuchung der
Geschichte der Wissenschaft und vor allem der Geschichte der Philosophie notwendig.
Die Notwendigkeit der Erforschung der Kantischen Dialektik wird auch dadurch diktiert, dass die
dialektische Denkweise, die von den besten Vertretern der modernen Naturwissenschaft
entwickelt wird, häufig in ihrem theoretischen Niveau nicht an die klassischen Formen der
Dialektik heranreicht, die von Hegel und Marx erarbeitet wurden, und in der ihnen zugänglichen
Form der Kantischen Dialektik auftritt.
Die moderne Naturwissenschaft (insbesondere Physik und Biologie) erhebt sich unter dem Druck
einer großen Zahl von Fakten im Wesentlichen bis auf das Niveau der Kantischen Dialektik, d. h.
gelangt fast zum Verständnis der Notwendigkeit der Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit,
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des Endlichen und Unendlichen, des Inneren und Äußeren usw. Es unterliegt auch keinem
Zweifel, dass die Notwendigkeit der Vereinigung von Gegensätzen im Akt des theoretischen
Denkens gegenwärtig zur allgemeinen Form der Entwicklung des spontanen
naturwissenschaftlichen dialektischen Denkens geworden ist. Diese Form seiner Entwicklung hat
zwar einige Vorzüge, jedoch auch bestimmte Mängel und Beschränkungen, die in konzentrierter
Form in der Kantischen Dialektik auftreten. Deshalb gestatten das aufmerksame Studium und die
Analyse der Dialektik von Kant die Aufdeckung ihrer theoretischen Werte und Mängel, das
vertiefte Verständnis der Natur jenes dialektischen Denkens, wie es sich in der Form der
modernen Naturwissenschaft darstellt. „Das theoretische Denken jeder Epoche,
d. h. auch der unseren“, schrieb Engels, „ist ein historisches Produkt, das zu verschiedenen Zeiten
sehr verschiedene Formen annimmt und damit auch verschiedene Inhalte. Folglich ist die
Wissenschaft vom Denken, wie auch jede andere, eine historische Wissenschaft, eine
Wissenschaft von der historischen Entwicklung des menschlichen Denkens. Aber das hat eine
große Bedeutung auch für die praktische Anwendung des Denkens auf empirischen Gebieten.
Weil, erstens, die Theorie der Gesetze des Denkens nicht eine ein für allemal fixierte „ewige
Wahrheit“ ist, wie es die Philister mit dem Wort „Logik“ verbinden... Aber gerade die Dialektik
ist für die moderne Naturwissenschaft die wichtigste Form des Denkens, weil nur sie ein
Analogon und somit eine Methode der Erklärung für in der Natur vor sich gehende
Entwicklungsprozesse bietet“. 1
Die Bedeutung der dialektischen Ideen von Kant und Hegel für die Herausbildung und
Entwicklung der Dialektik als Logik kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bis heute
bleibt die Dialektik von Kant und Hegel der ernsthafteste und klügste Opponent der
marxistischen Philosophie, und die kritische Analyse des theoretischen Erbes dieser beiden
großen Denker hilft beim tiefen Verständnis und Freilegen des Inhaltes der Dialektik.
Die sorgfältige Erforschung gerade der Kantischen Dialektik ist für uns auch deshalb wichtig,
weil einige Philosophen unter der „modernen“ Logik der wissenschaftlichen Erkenntnis nur die
formale und mathematische Logik verstehen, und die dialektische Logik, das System der
Kategorien und die allgemeinen Gesetze des Denkens sind ihrer Meinung nach keine Logik im
eigentlichen Sinne des Wortes.
Die Haltlosigkeit eines derartigen Standpunktes tritt am deutlichsten zu Tage, wenn man sich
den Quellen der wahren Logik als Lehre vom Denken zuwendet. In der transzendentalen Logik
von Kant findet die Tradition von Platon und Aristoteles ihre Fortsetzung, die die Logik als Lehre
von den Prinzipien und Gesetzen des theoretischen Denkens verstanden haben. Die sorgfältige
Erforschung der Geschichte der Philosophie, der Theorie des theoretischen Denkens läßt keinen
Zweifel daran, dass die wahre Logik des modernen Denkens die dialektische Logik ist.
In der westlichen Historiographie sind der Kantischen Philosophie eine Vielzahl von Arbeiten
gewidmet, aber in ihnen wird den rationellen Momenten der Philosophie Kants, der Dialektik,
absolut keine Aufmerksamkeit geschenkt. Sogar solch eine philosophische Richtung wie der
Neokantismus, der an die Kantischen Ideale der transzendentalen Metaphysik appelliert hat,
erwies sich als absolute Nebenlinie bei der Entwicklung der produktiven Ideen von Kant. Er hat
zwar die subjektivistischen, agnostischen Tendenzen Kants als Erbe übernommen, hat jedoch im
Grunde genommen die Grundideen des Autors der transzendentalen Methode diskreditiert. Die
Philosophie Kants war und ist ungeachtet aller ihrer Mängel eine große Errungenschaft des
menschlichen Geistes; ihrem Wesen nach ist sie optimistisch, da sie Hoffnung in die aktiven
Kräfte des menschlichen Verstandes gesetzt hat. Der Neokantismus dagegen erscheint in seiner
Gesamtcharakteristik als zutiefst pessimistische Philosophie. Übrigens ist ein derartig
vollständiges Abweichen aller dieser philosophischen Schulen von den dialektischen Wegen, die
Kant aufgezeigt hat, gesetzmäßig und verständlich, weil der modernen westlichen Philosophie die
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Dialektik, ein wirklich wissenschaftliches und revolutionär-kritisches Prinzip des Denkens, fremd
ist.
Die dialektischen Ideen Kants auf dem Gebiet der Erkenntnis, seine Lehre von den Kategorien als
aktiven Formen der menschlichen Tätigkeit, seine Fragestellung zu Quellen und Formen der
Erkenntnis, der Hinweis auf die dialektische Natur der Widersprüche des Verstandes, die
fruchtbaren Ideen auf den Gebieten Ethik und Ästhetik und vieles mehr, was später von Hegel
weiterentwickelt wurde, erwiesen sich erst in der Philosophie des Marxismus als wahrhaft
schöpferisch verarbeitet. Wie bekannt, hat sogar der gesamte deutsche dialektische Idealismus z.
B. die wichtige These Kants von der Rolle der produktiven Fähigkeit der Phantasie faktisch
unbeachtet gelassen, und nur in der wissenschaftlichen Gnoseologie hat dieses Moment - kritisch
überarbeitet - eine wesentliche Rolle bei der Erarbeitung der These von der Aktivität des
erkennenden Subjektes gespielt. ²
Die materialistische Dialektik ist nach kritischer Aneignung der positiven Seiten der Kantischen
Lehre und Ablehnung seiner Fehler und Irrtümer diejenige philosophische Richtung, die seine
progressiven Tendenzen und Ideen fortsetzt,
d.h. in gewissem Sinne hat sie das schöpferische Erbe der deutschen klassischen Philosophie und natürlich ihres Begründers Immanuel Kant - angetreten.
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Kapitel I
Das Problem der Begründung wissenschaftlichen Wissens und die Dialektik
Kritik der traditionellen Philosophie und Bestimmung der Aufgaben der Erkenntnis
Bei der Erforschung des Schaffens von Kant ist es üblich, zwei Perioden zu unterscheiden: die
vorkritische und die kritische. Wenn auch in einer derartigen Periodisierung immer ein gewisser
Formalismus zum Ausdruck kommt, hat bei der allgemeinen Einschätzung der philosophischen
Entwicklung Kants diese Einteilung doch einen Sinn. Beim aufmerksamen und umfassenden
Überblick über die Philosophie, die wissenschaftlich-theoretischen Interessen, die
weltanschauliche Einstellung Kants entdeckt man in den zwei genannten Perioden deutlich
wesentliche Unterschiede. Überhaupt hat Kant ja auch selber die Existenz dieser zwei Perioden in
seinem Wirken zugegeben. In dem Vorwort zu dem Aufsatz „Prolegomena zu jeglicher
zukünftigen Metaphysik, die als Wissenschaft aufkommen kann“ ³ merkte er an, dass seine
kritischen Ideen unter dem Einfluss von Hume entstanden, der seinen „dogmatischen
Schlummer“ unterbrochen habe.
Der vorkritische Kant ist ein bescheidener Philosoph, der sich noch nicht die Aufgabe gestellt
hatte, die bisherige Metaphysik und Logik zu reformieren, und auch noch nicht die Frage der
kritischen Untersuchung der Grenzen der menschlichen Erkenntnis angegangen war. Er hat
damals das Problem des wissenschaftlichen Wissens, der Bedingungen dafür, seines
Verhältnisses zu anderen Formen der menschlichen Tätigkeit nicht speziell untersucht. In dieser
Periode interessierte er sich mehr für naturwissenschaftliche Probleme, analysierte unter
ontologischem Aspekt die Probleme der Bewegung, der Selbstbewegung, des Raumes, der Zeit u.
a. In der weltanschaulichen Einstellung Kants dominierte das materialistische Herangehen an die
untersuchten Probleme. Unter anderem betrachtete er Raum und Zeit, die er später von den
Positionen des Idealismus aus als apriorische Formen der Anschauung behandelte, in der
vorkritischen Periode als Formen der objektiven Realität. In seinen naturwissenschaftlichen
Arbeiten stützt sich Kant hauptsächlich auf die Newtonsche Mechanik, an die er sich bemühte
schöpferisch heranzugehen: erstens analysierte er ihre Angaben vom Standpunkt des
Rationalismus von Descartes und Leibniz, zweitens führte er das Prinzip der Selbstbewegung, der
Entwicklung in die entsprechenden Wissenschaftsgebiete ein.
In dieser Hinsicht ist schon die erste Arbeit Kants von Interesse - „Gedanken über die richtige
Einschätzung lebender Kräfte“: in ihr hat er erstmals die Idee der Selbstbewegung umgesetzt.
Dabei hat er sich auf eigene Art bemüht, die Schwierigkeiten zu überwinden, in die Descartes
und Leibniz geraten waren. Während die Anhänger Descartes’ meinten, dass die Bewegung
proportional der Geschwindigkeit des sich bewegenden Körpers sei und Leibniz dieses Maß als
proportional der Geschwindigkeit im Quadrat einschätzte, hat Kant diese Schwierigkeit beseitigt,
indem er das Prinzip der Selbstbewegung der Materie einführte, von dem er die Proportionalität
der lebenden Kräfte zum Quadrat der Geschwindigkeit ableitete und gleichzeitig die lineare
Abhängigkeit beibehielt.
Die gedankliche Verarbeitung der Evolution des Begriffes der Bewegung ist auch
charakteristisch für andere Arbeiten Kants: „Die Frage, ob die Erde vom physikalischen
Standpunkt aus altert“; „Untersuchung der Frage, ob die Erde bei ihrer Umdrehung um ihre
Achse, dank derer Tag und Nacht einander abwechseln, seit ihrer Entstehung einige
Veränderungen erfahren hat“; „Neue Theorie der Bewegung und der Ruhe“ u. a. Gestützt auf die
Allgemeingültigkeit des Leitsatzes, dass alles in der Natur Entstehende seinem Ende
entgegengeht, hat der Philosoph auch den Beginn und das Ende der Existenz der Erde als
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physikalischer Körper gewissenhaft begründet. Das wichtigste - Kant war bemüht, die
Allgemeinheit der Bewegung, die Einheit der aufsteigenden und der absteigenden Richtung in der
Geschichte zu beweisen.
In der Arbeit „Untersuchung der Frage, ob die Erde... einige Veränderungen erfahren hat“ hat
Kant den wichtigen Gedanken aufgegriffen, dass Erde und Mond nicht plötzlich entstanden sind,
sondern sich in der Zeit, im Entwicklungsprozess geformt haben. Für das frühe Schaffen Kants
sind jedoch auch Zwiespältigkeit und Widersprüchlichkeit charakteristisch. Sie zeigten sich
darin, dass Kant einerseits die Selbstbewegung der Materie anerkannte, er sich andererseits
jedoch bemühte, die Bewegung als mechanisch, als äußerlich im Verhältnis zur Materie zu
interpretieren. Das Gleiche geschah mit dem Raum: nach Newton behandelte er den Raum als
Behältnis, aber gleichzeitig als etwas mit der Materie Verbundenes, Sekundäres im Verhältnis zu
ihr.
Unter den naturwissenschaftlichen und philosophischen Werken des vorkritischen Kant nimmt
seine „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ einen besonderen Platz ein.
Diesem Werk gehört in der Geschichte der Wissenschaft und Philosophie zweifellos ein
hervorragender Platz. Der Problemstellung und der Erfassensbreite nach übertraf es sogar die
entsprechenden Arbeiten von Laplace. Wie bekannt, hat die Theorie von Kant und Laplace die
Geister der Gelehrten mehr als 200 Jahre lang beschäftigt. F. Engels schrieb unter Hervorhebung
der methodologischen und theoretischen Bedeutung dieser Arbeiten des Denkers aus Königsberg:
„Die Kantische Theorie von der Entstehung aller derzeitigen Himmelskörper aus sich drehenden
Nebelmassen war die größte Errungenschaft der Astronomie seit Kopernikus. Erstmals wurde die
Vorstellung erschüttert, dass die Natur keine Geschichte in der Zeit hat... In diese Vorstellung,
die der metaphysischen Denkweise durchaus entsprach, hat Kant die erste Bresche geschlagen
und hat das dermaßen wissenschaftlich getan, dass die Mehrzahl der von ihm angeführten
Argumente ihre Beweiskraft bis heute erhalten hat.“ 4
Tatsächlich bestand eine wichtige Bedeutung der erwähnten Arbeit Kants darin, dass in die
wissenschaftliche Untersuchung des Gegenstandes das Prinzip der Entwicklung, des Historismus
eingeführt wurde. Sich auf dieses Prinzip stützend, hat Kant sich bemüht, die Schwierigkeiten,
die es bei der Erklärung der Ganzheit gab, zu lösen und zu überwinden. Vor Platon war die
Aufmerksamkeit bei der Erklärung der Natur des Ganzen auf jene Elemente konzentriert, aus
denen ein konkretes Ganzes besteht. Als solche Elemente wurden Wasser, Luft, Atome usw.
angesehen. Sokrates und Platon haben erstmals in der Geschichte der Philosophie den Gedanken
geäußert, dass die Ganzheit nicht einfach auf die Elemente der Materie zurückgeführt werden
kann, dass etwas Allgemeines notwendig ist, eine Idee, die jedem Gegenstand zu Grunde liegt
und ihn zu dem gegebenen Gegenstand macht. Sie haben dabei dem Einzelnen, aus dem das
Konkrete besteht, fast keine Bedeutung beigemessen.
Als Begründung eines ganzheitlichen Gegenstandes ließ Aristoteles sowohl das eine wie das
andere zu, hat jedoch ihre wahre Einheit nicht begriffen. Die Ganzheit, das Wesen werden laut
Aristoteles ausschließlich durch die Form bestimmt, da die Materie passiv ist, die Form jedoch aktiv. Deshalb nahm er an, dass zur logischen Formulierung über den Gegenstand nur Elemente
der Form (des Allgemeinen) gehören, nicht jedoch Elemente der Materie. „Die Formulierung des
Begriffes des Kreises schließt nicht die Bezeichnung von Abschnitten ein“, schrieb er. „Zur
Formulierung des Stils gehört die Bezeichnung seiner Elemente, indessen teilt sich der Kreis in
Abschnitte (genauso) wie der Stil in Elemente.“ 5
Seine Ansicht begründete er damit, dass die Elemente (des Stils) Teile der Formulierung seien,
die die Form bezeichnet, und keine Materie. Die Abschnitte stellten indessen Teile im Sinne jener
Materie dar, in der sich die Form realisiert. 6
Die Schwäche eines solchen Verständnisses der Frage besteht darin, dass Aristoteles den inneren
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Zusammenhang von Materie und Form, von Allgemeinem und Einzelnen nicht aufdecken konnte.
„Der Mensch hat Schwierigkeiten mit der Dialektik von Allgemeinem und Einzelnem“, 7
bemerkte Lenin, als er die „Metaphysik“ von Aristoteles konspektierte.
Kant hat im Verhältnis zu Aristoteles einen Schritt vorwärts getan. In seiner Arbeit „Allgemeine
Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ hat er den Gedanken umgesetzt, dass die Form (das
Allgemeine) nicht ursprünglich existiert, sondern im Ergebnis der natürlichen Entwicklung der
formlosen Materie selbst entsteht. Ursache der Bewegung und der Gestaltung der Materie ist das
Vorhandensein „verschiedener Elemente“ in ihr. Wenn eine ursprüngliche Identität und
Homogenität der Elemente der Materie möglich wäre, würde das eine Entwicklung ausschließen.
Deswegen ist die Form, das Allgemeine das Ergebnis der Bewegung der Materie selbst. „Die
einfachsten und gemeinschaftlichsten Eigenschaften, die scheinbar ohne jegliches Ziel existieren,
die Materie, die vollkommen träge und der Form und Organisation bedürftig erscheint, bergen
schon in ihren einfachsten Zuständen das Streben nach vollkommenerem Bau durch natürliche
Entwicklung. Am meisten wird jedoch die Ordnung der Natur und ihr Verlassen des Zustandes
des Chaos’ durch das Vorhandensein von verschiedenen Arten von Elementen gefördert, dank
dessen die Ruhe gestört wird, die herrschen würde, wenn die zerstreuten Elemente in jeder
Hinsicht gleichartig wären.“ 8
Dass sich die Elemente bewegen, weil sie verschiedenartig sind, war schon seit Leukipp,
Demokrit und Aristoteles bekannt. Demokrit stellte eine Theorie auf, die die Entstehung
unzähliger, ständig entstehender und vergehender Welten durch Bewegung verschiedenartiger
Elemente erklärte. Aristoteles zerstörte dieses System mit der Begründung, dass Atome und
überhaupt Körper unabhängig von Größe und Gewicht im luftleeren Raum mit gleicher
Geschwindigkeit und parallel zueinander fallen, d. h. sie können weder zusammenstoßen noch
sich zu irgendwelchen Kombinationen (Vereinigungen) verflechten.
Aristoteles hat auf diese Art versucht, die atomistische Erklärung der Welt zu überwinden. Kant
hat nach Newton und anderen seiner Vorgänger des 17. - 18. Jahrhunderts das System von
Leukipp und Demokrit wiederhergestellt und es ergänzt und vervollkommnet. Zur Erklärung des
Weltalls schlug Kant vor, außer der Verschiedenartigkeit der Elemente die besonderen Kräfte der
Anziehung und Abstoßung zu berücksichtigen. „Indem ich mir die Welt im Zustand des
einfachsten Chaos’ vorgestellt habe“, schrieb Kant, „habe ich die große Ordnung der Natur durch
die Kraft der Anziehung und die Kraft der Abstoßung erklärt, - zwei Kräfte, die gleichermaßen
unbestreitbar, gleichermaßen einfach und gleichzeitig... allgemein sind“. 9
In der Auslegung Kants ist die Bewegung, die Selbstbewegung der Materie die Folge ihrer
Widersprüchlichkeit. Die Kräfte der Anziehung und der Abstoßung formen und regen
Weltsysteme aus dem Chaos der zerstreuten Materie zum Leben an und zerstören sie auch
wieder, um aus den Trümmern neue zu schaffen. Der Kampf der gegensätzlichen Kräfte geht
sowohl im einzelnen Atom wie auch in grandiosen kosmischen Systemen vor sich. Die
Wechselwirkung der Kräfte der Anziehung und der Abstoßung, ihr beständiger Kampf sichern,
so Kant, die Unendlichkeit des kosmogonen Prozesses in Raum und Zeit. Gerade dank dieser
Kräfte wird jene Bewegung geboren, die das ewige Leben der Natur bedingt.
Wenn es Materie gibt, nahm Kant an, so ist sie unbedingt mit einer Anziehungskraft begabt, die
von Newton als Eigenschaft materieller Körper, als Gesetz, dem alle Naturerscheinungen
unterworfen sind, bewiesen wurde. Materie existiert ewig, ändert in einer unendlichen Vielfalt
von Elementen und deren Kombinationen unaufhörlich die Form ihres Seins. Welten entstehen,
verschwinden und entstehen erneut, und dieser Prozess kennt weder Anfang noch Ende - sowohl
im Raum als auch in der Zeit. Nach Kant vereinigen sich kraft innerer Gesetze die Atome und
zerlegen sich auch wieder, ähnlich, wie Welten entstehen und im Ergebnis dieser Prozesse wieder
vergehen, um als Material zu dienen, aus dem die Natur neue Systeme aufbaut.
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Kant nahm an, dass eine für sich genommene Anziehung nur eine einseitige Veränderung
hervorrufen kann, und deswegen sichert nur das Vorhandensein einer Abstoßung den Kreislauf,
die „Stetigkeit des Lebens der Natur“. Der Vorzug der Kantischen Erklärung der Entstehung des
Sonnensystems besteht gerade darin, dass er die Wechselwirkung der materiellen Kräfte der
Anziehung und Abstoßung für vollkommen ausreichend hielt, während Newton die Bewegung
der Planeten nicht ohne einen Anstoß, d. h. nicht ohne Gott erklären konnte.
Nach Kant jedoch „endet der Entwicklungszyklus eines beliebigen Systems damit, dass alle seine
Körper unter der Wirkung der Anziehung auf einen zentralen Körper fallen und die dabei frei
werdende ungeheure Wärmemenge derartige Abstoßungskräfte hervorbringt, dass sich die
Materie aufs Neue zerstreut, wonach ein neuer Prozess der Formung eines Systems beginnt.“ 10
Indem er die Bewegung nicht nur als mechanische Ortsverlagerung unter Einwirkung äußerer
Kräfte, sondern als Ergebnis der Wechselwirkung zweier gegeneinander gerichteter,
widersprüchlicher und für Materieinneres charakteristischer Kräfte verstand, bemühte sich Kant,
die Grenzen der mechanistischen Auffassung seiner Zeit zu überwinden.
Zur Grundlage seiner Überlegungen machte Kant jene Eigenschaften des Sonnensystems, auf die
schon Kepler, Newton und andere aufmerksam gemacht hatten. Es geht darum, dass alle Planeten
und ihre Satelliten komplizierte, jedoch immer kreisförmige Bewegungen machen: Sie kreisen
um die Sonne, um ihre eigene Achse und nebeneinander in der gleichen Richtung und auf der
ungefähr gleichen Ebene.
Descartes suchte den Grund und fand ihn in den Wirbeln der Materie, die auch heute noch die
Planeten um die Sonne tragen sowie die Satelliten - um die Planeten usw. Newton lehnte die
Hypothese von Descartes mit der Begründung ab, dass die Bewegung feinster Hüllen und
Schweife von Kometen dadurch nicht erklärt werde. „Die Kometen“, schrieb er, „jagen durch alle
Gebiete des Himmels auf sehr exzentrischen Bahnen. Infolge derartiger Bewegung durchfliegen
die Kometen die Umlaufbahnen der Planeten sehr leicht und schnell; in ihrem Aphelium, wo sie
sich langsamer bewegen und länger aufhalten, sind sie sehr weit voneinander entfernt und ziehen
einander sehr wenig an. Eine derartig elegante Vereinigung von Sonne, Planeten und Kometen
konnte nicht anders zustande kommen als durch Willen und Macht eines mächtigen und weisen
Wesens.“ 11 Indem er Gott als Grund für die Bewegung der Himmelskörper vorschlug, war
Newton nicht originell. Die Wurzeln einer solchen Erklärung finden wir bei Aristoteles, der als
Begründung der Einheit der Welt, des Weltalls einen höheren Intellekt, die Form der Formen
vorschlug.
Die Schwierigkeiten beim Verständnis der komplizierten Gesetzmäßigkeiten des Sonnensystems,
die Newton hatte, wurden wesentlich später wissenschaftlich von Einstein in seiner Allgemeinen
Relativitätstheorie gelöst. Auf dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten ist die Fragestellung und
ihre Lösung durch Kant um so bedeutender. Die Wichtigkeit der Kantischen Betrachtung besteht
darin, dass er die Quelle der Gestaltung in der Materie selbst sah. Während in der Deutung von
Aristoteles die Materie passiv ist und erst die Form ihr Vollendung verleiht; während auch in der
Newtonschen Physik das Weltall keine natürliche Geschichte hat und seine Erklärung nur die
gegenwärtige Struktur und seinen Zustand umfasst, hat Kant sich die Geschichte des Kosmos als
einen ewigen Prozess der Veränderung der Materie vorgestellt. „Es sind vielleicht Millionen von
Jahren vergangen“, schrieb er, „ehe diese Sphäre der sich herausbildenden Natur, in der wir
existieren, die ihr jetzt eigene Vollkommenheit erreicht hat; vielleicht vergeht noch einmal soviel
Zeit, ehe die Natur den nächsten genauso großen Schritt vorwärts im Chaos tut; die Sphäre der
sich gestaltenden Natur befasst sich ständig mit ihrer Erweiterung. Die Erschaffung der Welt ist
nicht Sache eines Augenblicks. Begonnen mit der Schaffung einer unendlichen Vielzahl von
Substanzen und Materien, setzt sie sich in der Ewigkeit mit wachsendem Fruchtbarkeitsgrad
fort“. 12
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Die Geschichte der Welt hat weder Anfang noch Ende. Das Weltall ist unendlich und im Ganzen
unsterblich, jedoch in jedem seiner einzelnen Teile relativ, endlich und vergänglich. Das
Sonnensystem ist das Ergebnis einer gesetzmäßigen historischen Entwicklung und muß deshalb wie alles Historische - mit dem Lauf der Zeit vergehen. In den einen Systemen erlöschend,
entflammt das Leben in anderen aufs Neue, und insgesamt ist der Prozess der Weltenbildung
unendlich. Alles, was endlich ist, was einen Beginn und eine Herkunft hat, trägt das Zeichen
seiner Begrenztheit. Es muß vergehen und ein Ende haben. „In der unüberwindbaren Neigung
jedes voll ausgebildeten Weltalls kann man ein Argument für den Beweis dafür sehen, dass als
Gegengewicht das Weltall an anderen Orten neue Welten bilden wird, um den Verlust
auszugleichen, der ihm an irgendeinem Ort zugefügt wurde“. 13
Kant ließ sich vom Prinzip der natürlichen Entwicklung der Materie leiten und zeichnete ein
überzeugendes Bild der Entstehung von Sonne und Planeten.
Das große Verdienst Kants besteht darin, dass er sich nicht auf die Beschreibung des allgemeinen
Prinzips der Entstehung von Sonne und Planeten beschränkt hat, sondern es verstand, konkrete
Details und Besonderheiten des den zeitgenössischen Astronomen bekannten Mechanismus der
Entstehung von Sonne und Planeten aufzuzeigen. In seiner kosmologischen Hypothese fanden
die Formen der Planetenbahnen, die Bedeutungslosigkeit der Exzentrik der Ellipsen dieser
Bahnen, das umgekehrte Verhältnis der Dichte der Planeten zu ihrem Abstand von der Sonne, das
Verhältnis von Masse und Umfang der Planeten und ihrem Abstand von der Sonne, die Existenz
der Saturnringe, sowie auch die Entstehung der Planetensatelliten und des Mondes ihre
Erklärung.
* * *
Die kritische Periode im Schaffen Kants wird deshalb so bezeichnet, weil er in ihr seine drei
berühmten kritischen Arbeiten verfasst hat: „Kritik der reinen Vernunft“, „Kritik der praktischen
Vernunft“, „Kritik des Urteilsvermögens“.
Während der „vorkritische“ Kant noch in das allgemeine Schema der vorangegangenen
Philosophie passte, machte er in der „kritischen“ Periode den Versuch, Wissenschaft und
Philosophie anders zu erfassen, einen Umschwung im traditionellen Verständnis der Philosophie
selbst herbeizuführen. Kant hat jedenfalls die Aufgabe seiner kritischen Arbeiten selber so
verstanden. Als Grund für das Entstehen einer derartig grandiosen Aufgabenstellung diente der
Umstand, dass zu dieser Zeit Metaphysik und Logik eine tiefe Krise erlebten. Die dogmatische
Philosophie und die traditionelle Logik waren nicht nur nicht im Stande, das Material der sich
entwickelnden Wissenschaft theoretisch richtig zu verallgemeinern, sondern auch ihre eigenen
fundamentalen Thesen apodiktisch zu begründen und kritisch zu beweisen.
Die frühere Metaphysik war hauptsächlich bestrebt, den absoluten Beginn der Welt, „den
Stillstand der Natur der Seele“, das Sein Gottes usw. zu begründen. Nach Meinung von Kant
gingen die Philosophen damit über die Grenzen jeglicher Erfahrung hinaus, ohne vorher die
Natur der menschlichen Vernunft selbst einer kritischen Analyse und Kritik unterzogen zu haben.
Es wurden viele illusorische dogmatische Systeme geschaffen, die sich beständig im
Kriegszustand miteinander befanden und einander ununterbrochen ablösten. „Wegen der inneren
Kriege“, schrieb Kant, „ist die Herrschaft der Metaphysik allmählich zu einer vollkommenen
Anarchie degeneriert, und die Skeptiker - eine Art von Nomaden, die jegliche ständige
Bodenbearbeitung verachten - haben von Zeit zu Zeit die zivile Einheit zerstört“. 14
Aus diesem Grund herrschte in der geistigen Atmosphäre völlige Gleichgültigkeit gegenüber der
Metaphysik. Während früher die Metaphysik „Königin aller Wissenschaften„ genannt wurde, „ist
es in unserer Zeit Mode geworden, ihr vollkommene Verachtung entgegenzubringen“. 15 Ein
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derartiges Verhältnis zur traditionellen Metaphysik ist durchaus verständlich, weil es, wie Kant
bemerkte, zu seiner Zeit „unmöglich war, auch nur auf ein einziges Buch zu verweisen, wie man
z. B. auf Euklid [„Grundsätze“] zeigt, um zu sagen: hier ist die Metaphysik, hier findet ihr das
wichtigste Ziel dieser Wissenschaft“. 16
Seine kritische Beziehung zur Metaphysik hat Kant auch schon früher zum Ausdruck gebracht.
