Ev. Kirchengemeinde Bad Wilhelmshöhe in Kassel Pfarrerin Astrid Thies-Lomb Konfirmationspredigt Predigt am 22.4.2007 in der Christuskirche Gott gebe euch viel Barmherzigkeit, Liebe und Frieden! Über der nun folg. Predigt stehen die Zeilen: Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt, dass ich dir stetig blühe, gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe, viel Glaubensfrüchte ziehe. Liebe Jugendliche, die ihr heute hier in der Christuskirche zu Kassel-Bad Wilhelmshöhe konfirmiert werdet und liebe Konfirmationsgemeinde! Mein Gott! Was für eine alte Sprache! Werden sich die eine oder der andere gedacht haben, als ich eben den 13. Vers des Liedes „Geh´ aus mein Herz ...“ von Paul Gerhardt verlesen habe. Mein Gott! Dieses „fleußt“! Mit Segen, der vom Himmel fleußt. Oder dieses „spat“: gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe. Aber was damit gemeint ist, das versteht ihr und verstehen Sie doch? Mit Segen, der vom Himmel fließt. Aber fließt, das reimt sich nicht auf Geist, und eigentlich heißt es: in meiner Seele früh und spät. Aber spät, das reimt sich nicht auf Gnad. Mein Gott! Haben Sie vielleicht aber auch gedacht: Das, was in diesen alten Zeilen von Paul Gerhardt steht, das beschreibt doch genau, worum es bei der Konfirmation geht. In der Tat: es sind alte Worte. Paul Gerhardt hat sie vor gut 350 Jahren aufgeschrieben, da war er 46 Jahre alt. Er hatte erst mit Mitte 40 – das lag an den Umständen des 30jährigen Krieges – seine erste Pfarrstelle als Propst in Mittenwalde angetreten. Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt, dass ich dir stetig blühe, gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe, viel Glaubensfrüchte ziehe. Genau darum geht es in der Konfirmation, die Konfirmation ist ein Segen für die Lebensreise. Gestern Abend in eurem Abendmahls- und Taufgottesdienst habe ich von der einen Bedeutung der Konfirmation gesprochen, die sich von dem Wort Konfirmation selbst herleitet: Konfirmation bedeutet Bestätigung, Befestigung der eigenen Taufe und des Glaubens. Heute nun am Tag eurer Konfirmation, geht es um diese andere Bedeutung der Konfirmation als Segen für die Lebensreise. Merkwürdig: An das, was der Pfarrer bei meiner eigenen Konfirmation vor über 30 Jahren gepredigt hat und auch welche Lieder wir gesungen haben, kann ich mich kaum noch erinnern, aber an den Moment der Einsegnung kann ich mich noch ganz genau erinnern und empfinde ihn bis auf den heutigen Tag nach. Meinen Spruch aus Jesaja 43,1 kann ich bis heute auswendig und ich wünsche mir sehr, dass auch ihr euch die eurigen, mit denen ihr heute eingesegnet werdet, lange merkt. Der Moment nachher hier im Gottesdienst, wenn die Glocken läuten, ist der zentrale Moment am Tag eurer Konfirmation. Hier in Wilhelmshöhe werden viele Menschen, die heute nicht in die Kirche gekommen sind, weil sie so voll ist, an euch denken, nachher, wenn ihr eingesegnet werdet und die Glocken für euch läuten. Segen ist etwas, was man sich nicht selbst geben kann, es ist immer etwas, was einem von anderen gegeben, zugesprochen, „gespendet“ wird. Den Segen, den ich euch nachher durch meine menschlichen Hände spenden werde, kommt von Gott. Ihr empfangt dann einen Segen für die Lebensreise. Wir haben vor einiger Zeit im Konfirmandenunterricht alte Segensworte gelesen und da haben der Mehrheit der Gruppe diese beiden besonders gut gefallen: Der Tag sei dir günstig und die Nacht sei dir gnädig. Die gute Hand eines Freundes soll dich immer halten. Möge Gott dir das Herz erfüllen mit Frohsinn und Freude. Ja, das wünsche ich euch! Auch dieser Spruch hat euch besonders gut gefallen: Möge der Herr dich in seiner Hand halten, aber nie seine Faust zu fest machen. Auch das wünsche ich euch: dass euch der Glaube nie einengt, erdrückt, sondern frei macht und eure Füße auf weiten Raum stellt. Ich werde nachher eine Segensformel benutzen, die auch in der Agende unserer Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck vorgeschlagen ist, und mit der schon Generationen vor euch und sicher auch nach euch eingesegnet worden sind und werden: Gott Vater, Sohn und Hl. Geist gebe dir seine Gnade, Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten, dass du bewahrt werdest zum ewigen Leben. Hier ist sie wieder, die alte, fremde Sprache: Schutz und Schirm vor allem Argen? Was