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W
Norbert Kusolitsch
Maß- und
Wahrscheinlichkeitstheorie
Eine Einführung
SpringerWienNewYork
Ao. Univ.-Prof. Norbert Kusolitsch
Institut für Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie,
Technische Universität Wien, Österreich
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ISBN 978-3-7091-0684-6 SpringerWienNewYork
Tibor Nemetz
zum Gedenken
Vorwort
Dieses Buch ist aus Vorlesungen über „Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie“
entstanden, die ich in den letzten Jahren an der TU Wien für drittsemestrige Studenten mit grundlegenden Kenntnissen aus Analysis im Anschluss an
eine elementare Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung gehalten habe. Es ist daher empfehlenswert, wenn der Leser ein entsprechendes Wissen
mitbringt, aber, um auch für das Selbststudium geeignet zu sein, ist das Buch
so konzipiert, dass es für sich alleine gelesen werden kann (die dafür notwendigen Begriffe und Resultate sind im Anhang zusammengestellt).
Es sei betont, dass es sich um ein Lehrbuch handelt, das sich an einen Leserkreis wendet, der sich einen ersten Überblick über die wesentlichsten Themen und Problemstellungen der Maß- und Integrationstheorie, sowie der auf
maßtheoretischen Konzepten aufbauenden Wahrscheinlichkeitstheorie verschaffen möchte. Keinesfalls ist es für Experten gedacht, die nach einer umfassenden Darstellung mit Verweisen auf die Originalliteratur suchen, oder die
sich einen Überblick über die neuesten Entwicklungen verschaffen möchten.
Diejenigen Leserinnen und Leser, denen dieses Buch als Einstiegsdroge
dient - ich hoffe es gibt welche - und die sich eingehender mit einem oder beiden Fachgebieten auseinandersetzen wollen, finden in der Literaturliste eine
Reihe empfehlenswerter Werke. Zur Maß- und Integrationstheorie hervorheben möchte ich das gleichnamige Buch von J. Elstrodt, Neben einer umfangreichen Bibliographie an Originalarbeiten enthält es zahlreiche Bemerkungen
über die historischen Entwicklungen und etliche Kurzbiographien von Mathematikern, die bedeutende Beiträge zu diesem Themenkreis geleistet haben.
Ein ausgezeichnetes Buch, das beide Gebiete sehr ausführlich und umfassend
behandelt, ist P. Billingsley’s „Probability and Measure“, und zur Wahrscheinlichkeitstheorie seien neben den klassichen zwei Bänden von W. Feller vor
allem die Bücher von L. Breiman und D. Williams erwähnt.
Der Zielsetzung des Buches entsprechend habe ich nicht immer die kürzeste und eleganteste Darstellung gewählt, sondern um des besseren Verständnisses willen mitunter auch Umwege in Kauf genommen oder auf Beweisideen zurückgegriffen, die mir intuitiver schienen. So wird etwa Lebesgues
viii
Vorwort
Satz über die Differenzierbarkeit monotoner Funktionen nicht, wie meist üblich, mit Hilfe von Vitali-Überdeckungen bewiesen, sondern ich habe dazu
den geometrisch so anschaulichen Satz von Riesz über die aufgehende Sonne
verwendet.
Für einen einsemestrigen kombinierten Kurs über Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie ist der Umfang wohl zu groß. Da wird man eine Auswahl
treffen müssen, etwa durch Verzicht auf die Abschnitte 6.6 - 6.8, 7.4 , 7.7,
7.8, 8.4, 10.3, 10.4, 13.3, 13.4, 14.3, 15.4, 17.3 - 17.5 sowie das gesamte
Kapitel 16. Die Auswahl für einen Semesterkurs, der nur Maß- und Integrationstheorie behandelt, ergibt sich von selbst, und in zwei Semestern sollte es
möglich sein den gesamten Stoff durchzuarbeiten.
Mein besonderer Dank gilt den Studentinnen und Studenten, die bei der
Verfassung des Manuskripts und der Erstellung der Grafiken mitgeholfen haben. Danken möchte ich aber auch jenen die mit Anregungen, Ratschlägen
und Berichtigungen zur Verbesserung des Textes und der Beseitigung zahlreicher Fehler beigetragen haben. Für die verbleibenden Fehler und Unklarheiten ist selbstverständlich der Autor verantwortlich. Den Leserinnen und
Lesern danke ich im Voraus, wenn sie mich darauf aufmerksam machen oder
mir sonstige Verbesserungsvorschläge mailen (an [email protected]).
