Ansprache von Prof. Dr. Friederike Nüssel

Werbung
Grußwort zum 50-jährigen Jubiläum des Instituts für Ökumenische Forschung in Strasbourg
am 22. April 2015
von Friederike Nüssel
Es ist eine wunderschöne ökumenische Geste, dass das Ökumenische Institut sein 50-jähriges
Jubiläum mit einem Fest der Begegnung begeht. „Begegnung“ ist das Grundgeschehen, der
Anfang und der Weg der ökumenischen Bewegung. Die Ökumenische Bewegung lebt von
Begegnung, wie überhaupt christliches Leben von Begegnung lebt – von der Begegnung mit
Gott und der darin gründenden Begegnung mit den Mitmenschen. Als mit den
Missionsbewegungen in 19. Jahrhundert die christliche Religion zu einer globalen Religion
wurde, war das kein friedvoller Vorgang. Das Christentum wurde mitsamt seinen Spaltungen
in alle Welt getragen. An den verschiedensten Orten begegneten sich nun christliche
Religionsparteien – wenn man hier einmal den alten Ausdruck aus der Reformationszeit
gebrauchen darf – im Wettbewerb. Die Verkündigung des Evangeliums Gottes, der allen
Menschen in seiner grenzenlosen Güte begegnen will, wird konterkariert durch die
Spaltungen der Kirchen. Diese Einsicht griff sukzessive um sich und motivierte die
Ökumenische Bewegung, deren Beginn in der Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910
liegt. Wege und Formen der Begegnung zu finden war nicht leicht, und viele Formen der
Begegnung, die uns heute schon so selbstverständlich geworden sind, dass wir sie kaum noch
würdigen, waren damals überhaupt nicht denkbar.
Hinter den Trennungen zwischen den Kirchen, die Begegnung hindern, stehen Streitigkeiten
und Auseinandersetzungen um den wahren Glauben und die wahre Form christlichen Lebens.
Von der Wahrheitsfrage und dem Eintreten für die Wahrheit sind die christlichen
Denominationen auf je ihre Weise bestimmt und bewegt. Die Wahrheitsfrage mag unter
modernen und postmodernen in die Krise geraten sein. In vielen Denominationen und
Religionen ist sie allerdings höchst lebendig und virulent. Gegenläufige, widerstreitende
Wahrheitsansprüche stören und hindern Begegnung – und das gilt auch und insbesondere da,
wo das Bewusstsein für die Genese und die Gründe des Streites längst verschüttet ist. Darum
lag die große Herausforderung für die Ökumenische Bewegung von vorneherein darin, nicht
nur nach Gemeinschaft im Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit und in der sozialen Arbeit
zu suchen, sondern die Trennungen mitsamt ihrer jeweiligen Geschichte in den Blick zu
nehmen und aufzuarbeiten. Zur Begegnung gehört diese Tiefendimension des Verstehens,
jedenfalls dann, wenn Begegnung tief gestört war oder ist.
Eine wichtige Säule in der Ökumenischen Bewegung waren und sind bis heute die
Ökumenischen Dialoge. Sie sind zwar nur eine Säule, wie schon das Faktum der drei
unterschiedlichen Bewegungen Life and Work, Justice and Peace und Faith and Order in den
Formierungsjahren belegt. Aber sie hat sich in der Begegnung der Kirchen bald als eine
unverzichtbare Säule erwiesen. Die Bedeutung der Dialogökumene ist immer wieder in Frage
gestellt worden, vor allem in den letzten Jahren. Doch man wird hier zunächst einmal ernst zu
nehmen haben, dass die Kirchen selbst es für nötig hielten, in Dialogen die trennenden
Differenzen zu reflektieren und zu prüfen, wie sie sich überwinden lassen. Zum einen
verdanken sich die Dialoge der Einsicht, dass die Trennungen zwischen den Kirchen dem
Bekenntnis zur Einheit der Kirche widersprechen. Zum anderen verkörpern sie die Einsicht,
dass Trennungen nur im Versuch gegenseitigen Verstehens überwunden werden können. Dass
das nicht anders geht als in Gesprächen und in der gegenseitigen Verpflichtung zum
Gespräch, dafür stehen die Dialoge. Sie sind gewissermaßen ein sichtbares Zeichen für die
Einsicht, dass es der christlichen Botschaft widerspricht, Konflikte mit Gewalt auszutragen,
wie dies in der Christentumsgeschichte leider vielfach der Fall war. Für die moderne
1
Entwicklung des Christentums ist das Faktum der Dialogökumene darum in seiner Bedeutung
gar nicht zu überschätzen.