bedeutet das? Es bedeutet, vor dem Bösen bewahrt zu werden. Wer wünscht sich das nicht? Wer braucht das nicht, Stärke und Hilfe zu allem Guten? Manche sagen ja, die alte, fremde Sprache sollte modern umformuliert werden wegen der Verständlichkeit. Da ist natürlich was dran. Und doch: die Liebe Gottes als tragenden Grund auch meines Lebens begreifen, dem Geheimnis des Glaubens auf die Spur kommen und was Segen heißt, vielleicht gelingt uns das besser in Auseinandersetzung mit anderer, zunächst befremdlich anmutender Sprache. So will ich über euren Segen für die Lebensreise vertieft anhand der Worte des Sprachgenies Paul Gerhardt nachdenken, was dieser Segen bedeutet, worin sein Wert liegt. In Paul Gerhardts Zeilen schwingt ein „Mein Gott!“ mit. Nicht im Sinne von „Mein Gott, was soll das?“, sondern im Sinne von „Mein Gott! Du hast mich geschaffen. Du bist für mich Mensch geworden, hast für mich gelitten, schuldlos Schuld getragen, bist von den Toten auferstanden – für mich! In Paul Gerhardts Vers wird deutlich: Segen hat auch etwas mit Sehnsucht zu tun. In Endstation Sehnsucht schreibt Tennessee Williams trotzig: Ich will keinen Realismus. Ich will Zauber! Ich lasse die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Ich rede nicht von dem, was wahr ist, ich rede von dem, was wahr sein sollte! Ähnlich redet Paul Gerhardt vom Segen. Er erbittet ihn von Gott. Gleich am Anfang sagt er: Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt. Das sollte wahr sein! Die wunderbare Lebendigkeit, die ein Segen bewirkt: Lass mich leben im Sommer deiner Gnad. Die Sprache von Paul Gerhardt ist auch hier bild- und gleichnishaft. Hell und freundlich ist es im Sommer. Das Leben kann wachsen, grünen und blühen, die Ernte wächst heran. Ihr kennt ja den „Realismus“ aus Paul Gerhardts Leben. Seine frühe Trauer um beide Eltern, die Schrecken des 30jährigen Krieges mit so vielen Toten, seine lebenslange Angst vor Krankheit und Seuchen. Auch Paul Gerhardt hat zu sich gesagt: Ich will keinen Realismus. Ich brauche den Segen! Denn von Gott her, erscheinen die Dinge in einem anderen Licht. Durch ihn allein ist es möglich, dass das was wahr sein sollte, auch wirklich wahr sein kann. Gottes Segen allein, vermag dies zu bewirken. Paul Gerhardt war tief beseelt von einer Jenseitshoffnung. Tag und Nacht dachte er an diesen Ort, wo Gott wohnt. Auch „im Sommer deiner Gnad“, klingt die Vorstellung an. Paul Gerhardt floh jedoch nicht aus dieser Welt, aus diesem Leben hin zu Gott, sondern er wusste, nur von Gott her kommt der Segen, dass ich hier auf Erden lebendig, fröhlich meines Weges ziehen kann. Und der besondere Zauber des Geheimnisses des Lebens, der Zauber des Segens liegt darin, dass er von Gott kommt, Gnade sich aber im eigenen Tun, in der eigenen Art zu leben, auswirkt. Das ist mit den Glaubensfrüchten gemeint. Aus Versehen hatte ich hier „Glaubensfrüchtchen“ geschrieben. Glaubensfrüchte meint: Selbst die Liebe, die Gott mir schenkt, in diese Welt tragen. Verzweiflung und Angst gibt es so viel. Aber Menschen, die in solche Situationen hinein Liebe und Gerechtigkeit bringen, davon gibt es viel zu wenige. Aber es ist wirklich mit den Glaubensfrüchten so, wie wir es eingangs im Lied 621 gesungen haben: Wo Gottes große Liebe in einen Menschen fällt, da wirkt sie fort, in Tat und Wort hinaus in unsre Welt. Ein hoffender Mensch zu sein und zu bleiben und andere mit Hoffnung anstecken können, auch das zählt für mich zu den Glaubensfrüchten, ebenso wie verzeihen können, was ja auch ein großes Thema zwischen Jugendlichen und Erwachsenen ist. Natürlich strengt es uns Erwachsene an, wenn Jugendliche immer wieder Grenzen überschreiten wollen und dabei auch manchmal zu weit gehen, aber was uns, jedenfalls mich bei euch Jugendlichen sehr beeindruckt, ist euer Streben nach Eigenständigkeit, eigenem Leben, eigenem Denken. Zu all dem, dem Zusammenleben in der Familie, den teilweise sehr hohen Leistungsanforderungen in der Schule, bahnt ihr euch jetzt einen eigenen Weg. Für diesen gesamten weiteren Lebensweg empfangt ihr heute Gottes Segen, um den wir nachher unmittelbar vor der Einsegnung mit Paul Gerhardts Worten bitten wollen: Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt, dass ich dir stetig blühe, gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe, viel Glaubensfrüchte ziehe.