Joseph Schumacher QUELLEN DER GNADE DIE SAKRAMENTE DER KIRCHE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS CHRISTLICHE LEBEN Münster 2014 3 VORWORT Die Kirche Christi ist wesenhaft sakramental strukturiert. Gemäß dem Prinzip der Sakramentalität begegnen wir dem unsichtbaren Gott in der Kirche in materiellen Realitäten und durch diese. Die Sakramente bezeichnen die Gnade, und sie bewirken sie. In der Heilsordnung, wie Gott sie gewollt hat, ist das Heil inkarnatorisch. Die einzelnen Sakramente sind jeweils unter einem anderen Aspekt Zeichen und Werkzeuge, durch die die Begegnung des Menschen „mit Gott durch Christus in der Kirche ausgedrückt und feierlich begangen“ wird und „für die Herrlichkeit Gottes und die Erlösung der Menschen zur Wirksamkeit“ gelangt. Geschaffene Wirklichkeiten „enthalten, spiegeln oder verkörpern die Gegenwart Gottes nicht nur: Sie bringen diese Gegenwart für die zur Wirkung, die sich dieser Wirklichkeiten bedienen“ (Richard P. MacBrien). Papst Leo der Große (+ 461) erklärt in diesem Sinne: „Was an Christus sichtbar war, ist in die Sakramente übergegangen“. Das Heil ist von daher sichtbar und mittlerisch strukturiert, damit aber auch sozial. Das ist eine katholische Grundüberzeugung, von der sich die Reformatoren am Beginn der Neuzeit prinzipiell losgesagt haben. Sie haben sich damit gegen das inkarnatorische Prinzip entschieden, das 1500 Jahre hindurch auch für sie bestimmend gewesen war. Konsequenterweise sind die Sakramente für die Reformatoren nicht mehr Werkzeuge der Gnade, sondern, sofern sie für sie überhaupt noch als solche existent sind, Bedingungen der Gnade, machen sie nur das sichtbar und bringen sie nur das zum Ausdruck, was bereits geschehen ist. An die Stelle des Sakramentes tritt für die Reformatoren der Glaube, er ist das entscheidende Medium der Gnade für sie. Während das Grundprinzip des katholischen Christentums die Menschwerdung Gottes ist, ist das Grundprinzip des Protestantismus die Abstraktion, in der jede objektive Fassbarkeit der Glaubenswirklichkeiten aufgelöst wird. Da eskaliert der Subjektivismus, der heute nicht wenig Sympathie findet, auch innerkatholisch, nicht als christliche Theologie oder nur noch als Theologie 4 versteht, wobei der „logos“ de facto sehr klein geschrieben wird, so dass man eher von Theophantasie sprechen könnte als von Theologie. Die vorliegende Darstellung dokumentiert zehn Vorträge, die der Autor in den Jahren 2007 bis 2009 vor einem Kreis interessierter Laienchristen im Sauerland gehalten hat. In einer Zeit, in der das sakramentale Leben der Katholiken weithin auf Sparflamme brennt, möchte er weiteren Kreisen die Möglichkeit geben, sich intensiver mit der Lehre von den Sakramenten und der Eigenart der katholischen Frömmigkeit zu beschäftigen, die in dem Maß authentisch ist, als sie durch die Sakramente geprägt ist, speziell durch die Eucharistie und durch das Sakrament der Buße. Joseph Schumacher Freiburg i. Br., am Festtag Kreuzerhöhung, am 14. September 2014 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort Die Sakramente als Quellen des Lebens mit Christus Gottes Selbstoffenbarung 13 Die Interpretation der Gottesoffenbarung 14 Die Kirche, authentische Sachwalterin der Offenbarung 14 Und Vermittlerin der Erlösung 15 Gnadenwirkende Zeichen 16 Glaube und Erfahrung 17 Objektive Zeichen der Gnade 19 Tun, was die Kirche tut 22 Die Ehre Gottes, das Heil des Menschen 24 Christus, das Ursakrament 25 Wirksame Zeichen 26 Die Siebenzahl 27 Das sakramentale und das dogmatische Prinzip 30 „Das Fleisch ist der Angelpunkt des Heiles“ 31 Reformatorischer Spiritualismus 32 Realsymbole 36 Was an Christus sichtbar war, ist in die Sakramente übergegangen“ 37 Konstitutiv für die Kirche 39 Heiligung des Lebens 40 6 Das Allerheiligste Sakrament des Altares Haupt und Mitte 44 Ein unausschöpfliches Geheimnis 46 Das verfremdete Mysterium 48 Feier der Erlösung 49 Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers Christi in der Gestalt der Danksagung 53 In der Gestalt der Danksagung 54 Opfer und Opfermahl 55 Sühne und Vergebung 57 Viele Namen 58 Das älteste schriftliche Zeugnis 59 Die Einsetzungsworte 61 Verschiedene Gegenwartsweisen 64 Realpräsenz 65 Sakrament und Opfer 67 Der verlorene eucharistische Glaube, Folge und Ursache der allgemeinen Glaubenskrise 69 Verlust der Ehrfurcht 71 Rechtes Verhalten bei der Feier der Eucharistie 73 „Ite missa est“ 75 Die Eucharistie, das Geheimnis des Glaubens schlechthin 75 Das Sakrament der Buße Buße als Weg der Heilung für den Sünder 77 Gott und die Seele 77 7 Das Wesen der Sünde und ihre verschiedenen Ausprägungen 79 Vergebung und Heilung 81 Abkehr von Gott und Hinwendung zur Welt 82 Gespür für die Sünde 84 Die Sünde, ein Geheimnis 84 Das Gewissen 85 Buße - Abkehr von der Sünde und Heimkehr zu Gott 87 Umkehr und Vergebung durch Reue und Buße 89 Das Sündenbekenntnis 90 Die Andachtsbeichte 91 Bußgottesdienste 91 Die schwere Sünde 92 Verschiedene Formen der Buße 93 Das Bußsakrament im Kontext von Ostern und Pfingsten 95 Buße und Taufe 96 Vereinigung mit Christus 97 Das Bußgericht 98 Ein verlorenes Sakrament 100 Das Sakrament der Taufe Sakramente und Sakramentalien 103 Eingangstor zur Kirche Christi 106 Wechselnde Bezeichnungen 107 Christliche Initiation 108 Fundament der Gemeinschaft der Christen und Bedingung für das übernatürliche Heil 109 Vorformen im Alten Testament 110 8 Die Bußtaufe 111 Die messianische Taufe 112 In der Osternacht 113 Der Ritus 115 Die Wirkung 116 Der Glaube, eine wesentliche Voraussetzung 119 Das Katechumenat 120 Kindertaufe 121 Taufgespräch und Taufpaten 123 Die ungetauft verstorbenen unmündigen Kinder 124 Die Erbsünde 125 Das unauslöschliche Merkmal 126 Die heiligmachende Gnade, das göttliche Leben 127 Rechte und Pflichten 127 Nottaufe 129 Eingliederung in die Kirche Christi 130 Gültigkeit der Spendung 131 Pflege des Taufbewusstseins 132 Das Sakrament der Firmung Älteste Zeugnisse 134 Die Firmung bei den Kirchenvätern 135 Parallelen in anderen christlichen Gemeinschaften 136 Sakrament der Lebensreife und des allgemeinen Priestertums 137 Wortbedeutung 138 In christlicher Verantwortung 138 Der Heilige Geist im Leben Jesu und der Apostel 139 9 Taufe, Firmung und Eucharistie 141 Der Spender, die Spendung und die Wirkung 142 Sieben Gaben des Heiligen Geistes 145 „Stehet fest im Glauben“ 146 Firmunterricht – Firmkatechumenat 151 Priester als Spender des Sakramentes 155 Lebendiges Firmbewusstseins 156 Das Sakrament der Krankensalbung Verähnlichung mit dem leidendenden und sterbenden Christus 158 Die spezifische Gnade 158 Vollendung des Bußsakramentes 159 Jesus und die Kranken 162 Bedingungen für den Empfang des Sakramentes 165 Salbung mit Öl und „geistliche Heilung“ 169 Die Krankensalbung im Neuen Testament 174 Die entscheidende Gnade 175 Das Sakrament der Ehe Zwei Standessakramente 179 Ehe und Familie in einem gigantischen Verfallsprozess 180 Die Strategie der totalen Sexualisierung öffentlichen Lebens 183 Der Glaubensschwund - Grund und Folge unserer sexuellen Anarchie 184 10 Ein neues Frauenbild 186 Die Europäische Union (EU) im Dienst der Ideologie des „Neuen Zeitalters“ 187 Ehe und Familie im Schöpfungsplan Gottes 187 Folgen des Verfalls von Ehe und Familie 189 Verhängnisvolle Auswirkungen der „Königsteiner Erklärung“ 190 Humanisierung der menschlichen Geschlechtlichkeit 192 Die Ehe als Sakrament 194 Eine dauernde und ungeteilte und unteilbare LebensGemeinschaft 195 Die Vermählung Christi mit seiner Kirche 196 Nicht der Priester spendet das Ehesakrament 199 Zum Ehestand berufen 201 Die Ehen nichtkatholischer Christen 201 Die Ehen der Nichtgetauften 203 Das dreifache Gut der sakramentalen Ehe 203 Die christliche Ehe: Liebesgemeinschaft und ChristusGemeinschaft 204 Missachtung der Fruchtbarkeit 206 Die hohe Wertung der Ehe in der Kirche 207 Verzicht um des Himmelreiches willen 209 Die Gültigkeit der sakramentalen Ehe 212 Unauflöslich 213 Die Unauflöslichkeit der Ehe, ein göttlicher Schutzdamm 217 Manipulierung - „Humanae vitae“ 217 Annullierung 218 Nähere und entferntere Vorbereitung 220 Noch einmal: Die Wesensmerkmale der christlichen Ehe 223 11 Das Sakrament der Priesterweihe Apostolische Vollmacht - messianisches Vikariat 227 Das Fundament 229 Nachfolger der Apostel 229 Das Weihepriestertum im Widerstreit 230 In persona Christi 234 Bindung an Christus 235 Das allgemeines und das besondere Priestertum 236 Bedingungen für den Empfang der Priesterweihe 237 Die Berufung zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben 241 Endgültige Besitzergreifung durch Christus 243 Der Priester und die Feier der Eucharistie 245 Konzelebration 248 Der Priester in der säkularen Welt 249 Berufen zur Heiligkeit 250 Hirtensorge 254 Priesterliche Formung 255 Priestermangel 256 Pastorale Dienste 258 Frustration und Kritik 261 Hinführung zum Priestertum 264 Das „Jahr des Priesters“ 266 Der heilige Pfarrer von Ars 267 Dass Miteinander von Priestern und Laien 270 Der Priester und die Mutter Jesu 272 Die übernatürliche Sicht des Priestertums im Volk Gottes 273 12 13 DIE SAKRAMENTE ALS QUELLEN DES LEBENS MIT CHRISTUS Gottes Selbstoffenbarung Die Heilsgeschichte der Menschheit beginnt mit der Selbstoffenbarung Gottes, der in geschichtlicher Vorzeit mit Abraham, dem Stammvater des jüdischen Volkes, einen Bund geschlossen hat. Das geschah etwa um 1700 vor Christus. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse dieser Selbstoffenbarung Gottes führen uns zurück in das zehnte vorchristliche Jahrhundert. Von Anfang an war die Selbstoffenbarung Gottes hingeordnet auf die Erlösung der Menschheit, deren Verheißung sie jedoch bereits vom Morgen der Schöpfung an begleitet. Unter diesem Aspekt kann man sagen, dass die Heilsgeschichte der Menschheit parallel zu ihrer Unheilsgeschichte verläuft. Ihren Höhepunkt findet sie, die Heilsgeschichte der Menschheit, im Geheimnis der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person, in deren Wirken in der Welt, in deren Leiden und Sterben und in deren Auferstehung. Das Christusgeheimnis ist der Gegenstand der neutestamentlichen Offenbarung, wie die Vorbereitung dieses Geheimnisses der Gegenstand der alttestamentlichen Offenbarung ist. Faktisch tritt im Alten Testament immer deutlicher die messianische Hoffnung hervor. Sie durchzieht die verschiedenen Schriften des Alten Testamentes wie ein roter Faden. So geht die konkrete Offenbarungsgeschichte zu Ende mit dem Christusgeschehen und seiner verbindlichen Deutung in den neutestamentlichen Schriften und in der urchristlichen Verkündigung. Zweiundsiebzig Schriften, eine kleine Bibliothek, sind der Niederschlag der alt- und der neutestamentlichen Offenbarung Gottes. Diese findet ihren Abschluss in den ersten Jahrzehnten des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts mit der Entstehung der letzten Schrift des Neuen Testamentes. 14 Die Interpretation der Gottesoffenbarung Auf die Offenbarungsgeschichte folgt die Dogmengeschichte, das heißt die Geschichte der Interpretation der Gottesoffenbarung des Alten und des Neuen Testamentes. Das rechte Verständnis der Offenbarung Gottes verbürgt der Geist Gottes in der Kirche Christi, wie sie uns heute in der römischen Weltkirche begegnet, die sich als die „Catholica“ versteht, sofern sich in ihr das Ganze des Christentums in innerer Kontinuität von Christus her, dem Stifter des Christentums und der Kirche, entfaltet hat. Die innere Katholizität der Kirche findet ihren sprechenden Ausdruck in der geographischen Katholizität: Die sichtbare Kirche Christi ist gemäß dem großen Missionsauftrag des auferstandenen Christus1 heute überall präsent in der Welt. Wir sprechen unter diesem Aspekt von dem „Orbis catholicus“, von dem „katholischen Erdkreis“. Ein Sechstel der Menschheit gehört heute der Kirche Christi an. Das ist etwas mehr als die Hälfte der gesamten Christenheit. Die Kirche, authentische Sachwalterin der Offenbarung Die Kirche ist die authentische Sachwalterin der Offenbarung Gottes. In ihrer Verkündigung führt sie die Vieldeutigkeit des biblischen Wortes zur Eindeutigkeit des Glaubens der Kirche. In diesem Sinne verstehen wir sie als die unfehlbare Kirche. Durch das Wirken Gottes ist die Kirche als Ganze unfehlbar in ihrem Glauben. Diese Unfehlbarkeit aber artikuliert sich im Lehramt der Bischöfe und des römischen Bischofs, des Inhabers des Petrusamtes, der als solcher die Legitimität des einzelnen Bischofs wie auch des Bischofskollegiums verbürgt. Der große Missionsauftrag des auferstandenen Christus: „Geht hinaus in alle Welt und macht alle Völker zu meinen Jüngern“ (Mt 28, 29). 1 15 Und Vermittlerin der Erlösung Die Kirche vermittelt der Menschheit nicht nur authentisch das Wort Gottes, das Wort der Offenbarung, die Kunde von der Erlösung der Menschheit durch Gott, sie vermittelt ihr auch authentisch die Gnaden, die aus dem Geheimnis der Erlösung hervorgehen. Sie vermittelt den Menschen die wiederhergestellte Ursprungsgerechtigkeit, die übernatürliche Erhebung durch die heiligmachende Gnade, das göttliche Leben, und die aktuellen Gnaden, derer sie bedürfen zur Bewahrung und zur Vertiefung der Gnade der Kindschaft Gottes auf dem Wege zu ihrer Vollendung in der ewigen Gemeinschaft mit Gott. Das geschieht vor allem in den sieben Sakramenten, die ihrerseits den offiziellen Kult der Kirche darstellen. Die Erlösung der Menschheit ist vollendet, nicht jedoch ihre Heiligung. Diese vollzieht der himmlische Christus durch seine Kirche. Die Gnadenkräfte des übernatürlichen Lebens fließen uns in der von Christus begründeten Heils- und Erlösungsordnung zu durch das Wirken der Kirche, vor allem in der Gestalt der immer neuen Feier der heiligen Sakramente. Das Konzil von Trient (1545 1563) stellt fest: „Durch die Sakramente wird immerfort die wahre Gerechtigkeit gegründet, vermehrt und wiederhergestellt“2. Dabei schließt das Konzil jene aus der Kirche aus, die die Heilsnotwendigkeit der Sakramente leugnen3. Der Stifter der Kirche hat die Zuwendung der Erlösung an den Empfang der Sakramente gebunden, normalerweise, so muss man sagen. Denn für jene, die nicht um die Sakramente und um die Kirche wissen, erreicht die Erlösung die Menschen auf dem direkten Weg. Deswegen, weil Gott in seiner Liebe das Heil 2 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1600. 3 Ebd., Nr. 1604. 16 aller Menschen will, vorausgesetzt freilich, dass sie sich ihm nicht verschließen. Gott verzichtet in der Regel nicht auf das Mitwirken der Menschen. Gnadenwirkende Zeichen Die Sakramente gehören gewissermaßen dem zweiten Teil der Heilsgeschichte an. Wir müssen sie als heilige Zeichen verstehen, die Christus zu Werkzeugen seiner Gnade gemacht hat. Der heilige Thomas von Aquin (+ 1274), der universale Lehrer der Kirche, erklärt: „Das Sakrament verursacht durch zeichenhaftes Bedeuten“4, und er fügt hinzu: „Es ist notwendig, dass in den Sakramenten die Zeichenhaftigkeit gewahrt werde“5. Die Sakramente sind wirksame Zeichen6, sie bringen die Gnade hervor, die sie vermitteln7. In ihnen ist geistliche Kraft am Werk, sofern sie von Gott hingeordnet sind auf eine geistliche Wirkung8. Als wirkende Zeichen erhalten die Sakramente ihre Zeichenhaftigkeit aus ihrer Einsetzung, weil sie ihre Zeichenhaftigkeit aus ihrer Einsetzung erhalten, deshalb sind sie wirkende Zeichen9. Der heilige Thomas von Aquin schreibt: „Der Mensch war dadurch in die Sünde gestürzt, dass er den sichtbaren Dingen ungebührlich nachhing. Damit man nun aber nicht glaubte, die sichtbaren Dinge seien in sich selbst wesenhaft böse und aus diesem Grunde hätten die Menschen, die ihnen nachhingen, gesündigt darum war es angemessen, dass den Menschen gerade in den sichtbaren Dingen 4 Thomas von Aquin, Sentenzen-Kommentar, 4, dist. 23, q. 1, a. 1, 2. 5 Ders., Summa contra gentiles, lib. 4, c. 73. 6 Ders., Summa Theologiae, III, q. 60, a. 1. 7 Ebd., q. 62, a. 3. 8 Ebd., III, q. 62, a. 4, ad 1. 9 Ebd., q. 64, a. 2, ad 2. 17 die Arznei des Heiles dargeboten werde: damit auf diese Weise offenbar werde, dass die sichtbaren Dinge, als von Gott geschaffen, in ihrem Wesen gut sind“10. Es ist die Kraft des Leidens und des Sterbens Christi, die des Näheren in den Sakramenten wirksam ist. Das Leiden und Sterben Christi, das freilich stets im Zusammenhang mit seiner Auferstehung gesehen werden muss, steht als solches gänzlich im Dienste der Verleihung der Erlösungsgnaden an die Menschen, der Vergebung ihrer Sünden, ihrer übernatürlichen Ausstattung und ihrer Vollendung in der ewigen Gemeinschaft mit Gott11. Glaube und Erfahrung Häufig begegnet uns heute in einschlägigen Schriften aber zuweilen auch in der Glaubensverkündigung die Feststellung, durch die Sakramente werde Gott für die Menschen erfahrbar. Das ist missverständlich. Denn eine Erfahrung Gottes gibt es eigentlich nicht in unserer Welt, jedenfalls keine unmittelbare. Dem Pilgerstand ist der Glaube zugeordnet. Der aber meint das Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht. So drückt es der Hebräer-Brief aus12. Damit ist freilich kein willkürliches Überzeugtsein gemeint. Ein solches käme einer Missachtung der Würde des Menschen gleich, ist der Mensch doch ein Lebewesen, das Vernunft hat, ein „animal rationale“. Wenn wir der Botschaft der Kirche, die in der Offenbarung des Alten und des Neuen Testamentes gründet, Glauben schenken, bedarf dieser Glaube eines vernünftigen Fundamentes. Dieses aber ruht nicht in der Erfahrung, sondern im Denken. 10 Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, 4, 36. 