Und dieses Verhalten wurde hervorgerufen durch die Krise der Metaphysik im 17./18.
Jahrhundert, besonders durch die Krise jener philosophischen Schule, die von Leibniz und Wolff
vertreten wurde.
Ausgangspunkt der Kantischen Überlegungen ist die Gegenüberstellung von Mathematik und
Naturwissenschaften, die er zu den exakten Wissenschaften rechnete, und der Metaphysik
(Philosophie), die nicht im Stande ist, exaktes Wissen über einen Gegenstand zu vermitteln.
Überhaupt war Kant nicht der erste, der eine solche Einschätzung traf. Von der Reife und
Überlegenheit der Mathematik gegenüber der Philosophie haben Descartes und Spinoza mehrere
Male geschrieben, und sogar Hume vermerkte die Gesamtheit und Notwendigkeit der
Mathematik.
Kant hat schon in seiner vorkritischen Periode den Gedanken von der Überlegenheit der
Mathematik und Naturwissenschaft über die Philosophie in solchen Arbeiten, wie z. B.
„Untersuchung des Grades der Klarheit der Prinzipien der Naturtheologie und der Moral“,
„Bekanntmachung des Planes der Vorlesungen für das Winterhalbjahr 1765/66“, „Träume eines
Geistersehers, erklärt durch Träume der Metaphysik“, „Brief an Moses Mendelssohn“
aufgegriffen. In der ersten der oben genannten Arbeiten schrieb Kant, die mathematische
Definition mit der philosophischen vergleichend: „Für die Mathematik ist es ein Glück, wenn ein
Geodät, seine Aufgabe falsch begreifend, sich mit ... analytischen Definitionen befasst und bei
ihm dabei nichts herauskommt oder seine Schlußfolgerungen ihrem Wesen nach eine
mathematische Definition darstellen; anderenfalls befände sich diese Wissenschaft in der Gewalt
der gleichen unglücklichen Differenzen wie die Philosophie“. 17 Nach ausführlicher Analyse des
prinzipiellen Unterschiedes zwischen Mathematik und Philosophie, der philosophischen
Erkenntnis, und im Ergebnis dieser Analyse der Mathematik den Vorzug gebend,
schrieb
Kant:
„Philosophische Erkenntnisse haben zum größten Teil das Schicksal von Meinungen und sind
Meteoren ähnlich, deren Helligkeit nichts über ihre Lebensdauer aussagt. Sie verschwinden, die
Mathematik bleibt jedoch bestehen. Die Metaphysik ist zweifellos die schwierigste aller
menschlichen Erkenntnisse, aber sie wurde bisher noch nicht aufgezeichnet“. 18 Die Ursache für
einen solchen Zustand der Philosophie (Metaphysik) sah Kant darin, dass in allen Wissenschaften
ein gewisses Maß existiert; in der Philosophie jedoch hat jeder sein eigenes Maß.
Zwar hat Kant diese scharfen Urteile in seinen Briefen an Moses Mendelssohn gebeten, nur als
Einschätzung des Zustandes der zeitgenössischen Metaphysik zu verstehen und nicht als
Bestrebung, ihre Bedeutung vollkommen zu verneinen. „Ich bin fern davon“, schrieb Kant, „die
Metaphysik selbst, objektiv betrachtet, als unbedeutend oder überflüssig anzusehen, besonders
seit dem Moment, als ich, wie mir scheint, ihre Natur und ihren wahren Platz unter den
menschlichen Erkenntnissen begriffen habe, so dass ich überzeugt davon bin, dass von ihr sogar
das wahre und übrige Wohl des Menschengeschlechts abhängt“. 19
Hier stellt sich zu Recht die Frage: Was hat Kant selbst Neues in die Philosophie eingebracht,
was hat er an Stelle jener Metaphysik, die er so scharf kritisierte, geschaffen?
Vor allem wollen wir festhalten, dass die Kritik der Metaphysik, die Kant in seinen vorkritischen
Forschungen geübt hat, sporadischen Charakter trägt; sie geht noch nicht über den Rahmen jener
Kritik hinaus, die wir z.B. in den philosophischen Arbeiten von Descartes und Leibniz finden.
Eine völlig andere Eigenschaft erlangt die Kantische Kritik der Metaphysik in der zweiten
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Periode seines Schaffens. Sie wird in Inhalt und Form global und universell. In seinem
Hauptwerk („Kritik der reinen Vernunft“) hat Kant nicht einzelne Bücher oder philosophische
Probleme der Kritik unterworfen, sondern die ganze menschliche Vernunft, alle Grundformen der
menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Er bemühte sich, die allgemeine Bedingung der
Wissenschaftlichkeit zu begründen, die Vorzüge und Mängel der Mathematik, der
Naturwissenschaft und Metaphysik aus der Kritik an den Grundformen der menschlichen
Erkenntnisfähigkeit - dem Verstand und der Vernunft - abzuleiten, wollte die exakte Bedingung
von wissenschaftlichem, unbestreitbarem Wissen herausfinden und die Grenzen der
menschlichen Erkenntnis bestimmen.
Nachdem er sich diese Aufgabe gestellt hatte, kritisierte Kant auf neue Art die gesamte frühere
Metaphysik. Er ging davon aus, dass, wenn man die gesamte Geschichte der Philosophie
überblickt, man klar erkennen kann, dass sie aus verschiedenen philosophischen Systemen
zusammengesetzt ist. Dabei hat jedes System sich daran gemacht, solche Fragen zu lösen, wie
den absoluten Beginn der Welt oder das Vorhandensein von Gott und auf dieser Grundlage
Anspruch auf den Besitz der alleinigen Wahrheit erhoben. Da dieses Streben allen
philosophischen Systemen eigen war, hat jedes folgende jeweils das vorangegangene
vollkommen widerlegt. Eine solche Lage der Dinge hat nur endlose Streitigkeiten hervorgerufen,
der Wahrheit jedoch nicht näher gebracht.
Die Ursache für diesen Zustand der Metaphysik sah Kant darin, dass die philosophischen
Systeme nicht wirklich begründet waren; sie wurden ohne vorherige kritische Analyse jenes
Fundamentes errichtet, auf dem sie ruhen sollten, sowie darin, dass ungeachtet des
Vorhandenseins einzelner apodiktischer Begründungen (die Kant als analytisch ansah) ihre
hauptsächlichen theoretischen Thesen nicht kritisch begründet und aus der einzigen Vernunft
abgeleitet waren. Gerade diese Mängel der früheren Metaphysik waren nach Kants Meinung
nicht nur der Grund für die Diskreditierung der Philosophie, sondern brachten auch einen
Skeptizismus hervor, bei dem die Vernunft gegen sich selbst handelt. Eine derartige Denkweise
konnte nur bei völligem Zweifel daran entstehen, dass eine befriedigende Lösung der Aufgaben
der Vernunft zu erzielen ist.
Und doch ist der Skeptizismus im Verständnis Kants eine höhere Stufe der philosophischen
Entwicklung, ist schon ein zweiter Schritt in den Fragen der reinen Vernunft, der „von Umsicht
bei der Urteilsfähigkeit zeugt, die die Schule der Erfahrung durchlaufen hat“, während der
Dogmatismus nur der erste Schritt auf dem Wege der Entwicklung der reinen Vernunft ist, die
durch ihr Kindesalter charakterisiert ist.
Unter den Skeptikern hob Kant besonders Hume hervor, den er immer für einen scharfsinnigen
Denker hielt. Kant sah jedoch, dass Hume nicht die Möglichkeit des apriorischen synthetischen
Wissens zulassen konnte, dass er die Allgemeinheit und Notwendigkeit logischer Kategorien,
besonders des Prinzips der Kausalität für unbedeutend und nur als Folge subjektiver Gewohnheit
betrachtete. Hume hat nach Kants Ansicht die Art und Weise der Synthese durch den Verstand
mit der Art und Weise der Synthese durch die Vernunft vermischt und aus der
Gegenstandslosigkeit der Begriffe der Vernunft den Schluß über die Gegenstandslosigkeit der
Kategorien des Verstandes abgeleitet. „Der Skeptiker Hume“, schrieb Kant, „hat diese zwei
Arten von Urteilen nicht unterschieden, obwohl er es hätte tun müssen, und hat eine solche
Selbstbereicherung von Begriffen und sozusagen die Selbsterzeugung unseres Verstandes
(gemeinsam mit der Vernunft) ohne Befruchtung durch die Erfahrung für unmöglich gehalten;
deshalb hielt er alle angenommenen apriorischen Prinzipien für imaginär und fand, dass sie nicht
mehr als eine aus der Erfahrung und ihren Gesetzen entstehende Gewohnheit, also empirisch, d.
h. an und für sich zufällige Regeln sind, denen wir eine angebliche Notwendigkeit und
Allgemeinheit zuschreiben“. 20
559
Ein weiterer Mangel der skeptischen Methode von Hume besteht darin, dass er keine
systematische Übersicht aller Arten der Synthese gegeben hat, die der Verstand a priori
vornimmt, nicht den Unterschied zwischen den verstandesmäßigen Begründungen und den
dialektischen Ansprüchen der Vernunft herausstellt. Deswegen hat Hume nur den Verstand
eingeengt, indem er seine Grenzen nicht bestimmte, und hat Mißtrauen gegenüber unserer
gesamten Erkenntnis hervorgerufen. „Deshalb“, schlußfolgerte Kant, „geschieht mit ihm das, was
jeglichem Skeptizismus schädlich ist, denn seine Ansichten stellen sich selbst in Zweifel, weil
seine Einwände nur auf zufälligen Fakten beruhen, nicht jedoch auf Prinzipien, die unweigerlich
zur Absage an das Recht auf dogmatische Behauptungen führen könnten“. 21
Auf diese Weise hat die skeptische Methode bei der Erforschung der Vernunft nur eine
vorübergehende Bedeutung, der Skeptizismus ist nur eine „Rast für die menschliche Vernunft“,
um „ihre dogmatische Wanderung zu überdenken“ und den rechten Weg zu wählen, d. h. den
dritten Schritt zu tun, nämlich sich der kritischen Methode zuzuwenden, die nach Meinung Kants
die reifste Fähigkeit des Urteils ist. „Dieser Schritt besteht darin“, erklärte Kant, „dass nicht die
Fakten der Vernunft, sondern die Vernunft selbst vom Standpunkt ihrer Fähigkeit und
Tauglichkeit für rein apriorisches Wissen eingeschätzt wird. Das ist keine Zensur, sondern die
Kritik der Vernunft, mit deren Hilfe auf der Grundlage von Prinzipien nicht nur die Schranken,
sondern bestimmte Grenzen des Verstandes, nicht nur das Nichtwissen in allen möglichen Fragen
einer bestimmten Art erraten, sondern auch bewiesen werden kann“. 22
So kann also der Skeptizismus, der in der Lage ist, die ohne wirkliche Kritik an ihren Grundlagen
anstellenden Dogmatiker zu verwirren, der Bewegung der menschlichen Vernunft, die ein
wirkliches Fundament hat, keine Schranken setzen. Die kritische Methode erforscht die Natur der
reinen Vernunft selbst. Und gerade deswegen ist die Kritik der alten Philosophie im Unterschied
zum Skeptizismus nicht auf die Negierung der Metaphysik insgesamt ausgerichtet, sondern
umgekehrt ist „Kritik die unabdingbare Voraussetzung für die Unterstützung der soliden
Metaphysik als Wissenschaft“. 23
Nachdem er sich die positive Aufgabe der Begründung der zukünftigen Metaphysik gestellt hatte,
hielt Kant es für notwendig, zur Freilegung des Weges für die Entstehung einer solchen
Wissenschaft die Schaffung aller möglichen neuen philosophischen Systeme solange zu
unterbrechen, wie nicht die allgemeinen Bedingungen der menschlichen Erkenntnistätigkeit, die
allgemeinen Bedingungen für die Begründung theoretischen, synthetischen und apodiktischen
Wissens analysiert sind.
Deshalb reduziert sich im Verständnis Kants die Frage nach der Möglichkeit der Wissenschaft
und Philosophie auf die Frage nach der Möglichkeit des theoretischen Wissens auf diesen
Gebieten, die Möglichkeit des allgemeinen theoretischen Wissens, deren Begründung die Reform
aller vorangegangenen Philosophie und Logik erfordert.
Kant hat sich nicht das Ziel gestellt, alle Weltprobleme zu lösen, die Struktur der Welt insgesamt
zu erklären, wie das bei der vorherigen Philosophie der Fall war. Er beschränkte sich auf die
Aufgabe, die allgemeine Bedingung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens zu begründen,
die Möglichkeiten des synthetischen apriorischen Wissens zu bestimmen. Wie schwierig dieses
Unterfangen war, begriff der Philosoph sehr deutlich und hat deshalb mehrere Male
unterstrichen, dass es schwieriger ist, eine befriedigende Lösung dieser Aufgabe zu finden (d. h.
eine Begründung des synthetischen Wissens a priori zu geben), als mehrere philosophische
Systeme zu erstellen. Jedoch hatte schon der Versuch einer Lösung eine große Bedeutung in der
Geschichte der Logik und der Erkenntnistheorie, weil er ein entschiedenes Lossagen vom alten
Denkstil und der traditionellen Logik verlangte und der Begründung einer vollkommen neuen
Logik bedurfte, in der die Prinzipien der Dialektik, die Kategorien des Denkens eine wesentliche
Bedeutung haben.
560
Das traditionelle gnoseologische Dilemma
In der vorkantischen Philosophie bekämpften sich bei der Begründung der Natur des Wissens
hauptsächlich zwei Richtungen - Rationalismus und Empirismus, die bei allen Unterschieden
doch etwas Gemeinsames hatten. Den Erkenntnisprozess, die Erkenntnistätigkeit erklärten sie
psychologisch, d. h. als Subjekt der Erkenntnis galt nicht die Gesellschaft, das Gattungssubjekt,
sondern das einzelne, isolierte Individuum. Deswegen betrachteten sie auch die Gnoseologie
nicht als Lehre vom Mechanismus der Erkenntnis, der Erkenntnistätigkeit des Individuums.
Der Rationalismus ließ freilich eine gewisse Aktivität des erkennenden Subjektes (Individuums)
zu. Das änderte jedoch nichts an dem Wesen der Sache, und die erkenntnistheoretische Position
sowohl des Rationalismus als auch des Empirismus blieb insgesamt passiv-kontemplativ.
Die wichtigsten Vertreter des Rationalismus - R. Descartes, B. Spinoza, G. Leibniz - gingen
davon aus, dass das Empfinden, das Sinnliche überhaupt nicht die Quelle des wahren Wissens
sein kann. Als wirkliche Quelle des Wissens betrachteten sie die reine Selbstbetätigung des
Subjektes, d. h. seine Vernunft. Deshalb verwiesen die Rationalisten in ihrer Gnoseologie auch
nicht auf den Gang der Entstehung von Ideen, Begriffen, sondern benutzten sie in ihrer
Eigenschaft als fertige Bestimmungen (z. B. Substanz, Unendlichkeit, Ausdehnung und dgl.).
Bei der Struktur des theoretischen wissenschaftlichen Wissens richteten die Rationalisten ihr
Hauptaugenmerk auf die Absolutheit, die unmittelbare Unbestreitbarkeit, Klarheit und
Bestimmtheit der Ausgangsthesen. Deshalb hat Descartes die Unzulänglichkeit der
vorhergehenden Philosophie, der Gnoseologie, im Fehlen fester, unbedingt wahrhaftiger
Ausgangsthesen gesehen. „Nicht eine einzige Schlußfolgerung“, schrieb Descartes, „die aus einer
nicht offensichtlichen Ursache gezogen wird, kann offensichtlich sein, und wenn sie auch auf die
offensichtlichste Weise gezogen worden ist. Daraus folgt, dass nicht ein einziger Syllogismus,
der auf dergleichen Ursachen beruht, zur wahren Erkenntnis von irgend etwas führen konnte und
dass sie folglich nicht einen einzigen Schritt zum Auffinden der Weisheit tun kann“. 24
Als Ideale für die Wissenschaft stellte er die Arithmetik und Geometrie hin, bei denen alles aus
klaren und einfachen Prinzipien heraus erfolgt. Alle Wissenschaften, darunter auch die
Philosophie, können ihren Thesen den Charakter der Allgemeinheit verleihen, wenn sie sich der
Methoden dieser Wissenschaften bedienen. Descartes war überzeugt, dass jegliches Wissen, das
nicht auf derartigen Prinzipien und Grundlagen beruht, wahrscheinlich, doch nicht wirklich
vorhanden ist. Wissen hat nur deshalb einen bestimmten Wert, weil es sich auf unmittelbar
offensichtliche Prinzipien und Thesen stützt, die uns unbedingt zu den wahren
Zielen führen. Wer sich jedoch bei der Begründung der Wissenschaft auf falsche Prinzipien
stützt, ist dem Wanderer gleich, der sich immer weiter von seinem Ziel entfernt.
Das Descartes’sche Verständnis des Ausgangsprinzips der Natur des wissenschaftlichen Wissens
hat eine große Rolle in der neuen Philosophie gespielt und wurde in den Werken vieler
Rationalisten weiterentwickelt. In seiner Lehre behandelt er die Ausgangsbegründung der
Wissenschaft vor allem als unbedingt wahr, unmittelbar, absolut nicht ableitbar und
offensichtlich. Wenn sie ableitbar wäre, wäre sie nicht unbedingt einfach und offensichtlich, da in
diesem Falle irgendeine andere Begründung existieren würde, die primärer wäre. Die Prinzipien
des wissenschaftlichen Wissens müssen nach der Meinung Descartes’ wahrhaft primär sein.
Natürlich hat er die intuitive Art der Erkenntnis für richtiger gehalten als die deduktive, da die
Intuition es gestattet, unmittelbar einfache, klare und deutliche Grundlagen des wissenschaftlichtheoretischen Wissens wahrzunehmen und zu betrachten.
Indem er der Intuition den Vorzug gab, hielt Descartes auch die Deduktion für notwendig, da „es
viele Sachen gibt, die, obwohl nicht offensichtlich, doch der wahren Erkenntnis zugänglich sind,
561
wenn sie aus wahren und verständlichen Prinzipien jeder einzelnen These durch konsequente und
an keiner Stelle unterbrochene Bewegung des Gedankens bei scharfer Intuition abgeleitet
werden“. 25
Nach Descartes sind die Ausgangsprinzipien des wissenschaftlichen Wissens nicht nur
offensichtlich, sondern auch absolut. Das Bedingte wird von ihm als etwas verstanden, was etwas
mit dem Absoluten gemein hat, dank dessen es mit ihm in Wechselbeziehung steht und von ihm
abgeleitet ist.
Die Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Erkenntnis sah Descartes darin, vom Bedingten zum
Absoluten zu gelangen, von dem dann konsequent alle Leitsätze der Wissenschaft abgeleitet
werden. Er meinte, dass es in Wissenschaft und Philosophie sehr wenig absolute, klare und
deutliche Begriffe gibt. Sogar viele mathematische Thesen halten keiner strengen Kritik stand.
Deshalb müssen sie gewissenhaft festgehalten werden. Sie sind die einfachsten in jeder Reihe.
„Alle anderen können wir nicht anders erkennen“, schrieb Descartes, „als durch ihre Ableitung
aus diesen Dingen entweder unmittelbar und direkt, oder mittels zwei - drei verschiedener
Schlüsse..., deren Anzahl ebenfalls festgehalten werden muß, um zu wissen, um wie viele Grade
sie von der ersten einfachsten These entfernt sind“. 26
Wichtige Bedingung des vollkommenen Wissens ist nach Meinung Descartes die theoretische
Methode, die hilft, die Intuition und die Deduktion richtig zu nutzen. „Unter der Methode“,
schrieb Descartes, „verstehe ich exakte und einfache Regeln, deren strikte Beachtung immer
daran hindert, das Falsche für das Wahre zu nehmen und die ohne überflüssige Vergeudung
geistiger Kräfte, aber allmählich und ununterbrochen das Wissen vergrößernd, dazu beiträgt, dass
der Geist die wahre Erkenntnis alles dessen erreicht, was ihm zugänglich ist“. 27
Die Hauptaufgabe der Methode besteht nach Descartes darin, das einfache, absolute Prinzip der
Wissenschaft aufzudecken, von dem man sich leiten lassen muß, um zur Erkenntnis aller anderen
zu gelangen. „Immer mit den einfachsten und leichtesten Dingen beginnen“, schrieb er, „und
niemals zu anderem übergehen, bevor man nicht sieht, dass man aus ihnen nichts mehr
herausholen kann“. 28
Einen Vorzug der mathematischen Wissenschaft sah der Gelehrte darin, dass in ihr lange Zeit
spontan die theoretische Methode angewandt wurde. Descartes war überzeugt, dass die Methode
die ihr gebührende Entwicklung in allen Wissenschaften findet, besonders in der Philosophie,
über die er schrieb, dass „sie allem anderen Wissen, das uns Menschen zugänglich ist,
vorzuziehen ist; denn sie ist seine Quelle“. 29
In seinen berühmten „Betrachtungen über die Methode“ hat er vier Grundregeln formuliert, die
sich seiner Ansicht nach wesentlich von den alten Leitsätzen der scholastischen Logik
unterscheiden und den Hauptinhalt des neuen methodologischen und logischen Prinzips der
Erforschung der Natur ausmachen.
Erste Regel: niemals etwas für wahrhaft halten, was sich nicht offensichtlich als solches darstellt;
in die Urteile nur das aufnehmen, was sich so klar und so deutlich darstellt, dass es keinerlei
Zweifel hervorruft. Zweite Regel: die zu untersuchenden Schwierigkeiten in so viele Teile wie
möglich und zu ihrer Überwindung nötig aufgliedern. „Drittens: sich an eine bestimmte
Denkordnung halten, beginnend bei einfacheren und leichter erkennbaren Dingen, und dann
allmählich zur Erkenntnis des Schwierigen übergehen und Ordnung auch dort voraussetzen, wo
die Objekte des Denkens nicht in ihrem natürlichen Zusammenhang erscheinen“. 30 Und
schließlich die vierte Regel: so vollständige Regeln und allgemeine Übersichten aufstellen, dass
man überzeugt davon ist, nichts ausgelassen zu haben.
Die Ausarbeitung der rationalen Methode hatte für Descartes trotzdem nur eine untergeordnete
Bedeutung. Er bemühte sich, alle Regeln im Verlaufe der Suche nach dem absoluten Ursprung in
der Philosophie zu befolgen. „Aber in Anbetracht dessen, dass alle Prinzipien der Wissenschaften
562
aus der Philosophie übernommen werden müssen, wo ich noch keine echten Prinzipien gefunden
habe, meinte ich, dass man sie vor allem gerade in ihr festlegen muß“. 31
Der Ausgangspunkt für die Philosophie Descartes’ ist das Prinzip: an allem zweifeln - an der
sinnlichen und inneren Erkenntnis, alles Geistige und Materielle dem Zweifel unterziehen, sogar
die eigene Existenz und mathematische Wahrheiten. Der Zweifel Descartes’ unterscheidet sich
freilich grundlegend vom Skeptizismus, der sich kein anderes Ziel gesetzt hat, als den Zweifel
selbst; bei Descartes hat der Zweifel den Sinn gehabt, nach einer Absage an alle Vorurteile und
Voraussetzungen mit dem Denken zu beginnen und auf diese Art den wahren Ursprung der
Erkenntnis zu erlangen.
Der Philosoph war überzeugt, dass es bei strengster Befolgung des Prinzips „zweifle an allem“
unmöglich ist, das wirklich Wahre zu verlieren. Als eine derartige Wahrheit, die über den Zweifel
gewonnen wird, betrachtete Descartes das Prinzip „Ich denke, also bin ich“.
Indem er eine tiefschürfende logisch-gnoseologische Analyse dieser Theorie durchführte,
unterwarf der Philosoph die Methode der Begriffsbestimmung, die sich seit Aristoteles erhalten
hatte, einer gründlichen Kritik. Diese Kritik hatte zweifellos positive Bedeutung, da sie mit ihrer
Spitze gegen Formalismus und Scholastik in der Logik gerichtet war. Sich nicht nur auf Kritik
beschränkend, gab er ein Beispiel, wie das Wesen des Begriffs zu bestimmen ist. Dabei verfolgte
er hartnäckig den Gedanken, dass die Sinnesorgane nur einzelne Kennzeichen eines
Gegenstandes erfassen, während die Vorstellung in der Lage ist, die Umwandlung einer Sache
aus einer Form in eine andere wahrzunehmen. Das endlose Wesen eines Gegenstandes kann nur
im Begriff erkannt werden, mit Hilfe des Denkens.
Die von Descartes formulierten Grundprinzipien des Rationalismus wurden in den logischgnoseologischen Prinzipien von Spinoza, Leibniz und Wolff weiterentwickelt, systematisiert und
in gewisser Weise modifiziert, haben sich jedoch nicht prinzipiell geändert. Alle Vertreter der
rationalistischen Gnoseologie gingen von der Eigeninitiative des erkennenden Subjektes und
seiner Vernunft aus, ließen angeborene Begriffe und Prinzipien zu, mit deren Hilfe sie
versuchten, die Existenz und das Wesen des menschlichen Wissens zu erklären.
Eine völlig entgegengesetzte erkenntnistheoretische Konzeption über die Natur des menschlichen
Wissens vertrat die empirische Philosophie. Die Koryphäe der Empiristen G. Locke unterzog die
gnoseologischen Prinzipien des Rationalismus einer grundlegenden Kritik und begründete die
wichtigste Voraussetzung des englischen Materialismus. Die Lehre von Locke beginnt mit der
Kritik der rationalistischen Theorie von den angeborenen Ideen. Nachdem er mit einer Vielzahl
von Fakten die Unhaltbarkeit dieser Theorie bewiesen hatte, erklärte er Empfindungen und
Reflexionen zu den Quellen unseres Wissens. Allen Inhalt menschlichen Wissens betrachtete
Locke vom Standpunkt seines Hauptprinzips aus: „Im Intellekt ist nichts, was früher nicht in den
Empfindungen war“. Ungeachtet dessen, dass der Hinweis auf die zweite Quelle der Erkenntnis
eine gewisse Abweichung von den Positionen des konsequenten Sensualismus war, hatte die
Lehre von Locke von der sinnlichen Herkunft des menschlichen Wissens insgesamt eine große
Bedeutung in der Geschichte der Philosophie.
Locke beschränkte sich nicht auf die Begründung der Frage von der sinnlichen Herkunft unseres
Wissens, sondern untersuchte viele Begriffe und unterzog sie einer kritischen Analyse. Hier
zeigte sich jedoch seine empirische Beschränktheit: er verneinte den objektiven Inhalt
allgemeiner Ideen. Alle diese Ideen sind nach Meinung Lockes vom Verstand geschaffen und
deswegen haben sie in der Realität keine Entsprechung. Nach Locke drücken allgemeine Begriffe
und Ideen nicht die Größe des menschlichen Geistes aus, sondern zeugen eher von seiner
Schwäche.
Die Lehre Lockes von der Substanz ist voller Widersprüche: einerseits sah er in Dingen ihren
„Pfeiler“, ihr Wesen, andererseits erkannte er als Wesen der Gattung die Gesamtheit der
563
Eigenschaften an. Das Erstere erklärte er für unbekannt, unerkennbar, das zweite als zugänglich,
erkennbar. Das Fehlen eines dialektischen Herangehens brachte Locke zur Verneinung der
Erkennbarkeit der realen Substanz. Er hat hartnäckig nicht begriffen, dass Wesen und
Erscheinung immer als Einheit auftreten, - das Wesen erscheint, und die Erscheinung ist
wesentlich.
Auf die weitere Entwicklung der Philosophie hat die Gnoseologie Lockes einen zwiespältigen
Einfluß ausgeübt. Einerseits hat sie die französischen Materialisten mit Ideen versorgt,
andererseits - Berkeley und Hume. Letzterer hat die skeptischen Abweichungen von Locke
konsequent weiterentwickelt und die Kategorie der Kausalität einer idealistischen Kritik
unterzogen. Nach Ansicht von Hume entspricht in der Realität nichts dem Kausalzusammenhang,
außer der Aufeinanderfolge von Erscheinungen, und die scheinbare Allgemeinheit und
Notwendigkeit der Kausalität ist nur auf der subjektiven Gewohnheit des Menschen begründet,
die Abfolge der Erscheinungen mit ihrem Kausalzusammenhang gleichzusetzen.
Hume verneinte die Möglichkeit von Urteilen, die in der Lage sind, unser Wissen zu erweitern
und gleichzeitig allgemeine und notwendige Bedeutung zu haben. Seiner Meinung nach wird
unser Wissen durch Erfahrung erweitert, die ihm jedoch nicht den Charakter von Allgemeinheit
und Notwendigkeit verleiht. Das Wissen, das allgemeine und notwendige Bedeutung hat, gehört
nur der Vernunft und hat folglich nur analytischen Charakter, weil die Vernunft nicht auf
notwendige Weise einen Begriff mit dem anderen vereinen kann, dessen Inhalt sich früher nicht
in ihm befunden hat. Hume sah die Möglichkeit der Verneinung der Allgemeinheit und
Notwendigkeit mathematischer Begriffe und erklärte, dass sie nur analytischen Charakter haben.
Und natürlich hat Hume kategorisch die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Kategorien der
Philosophie verneint und somit auch ihre Erkenntnisrolle.