Und zu guter Letzt danke ich dem Team des Springer-Verlages, Wien, insbesondere Frau Schilgerius und Frau Mag. Martiska für die wohlwollende Unterstützung und kompetente technische Hilfe, mit der sie zur Verwirklichung
und Fertigstellung des Buches beigetragen haben.
Wien, Oktober 2010
Norbert Kusolitsch
Inhaltsverzeichnis
1
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 Ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
2
Mengen und Mengensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Elementare Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Algebren und σ-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Semiringe, Ringe und σ-Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Erzeugte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5 Monotone Systeme und Dynkin-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
5
10
13
19
22
3
Mengenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 Inhalte und Maße auf Semiringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Die Fortsetzung von Inhalten und Maßen auf Ringe . . . . . . . . . .
3.3 Eigenschaften von Inhalten und Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Additionstheorem und verwandte Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
27
30
32
35
4
Fortsetzung von Maßen auf σ–Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 Äußere Maße und Carathéodory-Messbarkeit . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Fortsetzungs- und Eindeutigkeitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Vervollständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
41
43
46
5
Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
5.1 Die durch ein Ereignis bedingte Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . 51
5.2 Unabhängigkeit von Ereignissystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
6
Lebesgue-Stieltjes-Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1 Definition und Regularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Verteilungsfunktionen auf R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3 Das Lebesgue-Maß auf R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.4 Diskrete und stetige Verteilungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.5 Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
57
59
61
63
66
x
Inhaltsverzeichnis
6.6 Verteilungsfunktionen auf Rk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
6.7 Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf (Rk , Bk ) . . . . . . . . . . . . . . . 76
6.8 Das k-dimensionale Lebesgue-Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
7
Messbare Funktionen - Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
7.1 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
7.2 Erweitert reellwertige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
7.3 Treppenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
7.4 Baire-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
7.5 Subsigmaalgebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
7.6 Unabhängige Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
7.7 Verallgemeinertes Null-Eins-Gesetz von Kolmogoroff . . . . . . . . . 101
7.8 Cantor-Menge und nichtmessbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
7.9 Konvergenzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
8
Die Verteilung einer Zufallsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
8.1 Das induzierte Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
8.2 Gemeinsame Verteilung und Randverteilungen . . . . . . . . . . . . . . 114
8.3 Die inverse Verteilungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
8.4 Maßtreue Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
9
Das Integral - Der Erwartungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
9.1 Definition des Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
9.2 Konvergenzsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
9.3 Das unbestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
9.4 Zusammenhang zwischen Riemann- und Lebesgues-Integral . . . 145
9.5 Das Integral transformierter Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
10 Produkträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
10.1 Die Produktsigmaalgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
10.2 Der Satz von Fubini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
10.3 Maße auf unendlich-dimensionalen Produkträumen . . . . . . . . . 176
10.4 Null-Eins-Gesetz von Hewitt- Savage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
10.5 Stetige Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
10.6 Die Faltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
11 Zerlegung und Integraldarstellung signierter Maße . . . . . . . . . . . . 195
11.1 Die Hahn-Jordan-Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
11.2 Die Lebesgue-Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
11.3 Der Satz von Radon-Nikodym . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
12 Integral und Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
12.1 Funktionen von beschränkter Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
12.2 Absolut stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
12.3 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . 210
Inhaltsverzeichnis
xi
13 Lp - Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
13.1 Integralungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
13.2 Vollständigkeit der Lp -Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
13.3 Gleichmäßige Integrierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
13.4 Der Dualraum zu Lp (Ω, S, μ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
14
Bedingte Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
14.1 Der Satz von der vollständigen Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
14.2 Die durch eine σ-Algebra bedingte Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . 234
14.3 Reguläre, bedingte Wahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
15 Gesetze der großen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
15.1 Die Varianz und andere Momente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
15.2 Schwache Gesetze der großen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
15.3 Starke Gesetze der großen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
15.4 Ergodensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
16
Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
16.1 Definition und grundlegende Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
16.2 Transformation von Submartingalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
16.3 Konvergenzsätze für Submartingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
17
Verteilungskonvergenz und Grenzwertsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
17.1 Schwache Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
17.2 Der klassische zentrale Grenzverteilungssatz . . . . . . . . . . . . . . . 293
17.3 Schwache Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
17.4 Charakteristische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
17.5 Der Grenzverteilungssatz von Lindeberg-Feller . . . . . . . . . . . . . . . 309
A
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
A.1 Das Diagonalisierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
A.2 Das Auswahlaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
A.3 Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
A.4 Topologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
A.5 Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
A.6 Konvexe Mengen und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
A.7 Eindeutigkeit der Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
A.8 Trigonometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
A.9 Komplexe Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
A.10 Funktionalanalysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
A.11 Drehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
1
Einführung
1.1 Ein Beispiel
Wirft man einen Würfel bis zur ersten Sechs, so kann man die Wahrscheinlichkeit, dass dies gerade beim n-ten Wurf passiert, berechnen, indem man die
Menge Ωn := {1, . . . , 6}n aller n-Tupel betrachtet, die man mit den Augenzahlen 1, . . . , 6 bilden kann. Ωn besteht aus |Ωn | = 6n Elementen und bei einem
fairen Würfel sollte jedes n-Tupel gleich wahrscheinlich sein. Die erste Sechs
erscheint gerade dann beim n-ten Wurf, wenn das n-Tupel der Wurfergebnisse
in An := {(x1 , . . . , xn−1 , 6) : xi ∈ {1, . . . , 5} ∀i = 1, . . . , n − 1} liegt. Wegen |An | = 5n−1 folgt dann aus der klassischen Wahrscheinlichkeitsdefinition
günstige Fälle
5n−1
P (An ) =
= n .