Das Institut für Ökumenische Forschung in Strasbourg hat an der Entwicklung der
Dialogökumene einen elementaren Anteil. Seit seiner Gründung begleitet es einerseits die
multilaterale Ökumene in der Faith and Order Bewegung und in den
Verständigungsbemühungen zwischen den Kirchen reformatorischer Prägung, wie sie sich in
der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa formiert haben. Zum anderen begleitet das
Institut zahlreiche bilaterale Dialoge auf Weltebene zwischen dem Lutherischen Weltbund
und der Römisch-Katholischen Kirche, der Anglikanischen Kirchengemeinschaft, den
Orthodoxen Kirchen, den Reformierten Kirchen, den Pfingstkirchen, den Mennoniten. Von
entscheidender Bedeutung ist dabei, dass das Institut dies als Forschungseinrichtung tut. Der
Name „Institut für Ökumenische Forschung“ zeigt das an. Um die Kirchen bei ihren Dialogen
unterstützen zu können, bedarf es der gründlichen Erforschung der Gegenstände, die in den
Dialogen reflektiert werden, und das sind in der Regel die Lehrdifferenzen, die sich wiederum
in der Gestaltung der kirchlichen Praxis und Frömmigkeit niederschlagen.
Um die Lehrunterschiede bearbeiten zu können, muss man zunächst einmal die eigene Lehre
verstehen und dem Dialogpartner verständlich machen können. Als Einrichtung des
Lutherischen Weltbundes ist es darum Aufgabe des Instituts, sich in besonderer Weise um die
Auslegung der lutherischen Lehre zu bemühen. Das geht nicht ohne wissenschaftliche
Lutherforschung, der sich das Institut mit seinem Collegium widmet, in dem seit seiner
Entstehung stets namhafte Lutherforscher vertreten sind. Aber die Lutherforschung ist nur ein
Forschungsbereich. Daneben betreibt das Institut konfessionskundliche Forschung, die für das
Verstehen der Dialogpartner unerlässlich ist. Diese Forschung umfasst zum einen die
geschichtliche Entwicklung der Kirchen und Denominationen, zum anderen die
Lehrentwicklung im engeren Sinne. Und schließlich besteht ein dritter großer Bereich der
Forschungsarbeit des Instituts in der ökumenischen Methodik. Das Institut hat entscheidenden
Anteil nicht nur an der Entwicklung der Methode des differenzierten Konsenses, sondern
auch an ihrer Präzisierung als differenzierenden Konsens. Die ökumenische Methodik lässt
sich dabei nicht trennen von der Frage nach der ökumenischen Zielvorstellung. Und auch hier
hat das Institut wesentlich zur Profilierung der lutherischen Ökumene beigetragen, indem es
zum einen die ökumenischen Zielvorstellung der Einheit in versöhnter Verschiedenheit
entwickelt hat, und in dem es zum anderen das ökumenische Potential des reformatorischen
Kirchenverständnisses für die Bildung von Kirchengemeinschaft systematisch in den
Dialogen erschließt.
Man könnte viele Beispiele nennen für die unermüdliche Forschungsarbeit der Direktoren und
Professorinnen und Professoren am Institut. Diese bestehen zum einen in vielen
wissenschaftlichen Monographien und zahllosen Artikeln, in denen die ökumenische
Forschung vorangebracht worden ist – und dies ist gewissermaßen die sichtbare Seite der
Arbeit des Instituts. Daneben gibt es zum anderen aber noch eine unsichtbare Seite. Das
Collegium des Instituts begleitet nicht nur viele Dialoge, sondern leistet in diesen Dialogen
eine elementare Arbeit in Gestalt von Referaten und Textentwürfen. Diese Arbeit wird nur für
die sichtbar, die an den Dialogen teilnehmen. Die Dialogdokumente sind Gemeinschaftswerk
und lassen nicht mehr erkennen, wer hier was geschrieben und beigetragen hat. Das ist gut
und sinnvoll so. Aber das Jubiläum heute darf man doch zum Anlass nehmen, einmal auf
diese unsichtbare und selbstlose Arbeit des Instituts hinzuweisen. Ohne die Textentwürfe, die
von den Mitarbeitern in den Dialogen erarbeitet werden, wären viele Dialoge nicht so
erfolgreich oder gar nicht möglich gewesen. Ich möchte Ihnen dafür zwei Beispiele aus
meiner eigenen Erfahrung geben.
2
Das eine Beispiel bildet das Dialogdokument der internationalen lutherisch-katholischen
Kommission für die Einheit zum Reformationsgedenken im Jahr 2017. Es trägt den Titel
„Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ und wurde 2013 zuerst publiziert. Inzwischen gibt es
bereits eine dritte Auflage. Man kann sagen, dass die Kommission in der Erarbeitung des
Dokuments selber einen Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft zurückgelegt hat – und zwar
gar nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern auch im Ringen um die Form des Dokuments.