Im Laufe der weiteren Entwicklung der Philosophie und der wissenschaftlichen Erkenntnis traten
die inneren Unzulänglichkeiten sowohl des Rationalismus als auch des Empirismus immer
deutlicher zu Tage. Während die Rationalisten für die Begründung des menschlichen Wissens
und der Wissenschaft von dem Allgemeinen (dem Begriff) ausgingen, konzentrierten die
Empiristen ihre Aufmerksamkeit auf das Sinnliche, Einmalige. Außerdem verstanden die einen
wie die anderen die Erkenntnistätigkeit des Menschen rein psychologisch, da sie keine
Vorstellung von der gesellschaftlichen Erkenntnis, von der gesellschaftlichen praktischen
Tätigkeit als universeller Grundlage der menschlichen Erkenntnis hatten. Deswegen trafen
sowohl die Rationalisten wie auch die Empiristen bei dem Versuch der Begründung der Natur
des wissenschaftlich-theoretischen Wissens auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Indessen
hatten Kant und einige andere Gelehrte zu verstehen begonnen, dass wissenschaftlichtheoretisches Wissen, das die Grundlage von Mathematik und Naturwissenschaft ist oder von
diesen hervorgebracht wird, nicht etwas Klares und Offensichtliches ist, keine einfache Summe
von Fakten und auch nicht deren unmittelbare Verallgemeinerung, sondern ein qualitatives,
originelles und sehr kompliziertes Gebilde, dass eine synthetische Natur sowie eine allgemeine
und notwendige Bedeutung hat. Kant hat sehr wohl verstanden, dass alle wirklichen Resultate der
Wissenschaft gerade eine derartige Natur haben, wie z. B. die Leitsätze der Geometrie von Euklid
und der Physik von Newton. Er sah, dass sowohl die Rationalisten wie auch die Empiristen nicht
fähig sind, die Natur wissenschaftlich-theoretischen Wissens befriedigend zu begründen, da
sowohl die einen wie die anderen immer nur eine Seite des Problems betrachten.
Indem sie als Begründung des Wissens das Allgemeine (den Begriff) herausstellen, sind die
Rationalisten in der Lage, nur die Natur des analytischen Wissens zu begründen, jedoch nicht im
Stande, das synthetische, schöpferische Wissen zu erklären, da sie den Zusammenhang von
Quelle und Form, Ursache und Wirkung als etwas Eindeutiges auffassen.
Den synthetischen Charakter des Wissens haben die Empiristen ohne Mühe erklärt, indem sie
564
von der Einmaligkeit, der sinnlichen Herkunft unseres Wissens ausgingen. Es lag jedoch nicht in
ihrer Kraft, die Allgemeinheit und Notwendigkeit des menschlichen Wissens zu verstehen und zu
erklären. Sie verneinten deshalb die Objektivität logischer Formen, der Kausalitätskategorien und
der Substanzen. Die Beschränktheit des Leitprinzips der Empiristen gestattete es ihnen nicht, die
seit Platon bekannte Tatsache zu erkennen, dass in der Gesellschaft unabhängig von einzelnen
Individuen Formen und Beziehungssysteme und Normen bestehen und jedes Individuum in
seiner praktischen Tätigkeit mit diesen Formen zu tun hat, sich den Inhalt dieser Kategorien
aneignet und sie anwendet. Diese Formen, die Natur des allgemeinen theoretischen Wissens, sind
jedoch nicht auf Gefühle, auf kontemplative Fähigkeiten eines Menschen oder Kollektivs
reduziert. Der Mensch erkennt freilich die Welt auch mittels Empfindung, Anschauung. Die
Empiristen haben jedoch die Rolle der letzteren übertrieben. Das Ideal der Philosophie des
Empirismus ist die reine Anschauung, nach Möglichkeit gereinigt von logischen Formen. Die
Aktivität des menschlichen Denkens hat der Empirismus als Hindernis bei der reinen und
richtigen Betrachtung der Wahrheit angesehen. Die Rolle des Denkens bei der Erkenntnis haben
die Empiristen darauf reduziert, dass es vereint, abstrahiert und Gegenstände zerlegt, weswegen
das Wissen, das durch Gefühlsorgane entstanden ist, ihrer Ansicht nach reicher und konkreter
war. Die Empiristen haben freilich nicht die Bedeutung der individuellen Vernunft, der
Abstraktionen verneint, sie verneinten jedoch die Rolle der allgemeinen logischen Formen.
Locke hat z. B. in der Operation der Verallgemeinerung und
Abstrahierung nur eine Verarmung der Erkenntnis gesehen und gemeint, dass Abstraktion nur
nötig ist für die Bequemlichkeit und Verkleinerung der sinnlichen Vielfalt, die in der
Empfindung gegeben ist.
Dabei hat der Empirismus doch unzweifelhaft eine positive Rolle in der Geschichte der
Philosophie gespielt, da er die Aufmerksamkeit der Forscher auf Fakten, auf einmalige Realitäten
gelenkt hat. Von nun an wurden Gegenstände der Natur und die Verallgemeinerung sinnlicher
Daten zur Hauptsache in der Forschung. Diese Philosophie ging Hand in Hand mit der sich
entwickelnden Wissenschaft, da sie sich nicht für das Ganze, sondern für die einzelnen
Tatsachen, die Details interessierte. Als Folge davon wurden viele Thesen des Empirismus von
Vertretern der Naturwissenschaft begeistert aufgenommen.
Der Empirismus ist jedoch nicht in der Lage, die Natur des wissenschaftlich-theoretischen
Wissens befriedigend zu klären. Für das volle Verständnis und die Erklärung der Natur dieses
Wissens erwiesen sich die Ausgangsthesen der empirischen Philosophie als zu eng und abstrakt.
Und Kant hat das sehr gut verstanden. Deswegen hat er nicht nur die Thesen des Rationalismus
und auch des Empirismus einer grundsätzlichen Kritik unterzogen, sondern alles daran gesetzt,
um in seiner Philosophie die Einseitigkeit beider Richtungen zu überwinden.
Die Reform der Logik
Die Kantische Begründung des synthetischen Wissens
In seiner Philosophie ging Kant direkt davon aus, dass die Daseinsform der Wissenschaft das
schöpferische Wissen ist (synthetisches Urteil a priori), das eine allgemeine und notwendige
Bedeutung hat. Daher ist die wichtigste Aufgabe der Philosophie und der Logik die Begründung
der Möglichkeit, des Mittels zur Gestaltung eines solchen Wissens.
Kant hat das synthetische Wissen vom analytischen deutlich unterschieden. Unter analytischem
verstand er solches Wissen (Urteil), bei welchem der Zusammenhang zwischen Subjekt und
Prädikat gedanklich über die Identität geht. Aus diesem Grund betrachtete er das analytische
Wissen als erklärendes, da die Prädikate solcher Urteile nichts prinzipiell Neues zum Inhalt des
565
Begriffes des Subjektes hinzufügen. Bei analytischen Urteilen entsteht das Prädikat im Ergebnis
der Aufgliederung des Subjektes. Z. B. ist das Urteil „alle Körper haben eine Ausdehnung“
analytisch, da der Begriff der Ausdehnung von vornherein im Begriff des Körpers enthalten ist.
Synthetische Urteile sind etwas völlig anderes. Solche Urteile nannte Kant erweiternd, da ihr
Prädikat gedanklich nicht im Subjekt enthalten ist und aus letzterem nicht durch Analyse
gewonnen werden kann. So verbinden wir bei dem Urteil „alle Körper haben ein Gewicht“ mit
dem Subjekt ein solches Prädikat, das zusätzliche Information in sich trägt. Und tatsächlich kann
man laut Kant aus dem Begriff „Körper“ auf dem Wege des Widerspruchs (analytisch) die
Merkmale der Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Form usw. an den Tag bringen, die in diesem
Begriff gedanklich enthalten sind. Aus dem Subjekt des Urteils (aus dem Begriff des Körpers)
kann man jedoch auch bei sorgfältiger Analyse nicht den Begriff des Gewichtes ableiten, ohne
sich an die Erfahrung zu wenden. Mit anderen Worten: im gegebenen Fall geht das Prädikat über
die Grenzen des Subjektes, d. h. den Begriff des Körpers hinaus.
Gerade das synthetische und dabei apriorische Wissen hielt Kant für eine wirklich produktive
Form der Entwicklung der Wissenschaft. In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat Kant mehrmals
unterstrichen, dass jegliches apriorisches synthetisches Wissen sich nicht aus der sinnlichen
Vielfalt ergibt, da in dem Wissen, das theoretische Bedeutung hat, neben der Erfahrung,
sinnlicher Vielfalt auch apriorische Elemente vorhanden sind, die vor jeder Erfahrung, vor allen
sinnlichen Eindrücken da waren und also nicht von der Erfahrung abhängen. Im Unterschied zu
jenen Philosophen, die meinten, dass die Grundlage jeglichen Wissens nur die vorangegangene
Erfahrung ist, bestand Kant nicht nur auf der Existenz unbedingt „von jeglicher Erfahrung“ 32
unabhängigen Wissens, sondern hielt sein Vorhandensein für die wirkliche Bedingung der
Existenz der theoretischen schöpferischen Erkenntnis.
Kant bemühte sich, nach Möglichkeit die Bedingung des apriorischen Wissens zu begründen. Im
Unterschied zum empirischen ist das apriorische Wissen seiner Meinung nach hauptsächlich
durch das Moment der Notwendigkeit und strikten Allgemeinheit gekennzeichnet.
„Notwendigkeit und strikte Allgemeinheit“, schrieb Kant, „sind genaue Anzeichen des
apriorischen Wissens und miteinander untrennbar verbunden. Es ist jedoch, wenn man sich dieser
Anzeichen bedient, manchmal leichter, die Zufälligkeit des Urteils zu entdecken, als seine
empirische Beschränktheit, manchmal auch umgekehrt. Die unbegrenzte Allgemeinheit, die wir
dem Urteil zuschreiben, kann klarer sein, als seine Notwendigkeit; es ist deswegen nützlich, diese
Kriterien unabhängig voneinander anzuwenden, - jedes ist für sich genommen fehlerlos“. 33
Bei der Begründung des theoretischen Wissens erkannte Kant es für notwendig an, apriorische
Elemente, die Apriorität von Raum, Zeit und logischen Kategorien zuzulassen, da es anders nicht
möglich ist, ihre allgemeine Bedeutung bei der Erkenntnis zu beweisen. Wenn wir alle derartigen
empirischen Charakteristika wie Farbe, Härte oder Weichheit beiseite lassen, behauptete er, sind
wir trotzdem nicht in der Lage, die räumliche Charakteristik des Körpers zu negieren. Genau wie
man, wenn man alle aus der Erfahrung bekannten Eigenschaften eines Körpers beiseite läßt, ihm
nicht die Eigenschaft nehmen kann, dank derer man ihn sich als Substanz denkt. Auf diese Art
und Weise ist das apriorische, theoretische Wissen laut Kant durch Allgemeinheit, Notwendigkeit
und vor der Erfahrung liegende Entstehung charakterisiert. Kant schätzte die apriorischen
Formen des menschlichen Wissens sehr hoch, denn ohne sie ist seiner Überzeugung nach die
eigentlich wissenschaftliche Erkenntnis, das wissenschaftlich-theoretische Begreifen eines
Gegenstandes unmöglich.
Wenn man sich in die Kantischen Bestimmungen des apriorischen Wissens vertieft, stellt man
sich unwillkürlich die Frage: wodurch unterscheidet es sich von der rationalistischen Idee vom
Angeborensein der menschlichen Begriffe? In der Annahme, dass eine solche Frage möglich ist,
hat Kant nicht nur von vornherein alle Versuche der Annäherung dieser beiden seiner Meinung
566
nach unterschiedlichen Konzeptionen verworfen, sondern auch die Anhänger der Konzeption der
angeborenen Ideen ärgerlich „faule Philosophen“ genannt. Der Unterschied besteht laut Kant
darin, dass, während man als angeboren diejenigen Elemente des menschlichen Wissens
bezeichnet, die ursprünglich im menschlichen Intellekt verwurzelt und dessen unabdingbare
Eigenschaft sind, die Apriorität nur vom Wissen des Menschen zeugt, das er besaß, bevor er
Erfahrungen gemacht hat. Der Philosoph war überzeugt, dass der Mensch die sinnliche Vielfalt
erkennt und begreift, sie in allgemeines und notwendiges theoretische Wissen nur mittels
apriorischer Formen der Kontemplation (des Raumes und der Zeit) oder apriorischer Formen der
Sinnlichkeit und des Verstandes verwandelt. Dabei haben die apriorischen Formen der
Sinnlichkeit und des Verstandes nur im Rahmen der Erfahrung Bedeutung, in den Grenzen der
Natur als Gesamtheit der Erfahrung.
Ungeachtet aller Bemühungen Kants, die Idee der Apriorität des Wissens überzeugend zu
gestalten, kommt man nicht umhin, ihre Künstlichkeit und kolossale Ungereimtheit
hervorzuheben. Allein der Umstand, dass so ein scharfsinniger Denker wie Immanuel Kant nicht
die innere Widersprüchlichkeit gesehen hat, ruft schon Verwunderung hervor. Und tatsächlich,
wenn wir Kant sogar glauben, dass seine Konzeption der Apriorität des Wissens nichts mit den
Vorstellungen über das Angeborensein der Ideen gemein hat, so genügen allein die
Versicherungen des Autors der Konzeption nicht, um von ihrer Wissenschaftlichkeit überzeugt
zu sein. Kant hat indessen nur auf die Tatsache der Existenz und die Notwendigkeit apriorischer
Formen für die Erklärung der Möglichkeit wissenschaftlich-theoretischen Wissens hingewiesen
und nicht einmal den Versuch gemacht, die Art und Weise ihrer Herausbildung zu analysieren
und aufzuzeigen.
Alle diese Seltsamkeiten sind durchaus erklärlich, wenn man die Grundfehler und Schwächen der
Kantischen Gnoseologie in Betracht zieht. Ähnlich wie die Rationalisten und Empiristen hat Kant
den Erkenntnisprozess psychologisch begriffen, d. h. hat als Subjekt der Erkenntnis das einzelne
Individuum betrachtet und völlig außer Acht gelassen, dass die menschliche Erkenntnis sozial
bedingt ist. Der Philosoph ging von der Tatsache der Existenz wissenschaftlich-theoretischen
Wissens aus, das allgemeine und notwendige Bedeutung hat, und sah seine Aufgabe in der
Begründung der Möglichkeit und Wirklichkeit solchen Wissens. Deshalb begnügte er sich nur
mit der Konstatierung der Tatsache, dass im Prozess der Herausbildung theoretischen Wissens
apriorische Formen der Sinnlichkeit und Kategorien notwendig sind, die unseren synthetischen
Kenntnissen den Charakter von Allgemeinheit und Signifikanz verleihen.
Kant verstand, dass die Kategorien des Denkens keine gewöhnlichen empirischen
Verallgemeinerungen sind, sondern allgemeine universelle Formen. Da er nur von der
individuellen Erfahrung ausging und nicht die Gattungserfahrung, die gesellschaftlichgegenständliche Tätigkeit des Menschen verstand, war er auch nicht fähig, die Art und Weise der
Herausbildung, die objektive Herkunft dieser beiden Formen rationell zu erklären, die er für
unbedingt apriorische und Vorerfahrungsformen des menschlichen Verstandes hielt.
Das apriorische Verständnis des menschlichen Wissens wurde erst dann endgültig überwunden,
als die Erkenntnistätigkeit des Menschen als sozial betrachtet wurde und in die Erkenntnistheorie
das Prinzip des Historismus Einzug hielt. Beim Beweis der Unhaltbarkeit des Apriorismus stützt
sich der Marxismus hauptsächlich auf die Gattungs- und gesellschaftlich-historische Erfahrung
der Menschheit, die auf natürliche Weise die Herausbildung, Objektivität und Allgemeinheit der
logischen Kategorien erklärt. In der marxistischen Philosophie wird die praktische Tätigkeit, die
gesellschaftlich-historische Erfahrung der Menschen nicht nur als Grundlage des Denkens
betrachtet, sondern auch als etwas, was Prinzipien, Kategorien, universelle logische Formen, die
die allgemeinen Gesetze der Natur, der Gesellschaft und des Denkens widerspiegeln, angesehen.
Die sogenannten apriorischen Formen erweisen sich als nichts anderes, als historisch entstandene
567
Formen der Erkenntnis und der Tätigkeit, mit deren Hilfe der Gegenstand begriffen und
gedanklich erfasst werden kann. Dabei ist die Grundlage dieser Formen nicht die lokale Tätigkeit
der Individuen, sondern die gesamte menschliche Praxis. Logisches Denken ist eine Form der
tausendjährigen menschlichen Arbeit.
Was das aposteriorische (empirische) Wissen angeht, so hat es im Unterschied zum apriorischen
vor allem Erfahrungscharakter. Und Kant meinte, dass gerade aus diesem Grund so ein Wissen
keine strikte Allgemeinheit besitzt, nicht aufzeigt, was den gegebenen Gegenstand zu diesem
macht. Im Kantischen Verständnis besitzt das empirische Wissen nur eine relative und bedingte
Allgemeinheit. „Folglich“, schrieb Kant, „ist die empirische Allgemeinheit nur eine willkürliche
Erhöhung der Signifikanz des Urteils von der Stufe, auf der es für die Mehrzahl der Fälle zutrifft,
auf die Stufe, wo es für alle Fälle zutrifft, wie z. B. in der These „Alle Körper haben ein
Gewicht“. 34
In der Erkenntnistätigkeit gibt es nach Ansicht des Philosophen Fälle, wo einzelnes
aposteriorisches Wissen als apriorisch erscheint. So könnte z. B. ein Mensch, der das Fundament
seines Hauses untergräbt, eigentlich vorher wissen, dass es einstürzt. „Jedoch konnte er davon
vollkommen a priori nichts wissen. Dass Körper ein Gewicht haben und deshalb fallen, wenn sie
ihrer Stütze beraubt werden, hätte er jedoch vorher aus Erfahrung wissen müssen“. 35
In der „Kritik der reinen Vernunft“, wo Kant kurz den Unterschied von analytischem und
synthetischem, empirischem und apriorischem synthetischen Wissen formuliert hat, geht er zur
Begründung der Möglichkeit und Notwendigkeit des synthetischen Urteils a priori über.
In seinem Hauptwerk unterstrich er mit aller Deutlichkeit, dass das wahre Ideal wissenschaftlichtheoretischer Erkenntnis gerade dieses Wissen ist. Seiner Natur nach hat das synthetische
(schöpferische) apriorische Wissen eine erweiternde Bedeutung und gleichzeitig allgemeinen und
notwendigen Charakter. Deshalb führt die Möglichkeit der Naturwissenschaft, der Wissenschaft
laut Kant auf die Begründung der Möglichkeit und Notwendigkeit derartigen apriorischen
synthetischen Wissens zurück.
Kant hat klar begriffen, dass die Begründung der Möglichkeit wissenschaftlich-theoretischen
Wissens eine schwierige philosophische Frage ist. Er hat mehrmals unterstrichen, dass alle
vorangegangene Philosophie und Logik nicht nur die Möglichkeit solchen Wissens nicht
begründen und seine inneren Mechanismen freilegen, sondern diese wichtige
erkenntnistheoretische Aufgabe nicht einmal deutlich formulieren konnte. Nach Kants Meinung
sind Rationalismus und Empirismus nicht fähig, dieses Problem zu lösen.
Kant war der Ansicht, dass es in der Metaphysik natürlich schwer ist, die Möglichkeit
apriorischer synthetischer Urteile zu beweisen, in der Mathematik und Naturwissenschaft
existieren sie jedoch unbedingt. Z. B. ist die These der Geometrie „Eine gerade Linie ist der
kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten“ synthetisch und apriorisch, da in dem Begriff der
geraden Linie, wie er auch immer zergliedert werden mag, keine Vorstellung über den kürzesten
Abstand enthalten ist. Eine ähnliche synthetische Bedeutung a priori maß er der
naturwissenschaftlichen These „Jegliche Veränderung in der Natur hat ihre Ursache“ bei.
Kant war überzeugt, dass die Möglichkeit und Notwendigkeit solchen theoretischen Wissens, wie
sie die Geometrie von Euklid und die Physik von Newton enthalten, unmöglich mit analytischen
Thesen und mit Erfahrung zu begründen sind. Die Leitsätze der Newtonschen Physik und der
Geometrie von Eukild haben keine problematische, sondern eine allgemeine und notwendige
Bedeutung in jeder Erfahrung. Und jegliches wahrhaft wissenschaftlich-theoretisches Wissen
muß laut Kant allgemeine Bedeutung haben und gleichzeitig unser Wissen über den Gegenstand
erweitern. Z. B. werden wir in dem Urteil „die Sonne ist die Ursache der Wärme“, so oft wir auch
den Begriff der Sonne analysieren, nicht den Begriff der Wärme entdecken. Dieses Urteil ist laut
Kant auch nicht das Ergebnis empirischer Verallgemeinerung durch Induktion. Mittels
568
empirischer Verallgemeinerung läßt sich nur das Urteil „die Sonne erwärmt den Stein“
formulieren; es unterscheidet sich jedoch prinzipiell vom vorangegangenen Urteil. Letzteres ist
nur das Ergebnis empirischer Beobachtung und konstatiert das, was bisher durch Erfahrung
gewonnen wurde; deshalb ist es keine Garantie für die Zukunft, da das Verhältnis von Subjekt
und Prädikat nicht auf die notwendige Weise ausgedrückt ist. Für die Wissenschaft, meinte Kant,
ist der Ausdruck der allgemeinen Beziehungen der Dinge äußerst wichtig, da sie ohne diesen
allen Wert verlieren würde.
Die Hauptaufgabe der Kantischen Kritik ist der Beweis allgemeiner Bedingungen für die
Möglichkeit synthetischen apriorischen Wissens.
Obwohl die Form der Fragestellung nach dem synthetischen Urteil a priori eine typisch Kantische
ist, ist sie selbst in der Gegenwart noch aktuell. Für die Wissenschaft ist es immer wichtig, dass
das Ergebnis der Tätigkeit des Wissenschaftlers keine allgemeine Vorstellung, sondern ein
Begriff ist, der allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Wenn man diese Frage vom
Standpunkt der modernen Logik betrachtet, unterscheidet sich die Art und Weise der
Herausbildung eines theoretischen Begriffs wesentlich von der Bildung einer abstraktallgemeinen Vorstellung. Während der Bildung des Abstrakt-Allgemeinen, QuantitativAbstrakten einfach das Allgemeine, das allgemeine wesentliche Merkmal zu Grunde liegt, hat die
Herausbildung eines theoretischen Begriffs, des Qualitativ-Allgemeinen das Erfassen des Wesens
der Dinge und Erscheinungen zur Grundlage. Dabei wird unter Wesen nicht nur das Allgemeine,
nicht nur das Kennzeichen des Gegenstandes verstanden, sondern der Platz des Gegenstandes im
System eines Ganzen, die inneren Wechselbeziehungen des Gegenstandes. Deshalb bedeutet die
Erkenntnis des Wesens das Erfassen der Art und Weise der Herausbildung des Gegenstandes, der
Art und Weise seiner Entstehung und seines Aufbaus. Nur ein derartiger theoretischer Begriff ist
durch Ganzheit, durch die Einheit vieler Definitionen charakterisiert; während die abstraktallgemeine Vorstellung auf die Unterscheidung eines Gegenstandes vom anderen gerichtet ist,
zielt der theoretische Begriff hauptsächlich auf das Erfassen des Gegenstandes, die Aufdeckung
seines Wesens. Z. B. existiert von Gold, von Geld eine abstrakt-allgemeine Auffassung. Der
wahre theoretische Begriff von der Funktion des Goldes als Geld bildete sich erst dann heraus,
als das Geld innerhalb von Warenbeziehungen in Betracht kam. Nur die Entwicklung und der
Widerspruch der Warenbeziehungen erlauben es, das Wesen des Geldes, die Genesis der
Entstehung von Geldbeziehungen zu verstehen. Dabei ist Gold als Geld innerhalb eines Ganzen,
im System der Warenbeziehungen verständlich, wo die eigentlich empirische Bestimmung des
Goldes als Form der Erscheinung des tiefen Wesens des Gegenstandes auftritt.
Die Wichtigkeit und Bedeutung der Fragestellung Kants über das synthetische apriorische
Wissen besteht darin, dass er auf seine Weise begründet hat, dass es hier nicht um eine
gewöhnliche empirische Verallgemeinerung geht, sondern um qualitatives theoretisches Wissen.
Obwohl Kant nicht über den Unterschied von Abstrakt-Allgemeinem und Konkret-Allgemeinem
mit jener Klarheit gesprochen hat, wie darüber in der nachfolgenden Philosophie die Rede war,
hat jedoch jener Gedanke von ihm zweifellos größte Bedeutung, dass die Existenz der
Wissenschaft, der Naturwissenschaft innerlich mit der Möglichkeit des synthetischen und
allgemeinen Wissens, mit der Möglichkeit einer besonderen Form der theoretischen Tätigkeit
verbunden ist. Die Fragestellung vom Unterschied des empirischen Wissens und theoretischen,
allgemeinen und notwendigen Wissens hat an sich eine große Bedeutung in der Geschichte der
Logik.
Die Dialektik besteht hier jedoch nicht in der Fragestellung selbst, sondern in der prinzipiellen
Lösung, zu der der Philosoph kam. Vor allem hat Kant die Überzeugung ausgedrückt, dass
synthetisches apriorisches Wissen auf der Grundlage der Regeln der allgemeinen Logik
unmöglich ist. Die allgemeine traditionelle Logik stellt überhaupt nicht die Frage nach der
569
Herausbildung wissenschaftlich-theoretischen Wissens. Solches Wissen kann nicht begründet
werden, auch wenn man sich von der Erkenntnistheorie der Rationalisten und Empiristen leiten
läßt. Der Rationalismus ist nur in der Lage, die Möglichkeit des analytischen Wissens zu
begründen, und der Empirismus ist unfähig, seinen Urteilen einen allgemeinen und notwendigen
Charakter zu geben. Kant hat die Minderwertigkeit sowohl des Rationalismus wie des
Empirismus nachgewiesen. Sie sind gleichermaßen einseitig, denn jede Richtung betont nur eine
Seite und läßt die andere außer Acht.
Ein großes Verdienst Kants besteht auch darin, dass er in der „Kritik der reinen Vernunft“ als
erster Philosoph Gegensätze vereint hat. Während die gesamte alte Philosophie und Logik bei der
Betrachtung von Gegenständen und Erscheinungen die gute Hälfte aller Glieder aus dem
Denkprozess ausgeschlossen hat, bemühte sich Kant, das ganzheitliche Denken
wiederherzustellen. Ihm war zutiefst bewußt, dass zum Beweis der Möglichkeit des synthetischen
apriorischen Wissens die Einheit von Gegensätzen notwendig ist, d. h. die Einheit des
Allgemeinen mit dem Einzelnen, des Notwendigen mit dem Zufälligen, der Form mit dem Inhalt,
des Einen mit dem Vielen. Freilich hat Kant diesen Gedanken niemals so deutlich formuliert,
aber er tat es bei der Begründung des apriorischen synthetischen Wissens. Auf diese Weise hat
sich Kant entschlossen vom alten Denktyp, von der alten Logik losgesagt und bewies die
Notwendigkeit einer neuen Logik zur Begründung des synthetischen Wissens. Während für die
gesamte vorkantische Logik das Prinzip des Wissens die abstrakte Identität und der abstrakte
Unterschied war, hat Kant als Hauptprinzip die Einheit des Einen mit dem Anderen aufgestellt.
Darum hat auch Hegel der Logik Kants Gerechtigkeit widerfahren lassen im Vergleich zur
gewöhnlichen verstandesmäßigen Logik.
Wahrscheinlich hat gerade aus diesem Grund H. Heine die Philosophie Kants mit der
Französischen Revolution verglichen.
Der wahre Sinn der Kantischen Philosophie ist von den modernen Kantianern entstellt worden. In
der dialektischen Begründung des synthetischen apriorischen Wissens sehen sie nur eine
Erscheinungsform der Idee des gnoseologischen Dualismus des Philosophen. In einem derartigen
Verständnis und in einer solchen Auslegung ist nichts Verwunderliches, weil die Kantianer von
Dialektik nichts verstehen. Bedauern ruft der Umstand hervor, dass diese falsche Vorstellung von
der Philosophie Kants eine große Verbreitung gefunden hat.
Die Kantische Begründung des synthetischen apriorischen Wissens wäre unmöglich ohne die
Anerkennung der Einheit von Allgemeinem und Einzelnem. Man kann nicht damit einverstanden
sein, dass die Ideen des synthetischen apriorischen Wissens angeblich nur aus dem
gnoseologischen Dualismus des Denkers aus Königsberg geboren wurden. Freilich erinnert die
Form der Begründung an Dualismus, ihr hauptsächlicher Sinn läuft aber nicht auf den Dualismus
hinaus, sondern ist der Versuch, den Widerspruch bei der Herausbildung des Wissens zu
begreifen, ist die Anerkennung der Verbindung des Allgemeinen mit dem Einzelnen. Dafür
spricht auch, dass es zur Begründung des prinziplosen Dualismus nicht nötig war, eine neue,
transzendentale Logik zu schaffen. Die Kantische dualistische Form ist eine unentwickelte,
schamhafte Form der Dialektik.
In der transzendentalen Lehre von den Ursprüngen sind deutlich die Grundprinzipien der
Kantischen Dialektik zu Tage getreten. Es geht hauptsächlich um die transzendentale Synthese.
Während die Sensualisten die Rolle des sinnlichen Wissens überbetont haben und die
Rationalisten die Wahrhaftigkeit des Wissens, welches aus Empfindungen abgeleitet ist,
verneinten, hat Kant in der Sinnlichkeit und im Verstand zwei Seiten einer Einheit, des
allgemeinen synthetischen Wissens gesehen. Die erste ist die Fähigkeit, eine Vorstellung
(Empfänglichkeit für Eindrücke) zu erhalten, die zweite ist die Fähigkeit, einen Gegenstand zu
erkennen („Selbsttätigkeit der Begriffe“). Wirkliches Wissen ergeben Verstand und Sinnlichkeit
570
gemeinsam. So können also „weder Begriffe ohne die ihnen in gewisser Weise entsprechende
Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe zu Wissen führen“. Sinnlichkeit ist der Inhalt der
Erkenntnis, und der Begriff ist die Form, die die Verbindung der Erscheinungen der Erfahrung
herstellt. „Ohne Sinnlichkeit“, schrieb Kant, „wäre uns nicht ein einziger Gegenstand zugänglich,
und ohne Verstand könnten wir keinen einzigen erfassen. Gedanken ohne Inhalt sind leer,
Anschauung ohne Begriffe ist blind“. 36 Die Kategorien sind objektiv, wenn sie gegenständlich
sind, und die Anschauung ist objektiv, wenn sie von Kategorien untermauert ist. Diese
Feststellung ist selbst dialektisch, sie ist schon ein Schritt vorwärts im Vergleich zur
vorhergehenden Philosophie.
