29.11.02 - Eichinger/Hülz 5. Der ökumenische Beitrag der einzelnen Kirchen 2 (S. 95-134) Ganz im Gegensatz zur Kirchenspaltung zwischen Ost und West kann die Trennung der Kirche in Folge der Reformation an konkreten Namen und Daten festgemacht werden. Ausgangspunkt sind die Missstände innerhalb der Kirche, aber auch die kulturellen Umbrüche. Aus den Reformen, die sich notwendig daraus ergaben, wurde durch ein scharfes Vorgehen eine Reformation, die dann zur Kirchenspaltung führte. An dieser Stelle schließt sich die Anfrage an, inwieweit haben die Reformatoren über ihr Ziel hinausgeschossen, inwieweit war ihnen eine solche Reaktion auch nur möglich? Wenn heute die Kirchen der Reformation und die katholische Kirche in einen ökumenischen Dialog eintreten, darf man – bei aller Berücksichtigung des heutigen Selbstverständnisses – die Situation (Forderungen der Reformatoren, Missstände) der Reformationszeit und die „gemeinsame“ Zeit davor nicht übersehen. Hier ist zu bedenken, dass etwa Luther eine Abspaltung der Kirche nicht beabsichtigt hat, dass offene Aussagen seinerseits bis heute gegensätzliche Interpretationen hervorgerufen haben. Müssten sich die Kirchen der Reformation heute nicht bewusst sein, dass ihr gegenüber von damals nicht mehr das gegenüber von heute ist? Interessant ist etwa, dass Forderungen Luthers heute in der „alten Kirche“ nicht mehr wegzudenken sind oder aber dass es im Augsburger Bekenntnis von 1530 „in der Lehre von Gott, von der Erbsünde, vom Sohn Gottes, in der Lehre von der Rechtfertigung, vom Predigtamt, von der Kirche, vom heiligen Abendmahl, von Beichte und Buße, vom Glauben und den guten Werken, vom Dienst der Heiligen“ (Neuner 103) Übereinstimmungen zwischen Reformatoren und „Altgläubigen“ gab, die erst in späterer Zeit aufgehoben und als kontrovers und kirchentrennend empfunden wurden. Zu bedenken ist auch, dass Aspekte wie Verweigerung des Laienkelches, die Geringachtung von Messe und Beichte, die Bedeutung der Speise- und Fastenvorschriften oder die weltliche Macht der Bischöfe, die in der Cofessio Augustana als Missstände genannt werden, heute in der katholischen Kirche nicht mehr festzustellen sind. Andererseits darf man aber auch die Anfrage an die katholische Kirche stellen, inwieweit sie mit den „Reformatoren“ von heute umgeht und inwieweit sie bereit ist, diese ernst zu nehmen und zu integrieren. Die lutherischen Kirchen In Bezug auf Ökumene verhalten sich die lutherischen Kirchen eher zurückhaltend, da für sie die wahre Einheit der Kirche als unsichtbare Größe verstanden wird. Bleibt man bei diesem Verständnis von Ökumene, wird deutlich, dass die lutherischen Kirchen andere Organisationsformen neben sich akzeptieren. Es reicht ihnen, wenn diese das Evangelium in rechter Weise predigen und die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß spenden (vgl. S. 105). Aus diesem Grund schlossen sich die lutherischen Kirchen auch erst spät (1947) zum Lutherischen Weltbund zusammen. Nicht unbedeutend ist die Gründung des Institutes für Ökumenische Forschung in Straßburg (1965), an der die lutherischen Kirchen wesentlich beteiligt waren, was sich in dem Verständnis „Einheit als versöhnte Verschiedenheit“ ausdrückt. In Beziehung zu den anderen reformatorischen Kirchen besteht untereinander eine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und eine gegenseitige Anerkennung als Glieder der einen Kirche Christi. Des weiteren gibt es eine Interkommunion mit der anglikanischen Kirche, den Altkatholiken, den Methodisten und Mennoniten. Die lutherische Kirche steht im ökumenischen Gespräch mit der Orthodoxie, wobei überwiegend