11 Katechismus des heiligen Thomas von Aquin oder Erklärung des apostolischen Glaubensbekenntnisses, des Vater Unser, des Ave Maria und der 10 Gebote, Kirchen/Sieg 1971, 85 f. 12 Hebr 11, 1 18 Glauben meint im theologischen Verständnis ein Wissen, das wir nicht auf Grund von Eigeneinsicht haben, sondern auf Grund von Fremdeinsicht. Es geht hier um einen Zeugenglauben. Glauben ist also - wohl verstanden - nicht „meinen“, sondern „wissen“, wissen freilich nicht auf Grund von Eigeneinsicht, sondern auf Grund von Fremdeinsicht. Diese Art von Wissensgewinnung spielt bereits im natürlichen Bereich eine große Rolle. Denn neunzig Prozent unseres natürlichen Wissens erwerben wir auf dem Weg des Glaubens. Das verweist uns schon der griechische Philosoph Aristoteles (+ 322 v. Chr.). Das Glaubenswissen erwerben wir nicht durch Eigeneinsicht, sondern durch Fremdeinsicht, dennoch können wir bei ihm nicht gänzlich auf die Eigeneinsicht verzichten. Diese bezieht sich hier allerdings nicht auf die Sache, sondern auf die Person des Zeugen. Das will sagen: Der Zeuge muss die Wahrheit sagen können und wollen, er muss genügend informiert sein über den in Frage stehenden Gegenstand, und er muss willens sein, sein Wissen darüber mitzuteilen. Die eine Voraussetzung gehört der intellektuellen Ebene an, die andere der ethischen. Mit anderen Worten: Wir müssen wissen, ob der Zeuge die Wahrheit sagen kann und ob er sie sagen will. Nur dann können wir ihm vernünftigerweise Glauben schenken. Das gilt für den natürlichen Glauben nicht weniger als für den übernatürlichen. Beim dem übernatürlichen Glauben machen wir unter Umständen Erfahrungen, speziell bei seiner Vergegenständlichung im Gebet, in der Liturgie und in der Feier der heiligen Sakramente sowie in der Erfüllung des Willens Gottes, aber diese Erfahrungen sind innerweltliche Erfahrungen, die wir im Glauben als Wirkungen des welttranszendenten Gottes deuten. Diese Deutung kann nur der Gläubige vollziehen. Der Ungläubige vermag in den Erfahrungen des Gläubigen lediglich psychologische Vorgänge zu erkennen, die er gegebenenfalls auch analysieren kann. 19 Um ein Beispiel zu nennen: Wenn wir gläubig im Sakrament des Altares den auferstandenen Christus empfangen, mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit, wahrhaft, wirklich und wesentlich, wie es das Konzil von Trient ausdrückt13, so begegnen wir ihm zwar tatsächlich, dem Auferstandenen, aber dessen werden wir nur durch den Glauben gewiss, und alles, was wir dabei empfinden, die Gewissheit, der Trost, die Freude, die Zuversicht, das Vertrauen, das Glück, die Seligkeit, das alles ist immer nur ein Reflex des Glaubens an die Gegenwart des Auferstandenen Christus. Die Transzendenz ist nicht erfahrbar für uns. Sie können wir nur erschließen durch das Denken. Objektive Zeichen der Gnade Die Sakramente sind äußere Zeichen oder sichtbare, zeichenhafte Handlungen, die jeweils eine spezifische innere Gnade vermitteln. Dabei bewirkt das äußere Zeichen die innere Gnade. Das ist nicht so zu verstehen, als ob Gott die innere Gnade anlässlich der Setzung des äußeren Zeichens bewirken würde. Das wäre protestantisch. Es ist vielmehr so, dass die Wirkung mit dem äußeren Zeichen verbunden ist, wenn dieses in der rechten Ordnung und mit der rechten Absicht gesetzt wird. Die Sakramente sind Gnaden wirkende Zeichen. Und sie wirken diese Gnade, weil sie auf Christus zurückgehen. Weil Christus sie eingesetzt hat und weil er durch sie wirkt, darum wirken sie unabhängig vom Glauben des Spenders und des Empfängers, darum wirken sie durch das gesetzte Zeichen, „ex opere operato“, wie es im Lateinischen heißt. Wo immer das Heilszeichen Christi gültig gesetzt wird, da ergießt sich die Heilsgnade Christi in das Herz des Menschen, freilich im Maße seiner Disposition. 13 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1636. 20 Die sakramentale Gnade wird in den Sakramenten durch den Vollzug des Sakramentes, durch die Setzung des sakramentalen Zeichens bewirkt, nicht durch die persönlichen, sittlich-religiösen Bemühungen des Empfängers des Sakramentes und erst recht nicht durch das konkrete Tun des Spenders. Das Entscheidende ist bei den Sakramenten der Vollzug des Aktes. Er ist es, der die übernatürliche Gnade bewirkt. Das dispensiert freilich den Empfänger nicht davon, sich die im sakramentalen Akt objektiv dargebotene Gnade subjektiv anzueignen, etwa durch Akte des Glaubens, der Buße und der Reue. Darauf kann im Grenzfall, bei der Taufe des unmündigen Kindes, verzichtet werden, normalerweise gehört aber das subjektive Bemühen des Empfängers dazu. Entsprechendes gilt für die subjektiven Akte des Spenders. Die subjektiven Akte des Empfängers wie auch des Spenders des Sakramentes bedingen also den würdigen Empfang des Sakramentes, seinen würdigen Vollzug und die gefüllte subjektive Aneignung der objektiv gewirkten Gnade durch den Empfänger des Sakramentes. Es geht hier um die richtige Disposition beim Empfang und bei der Spendung der Sakramente. Der Empfänger des Sakramentes muss sich wie auch sein Spender darum bemühen, innerlich und äußerlich dem Akt des Empfangs und dem Vorgang der Spendung des Sakramentes gerecht zu werden. Das verlangen die Pietät und das pastorale Gewissen. Davon ist jedoch nicht die objektive Gnadenwirkung des Sakramentes abhängig. Wenn wir sagen, die Sakramente wirken durch ihren objektiven Vollzug, so findet zum einen darin das Unpersönliche der Heilsvermittlung einen sprechenden Ausdruck und zum anderen wird damit auch die Ungeschuldetheit der Gnade unterstrichen sowie die Tatsache, dass Christus die entscheidende Schlüsselstellung im Heilsprozess zukommt, Christus, sofern er „alles in allem“ (1 Kor 15, 28) ist. Durch das Prinzip der objektiven Wirkung der Sakramente wird das Faktum unterstrichen, dass gemäß dem Glauben der Kirche der 21 eigentliche Spender der Sakramente in der Kirche Christus selber ist und dass der Spender des Sakramentes nur „instrumentaliter“ von Christus in Dienst genommen wird. Der unpersönliche Charakter des Sakramentes scheidet alle menschlichen Zwischen-Autoritäten aus. Er gewährleistet den freien Lebensaustausch zwischen dem Haupt und seinen Gliedern14. Die Spender der Sakramente sind Werkzeuge in der Hand Christi. Deshalb vermögen sie die Sakramente auch dann zu spenden, wenn sie etwa nicht im Stand der Gnade sind oder wenn sie den Glauben verloren haben15. Immer ist es Christus, der in den Sakramenten wirksam ist. Dabei wirkt er durch die guten Spender wie durch lebendige, durch die bösen Spender wie durch leblose Werkzeuge16. Dennoch sind der Glaube und das Leben in der heiligmachenden Gnade sowie die Heiligkeit des Lebens von dem Spender der Sakramente gefordert, weshalb er schwer sündigt, wenn er dieser Forderung nicht gerecht wird17. Thomas von Aquin schreibt: „Der Segen eines sündigen Priesters ist, sofern er von ihm unwürdig gespendet wird, fluchwürdig und muss als Schmach und Lästerung, nicht aber als Gebet gelten; sofern er aber gesprochen wird von der Person Christi her, ist er heilig und wirkt er Heiligung“18. Die Frucht des Sakramentes ist nicht eine Wirkung des Gebetes der Kirche oder dessen, der das Sakrament spendet, sondern des Verdienstes des Todesleidens Christi, das in allen Sakramenten wirksam ist. Die Sakramente entspringen am 14 Karl Adam, Das Wesen des Katholizismus, Düsseldorf 121949 (11924), 40. 15 Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 64, a. 5. 16 Ebd., q. 64, a. 5, ad 2. 17 Ebd., III, q. 64, a. 6, ad 1. 18 Ebd., III, q. 82, a. 5, ad 3. 22 Fuß des Kreuzes. Das ist beliebter Gedanke bei den Kirchenvätern. Thomas von Aquin schreibt: „ … die Frucht des Sakramentes (wird) nicht reicher durch einen besseren Ausspender. Dennoch kann dem, der das Sakrament empfängt, ein Zusätzliches erfleht werden durch die Andacht des Ausspendenden; aber auch dies wirkt nicht der Ausspendende, sondern er bittet Gott, dass er es wirken möge“19. Wenn die Objektivität der Sakramente, die Tatsache, dass die Sakramente durch den Vollzug wirken, immer wieder in Zweifel gezogen wurde, so hat das darin seinen Grund, dass der Protest gegen alles Objektive stets eine große Rolle spielt, und zwar deshalb, weil die Subjektivität eine bleibende Versuchung des Menschen darstellt. Tun, was die Kirche tut Entsprechend der Objektivität des Sakramentes als eines gnadenwirkenden Zeichens ist die Bedingung für seine gültige Spendung die, dass der Spender die Absicht hat, zu tun, was die Kirche tut. Er muss dabei nicht glauben, was die Kirche glaubt, auch ohne jeden Glauben kann er die Sakramente gültig spenden, gültig, nicht würdig. Auch muss er nicht das beabsichtigen, was die Kirche beabsichtigt, nämlich die Wirkung des Sakramentes, und er muss auch nicht an diese Wirkung glauben. Nicht zustande kommt ein Sakrament allerdings, wenn der Spender nicht die Absicht hat, zu tun, was die Kirche tut. Diese Absicht liest der Empfänger an dem ordnungsgemäßen Vollzug des sakramentalen Ritus ab. 19 Ebd., q. 64, a. 1, ad 2. 23 Die Gültigkeitsbedingung für die Sakramente ist damit sehr weit gefasst, und sie ist damit vor allem objektiv. Denn die innere Einstellung des Spenders der Sakramente ist uns nicht zugänglich. Gültig ist die Spendung eines Sakramentes demnach, wenn der bevollmächtigte Spender des Sakramentes die Absicht hat, zu tun, was die Kirche tut, und wenn er das sakramentale Zeichen in der rechten Weise setzt. Dazu muss er die wesentliche Materie und die wesentliche Form anwenden (bei der Taufe beispielsweise das Wasser und die Taufformel) und die Materie und die Form zu einem einheitlichen sakramentalen Zeichen verbinden. Dabei erschließt der das Sakrament Empfangende die rechte Intention des Spenders des Sakramentes aus dem äußeren Zeichen, das dieser setzt und aus dem Kontext seines Handelns. Geschieht das im Sinne der Kirche, kann der das Sakrament Empfangende davon ausgehen, dass der Spender die richtige Intention hat, eben die Intention, zu tun, was die Kirche tut. Die Gültigkeit eines Sakramentes und dessen Wirksamkeit sind auch unabhängig von der Rechtgläubigkeit und von dem Gnadenstand des Spendenden. Das gilt auch für den, der das Sakrament empfängt. Eine Ausnahme macht hier allerdings das Bußsakrament, weil bei ihm die sittlichen Akte des Beichtenden als Quasi-Materie und Quasi-Wesensbestandteil des sakramentalen Zeichens zu qualifizieren sind und damit wesentliche Elemente für das Zustandekommen des Sakramentes sind. Zudem kann das Sakrament nicht wirksam werden im Falle der Eucharistie, da bei ihm der Gnadenstand eine wesentliche Voraussetzung ist. Auf Seiten des Empfängers eines Sakramentes ist als Bedingung für den gültigen Empfang des Sakramentes erforderlich, dass dieser die Absicht hat, das Sakrament zu empfangen. Ein ohne die Absicht des Empfängers empfangenes 24 oder gar gegen seinen Willen