Kant hat sich nicht auf die Feststellung der Einheit von Sinnlichem und Verstandesmäßigem
beschränkt, sondern hat jede Seite dieses einheitlichen Prozesses der theoretischen Erkenntnis
einer gewissenhaften Analyse unterzogen. Kant hat weiterhin die Frage untersucht, wie
Gegenstände und Erscheinungen durch Kategorien des Verstandes untermauert werden.
Gegenstände durch Kategorien untermauern heißt Urteile ableiten, und die dieser Tätigkeit
entsprechende Fähigkeit wird als Urteilsfähigkeit bezeichnet. Die allgemeine Logik, die von
jeglichem Inhalt ablenkt, kann nach Meinung Kants keine Begründung der Urteilsfähigkeit
geben.
Etwas anderes ist die transzendentale Logik, die nicht vom Inhalt der Begriffe abschweift,
sondern die richtige Anwendung der reinen Begriffe des Verstandes lehrt. Sie zeigt, ob sich der
Gegenstand diesen Regeln des Verstandes unterwirft oder nicht, und in ihrer Eigenschaft der
Kritik schützt sie uns vor Fehlern der Urteilsfähigkeit bei der Anwendung reiner
verstandesmäßiger Begriffe.
Welches sind nun die Regeln für die Untermauerung von Gegenständen durch reine
verstandesmäßige Begriffe? Nach Meinung Kants muß bei jeglicher Untermauerung eines
Gegenstandes durch einen Begriff die Vorstellung des ersteren mit dem letzteren verwandt sein,
d. h. der Begriff muß das enthalten, was der ihn untermauernde Gegenstand darstellt. Es ist z. B.
nicht schwer, das Urteil aufzustellen „der Teller ist rund“, da im gegebenen Fall sowohl Prädikat
als auch Subjekt gleichermaßen sinnlich sind, d. h. der empirische Begriff des Tellers ist mit dem
rein geometrischen Begriff der Kreisförmigkeit verwandt, da die Kreisförmigkeit, die im Begriff
des Tellers denkbar ist, im reinen geometrischen Begriff betrachtet werden kann. Aber völlig
anders sieht es aus, wenn man das Urteil „die Sonne ist die Ursache der Wärme“ nimmt. Hier
kommt zum verstandesmäßigen Begriff der sinnliche hinzu. Verstandesmäßige Begriffe sind
nicht mit empirischen anschaulichen Vorstellungen verwandt, sie kommen aus völlig
unterschiedlichen Quellen. Apriorische Kategorien können niemals notwendig in einer
anschaulichen Vorstellung gefunden werden.
Hieraus ergibt sich notwendigerweise die Frage: Wie ist die Anwendung reiner Kategorien auf
Erscheinungen möglich? Die Antwort gibt die transzendentale Lehre von der Urteilsfähigkeit, die
zeigt, dass reine Begriffe des Verstandes auf Erscheinungen überhaupt nicht angewendet werden.
Reine verstandesmäßige Begriffe betreffen nur die Form des Denkens, als apriorische Begriffe
sind sie nicht auf Erscheinungen anwendbar. Zur Anwendung von Kategorien des Verstandes auf
Erscheinungen ist etwas Drittes nötig, das sowohl mit Erscheinungen als auch mit Begriffen
verwandt ist. Diese vermittelnde Vorstellung muß rein und trotzdem einerseits intellektuell und
andererseits sinnlich sein. Ein solches Schema mit der Einführung einer dritten Vorstellung nennt
Kant ein transzendentales Schema und seine Anwendung - Schematismus reiner Begriffe des
Verstandes.
Die Kantische Idee des Schemas ist auch sehr interessant und fruchtbar von der Position der
Dialektik aus. In dieser Idee spiegelt sich in ursprünglicher Form die Bedeutung des Besonderen,
in dem das Allgemeine mit dem Einzelnen verbunden ist. Dem Schema liegt die Form der Zeit zu
571
Grunde. Nach Kant ist die Zeit als formale, ihrer Herkunft nach apriorische Bedingung jeglicher
Erscheinung eigen und jeglichem verstandesmäßigen Begriff verwandt, wie auch jeglicher Form
der anschaulichen Vorstellung. Das ist der Grund, warum Kant die Zeit als notwendige
Komponente des Begriffsschemas betrachtet.
Das Schema des Begriffs hat Kant von der Gestalt unterschieden, da das Schema nicht als eine
einmalige anschauliche Vorstellung verstanden wird, sondern als Einheit bei der Bestimmung der
Sinnlichkeit. Es verweist nur auf die allgemeine Art und Weise der Schaffung einer dem Begriff
entsprechenden Gestalt. Und folglich liegen reinen Begriffen nicht die Gestalten von
Gegenständen zu Grunde, sondern ihre Schemata.
Nur die betrachteten Objekte haben Gestalten, reine Begriffe können keine haben. Als Beispiel
führte Kant das Dreieck an. Tatsächlich, nicht eine einzige Gestalt fällt mit seinem Begriff
zusammen, da die Gestalt nicht die Allgemeinheit des Begriffes erreichen kann, der für alle
Dreiecke gilt. Deshalb haben wir es, wenn wir über ein Dreieck überhaupt sprechen, mit einem
Schema als Regel für die Bestimmung unserer anschaulichen Vorstellung entsprechend der
bekannten allgemeinen Vorstellung zu tun. Ein Schema kann keine sinnlichen Erscheinungen
farbig ausmalen, es kann nur Umrisse der Begriffe in allgemeinen Zügen entwerfen. Der
Schematismus unseres Verstandes in Bezug auf die Erscheinungen und ihre reine Form ist nach
Kant „eine in der Tiefe der menschlichen Seele versteckte Kunst, deren wahre Methoden es uns
kaum irgendwann gelingen wird, der Natur abzusehen und sie zu entschlüsseln.“
Jegliche Erscheinung hat eine bestimmte zeitliche Dauer. Diese Dauer der Erscheinungen macht
nach Kant eine zeitliche Abfolge aus. Die Vorstellung der zeitlichen Abfolge durchläuft eine
aufeinander folgende Summierung von gleichartigen Bestandteilen der Zeit, von denen jeder eine
Einheit ist und deren Summierung eine Zahl ergibt. Jegliche Erscheinung füllt mit ihrem
Ablaufen die Zeit aus, bildet den Inhalt der Zeit. Aber die Erscheinungen füllen die Zeit nicht auf
die gleiche Art und Weise aus: die einen bleiben, während die anderen vergehen; sie folgen
aufeinander oder existieren zur gleichen Zeit. Ein derartiges zeitliches Verhalten nannte Kant die
Zeitordnung. Schließlich nimmt die Zeit „in sich das Sein“ der Erscheinung auf gewisse Art auf:
Die Erscheinung war oder ist in einem bestimmten Moment oder jederzeit zu beobachten.
Eine solche Definition der Zeit nennen wir die Gesamtheit der Zeit. Damit sind alle möglichen
Definitionen der Zeit erschöpft: Sie ist eine zeitliche Abfolge, der Inhalt der Zeit, die
Zeitordnung, die Gesamtheit der Zeit. Jegliche Erscheinung hat eine bestimmte zeitliche Größe,
bildet einen bestimmten Inhalt der Zeit, steht im Verhältnis zu anderen in einem bestimmten
zeitlichen Verhalten.
Wenn wir nun diese Definition der Zeit mit reinen Begriffen vergleichen, so erweist sich, dass die
Zahl der Quantität entspricht, der Inhalt - der Qualität und die Gesamtzeit - der Modalität. Die
Zahl ist das Schema der Quantität, der Inhalt der Zeit: als ausgefüllte Zeit - das Schema der
Realität, als leere Zeit - das Schema der Negierung. Die Ordnung in der Zeit hat dreierlei
Verhalten: die eine Erscheinung dauert an, während andere verschwinden (eine bleibt, die
anderen werden abgelöst); das Andauern bei der Ablösung ist das Schema der Substanz der
Akzidenzien; die Aufeinanderfolge der Erscheinungen, wenn sie nach der Regel erfolgt, ist das
Schema der Kausalität, und das gleichzeitige Andauern von Erscheinungen ist das Schema der
Kommunikation oder der Wechselwirkung. Das Sein in jedem beliebigen Moment ist das Schema
der Möglichkeit, das Sein in einem bestimmten Moment ist das Schema der Wirklichkeit, das
Sein in jeglicher Zeit (immer) ist das Schema der Notwendigkeit.
Diese Schemata machen Erscheinungen und Kategorien einander zugänglich. Der Verstand
verbindet die Erscheinungen mit Hilfe der Kategorien. Er bringt Urteile mittels der Schemata
durch die Kraft der Phantasie hervor. So sind nun nicht nur Regeln, sondern auch ein Leitfaden
für ihre Anwendung gegeben. Erscheinungen, die sich richtig zu einer Zeit wiederholen, werden
572
wir nicht als Ursachen und Folgen miteinander verbinden; Erscheinungen, die innerhalb der Zeit
ablaufen, werden wir uns nicht unter dem Begriff der Substanz vorstellen, und Erscheinungen,
die zu jeder Zeit existieren, werden wir nicht als Erscheinungen betrachten, die nur zufällig vor
sich gehen.
Weiterhin wird von Kant die Frage untersucht, auf welche Art und Weise aus Kategorien reiner
Begriffe des Verstandes Gesetze des Verstandes hervorgehen. Die Grundzustände des reinen
Verstandes gliedern sich nach Gattungskategorien in vier Gruppen: Axiome der Anschauung,
Antizipation der Wahrnehmung, Analoge der Erfahrung und Postulate des empirischen Denkens.
So ist der Schematismus des reinen Verstandes, die transzendentale Kraft der Phantasie in der
Kantischen Gnoseologie das Bindeglied zwischen der Sinnlichkeit und dem Verstand, von denen
bisher die Rede war als von der einzigen Fähigkeit der Erkenntnis. Ihre Funktion (die Synthese
genannt wird) besteht darin, das gegebene Vielfältige in Raum und Zeit zu verbinden. Wenn das
der Verbindung unterliegende Vielfältige in der Erfahrung gegeben ist, wird die Synthese
empirisch sein, wenn jedoch das Vielfältige a priori gegeben ist, wird sie rein sein.
Wenn man die angeführten Leitsätze der Philosophie Kants von der Position der materialistischen
Dialektik einschätzt, muß man bekennen, dass es das große Verdienst Kants ist, sich um die
Verbindung des Sinnlichen und des Verstandes bemüht zu haben. Kant hat zwar selbst den
dialektischen Sinn dieser seiner Ideen nicht verstanden, was schon Hegel angemerkt hat: „Reine
Sinnlichkeit und reiner Verstand, die uns Kant früher als absolut gegensätzlich dargestellt hat,
vereinen sich nun. In dieser Ansicht ist schon ein gewisser anschaulicher Verstand oder eine
verstandesmäßige Anschauung vorhanden; aber Kant versteht das nicht, er kommt nicht zurecht,
versteht nicht, dass er hier die beiden Bestandteile der Erkenntnis zusammengeführt und sie
damit „an sich“ ausgedrückt hat. In Wirklichkeit ist die Erkenntnis selbst die Einheit und die
Wahrheit dieser beiden Momente. Bei Kant bleiben der denkende Verstand und die Sinnlichkeit
etwas Getrenntes, das nur auf äußere, oberflächliche Weise zusammengeführt wird, - so ähnlich,
wie man z. B. ein Stück Holz und ein Bein zusammen bindet“. 37
Tatsächlich, nachdem Kant die Frage nach der Einheit von Sinnlichkeit und Begriffen richtig
gestellt hatte, konnte er sie nicht endgültig lösen, weil er das Prinzip der Dialektik nicht
konsequent durchgesetzt und nicht verstanden hat, dass das Sinnliche die Quelle der Begriffe und
Kategorien ist. Nach Kants Meinung sind das Sinnliche und die Kategorien einander fremd, da
sie aus vollkommen unterschiedlichen Quellen kommen. Deshalb griff Kant zur Anwendung der
Kategorien auf das Sinnliche, auf Erscheinungen, auf die Form der Zeit zurück, mit deren Hilfe
er Kategorien und Erscheinungen künstlich, äußerlich vereint hat. In Wirklichkeit werden die
Kategorien deshalb nicht auf Erscheinungen angewendet, weil es etwas Mittleres (die Form der
Zeit) gibt, das sie mit der Sinnlichkeit verbindet. Und weil die Kategorien selbst aus der
objektiven materiellen Welt abstrahiert sind, werden sie auf letztere angewendet.
Bei der konsequenten Umsetzung der Dialektik in der Erkenntnistheorie hat Kant sein
Subjektivismus gestört. Nach Meinung Kants spiegeln weder die Sinnlichkeit, noch die Begriffe
den realen Inhalt der objektiven Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten wider. In beiden Fällen ist
deshalb bei Kant nur von etwas Subjektivem die Rede. Die Kantische Gnoseologie ist voller
ungelöster Widersprüche: In der Anerkennung der Erfahrung als Quelle der Erkenntnis einerseits
und andererseits in der Feststellung, dass Erfahrung ohne die Kategorien des Verstandes
unmöglich ist, ebenso in der Anerkennung der Existenz der Dinge außerhalb von uns, wie in der
Negierung der Möglichkeit der Erkenntnis dieser Dinge.
Im Verständnis der Wahrnehmungen als eine der Quellen der Erkenntnis der Philosophie Kants
steckt schon ein Widerspruch. Kant behauptete, dass die Sinnlichkeit das Ergebnis der
Einwirkung des Gegenstandes auf uns sei. Aber Gefühle, Wahrnehmungen spiegeln nicht den
realen Inhalt der Dinge wider, sondern rufen nur Erscheinungen hervor, die laut Kant nichts mit
573
den Dingen „an sich“ zu tun haben. Zwischen unseren sinnlichen Kenntnissen und den Dingen an
sich existiert prinzipiell keinerlei Ähnlichkeit. Formal die Wahrnehmungen überbewertend und
sie für den Inhalt der Erkenntnis haltend, hat Kant sie nicht als Quelle der Erkenntnis der äußeren
Welt anerkannt.
Der Kantische Standpunkt wurde schon von I. M. Setschenow einer überzeugenden Kritik
unterzogen. In seiner Arbeit „Eindruck und Wirklichkeit“ fragte er: „Haben Gegenstände und
Erscheinungen der äußeren Welt an und für sich irgendeine Ähnlichkeit - und welche genau - mit
den Wahrnehmungen, die das menschliche Bewußtsein von ihnen hat?“ Und im Gegensatz zu
Kant antwortete er bejahend auf diese Frage, da „äußerliche leuchtende Bilder von der
empfindlichen Oberfläche des Auges (Netzhaut) mit fast fotografischer Genauigkeit
aufgenommen werden, wobei die Netzhaut so eingerichtet ist, dass jeder einzelne Punkt von ihr,
der von einem Lichtstrahl getroffen wird, ihn einzeln aufnimmt. Die fotografische Ähnlichkeit
zwischen den äußeren Bildern und ihren Abbildungen im Auge wird bekanntlich dadurch
erreicht, dass sich das Licht im Auge genauso bricht, wie in den Linsen optischer Instrumente,
und die punktförmige Wahrnehmung leuchtender Bilder kommt dadurch zustande, dass von
jedem Punkt der Netzhaut ein Nerv zum Nervenzentrum führt“. 38 Wie wir sehen, hat I. M.
Setschenow wissenschaftlich bewiesen, dass die Ähnlichkeit eines unbekannten Gegenstandes
mit seiner Abbildung auf der Netzhaut keinem Zweifel unterliegt. Nach Meinung Setschenows
sind unsere Sinnesorgane ein Werkzeug zur Orientierung in Raum und Zeit, und diese Rolle
können sie nur in dem Fall ausüben, wenn sie die Wirklichkeit richtig wahrnehmen.
Kant ist es nicht gelungen, die wahre Dialektik von Sinnlichkeit und Verstand aufzudecken. Eine
Analyse dieses Problems leidet unter ernsten Mängeln. Das alles kann jedoch die Bedeutung
seines Versuches, das synthetische apriorische Wissen zu begründen, nicht vollkommen wertlos
machen. Kant hat deutlich die synthetischen Urteile a priori, die objektive Bedeutung haben, von
den Urteilen der Wahrnehmung unterschieden, die nur subjektive, individuelle Bedeutung haben.
Es muß bemerkt werden, dass das Kantische Verständnis des Objektiven und Subjektiven nicht
mit dem wirklich wissenschaftlichen Verständnis dieser Frage zu tun hat, weil er die Objektivität
der synthetischen apriorischen Urteile nicht in dem Sinne versteht, dass ihr Inhalt das Wesen der
Dinge widerspiegelt, die außerhalb und unabhängig von uns existieren. Die Urteile, da sie unsere
sind, hielt Kant immer für subjektiv, unabhängig davon, ob es um Wahrnehmungsurteile oder
Erfahrungsurteile geht; und das heißt, dass sie alle von den Dingen an sich durch eine
unüberwindbare Grenze getrennt sind. Kant verstand nicht, dass die Formen der Gedanken, die
Urteile deshalb nicht objektiv sind, weil sie für jegliches Bewußtsein eine verbindliche
Bedeutung haben, sondern weil ihr Inhalt die Widerspiegelung der Zusammenhänge der
objektiven Welt ist.
Ungeachtet der Mängel, der idealistischen Fehler der Kantischen Auslegung des Problems ist
unzweifelhaft, dass bei der Erforschung der Natur der Erkenntnis, bei der Begründung des
wissenschaftlich-theoretischen Wissens Kant einen Schritt vorwärts getan hat im Vergleich mit
der vorangegangenen Philosophie. Er hat auch die Logik wesentlich voran gebracht, indem er die
Frage nach dem synthetischen Charakter des Wissens, nach der Herausbildung des Wissens
gestellt hat. Der Beitrag, den er zur Ausarbeitung logischer Kategorien geleistet hat, und der
Umstand, dass er ihnen bei der Herausbildung wissenschaftlich-theoretischen Wissens größte
Bedeutung beigemessen hat, gestattet es, mit aller Überzeugung zu erklären, dass Kant etwas
Neues in das Verständnis der Logik selbst eingebracht hat.
In der traditionellen formalen Logik werden die allgemeinen logischen Formen, die Kategorien,
nicht speziell erforscht. In der Neuzeit hat Kant als erster die Tradition der Metaphysik von
Aristoteles wiederbelebt. Im Verlauf der Begründung des synthetischen apriorischen Wissens hat
er sich den Kategorien als allgemeinen Formen und Gesetzen des wissenschaftlich-theoretischen
574
Wissens zugewandt. Die transzendentale Logik Kants ist keine Logik in ihrem traditionellen
Verständnis (über die reinen Formen, die Sprache der Wissenschaft), sondern tritt als inhaltliche
Logik, als Logik der allgemeinen Formen der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis auf.
Dank dessen ist die Entwicklung des logischen Gedankens von Kant und Hegel bis zu Marx die
einzig richtige, produktive Form der Entwicklung des logischen Gedankens. Die Neokantianer
führen die Logik von ihrem wahren Entwicklungsweg fort, indem sie die Mängel der Kantischen
Philosophie, den Apriorismus und Agnostizismus, aufbauschen.
Die Kantische Philosophie unterscheidet strikt zwischen transzendentaler und allgemeiner Logik.
Letztere erforscht laut Kant nicht den Inhalt der Erkenntnis, da es für sie völlig gleich ist, ob
dieser Inhalt empirischer oder apriorischer Herkunft ist. Deswegen verhält sie sich gleichgültig
gegenüber dem Streit der Richtungen in der Wissenschaft und Philosophie. „Die Grenzen... der
Logik sind völlig exakt dadurch bestimmt“, schrieb Kant, „dass sie eine Wissenschaft ist, die nur
die formalen Regeln jeglichen Denkens gründlich darlegt und streng beweist“. 39 Wegen ihrer
Formalität hat die allgemeine Logik einen geringen Anwendungssektor und kann nicht als
Instrument des wissenschaftlich-theoretischen Wissens dienen. Kant war vollkommen mit jenen
Kritikern der formalen Logik einverstanden, die sich für nicht tauglich für die Überprüfung der
Richtigkeit der sogenannten analytischen Urteile hielten. In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat
er nicht nur die Begrenztheit der traditionellen Logik konstatiert, die er als beendet (d. h. alle
Möglichkeiten der Entwicklung erschöpft habend) qualifizierte, sondern war bestrebt, eine solche
Logik zu erarbeiten, die nicht vom Inhalt der Erkenntnis abstrahiert und die Herkunft, die
objektive Bedeutung logischer Formen in Betracht zieht. Mit diesem Ziel hat er die
transzendentale Logik entwickelt, die die theoretische Anwendung der Vernunft in Betracht zieht
und solche Regeln aufstellt, deren Einhaltung eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit
synthetischen allgemeinen Wissens ist. Die Rede ist nicht von formallogischen Gesetzen der Identität und des Gegensatzes, sondern es wird die Bedeutung logischer
Kategorien in der theoretischen Erkenntnis tiefschürfend erforscht.
Laut Kant erhält das theoretische Wissen seine Allgemeinheit und Notwendigkeit nur dank
logischer Kategorien. Ähnlich wie eine Statue dank künstlerischer Formen und der Idee zur
Statue wird, wird auch das Wissen allgemein und notwendig dank logischer Kategorien. Auf
Grund alles dessen unterscheidet sich die transzendentale Logik Kants, die so etwas wie der
Entwurf der späteren dialektischen Logik von Hegel ist, ernsthaft von der allgemeinen Logik genauso, wie sich die wissenschaftlich-theoretische Anwendung der Vernunft im Denkakt von
der formalen, empirischen Beschreibung vorhandener Formen von Vorstellungen unterscheidet.
Die transzendentale Analyse der Kategorien
In der Philosophie Kants tritt die transzendentale Logik in zwei Teilen auf - als Analytik und als
Dialektik. Unter Analytik der Begriffe verstand Kant durchaus nicht die „in philosophischen
Forschungen [übliche] Methode, die auftretenden Begriffe ihrem Inhalt nach zu zerlegen und sie
deutlich zu machen, sondern die bisher noch wenig angewandte Aufgliederung der Fähigkeit des
Verstandes selbst mit dem Ziel, die Möglichkeit apriorischen Wissens zu studieren und nach ihr
dabei ausschließlich im Verstand als dem Ort seiner Entstehung zu suchen und die reine
Anwendung [des Verstandes] überhaupt zu analysieren“. 40 Den drei Abschnitten der „Kritik der
reinen Vernunft“ entsprechen drei Teile der „Prolegomena“, und zwar: wie sind Mathematik,
Naturwissenschaft und Metaphysik möglich?
575
Bei der Herausbildung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens (des synthetischen Urteils a
priori) spielen, wie schon dargelegt, die zahlreichen Kategorien, die Kant im zweiten Teil der
„Kritik der reinen Vernunft“ tiefschürfend erforscht hat, eine große Rolle. Die Kantische Analyse
der logischen Kategorien, der universellen Formen des Denkens nimmt einen bedeutenden Platz
in der Geschichte der Philosophie ein. Während vor Kant die Kategorien hauptsächlich unter dem
Aspekt der Ontologie als allgemeine Zusammenhänge der Welt betrachtet wurden, ist in der
Kantischen Philosophie ein neuer Aspekt hinzugekommen: Die Kategorien werden als
Prinzipien, als allgemeine Bedingungen der Herausbildung wissenschaftlich-theoretischen
Wissens betrachtet.
Wichtig ist auch, dass bei Kant die Kategorien erstmals näher als Gegenstand der Logik, der
transzendentalen Logik erforscht werden. Wir können deshalb keinesfalls mit denjenigen Autoren
einverstanden sein, die sich zu beweisen bemühen, dass Kant bei der Analyse der Kategorien im
Vergleich zu Aristoteles einen Schritt zurück getan hat. Derartige Behauptungen haben nichts mit
der Wahrheit zu tun und entsprechen nicht der Realität. Sie zeugen nur davon, dass ihre Autoren
bei der Analyse der Kantischen Lehre von den Kategorien ihre Aufmerksamkeit nur auf einen
Aspekt seiner Lehre richten - seinen Idealismus und Agnostizismus. Sie vergessen dabei leider
die produktiven Ideen Kants bezüglich der universellen Formen des Denkens. Kant gehört
tatsächlich ein wichtiger Platz in der Geschichte der Philosophie und Logik gerade wegen jener
dialektischen Ideen, die er in seiner Philosophie, darunter auch in der Lehre von den Kategorien,
entwickelt hat. Um diese Lehre vollständig zu verstehen, muß man sie in ihrem ganzen Umfang
erforschen und dabei alle Errungenschaften und produktiven Ideen des Philosophen beachten.
Vor Kant finden wir eine mehr oder weniger vollständige Analyse der Kategorien in der
Philosophie von Platon und Aristoteles. Platon hat, wie bekannt, fünf Kategorien analysiert. Auf
ein höheres Niveau bei der Untersuchung der Kategorien hat sich dann Aristoteles erhoben. In
der „Metaphysik„ und in den „Kategorien„ hat er eine tiefschürfende Betrachtung der Kategorien
vorgenommen, die er als Gattungen des Seins qualifizierte. Nach Aristoteles hat vor Kant keiner
der Philosophen die logischen Kategorien so tiefschürfend erforscht.
Das Neue in Kants Herangehen bestand darin, dass er die Kategorien als allgemeine und
notwendige Bedingung für die Herausbildung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens
betrachtete. Während er die Tatsachen, die sinnliche Vielfalt, die Erfahrung als Eigenschaft der
Materie der Erkenntnis annahm, waren die Kategorien für ihn das organisierende Wesen des
wissenschaftlich-theoretischen Wissens (der synthetischen Urteile a priori). Und das ist noch
nicht alles. Kant hat mehr als irgend jemand vor ihm den Umstand hervorgehoben, dass die
Kategorien die Formen des Denkens sind. Eine solche Auffassung hatte eine kolossale Bedeutung
in jener Zeit, als die traditionelle Logik unter den Formen des Denkens nur die Urteile,
Schlussfolgerungen und Begriffe verstand. Diese Gedanken Kants haben ihre Bedeutung auch
heute noch nicht verloren: Die formale Logik und der Positivismus wollen prinzipiell die
Kategorien nicht als universelle Formen des Denkens anerkennen.
Die Kantische Analyse der Kategorien ist freilich untrennbar mit seinem Idealismus,
Agnostizismus und Apriorismus verbunden, was in der marxistischen Philosophie einer
allseitigen Kritik unterworfen wurde. Wir dürfen jedoch nicht den Umstand vergessen, dass Kant
der große Begründer der deutschen klassischen Philosophie nicht deshalb ist, weil er ein Idealist
und Agnostiker war, sondern dank seiner fruchtbaren Ideen, die in der weiteren Entwicklung der
Philosophie aufgegriffen und vertieft wurden.
Die Kantische Lehre von den Kategorien hat unzweifelhaft eine Reihe von Vorzügen. Das hat
Kant auch selber begriffen, denn bei dem Vergleich seiner Lehre von den Kategorien mit der von
Aristoteles hat er direkt die Überlegenheit seiner Betrachtungen hervorgehoben. Nach Meinung
Kants hat Aristoteles nur die Kategorien beschrieben, ihre Natur bestimmt, ist dabei jedoch nicht
576
den Regeln der Deduktion gefolgt; er hat sogar nicht genau gewußt, wieviel Kategorien
überhaupt existieren, denn anfangs hat er zehn Kategorien, die er als Prädikamente bezeichnete,
beschrieben und dann noch mal fünf, die er Postprädikamente nannte.
Nach Meinung Kants besteht der Hauptmangel der Lehre von Aristoteles von den Kategorien im
Fehlen einer Systemhaftigkeit, eines einheitlichen Prinzips, infolgedessen Aristoteles zu den
Kategorien einige Modi der reinen Sinnlichkeit rechnete und zu den ursprünglichen Kategorien
diejenigen zählte, die abgeleitet sind; einige ursprüngliche hat er überhaupt nicht genannt.
Kant war auf sein Kategoriensystem stolz, in dem er sich bemühte, ein einheitliches System
durchzusetzen und nicht willkürlich die ersten ihm untergekommenen Kategorien zu beschreiben.
Und man muß in gewissem Maße mit dem Königsberger Philosophen einverstanden sein: seine
Deduktion der Kategorien ist tatsächlich eine große Errungenschaft des philosophischen
Denkens. Diesen Umstand hat auch Hegel vermerkt, obwohl gerade er auf die in der Kantischen
Auffassung enthaltenen Fehlleistungen hingewiesen hat.
Auch die materialistische Auffassung verneint nicht, dass die Kategorien miteinander verbunden
sind und man sich bei ihrer Klassifizierung von einem einheitlichen Prinzip leiten lassen muß.
Dem Zusammenhang der Kategorien liegen die realen Zusammenhänge der Dinge und
Erscheinungen zu Grunde. In der Welt gibt es nichts voneinander Isoliertes. Der Ausdruck des
umfassenden Zusammenhanges sind die Gesetze der Dialektik, und die Kategorien sind Momente
des universellen Zusammenhanges, die sich in ihrer Einheit ständig der Erfassung eines
ganzheitlichen Bildes der Welt nähern. Die Frage der Klassifizierung der Kategorien berührend,
schrieb Lenin: „Kategorien muß man ableiten (und nicht willkürlich oder mechanisch
hernehmen) (nicht „erzählen“, nicht „überzeugen“, sondern beweisen)... und dabei von den
einfachsten und hauptsächlichsten ausgehen (das Sein, das Nichts, das Werden) [und keine
anderen nehmen] - in ihnen steckt die ganze Entwicklung im Keim“. 41
Der Hauptmangel der Kantischen Philosophie besteht gerade darin, dass sie die Begriffe nicht
vom Leben ableitet, von der realen Basis, sondern sie für rein und apriorisch erklärt. Ungeachtet
dessen, dass sich Kant bei der Ableitung der Kategorien auf die Urteilsfunktionen des Verstandes
berufen hat, aus denen die Kategorien resultieren (d. h. nach Kant muß es genau so viele
Gattungen reiner Begriffe geben wie Gattungen in den logischen Urteilen), hat er in Wirklichkeit
die Kategorien nicht mit Hilfe der Deduktion abgeleitet, sondern nahm sie aus der
vorangegangenen formalen Logik. Letzteres hat schon Hegel bemerkt. 42
In der Kantischen Analyse ist vor allem die Fragestellung wertvoll. Er hat klar verstanden, dass
zur Deduzierung der Kategorien der Weg ihrer einfachen Beschreibung untauglich ist, dass es
notwendig ist, von Beginn an ein gegenständliches Objekt der Untersuchung zu wählen. Wenn
die Vernunft die Quelle der Kategorien ist, so existiert sie und zeigt sich in Urteilen. Die
Kategorien sind die allgemeinen Bedingungen jeglichen Urteils. Daraus folgt, dass die gesamte
Anzahl, die Klassen der Urteile gleichzeitig auf die Gesamtzahl und Klassen der Kategorien
hinweisen.