ekklesiologische Themen eine Rolle spielen. Dass gerade die Ekklesiologie Mittelpunkt der Gespräche ist, erstaunt, da die Orthodoxie sich nicht wie bei den meisten protestantischen Kirchen als Konfession neben anderen, sondern als die Kirche Christi versteht und die Orthodoxen auf der Tradition beharren. Wären dann nicht auch Gespräche in dieser Hinsicht zwischen protestantischen Kirchen und Katholiken erforderlich und möglich, zumal Protestantismus und Katholizismus eine engere Verbindung zueinander haben (geschichtlich, geographisch). Über einen Dialog zur katholischen Kirche schreibt Peter Neuner in seinem Buch nicht einen Satz. Warum? Der reformierte Protestantismus Zwischen den reformierten Kirche besteht eine Einheit untereinander, wobei die verschiedenen Bekenntnisse gewahrt bleiben. Die wahre Kirche ist unsichtbar, zu ihr gehören alle Christen mit einer evangelischen Gesinnung und der Treue zum Evangelium. Durch die große Selbstständigkeit und Freiheit der Ortsgemeinde, die ihr Bekenntnis und ihre Kirchenstruktur selbst wählen kann, konnten sich mehrere voneinander unabhängigen Kirchen entwickeln, ohne dass man darin eine Gefährdung sah. Der Gedanke der Einheit, die sich am Ort vollzieht, und die Idee einer konziliaren Begegnung der Ortskirchen untereinander war wegweisend für die moderne ökumenische Bewegung. Der Reformierte Weltbund als erster konfessioneller Weltbund bildet auf dem Weg des ökumenischen Gesprächs einen wichtigen Meilenstein innerhalb der reformierten Kirchen. Sie haben eine offene Haltung gegenüber anderen Kirchen und Gemeinschaften mit anderen Bekenntnissen. Abendmahlsgemeinschaft besteht mit den Altkatholiken und den Anglikanern. Zwar gibt es auch einen offiziellen Dialog mit Rom, der sich aber als schwierig erweist. Warum? Ebenso werden deren Ämter und Sakramente anerkannt. Die reformierten Kirchen waren sich von Anfang an ihrer Zugehörigkeit und eines notwendigen Austausches bewusst unter Beibehaltung der großen Vielfalt. Ingesamt erscheint diese Einstellung - bei aller Anerkennung ihrer ökumenischen Aktivitäten bis zum ÖRK - für die heutige Zeit nicht mehr sehr ausreichend. Die anglikanische Kirchengemeinschaft Erste ökumenische Bestrebungen von Seiten der Anglikaner lassen sich auf den Erzbischof von Canterbury Thomas Cranmer (16. Jhd.) zurückführen, der um eine Einigung der protestantischen Kirchen bemüht war. Seitdem ist die ökumenische Ausrichtung der anglikanischen Kirche lebendig. Sie versteht sich selbst als „via media“ zwischen Protestantismus und Katholizismus und nimmt somit eine Brückenfunktion zwischen beiden Kirchen ein. Denn ihre Lehre ist überwiegend protestantisch geprägt, ihr Amtsverständnis und ihre Liturgie hat sie jedoch von der alten Kirche beibehalten. Im Festhalten an der apostolischen Sukzession stimmt sie mit Orthodoxie und Katholizismus überein. Innerhalb des Anglikanismus gibt es verschiedene Ausrichtungen, wie etwa anglokatholisch, evangelikal, Oxfordbewegung. Durch ihre Vielgestaltigkeit verstehen sich die Anglikaner als eine Gemeinschaft (anglican communion), in der alleine Einheit vollzogen wird. Aber auch mit Kirchen anderer Traditionen sind sie bereit ins Gespräch zu kommen. Bei der 3. LambethKonferenz 1888 wurden vier Punkte (Lambeth-Quadrilateral) formuliert, die einerseits für die Einheit der Kirche vonnöten sind, aber andrerseits auch eine Basis für Unionsverhandlungen darstellen können (vgl. S. 125). Diese sind Anerkennung der Schrift, des Glaubensbekenntnisses von Nizäa, von Taufe und Abendmahl sowie die apostolische Sukzession. Wo diese Bedingungen erfüllt sind, ist eine Union für die Anglikaner