mögliche Fälle
6
Um die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Ausgänge zu bestimmen, haben wir für jedes n einen anderen Wahrscheinlichkeitsraum Ωn verwendet.
Man kann dies nur umgehen, wenn man als Raum der Versuchsausgänge
die Menge Ω := {(x1 , x2 , . . . ) : xi ∈ {1, . . . , 6} ∀ i ∈ N} aller Folgen, die mit
den Zahlen 1, . . . , 6 gebildet werden können, betrachtet.
Ersetzt man in diesen Folgen jede Sechs durch eine Null, so kann man die
∞
entsprechende Folge (x1 , x2 , . . . ) interpretieren als Zahl x :=
xi 6−i , ani=1
n
geschrieben im 6-adischen Zahlensystem. Bei Zahlen der Form
xn = 0 , die auch periodisch als
n−1
i=1
xi 6−i + (xn − 1) −n + 5
i=1
∞
xi 6−i mit
6−i ange-
i=n+1
schrieben werden können, wollen wir immer die endliche Form verwenden.
Dadurch entspricht jeder Zahl aus [0, 1) eine eindeutige Folge.
Wir werden etwas später sehen, dass es praktisch keine Rolle spielt, wenn
wir damit den Folgen (x1 , . . . , xn , 5, 5, . . . ), xn < 5 keine Zahl zuordnen kön-
2
1 Einführung
nen. Aber auf Grund der obigen Ausführungen ist klar, dass unser Raum Ω
überabzählbar sein muss.
Wir haben angenommen, dass jedes konkrete n-Tupel (x1 , . . . , xn ) ∈ Ωn
mit der gleichen Wahrscheinlichkeit P ((x1 , . . . , xn )) := 6−n auftreten kann.
Die Menge aller Folgen, deren erste n Würfe durch das n-Tupel (x1 , . . . , xn )
festgelegt sind, bezeichnen wir mit A(x1 , . . . , xn ) , d.h.
A(x1 , . . . , xn ) := {(x1 , . . . , xn , xn+1 , . . . ) : xn+i ∈ {0, . . . , 5}
Der Folge (x1 , . . . , xn , 0, . . . ) entspricht die Zahl x :=
n
∀ i ∈ N} .
xi · 6−i und der Folge
i=1
(x1 , . . . , xn , 5, . . . ) ist die Zahl x + 6−n zugeordnet. Da wir keine periodischen
Darstellungen der Form (x1 , . . . , xn , 5, . . . ) zulassen, entsprechen den Folgen
aus A(x1 , . . . , xn ) die Zahlen aus dem Intervall [x, x + 6−n ) , und die Länge
dieses Intervalls ist gerade die Wahrscheinlichkeit von A(x1 , . . . , xn ) , d.h.
P (A(x1 , . . . , xn )) = 61n .
Von einem sinnvollen Wahrscheinlichkeitsbegriff wird man verlangen,
dass keine Untermenge wahrscheinlicher als eine sie enthaltende Obermenge
sein sollte. Man nennt das die Monotonie der Wahrscheinlichkeit.