Die vorkantische Logik kannte vier Klassen von Urteilen: nach Quantität, Qualität, Verhältnis
und Modalität. In jeder Klasse gab es drei Arten von Urteilen. Da die Kategorien nach Kant die
allgemeine Bedingung für Urteile sind, müssen diese ebenfalls aus vier Klassen bestehen, von
denen jede drei Arten von Kategorien einschließt. Folglich, nahm Kant an, stimmt die
Gesamtzahl der Kategorien mit der Gesamtzahl der Formen des Urteils überein, d. h. es gibt
zwölf.
Die Besonderheit des Kantischen Herangehens besteht darin, dass er im Unterschied zu
Aristoteles ein strenges Kriterium aufstellte, dementsprechend es zwölf Kategorien gibt, - nicht
mehr und nicht weniger. Das verleiht an sich der Kantischen Deduktion schon den Charakter der
Wissenschaftlichkeit und Gründlichkeit, obwohl sie schon Hegel wegen ihres Formalismus streng
577
kritisiert und bemerkt hat, dass Kant keine vollwertige Deduktion betrieb, weil er als
Ausgangspunkt die vorhandenen Formen der Urteile, die in der Logik existieren, genommen hat.
Allein die Tatsache der Suche nach einem Sachgebiet für die Begründung der Kategorien
verdient zweifellos Aufmerksamkeit und muß positiv gewertet werden. Die deutsche klassische
Philosophie, deren Wegbereiter Kant war, hat diese Seite seiner Philosophie aufgegriffen.
Insbesondere Hegel, der zur Systematisierung (Deduktion) der Kategorien seiner Logik zunächst
deutlich das ursprüngliche Ganze (den Gedanken) herausstellte, indem er als Gegenstand dieses
Ganze nahm, hat danach die nächste Frage der wissenschaftlichen Untersuchung formuliert: Was
ist die abstrakteste, allgemeine Bestimmtheit gerade dieses Ganzen? Da der Gedanke das
Ausgangssachgebiet ist, muß als Ausgangsgedanke der abstrakteste angenommen werden, d. h.
das Sein, das seinem Inhalt dem Begriff „Nichts“ gleich ist. Aus der Einheit dieser
Ausgangskategorien hat Hegel den Begriff „das Werden“ abgeleitet, der der erste konkrete
Begriff des logischen Systems ist.
Die Auswahl des Sachgebietes hat eine riesige Bedeutung in der wissenschaftlich-theoretischen
Erkenntnis. Die weitere Entwicklung der Philosophie, besonders der marxistischen, hat klar die
Wichtigkeit der Auswahl des Sachgebietes gezeigt, hat entschieden die Beschränktheit und die
Mängel der Kantischen Problemstellung überwunden und gleichzeitig allseitig jene im Ansatz
positiven Ideen, die in ihr enthalten waren, weiterentwickelt.
Die wirklich wissenschaftliche Auswahl des Sachgebietes (des ursprünglichen Ganzen) hat Marx
im „Kapital“ allseitig realisiert. Zur Auswahl allgemeiner Bedingungen (der Ware) des
Kapitalismus hat Marx vor allem die Forderungen der dialektisch-logischen Erkenntnismethode
befolgt. Im „Kapital“ beginnt er direkt mit der Konstatierung der These, dass die kapitalistische
Gesellschaft eine riesige Anhäufung von Waren ist, wo jede einzelne Ware eine „Zelle“ der
gesamten bürgerlichen Gesellschaft ist.
Kant gehört das unzweifelhafte Verdienst, als erster in der neuen Philosophie die Bedeutung
eines einheitlichen Prinzips bei der Begründung der Deduktion logischer Kategorien
hervorgehoben zu haben. In der „Kritik der reinen Vernunft“ unterstrich er mehrere Male, dass
die zwölf verstandesmäßigen Kategorien ihr ganzes System bei weitem nicht erschöpfen, sondern
nur die hauptsächlichen Begriffe des Verstandes sind. In seinem Hauptwerk beschränkte sich der
Philosoph nicht auf die Deduktion dieser Kategorien, was er für äußerst wichtig hielt. Die
Entwicklung eines ganzheitlichen Systems der Kategorien hielt er für nicht schwierig, da es
genügt, zu den Hauptkategorien die von ihnen abgeleiteten hinzuzufügen. Z. B. zur
Hauptkategorie der Kausalität sind die abgeleiteten Begriffe (Prädikabilien) Kraft, Handlungen,
Leiden hinzuzufügen; zur Kategorie des Umgangs - die Prädikabilien Anwesenheit,
Gegenwirkung; zur Kategorie der Modalität - die Prädikabilien Entstehung, Verschwinden,
Veränderung usw.
Schritt für Schritt ist es auf diese Art nicht schwer, nahm Kant an, das ganze Gebiet, das ganze
System des Verstandes zu erfassen.
Bei der Klassifizierung der Kategorien führte Kant das Prinzip der Dreiheit ein, was ebenfalls
einen Schritt vorwärts im Vergleich zu Aristoteles bedeutete, der die Kategorien nur aufzählte.
Diese Seite der Kantischen Deduktion hat Hegel hoch geschätzt. In der „Phänomenologie des
Geistes“ schrieb er: „Nachdem die Kantische nur instinktiv gefundene, noch nicht in den Begriff
Dreifaltigkeit gefasste... in ihre absolute Bedeutung erhoben war..., wurde die wahre Form mit
ihrem wahren Inhalt bestimmt und trat der Begriff der Wissenschaft auf “. 43
Hegel würdigte die Vorzüge und nannte vollkommen exakt auch die Mängel der Kantischen Art
des Verständnisses der Dreiheit. Da es Kant nicht gelungen war, das Prinzip der Entwicklung in
die Logik einzuführen, ist das Prinzip der Dreiheit kein allgemeines Gesetz der inneren
Wechselbeziehung aller logischen Kategorien, sondern tritt als lokale und enge Regel in dieser
578
oder jener Gruppe auf. Das Verdienst Kants besteht zweifellos schon darin, dass er als erster
versucht hat, das Prinzip der Dreiheit in der Logik anzuwenden, obwohl er nicht bis zum
inhaltlichen, allgemeinen Verständnis dieses Prinzips gelangt ist. Dabei ist dieses Prinzip das
fundamentale und allgemeine Gesetz der Dialektik als Logik der wissenschaftlichen Erkenntnis.
Die Vorzüge der Kantischen Kategorien-Tabelle erschöpfen sich nicht mit dem Dargelegten. In
ihr gab es zweifellos eine Reihe fruchtbarer Ideen, die in ihrer weiteren Entwicklung einen
wichtigen Platz in der Dialektik, die als Logik und Erkenntnistheorie verstanden wird,
einnahmen. Es geht vor allem um folgendes: Jede Kategorien-Klasse in der Tabelle Kants enthält
die gleiche Anzahl von Kategorien, nämlich drei. Die dritte Kategorie in der Tabelle entsteht
immer aus der Vereinigung der ersten und zweiten Kategorie der gleichen Klasse. Z. B. ist die
Gesamtheit (Totalität) im Kantischen Verständnis immer die Vielzahl als Einheit betrachtet; die
Begrenzung ist die Realität, verbunden mit der Verneinung; Umgang ist die Kausalität der
Substanzen, die einander bestimmen; Notwendigkeit tritt als Existenz auf, die schon durch ihre
Möglichkeit selbst gegeben ist.
Die Wechselbeziehung der ersten beiden Kategorien mit der dritten behandelnd, hat Kant
gewarnt, dass man letztere nicht als abgeleitet betrachten darf, sondern als Synthese, als qualitativ
neue Bildung usw. „Man darf jedoch nicht denken, dass die dritte Kategorie“, schrieb Kant, „nur
ein abgeleiteter und kein Grundbegriff des reinen Verstandes ist. Die Vereinigung der ersten und
zweiten Kategorie, die einen neuen Begriff bildet, verlangt einen besonderen Verstandesakt, der
nicht mit dem Verstandesakt in der ersten und zweiten Kategorie identisch ist“. 44
Es ist nicht schwer zu begreifen, dass der Philosoph hier fruchtbare dialektische Ideen geäußert
hat. Schon Hegel hat die Idee der Dreiheit in der Kantischen Kategorien-Tabelle gewürdigt, weil
er in ihr Ansätze, ursprüngliche Gedanken des Gesetzes der Negation der Negation sah. Dem
Blick Hegels ist freilich auch nicht der globale Formalismus Kants entgangen, der auch in diesem
Fall vorhanden ist.
Bei der aufmerksamen Analyse der Betrachtungsweise Kants lassen sich in seinen KategorienTabellen auch Anfangsideen der Einheit der Gegensätze entdecken. Tatsächlich negieren die
ersten beiden Kategorien einander, und die dritte ist ihre Synthese, ein qualitativ neuer Begriff. Z.
B. negieren Einheit und Vielheit einander. Die Ganzheit als neue Kategorie ist die Synthese, die
Einheit der Vielheit. Die Künstlichkeit der Kantischen Analyse ist die Folge davon, dass sich
seine Kategorien-Tabelle nicht auf das fruchtbare Prinzip der Entwicklung stützt. Obwohl die
Kantische Problemstellung ursprüngliche Ideen der Dialektik, ihre Umrisse enthält, hat sie keine
richtige Seele, d. h. kein Prinzip der Entwicklung. Der prinzipielle Vorzug der Hegelschen
Dialektik besteht darin, dass sie sich allseitig auf das Prinzip der Entwicklung stützt, und deshalb
werden alle künstlichen Dialektik-Schemata Kants (Tabellen) bei Hegel wesentlich umgewandelt
und erhalten gleichsam ein reales Leben, ein organisches Sein.
Wenn man die Kantische Definition der Kategorien unvoreingenommen mit der von Aristoteles
oder überhaupt mit der vorkantischen Definition vergleicht, so kann man leicht neue Elemente,
die Neuartigkeit der Auslegung entdecken. So widerstanden in der gesamten vorkantischen
Philosophie die Kategorien „Einheit“ und „Vielheit“ einer Synthese. Kant jedoch führte die
Kategorie „Ganzheit“ ein und versuchte, sie in Einheit zu betrachten. Es ist ihm leider nicht
gelungen, eine wahre, dialektische Synthese dieser Kategorien herzustellen. Wichtig ist jedoch
der Schritt selbst, den Kant in dieser Richtung getan hat.
Eine wesentliche Bedeutung hat für uns auch die Tatsache, dass Kant die Kategorien nicht als
etwas Abstrakt-Allgemeines betrachtet hat, sondern als etwas Allgemeines, konkretes
Allgemeines, was die Möglichkeit gibt, das sinnliche Vielfältige in das wissenschaftlichtheoretische Wissen umzubilden. Kant hat verstanden, dass das empirische Allgemeine
keinesfalls für wissenschaftliches Wissen gehalten werden kann; es ist subjektiv und hat nicht die
579
Funktion der Allgemeingültigkeit. Solches Wissen wird nur dann objektiv, wenn zu ihm logische
Kategorien hinzukommen, die apriorische Formen des Verstandes sind. Kant hatte insgesamt
Recht, wenn er Kategorien von empirischer allgemeiner Vorstellung, vom Abstrakt-Allgemeinen
unterschied, aber er zog daraus unhaltbare, apriorische Schlüsse. Ihm schien, dass die einzige
Möglichkeit, die Allgemeinheit der Kategorien zu beweisen, die Zulassung ihrer apriorischen
Entstehung ist.
Nach Meinung Kants haben die Kategorien, die Begriffe eine bedeutende Rolle bei der
Erkenntnis.
Kant unterschied Urteile der Erfahrung und theoretisches Wissen, die objektive Bedeutung
haben, da sie beständige Bedeutung für uns und auch für andere haben, von Urteilen der
Wahrnehmung, die nur subjektive, individuelle Bedeutung haben. Wie wir bemerkt haben, hat
das Kantische Verständnis von Subjektivem und Objektivem nichts mit dem wahren
wissenschaftlichen Verständnis dieser Frage gemein. Wir können aber nicht außer Acht lassen,
dass die Kantische Teilung in Urteile der Erfahrung und der Wahrnehmung auch positive
Bedeutung hat, besonders, wenn Kant den Übergang vom Einen zum Anderen betrachtet. Hier
stellt er die Frage vom Wechselverhältnis des empirischen und theoretischen Wissens, und darin
liegt eine der starken Seiten seiner Philosophie.
Der Übergang von Urteilen der Wahrnehmung zu Urteilen der Erfahrung ist nur mittels der
Begriffe des Verstandes möglich, die das Prädikat eines möglichen Urteils sind. Nehmen wir ein
Beispiel von Kant selbst: Nach Meinung Kants ist das Urteil „Wenn die Sonne den Stein
bescheint, wird er warm“ ein einfaches Urteil der Wahrnehmung, das nur subjektive Bedeutung
hat. Wenn wir diesem Urteil den Charakter der Allgemeinheit, der Objektivität verleihen wollen,
müssen wir ihm reine Begriffe des Verstandes hinzufügen. So ein Begriff mag der Begriff der
Kausalität sein. Sie verbindet notwendigerweise den Begriff der Sonne mit dem Begriff der
Wärme und verwandelt das subjektive Urteil der Wahrnehmung in das objektive Urteil der
Erfahrung, welches allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Diesen Umstand betonend (und
sogleich in Agnostizismus verfallend) schrieb Kant, dass „die Urteile der Erfahrung ihre
objektive Bedeutung nicht aus der unmittelbaren Erkenntnis des Gegenstandes (die unmöglich
ist) schöpfen, sondern nur aus der Bedingung der Allgemeingültigkeit empirischer Urteile; ihre
Allgemeingültigkeit hängt nicht von empirischen und überhaupt nicht von sinnlichen
Bedingungen ab, sondern immer vom reinen verstandesmäßigen Begriff“. 45
Das Urteil der Erfahrung (das synthetische Urteil a priori) ist laut Kant nur mittels der Begriffe
des Verstandes möglich. Bei der Bildung des synthetischen Urteils spielen die Kategorien des
Verstandes die Hauptrolle. Hieraus folgt, dass im System der Kantischen Gnoseologie den
Kategorien des Verstandes ein hervorragender Platz gehört, da sie die Bedingungen für die
Möglichkeit des synthetischen Urteils a priori schaffen, dessen Begründung die „Kritik der reinen
Vernunft“ gewidmet ist.
Man kommt nicht umhin, auch folgenden Mangel zu bemerken: Der Philosoph betrachtet die
Begriffe und Kategorien nur vom Standpunkt ihres Wertes aus, den er darin sieht, dass sie die
Möglichkeit des Erfahrungsurteils bedingen. Gerade diese Schwäche der Kantischen Philosophie
war den Neokantianern sehr recht, besonders Rickert, der verneinte, dass Begriffe die objektive
Welt widerspiegeln; er erkannte sie nur als Erkenntniswerte, als subjektive Werkzeuge der
Erkenntnis an. Dabei ist die Idee Kants vom Zusammenhang der Kategorien und den Urteilen
genial, weil sie - wenn auch noch rudimentär - die Vorstellung vom Zusammenhang und der
gegenseitigen Abhängigkeit der Formen des Denkens ausdrückt. Die Art der Beweisführung und
der Ausgangspunkt der Kantischen Philosophie halten keiner Kritik stand, weil sie idealistisch
sind: Nach Kants Meinung vollzieht sich der Übergang vom individuellen Urteil der
Wahrnehmung zu Urteilen der Erfahrung nicht auf der Basis der Wirklichkeit, sondern mittels
580
des Anschlusses an die sinnlichen Fakten der apriorischen Begriffe des Verstandes. Aus diesem
Grunde enthält die Kantische Lehre von den Kategorien nicht wenige ernsthafte Mängel. Nehmen
wir nur die Kantische Auslegung der Kategorien als apriorische Produkte des Verstandes. Sie
zeugt deutlich davon, dass Kant die wahre Quelle der Entstehung der Kategorien nicht begriffen
hat und sich deshalb mit aller Kraft bemühte, ihre apriorische, Vorerfahrungsherkunft zu
beweisen, da er darin die Grundlage der Allgemeinheit und Notwendigkeit der Kategorien sah.
Wie auch Hume hielt es Kant für unmöglich, die Allgemeinheit der Kategorien auf empirischer
Verallgemeinerung zu begründen. Und obwohl er sich in der Lehre vom synthetischen
apriorischen Wissen bemühte, den Verstand zu überwinden, blieb er doch im Rahmen des
verstandesmäßigen Denkens, da der Apriorismus die äußerste Anstrengung der
verstandesmäßigen Art der theoretischen Begründung ist.
In der Kantischen Lehre von den Kategorien ist auch der Psychologismus nicht überwunden. Bei
der Analyse der Struktur des theoretischen Wissens fand der Philosoph neben sinnlichen Werten
auch Kategorien, die er deswegen als apriorische auffasste, weil er die Dialektik der individuellen
und gesellschaftlichen Erfahrung nicht verstand. Deshalb sah er nicht die wirkliche Quelle der
Entstehung der Kategorien. Im Unterschied zu Hume führte er die Kategorien nicht auf
subjektive Gewohnheiten zurück, - ihm war bewußt, dass sie eine objektive allgemeine
Bedeutung haben; er war jedoch nicht in der Lage, sie aus der Erfahrung im engen, empirischen
Sinne herzuleiten und trat darum für die Apriorität ihrer Entstehung ein.
Die kritische Überwindung des Kantischen Apriorismus wurde von Hegel auf der Grundlage des
objektiven Idealismus bewerkstelligt. Hegel suchte die Quelle der Entstehung der Kategorien
nicht im Bewußtsein des Individuums, sondern in der Selbstentwicklung des Geistes, in der
Tätigkeit des absoluten Bewußtseins, des unbedingten Subjektes, das ursprünglich objektiv und
unabhängig nicht nur vom Individuum und seinem Bewußtsein, sondern auch von der Natur und
vor der Entstehung der menschlichen Gesellschaft existiert. Logische Kategorien sind laut Hegel
Stufen, Knotenpunkte in der Tätigkeit des absoluten Denkens. Er hielt es für falsch davon zu
sprechen, dass ein Urteil deswegen zustande kommt, weil dem Subjekt ein Prädikat zugeteilt
wird, da das Subjekt selbständig existiert, außerhalb von uns, das Prädikat jedoch - im Kopf.
Solch einer Vorstellung widerspricht angeblich auch die Kopula „ist“ in Urteilen. „Wenn wir
sagen „diese Rose ist rot“ oder „dieses Bild ist schön“, behaupten wir, dass nicht wir von außen
die Rose gezwungen haben, rot zu sein, oder das Bild - schön zu sein, sondern das macht die
Eigendefinition dieser Gegenstände aus“. 46 Wie wir sehen, hat Hegel die Schwäche der
Kantischen Gnoseologie richtig erfasst, obwohl er selbst seine Kritik von den Positionen des
Idealismus ausübte und annahm, dass die Dinge dank der Begriffe existieren.
Die wissenschaftliche Auffassung geht davon aus, dass nicht wir den Dingen, dem Subjekt
willkürlich ein Prädikat zuordnen, sondern dass unsere Urteile selbst die Widerspiegelung
objektiver Prozesse, realer Zusammenhänge und Beziehungen sind. Wenn wir das Urteil äußern
„die Sonne erwärmt den Stein“, ordnen wir nicht die Kategorie der Kausalität den Fakten zu, wie
Kant annahm, sondern drücken in unserem Urteil nur die realen Zusammenhänge der Dinge aus.
Die Kategorien der Philosophie sind keine reinen Produkte des Verstandes, sondern Abbildungen
der Gesetzmäßigkeiten der objektiven materiellen Welt und gleichzeitig Stufen, Knotenpunkte in
der Erkenntnis.
Die Kategorien haben sich historisch im Ergebnis der Erfahrung herausgebildet. Aus der Praxis
entstanden und viele Urteile und Schlüsse in sich aufnehmend, erlangen sie axiomatischen
Charakter, dank dessen sie Grundlage des Urteils sind. Die wissenschaftliche Auffassung von den
Kategorien unterscheidet sich dadurch von der Lehre der kritischen Philosophie, dass - während
die Kategorien nach Kant apriorische Formen des Verstandes sind, denen Fakten von außen
zugeordnet werden, um ihnen allgemeine Bedeutung zu geben - sie nach materialistischer
581
Auffassung die Widerspiegelung der Gesetzmäßigkeiten der objektiven Welt sind und unseren
täglichen Urteilen insofern zu Grunde liegen, als sie die verkürzten Widerspiegelungen des
inneren Zusammenhangs der Wirklichkeit sind.
Die Kategorien würden niemals den Urteilen zu Grunde liegen, wenn sie nicht das Wesen des
objektiven Zusammenhangs ausdrückten. Die Übereinstimmung der fortschreitenden
Entwicklung der Kategorien und Urteile (z. B. Wesen - kategorisches Urteil, Kausalität - kausales
[bedingtes] Urteil, Notwendigkeit - apodiktisches Urteil usw.) ist dadurch zu erklären, dass
sowohl die Kategorien als auch die Urteile eine einheitliche Grundlage haben, sowohl die einen
als auch die anderen die Wirklichkeit widerspiegeln: In der Wirklichkeit schreitet die
Entwicklung vom Niederen zum Höheren fort, und auch in der Erkenntnis erleben wir die
folgerichtige Entwicklung sowohl der Urteile als auch der Kategorien.
Wenn wir auch Kant Gerechtigkeit dafür widerfahren lassen, dass er als erster das Problem des
Zusammenhanges von Kategorien und Urteilen untersucht hat (in seiner „Kritik der reinen
Vernunft“), müssen wir doch die Kantische Deutung der Begriffe als bequemes Instrumentarium
des Erkenntnisprozesses als vollkommen unwissenschaftlich anerkennen. Die Begriffe haben
wirkliche Erkenntnis vermittelnde Bedeutung, weil sie innere Zusammenhänge, das Wesen von
Dingen und Erscheinungen ausdrücken.
Kant hat bekanntlich den objektiven Charakter von Gesetzen der Natur und Gesellschaft negiert.
Nach Kant werden der Natur die Gesetze von unserem Verstand diktiert. Er schrieb: „Der
Verstand schöpft seine Gesetze nicht (a priori) aus der Natur, sondern er schreibt sie ihr vor“. 47
Im Zusammenhang damit muß bemerkt werden, dass - wenn über den subjektiven Idealismus
Kants gesprochen wird - meistens nur die eben zitierte Überlegung gemeint ist. Dabei wird
jedoch nicht beachtet, wie Kant die Natur selbst verstanden hat. Der Philosoph hat indessen die
Natur für einen Fakt der Erkenntnis gehalten. Er untersuchte sie freilich auf subjektiver Ebene,
als „Gesamtheit der möglichen Erfahrung“, und die Kategorien des Verstandes - als
„Bedingungen der möglichen Erfahrung“. Aber er hielt sowohl die Kategorien als auch die
Gesetze des Verstandes für Bedingungen der Natur, obwohl seiner Meinung nach nicht die Natur
die Möglichkeit der Kategorien und Gesetze des Verstandes bedingt, sondern umgekehrt die
Kategorien und Gesetze des Verstandes die Möglichkeit der Erfahrung und der Natur bestimmen.
Angesichts der Ähnlichkeit seiner Position mit dem Standpunkt von Berkeley klammerte sich
Kant mit aller Kraft an die nicht erkennbaren „Dinge an sich“ und erklärte sie für unabhängig von
den Kategorien des Verstandes. „Tatsächlich“, schrieb Kant, „existieren die Gesetze nicht in
Erscheinungen, sondern nur in Beziehung zum Subjekt, dem diese Erscheinungen eigen sind, da
es einen Verstand besitzt; genau, wie die Erscheinungen nicht für sich alleine existieren, sondern
nur in Beziehung zu dem gleichen Wesen, da es Gefühle hat. Die Gesetzmäßigkeit alleine wäre
ihnen eigen auch außerhalb des sie erkennenden Verstandes. Aber die Erscheinungen sind nur
Vorstellungen über Dinge, von denen unbekannt bleibt, wie sie an sich sein können. Als
Vorstellungen ordnen sie sich einfach keinem Gesetz unter, das eine verbindende Fähigkeit
vorschreibt“. 48
In dieser Frage wurde der Standpunkt Kants von Hegel einer gerechten Kritik unterzogen, der
schrieb, dass - wenn wir die Eigenschaften eines Dinges kennen - wir auch das Ding selbst
kennen. Das Kantische unerkennbare Ding an sich, so Hegel, ist eine leere und inhaltslose
Abstraktion. Den Standpunkt des Marxismus in dieser Frage hat Engels formuliert, der schrieb,
dass die Praxis die Macht des menschlichen Wissens zeigt; auf der Grundlage der menschlichen
Praxis vollzieht sich ununterbrochen vor unseren Augen die Verwandlung der „Dinge an sich“ in
„Dinge für uns“. Zwischen ihnen gibt es keine unüberwindbare Grenze, und der Unterschied
besteht nur darin, dass die einen schon erkannt und die anderen noch nicht erkannt sind.
Kant betrachtete die Frage nach der Entstehung der Kategorien und ihrer Erkenntnis
582
vermittelnden Rolle in Einheit. Das muß zweifellos als positiv anerkannt werden. Im Vorwort zu
seinen „Prolegomena“ die Meinung von Hume über den Begriff untersuchend, schrieb Kant: „Es
war nur von der Entstehung dieses Begriffs die Rede, nicht von der Notwendigkeit seiner
Anwendung; wenn seine Entstehung erklärt worden wäre, wären auch von selbst die
Bedingungen seiner Anwendung und die Sphäre seiner Anwendbarkeit klar geworden“. 49
Die dialektische Logik untersucht auch die Frage der gnoseologischen Rolle der Begriffe im
Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung der Begriffe, löst sie jedoch direkt
entgegengesetzt zu der Kantischen Position. Sie ist der Ansicht, dass der Erkenntniswert der
Begriffe mit ihrem objektiven Charakter zusammenhängt. Die Begriffe sind aus der Wirklichkeit
abstrahiert und bilden das Wesen der Erscheinungen ab. Erdachte und mit dem objektiven Gang
der Dinge nicht verbundene Abstraktionen haben keinerlei Erkenntnis vermittelnde Bedeutung.
Kant jedoch - wie wir sehen - ging an die Kategorien von der entgegengesetzten Seite heran. Er
verneinte freilich das Angeborensein der Ideen und ist sich dabei mit Locke einig, der die
Anhänger der Theorie von den angeborenen Ideen als faule Philosophen bezeichnete. Aber
gleichzeitig war Kant nicht mit der Ansicht Lockes von der Entstehung unseres Wissens aus der
Erfahrung einverstanden, da die Erfahrung angeblich nur eine einmalige und subjektive
Vorstellung gibt. Nach Kants Meinung sind die Erkenntnis vermittelnde Bedeutung,
Allgemeinheit und Notwendigkeit der Begriffe untrennbar mit ihrer apriorischen Entstehung
verbunden. Daher ist es natürlich, dass die Kategorien des Verstandes auf keinen Fall empirische
Produkte sind. Bezüglich der Kategorie der Kausalität erklärte Kant z. B., dass es notwendig sei,
die Apriorität ihrer Entstehung anzuerkennen, ansonsten sei sie nur wert, weggeworfen zu
werden. Er schrieb: „Dieser Begriff verlangt unbedingt, dass etwas (A) so ist, damit aus ihm
unbedingt und nach absolut allgemeiner Regel etwas anderes (B) folgt. Die Erscheinungen geben
natürlich viele Gelegenheiten für die Aufstellung einer Regel, nach der gewöhnlich etwas
entsteht, sie beweisen jedoch niemals, dass die Folge mit Notwendigkeit entsteht; deshalb hat die
Synthese von Ursache und Handlung solch einen Vorzug, den man nicht empirisch ausdrücken
kann: er besteht darin, dass sich die Handlung nicht einfach an die Ursache anschließt, sondern
als Ursache angenommen wird und aus ihr folgt. Die strikte Allgemeinheit der Regeln kann auch
keine Eigenschaft der empirischen Regeln sein, die mit Hilfe der Induktion nur eine relative
Allgemeinheit, d.h. eine breite Anwendbarkeit erlangen. Die Anwendung reiner
verstandesmäßiger Begriffe würde sich vollkommen verändern, wenn sie nur als empirische
Produkte betrachtet würden“. 50 Aus dem Gesagten folgt, dass nach Kant die Kategorien ihrer
Erkenntnis vermittelnden Bedeutung beraubt wären, wenn sie einen empirischen Ursprung
hätten.
Ein wichtiges Moment der Kantischen Philosophie ist auch die Idee der Systemhaftigkeit der
Kategorien, dank der es Kant für möglich hielt, die ganze Fülle des Wissens einer Wissenschaft
auszudrücken, wobei er unterstrich, dass er unter Fülle die innere Einheit des Wissens versteht.