ihm aufgenötigtes Sakrament ist selbstverständlich ungültig. Eine Ausnahme besteht hier bei der Kindertaufe, die uns als altchristliche Praxis überkommen ist und bereits im Neuen Testament ihre Spuren hinterlassen hat. Zum würdigen, nicht zum gültigen, Empfang eines Sakramentes ist, wie bereits gesagt, bei dem erwachsenen Empfänger nicht zuletzt die dem Sakrament jeweils entsprechende sittliche Disposition notwendig. Das heißt etwa konkret, dass zum würdigen Empfang der Eucharistie der Gnadenstand erforderlich ist, dass also derjenige, der das Sakrament unwürdig empfängt, ein Sakrileg begeht, eine Entweihung des Sakramentes, und damit eine besonders schwere Sünde auf sich lädt, wir sprechen hier auch von Gottesraub. Entsprechendes gilt für den Spender des Sakramentes. Die Ehre Gottes, das Heil des Menschen Die Sakramente haben jeweils zwei Aspekte, zum einen die Gottesverehrung, zum anderen die Begnadung des Menschen. Hier gilt das Axiom: „Gloria Dei salus hominis“ - „die Ehre Gottes ist das Heil des Menschen“. Dabei liegt das Wesen des Sakramentes in der Verknüpfung der Heilsgnade mit einem äußeren Symbol20. Die anthropologische Wende der Theologie übersieht solche Zusammenhänge oder verdunkelt sie zumindest. Zwar gilt das Axiom „sacramenta propter homines“, Gott hat der Kirche die Sakramente geschenkt für die Heiligung der Menschen, aber zunächst sind sie liturgische Handlungen im Dienst der 20 Bernhard Poschmann, Katholische Frömmigkeit, Würzburg 1949, 196. 25 Gottesverehrung, weshalb die Liturgie der Sakramente sowie die Sakramentenpastoral aufs Engste mit der Dogmatik und mit der Aszetik verbunden sind. Christus, das Ursakrament Sakramente sind geheimnisvolle Heilszeichen, durch die der Gottmensch Jesus Christus über alle Zeiten hin sein gnadenvolles Heilswirken an den Gliedern seiner Kirche fortsetzt und vollendet. Als Quellen des übernatürlichen Lebens sind sie ein heiliges Vermächtnis des Erlösers, eine Liebesgabe der göttlichen Güte und Barmherzigkeit und Wunderwerke der Macht und Weisheit Gottes. In jedem Fall gründen sie in Jesus Christus, in seinen Worten, seinen Handlungen und in seiner Person. Von seiner Person kann man sie nicht ablösen. Deshalb bezeichnen wir ihn, Christus, als das Ursakrament. Er ist das Ursakrament der Liebe Gottes - so müssen wir sagen -, denn immer, wenn Gott uns seine Gaben schenkt, tut er das, weil er die Liebe ist, weil die Liebe sein Wesen ist, weil er mit der Liebe identisch ist. Christus ist das Ursakrament, zum einen, weil alle Sakramente in ihm ihren Existenzgrund haben, näherhin in seinem Leiden, in seinem Sterben und in seiner Auferstehung, also im Geheimnis unserer Erlösung, und zum anderen, weil es immer er ist, der sie spendet. Die Sakramente gehen nicht nur ursächlich auf Christus zurück, Christus ist auch der eigentliche Spender der Sakramente. Das gilt für jeden Einzelfall. 26 Dabei benutzt er den menschlichen Spender als sein Werkzeug. Gerade auch darin kommt die Objektivität der Sakramente der Kirche zum Ausdruck. Durch die Bezogenheit des kirchlichen Amtes auf Christus, der der eigentliche Bischof und Priester ist, erhält der Gläubige im Empfang der Sakramente hinsichtlich der Heilsvermittlung objektive Sicherheit und Gewissheit. Nicht nur Christus ist das Ursakrament, auch die Kirche Christi trägt diesen Namen. Das ist konsequent, denn sie ist, so verstehen wir die Kirche, der Leib Christi, der fortlebende, der gegenwärtige Christus. Das Wort „Sakrament“ kommt von dem lateinischen „sacramentum“, das entprechende griechische Wort lautet „mysterion“. Wörtlich übersetzt bedeutet das lateinische „sacramentum“ so viel wie „das Heilige“, das griechische „mysterion“ aber bedeutet so viel wie Geheimnis. In der Ostkirche versteht man unter „mysterion“ allerdings auch jede Glaubenswahrheit, denkt man bei den „mysteria“ eben nicht nur an die sieben Gnaden wirkenden Zeichen, die wir in der Westkirche ausschließlich als Sakramente bezeichnen. Wirksame Zeichen Bei dem sakramentalen Zeichen unterscheiden wir im Einzelnen das Wort und das Element. Im Blick auf das Sakrament der Taufe sagt der heilige Augustinus (+ 430) unter diesem Aspekt: „Nimm das Wort hinweg, und was ist das Wasser als eben Wasser? Es tritt das Wort zum Element, und es wird zum Sakrament, auch dieses gleichsam ein sichtbares Wort … “21. Zu dem sichtbaren Zeichen treten dann als weitere Kennzeichen des Sakramentes die durch das sichtbare Zeichen gewirkte unsichtbare Gnade hinzu und die Einsetzung durch Jesus Christus. Augustinus, In Joannem 80, 3: „Accedit verbum ad elementum et fit sacramentum (etiam ipsum tamquam visibile verbum)“. 21 27 Die äußere Ausgestaltung der Sakramente ist das Werk der Kirche. Sie dient der Andacht und der Ehrfurcht der Gläubigen sowie der Feierlichkeit des Vollzuges. Sie gehört jedoch nicht notwendig zum Sakrament. Notwendig gehört zu ihm nur das, was auf Christus zurückgeht22. Das Prinzip der Sakramentalität meint, scheinbar paradox, die Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Es geht hier um eine Verlängerung des Geheimnisses der Inkarnation. Die sichtbare Erlösung durch den Mensch gewordenen Gottessohn erhält gleichsam eine Verlängerung in der sichtbaren Kirche, die sich in den Sakramenten konkretisiert. Ein Sakrament ist die Verleiblichung eines übernatürlichen Geheimnisses, oder, allgemeiner ausgedrückt, die Manifestation des sich den Menschen zuwendenden Gottes. Dabei wird die Gnade im Sakrament zeichenhaft dargestellt und vermittelt. Die Siebenzahl Leo Scheffczyk (+ 2005), einer der größten Theologen unserer Tage, der außerordentliche denkerische Kraft mit tiefer Frömmigkeit verbindet23, schreibt: Das „Christusgeheimnis der Kirche, als umfassendes Grundsakrament verstanden, gliedert sich, dem menschlichen Lebens- und Heilsbedürfnis entsprechend, in den reichen Kranz der sieben Sakramente und des vom Geist erfüllten Wortes aus, nicht nur, um dem Wort eine höhere Gewissheit zu verschaffen, wie lutherisches Glaubensdenken annimmt, sondern um den 22 Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 64, a. 2, ad 1. 23 Im Jahre 2001 wurde er zum Kardinal erhoben. 28 Menschen zu einer lebendigen personalen Christusbegegnung zu führen, die seine Existenz zur Christusexistenz umprägt und ihn zur Einheit mit Christus im Leben, im Leiden und in der Verherrlichung führt“24. Sieben Sakramente zählen wir. Unter ihnen nehmen die Sakramente der Eucharistie und der Buße eine Sonderstellung ein. Sie sind die Sakramente des christlichen Lebens, weil sie im Unterschied zu den übrigen Sakramenten wiederholt empfangen werden bzw. weil in ihrem mehr oder weniger häufigen Empfang sich die Frömmigkeit des katholischen Christen in charakteristischer Weise bekundet: „Ich gehe zu den Sakramenten“, sagt man. Das bedeutet: Ich gehe zur Beichte und zur Kommunion. Eucharistie und Buße sind also die Sakramente schlechthin, so kann man es ausdrücken. Als Sakrament der Entsündigung geht das Bußsakrament dem Empfang des eucharistischen Sakramentes normalerweise voraus, zwar nicht in jedem Einzelfall, wohl aber grundsätzlich, denn der Empfang dieses Sakramentes setzt den Gnadenstand voraus. Wir sprechen bei diesem Sakrament von einem Sakrament der Lebenden25. Das Zweite Vatikanische Konzil nennt das eucharistische Sakrament ein Gipfelsakrament, um auszudrücken, dass ihm die höchste Lebensmacht und die höchste Bedeutung zukommt, „weil sie dem Christen nicht nur die Vereinigung“ mit dem Fleisch und mit dem Blut Christi gewährt, „mit seinem Leib und seiner Seele, sondern mit der ganzen menschgewordenen göttlichen Person“ und weil sie „ihn darüber hinaus „in das Opfer Christi einbezieht und ihn das Opfer Christi als Opfer der Kirche mitvollziehen lässt“26. Die Sakramente verwirklichen, erneuern und stärken nicht nur die Gemeinschaft mit Christus, sie verwirklichen, erneuern und stärken auch die Gemeinschaft mit 24 Leo Scheffczyk, Der ökumenische Dialog und das bleibende Katholische, in: Theologisches. Katholische Monatsschrift, Jg. 30, Nr. 7/8 (Juli/August) 2000, Sp. 227. 25 26 Bernhard Poschmann, Katholische Frömmigkeit, Würzburg 1949, 199. Leo Scheffczyk, Der ökumenische Dialog und das bleibende Katholische, in: Theologisches. Katholische Monatsschrift, Jg. 30, Nr. 7/8 (Juli/August) 2000, Sp. 227. 