Da für jede Folge (x1 , x2 , . . . ) gilt (x1 , x2 , . . . ) ∈ A(x1 , . . . , xn ) ∀ n ∈
N , muss daraus folgen P ({(x1 , x2 , . . . )}) ≤ 61n ∀ n ∈ N , d.h. jede
Folge hat Wahrscheinlichkeit P ((x1 , x2 , . . . )) = 0 . Damit ist klar, dass
die Wahrscheinlichkeitsverteilung P nicht durch die Wahrscheinlichkeiten
der einzelnen Punkte von Ω festgelegt werden kann. Außerdem kann man
überabzählbar
viele Terme nicht aufsummieren, d.h. eine Summe der Form
P ((x1 , x2 . . .)) ergibt keinen Sinn.
(x1 ,x2 ,...)∈ A(x1 ,x2 ,...,xn )
Die Menge der Folgen (x1 , . . . , xn , 5, 5, . . . ), xn < 5, n ∈ N ist abzählbar.
Daher kann man die Summe der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Punkte
dieser Menge bilden und erhält Wahrscheinlichkeit 0 , was durchaus unserer Intuition entspricht, denn man wird es für ausgeschlossen halten, dass
bei einem fairen Würfel ab einem bestimmten Zeitpunkt nur mehr Sechsen
geworfen werden. Somit ist es praktisch irrelevant sich mit dieser Menge zu
beschäftigen.
∞
Ist nun [a, b) ein beliebiges Teilintervall von [0, 1) mit a =
ai 6−i und
b=
∞
i=1
−i
bi 6
, und bezeichnet man die auf n Stellen abgerundeten Werte von
i=1
a und b mit ân bzw. b̂n (d.h. ân =
n
i=1
ai 6−i bzw. b̂n =
n
bi 6−i ), so bilden die
i=1
Intervalle [ân , ân +6−n ), [ân +6−n , ân +2·6−n ), . . . , [b̂n , b̂n +6−n ) eine disjunkte
Überdeckung von [a, b) , deren Wahrscheinlichkeit der Summe b̂n + 6−n −
ân der Längen der Teilintervalle entspricht. Ohne die beiden Randintervalle
[ân , ân + 6−n ) , [b̂n , b̂n + 6−n ) reduziert sich die Gesamtlänge der Vereinigung
der verbleibenden Intervalle auf b̂n −ân −6−n und diese Vereinigung liegt nun
zur Gänze in [a, b) . Wegen der Monotonie der Wahrscheinlichkeitsverteilung
1.1 Ein Beispiel
3
sollte daher gelten b̂n − ân − 6−n ≤ P ([a, b)) ≤ b̂n − ân + 6−n . Daraus folgt
lim b̂n = b und lim 6−n = 0
wegen lim ân = a,
n→∞
n→∞
n→∞
P ([a, b)) = b − a .
Diese Verteilung, die jedem Teilintervall [a, b) ⊆ [0, 1), a ≤ b seine Länge
b − a als Wahrscheinlichkeit zuordnet, wird stetige Gleichverteilung auf [0, 1)
genannt. Der Name rührt daher, dass jedes Teilintervall mit einer gegebenen Länge dieselbe Wahrscheinlichkeit besitzt, unabhängig von seiner Lage
in [0, 1) . Man sagt auch, die stetige Gleichverteilung ist translationsinvariant.
Wir zeigen nun, dass es unmöglich ist, durch P jeder Teilmenge von [0, 1)
eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen, wenn man fordert, dass man die Wahrscheinlichkeiten abzählbar vieler disjunkter Mengen aufsummieren darf, und,
wenn man die Forderung der Translationsinvarianz aufrecht erhalten möchte.
Mit den Bezeichnungen x := max{z ∈ Z : z ≤ x}, x mod 1 := x − x
ist x ∼ y ⇔ (x − y) mod 1 ∈ Q ∩ [0, 1) eine Äquivalenzrelation. und bestimmt
daher eine Klassenzerlegung von [0, 1) .
Man nimmt nun aus jeder Klasse genau ein Element und bildet damit eine
Menge A (das Auswahlaxiom A.2 besagt, dass dies möglich ist). Somit gilt
x = y , x, y ∈ A ⇒ (x − y) mod 1 ∈
/ Q.
Ist A + x := {y = (a + x) mod 1 : a ∈ A} , dann bilden die {A + q : q ∈ Q}
eine disjunkte Zerlegung von [0, 1) , denn für q1 = q2 , qi ∈ Q gilt klarerweise
A + q1 ∩ A + q2 = ∅ , und für jedes x ∈ [0, 1) gibt es ein y ∈ A , sodass
A+q .
x ∼ y ⇒ ∃ q : x−y mod 1 = q ∈ Q ⇒ x ∈ A+q. Also [0, 1) =
q∈Q ∩[0,1)
Die Translationsinvarianz bedeutet P (A + q) = P (A) ∀ q ∈ Q .