Diese Fülle „ist möglich“, schrieb er, „nur mit Hilfe der Idee des apriorischen verstandesmäßigen
Wissens als Ganzes und dank der dadurch bestimmten Teilung der Begriffe, die diese Idee des
Ganzen ausmachen; folglich ist sie nur dank dessen möglich, dass sie sich in ein System
verbindet“. 51
Die Frage der Systemhaftigkeit, der Ganzheit des Wissens wurde von Kant am detailliertesten im
Zusammenhang mit der Analyse der Architektonik des reinen Verstandes ausgearbeitet. Da das
Wissen die Form der Wissenschaftlichkeit erwirbt, ist die Architektonik im Verständnis des
Philosophen die Lehre von der wissenschaftlichen Seite unseres Wissens. Kant versuchte, auf
eigene Art den Inhalt des Begriffes des Systems zu analysieren. Am inhaltsreichsten deckte er
drei Aspekte dieses Begriffes auf. Erstens - das System als Einheit vielfältigen Wissens, das
durch eine Idee vereint ist. In diesem Fall hat der Philosoph die ursprüngliche Idee der Ganzheit,
583
Totalität und Konkretheit u. dgl. erfasst. Ursprünglich nennen wir die Idee deshalb, weil Kant sie
noch nicht mit dem Prinzip der Entwicklung verband; seine Auslegung des Systems als Ganzheit
ist abstrakt, künstlich. Zweitens - ist das System im Verständnis des Philosophen durch eine
einheitliche Idee vereinigt, die das Ziel und die Form des Ganzen enthält. Drittens - im
Verständnis Kants ist das Ganze, das System nicht eine einfache Anhäufung, sondern das
Ergebnis einer bestimmten inneren Aufgliederung.
In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat Kant sein Verständnis der Systemhaftigkeit des Wissens
folgendermaßen formuliert: „Unter einem System ... verstehe ich die Einheit vielfältigen
Wissens, das durch eine Idee vereint ist. Und die Idee ist der Begriff der Vernunft von der Form
eines gewissen Ganzen, da er a priori den Umfang der Vielfältigkeit und die Stellung der Teile
zueinander bestimmt. Folglich enthält der wissenschaftliche Begriff der Vernunft das Ziel und die
ihm entsprechende Form des Ganzen. Durch die Einheit des Ziels, zu der alle Teile (des Ganzen)
gehören und in deren Idee sie ebenfalls miteinander in Verbindung stehen, ist zu erklären, dass
man beim Erwerb von Wissen nicht ein einziges Teil außer Acht lassen darf und auch keine
einzige zufällige Hinzufügung tun oder auf einer unbestimmten Größe der Vollkommenheit Halt
machen darf, die a priori nicht bestimmte Grenzen hat. Folglich ist das Ganze gegliedert ... und
nicht angehäuft ...; es kann freilich innerlich wachsen ... aber nicht äußerlich ... im Unterschied
zum Körper eines Tieres, dessen Wuchs nicht in der Hinzufügung neuer Glieder besteht, sondern
darin, dass jedes Organ ohne Veränderung der Proportionalität stärker und seinen Zielen
angepasster wird“. 52
Bei aller Abstraktheit und Unvollkommenheit hatte diese Kantische Charakteristik des Systems,
der Systemhaftigkeit des Wissens wichtige Bedeutung bei der Vorbereitung des konkreten,
dialektischen Verständnisses vom Wissen. Gerade Kant vermochte es, zum Problem der
Systemhaftigkeit eine Reihe wichtiger Gedanken zu äußern, die sich als sehr fruchtbar erwiesen.
Seine Idee der Systemhaftigkeit, der inneren Gebundenheit, Ganzheit des Wissens wurde sofort
von den folgenden Vertretern der deutschen klassischen Philosophie, insbesondere von Fichte
und Hegel aufgenommen. Fichte betrachtete die Systemhaftigkeit als wichtigstes
Charakteristikum der Wissenschaft, des wissenschaftlich-theoretischen Wissens. Hegel verstand
die Systemhaftigkeit ebenfalls als wichtiges Charakteristikum, als Form des Seins der
Wissenschaft. „Die wahre Form, in der die Wahrheit existiert“, schrieb er, „kann nur ihr
wissenschaftliches System sein. Meine Absicht war es, der Annäherung der Philosophie an die
Form der Wissenschaft dienlich zu sein, an das Ziel, nach dessen Erreichung sie sich von ihrem
Namen Liebe zum Wissen lossagen und wirkliches Wissen sein kann“. 53
Im Unterschied zu Kant und Fichte verstand Hegel das System, die Systemhaftigkeit nicht
abstrakt, sondern konkret, da er sie mit dem Prinzip der Entwicklung verband. Auf diese Weise
ist das System, das systematische Wissen im Verständnis Hegels nicht eine einfache Einheit auf
der Basis irgendeiner Idee, sondern das Ergebnis des Werdens, des Aufstiegs vom Abstrakten
zum Konkreten. Als Idealist hat Hegel freilich die Systemhaftigkeit des Wissens als Ergebnis der
Selbstentwicklung aufgefasst, als Selbstbewegung des Ausgangsbegriffs - der Idee. Er hat erstens
nicht verstanden, dass die Systemhaftigkeit des Wissens, die Methode des Aufstiegs vom
Abstrakten zum Konkreten nur die Form, die Art der Reproduktion der objektiven Konkretheit
im Denken, in der Systemhaftigkeit der Wirklichkeit ist. „Das ist jedoch keinesfalls das Produkt
des nachdenkenden und sich außerhalb von Kontemplation und Vorstellung selbst entwickelnden
Begriffs, sondern die Verarbeitung von Kontemplation und Vorstellungen zu Begriffen“. 54
Zweitens hat er auch nicht die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche verstanden, hat nicht die
Rolle der materiellen, gesellschaftlich-produktionsbezogenen Praxis verstanden, sondern kannte
nur die abstrakte theoretische Tätigkeit der absoluten Idee. Deshalb wurde die wirklich
wissenschaftliche Fragestellung und Lösung der Frage nach dem System, der Systemhaftigkeit
584
des Wissens erst in der marxistischen Philosophie, in der die Systemhaftigkeit des Wissens als
Widerspiegelung der Systemhaftigkeit der gegenständlichen Tätigkeit, die die Systemhaftigkeit
der objektiven materiellen Welt wieder herstellte, möglich.
Als produktiv erwies sich bei Kant auch, dass er seine Aufgabe nicht auf die Begründung der
Idee des ganzheitlichen Wissens beschränkte, sondern auch auf seine Art die Beziehung der Idee
zu den Erscheinungsformen, d. h. die Beziehung der Idee zu den anderen Bestimmtheiten des
Systems hervorhob. Diese Bestimmtheiten nannte Kant Schemata, bei denen er technische und
architektonische unterschied. Wenn man beim Aufbau des theoretischen Wissens von zufälligen,
empirischen Zielen ausgeht, ergibt sich eine technische Einheit; wenn man aber beim Aufbau des
Wissens direkt von der Idee, vom Bedürfnis und Hauptziel der Vernunft ausgeht, ergibt sich eine
architektonische Einheit. Die Wissenschaft im engeren Sinne hat es mit der architektonischen
Einheit zu tun.
Kant hat in der „Kritik der reinen Vernunft“ den Gedanken umgesetzt, dass keine Wissenschaft
ohne eine vereinigende einheitliche Idee auskommt. „Jedoch“, schrieb er, „bei der Ausarbeitung
der Wissenschaft entsprechen das Schema und sogar die am Beginn gegebene Definition der
Wissenschaft sehr selten der Idee, da sie in der Vernunft wie ein Keim angelegt ist, dessen Teile
noch nicht entwickelt und sogar einer mikroskopischen Beobachtung kaum zugänglich sind.
Deshalb müssen die Wissenschaften, da sie vom Standpunkt eines gewissen allgemeinen
Interesses heraus erfunden werden, nicht entsprechend der von ihrem Gründer gegebenen
Beschreibung erklärt und bestimmt werden, sondern gemäß der Idee, die sich angesichts der
natürlichen Einheit der sie ausmachenden Teile als in der Vernunft selbst begründet erweist.
Tatsächlich erweist es sich nicht selten, dass der Gründer [der Wissenschaft] und sogar seine
späteren Jünger um die Idee umherirren, da sie sich selber nicht klargemacht haben und deshalb
nicht den wahren Inhalt, die Gliederung (systematische Einheit) und die Grenzen ihrer
Wissenschaft bestimmen können“. 55
Weiter hat Kant die Wege und Arten der Herausbildung systematischen theoretischen Wissens
erforscht, eingedenk dessen, dass die Wissenschaft zu ihrer Herausbildung einer riesigen Menge
von faktischem Material bedarf, welches zunächst empirisch, d. h. mittels der technischen
Einheit, verallgemeinert werden muß. Erst nach derartiger vorausgehender Arbeit der Vernunft
wird es möglich, die Natur des Ganzen zu umfassen, eine systematische, architektonische Einheit
zu bilden.
Der Philosoph hat so die Wechselbeziehung empirischer Fakten und theoretischen,
ganzheitlichen Wissens verstanden, die nicht von Anfang an postuliert wird, sondern sich im
Ergebnis titanischer geistiger Arbeit herausbildet.
Bei der Verfolgung des Prozesses der Herausbildung des theoretischen, ganzheitlichen Wissens
hat Kant auch die reale Beziehung von Ausgangs-, „embryonalem“ Wissen und systematischem,
ganzheitlichen Wissen aufgezeigt. Nach Ansicht des Philosophen stimmt das Ausgangswissen
sowohl in Form als auch in Inhalt nicht mit dem ganzheitlichen Wissen überein. Anfänglich
scheinen die Systeme eine einfache Anhäufung „gesammelter Begriffe [zu sein], zunächst in
verstümmelter, aber mit der Zeit jedoch in vollständig entwickelter Form, obwohl sie alle ihr
Schema als ursprünglicher Keim in der sich entfaltenden Vernunft hatten. Deshalb ist nicht nur
jedes [System] selbst entsprechend der Idee gegliedert, sondern sie sind alle zweckmäßig im
System des menschlichen Wissens vereinigt und Teile eines einheitlichen Ganzen und
ermöglichen die Architektonik des gesamten menschlichen Wissens, die es nicht nur möglich,
sondern auch nicht schwer ist, in unserer Zeit zu schaffen, wo aus den Ruinen alten Wissens
soviel gesammelt ist oder entnommen werden kann“. 56
In diesem kurzen Abschnitt sind sehr interessante Gedanken enthalten. Es geht darum, dass Kant
zur Systematisierung des Wissens etwas gesagt hat, was über den Rahmen der normalen,
585
formalen Deduktion hinausgeht, laut der in der ersten Prämisse, d. h. ganz am Anfang, der Inhalt
des gesamten Ganzen gegeben sein muß. In der Kantischen Problemstellung von der Beziehung
der ursprünglichen Idee zum gesamten Ganzen in unentwickelter, abstrakter und schematischer
Form sind einige ursprüngliche Elemente des Prinzips des Aufstiegs vom Abstrakten zum
Konkreten enthalten.
Kant ist tatsächlich nicht bis zum Verständnis dieser Methode gelangt, die im Grunde genommen
erst von Hegel ausgearbeitet wurde. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass Kant, nachdem er
den Begriff des Systems, die Beziehung zwischen dem Keim und dem Ganzen analysiert hatte,
eine Reihe von Ideen geäußert hat, die Hegel als Ausgangspunkte dienten.
In der Hegelschen Philosophie sind Abstraktheit und metaphysischer Charakter des Kantischen
Verständnisses vom System, der Wechselbeziehungen von Ursprung und Ergebnis überwunden.
Nach Hegel sind die Begriffe Ursprung und Resultat keine abstrakten Gegensätze, da die
Bewegung, die logische Entwicklung vom Abstrakten zum Konkreten ein einheitlicher Prozess
ist, nämlich das Werden des Konkreten. Der Ursprung tritt nur als abstraktes Moment dieses
Konkreten auf. „Das Wahre ist das Ganze“, schrieb Hegel. „Aber das Ganze ist nur das
Wesentliche, das sich durch seine Entwicklung vollendet. Über das Absolute muß man sagen,
dass es im wesentlichen das Resultat ist, dass es nur am Ende das ist, was es wirklich ist“. 57 An
anderer Stelle unterstrich er: „So, wie ein Gebäude nicht fertig ist, wenn nur das Fundament
gelegt ist, ist der erreichte Begriff des Ganzen noch nicht das Ganze selbst. Dort, wo wir die
Eiche mit ihrem mächtigen Stamm zu sehen wünschen, mit ihren weit ausladenden Ästen, mit der
Masse ihres Laubes, drücken wir unsere Unzufriedenheit aus, wenn man uns statt dessen nur eine
Eichel zeigt. So vollendet sich auch die Wissenschaft, die Krönung einer bestimmten Welt des
Geistes, nicht an ihrem Ursprung.
Der Ursprung eines neuen Geistes ist das Produkt einer sich weit ausbreitenden Umwälzung
vielfältiger Formen der Bildung; er wird nur auf außerordentlich verschlungenen Wegen und
durch den Preis vielfacher Anstrengungen und Bemühungen erreicht“. 58
Die angeführten Zitate gestatten es, die Ähnlichkeit und den Unterschied zwischen der
Kantischen und der Hegelschen Auslegung des Begriffes des Systems zu erfassen. Insgesamt ist
die Überlegenheit des Hegelschen Verständnisses dieses schwierigen Problems offensichtlich,
obwohl es ebenfalls keiner wissenschaftlichen Kritik standhält. Von der Position der dialektischmaterialistischen Philosophie aus sind Systemhaftigkeit und Konkretheit vor allem eine
objektive, sachliche Charakteristik der Wirklichkeit. Deshalb kann die Realität im Denken in der
Theorie nur in systemhafter, konkreter Form als Einheit zahlreicher Bestimmungen
wiedererzeugt werden. Die Methode des Aufstiegs vom
Abstrakten zum Konkreten wird von Marx nur als Verfahren ausgelegt, mit dessen Hilfe der
Gedanke das objektiv Konkrete geistig als Konkretes meistert und wiedererzeugt.
Das Konkrete im Denken ist gerade die natürliche Form, in der sich die Wahrheit realisiert. Jede
Bestimmung, die zum System gehört, erfasst eine Seite; isoliert genommen ist sie abstrakt, aber
in der Synthese, im System ergeben sie wahres konkretes Wissen.
Im Prozess des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten vereint der Mensch nicht mechanisch
die ausgesuchten Abstraktionen, sondern synthetisiert wirklich, zunächst die Abstraktionen
erkennend, die im gegebenen System allgemeine Bedeutung haben und der Ursprung, der
Ausgangspunkt des gegebenen Konkreten sind. Die Frage nach der ursprünglichen, der
Ausgangsabstraktion ist in jeder beliebigen Theorie notwendig, weil das Problem der
systematischen Erkenntnis so lange nicht gelöst werden kann, wie wir nicht den Ursprung des
sich entwickelnden Systems entdeckt und die Verfahren seiner theoretischen Bewegung verfolgt
haben.
Im „Kapital“ analysiert Marx die Ware in ihrer Eigenschaft als elementare „Zelle“, die die
586
Möglichkeit des gesamten konkreten Ganzen enthält. Das, was Marx als Allgemeines, als
Ausgangsbestimmtheit betrachtet, fällt mit dem objektiv-historischen Prozess des Werdens und
der Herausbildung der kapitalistischen Produktion zusammen. Wenn man sich die kapitalistische
Gesellschaft als soziales System innerlich verbundener Beziehungen, als Sein in-sich-und-fürsich vorstellt, ist die Ware das Sein-in-sich der kapitalistischen Gesellschaft. Darum hat Marx
auch die Erforschung der bürgerlichen Ordnung mit der Analyse der Ware begonnen. „Die
Analyse deckt“, schrieb Lenin, „in dieser einfachsten Erscheinung (in dieser „Zelle“ der
bürgerlichen Gesellschaft) alle Widersprüche (respektive Keime aller Widersprüche) der
modernen Gesellschaft auf. Die weitere Darlegung zeigt uns die Entwicklung (sowohl Wachstum
als auch Bewegung) dieser Widersprüche und dieser Gesellschaft in der Summe ihrer einzelnen
Teile von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende“. 59
Das Erkennen der Ausgangsabstraktion hat fundamentale Bedeutung für den Aufbau einer
wissenschaftlichen Theorie. Nach Marx ist jedoch die theoretische Erkenntnis nicht mit dem
Erkennen der Ausgangsabstraktion beendet. Für die konkrete Erkenntnis der Wirklichkeit ist die
Bewegung der Erkenntnis vom Abstrakten zum Konkreten notwendig. Während des Prozesses
des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten vollzieht sich die Wiedererzeugung, die logische
Aneignung des ganzheitlichen Objektes. Das dialektische Prinzip der Wiedererzeugung der
Wirklichkeit ist kein künstliches Verfahren, sondern eine dem Gegenstand adäquate Methode. Im
Unterschied zur formalen Deduktion und Induktion, in denen nur eine Seite des konkreten
Ganzen erfasst wird, ist die dialektisch-logische Methode des Aufstiegs die am meisten
entwickelte, ganzheitliche Methode der Erkenntnis; sie tritt als ideale Form der objektiven
Entwicklung, der Formenbildung des Gegenstandes auf.
Auf diese Weise übertrifft das moderne Verständnis des Systems, des Konkreten, der Methode
des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten um ein Vielfaches die Hegelsche idealistische
Auslegung des Problems, schon gar nicht zu reden vom Verständnis Kants, in welchem nur
ursprüngliche, embryonale Ideen dieses komplizierten Problems dargelegt sind.
Es ist natürlich die Frage zu stellen: Hat die Kantische Lehre vom System, von der
Systemhaftigkeit des Wissens irgendeine aktuelle Bedeutung oder ist sie nur von historischem
Interesse? Es steht außer jedem Zweifel, dass das Kantische Verständnis des Systems, des
architektonischen Charakters des menschlichen Wissens nicht nur historische, sondern auch
aktuelle Bedeutung hat. Bei der Erforschung der Dialektik, des dialektisch-logischen
Verständnisses des Problems sind zweifellos jene ursprünglichen Ideen Kants von historischem
Interesse, die in gewisser Weise als Ausgangspunkt für ein neues, dialektisches Verständnis der
Frage von der Systemhaftigkeit des Wissens dienten; die Frage nach dem System, das
systemhafte Herangehen ist auch heute noch aktuell. Diese Frage wird meistens parallel mit der
Dialektik aufgeworfen, mit dem dialektischen Verständnis des Systems; dabei wird sie als etwas
Neues im Vergleich zur Dialektik ausgegeben. Die aufmerksame Analyse dieser Methode zeigt,
dass ihr gedanklicher Gehalt im wesentlichen nicht über jene Urteile hinausgeht, die Kant in
seiner „Kritik der reinen Vernunft“ und Fichte in der „Wissenschaftslehre“ formuliert haben.
Deshalb bringt die kritische Analyse des Kantischen und Fichteschen Verständnisses gleichzeitig
auch die Mängel der sogenannten Systemmethode, der systemhaften Betrachtung ans Licht. Es
versteht sich, dass nicht jegliche systemhafte Betrachtung unbedingt ein Synonym für Dialektik
ist. Nur diejenige systemhafte Betrachtung stimmt mit der Dialektik überein, deren Systemidee
immanent mit dem Prinzip der Entwicklung verbunden ist und deren Kernpunkt das Gesetz der
Einheit der Gegensätze ist. Bis zur Idee der Systemhaftigkeit als solcher ist schon Kant gelangt
und Fichte noch entschlossener. Die Schwäche und Abstraktheit ihrer Problemstellung besteht
darin, dass sie die Idee der Systemhaftigkeit nicht mit dem Prinzip der Entwicklung vereinen
konnten. Und wenn wir uns der Kantischen Idee von der Systemhaftigkeit gegenüber mit aller
587
Ernsthaftigkeit verhalten, dann nur deshalb, weil sie als Ausgangsidee für die folgende
dialektische Fragestellung gedient hat.
Die Kantische Idee der Aktivität des erkennenden Subjektes
Wie schon erwähnt, drang in die Logik zusammen mit der Kantischen Analyse der allgemeinen
Bedingungen des theoretischen Wissens und der Kategoriestruktur des Denkens die Dialektik ein,
die dialektische Methode der Betrachtung der Erkenntnis. Wenn wir uns nur mit dieser
Feststellung begnügen würden, wäre das äußerst ungenügend. Denn Kant hat auch andere
produktive Ideen hervorgehoben und erarbeitet, die unzweifelhaft eine wichtige Bedeutung im
Werden, in der Herausbildung der dialektischen Denkmethode hatten. Es geht um die Idee der
Aktivität des erkennenden Subjektes, des theoretischen Denkens.
Die vorkantische Philosophie (insbesondere der Rationalismus und der Empirismus) konnten, wie
bekannt, die Idee der Aktivität, der Tätigkeit des erkennenden Subjektes nicht erarbeiten. Sie
ging passiv an den Gegenstand heran, begriff nicht die aktive, tätige Funktion des erkennenden
Subjektes im Verhältnis zum Gegenstand der theoretischen Tätigkeit. Freilich haben die
Rationalisten, wie schon erwähnt, im Unterschied zu den Empiristen der Tätigkeit des Subjektes
Aufmerksamkeit gewidmet und fassten das Wissen als Selbsttätigkeit des Subjektes auf, was
jedoch ihre erkenntnistheoretische Grundeinstellung nicht wesentlich verbesserte. Im Verständnis
der Rationalisten sind das Objekt und die Wirklichkeit ein und dasselbe, sie identifizieren sie
nicht, und die angeborenen Ideen, die intuitiven Gedanken haben an und für sich Bedeutung nur
insofern, als ihre Verbindung den Verbindungen der Dinge entspricht. Insbesondere Spinoza hat
unterstrichen, dass die Verbindung der Gedanken den Ideen der Verbindung der realen Dinge
entspricht.
Die passive, kontemplative Deutung der Erkenntnistätigkeit ist auch für den Empirismus, den
metaphysischen Materialismus charakteristisch. Die Idee der wahren Erkenntnis sieht er in einem
Zustand, in dem die Aktivität, die Tätigkeit des Subjektes, sein Einfluss auf den
Erkenntnisprozess gleich Null sind. In der empirischen Philosophie werden nur solche Art von
Verallgemeinerungen, Begriffen positiv eingeschätzt, die das Ergebnis der Analyse, des
Vergleichs, der abstrahierenden Tätigkeit des Verstandes sind. Die Empiristen sind freilich bei
der konsequenten Durchsetzung dieser Konzeption auf unüberwindliche Hindernisse gestoßen, da
in der Struktur der menschlichen Erkenntnis Begriffe und Kategorien existieren, die es nicht
leicht ist, durch unmittelbare Verallgemeinerung der Erfahrung zu begründen. Als sie die
Aktivität des erkennenden Subjektes entdeckten, sahen sie darin nur etwas Negatives, ein
Anzeichen der Unvollkommenheit der menschlichen Erkenntnis und versuchten, eine sichere
Methode zu erarbeiten, mit deren Hilfe man die menschliche Aktivität aus dem
Erkenntnisprozess entfernen könnte. Interessant ist die Kritik von Bacon an den sogenannten
Idolen der Erkenntnis. Es gibt darin zwei Momente: 1) Bacon bemühte sich, aus der Philosophie
überlebte, antiwissenschaftliche, falsche Ideen zu verbannen, aber gleichzeitig 2) trat er dem
Wesen nach gegen jegliches aktives Verhältnis zum Gegenstand im Erkenntnisprozess, gegen
universelle theoretische Formen in der Erkenntnis der Wirklichkeit auf. Bei der aufmerksamen
Betrachtung seiner Kritik entdecken wir, dass er zu den Idolen nicht nur falsches, veraltetes
Wissen rechnete, sondern auch positive Gegenstände, alle Ergebnisse der menschlichen Kultur.
In gewisser Weise hat diese weltanschauliche Richtlinie auch ihre Widerspiegelung in der
Philosophie von Rousseau, Voltaire und vieler anderer Denker gefunden. Z.B. hat Voltaire bei
der praktischen Realisierung der theoretischen Richtlinie des Empirismus angenommen, dass die
Quelle aller menschlichen Laster die Gesellschaft und die Zivilisation sind. Deshalb wurde sein
588
Candide außerhalb gesellschaftlicher Verbindungen erzogen. Die gleiche Linie hat in seinen
philosophisch-soziologischen und pädagogischen Arbeiten auch Rousseau verfolgt. In ihrem
löblichen Bemühen, die Menschheit von den Lastern zu befreien, haben diese Philosophen nicht
den Umstand beachtet, dass der Mensch nicht nur in der Gesellschaft verdorben wird, sondern
alles Menschliche nur in der Gesellschaft erlangen kann.
Im Unterschied zu seinen erwähnten Vorgängern hat Kant die Natur des menschlichen
Bewußtseins nicht als passive Widerspiegelung des Objektes betrachtet, sondern hat die
Aktivität, die Tätigkeit des menschlichen Bewußtseins unterstrichen. Es ist keine Übertreibung,
wenn wir sagen, dass die Idee der Aktivität des erkennenden Subjektes in gewisser Weise die
Besonderheit der Kantischen Dialektik bestimmt und die Dialektik der gesamten deutschen
klassischen Philosophie durchdringt. Tatsächlich, vor Kant wurden dialektische Ideen
hauptsächlich in Verbindung mit der Analyse der ontologischen Welt, der Natur, ihrer
Endlichkeit und Unendlichkeit, Harmonie und dgl. ausgearbeitet. In ihren dialektischen
Gedanken bemühten sich die Philosophen, das allgemeine Werden der Welt auszudrücken, zu
beschreiben. In der Philosophie Kants hingegen ist die Dialektik erstmals auf eine andere Ebene
gehoben.
Indem er der transzendentalen Logik die Aufgabe gestellt hatte, das synthetische apriorische
Wissen zu begründen, hat Kant tiefschürfend die Beziehung der Kategorie zur sinnlichen
Vielfalt, des Selbstbewußtseins zum Gegenstand, des Subjektes zum Objekt erforscht. Von nun
an bewegte sich in der gesamten nachfolgenden deutschen Philosophie der dialektische Gedanke
in dieser Sphäre; die Dialektik trat als Dialektik der Tätigkeit, als Dialektik des Schaffens und
dgl. auf.
Die Kantische Idee der Aktivität der Erkenntnis, des erkennenden Subjektes ist in der
transzendentalen Deduktion der Kategorien und in der Lehre von der ursprünglichen Einheit der
Apperzeption ausgearbeitet. Im Unterschied zu den Empiristen hat Kant vor allem die Idee der
Kategorien-Aktivität, der Kategorien-Bedingtheit des menschlichen Bewußtseins unterstrichen.
Er wies darauf hin, dass das Wissen nur dank der Kategorien, der Normen, mit deren Hilfe sich
das Material der Anschauung formt, zu einem wahren theoretischen wird und allgemeine
Bedeutung erlangt. Das empirische Wissen dagegen, das Urteil der Wahrnehmung erlangt die
Bedeutung der Objektivität und Wissenschaftlichkeit nur dank der Kategorien des Verstandes.
„Empfänglichkeit kann nur im Verein mit Selbsttätigkeit Wissen erzeugen“, schrieb Kant. Die
Kategorien des Verstandes sind Prinzipien und Gesetze des Denkens, sie bilden die
Grundelemente der menschlichen Erkenntnis. Deshalb wurde der Erkenntnisprozess von Kant
nicht als seitenverkehrt-toter Akt, wo das Ding die Ursache und das Bewußtsein die Folge sind,
ausgelegt, sondern als zweiseitiger Prozess, in dem Ursache und Folge ständig die Plätze
wechseln. Allein die Fragestellung zu den Kategorien hatte große Bedeutung, obwohl natürlich
eine geringere, als Kant ihr zumaß.
Laut Kant ist die allgemeine Bedingung der Möglichkeit wahren Wissens die tatkräftige
Bearbeitung des empirischen Faktes mittels Kategorien, Gesetzen des Denkens. Nur mit ihrer
Hilfe entstehen apriorische theoretische Kenntnisse, in denen alle unsere Kontemplationen
synthetisiert sind. Der Philosoph hat besonders stark jenen Gedanken unterstrichen, dass die
ganze Welt unserer Anschauungen sich gesetzmäßig mit der Kraft der Einbildung entsprechend
den Normen der Kategorien gestaltet, weswegen die Kategorien selbst und die sich aus ihnen
ergebenden Gesetze immer neu entdeckt werden können.
In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat Kant mit großer Bestimmtheit den Gedanken verfolgt,
dass auch die Wahrnehmungen nur dank der durch Kategorien verbindenden Tätigkeit möglich
werden. „Es gibt nur zwei Wege“, wies Kant hin, „auf denen man die notwendige
Übereinstimmung der Erfahrung mit den Begriffen von ihren Gegenständen denken kann:
589
entweder macht die Erfahrung diese Begriffe möglich, oder diese Begriffe machen die Erfahrung
möglich. Das Erstere geht nicht im Verhältnis zu den Kategorien (sowie der reinen sinnlichen
Anschauung), da sie sowohl apriorische als auch von der Erfahrung unabhängige Begriffe sind...
folglich bleibt nur das Zweite übrig (wie ein System der Epigenese der reinen Vernunft), d. h.,
dass Kategorien von Seiten des Verstandes Grundlagen der Möglichkeit jeglicher Erfahrung
überhaupt enthalten“. 60
Kontemplationen, deren Komplexe die Welt der Erscheinungen ausmachen, sind also durch die
Verarbeitung des Materials der Wahrnehmungen nach den Normen der Kategorien aufgebaut,
deshalb kann eine vernünftige Erkenntnis dieser Welt der Kontemplationen (der Welt der
Erfahrungen) aus der Untersuchung jener Verbindungen gewonnen werden, die in Urteilen
mittels Kategorien zustande kommen.
Die Frage nach der Aktivität der Kategorien, nach der Anwendung der Kategorien auf
Erscheinungen, die die Funktionen der Kategorien logisch gestalten, wurde von Kant im
Abschnitt „Über die Prinzipien der transzendentalen Deduktion im Allgemeinen“ behandelt. Das
Wesen der Deduktion charakterisierend, schrieb Kant: „Die Erklärung dessen, auf welche Weise
sich die Begriffe a priori zu den Gegenständen verhalten können, nenne ich die transzendentale
Deduktion der Begriffe und unterscheide sie von der empirischen Deduktion, die darauf hinweist,
auf welche Art und Weise der Begriff dank der Erfahrung und des Nachdenkens über ihn
erworben wird und deshalb nicht die Rechtmäßigkeit, sondern nur den Fakt anbetrifft, dank
dessen wir den Begriff angeeignet haben“. 61 Nach Meinung Kants ist bezüglich der Begriffe des
Verstandes nur die transzendentale Deduktion
möglich, nicht jedoch die empirische.
