Dr. Rainer Reuter Dozent am Theologischen Seminar der ELKRAS 3. Advent, 15.12.2002 Predigttext: Mt 11,2-10 Gnade sei mit uns und Friede von Gott, dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Liebe Gemeinde, wenn ich es recht bedenke, ist uns Johannes der Täufer eigentlich keine sonderlich gut bekannte Gestalt. Er steht ganz im Schatten Jesu. In der Wüste hat er gelebt, hat gepredigt und getauft. Viel mehr fällt uns meistens zu Johannes nicht ein. Johannes der Täufer als Vorläufer Jesu, als Rufer in der Wüste, der dem kommenden Messias den Weg bereitet, so haben ihn die ersten Christen gesehen, und so erscheint er in unseren Evangelien. Und genau so ist er auf einem berühmten mittelalterlichen Altarbild gemalt: Johannes der Täufer neben dem gekreuzigten Jesus stehend, mit überlangem Zeigefinger auf ihn deutend, als wolle er sagen: Er ist es, auf den wir gewartet haben. Er ist es, in dem das Heil Gottes in unsere Welt gekommen ist. Er ist es, in dem Gott uns nahe gekommen ist. Als Vorläufer Jesu, als Prophet des kommenden Messias gehört Johannes in die Adventszeit, in die Zeit der Erwartung und der Vorbereitung auf Weihnachten. Doch ich habe noch eine andere Bezeichnung für die Beziehung der beiden Männer zueinander im Sinn: Eigentlich war Johannes so etwas wie Jesu älterer Bruder. Aber er war ein älterer Bruder, der ziemlich früh wußte, daß der jüngere größer und bedeutender werden würde als er selbst. Die Evangelien des Neuen Testaments erzählen einprägsame Geschichten, um auf dieses Verhältnis hinzuweisen. So erzählt der Evangelist Lukas von der ersten Begegnung zwischen Johannes und Jesus. Sie findet schon vor der Geburt statt, als Maria, die mit Jesus schwanger ist, ihre Cousine Elisabeth besucht, die mit Johannes schwanger ist. Lukas schreibt: "Maria aber ging auf das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zachäus und grüßte Elisabeth, und als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe." und Elisabeth segnet Maria als die Mutter des künftigen Heilands und sagt zu Maria: "Siehe, da ich deine Stimme hörte, hüpfte vor Freuden das Kind in meinem Leibe." Wir wissen nicht, ob sich das wirklich so ereignet hat. Doch wir können wissen, was die ersten Christen mit dieser Geschichte ausdrücken wollten. Sie wollten sagen: Johannes war einer, der einen Sinn hatte für das Kommen Gottes. Johannes war einer, der schon im Mutterleib ahnte: das Heil ist uns ganz nahe. Johannes war einer, der schon zu Beginn seines Lebens die Freude spürte, die das Kommen Gottes mit sich bringt. Die nächsten Ereignisse, die wir über Johannes erfahren, geschahen viele Jahre später. Er ist erwachsen geworden, und wer zu ihm wollte, der mußte ihn in der Wüste aufsuchen, fernab von den Annehmlichkeiten der Zivilisation. Gelebt hat er von dem, was er dort fand: Heuschrecken und wildem Honig. Er predigte in der Wüste, sammelte Jünger um sich, taufte im Wasser des Jordan. So lesen wir es aus den Evangelien. Von Jesus war zu dieser Zeit noch niemandem etwas bekannt. Der lebte zu dieser Zeit noch bei seinen Eltern in Nazareth, bis er etwa 30 Jahre alt war. Ihn kannte man damals noch nicht. Aber der Johannes in der Wüste, so unwahrscheinlich es klingt, der war bekannt und berühmt. Er war davon überzeugt, daß die Ankunft Gottes nahe bevorstand. Er war davon überzeugt, daß die Menschheit vor einer Wende stünde und deshalb Buße nötig sei. Und diese Buße sollte eine Umkehr des ganzen Menschen sein, nicht nur so eine innere Zerknirschung. Umkehr des ganzen Menschen, Erneuerung