Darf man
nun die Wahrscheinlichkeiten der A + q aufsummieren, so gilt
0
, wenn P (A) = 0
P ([0, 1)) =
∞ , wenn P (A) > 0 .
Das widerspricht P ([0, 1)) = 1 , womit unsere Behauptung bewiesen ist.
Wir müssen also für die stetige Gleichverteilung einen kleineren Definitionsbereich als die Potenzmenge von [0, 1) suchen.
2
Mengen und Mengensysteme
2.1 Elementare Mengenlehre
Mit P(Ω) := {A : A ⊆ Ω} bezeichnen wir die Potenzmenge von Ω = ∅ .
Die mengentheoretischen Operationen werden als bekannt vorausgesetzt.
A∪B
A∩B
A \ B := A ∩ B c
A B := (A \ B) ∪ (B \ A)
die Vereinigung vonA und B
der Durchschnitt vonA und B
die Differenz vonA und B
die symmetrische Differenz vonA und B .
Definition 2.1. Ist f : Ω1 → Ω2 eine beliebige Abbildung und A ⊆ Ω1 , so nennt
man die Abbildung f |A : A → Ω2 , definiert durch f |A (ω) := f (ω) ∀ ω ∈ A
die Einschränkung oder Restriktion von f auf A .
Definition 2.2. Ist f : Ω1 → Ω2 eine beliebige Abbildung, so nennt man
f −1 (A) := {ω ∈ Ω1 : f (ω) ∈ A} das Urbild von A ⊆ Ω2 . In der Wahrscheinlichkeitstheorie ist auch die Schreibweise [f ∈ A]für das Urbild gebräuchlich.
Für ∅ = C ⊆ P(Ω2 ) bezeichnet f −1 (C) := f −1 (C) : C ∈ C das System
der Urbilder von C .
Lemma 2.3 (Operationstreue des Urbilds). Ist f : Ω1 → Ω2 eine beliebige
Abbildung, so gilt
1. f −1 (∅) = ∅,
2. f −1 (Ω2 ) = Ω1 ,
c
−1
c
3. f −1 (A
) =f (A) ,
Ai = (f −1 (Ai )),
4. f −1
i
i
−1
−1
5. f
Ai = (f (Ai )) .
i
i
Beweis. Die obigen Aussagen folgen unmittelbar aus Definition 2.2.
6
2 Mengen und Mengensysteme
Definition 2.4. Ist (Ωi )i∈I eine Familie von Mengen mit einer beliebigen Indexmenge I , so nennt man
Ωi := {ω : I →
Ωi : ω(i) ∈ Ωi ∀ i ∈ I}
i
i∈I
I
das kartesische Produkt der Ωi . Gilt Ωi = Ω ∀ i ∈ I , schreibt
man dafür Ω .
Ist J ⊆ I und bezeichnet man die Elemente von ΩJ :=
Ωj mit ωJ , so
j∈J
wird durch prI,J
(ω) := ωJ : ωJ (j) = ω(j) ∀ j ∈ J eine surjektive Funktion
prI,J : ΩI :=
Ωi → ΩJ definiert, die man Projektion von ΩI auf ΩJ nennt.
i∈I
Statt prI,J schreibt man auch prJ bzw. prj , wenn J = {j} , wenn I gegeben ist.
Bemerkung 2.5.
Ωi der Raum der n-Tupel (ω1 , . . . , ωn ) , d. h. es gilt
1. Für |I| = n ist
i∈I
Ωi = {(ω1 , . . . , ωn ) : ωi ∈ Ωi ∀ i} .
i∈I
Ωi = {(ω1 , ω2 , . . .) : ωi ∈ Ωi n∀ i} als
2. Bei abzählbarem I kann
i∈I
Folgenraum angeschrieben werden.
Ωi .