Bei der aufmerksamen Analyse der Kantischen Idee von der Aktivität der Kategorien im
Erkenntnisprozess, ihrer gestaltenden Tätigkeit, entsteht gesetzmäßig die Frage: Reine
verstandesmäßige Begriffe (Kategorien) betreffen nur die Form des Denkens, d. h. an und für
sich sind sie des Inhalts beraubt; in der Eigenschaft als apriorische Begriffe sind die Kategorien
aus keinerlei Erfahrung entlehnt; wie können wir sie folglich auf Gegenstände anwenden? Mit
anderen Worten: Unabhängig von jeglicher Erfahrung müssen die reinen Begriffe Bedeutung in
jeglicher Erfahrung haben. Ihrer Herkunft nach rein subjektiv, stellen sie in ihrer Bedeutung
Anspruch auf die empirische Objektivität. Wie geht das vor sich? Die Antwort Kants auf diese
Frage ist folgende: Wir haben es nicht mit Dingen an sich zu tun. Bezüglich dessen, was Dinge
an sich sind, kann der Verstand uns genauso wenig lehren, wie die Sinnlichkeit. Dinge an sich
sind nicht erkennbar. Wir können ihnen keine anderen Bestimmungen zuschreiben, müssen nur
anerkennen, dass sie existieren und auf bestimmte Weise auf unsere Sinnlichkeit wirken, sie
affizieren. Hieraus folgt nach Kant: Wir haben nicht das Recht zu behaupten, dass sich die Dinge
in Raum und Zeit befinden und eine Größe besitzen, dass Dinge an sich Substanzen sind, dass sie
sich im Zusammenhang von Ursache und Handlung befinden und dgl.
Raum und Zeit sind nach Kant keine objektiven Formen des Seins der Dinge an sich, sondern
Formen der menschlichen Anschauung. Die Bezeichnungen der Substanzen, die Ursachen und
Notwendigkeiten sind reine verstandesmäßige Formen. Laut Kant sind die Begriffe nicht aus der
Erfahrung entlehnt, und die Möglichkeit der Erfahrung ist durch die Kategorien des Verstandes
bedingt. Die Kategorien haben nicht deshalb objektive Bedeutung, weil sie irgendwie mit der von
der Anschauung freien Welt verbunden sind, mit dem Transzendentsein, was Kant verneint,
sondern deshalb, weil sie allgemeine und notwendige Bedingungen jeglicher Erfahrung sind, weil
sie im Grunde selber Gegenstände der Erfahrung schaffen. Hierin - in der Signifikanz der
Kategorien im Rahmen der reinen Erkenntnis - sah der Idealist Kant die Quelle der Objektivität
sowohl der Formen der Anschauung als auch der Kategorien. Deshalb hatte Hegel recht, als er
sagte, dass die Kantische „Objektivität„ in Wirklichkeit subjektiv sei.
590
Auf diese Weise ermöglicht es die aufmerksame Analyse der Kantischen Philosophie, nicht nur
die produktiven, positiven Ideen zu offenbaren, sondern auch die Grundmängel und Hauptfehler
seiner Gnoseologie. Kant hat zweifellos Tiefe und Scharfsinn bewiesen, als er die Aktivität des
menschlichen Bewußtseins unterstrichen und die logischen, das Wissen gestaltenden Funktionen
der Kategorien entdeckt hat. Die Unzulänglichkeit seiner Gnoseologie besteht darin, dass er es
nicht verstand, das Prinzip der Aktivität des Bewußtseins, der Kategorien mit ihrer Objektivität,
ihrer Widerspiegelungsfähigkeit zu vereinen. In seiner Philosophie hat Kant konsequent den
Gedanken umgesetzt, dass die Aktivität der Kategorien, des theoretischen Wissens, ihre das
Wissen gestaltende Fähigkeit nur mit Subjektivismus, Agnostizismus, Negation der
Erkennbarkeit der Dinge an sich vereinbar ist.
Breiter und bestimmter ist die Konzeption der Aktivität des erkennenden Subjektes, des
Bewußtseins von Kant in seiner Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption
ausgearbeitet, einer Lehre, die ihrem Charakter nach zutiefst idealistisch ist. In ihr hat der
klassische deutsche Idealismus seinen Ursprung. Die Aneignung dieses Prinzips hat auch die
Eigenart der Dialektik in der klassischen deutschen Philosophie bestimmt, deren Vertreter sie als
Dialektik der Erkenntnis, des Denkens, als Dialektik der Tätigkeit, des aktiven
Selbstbewußtseins, als Dialektik des Objektes und des Subjektes ausgearbeitet haben. Es wäre
deswegen auch nicht richtig, nur den idealistischen Charakter, nur die negativen Seiten
hervorzuheben und nicht auch die produktiven, positiven Elemente in diesem theoretischen
Prinzip zu sehen, das der große deutsche Philosoph erarbeitet und dann selbst idealistisch entstellt
hat. Wie bekannt, hat Marx hervorgehoben, dass die aktive, tätige Seite der Erkenntnis vom
Idealismus entwickelt wurde, allerdings nur abstrakt, weil der Idealismus keine wirkliche,
sinnliche Tätigkeit kennt. Die Charakteristik von Marx kann man auch vollständig auf die
Kantische Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption anwenden.
Die Kantische Lehre von der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins ist eine ziemlich
komplizierte Lehre, die aus einer Reihe von Elementen, strukturellen Formationen besteht. Ihr
Ausgangspunkt ist die allgemeine Tatsache, dass die vielfältige Anschauung, wie sie uns
unmittelbar gegeben ist, immer als innerlich zusammenhängend erscheint. Die Vereinigung der
Vielfalt kann von uns überhaupt niemals über die Gefühle wahrgenommen werden und kann
folglich auch nicht in der reinen Form der sinnlichen anschaulichen Vorstellung bestehen. Sie
muß auf die Erfahrung des Verstandes zurückgeführt werden (ob wir uns seiner bewußt sind oder
nicht, ob das die Vereinigung der Vielfalt in der anschaulichen Vorstellung oder in
irgendwelchen anderen Begriffen ist), den „wir mit der allgemeinen Bezeichnung Synthese
benennen, um damit auch hervorzuheben, dass wir uns nichts als zusammenhängend im Objekt
vorstellen können, was wir vorher nicht selbst verbunden haben; unter allen Vorstellungen ist der
Zusammenhang die einzige, die nicht vom Objekt gegeben wird, sondern nur geschaffen werden
kann vom Subjekt selbst, weil das ein Akt seiner Selbstbetätigung ist“ 62
Kant hat dann diesen Gedanken detailliert behandelt. Der Begriff „Zusammenhang“ enthält
seiner Meinung nach außer dem Begriff des Vielfältigen und seiner Synthese auch noch den
Begriff der Einheit des Vielfältigen. „Zusammenhang ist die Vorstellung über die synthetische
Einheit des Vielfältigen. Folglich kann die Vorstellung über diese Einheit nicht aus dem
Zusammenhang entstehen, eher umgekehrt, sie macht den Begriff des Zusammenhangs vor allem
infolge dessen möglich, da sie sich der Vorstellung über das Vielfältige anschließt“. 63
Dieser Gedanke Kants ist vor allem deshalb wichtig, weil hier nicht einfach über das Vielfältige,
die Synthese in ihrer üblichen oberflächlichen Auslegung gesprochen wird, sondern die Frage
nach der Einheit des Vielfältigen gestellt wird. Kant hat mehrfach unterstrichen, dass die Vielfalt
noch kein wirkliches Wissen ist. Es versteht sich, dass sich Kant im Verständnis des Inhalts der
fundamentalen Kategorie „Einheit des Vielfältigen“ noch nicht auf jenes hohe Niveau begeben
591
konnte, auf dem sie später Hegel weiterentwickelt hat; dessenungeachtet verdient allein die
Tatsache, dass Kant dieses Problem aufgeworfen und darüber anfängliche, jedoch wertvolle
Ideen geäußert hat, ernsthafte Aufmerksamkeit. Unbedingt produktiv ist auch Kants Gedanke,
dass der Zusammenhang sich nicht in „Vielfalt“ und „Synthese“ erschöpft und dass es viel
wichtiger ist, im Erkenntnisprozess die Einheit des Vielfältigen zu beachten.
Um die Idee der Einheit des Vielfältigen zuzulassen, mußte Kant nicht nur die Vielfalt und die
Einheit an sich verstehen, sondern auch begreifen, dass im Begriff der Einheit des Vielfältigen
nicht von zwei, sondern nur von einem einheitlichen konkret-allgemeinen Begriff die Rede ist. Er
konnte freilich noch nicht eine solche klare Formulierung fassen. Jedoch geht allein die
Fragestellung schon über den Rahmen der traditionellen Logik, des traditionellen Verständnisses
der Beziehungen des Einzigen und des Vielen hinaus. Darum hat auch Hegel die Bedeutung der
Kantischen Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption für die Dialektik, die
dialektische Logik so hoch geschätzt und stellt die Vorzüge der Kantischen transzendentalen
Logik im Vergleich zur sogenannten verstandesmäßigen Logik heraus.
Laut verstandesmäßiger Logik, bemerkte Hegel, „verfüge ich über Begriffe genau so wie über
irgendwelche äußeren Eigenschaften“. Die verstandesmäßige Vorstellung über den Begriff wurde
erstmals von Kant erschüttert, der die wichtige These aufgestellt hat, dass die Einheit, die das
Wesen des Begriffs ausmacht, die ursprüngliche Einheit der Apperzeption ist. Die
transzendentale Deduktion der Kategorien hielt Hegel für einen der schwierigsten Teile der
Philosophie von Kant. Sie erfordert, dass wir über die verstandesmäßige Vorstellung vom Begriff
hinausgehen. Bei der verstandesmäßigen Betrachtung steht jegliche Vielfalt außerhalb des
Begriffes. Den Kategorien ist nur die Form der abstrakten Allgemeinheit eigen. Das synthetische
Urteil a priori ist nicht abstrakt-allgemein, sondern es stellt ein Allgemeines dar, in dem der
Unterschied eine ebenso wesentliche Bedeutung hat. „Diese ursprüngliche Synthese der
Apperzeption“, schrieb Hegel, „ist eines der wichtigsten Prinzipien der spekulativen Auslegung...
es enthält den Ursprung des wahren Verständnisses der Natur des Begriffes“. 64 Hegel hat
richtig erfasst, dass ihrer logischen Natur nach das synthetische Urteil a priori und die
ursprüngliche Einheit der Apperzeption dem Abstrakt-Allgemeinen, dem QuantitativAllgemeinen entgegengesetzt sind, das in sich keine Synthese bildet. Deshalb kann man das
synthetische apriorische Wissen nicht auf der Basis der Regeln der allgemeinen Logik erklären.
Hegel schätzte die dialektisch-logischen Elemente in der Lehre Kants hoch ein, kritisierte aber
scharf die Beschränktheit und Konsequenz seiner Dialektik insgesamt. „Diesem Beginn“, schrieb
Hegel, „entspricht die weitere Auslegung sehr wenig... Schon der Ausdruck „Synthese“ führt
erneut leicht zu der Vorstellung von einer gewissen äußeren Einheit und der einfachen
Kombination solcher [Momente], die an sich getrennt sind“. 65
Die Hegelsche Kritik an Kant ist völlig gerecht, da sie von den Positionen der konsequenten
Dialektik aus erfolgt. Das Allgemeine, Einheitliche und Vielfältige sind miteinander nicht
äußerlich vereint. Der Begriff in seiner eigenen, immanenten Bewegung bringt Vieles und
Einzelnes hervor, wobei, wie Hegel unterstrich, sie nicht dem Allgemeinen fremd sind, sondern
als Bestimmtheiten des Konkret-Allgemeinen auftreten.
Bei allen Mängeln, die der Dialektik Hegels selbst anhaften, ist seine Kritik an Kant zweifellos
fruchtbar und trifft direkt auf den Punkt. Bei der Interpretation der Dialektik dieser Frage hat
Kant wesentliche Fehler gemacht, da er nicht die innere Einheit des Konkreten verstand und das
Prinzip der Entwicklung fast nicht in die Logik eingeführt hat. Die Bestimmtheiten des
Einheitlichen und Vielfältigen bleiben ursprünglich bei Kant noch einzeln und selbständig, und
erst in der Folge wird ihre Synthese vorgenommen. Deswegen treten die Beziehungen des
Einmaligen zum Vielfältigen nicht als Ergebnis der eigenen, immanenten Tätigkeit des
Allgemeinen, Einheitlichen auf, sondern bleiben etwas Äußerliches, wie eine von Außen
592
kommende Beziehung. Hegel hat richtig auch das bemerkt, dass Kant solche immanente
Synthese nicht vornehmen konnte, da er sich in der Logik nicht substantiell und breit auf das
Prinzip der Entwicklung stützte.
In der „Kritik der reinen Vernunft“ ist Kant, nachdem er die allgemeine Idee des
Zusammenhangs des Vielfältigen, das auf den Verstand zurückgeführt werden sollte, unmittelbar
zur Einheit der Apperzeption übergegangen, zu der sich die Vielfalt der Anschauung von Beginn
an in gewisser Beziehung befinden sollte, um die Möglichkeit der Verbindung über den Verstand
zu erhalten. Der Einheit der Apperzeption widmete Kant in seiner Deduktion besondere
Aufmerksamkeit. Kategorien sind Bedingungen der Einheit des Selbstbewußtseins, - hierin
besteht hauptsächlich das Charakteristikum der Deduktion. Der Zusammenhang setzt
notwendigerweise die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins voraus, und die Vorstellung
von dieser Einheit entsteht nicht aus dem Zusammenhang, sondern eher umgekehrt, „macht den
Begriff des Zusammenhangs vor allem infolgedessen möglich, dass er sich der Vorstellung über
das Vielfältige anschließt“. 66
Diese Einheit a priori geht allen Begriffen der Vereinigung, des Zusammenhangs voraus.
Die ursprüngliche Einheit der Apperzeption unterscheidet Kant vom empirischen
Bewußtsein, in dem das „Ich“ ohne jegliche Beziehung zur Einheit des „Ich“ nur den gegebenen
Inhalt darstellt. An einigen Stellen der Einheit der Apperzeption unterscheidet Kant auch von der
Apperzeption selbst: „Einheit der Apperzeption“ wird im ersten Fall als jene Einheit verstanden,
die vom Bewußtsein in die vielfältige Vorstellung eingebracht wird. Im größten Teil der Fälle
wird die Einheit der Apperzeption im Sinne der Identität der Apperzeption verstanden und mit
der reinen Apperzeption gleichgesetzt. Das ist gerecht in Beziehung zur analytischen Einheit der
Apperzeption; die synthetische Einheit stellt jedoch eine Kombination der ursprünglichen
Apperzeption mit anderen Momenten der Erkenntnis dar. Die analytische Einheit der
Apperzeption, d. h. die Tatsache, dass ich dem Bewußtsein die Identität meines „Ich“ zuführen
kann, dass ich jedesmal, wenn ich an diese Identität denke, die Vorstellung „ich denke“
hervorrufen kann, unterscheidet sich von der synthetischen Einheit der Apperzeption. Die
analytische Einheit ist nur durch die Vermittlung der synthetischen Einheit möglich. Ich muß eine
Vielzahl von Vorstellungen zu einer Einheit verbinden und diese verbindende Tätigkeit als von
mir ausgeführt begreifen, - nur in solchem Falle kann ich dem Bewußtsein auch die Identität
meines „Ich“ als verbindendes Subjekt klar machen.
Die analytische Einheit des Selbstbewußtseins ist so nur unter der Bedingung des bewußten
Verbindens der Vorstellungen möglich und setzt deswegen überhaupt die Vereinbarkeit meiner
Vorstellungen, ihre Fähigkeit voraus, in der Einheit meines Bewußtseins verknüpft zu werden.
„Somit“, schrieb Kant, „ist die synthetische Einheit des Vielfältigen [des Inhalts] der
Anschauungen als Gegebenes die Begründung der Identität der Apperzeption selbst, die a priori
allem meinem bestimmten Denken vorausgeht. Jedoch nicht den Gegenstand schließt in sich der
Zusammenhang ein, den wir aus ihm durch die Wahrnehmung entlehnen können und nur dank
dessen sie durch den Verstand festgestellt werden kann, sondern der Verstand selbst ist nichts
anderes, als die Fähigkeit a priori, das Vielfältige [den Inhalt] der gegebenen Vorstellungen zu
verknüpfen und sie als Einheit der Apperzeption einzustufen“. 67
Kant formulierte die wichtigsten kognitiven Bedeutungen des Begriffes von der ursprünglichen
Einheit der Apperzeption. Vor allem hat diese ursprüngliche Einheit nichts mit dem empirischen
Allgemeinen, dem abstrakten Allgemeinen und der Assoziation gemeinsam, sondern ist etwas
Allgemeines, das die Vielfalt der Vorstellungen vereint, synthetisiert und formt, d. h. diese
Vielfalt zu meiner Vorstellung macht. Die Vorstellungen, die in den Anschauungen gegeben sind,
wären nicht meine, wenn sie nicht meinem Selbstbewußtsein gehörten. Da sie aber meine sind,
müssen sie sich nach jenen Bedingungen richten, dank derer sie sich gemeinsam in einem
593
allgemeinen Selbstbewußtsein befinden. „Dank dessen, dass ich das Vielfältige [den Inhalt] der
gegebenen Vorstellungen in einem Bewußtsein verknüpfen kann, besteht die Möglichkeit, dass
ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstellen kann“. 68
In seiner Philosophie hat Kant auch einen anderen Aspekt der These von der Einheit der
Apperzeption hervorgehoben und aufgedeckt, und zwar den, dass das Objekt, seine Existenz
bedingt ist durch das Subjekt und innerlich mit ihm, der ursprünglichen Einheit des
Selbstbewußtseins verknüpft ist.
Kant war der erste Philosoph, der das Objekt, seine Existenz vom einfachen Sein unterschieden
hat, d. h. „vom Ding an sich“ - laut kantischer Terminologie. Das sinnliche Wissen hielt er nicht
für ein Objekt, da es subjektiv ist. Ein Ding an sich kann auch kein Objekt sein, da es sich
außerhalb der Grenzen jeder Erkenntnistätigkeit befindet. Folglich können im Verständnis Kants
wirkliche Objekte, Gegenstand der Erkenntnis, nur die sinnliche Vielfalt sein, deren allgemeine
Bedingung reine Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes sind. Kant hat mehrmals
unterstrichen, dass gerade darin die Besonderheit der menschlichen Erkenntnis und ihr
Unterschied zu dem unmittelbar betrachtenden oder göttlichen Verstand besteht. „Das Objekt ist
das“, schrieb Kant, „in dessen Begriff das Vielfältige, von der Anschauung Erfasste vereint ist.
Aber jegliche Vereinigung von Vorstellungen erfordert die Einheit des Bewußtseins in ihrer
Synthese. So ist also die Einheit des Bewußtseins das, was nur die Beziehung der Vorstellungen
zum Gegenstand ausmacht, folglich - ihre objektive Signifikanz, folglich - ihre Umwandlung in
Wissen; auf dieser Einheit ist die Möglichkeit des Verstandes selbst begründet“. 69 „Die
synthetische Einheit des Bewußtseins ist also die objektive Bedingung jeglicher Erkenntnis; nicht
nur ich selbst brauche sie für die Erkenntnis des Objektes, sondern jegliche Anschauung muß
sich, um für mich ein Objekt zu werden, dieser Bedingung unterordnen, weil sich auf andere
Weise und ohne diese Synthese das Vielfältige nicht in einem Bewußtsein vereinen würde“. 70
Ehe wir weitergehen, müssen wir hier eine Anmerkung machen: Bei Kant treten viele Termini in
unterschiedlichen Bedeutungen auf. Das trifft auch auf den Begriff des Gegenstandes zu.
Gegenstände, die auf mich einwirken und dadurch in mir Empfindungen hervorrufen, sind
wirkliche Dinge im normalen Sinne des Wortes. Kant nennt sie „Dinge an sich“. Ihnen ist - im
Unterschied zu meinen Vorstellungen - eine reale Existenz eigen, die vollkommen unabhängig ist
von der Vorstellungstätigkeit. Hingegen sind Gegenstände, die mir gegeben sind (Kant nennt sie
auch Objekte, - ein Ausdruck, den er in einzelnen Fällen auch für „Dinge an sich“ benutzt),
identisch mit meinen Anschauungen. Letztere nennt Kant als Produkte der anschaulichen
Tätigkeit auch Erscheinungen, während in den Fällen, wo er mit dem Ausdruck „Anschauung„
die Selbsttätigkeit der Anschauung bezeichnet, die Erscheinungen selbst als Gegenstände der
Kontemplation bezeichnet werden. In Kants Deduktion sind reale Zusammenhänge und
Beziehungen verzerrt und auf den Kopf gestellt. Nach Meinung Kants ist der Ausgangspunkt der
Erkenntnis und der Ableitung der Kategorien die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins.
In seiner Philosophie hat Kant nicht nur die Aktivität des menschlichen Bewußtseins, den
Zusammenhang von Subjekt und Objekt der Erkenntnis konstatiert, sondern auch versucht, diese
Frage mit der Möglichkeit der Wissenschaft, des wissenschaftlich-theoretischen Wissens (des
synthetischen Urteils a priori) zu verbinden. Dabei ging er davon aus, dass einerseits Mathematik,
theoretische Physik, die von allen als wahre und vollkommene Wissenschaften anerkannt werden,
existieren, andererseits die Philosophie existiert, die, obwohl sie viel früher als andere
Wissenschaften entstanden ist, immer noch nicht anerkannt ist, - sowohl in ihrem eigenen Milieu,
als auch von anderen. Die Philosophie wurde zur Arena endloser Streitigkeiten und
Diskussionen, bei denen jedes nachfolgende philosophische System vollkommen die von den
Vorgängern erreichten Ergebnisse ablehnte. Und es ist schwer, das Wahre vom Falschen zu
unterscheiden, da es keine realen Kriterien der Prüfung gibt.
594
Die Ursache für diesen Zustand sah Kant darin, dass Mathematiker und Naturwissenschaftler auf
irgendeine Weise früher als andere die Aktivität der menschlichen Erkenntnis, den
Zusammenhang von Subjekt und Objekt, die Bedingtheit der Erfahrung, die sinnliche Vielfalt als
apriorische Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes begriffen haben. Kant meinte, dass
gerade dank dieser neuen gnoseologischen Elemente die Mathematik und die Naturwissenschaft
eher als die Philosophie synthetische apriorische Urteile formulieren konnten, die die Bedingung
für die Existenz jeglicher wahren Wissenschaft sind. Dieses neue Element ist laut Kant der
Ursprung einer neuen Art des Denkens, der Ursprung eines neuen Herangehens. Während die
traditionelle Philosophie in dem Wunsch, den absoluten Ursprung, die unzweifelhafte Synthese
zu erkennen, immer den Gegenstand als etwas Gegebenes angenommen hat, das vor jeglichem
Subjekt und seiner Erkenntnis existierte, immer das Objekt mit der objektiven Wirklichkeit
identifiziert hat, so behauptete Kant, dass der Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis
außerhalb der Beziehung des Subjektes zu seiner Erkenntnis nicht existiert. Deshalb, so nahm er
an, ist die Identifizierung des Gegenstandes, des Objektes mit der objektiven Wirklichkeit (den
Dingen an sich) unrechtmäßig. Das Ding an sich ist kein realer Gegenstand, obwohl es auf eine
bestimmte Art und Weise das Subjekt und seine Erkenntnis beeinflusst. Folglich muss man als
Gegenstand der Erkenntnis, der Wissenschaft nicht den Gegenstand, der an sich existiert (das
Ding an sich), betrachten, sondern die Erfahrung, die Gesamtheit der sinnlichen Vorstellungen,
die durch die Aktivität des Subjektes bedingt sind. Mit anderen Worten: Der wirkliche
Gegenstand der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis ist solch ein Gegenstand (Gesamtheit
der Erfahrungen), dessen Möglichkeit und Wirklichkeit von Anfang an durch apriorische Formen
der Anschauung bedingt sind, d. h. durch Raum und Zeit, apriorische Formen des Verstandes, d.
h. durch logische Kategorien.
Bei allem Idealismus hat dieser Gedanke Kants etwas Neues in die Untersuchung des Problems
hineingebracht, d. h. nun wurde klar, dass außerhalb des Subjektes die Wirklichkeit an sich
existiert, und alles, womit der Mensch zu tun hat, seine Erkenntnis, existiert nicht außerhalb des
Subjektes und seiner Aktivität. Folglich ist der Gegenstand, das Objekt - laut Kant - dem Wesen
nach ein aktiv gestalteter Gegenstand.
Nach Meinung Kants besteht der Vorzug von Mathematik und Naturwissenschaft darin, dass sie
das auf irgendeine Weise früher verstanden haben. Bezüglich der Mathematik, behauptete der
Philosoph, geht es nicht darum, wer ihr Begründer, der Erfinder einfachster „Elemente
geometrischer Demonstrationen“ ist, sondern darum, dass er auf gewisse Weise verstanden hat:
Die Aufgabe der Mathematik ist nicht der gedankliche Ausdruck realer Eigenschaften des
Dreiecks, sondern der Aufbau der Anschauung nach vorgegebenen Bedingungen. „Das Licht ist
demjenigen aufgegangen“, schrieb Kant, „der als erster das Theorem vom gleichschenkligen
Dreieck bewiesen hat (gleichgültig, ob es Thales oder jemand anders war); er hat begriffen, dass
seine Aufgabe nicht in der Erforschung dessen bestand, was er in der Figur oder nur in ihrem
Begriff festgestellt hat, so als hätte er aus ihr ihre Eigenschaften herausgelesen, sondern darin,
eine Figur mit Hilfe dessen zu schaffen, was er selbst a priori entsprechend den Begriffen in sie
hineingelegt und gezeigt hat (durch den Aufbau). Er begriff, dass er über etwas ein richtiges
apriorisches Wissen nur dann haben kann, wenn er dem Ding nur das zuschreibt, was notwendig
aus dem von ihm entsprechend seinem Begriff in es Hineingelegten folgt“. 71
Kant war überzeugt, dass auch die Naturwissenschaftler bedeutende Erfolge nur deshalb erringen
konnten, weil sie, wie auch die Mathematiker, die einzig richtige Methode der Erforschung der
Natur gefunden hatten. Seine Betrachtungen über die Vorzüge dieser Methode resümierend,
erklärte der Philosoph: „Die Vernunft muß sich der Natur nähern, - einerseits mit ihren
Prinzipien, entsprechend denen nur die übereinstimmenden Erscheinungen Gesetzeskraft haben
können, und andererseits mit Experimenten, die entsprechend diesen Prinzipien deshalb erdacht
595
wurden, um aus der Natur Wissen zu schöpfen, jedoch nicht wie ein Schüler, dem der Lehrer
alles vorsagt, sondern wie ein Richter, der den Zeugen zwingt, auf alle ihm gestellten Fragen zu
antworten“. 72
Kant hat das von den Mathematikern und Naturwissenschaftlern gefundene Verfahren der
Untersuchung von Erscheinungen so hoch geschätzt, dass er es mit einer großen Revolution in
der Entwicklung des theoretischen Denkens verglich. Und da die Metaphysik so einen
glücklichen Moment noch nicht erlebt hatte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Erfahrung der
erfolgreicheren Mathematik und Naturwissenschaft zu übernehmen und sie in dem Rahmen
nachzuahmen, „in dem es ihre Ähnlichkeit mit der Metaphysik als auf der Vernunft begründetem
Wissen gestattet“. 73 Solche Nachahmung ist deshalb um so wichtiger, weil nach ihrer Art und
Weise der Forschung die Philosophie auch nicht annähernd an das Niveau dieser höchste
Achtung verdienenden Wissenschaften heranreichte. Ja schlimmer noch: die Metaphysik ließ sich
von einer Methodologie leiten, die ihrer Herausbildung als Wissenschaft nicht nur nicht dienlich
war, sondern sie sogar dabei störte. Insbesondere waren die Philosophen der Ansicht, dass all
unser Wissen sich nach den Gegenständen richten muss. Und natürlich haben alle ihre Versuche,
durch Begriffe apriorisch bezüglich der Gegenstände so etwas nachzuweisen, was unser Wissen
über sie erweitern könnte, ein Fiasko erlitten. „Deshalb“, empfahl Kant, „müsste man versuchen
zu klären, ob wir die Aufgaben der Metaphysik nicht erfolgreicher lösen können, wenn wir von
der Vermutung ausgehen, dass die Gegenstände sich nach unserer Erkenntnis richten müssen,
denn das stimmt besser mit der Forderung nach der Möglichkeit apriorischen Wissens über sie
überein, welches früher etwas über die Gegenstände feststellt, als sie uns gegeben sind“. 74
Indem er dieses Forschungsverfahren mit der Kopernikanischen Revolution verglich, drückte
Kant die Gewissheit aus, dass es - ähnlich, wie es Kopernikus gestattete, dem wahren Verständnis
des Sonnensystems näher zu kommen - auch der Metaphysik die Möglichkeit gibt, das
Funktionieren wissenschaftlich-theoretischen Wissens zu erklären. Dabei lenkte Kant die
Aufmerksamkeit der Philosophen auf das prinzipiell Neue im Herangehen von Kopernikus, der,
nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Hypothese vom Kreisen aller Gestirne um den
Beobachter die Bewegung der Himmelskörper ungenügend erklärt, annahm, dass sich der
Beobachter bewegt und die Sterne unbeweglich sind. „Einen ähnlichen Versuch“, schrieb Kant,
„kann man in der Metaphysik unternehmen, wenn es um die Betrachtung der Gegenstände geht.