29 der Kirche. Und durch die Kirche erfolgt in ihnen die Verbindung mit dem erhöhten Herrn. Das heißt: Die Vereinigung mit der Gemeinschaft der Kirche bewirkt die Vereinigung mit Christus, oder besser: Der Gläubige vereinigt sich durch sein Einswerden mit der Kirche mit Christus. Darin tritt die soziale Struktur des Heiles hervor, die von grundlegender Bedeutung ist im Christentum, jedenfalls im katholischen Christentum. Die Vereinigung mit der Kirche bewirkt die Vereinigung mit Christus. Die Vereinigung mit Christus aber bewirkt die Vereinigung mit Gott. Letztere erfolgt dabei durch die Menschheit Christi. Ein privates Christentum gibt es für den katholischen Christen von daher nicht. Für ihn ist die Kirche der Weg des Heiles, er findet das Heil nicht an der Kirche vorbei. Es kommt noch hinzu: Wie die Offenbarung und die Erlösung grundsätzlich nicht individuell sind, so stellt auch die Gnade, die durch die Sakramente vermittelt wird, nicht eine private Beziehung zwischen der Seele und Gott oder Christus her, sondern der Christ empfängt die Gnade als Glied der Kirche. In diesem Sinne stellt der Kölner Theologe Matthias Joseph Scheeben (+ 1888) fest: Das Geheimnis der Kausalität der Sakramente beruht nicht so sehr „auf der übernatürlichen Wirksamkeit eines sinnlichen Ritus oder Zeichens“, „als auf dem Dasein einer Gesellschaft, die unter den Erscheinungsformen einer menschlichen Einrichtung göttliche Wirklichkeit birgt“27. Und der französische Theologe Henri de Lubac (+ 1991) erklärt: „Alle Sakramente sind wesenhaft ‚Sakrament in der Kirche‘; in ihr allein bringen sie 27 Matthias Joseph Scheeben, Die Mysterien des Christentums § 77: Josef Höfer, Hrsg., Matthias Joseph Scheeben, Gesammelte Werke Bd. II, Freiburg 1958, 442 ff. 30 demnach auch ihre volle Wirkung hervor, denn in ihr allein, ‚der Gesellschaft des Geistes‘, nimmt man gemeinhin an der Gabe des Geistes teil“28. Das sakramentale und das dogmatische Prinzip Das sakramentale Prinzip, darum geht es hier, ist wesenhaft und charakteristisch für die Kirche Christi. Zu ihm kommt gemäß dem katholischen Glaubensdenken noch ein zweites Prinzip hinzu, das nicht weniger wesenhaft und charakteristisch ist für die Kirche Christi, das dogmatische Prinzip. Das Erstere meint, dass das Sichtbare, das Greifbare, das Begrenzte, das Historische wirklicher oder möglicher Träger der göttlichen Gegenwart ist. Gemäß diesem Prinzip begegnen wir dem unsichtbaren Gott in materiellen Realitäten und durch materielle Realitäten. Das gilt jedenfalls normalerweise. Denn damit ist nicht gesagt, dass Gott seine Gnaden nicht auch an den Sakramenten vorbei vermitteln kann. Tatsächlich tut er das auch, wenn auch nicht in der Regel. Nach dem Willen Gottes, dank der konkreten Heilsordnung, enthalten, spiegeln und verkörpern demnach geschaffene Realitäten die Gegenwart Gottes und bringen sie zur Wirkung für die, die sich dieser Wirklichkeiten bedienen. Das Sakrament bezeichnet ja nicht nur die Gnade, sondern es bewirkt sie auch, das Sakrament bewirkt auch die Gnade, die es bezeichnet29. Die Sakramente sind Zeichen und Werkzeuge, durch die die „Begegnung mit Gott durch Christus in der Kirche ausgedrückt und feierlich begangen wird und für die Herrlichkeit Gottes und die Erlösung der Menschen zu Wirksamkeit gelangt“30. 28 Henri de Lubac, Katholizismus als Gemeinschaft, Einsiedeln 1943, 74. 29 Richard P. McBrien, Was Katholiken glauben. Eine Bestandsaufnahme, Bd. II: Die Kirche. Christliche Existenz, Graz 1982, 505 (Bd I: Menschliche Existenz. Gott, Jesus Christus). 30 Ebd. 31 Die entscheidende Konsequenz aus dem Prinzip der Sakramentalität ist das Prinzip der Vermittlung. In der konkreten Heilsordnung Gottes ist das Heil vermitteltes Heil. Das ist eine katholische Grundüberzeugung. Die Welt der Gnade ist eine vermittelte Welt. Sie wird vermittelt durch Christus und durch die Kirche, zunächst und in erster Linie31. Das Verhältnis des sichtbaren Zeichens zu der unsichtbaren Gnade muss in Analogie zu den zwei Naturen in Christus gesehen werden, in Analogie zu der göttlichen und der menschlichen Natur. Denn auch das Sakrament ist zusammengesetzt, und zwar aus Göttlichem und Menschlichem, aus Sichtbarem und Unsichtbarem, nicht anders als der Mensch gewordene Sohn Gottes und nicht anders als die Kirche. „Das Fleisch ist der Angelpunkt des Heiles“ Das sakramentale Prinzip ist ein Sonderfall des inkarnatorischen Prinzips. Das will sagen: Wo die Menschwerdung Gottes ganz ernst genommen wird, da weiß man auch um die sakramentale Struktur des Heiles. Unsere Erlösung erfolgt durch die Menschheit Christi. „Caro cardo salutis“ heißt es bei dem Kirchenschriftsteller Tertullian (+ ca. 320), „das Fleisch ist der Angelpunkt des Heiles“32. „Von Angesicht zu Angesicht hast du dich mir gezeigt, Christus, dir begegne ich in deinen Sakramenten“, erklärt der Kirchenvater Ambrosius von Mailand (+ 393)33. 31 Ebd. 32 Tertullian, De carnis resurrectione, 8 (vgl. EP Nr. 362). 33 Ambrosius, Apologia prophetae David 12, 58 (vgl. PL 14, 875). 32 In der sakramentalen Struktur der Kirche begegnet uns im Grunde nichts anderes als die folgerichtige Weiterführung der Idee der sichtbaren Kirche und somit des Geheimnisses der Inkarnation und der sichtbaren Erlösung durch den menschgewordenen Gottessohn. Daher kann letzten Endes nur der einen Zugang finden zu den Sakramenten, der einen Zugang zur Inkarnation des Wortes, des göttlichen Logos, gefunden hat. Dem Ursakrament der Menschheit Christi entspricht das Ursakrament der Kirche. Das Ursakrament der Kirche wiederum differenziert sich aus in den sieben Einzelsakramenten. Wie das II. Vatikanische Konzil erklärt, sind die Sakramente der Kirche nicht nur als unterschiedliche, auf menschliche Bedürfnisse ausgerichtete Gnadenmittel zu verstehen, sondern auch als Formen einer verschiedenartigen Christusverähnlichung oder Christusgleichgestaltung, wie sie sich aus der Fülle des gottmenschlichen Lebens Christi ergibt. Es ist ein besonderes Verdienst des Konzils, dass es die Lehre von den Sakramenten auf diese Weise christologisch vertieft hat. Heute, wenige Jahrzehnte nach dem Konzil, ist diese Sicht jedoch infolge des wachsenden Verlustes des ungebrochenen Glaubens an die wahre Gottheit Jesu Christi bereits wieder im Schwinden begriffen. Der Gedanke der verschiedenartigen Christusverähnlichung oder Christusgleichgestaltung ist indessen nicht neu. Schon die Kirchenväter verstehen die Sakramente in diesem Sinne christologisch. Und Thomas von Aquin schreibt, durch die Sakramente des Neuen Bundes werde der Mensch Christus inkorporiert34. Reformatorischer Spiritualismus 34 Ebd., q. 62, a. 1. 33 Das sakramentale und das inkarnatorische wie auch das dogmatische Denken ist dem Protestantismus fremd, heute allerdings angesichts der protestantischen Unterminierung der Eigenart des Katholischen und des Einschwenkens der Theologen auf eine protestantische Betrachtungsweise der Offenbarung und des Christentums auch weithin den Katholiken35. Der Protestantismus ist skeptisch gegenüber einer Vergegenständlichung des göttlichen Geschehens, wie auch immer sich diese darstellt. Daher rührt auch seine tiefe Abneigung gegenüber einer liturgischen Entfaltung des Glaubens. Aber nicht nur das, die protestantische Abneigung richtet sich grundsätzlich gegen jede bildliche Darstellung des Glaubens, gegen die Andachtsbilder in den Gotteshäusern und überhaupt gegen jede Art von künstlerischer Darstellung der Glaubenswahrheiten bis hin zur ästhetischen Ausgestaltung der gottesdienstlichen Räume in welcher Form auch immer. Unter diesem Aspekt hat der Protestantismus in der Tat etwas Trostloses an sich. Der inkarnatorischen Struktur des Heiles auf katholischer Seite entspricht auf protestantischer Seite eine spiritualistische. Das Grundprinzip des katholischen Christentums ist die Menschwerdung Gottes, während das Grundprinzip des protestantischen Christentums die Abstraktion ist, die Reduktion, der Abbau aller objektiven Fassbarkeit. Die Reformatoren vertreten ihren Spiritualismus mit Vehemenz. Sie meinen, nur so könnten sie der Kreaturvergötzung, der 35 Für die Tendenz zur Protestantisierung der katholischen Kirche nennt Georg May nicht wenige Beispiele in seinem Buch „Die Ökumenismusfalle (Brennpunkte, Theologie), Stuttgart 2004, 208 ff)“. Speziell in der Schweiz ist der Ökumenismus zu einer Falle geworden, das kann man aber auch für die Kirche in unserem Land sagen. May bezeichnet den Ökumenismus auch als amtlichen Interkonfessionalismus (235), er sieht in ihm eine Einbruchsstelle der Häresie in der Kirche (199). An einer Stelle schreibt er: „Wer energisch an der katholischen Lehre festhält, wird als Feind der nichtkatholischen Religionsgemeinschaften ausgegeben“ (200). Dem kann man nur zustimmen. Dass dies die Situation der Ökumene heute ist, ergibt sich nicht zuletzt auch aus zahlreichen Reaktionen von Protestanten auf die Erklärung der Glaubenskongregation vom 7. Juli 2007 über das „subsistit“ in dem Konzilsdokument „Lumen gentium“. 34 menschlichen Selbstgerechtigkeit und dem Aberglauben widerstehen, wodurch im katholischen Raum der reine Glaube und die wahre Gottesverehrung verfälscht würden. Für die Protestanten sind die Sakramente - es gibt für sie ohnehin nur noch zwei: die Taufe und das Abendmahl36 - nicht mehr Werkzeuge der Gnade, sondern Bedingungen der Gnade, für die Protestanten ist das entscheidende Moment der Rechtfertigung der Glaube, nicht mehr das Sakrament. Damit werden die Sakramente letztlich überflüssig, werden sie letztlich zu äußeren Akten, zu Handlungen, die keinen anderen Sinn haben, als den, dass sie die Gnade oder die Rechtfertigung erklären, als den, dass sie das sichtbar machen und zum Ausdruck bringen, was bereits geschehen ist37. Für Martin Luther (+ 1546) gilt: Nicht das Sakrament rechtfertigt den Menschen, sondern der Glaube an das Sakrament38. Damit tritt der Glaube bei ihm an die Stelle der Sache, der „res“ des Sakramentes, tritt das Subjektive an die Stelle des Objektiven und macht damit das Sakrament im Grunde überflüssig. Im protestantischen Verständnis ist das sakramentale Zeichen nicht ein Instrument des Heiles, da ist es für Gott lediglich ein Anlass, dem, der das Sakrament empfängt, seine Gnade zu schenken. Diese aber besteht in diesem Verständnis wesentlich in der Weckung des Glaubens und in seiner Stärkung, 36 Ob Luther das Bußsakrament als Sakrament anerkannt hat, darüber streitet man sich im Protestantismus. Immerhin beichtete Luther regelmäßig bis zu seinem Lebensende. Verloren ging die persönliche Beichte im Protestantismus in der Zeit der Aufklärung, wenngleich sie heute wieder hier und da praktiziert wird. In jedem Fall lässt das Augsburger Bekenntnis von 1530 eine sakramentale Deutung der Beichte zu, wenn da in Artikel 9 die Taufe, in Artikel 10 das Abendmahl und in Artikel 11 und 12 die Beichte und die Buße behandelt werden. 