Liebe Gemeinde - Gemeinde Oberrieden

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Liebe Gemeinde
Vor knapp 2000 Jahren hat in Jerusalem die Hinrichtung eines Menschen
stattgefunden. Für die damalige Zeit nichts Ungewöhnliches. Das Gesetz des
römischen Reiches sah vor, dass bestimmte Verbrechen mit dem Tod bestraft
wurden. Eine Rechtspraxis, die sich leider auch heute noch in verschiedenen
Ländern findet. Hinrichtungen waren im römischen Reich also nichts
Besonderes, ja – sie waren gar an der Tagesordnung.
Eine übliche – und äusserst schmachvolle und grausame Hinrichtungsart war die
Kreuzigung. Dabei wurde der Verurteilte an einen Pfahl mit oder ohne
Querbalken gefesselt oder genagelt und dann seinem Schicksal überlassen. Dem
Tod, der dann durch Verdursten oder Erfrieren eintrat, ging oft ein tagelanges
Leiden voraus. Die Tatsache, dass Menschen auf diese brutale Weise und auf
Geheiss des Staates getötet wurden und noch werden, schockiert und macht
betroffen. In Jerusalem verloren um das Jahr 0 viele Menschen auf diese
grausame Weise ihr Leben. Sie sind nicht namenlos geblieben; die römischen
Behörden haben ganz genau aufgezeichnet, wen sie wann hingerichtet haben.
In diesen römischen Todeslisten ist auch eine Person vermerkt, zu deren Namen
der Zusatz steht, dass die Leute ihn „Christus“ nannten. Dieser Christus starb
unter dem römischen Statthalter Pontius Pilatus den schmachvollen Tod am
Kreuz. Er war damit einer von Vielen. – Und gleichzeitig ist er absolut
einzigartig. Er ist derjenige, von dem gemäss dem Evangelisten Lukas die
Menschen sagten: „Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!“ (Lk
23,47). Er ist derjenige über den im Matthäusevangelium geschrieben steht:
„Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ (Mt 27,54).
Schon früh wurde das Kreuz zum Symbol für den christlichen Glauben. Noch
heute schmückt es Kirchen. Es steht auf Friedhöfen und wird als Schmuck
getragen. Es ist bis heute das Sinnbild unseres christlichen Glaubens. Das Kreuz,
an dem vor knapp 2000 Jahren ein gewisser Jesus von Nazareth, den sie Christus
nannten, elendiglich starb. Von seinen Freunden verraten. Von seinen
Anhängern fallen gelassen. Von der römischen Herrschaft ermordet.
Hingerichtet. Beiseite geschafft. Das ist das Kreuz. Das Kreuz von Karfreitag.
Dieses Kreuz, an dem Jesus Christus – wie so viele andere Menschen – den Tod
fand, wurde jedoch nicht zum Symbol der Erniedrigung, der Verzweiflung, des
Verlorenseins. Nein, es wurde zum Symbol der Hoffnung. Wie konnte ein so
grausames Folterinstrument zum Symbol der Hoffnung werden?
Um auf diese Frage eine Antwort finden zu können, muss man der Geschichte
des Jesus von Nazareth und deren Bedeutung nachgehen.
Johannes schreibt im 3. Kapitel seines Evangeliums: „Denn also hat Gott die
Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle die an ihn
glauben, das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16)
Jesu Geschichte beginnt nach Johannes mit seiner göttlichen Sendung in die
Welt. Gott sendet seinen Sohn in die Welt hinein. Er setzt ihn der Welt aus. Er
setzt sich selbst der Welt und ihren Mächten aus. Und Jesus kommt mit einem
göttlichen Auftrag: Er will den Menschen Gott nahe bringen. Seine Botschaft ist
Liebe.
Doch Jesus scheitert mit seiner Mission. Er wollte den Menschen Gott nahe
bringen. Und Jesus hat den Menschen Gott so nahe gebracht, dass es schwierig
wurde, ihn von dem zu unterscheiden, den er verkündigt. Jesus hat seine
Botschaft von der Liebe Gottes so eng mit seiner Person verknüpft, dass er eine
einmalige Vollmacht für sich beanspruchte. Sein Tun und sein Reden wurden
identisch. Jesus spricht nicht nur von dem liebenden Gott, der vergibt – er lebt
diese Botschaft auch.
Jesus verkündigt nicht nur Gottes Vergebung, er macht sie zu seinem Leben. Er
hält nicht nur fromme Sonntags- oder Sabbatreden über die Ausgestossenen und
die Erniedrigten, sondern er geht selber zu ihnen hin. Er übt Solidarität mit
denen, die am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen können. Heute würde
man sagen, mit denen, die durch das soziale Netz gefallen sind.