möglich. Bereits seit 1931 besteht eine Interkommunion mit der altkatholischen Kirche, die 1961 in eine volle Gemeinschaft beider mündete. Gespräche mit den Orthodoxen reichen bis ins 17. Jh. zurück, die jedoch durch die Frauenordination und die Interkommunion mit der evangelischen Kirche einen schweren Rückschlag erlitten. Der ökumenische Dialog mit den Katholiken ist erst nach dem II. Vatikanum fruchtbar geworden und eine weitreichende Einigung in Fragen Eucharistie, Amt, Autorität in der Kirche, Ekklesiologie und Rechtfertigungslehre konnte erzielt werden. So gibt es doch einige Punkte, die eine Basis für das ökumenische Gespräch bilden und die weitere Meilensteine auf dem Weg zur Einheit sind. Ich kann mich noch gut an die Bilder in Zeitungen und Fernsehen von der ökumenischen Feier zur Öffnung der Heiligen Pforte in St. Paul vor den Mauern erinnern, wo gemeinsam Papst Johannes Paul II., der orthodoxe Metropolit Athanasios und Erzbischof Carey von Canterbury an der Schwelle knien, ein Evangeliar in alle vier Himmelsrichtungen erheben und sich einander den Friedensgruß geben. Ich denke, dass gerade solche Gesten zeigen, wie wichtig doch die Einheit der Kirche ist und wie sehr doch viele bemüht sind, diese zu erreichen. Die Freikirchen Die Freikirchen sehen sich selber als wahre Erben der Reformation (vgl. S. 128). Charakteristisch ist eine bewusste freie Entscheidung zum Glauben. So wird demnach auch etwa die Kindertaufe abgelehnt. Denn nicht durch Geburt gehört man einer Freikirche an, sondern durch eigene Überzeugung, durch diese tritt man ihr bei. Aus ihrem Verständnis heraus sind sie logischerweise nicht an dogmatische Lehren oder Bekenntnisschriften gebunden, vielmehr spielen individuelle Erlebnisfrömmigkeit und geisterfülltes Zeugnis in der Öffentlichkeit eine große Rolle. Scheinbar ist es nicht erforderlich den Glauben intellektuell zu durchdringen, sondern der Glaube soll vor allem das Herz erfassen und es erfüllen. Dem steht „Fides et Ratio“ von Johannes Paul II. von 1997 entgegen, wo gerade eine intellektuelle Durchdringung des Glaubens als wichtig angesehen wird und sich Glaube und Vernunft keinesfalls widersprechen. Unter den Freikirchen gibt es unterschiedliche Gruppen, die jeweils unterschiedlich ökumenisch ausgerichtet sind, wobei die meisten eher aufgeschlossen sind. Sie kennen auch Angehörige anderer Gemeinden als Glieder der Kirche Christi an, jedoch nur in ihrem Sinne „wahrhaft Glaubende“. Die Ablehnung der Volkskirchen mit ihren Strukturen macht meines Erachtens die ökumenische Arbeit zwischen Freikirchen und den großen Kirchen schwer, dies schildert auch Peter Neuner. Neben ekklesiologischen Problemen nimmt natürlich die persönliche Freiheit eine höhere Stellung ein. Sie sind grundsätzlich radikaler als die Volkskirchen, dahingehend, dass sie strikt Eidesleistung und Wehrdienst ablehnen und die völlige Trennung von Staat und Kirche fordern. Aus eigenen Beobachtungen fällt mir auf, dass die Freikirchen an den Glauben und an seine Ausbreitung in der Welt oft mit mehr Enthusiasmus heran gehen als etwa die großen Kirchen hierzulande. Sie gehen auf die Straßen und berichten den Leuten aus ihrem Innersten heraus von Christus. Vielleicht können wir auch etwas davon lernen, da doch Christus uns dies selbst geboten hat (vgl. Sendungsauftrag). Oft trauen sich die Menschen nicht einmal mehr öffentlich zu sagen, dass sie an Gott glauben, geschweige denn sprechen sie andere auf ihren Glauben an oder erzählen von Christus als unseren Lehrer und Retter. In dieser Hinsicht ist es auch meiner Ansicht nach Teil der Ökumene, von anderen Kirchen zu lernen.