37 Uta Ranke-Heinemann, Der Protestantismus. Wesen und Werden, Essen 1965, 17. 38 Ebd., 21. 35 wobei der Glaube seinerseits auch als Voraussetzung für das Zustandekommen des Sakramentes gilt, obwohl es andererseits wiederum bei Luther Hinweise darauf gibt, dass das Zustandekommen des Sakramentes allein im Wort Gottes gründet, dass die Sakramente als heilsnotwendig zu erachten sind und dass ihr unwürdiger Empfang dem Empfänger zum Gericht wird39. De facto tritt in den evangelischen Kirchen auch die Bedeutung der zwei in ihnen noch verbliebenen Sakramente stark zurück, da Luther und die anderen Reformatoren dank ihrer Betonung des Wortes Gottes und der Gottunmittelbarkeit des Glaubenden den Sinn für das vermittelte Heil und für die sakramentale Struktur des Heiles verloren hatten. In jedem Fall kommt dem Glauben im Protestantismus die Priorität zu gegenüber dem Sakrament40. In den anglikanischen Kirchen zählt man zwar auch nur noch zwei Sakramente, versteht aber die anderen fünf Sakramente der katholischen Kirche als „Riten mit sakramentalem Charakter“. Damit will man sagen, dass bei ihnen zwar äußere und sichtbare Zeichen mit einer inneren und geistigen Gnade verbunden sind, dass sie jedoch nicht durch Christus und nicht für alle Christen angeordnet sind. Anders als die reformatorischen Gemeinschaften zählt die neuapostolische Kirche drei Sakramente, nämlich (1.) die „heilige Wassertaufe“ als Wiedergeburt und Abwaschung der Erbsünde, (2.) das „heilige Abendmahl“ als Einverleibung des Wesens Jesu und Empfangnahme göttlicher Kräfte und (3.) die „heilige Versiegelung“ als Hinnahme des Heiligen Geistes durch die Handauflegung eines Apostels, wodurch die Wiedergeburt vollendet wird. 39 D. Martin Luthers Großer Katechismus, vollständige Ausgabe, sprachlich durchgesehen und den Menschen der Gegenwart nahegebracht von Gottfried Holtz, Berlin 1962, 141. 40 Confessio Augustana , Art. 13. 36 In der orthodoxen Kirche gibt es nicht anders als in der katholischen Kirche sieben Sakramente, aber nur faktisch, da man in ihr über die sieben Sakramente hinaus alle kirchlichen Handlungen als „sakramental“ versteht und die Sakramente nicht begrifflich klar abgrenzt von den Sakramentalien. Das hängt damit zusammen, dass der Glaube in ihr primär vom liturgischen Vollzug her verstanden wird, dass er in ihr weniger durchreflektiert ist. Realsymbole Sakramente sind geschaffene Wirklichkeiten, die Gottes Gegenwart enthalten und zur Wirkung bringen. Von daher kann man sie auch als Realsymbole bezeichnen, als Symbole, die nicht nur bezeichnen, sondern gleichzeitig auch bewirken, was sie bezeichnen, als Instrumente des Heiles oder der Heilsgnade. Als solche sind sie ohne Analogie. Dazu gibt es keine Parallele. Deshalb bedürfen die Sakramente eines angemessenen Raumes und einer angemessenen Atmosphäre, einer Abgrenzung gegenüber dem Profanen. Im christlichen Altertum kam das zum Ausdruck durch die Arkandisziplin, in der man die entscheidenden Glaubensmysterien geheim hielt vor den Nichtgläubigen. Im katholischen Verständnis ist das Sakrament nicht ein leeres Symbol oder ein Gnadenzeichen, das „erst vom subjektiven Glauben her seine Wirksamkeit empfängt“41, sondern ein „dinglicher Ausdruck des Gnadenwillens Jesu“, ein „signum Christi“42. Es sichert die Gegenwart des Heiligen, des Göttlichen durch sich selbst, durch seinen objektiven Vollzug. Das bringen wir zum Ausdruck, wenn wir sagen: „Die Sakramente kommen nicht dadurch zustande, dass sie 41 Karl Adam, Das Wesen des Katholizismus, Düsseldorf 121949 (11924), 206. 42 Ebd. 37 geglaubt werden, sondern dadurch, dass sie vollzogen werden“43. So wird etwa in der Feier des Messopfers nicht nur in symbolischer Form an das Kreuzesopfer Christi erinnert, sondern dieses tritt in ihr als „reale überzeitliche Größe in die unmittelbare Gegenwart“44. Das will sagen: Was in der großen Liturgie der Kirche sichtbar geschieht, hat nicht nur die Qualität des bloß Symbolischen, sondern eben des Sakramentes. Ein Sakrament gehört zwar zur Gattung von Zeichen und Symbol, aber es ist nicht etwas „bloß“ Symbolisches. Es bedeutet nicht nur etwas, sondern es ist, was es sonst in unserer Welt nicht gibt, ein Zeichen, das zugleich bewirkt, was es bedeutet, es schafft eine objektive Realität. Das geschieht indessen nicht durch rein sprachloses „magisches“ Tun, das gesprochene Wort ist dabei vielmehr von großer Bedeutung. Irreführend wäre es jedoch, würde man sagen, das Wesen des Sakramentes bestehe im Wort. Nicht das Wort ist das Wesen des Sakramentes, sondern das Geschehen. Das Entscheidende und das Unterscheidende des Wortes ist im Vollzug des Sakramentes, dass, indem das Wort gesagt wird, eben das geschieht, wovon es spricht. „Was an Christus sichtbar war, ist in die Sakramente übergegangen“ In gewisser Weise kann man sagen, dass sich in den Sakramenten der Kirche die Menschwerdung Gottes fortsetzt. Papst Leo der Große (+ 461) erklärt bereits: „Was an Christus sichtbar war, ist in die Sakramente übergegangen“45. 43 „Sacramenta non implentur, dum creduntur, sed dum fiunt“. 44 Karl Adam, Das Wesen des Katholizismus, Düsseldorf 121949 (11924), 206. 45 Leo der Große, Sermo 74, 2. 38 In den Sakramenten ist das Göttliche dem Glaubenden gegenwärtig, wird der Empfangende des Göttlichen teilhaftig. Aber wie im Geheimnis der Inkarnation die beiden Naturen, die göttliche und die menschliche Natur, zwar auf das innigste miteinander verbunden, aber nicht vermischt oder zu einer inneren Einheit geworden sind46, so bleibt auch im Sakrament das göttliche Geheimnis bei aller Verbindung mit seiner sinnenhaften Darstellung letztlich von dieser getrennt. Um es mit anderen Worten zu sagen: Wie im Geheimnis des Mensch gewordenen Gottessohnes das Unsichtbare nicht aufgeht im Sichtbaren, so geht auch in den Sakramenten das Unsichtbare nicht auf im Sichtbaren. Das sinnenhaft Wahrnehmbare, das Sichtbare, ist somit im Vollzug des Sakramentes das Instrument des Unsichtbaren, nicht ist es jedoch mit diesem identisch. Das Übernatürliche geht hier nicht auf im Natürlichen. Das unterscheidet den christlichen Kult von dem heidnischen, von dem Fetischismus, von der Magie. In ihr obwaltet die Identität. Die Magie kennt nur die eine Wirklichkeit. In ihr gibt es nicht das Übernatürliche, sondern nur das Sinnliche und das Übersinnliche. In den Sakramenten offenbart und vergegenwärtigt das Sinnenhafte das Nicht-Sinnenhafte, das seinerseits jedoch das Geheimnis bleibt. Es bleibt im sakramentalen Geschehen die Unterscheidung zwischen dem Zeichen und der Sache. Wir unterscheiden im Christentum zwei Grundgeheimnisse, das Geheimnis des dreifaltigen Gottes und das Geheimnis der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person. Das Letztere stellen nach katholischem Verständnis die Sakramente und der Kult der Kirche dar. Während die Sakramente als sichtbare Zeichen, die unsichtbare Gnade vermitteln, von Christus eingesetzt sind, gibt es in der Kirche nicht wenige Die Formel von Chalcedon (451) laute „unvermischt und unverwandelt, ungeteilt und ungetrennt“. 46 39 sichtbare Zeichen, die unsichtbare Gnade vermitteln, die jedoch nicht von Christus eingesetzt, sondern durch die Kirche eingeführt worden sind. Sie nennen wir Sakramentalien. Die Sakramentalien könnte man auch als Sakramente zweiten Grades bezeichnen. Der Gebrauch der Sakramente und der Sakramentalien ist ein besonderes Kennzeichen der katholischen Frömmigkeit. Er spezifiziert gewissermaßen das Gebet, den Grundakt einer jeden Religion, auch des Christentums, den naturgemäßen und spontanen Ausdruck jeder Art von Frömmigkeit. Konstitutiv für die Kirche Die Sakramente können nicht an der Kirche vorbei gespendet werden. Sie können nur von jenen empfangen werden, die der Kirche angehören, von Ausnahmen abgesehen47. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. In jedem Fall hat der Empfang der Sakramente auch das Bekenntnis zum Glauben der Kirche zur Voraussetzung und ist er auch jeweils ein sichtbares Bekenntnis zu diesem Glauben. Die Kirche Christi stellt sich als solche primär in den Sakramenten dar. Darum muss jener, der die Sakramente empfangen will, Mitglied der Kirche sein, oder er muss es zuvor werden. Die Sakramente der Kirche verbinden jene, die Glieder der sichtbaren Kirche sind. Gerade durch die Sakramente unterscheiden sie sich von den nichtkatholischen Christen wie auch von den Nichtchristen. Das ist eine Wirklichkeit, die man heute nicht selten vergessen hat oder worüber man heute leichtfertig hinweggeht. 