des ganzen Lebens - Johannes weiß - und er sagt das frei heraus, daß sich bei uns Menschen eine Menge ändern muß, bevor wir sagen können: Gott ist bei uns. Er weiß, da ist vieles, was Gott den Weg zu uns verstellt: unser Selbstvertrauen, unsere Selbstsicherheit; unser Egoismus und unser Hochmut. Johannes war einer, der ahnte: wir müssen herunter von unserem hohen Roß, wir müssen uns kleiner machen, wir müssen von uns selbst absehen können, damit wir Menschen Gott überhaupt wahrnehmen können. Wir müssen unser Leben ändern, damit diese Welt so wird, wie Gott sie haben will. Deshalb ging er in die Wüste und sammelte dort seine Jünger. Er änderte sein Leben und das seiner Anhänger von Grund auf. Er lebte, um Gott zu erwarten und Gott zu verkündigen. Daß er gerade die Wüste als Aufenthaltsort wählte, das hatte durchaus seinen Sinn. Wüste, das ist ödes und unfruchtbares Land. Dort zu leben ist zwar nicht gerade unmöglich, aber doch mit großen Mühen und Strapazen verbunden. Und vielleicht wollte Johannes gerade das ausdrücken: Eigentlich ist unser Leben eine Wüste. Und wenn wir ein wenig darüber nachdenken, vielleicht würden wir ihm zustimmen. Die Art, wie wir Menschen miteinander umgehen, unsere Selbstsucht, unsere Hartherzigkeit; unsere Gleichgültigkeit, die Kälte, die wir anderen Menschen oft entgegenbringen, all das macht unser Leben zur Wüste. Die Art, wie wir uns gegenseitig voreinander absichern, wie wir anderen vorenthalten, was sie zum Leben brauchen, die Art und Weise, wie wir in unserer Welt Mauern und Grenzen ziehen gegenüber der Not der anderen; die Art, wie wir zusehen, wie Fremdenfeindschaft wächst, die Art und weise, wie wir unbeteiligt dabei stehen wenn Haß gesät wird und Gewalttat sich ereignet, das alles macht Leben zur Wüste, wo nichts Schönes mehr gedeihen kann. Und die Art wie wir uns vor Gott benehmen, wie wir meinen, ohne ihn auszukommen, die Art, wie wir seine Gebote umgehen, das macht das Leben zur Wüste. Johannes sah das zu seiner Zeit, und er wollte, daß auch andere Menschen das sehen. Er wollte nachdenklich und neugierig machen, er wollte Menschen verlocken, ihr Leben zum Guten zu wenden und aus den Wüsten zwischen Menschen blühende Gärten zu machen. Deshalb ging er in die Wüste, predigte dort und verkündet, daß Gott im Kommen ist, daß wir Menschen uns darauf einzustellen haben; daß wir aus den Wüsten unseres Lebens heraus können. Und diejenigen, die ihm zuhörten und bereit waren, sich auf das Kommen Gottes einzustellen, die ließen sich von ihm taufen. Doch zugleich verkündigte er: "Ich taufe euch nur mit Wasser zur Buße, aber nach mir kommt einer, der ist stärker als ich, und ich bin nicht genug, um ihm die Schuhe abzunehmen." Und da in der Menge der Menschen, die zu Johannes in die Wüste hinauskommen, ist eines Tages auch Jesus und möchte von ihm getauft werden. Und nun erleben wir etwas von der Größe des Johannes: Er ist nicht geschmeichelt; er hält das auch nicht für selbstverständlich, daß er Jesus taufen soll. Nein, er sagt: "Ich müßte wohl eher von dir getauft werden. Und du kommst zu mir?" Jesus war damals noch ein unbekannter Mann, der keine einzige öffentliche Rede gehalten, keinen Menschen geheilt, keinen Jünger gewonnen hatte. Doch so wie Johannes es damals bei ihrer ersten Begegnung gewußt hat, so wußte er es auch hier am Jordan: in Jesus ist das Kommen Gottes ist ganz nahe. Er hat früher als alle anderen seine Bedeutung geahnt. Und deshalb sagt er über sich und Jesus: "Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen." "Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen" fremd klingt der Satz in unseren Ohren. Da gibt es keine Konkurrenz und keinen Neid, da gibt es keine Eifersucht und keine Besserwisserei; da gibt es keinen Versuch, das Erreichte für sich allein besitzen zu wollen. Johannes sagt nicht: "ich war früher da; du bist jünger als ich; du bist noch nicht dran" - Wir kennen die Sätze ja aus unserem eigenen Leben. Hier heißt es anders: "Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen." Johannes tritt zurück zugunsten dieses Jesus. Er weist die Menschen, die zu ihm kommen auf Jesus hin. "Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen." - Diese Bereitschaft wurde dem Johannes dann auch sehr bald abverlangt. Er wurde - wie später Jesus - festgenommen und ins Gefängnis gesperrt. Einige Zeit hat er dort zuzubringen. Aufmerksam verfolgt er die Nachrichten, die es über Jesus gibt. Und da im Gefängnis wird er plötzlich unsicher. Hat er sich nicht getäuscht? Ist Jesus wirklich der, in dem Gott uns ganz nahe kommen will? Er schickt zwei Jünger zu Jesus und läßt ihn fragen: "Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?" Jesus läßt ihm antworten: "Blinde werden sehend und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt und den Armen wird die frohe Botschaft verkündet." Jesus hat inzwischen schon viel bewirkt. Er hat gepredigt, hat Menschen gesund gemacht, an Leib und Seele. Das läßt er dem Johannes im Gefängnis sagen. Aber er tut das nicht indem er sagt: Ich habe dies und das getan, sondern er zitiert einen Vers aus dem Alten Testament. und das will heißen: "Durch Gottes Kraft habe ich das alles getan. Durch Gottes Kraft wird Menschen geholfen." Vielleicht ist es dem Johannes danach etwas heller gewesen im Gefängnis, und er hat gesehen: er hat sich nicht getäuscht. Doch aus dem Gefängnis selbst ist er nicht mehr herausgekommen. Er wurde umgebracht - wie später Jesus. Der König Herodes ließ ihn enthaupten, davon erzählen uns die Evangelien. Eine Geschichte, die sich anhört wie vieles, was Menschen, die Macht haben, anderen Menschen antun zynisch, grausam, zum Vergnügen und zur Volksbelustigung. Herodes, so wird erzählt, veranstaltete ein Fest, und bei diesem Fest tanzte die Tochter der Frau, mit der er zusammenlebte. Salome soll sie geheißen haben. Und sie tanzte so schön, daß Herodes ihr versprach, ein Geschenk zu machen, was immer sie auch wolle bis zur Hälfte seines Königreiches. Salome soll einen Wunsch äußern. Sie berät sich mit ihrer Mutter und diese befiehlt ihr, sich den Kopf Johannes des Täufers zu wünschen. Als Herodes den Wunsch hört, erschrickt er, den er möchte sich eigentlich an Johannes nicht vergreifen. Ahnt er, daß er ein Prophet Gottes ist? Doch es hilft nichts, er muß zu seinem Versprechen stehen. Und deshalb wurde Johannes der Täufer enthauptet. So endete er - ein Mann, der trotz seiner Jugend schon weise war; ein älterer Bruder Jesu im Geiste; einer, der sich selbst nicht in den Vordergrund drängte, sondern stets nur auf Gott verwies. Johannes - der Vorläufer und der Wegbereiter Jesu, der bei seinen Zeitgenossen durch sein wirken den Boden bereitete für die Saat, die Jesus dann mit seinen Worten und Taten aussäte. Etwas von seiner Neidlosigkeit, seiner Bescheidenheit möchte ich uns wünschen, etwas von seiner Hoffnung und seiner Geduld, und etwas von seinem Wissen: wo Gott kommt, da kann und soll unser Leben anders werden: menschlicher, liebevoller offen für andere. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.