Die Gruppe sollte und wollte einen Text schreiben, der den Kirchen in ihren ganz
unterschiedlichen Kontexten eine Hilfestellung gibt, der Bedeutung der Reformation
gemeinsam zu gedenken. Nach mehreren Etappen der Arbeit waren es die Leiter des Instituts
für Ökumenische Forschung in Strasbourg und des Adam-Möhler-Instituts in Paderborn, die
der Kommission einen Vorschlag unterbreiteten, der sich schließlich als tragfähig erwies. Wer
das Dokument liest und die Arbeit der Institute ein wenig kennt, kann sehen, wie hier die
Forschungsleistung der Institute Früchte getragen hat. Das gilt zum einen für die Methode, die
hier eingeschlagen wird. Wie kann man der Reformation gemeinsam in einer fruchtbaren
Weise gedenken? Diese schwierige Frage, die momentan viele Kirchen und Gremien mit
Blick auf 2017 beschäftigt, findet in dem Dokument eine einfache und zugleich höchst
produktive Antwort. Sie lautet: „Erinnerung macht die Vergangenheit gegenwärtig. Während
die Vergangenheit selbst unveränderlich ist, ist die Präsenz der Vergangenheit in der
Gegenwart veränderlich. Mit Blick auf 2017 geht es nicht darum, eine andere Geschichte zu
erzählen, sondern darum, diese Geschichte anders zu erzählen.“ (16) Wie geht das? Nun,
indem der Reformation im Lichte der jüngeren evangelischen und katholischen
Lutherforschung und im Lichte der Dialoge gedacht wird, die Katholiken und Lutheraner
nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geführt haben. So wird es möglich, keine andere
Geschichte der Reformation zu erzählen, aber die Geschichte anders zu erzählen. Das
geschieht in drei elementaren Schritten. Im ersten Schritt gibt die Studie Einblick in die
neuere Lutherforschung und zeigt, wie es im Lichte der Erneuerung der katholischen
Theologie Katholiken möglich geworden ist, „Martin Luthers Reformanliegen zu würdigen
und sie mit größerer Offenheit zu betrachten, als dies früher möglich schien“ (28). Im
nächsten Schritt wird sodann eine historische Skizze der lutherischen Reformation und der
katholischen Antwort geboten. Hier gelingt es, die Geschichte der Reformation und der
katholischen Antwort in Grundzügen ganz einfach zu erzählen. Man muss nicht theologisch
gebildet sein, um diese beiden Kapitel zu verstehen. Und doch basieren sie auf dem ganzen
Umfang und Gewicht der Lutherforschung und den neuen Perspektiven, die sie erschlossen
hat. Wir wissen alle, dass man eine Geschichte erst dann einfach erzählen kann, wenn man sie
wirklich durchdrungen hat und versteht, wenn man also weiß, was wirklich wichtig war und
welche Deutungen anhand der Quellenlage vertretbar sind. Und so verdankt diese schöne
einfache Darstellung ihre Souveränität der Forschungsleistung derer, die hier gedraftet haben.
Doch damit nicht genug. Im dritten Schritt werden die Dialoge einbezogen, in denen es
möglich wurde, die wesentlichen Themen und Anliegen lutherischer Theologie gemeinsam zu
erschließen. Diese Darstellung basiert auf der genauen Kenntnis und aktiven Beteiligung in
den Dialogen. Sie zeigt in knappen Zügen, was erreicht ist und wie es weiter gehen kann. Es
wird auf diese Weise sichtbar, dass die evangelisch-katholische Dialogökumene faktisch
selbst eine Form des Reformationsgedenkens ist. Und es wird damit auch deutlich, dass das
Ziel ökumenischer Verständigung nicht jenseits der Dialoge liegt, sondern sich in den
Dialogen zu realisieren beginnt. Am Ende werden anknüpfend an die Geschichte, die nun
anders erzählt wurde, fünf ökumenische Imperative formuliert. Einer der Imperative lautet:
„Lutheraner und Katholiken müssen gemeinsam die Kraft des Evangeliums Jesu Christi für
unsere Zeit neu entdecken“. Das wäre eine gesetzlich anmutende Forderung, stünde der
Imperativ nicht am Ende dieser Studie, die den Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft
3
beschreibt. Der Text nimmt darin die Herausforderung an zu zeigen, wie durch die erneute
Beschäftigung mit der Tradition die alten konfessionellen Gegensätze, insbesondere in der
Rechtfertigungslehre, überwunden werden konnten. Der Imperativ ist nicht gnadenlos, weil er
an einen Weg anschließt und an eine Spur, die schon gelegt ist.