47 Unter bestimmten Voraussetzungen können die Sakramente etwa getauften Nichtkatholiken gespendet werden, wenn diese in Todesgefahr sind. 40 Zu bedenken ist hier auch, dass die Sakramente nach katholischem Verständnis in erster Linie und in jedem Fall konstituierend sind für die Kirche. Der heilige Thomas von Aquin sieht den Zweck der Sakramente in der „deputatio ad cultum divinum“, in der Bevollmächtigung zu christlichen Kulthandlungen. Die Substanz der Sakramente geht auf Christus zurück. Deshalb hat die Kirche nicht das Recht, sie zu verändern, so wenig, wie sie den überlieferten Glauben verändern kann. Verändern kann sie die akzidentellen Riten der Sakramente, die Zeremonien und die Gebete, welche den Vollzug des Sakramentes umgeben, nicht jedoch die Substanz des Sakramentes. Der Empfänger und der Spender des Sakramentes sind stets verschiedene Personen. Niemand kann sich selber ein Sakrament spenden. Eine Ausnahme macht hier die Eucharistie, was freilich im Wesen dieses Sakramentes liegt. Der Priester kann sich dieses Sakrament aber auch nur innerhalb der Feier der heiligen Messe spenden. Außerhalb dieser Feier ist das nicht möglich. In den Sakramenten begegnet uns das Prinzip des vermittelten Heiles, das die ganze Heilsgeschichte bestimmt, in besonderer Deutlichkeit. Heiligung des Lebens Die Sakramente sollen das heilige Gottesleben in uns wecken, nähren und vollenden. Sie wecken es in uns in der Taufe, kräftigen es in der Firmung, nähren es in der Eucharistie oder im Allerheiligsten Altarssakrament, stellen es wieder her im Fall des Verlustes im Bußsakrament, sichern und bereiten es bei schwerer Bedrohung des irdischen Lebens in der Krankensalbung, geben es weiter auf übernatürlichem Gebiet in der Priesterweihe, auf natürlichem Gebiet in der Ehe. 41 Jeder große Lebensabschnitt erhält durch ein Sakrament seine Gottesweihe: Der Eintritt ins Leben durch die Taufe, der Eintritt ins reife Alter durch die heilige Firmung, der Eintritt in die eheliche Gemeinschaft durch das Sakrament der Ehe und der Eintritt in die Ewigkeit beim Abschluss des Erdenlebens in der Krankensalbung oder in der heiligen Ölung. Die drei anderen Sakramente dienen der Sicherung und Erneuerung dieser Lebensweihe, die Priesterweihe, das Bußsakrament und das allerheiligste Sakrament des Altares. Drei Sakramente können nur ein einziges Mal empfangen werden. Sie prägen der Seele ein unauslöschliches Merkmal ein. Das sind die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Priesterweihe. In einem abgeschwächten Sinne gilt das auch für das Ehesakrament und für die Krankensalbung, sofern das Sakrament der Ehe nicht ein zweites Mal empfangen werden kann, solange eine Ehe fortdauert, und sofern man in einer Krankheit nur einmal das Sakrament der Krankensalbung empfangen kann. Weil uns in allen Sakramenten die Früchte des Leidens und Sterbens Jesu zugewendet werden, sagen wir gern, dass die sieben Sakramente wie sieben gewaltige Ströme sind, die am Fuße des Kreuzeshügels entsprungen sind oder genauer: im Herzen des gekreuzigten Erlösers. Der heilige Thomas von Aquin stellt fest, dass das gemeinsame Band, das die sieben Sakramente miteinander verbindet, der Nachlass der Sünden ist. Darum findet er im zehnten Artikel des Glaubensbekenntnisses, in dem Artikel „Ich glaube an den Nachlass der Sünden“ das Bekenntnis zu den sieben Sakramenten wieder. Positiv geht es dabei für ihn um die Heiligung des Lebens48. 48 Katechismus des heiligen Thomas von Aquin, Kirchen/Sieg 1971, 91; vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 63, a. 6. 42 Man unterscheidet Sakramente der Lebenden und der Toten. Die Sakramente der Toten sind das Sakrament der Taufe und das Sakrament der Buße. Sie legen den Grund zum übernatürlichen Leben der Gnade, besitzt der Empfänger aber bereits den Gnadenstand, dann erhöhen sie das Gnadenleben. Die übrigen Sakramente sind Sakramente der Lebenden, weil sie die Gnade der Gotteskindschaft voraussetzen und vermehren. Nur ausnahmsweise können sie das übernatürliche Leben auch verleihen, nämlich dann, wenn sich der Empfänger aufrichtig im Stande der Gnade glaubte, ohne es zu sein, und nur eine unvollkommene Reue erweckt hatte. Drei Sakramente sind unbedingt notwendig: die Taufe für alle Menschen, die Buße für jene, die nach der Taufe in eine schwere Sünde gefallen sind, und die Priesterweihe für die Kirche als solche. Der Würde nach ist das höchste Sakrament das Sakrament der Eucharistie. Der Mönch Dionysius Areopagita erklärt bereits im 5. Jahrhundert, das Altarssakrament sei das Ziel und die Vollendung aller Sakramente49. Angesichts der zentralen Bedeutung, die die Sakramente in der katholischen Kirche haben, ist es verhängnisvoll, dass die Sakramenten-Katechese in der Gegenwart sehr im Argen liegt und überhaupt das Verständnis für das sakramentale Prinzip und für das Leben mit den Sakramenten. Wie sieht es aus in den Gemeinden mit der Vorbereitung der Kinder auf den Empfang des Bußsakramentes und auf den Empfang der Eucharistie? Die Buß-Katechese entfällt oftmals völlig, die Eucharistie-Katechese übernehmen in der Regel „Tischmütter“, die oftmals extrem kirchendistanziert, wenn nicht gar protestantisch sind. Zudem geht es in den Zusammenkünften der Tischmütter mit ihrer Klientel ohnehin in erster Linie oder überhaupt nur um die Aktion. Der Pfarrer denkt schon lange nicht daran, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. 49 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 63, a. 6. 43 Er hat ja keine Zeit. Und der Pastoralreferent oder -assistent hält sich ebenfalls diese ihm unangenehme Arbeit vom Leibe. Das kann er guten Gewissens tun, indem er das Ehrenamt beschwört und das Laienapostolat apostrophiert. Bestenfalls übernimmt er es, die „Tischmütter“ zu instruieren. Nur in den wenigsten Fällen wird er sie jedoch dahin führen, dass sie den Kindern die genuine Lehre der Kirche vermitteln. Zusammen mit dem dogmatischen Prinzip steht das sakramentale Prinzip im Zentrum des katholischen Glaubens und Lebens. Im einen Fall geht es um die Objektivität des Glaubens, im anderen um die Objektivität der Vermittlung der göttlichen Gnade für ein Leben aus dem Glauben. Das sakramentale Prinzip gründet im inkarnatorischen Prinzip. Es konkretisiert sich in den Sakramenten, in denen die Gnade Christi uns in einem siebenfachen Lebensstrom zuteil wird in äußeren Zeichen, welche die ihnen korrespondierende innere Gnade objektiv vermitteln dank ihrer Einsetzung durch Christus, den Erlöser der Menschheit, den Stifter der Kirche. 44 DAS ALLERHEILIGSTE SAKRAMENT DES ALTARES Haupt und Mitte Der Würde nach ist das Allerheiligste Sakrament des Altares das höchste Sakrament. Es ist die Mitte der anderen sechs Sakramente und das Hauptsakrament. Der Mönch Dionysius Areopagita erklärt im 5. Jahrhundert, das Altarssakrament sei das Ziel und die Vollendung aller Sakramente50. Die Sonderstellung dieses Sakramentes beruht darauf, dass in ihm die Erlösung gegenwärtig wird, der Tod und die Auferstehung Christi, und dass Christus, der Auferstandene in ihm zugegen ist mit Gottheit und Menschheit, wahrhaft, wirklich und wesentlich, wie es das Konzil von Trient sagt51. Das höchste Sakrament, die Mitte der anderen Sakramente, das Hauptsakrament, ist zugleich der Inbegriff und die Summe unseres Glaubens52. „Die Eucharistie umfasst das Ganze der Erlösung und der Kirche gleichsam in einem Brennpunkt. Kleinigkeiten im Brennpunkt zeigen ihr wirkliches Gewicht erst bei der Vergrößerung. Deshalb sind Änderungen im Kleinen oft höchst 50 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 63, a. 6. 51 Vgl. Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1636. 52 Weltkatechismus. Nr. 1327. 45 folgenreich im Leben der Kirche. Ohne die Eucharistie wäre das Christentum eine Erinnerung an eine beeindruckende Gestalt der Vergangenheit und ihr Werk. Geblieben wäre eine große Idee, etwa die der stellvertretenden Hingabe oder der vorbehaltlosen Liebe“53. „Das Kreuzgeschehen ist, seinem historischen Verlauf nach, gewesen. Es ist Geschichte, es ist vergangen. Doch seiner realen Wirksamkeit nach ist es, bleibt es, ist es gegenwärtig und wirksam. Diese reale Gegenwärtigkeit bietet sich dar in der Eucharistie, in der heiligen Messe, auf dem Altar. Von dort aus geht dann der Strom des Erbarmens in viele Ströme auseinander. Zuvor sammelt er sich in der Fülle der Eucharistie, in dem überfließenden Becken des hauptsächlichen der Sakramente. Darum darf die Eucharistie das ‚Hauptsakrament‘ heißen. In ihm bricht das Ursakrament der Menschwerdung hervor in unser Dasein“54. Von dem Allerheiligsten Sakrament des Altares geht der sechsfache Strom des Lebens der übrigen Sakramente aus. Von daher ist es die Mitte der sakramentalen Welt. Papst Pius XII. (+ 1958) nennt es in der Enzyklika „Mediator Dei“ „das Haupt und die Mitte der christlichen Religion“55. Diese Charakterisierung der Eucharistie greift das II. Vatikanische Konzil auf. Um das Haupt und um die Mitte der sakramentalen Welt breitet sich „das neue Paradies, das Reich der Gnade, der Garten des göttlichen Erbarmens aus. Wer dort weilt, kann aus den Wassern des Heiles schöpfen, die in diesem Sakrament 53 Anton Ziegenaus, die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramentenlehre (Leo Scheffczyk, Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, VII), Aachen 2003, 259. 54 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten. Hilfe zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 21. 55 Papst Pius XII. Enzyklika „Mediator Dei“, Nr. 65. 