Wenn die Betrachtungen mit den Eigenschaften der Gegenstände in Einklang stünden, verstehe
ich nicht, auf welche Art und Weise man etwas a priori über diese Eigenschaften wissen könnte;
umgekehrt, wenn die Gegenstände (als Objekte der Gefühle) mit unserer Fähigkeit zur
Betrachtung in Einklang stehen, kann ich mir durchaus die Möglichkeit des apriorischen Wissens
vorstellen. Ich kann aber nicht bei diesen Betrachtungen stehenbleiben; damit sie zu Wissen
werden, muss ich sie als Vorstellungen irgend etwas zuschreiben, wie einem Gegenstand, den ich
mit Hilfe dieser Betrachtungen definieren muss“, da wir apriori „über Dinge nur das erkennen,
was wir selbst in sie hineingelegt haben“. 75
Wie wir sehen, unterstreicht Kant hier mit allem Nachdruck die Idee der Aktivität des
menschlichen Bewußtseins, der apriorischen Kategorien im Prozess der Erkenntnistätigkeit. Im
Unterschied zu seinen Vorgängern, besonders den Vertretern des kontemplativen Materialismus,
behauptete Kant, dass das menschliche Bewußtsein nicht passiv ist und ihm eine ursprünglich mit
Inhalt (mit Kategorien und apriorischen Formen der Sinnlichkeit) angefüllte Beziehung zum
Objekt eigen ist.
Wenn wir auch die Idee der Aktivität des Bewußtseins nach Gebühr würdigen, müssen wir doch
darauf verweisen, dass sie stark vom Kantischen subjektiven Idealismus, Apriorismus und
Agnostizismus gefärbt und ihre Rolle in der Kantischen Auslegung verzerrt und mystifiziert ist.
Von der nachfolgenden deutschen klassischen Philosophie wurde das Prinzip der Aktivität der
596
Erkenntnis noch stärker mit der idealistischen Weltanschauung verbunden. Während Kant noch
neben dem Objekt, dem Gegenstand, die durch Bewußtsein bedingt sind, die Existenz von
Dingen an sich zulässt, haben Fichte, Schelling und Hegel das Objekt mit der Wirklichkeit
identifiziert und konsequent den Idealismus, das idealistische Verständnis der Hauptfrage der
Philosophie durchgesetzt.
Erst in der marxistischen Dialektik wurde das materialistische Prinzip der Aktivität des
Menschen, der menschlichen Erkenntnis allseitig und universell begründet. In ihr wird die
Aktivität des Menschen vor allem als sinnlich-gegenständliche Produktionstätigkeit aufgefasst,
und die Aktivität des menschlichen Bewußtseins, des Denkens wird als ideale Form der
praktischen Tätigkeit ausgelegt.
In der materialistischen Dialektik wird das Objekt (der Gegenstand) nicht mit der objektiven
Realität identifiziert, da die objektive Realität, die Natur als solche, schon vor dem Menschen,
vor der Entstehung der Gesellschaft existierte, aber als Objekt (Gegenstand der menschlichen
Tätigkeit) hat sie sich ständig verändert. Folglich sind der Beweis und die Begründung der
objektiven Realität auf der Grundlage der gesellschaftlichen Praxis und die Frage der
Ausgliederung des Objektes (Gegenstandes) der Tätigkeit und der Erkenntnis auf der Grundlage
der Praxis zwei innerlich zusammenhängende Aspekte. Tatsächlich, wenn die objektive Realität
für sich genommen (absolut unabhängig vom Subjekt) existiert, so muss auch das Verständnis
des Objektes (Gegenstandes) ständig die gegenständliche Tätigkeit des Subjektes einschließen.
Den Gegenstand (das Objekt) kann man schwer außerhalb seiner Beziehung zum Subjekt
begreifen. Deswegen muss bei der Definition (der Auswahl) des Sachgebietes der Forschung der
dialektische Zusammenhang zwischen Gegenstand (Objekt) und Subjekt unbedingt beachtet und
möglichst genau formuliert werden, ohne dabei die innere Verbindung von Objekt (Gegenstand)
und objektiver Realität zu vergessen.
So eine Problemstellung ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal des dialektischmaterialistischen Erkenntnisprinzips, dem zufolge bei der Erkenntnis des Gegenstandes, des
Objektes, und bei der Formulierung der theoretischen Vorstellungen und Begriffe von Anfang an
die Aktivität des erkennenden Subjektes unterstrichen wird, seine Bedürfnisse, seine konkrete
Beziehung zum Objekt beachtet werden. Die Beschränktheit der Gnoseologie des kontemplativen
Materialismus bestand vor allem im Nichtverstehen der Bedeutung dieses fundamentalen
Prinzips. „Der hauptsächliche Mangel des gesamten vorhergehenden Materialismus einschließlich des Feuerbach‘schen – besteht darin“, schrieb Marx, „dass der Gegenstand, die
Wirklichkeit, die Sinnlichkeit nur in der Form des Objektes oder der Anschauung, jedoch nicht
als menschliche sinnliche Tätigkeit, als Praxis, nicht subjektiv erfasst werden. Deshalb ist es so
gekommen, dass die aktive Seite, im Gegensatz zum Materialismus zwar vom Idealismus
entwickelt wurde, jedoch nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, sinnliche
Tätigkeit als solche nicht kennt“. 6
Entsprechend der materialistischen Gnoseologie ist es notwendig, um den Gegenstand wirklich
zu erkennen und von ihm einen Begriff zu bilden, von Anfang an die Frage richtig zu stellen und
jenes System, jene objektive Position zu bestimmen, in der der Gegenstand real existiert, sowie
ihn der theoretischen Analyse zu unterziehen. Dabei geht die Praxis, die praktische Beziehung
unmittelbar in die Formulierung des theoretischen Begriffes ein. Im entgegengesetzten Fall, d. h.
wenn im Prozess der Herausbildung des Begriffes über den Gegenstand nicht die praktische
Beziehung des Subjektes beachtet wird, wird die Erkenntnis nicht konkret. Von der abstrakten
Position aus ist es unmöglich, solche Begriffe wie „Freiheit“, „Demokratie“, „Mensch“,
„Gleichzeitigkeit“ usw. zu verstehen; deshalb ist es notwendig, von Anfang an jenes
Bezugssystem zu benennen, das in die Formulierung des theoretischen Begriffes eingeht.
Dialektisches Herangehen ist notwendig bei der Erforschung aller sozialen Erscheinungen,
597
darunter auch solcher komplizierten Erscheinungen wie „Gesellschaft“, „Mensch“ und dgl. Der
Hauptfehler der Soziologen vor Marx bestand darin, dass sie Betrachtungen über die Gesellschaft
überhaupt angestellt haben. Im Unterschied zu ihnen hat Marx den Begriff der gesellschaftlichökonomischen Formation erarbeitet, dem die konkrete Beziehung der Gesellschaft zur Natur
(Charakter der Produktivkräfte) und dementsprechende Beziehungen der Menschen zueinander
im Produktionsprozess zu Grunde liegen.
In der modernen wissenschaftlichen Erkenntnis hat dieses methodologische Prinzip universelle
Bedeutung erlangt; es wird auch erfolgreich in der Relativitätstheorie angewandt. Bei der
Untersuchung solcher fundamentalen Begriffe wie „Raum“ und „Zeit“ bestand der große Irrtum
der klassischen Physik darin, dass sie das Bezugssystem außer Betracht ließ und diese Begriffe
wie absolute, nicht miteinander in Beziehung stehende behandelte. Einstein hat jedoch bewiesen,
dass die Gleichzeitigkeit nicht absolut ist, sondern nur in Bezug auf dieses oder jenes
Trägheitssystem Sinn hat. Er hat damit die kolossale Bedeutung des Bezugssystems im
Forschungsprozess unterstrichen. Die Analyse hat gezeigt, dass die Gleichzeitigkeit in allen
Systemen eine Fiktion ist, da in Wirklichkeit die Ereignisse, die in einem System gleichzeitig
sind, überhaupt nicht gleichzeitig in einem anderen System sein müssen, und das heißt, dass die
Zeit relativ und nicht absolut ist.
Vom methodologischen Standpunkt aus hat das Herangehen A. Einsteins größte
revolutionierende Bedeutung. Die Relativitätstheorie hat mit der Tatsache ihrer Entstehung
bewiesen, dass der Rahmen der klassischen Physik zu eng ist, dass man mit ihren Methoden nicht
solche kardinalen Begriffe wie „Raum“ und „Zeit“ erforschen kann. Die Theorie Einsteins rief
die Notwendigkeit hervor, die Methode, den Stil des physikalischen Denkens zu verändern.
Einstein leistete auch einen großen Beitrag zur modernen Logik, da er unumstößlich bewies, dass
man bei der Bildung eines wissenschaftlichen Begriffes (bei der Formulierung seines Inhalts)
jenes System berücksichtigen muss, in welchem der Gegenstand existiert.
Ein spezielles Beispiel, das die Novität und Produktivität der Einsteinschen Methode bestätigt, ist
seine Art und Weise, die „Transformationen von Lorentz“ zu erklären. Es geht darum, dass
Lorentz und Fitzgerald selbst bestrebt waren, die entstandenen Schwierigkeiten bei der Erklärung
des bekannten Versuches mittels der künstlichen Hypothese von der Längsverkürzung zu
erklären. Sie gerieten dabei natürlich in eine Sackgasse, da es unmöglich ist, fundamentale
Widersprüche in der Physik zu lösen, ohne dabei die Grundlagen der alten Theorie wesentlich zu
verletzen.
Nach L. Landau besteht das Wesen der Theorie von Einstein in der Aufdeckung des
Zusammenhangs des Relativitätsprinzips mit dem Prinzip der Endlichkeit der
elektromagnetischen Wechselwirkungen, mit der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Wenn
die Theorie von diesen beiden Thesen ausgeht, wird sofort die Unnötigkeit des Äthers klar, und
das Ziel der Theorie konzentriert sich auf die Transformationen. Die klassischen
Transformationen sind jedoch unpräzise, da sie nicht beachten, dass in elektromagnetischen
Erscheinungen relativistische Effekte auftreten. Diese Effekte sind nicht die Folge der
Abflachung von Körpern, von mechanischen Veränderungen, sondern das Ergebnis von
räumlich-zeitlichen Charakteristika der Körper. Die Zeit ist eben nicht absolut, sie hängt von der
Wahl des Ausgangssystems ab.
Ein solches Verständnis der Frage schien vielen Philosophen und Physikern, die in den
Traditionen der alten Physik erzogen worden waren, als etwas Subjektives, als willkürlich
ausgewählter Beobachterstandpunkt, da sie meinten, dass die Objektivität der Formulierung des
Begriffes nur auf dem Wege des Ausschlusses des Subjektes gesichert werden kann, das heißt
also auch - des Bezugssystems. Sie verstanden nicht, dass sie in diesem Fall die Möglichkeit
selbst ausschlossen, auf echte wissenschaftliche Art und Weise einen Begriff zu erarbeiten. Die
598
Untersuchung eines Gegenstandes in Form der Betrachtung kann weder als objektiv, noch als
wahrhaft wissenschaftlich anerkannt werden, da der Mensch den
Gegenstand nicht dann begreift, wenn er ihn nur betrachtet, sondern dann, wenn er diesen
Gegenstand in seine praktische Tätigkeit einbezieht.
*
*
*
Wir wollen nun eine gewisse Bilanz unserer Untersuchung der Kantischen Lehre von der
transzendentalen Deduktion ziehen. In der „Kritik der reinen Vernunft“ durchläuft die Deduktion
der Kategorien des Verstandes zwei Hauptstadien. Da wir zu Beginn dieses Kapitels die
wesentlichen Charakteristika des ersten Stadiums untersucht haben (und das mit der
Fragestellung in Kants „Prolegomena“ übereinstimmt), werden wir sie hier nur in den
allgemeinsten Zügen erwähnen.
Vor allem hat Kant bestimmte Begriffe der objektiven Einheit des Selbstbewußtseins formuliert
und es dabei als jenen inneren Zusammenhang des in der Anschauung gegebenen Vielfältigen
dargestellt, der notwendig in den Gesetzen des Bewußtseins begründet wurde und deshalb
Bedeutung für jegliches denkende Subjekt hat, wobei es sich von der subjektiven Einheit des
Bewußtseins unterscheidet, die nur individuelle Bedeutung hat. Wie schon bemerkt, ist Kants
Teilung in das Subjektive und Objektive nicht stichhaltig, da in beiden Fällen die Urteile in den
Grenzen des Subjektiven bleiben. Von der vorläufigen Bestimmung ging Kant dann zur
Definition des Urteils über, in welchem sich die eben genannte Verknüpfung realisiert. Während
Kant in den „Prolegomena“ einen Unterschied zwischen subjektivem Urteil der Wahrnehmung
und dem Erfahrungsurteil machte, hat er in der zweiten Ausgabe der „Kritik der reinen Vernunft“
den Sinn des Wahrnehmungsurteils eingeengt und es mit dem Erfahrungsurteil identifiziert. Nur
mittels der Kategorien entstehen die die Erkenntnis bildenden Urteile, die jenen inneren
Zusammenhang realisieren, zu dem alle unsere Anschauungen fähig sein müssen.
Der Fakt der Verknüpfung der Anschauungen mittels der Urteile, genauso wie die Begründung
ihrer Möglichkeit wird im zweiten Stadium der Deduktion bewiesen. Hier wird besonders der
Gedanke verfolgt und betont, dass die gesamte Welt unserer Anschauungen gesetzmäßig durch
die Einbildungskraft nach den Normen der Kategorien herausgebildet wird, weshalb die
Kategorien selbst und die aus ihnen hergeleiteten Gesetze der Natur immer wieder entdeckt
werden können.
Nun wollen wir untersuchen, welche Bedeutung Kant den Begriffen „Ding an sich“ und
„Erscheinung“ gegeben hat. Der erste ist im Verständnis des Philosophen die Wirklichkeit an
sich, die auf eine bestimmte Weise auf das Subjekt einwirkt, aber das Subjekt hat über sie kein
zuverlässiges Wissen. Das Ding an sich ist nicht erkennbar. Etwas anderes ist es mit der
Erscheinung. Die Wissenschaft, die wissenschaftlich-theoretische Erkenntnis hat es laut Kant nur
mit der Welt der Erscheinungen zu tun, mit der Natur als Gesamtheit der Erfahrung, die nicht
objektiv und unabhängig vom Subjekt existiert, sondern als Gegenstand, als Objekt ist sie bedingt
und hat sich mittels allgemeiner Formen der Anschauung und des Denkens herausgebildet.
Für Kant ist die Welt der Erscheinungen nur Material der Erkenntnis, ihr notwendiges Element,
das selbst nicht imstande ist, zu Wissen zu werden. Auf diese Weise urteilend, war Kant nicht
originell. Aristoteles nahm ebenfalls an, dass die Materie nur potentiell möglich ist, und damit sie
wirklich wird, benötigt sie eine Form; ähnlich wie ein Haufen Ziegelsteine ja noch kein Haus ist,
ist die Vielfalt der sinnlichen Anschauung noch kein Wissen. So bemühte sich auch Kant - nur
unter Benutzung einer etwas anderen Terminologie - zu beweisen, dass wissenschaftlichtheoretisches Wissen nur bei Vorhandensein einer organisierenden Grundlage, d. h. apriorischer
599
Formen der sinnlichen Anschauung und des Verstandes erreichbar ist. Wobei Raum und Zeit laut
Kant apriorische Formen der Anschauung sind, und logische Kategorien - apriorische Formen des
Verstandes.
Kant glaubte auch nicht an die Möglichkeit der Erarbeitung theoretischen Wissens über das
Objekt, das absolut unabhängig vom Subjekt betrachtet wird. Wissenschaft, wissenschaftlichtheoretisches Wissen, nahm er an, haben es nur mit einem solchen Objekt zu tun, dessen
allgemeine Formierungsbedingung sich im Subjekt befindet, genauer gesagt, in der Struktur
seines Denkens.
In der modernen Philosophie wurde begründet und allseitig der Kantische Agnostizismus, sein
nicht erkennbares „Ding an sich“ und die Gegenüberstellung dieses Dinges an sich und der
Erscheinung kritisiert. Die Begründer des Marxismus wiesen auf die Unrechtmäßigkeit einer
solchen Gegenüberstellung hin und begründeten wiederum ihrerseits, dass in der praktischen
Tätigkeit und im Erkenntnisprozess ständig eine Umwandlung des Dinges an sich in ein Ding für
uns vor sich geht. „Es gibt absolut keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der Erscheinung
und den Dingen an sich und kann ihn auch nicht geben“, schrieb W. I. Lenin. „Ein Unterschied
besteht einfach zwischen dem, was erkannt ist, und dem, was noch nicht erkannt ist, und
philosophische Erfindungen über besondere Grenzen zwischen dem einen und dem anderen und
darüber, dass sich das Ding an sich „jenseits“ der Erscheinungen befindet (Kant)... - all das ist
dummes Zeug, Geschraubtheit, Erfindung“. 77
Den Agnostizismus von Kant entschieden verurteilend, traten die Begründer des Marxismus auch
gegen Versuche auf, die Kantische Philosophie mit dem konsequenten subjektiven Idealismus zu
identifizieren. In seiner Arbeit „Materialismus und Empiriokritizismus“ deckt Lenin die
Zwiespältigkeit, Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz der Kantischen Philosophie auf. „Der
Grundzug der Philosophie Kants“, schrieb er, „ist die Versöhnung des Materialismus mit dem
Idealismus, der Kompromiss zwischen dem einen und dem anderen, die Kombination
verschiedenartiger, widersprüchlicher philosophischer Richtungen. Wenn Kant annimmt, dass
unseren Vorstellungen etwas außerhalb von uns entspricht, irgendein Ding an sich, dann ist er
Materialist. Wenn er dieses Ding für unerkennbar erklärt, für transzendent, jenseitig - dann ist er
Idealist“. 78
Tatsächlich, Inkonsequenz, Vermischung von Idealismus und Materialismus durchdringen das
gesamte Kantische philosophische System, in welchem, wie schon Feuerbach vermerkte, ein
frappanter Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Denken und Sein existiert.
Während Kant die Existenz eines Dinges an sich zulässt und seine Erkennbarkeit negiert und
dabei zwischen Materialismus und Idealismus schwankt, bemüht er sich, mittels dieser Teilung in
„Ding an sich“ und „Erscheinung“ die Wissenschaft mit Moral und Religion zu versöhnen.
Nehmen wir nur seine Betrachtungen darüber, dass zur Begründung theoretischen Wissens im
Verstand des Subjektes allgemeines, apriorisches Wissen vorhanden sein muss. Auch hier sehen
wir Widersprüche: Das Subjekt (sein Bewußtsein) kann keine apriorischen Bedingungen jener
Wirklichkeit (des Gegenstandes) enthalten, die objektiv existiert und nicht vom Subjekt abhängt.
Kant bemüht sich, aus dieser Verlegenheit herauszukommen, indem er den Ausgangsgegenstand
in zwei Gegenstände teilt. Die menschlichen Kategorien sind jedoch keine allgemeinen
Bedingungen für jene Wirklichkeit (Ding an sich), die objektiv und unabhängig vom Subjekt
existiert. Folglich treten die Kategorien als allgemeine Bedingungen jenes Gegenstandes auf, der
von diesen Kategorien abhängig ist, sich mit ihrer Hilfe herausbildet, eine objektive Existenz
erhält.
Die Begriffe „Ding an sich“ und „Erscheinung“ benötigte Kant auch noch für andere Zwecke. Er
ging von folgenden Fakten aus: Es gibt Mathematik, Naturwissenschaft und praktische
Philosophie - die Moral. Während die wichtigste Bedingung für die Existenz der Wissenschaft
600
die Welt der Natur ist, die sich den allgemeinen Bedingungen des Verstandes unterordnet, haben
wir es bei der Moral, der praktischen Philosophie mit einer bedingungslosen Welt, mit der
Freiheit zu tun.
Wie ist die Widersprüchlichkeit dieser beiden Gebiete zu rechtfertigen? Dabei hilft, war Kant
überzeugt, die Teilung in „Ding an sich“ und „Erscheinung“. „Weil das“, schrieb Kant, „was uns
notwendig dazu anregt, über die Grenzen der Erfahrung und aller Erscheinungen hinauszugehen,
das Bedingungslose ist, das die Vernunft notwendig und völlig zu Recht in den Dingen an sich als
Ergänzung zu allem Bedingten sucht, dabei eine abgeschlossene Reihe von Bedingungen
fordernd. Wenn sich jedoch bei der Annahme, dass sich das von unserer Erfahrung erworbene
Wissen nach den Gegenständen als Dingen an sich richtet, erweist, dass das Bedingungslose
überhaupt nicht ohne Widersprüche denkbar ist, und, im Gegenteil, bei der Annahme, dass sich
nicht die Vorstellungen von den Dingen, wie sie uns gegeben sind, nach diesen Dingen als
Dingen an sich richten, sondern diese Gegenstände sich als Erscheinungen eher danach richten,
wie wir sie uns vorstellen, entfällt dieser Widerspruch, und folglich muss sich das
Bedingungslose nicht in den Dingen befinden, soviel wir wissen (soweit sie uns gegeben sind),
sondern in den Dingen, insofern wir sie nicht kennen, [d. h.] wie in den Dingen an sich, - hieraus
wird klar, dass die von uns zu Beginn in Form eines Versuches gemachte Annahme begründet
ist“. 79
Nach Untersuchung dieser Gruppe von Argumenten unterwarf sich Kant der Versuchung ihrer
Überprüfung und bemühte sich zu klären, was wäre, wenn man bei der Erforschung der Welt
nicht in Dinge an sich und Erscheinungen teilen würde. Dann wäre folgendes: „In einem solchen
Falle müßten sich das Gesetz der Kausalität und folglich der Mechanismus der Natur bei der
Definition der Kausalität unbedingt auf alle Dinge überhaupt als funktionierende Ursachen
erstrecken. Dann wäre es unmöglich, ohne in klaren Widerspruch zu geraten, von ein und dem
gleichen Wesen, z. B. von der menschlichen Seele, zu sagen, dass ihr Wille frei, gleichzeitig
jedoch der natürlichen Notwendigkeit untergeordnet, d. h. nicht frei ist. [Der Widerspruch würde
hier entstehen], weil ich in beiden Behauptungen die menschliche Seele in ein und der gleichen
Bedeutung nehme, nämlich als Ding überhaupt (als Sache an sich), und sie nicht anders nehmen
konnte, ohne vorher Kritik angewendet zu haben“. 80 Und vor dem Widerspruch Angst habend
und ihn nicht auf andere Weise lösen könnend und sich davor fürchtend, seine Berechtigung
anzuerkennen, kehrte Kant eilig zu der rettenden Teilung der Welt in Dinge an sich und
Erscheinungen zurück, da mit Hilfe einer solchen Operation „ein und der gleiche Willen in
[seiner] Erscheinungsform (in den zu beachtenden Handlungen) einerseits als sich notwendig
nach dem Gesetz der Natur richtend und deshalb nicht frei denkbar ist, andererseits aber als dem
Ding an sich gehörend und folglich deshalb dem Gesetz der Natur nicht untergeordnet, also frei
denkbar ist“. 81
Wie wir sehen, ist für Kant die Teilung in „Ding an sich“ und „Erscheinung“ wirklich notwendig,
da er bei der Begründung seiner Philosophie nicht nur von der objektiven Existenz der
Naturwissenschaften (Physik und Mathematik) ausgeht, sondern auch von der Existenz der Moral
als Objekt der praktischen Philosophie. Damit eine Wissenschaft existieren kann, sind
bekanntlich logische Kategorien notwendig, die die allgemeine Bedingung jeglicher Erfahrung
sind. Die Gesamtheit der Erfahrung ist die Natur. Die Natur wiederum ist die Arena der
Kausalität, der Gesetze, denen die Möglichkeit jeglicher Erfahrung untergeordnet ist. Eine andere
Sache ist die Moral. Sie ist unmöglich ohne die Idee der Freiheit. Auf diese Seite des Problems
eingehend, schrieb Kant: „Nehmen wir nun an, dass die Moral unbedingt Freiheit (im striktesten
Sinne dieses Worte) als Eigenschaft unseres Willens voraussetzt, dabei a priori auf solche
ursprünglichen Grundsätze als Anlagen unserer Vernunft weist, die ohne Voraussetzung der
Freiheit unmöglich wären; nehmen wir weiterhin an, dass die spekulative Vernunft bewiesen hat,
601
dass man sich Freiheit überhaupt nicht vorstellen kann. In solchem Falle muss die erste
Voraussetzung, nämlich die moralische, unbedingt demjenigen den Platz räumen, dessen
Gegensatz einen offensichtlichen Widerspruch enthält“. 82
Kant vermutete, dass es ohne Teilung in „Ding an sich“ und „Erscheinung“ unmöglich ist, die
Unfreiheit der Natur und die Freiheit der Moral zu vereinen; sie würden einander widersprechen.
Sobald man aber eine solche Teilung zulässt, hebt sich der Widerspruch auf, und Freiheit und
Notwendigkeit bleiben in ihren Grenzen. Er schrieb darüber folgendes: „Genau so eine Erklärung
des positiven Nutzens der kritischen Leitsätze der reinen Vernunft kann man bezüglich der
Begriffe Gott und der einfachen Natur unserer Seele geben, aber der Kürze halber verzichte ich
darauf. Ich kann folglich nicht einmal die Existenz Gottes, der Freiheit und der Unsterblichkeit
für den Zweck der notwendigen praktischen Anwendung der Vernunft zulassen, wenn ich der
spekulativen Vernunft nicht auch ihre Ansprüche auf transzendentes Wissen nehme, weil die
Vernunft beim Streben nach diesem Wissen solchen Leitsätzen folgen muss, die - in Wirklichkeit
nur auf die Gegenstände der möglichen Erfahrung anwendbar - auf das angewendet werden, was
nicht Gegenstand der Erfahrung sein kann, und es in diesem Falle in Erscheinungen verwandeln,
damit jede praktische Erweiterung der reinen Vernunft für unmöglich erklärend. Deshalb musste
ich das Wissen aufheben, um dem Glauben Platz zu machen“. 83
Auf diese Art und Weise ist Kant in dem Bestreben, Widersprüche zu vermeiden, in die
Sackgasse des Idealismus und Agnostizismus geraten. Der Idealist Kant konnte den Anschlag der
Vernunft auf Gott nicht zulassen, hat ihr aber nicht das Recht abgesprochen, die gegenständliche
Welt zu erkennen, d. h. er bemühte sich, das Unvereinbare - Wissenschaft und Religion - zu
vereinbaren, und die Begriffe „Ding an sich“ und „Erscheinung“ leisteten ihm dabei einen guten
Dienst.
____________________________
1. Marx K, Engels F. Werke, Bd. 20, S. 366 - 367
2. Siehe Borodai J. M. Einbildungskraft und Erkenntnistheorie (Kritischer Essay zur Kantischen
Lehre von der produktiven Fähigkeit der Einbildungskraft) M. 1966
3. Im weiteren wird der Titel dieser Arbeit von I. Kant in abgekürzter Form angeführt
4. Marx K., Engels F. Werke, Bd. 20, S. 56 - 57
5. Aristoteles. Metaphysik. M. - L., 1934, S. 126
6. siehe a. a. O.
7. Lenin W. I. Sämtliche Werke, Bd. 29, S. 327
8. Kant I. Werke in 6 Bd., M. 1964-1965, Bd. 1, S. 156
9. a. a. O.
10. Arsenjew A., Gulyga A. Frühe Arbeiten Kants (einleitender Artikel) // Kant I. Werke Bd. 2,
M., 1964, S. 18
11.Newton I. Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, M., 1989, S. 659
12. Kant I. Werke, Bd. 1, S. 208
13. a. a. O., S. 211
14. a. a. O., Bd. 3, S.74
15. a. a. O.
16. a. a. O., Bd. 4, S. 88
17. a. a. O., Bd. 2, S. 246
18. a. a. O., S. 254
19. a. a. O., S. 365
20. a. a. O., Bd. 3, S. 634
602
21. a. a. O., S. 636
22. a. a. O., S. 632
23. a. a. O., S. 99
24. Descartes R. Ausgewählte Werke, M., 1950, S. 416
25. a. a. O., S. 87
26. a. a. O., S. 98
27. a. a. O., S. 89
28. a. a. O., S. 94
29. a. a. O., S. 91
30. a. a. O., S. 272
31. a. a. O., S. 274
32. Kant I. Werke Bd. 3, S. 106
33. a. a. O., S. 107
34. a. a. O.
35. a. a. O., S. 106
36. a. a. O., S. 155
37.Hegel. Werke Bd. 11, S. 430
38. Setschenow I. M. Ausgewählte Werke. M., 1953, S. 187, 270
39. Kant I. Werke Bd. 3, S. 83
40. a. a. O., S. 83
41. Lenin W. I. Sämtliche Werke Bd. 29, S. 86
42. siehe Hegel Werke Bd. 11, S. 427
43. a. a. O. Bd. 4, S. 26
44. Kant I. Werke Bd. 3, S. 178
45. a. a. O. Bd. 4, Teil 1, S. 116-117
46. Hegel. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. M., 1930, S. 274
47. Kant I. Werke Bd. 4, Teil 1, S. 140
48. a. a. O., Bd. 3, S. 213
49. a. a. O., Bd. 4, Teil 1, S. 73
50. a. a. O., Bd. 3, S. 186
51. a. a. O., S. 164
52. a. a. O., S. 680
53. Hegel. Werke Bd. 4, S. 3
54. Marx K. Engels F. Werke Bd. 12, S. 727
55. Kant I. Werke Bd. 3, S. 681
56. a. a. O. S. 681-682
57. Hegel. Werke Bd. 4, S. 10
58. a. a. O., S. 6
59. Lenin W. I. Sämtliche Werke Bd. 29, S. 318
60. Kant I. Werke Bd. 3, S. 214
61. a. a. O., S. 182
62. a. a. O., S. 190
63. a. a. O.
64. Hegel. Die Wissenschaft der Logik, M., 1972, Bd. 3, S. 23
65. a. a. O.
66. Kant I. Werke Bd. 3, S. 91
67. a. a. O., S. 193
68. a. a. O., S. 195
603
69. a. a. O., S. 192
70. a. a. O., S. 195
71. a. a. O., S. 84-85
72. a. a. O., S. 85-86
73. a. a. O., S. 87
74. a. a. O.
75. a. a. O., S. 87-88
76. Marx K., Engels F. Werke Bd. 3, S. 1
77. Lenin W. I. Sämtliche Werke Bd. 18, S. 102
78. a. a. O., S. 206
79. Kant I. Werke Bd. 3, S. 89-90
80. a. a. O., S. 93-94
81. a. a. O., S. 94
82. a. a. O., S. 94-95
83. a. a. O., S. 95
604
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