Aber warum hat diese Botschaft Jesu, hat dieses Leben Jesu dazu geführt, dass
er hingerichtet wurde? Warum konnten ihn die Menschen, warum konnte ihn die
Welt nicht ertragen?
Wie sieht es denn heute aus? Wie käme einer wie Jesus heute in der Welt an?
Sein Anliegen, sich für die Armen und Schwachen einzusetzen würde wohl
lobende Worte finden. Aber würde seinem Aufruf zur Solidarität untereinander
Folge geleistet? Wie oft endet doch die Solidarität unter den Menschen vor der
eigenen Haustür. Den Nächsten sollen wir lieben, das leuchtet ein. Aber wer ist
denn unser Nächster? Ist es auch der Flüchtling aus Afrika, der vor den
kanarischen Inseln aus dem Meer gefischt wird oder das Kind, das KakaoBohnen für unseren Schoggihasen pflückt? Da wird auf die Gesetze des Marktes
verwiesen und mit den Schultern gezuckt „man kann als einzelner ja doch nichts
tun.“ – Wir alle kennen diese Haltung. Manchmal haben wir ein schlechtes
Gewissen deswegen und machmal verdrängen wir die Tatsache, dass die
Ärmsten auf dieser Welt chancenlos sind.
Auch von Gott zu reden, ist heute oft nicht einfach. Vielleicht sogar schwieriger
denn je. Wir befinden uns in einer Welt, in der wissenschaftliche Beweise und
rationale Erklärungen das einzige zu sein scheinen, dem man vertrauen kann. Es
ist nicht einfach, sich als religiöser Mensch, gar als „gläubiger“ Christ zu outen.
Denn mit diesem Bekenntnis werden Dimensionen des Lebens benannt, die
heute manchmal nur schwer nachvollziehbar sind.
Jesus hätte es also auch heute noch sehr schwer mit seiner Botschaft. So wie er
es vor ca. 2000 Jahren schon schwer hatte. Er wandte sich mit seiner Botschaft
vom Gott der Liebe bedingungslos den von der Gesellschaft Erniedrigten und
Ausgestossenen zu und wurde selbst ausgestossen und erniedrigt. Seine
Botschaft war ungeheuerlich; sie stellte die gegebenen Massstäbe in Frage, ja –
sie hat die Welt auf den Kopf gestellt.
Jesus war damit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Er musste weg.
Deshalb wurde ihm der Prozess gemacht. Er wurde gedemütigt, gefoltert,
hingerichtet. - Ein trauriges Ende eines hoffnungslosen Romantikers? Eines
Träumers, der die Gesetze der Welt nicht begriffen hat? Nein! Es ist das Ende
des uns Menschen liebenden Gottes! Dies ist eine der Kernaussagen des
christlichen Glaubens: Nicht irgendein Mensch ist am Kreuz gestorben; Gottes
Sohn hat dort seinen Tod gefunden – Gott selbst hat gelitten und ist den
Schmachtod gestorben.
Wie kann dieses Ereignis, wie kann das Kreuz als Symbol dieses Ereignisses
zum Gegenstand der Hoffnung werden?
Jesus, Gottes Sohn, Gott selbst hat gelitten. Er hat gelitten während im der
Prozess gemacht wurde. Er hat gelitten während er in der gleissenden Sonne von
Schmerzen der Folter geplagt sein Kreuz auf den Hügel vor Jerusalem tragen
musste. Er hat gelitten als er seinen Todeskampf am Kreuz ausfochte.
Gott weiss also um das Leid in der Welt. Er hat am eigenen Leib erfahren, was
es heisst, leiden zu müssen. Gott bleibt dem Leiden nicht fern. Nein, Gott ist
leidensfähig. Gott ist MIT-leidensfähig.
Die Botschaft vom sterbenden Gott am Kreuz bedeutet für uns also, dass wir in
unserem Leiden nicht alleine sind. Gott ist bei uns. Er ist mit uns. Er LEIDET
mit uns. Mit jedem einzelnen von uns. - Das gibt uns Hoffnung.
Jesu Botschaft der Liebe und Solidarität, die von der Welt so schwer zu erfassen
war und ist, wollte dem Leiden ein Ende setzen. Ein Leben in seiner Nachfolge
bedeutet Liebe, bedeutet Leben. - Das gibt uns Hoffnung.
Jesu Leben fand an Karfreitag sein Ende. Doch der Tod hatte nicht das letzte
Wort. So tragen wir noch heute – knapp 2000 Jahre später – die Geschichte von
Jesu Leben, seiner Botschaft und seinem Tod in die Welt hinaus.
Amen
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