Ein weiteres Beispiel für die immense Hintergrundarbeit des Instituts für Ökumenische
Forschung bieten der Dialog mit den Mennoniten und die Versöhnung, die auf der
Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Stuttgart möglich geworden ist. Auch hier
hat namentlich der Direktor des Instituts Theodor Dieter mit seiner Forschung maßgeblich
dazu beigetragen, die Geschichte der Beziehungen zwischen Lutheranern und Täufern bzw.
Mennoniten von lutherischer Seite zu erschließen. Das Institut hat sich überdies wesentlich
dafür eingesetzt, dass es nicht einfach bei der Versöhnungsgeste in Stuttgart bleibt.
Inzwischen gibt es einen Trialog zwischen Mennoniten, Lutheranern und Katholiken, in dem
gemeinsam das Verständnis der Taufe reflektiert wird unter Berücksichtigung aller dafür
wesentlichen Aspekte wie insbesondere des Verständnisses von Sünde, Gnade, Heiligung und
Erneuerung. Der Trialog stellt ein Novum dar, indem zum einen drei Konfessionen beteiligt
sind und Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Dreier-Konstellation noch einmal anders
hervortreten als im bilateralen Gespräch. Zum anderen ist das Ziel des Trialogs nicht die
Überwindung einer kirchentrennenden Frage. Vielmehr geht es darum, genau zu verstehen,
wie die Differenzen im Taufverständnis motiviert sind, zu eruieren, wo wechselseitig
Fehlvorstellungen von der jeweils anderen Tauftheologie und Taufpraxis vorliegen, und diese
zu überwinden. Dies ist eine unerlässliche Voraussetzung für die ganze Frage nach der
Anerkennung der Taufe, die nicht nur da virulent ist, wo die Anerkennung noch nicht oder
nicht in jedem Fall gegeben ist, sondern auch da, wo sie praktiziert wird.
Ich habe Ihnen hier nur zwei Beispiele genannt für die wichtige und zum Teil unsichtbare
Arbeit des Instituts in den Dialogen und den sie umgebenden ökumenischen Prozessen. Diese
Arbeit können die Ökumenischen Institute an den Universitäten im Rahmen ihres
universitären Auftrages und ihrer Lehr- und Prüfungsverpflichtung nicht erbringen. In seiner
institutionellen Formation war es dem Institut in Strasbourg bisher vergönnt, Forschung zu
betreiben, ohne permanent auf die Sichtbarkeit dieser Forschung in Publikationen und
Drittmitteleinwerbungen achten zu müssen, wie das universitäre Einrichtungen immer stärker
tun müssen. Der Forschung tut dieser Druck nicht immer gut. Denn nicht immer lassen sich
Ergebnisse schnell erzielen, und die Gefahr, dass die Selbstdarstellung gegenüber dem
hartnäckigen Verfolgen des Forschungszieles in den Vordergrund tritt, ist immer gegeben.
Selbstdarstellung kann aber kein Ziel sein. Für theologische Forschung gilt das allzumal –
wenn wir die Rechtfertigungslehre auch in diesem Kontext ernst nehmen. In diesem Sinne
wünsche ich der Ökumenischen Forschung und der Ökumenischen Bewegung, dass das
Institut weiterhin diesen seinen wichtigen Dienst tun und die ökumenischen Begegnungen
und Dialoge zwischen den Kirchen mit Grundlagenforschung begleiten kann. Es wird oft
gesagt, dass die Dialoge stagnieren – weil wir nach einer Phase, in der viele Klärungen
möglich waren, nun an die Themen gestoßen sind, in denen die Differenzen noch tief sind und
sich die Überwindung der Trennungen nicht schnell erwarten lässt. Aber die Konstellationen
ändern sich, nicht zuletzt durch die zunehmende Bedeutung pfingstlicher und charismatischer
Kirchen und Strömungen und die immer neuen Spannungen zwischen den Konfessionen und
Religionen. Um Gerechtigkeit und Frieden im ökumenischen Miteinander der Kirchen zu
befördern, sind die Dialoge unverzichtbar, und es wäre durchaus wichtig, ihre Rolle für ein
ziviles ökumenisches Miteinander der Kirchen noch deutlicher herauszustellen. Damit
verbunden ist es wichtig, dass es Einrichtungen gibt, die diesen Prozessen wissenschaftlich
fundiert zuarbeiten – wie dies das Institut für Ökumenische Forschung in Strasbourg tut.
4
Herunterladen