3. Ist A ⊆ ΩJ , J ⊂ I , so gilt klarerweise pr−1
J (A) = A ×
i∈J c
Lemma 2.6. Sind A, B und C beliebige Teilmengen einer Menge Ω , so gilt:
1. A ∩ B = B ∩ A ,
2. A ∩ (B ∩ C) = (A ∩ B) ∩ C ,
3. A B = B A ,
4. A B = Ac B c ,
5. A ∅ = A ,
6. A A = ∅ ,
7. A B = (A ∪ B) \ (A ∩ B) ,
8. (A B)c = (A ∩ B) ∪ (Ac ∩ B c ) ,
9. A (B C) = (A B) C ,
10. A ∩ (B C) = (A ∩ B) (A ∩ C) ,
11. A C ⊆ (A B) ∪ (B C) ,
12. (A ∩ B) (C ∩ D) ⊆ (A C) ∪ (B D) .
Beweis.
ad 1. -6. Diese Punkte sind trivial.
ad 7. A B = (A∩ B c ) ∪ (B ∩ Ac ) = (A∪ B) ∩ (B ∪ B c ) ∩ (A ∪ Ac ) ∩ (Ac ∪ B c )
= (A ∪ B) ∩ (Ac ∪ B c ) = (A ∪ B) ∩ (A ∩ B)c = (A ∪ B) \ (A ∩ B) .
ad 8. Aus Punkt 7. folgt (A B)c = (A∪B)c ∪(A∩B) = (Ac ∩B c )∪(A∩B) .
ad 9. (B C)\A = Ac ∩[(B ∩C c )∪(B c ∩C)] = (Ac ∩B ∩C c )∪(Ac ∩B c ∩C) .
Aus Punkt 8. folgt
A \ (B C) = A ∩ [(B ∩ C) ∪ (Ac ∩ B c )] = (A ∩ B ∩ C) ∪ (A ∩ B c ∩ C c ) .
2.1 Elementare Mengenlehre
7
Die beiden obigen Gleichungen zusammen ergeben
A (B C) = (A ∩ B ∩ C) ∪ (A ∩ B c ∩ C c ) ∪ (Ac ∩ B ∩ C c ) ∪ (Ac ∩ B c ∩ C).
Da die rechte Seite dieser Gleichung symmetrisch in A, B und C ist, muss
gelten A (B C) = (A B) C .
ad 10. Durch Umformen erhält man
(A ∩ B) (A ∩ C) = [(A ∩ B) ∩ (A ∩ C)c ] ∪ [(A ∩ B)c ∩ (A ∩ C)]
= [(A ∩ B) ∩ (Ac ∪ C c )] ∪ [(Ac ∪ B c ) ∩ (A ∩ C)]
= (A ∩ B ∩ C c ) ∪ (A ∩ B c ∩ C) = A ∩ [(B ∩ C c ) ∪ (B c ∩ C)]
= A ∩ (B C) .
ad 11. Auch dies ergibt sich durch einfache Umformung
A C = (A ∩ C c ) ∪ (Ac ∩ C)
= (A ∩ B ∩ C c ) ∪ (A ∩ B c ∩ C c ) ∪ (Ac ∩ B ∩ C) ∪ (Ac ∩ B c ∩ C)
⊆ (B ∩ C c ) ∪ (A ∩ B c ) ∪ (Ac ∩ B) ∪ (B c ∩ C) = (A B) ∪ (B C) .
ad 12. (A ∩ B) \ (C ∩ D) = (A ∩ B) ∩ (C c ∪ D c ) = (A ∩ B ∩ C c ) ∪ (A ∩ B ∩ D c )
⊆ (A ∩ C c ) ∪ (B ∩ Dc ) ⊆ (A C) ∪ (B D) .
Aus Symmetriegründen gilt auch (C ∩ D) \ (A ∩ B) ⊆ (A C) ∪ (B D) .
Lemma 2.7.
⎛
⎝
Ai
i∈I
⎞
Bj ⎠ ⊆
j∈I
(Ai Bi ) .
(2.1)
i∈I
Beweis.
⎞c
⎛
⎞
⎛
⎝Ai ∩
Ai ∩ ⎝ Bj ⎠ =
Bjc ⎠ ⊆
(Ai ∩ Bic ) ⊆ (Ai Bi ).
i
j
i
Analog zeigt man
Bj
j
j
∩
i
c
Ai
i
⊆
i
(Ai Bi ) .
i
Lemma 2.8. Sind I1 , . . . , In endliche Indexmengen, so gilt für beliebige Mengen
Ai,j i = 1, . . . , n, j ∈ Ii :
n Ai,j =
i=1 j∈Ii
und
n i=1 j∈Ii
(j1 ,...,jn )∈
Ai,j =
n
n
Ii
(2.2)
Ai,ji
(2.3)
i=1
(j1 ,...,jn )∈
Ai,ji
i=1
n
n
i=1
Ii
i=1
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