46 eingeschlossen sind. Hier findet er Erquickung und Kraft. Hier findet er vor allem Christus selber“56. Dem Sakrament der Eucharistie sind die anderen sechs Sakramente der Kirche zugeordnet: Die Taufe ist der Zugang zur Eucharistie, und sie empfängt ihre Kraft, so sagt es der heilige Thomas von Aquin, aus der Sehnsucht nach der Eucharistie57. Die Firmung ist die „Abordnung“ zur Eucharistie, sofern sie das Leben des Getauften auf die Mitfeier und das Mitopfer des Opfers Christi hinordnet. Die Priesterweihe hat ihren Hauptsinn in der Bevollmächtigung zur Eucharistie, in der Gegenwärtigsetzung des Opfers Christi. Daran erinnert vor allem die Überreichung des Kelches bei der Priesterweihe. Die Eucharistie setzt „in ihrem Vollzug die Weihe voraus, und die Weihe tendiert vor allem zur Eucharistie hin“58. Auch die heilenden und richterlichen Sakramente ordnen sich der Eucharistie zu: Die Buße heilt den durch Verlust der Taufgnade schuldig gewordenen Christen und gliedert ihn wieder ein in die Opfergemeinschaft. Die Krankensalbung bringt dem Kranken die Rekonziliation, wenn er den Weg des Bußsakramentes nicht mehr gehen kann, auf die kirchliche und eucharistische Gemeinschaft hin. Dem schon Rekonziliierten, dem, der nicht abgeirrt ist, bringt sie Heil für Leib und Seele aus den Wunden Christi, die „im Leibe Christi, auch im eucharistischen Leibe Christi, für den leidenden Menschen wirksam werden“59. Das Sakrament der Ehe führt die Verehelichten ähnlich wie die Priesterweihe zur Eucharistie hin, sofern ihnen das, was sie an Kraft für den 56 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten. Hilfe zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 22. 57 Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, q. 73, a. 3. 58 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten. Hilfe zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 28. 59 Ebd., 29. 47 gemeinsamen Lebensweg notwendig haben, ergänzend zu der bleibenden, zu der sakramentalen Gnade der Ehe durch die Eucharistie vermittelt wird60. Ein unausschöpfliches Geheimnis Die Wirklichkeit des unausschöpflichen Geheimnisses der Eucharistie haben Theologen und Dichter in der Geschichte der Kirche in vielfältiger Weise zu beschreiben versucht. Der Kirchenvater Ignatius von Antiochien (+ um 110) nennt das Allerheiligste Sakrament des Altares die Arznei der Unsterblichkeit, ein Gegengift, dass man nicht stirbt61. Johannes Chrysostomus (+ 403) schildert das Geheimnis des Altarssakramentes mit den Worten: „Was die Engel mit Zittern sehen und ohne Furcht nicht anzublicken wagen, weil Blitze davon ausgehen, damit werden wir gespeist, damit vereinigt, so dass wir mit Christus ein Leib und ein Fleisch werden“62. Thomas von Aquin (+ 1274) nennt das eucharistische Sakrament das Wunder aller Wunder63, weil in ihm das ganze Geheimnis unseres Heiles beschlossen64. Nach ihm nimmt dieses Sakrament unter allen Sakramenten den ersten Platz ein, weil in ihm Christus selbst wesenhaft enthalten ist, während die anderen Sakramenten nur eine werkzeugliche, eine von ihm mitgeteilte Kraft enthalten. Die grundlegende Bedeutung dieses Sakramentes ergibt sich darüber hinaus nach Thomas aus der 60 Ebd, 28 f. Vgl. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, Buch IV, Kap. 58. 61 Ignatius von Antiochien, Brief an die Epheser, c. 20, 2. 62 Johannes Chrysostomus, Homiliae in Matthaeum, Homilia 82; vgl. Anton Ziegenaus, die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramentenlehre (Leo Scheffczyk, Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, VII) Aachen 2003, 257 f. 63 Thomas von Aquin, Sentenzenkommentar IV, q. 1, a. 3, ad 3. 64 Ders., Summa Theologiae, III, q. 76, a. 1. 48 Ordnung der Sakramente untereinander, denn alle anderen Sakramente sind auf dieses eine hingeordnet wie auf ihr Ziel65. Der französische Schriftsteller Paul Claudel (+ 1955) - im Jahre 1886 konvertierte er als Achtzehnjähriger zur katholischen Kirche - schreibt im Blick auf das Sakrament des Altares: „Die Eucharistie ist der Inbegriff des Katholizismus, der unendlich feine und gewichtige Punkt, in dem er sich zusammenfassen lässt. Die Eucharistie ist die wirkliche Gegenwart. Das heißt, dass Christus nicht nur in unserem Denken für uns gegenwärtig ist, in unserem Herzen und in unserer Vorstellung, sondern dass er leibhaftig hier ist, genau wie in den Tagen von Galiläa, aber auf eine noch wesentlich intimere Weise“66. Das verfremdete Mysterium „Die Eucharistie“, so stellt Papst Johannes Paul II. in seiner letzten Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ - zu deutsch: „Die Kirche lebt aus der Eucharistie“ im Jahre 2003 fest, „ist die Heil bringende Gegenwart Christi in der Gemeinschaft der Gläubigen und ihre geistliche Nahrung, sie ist das wertvollste Gut, das die Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte haben kann“67. Das ist das Ideal, die Wirklichkeit sieht jedoch oft ganz anders aus, sofern die Eucharistiefeier, die heilige Messe, oftmals verfremdet und profaniert, improvisiert und abstrusen Experimenten überantwortet wird und sofern eine größere Zahl von Priestern die tägliche Feier der heiligen Messe, die doch eigentlich das Fundament der priesterlichen Existenz darstellt, schon seit 65 Ebd. Paul Claudel /André Gide, Zweifel und Glaube, Briefwechsel 1899 - 1926, München 1965 (dtv 277), 226; vgl. Anton Ziegenaus, die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramentenlehre (Leo Scheffczyk, Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, VII), Aachen 2003, 258. 66 67 Johannes Paul II., Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17. April 2003, Nr. 9. 49 geraumer Zeit aufgegeben hat. Der Verfall des eucharistischen Glaubens begegnet uns, und er wird gefördert, wo immer man die Liturgie fortwährend kommentiert, das Stehen der Gläubigen auch während des eucharistischen Hochgebetes propagiert, den Begriff der Transsubstantiation vermeidet, die heilige Wandlung, den Höhepunkt der eucharistischen Feier, nivelliert, und in den Erstkommunionfeiern und den so genannten Familienmessen den Geheimnischarakters der Eucharistie mehr und mehr preisgibt. Das Phänomen der Distanzierung vieler Priester von der Feier der heiligen Messe greift Papst Johannes Paul II. auf, wenn er in seinem Apostolischen Schreiben „Dominicae Cenae“ vom 24. Februar 1980 feststellt, dass die Eucharistie „der wesentliche und zentrale Seinsgrund für das Sakrament des Priestertums ist, das ja im Augenblick der Einsetzung der Eucharistie und zusammen mit ihr gestiftet worden ist“68. In der Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ - „Die Kirche lebt aus der Eucharistie“ - fordert der Papst die Priester auf, täglich die Eucharistie zu feiern69. Er betont dabei, dass die Eucharistiefeier auch dann ein Akt Christi und der Kirche ist, wenn der Priester ohne Gläubige die heilige Messe feiert. Wiederholt spricht der Papst in dieser Enzyklika auch von den Missbräuchen und von den willkürlichen Verzerrungen der Eucharistiefeier, von der falsch verstandenen Auffassung der Priester von Kreativität und Anpassung, worin man die von der Kirche vorgeschriebene Form nicht mehr für verbindlich erachtet und immer wieder „nicht autorisierte und oft völlig unpassende Neuerungen“ einführt70. Kategorisch erklärt er: „Ich verspüre deshalb die 68 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Dominicae Cenae“ vom 24. Februar 1980, Nr. 2. 69 Ders., Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17. April 2003, Nr. 31. 70 Ebd., Nr. 52. 50 Pflicht, einen innigen Appell auszusprechen, dass die liturgischen Normen in der Eucharistiefeier mit großer Treue befolgt werden“71. Feier der Erlösung Im Sakrament des Altares werden - so sagt es der Weltkatechismus - „Brot und Wein durch die Worte Christi und die Anrufung des Heiligen Geistes zu Leib und Blut Christi gewandelt. Der Anweisung des Herrn entsprechend führt die Kirche bis zu seiner Wiederkunft in Herrlichkeit zu seinem Gedächtnis das weiter, was er am Abend vor seinem Leiden getan hat“72. In diesem Geheimnis begehen wir die Feier unserer Erlösung in der Gestalt der Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers Christi. Die Erlösung ist einer der zentralen Begriffe des Christentums, nicht nur des Christentums, sondern der meisten Religionen. Um es genauer zu sagen, im Christentum gibt es drei zentrale Begriffe, nämlich die Begriffe Offenbarung, Glaube und Erlösung, wobei Offenbarung und Glaube als korrelate Begriffe zu verstehen sind, das heißt: die Offenbarung geht aus von Gott, und der Mensch ergreift sie im Glauben. Die beiden Begriffe Gott und die Seele, die ihrerseits durch die menschliche Vernunft erreichbar sind, sind dabei gleichsam die Voraussetzung für das Christentum und im Grunde für jede Religion überhaupt. Nun ist der Begriff der Erlösung heute der am meisten entleerte Begriff oder das am meisten entleerte Wort im christlichen Glauben. Nicht wenigen Gläubigen fällt es schwer, dahinter noch eine Wirklichkeit zu entdecken. Schon 1979 fragte der Theologe Joseph Ratzinger kritisch, ob denn das Wort „Erlösung“ noch mehr sei als eine Phrase. Heute ist es so, dass der Begriff der Erlösung in der 71 Johannes Paul II., Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17.4.2003, Nr. 52. 72 Weltkatechismus, Nr. 1333. 51 Theologie wie auch im Religionsunterricht und in der Glaubensverkündigung der Kirche, wenn er überhaupt noch angesprochen wird, weithin so interpretiert wird, dass nicht mehr übrig bleibt von ihm. Ein moderner Autor stellte kritisch fest, die Erlösungsbotschaft des Christentums sei heute in ein seichtes und inhaltsleeres innerweltliches Hoffnungsgeschwätz aufgelöst worden73. Viele machen heute aus der Erlösungsbotschaft einen Appell, sich für irdischen Wohlstand und Gerechtigkeit in dieser Welt einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist auch das Faktum zu bedenken, dass die Sünde und die Ursünde weithin ausgeklammert werden im Religionsunterricht und in der Verkündigung, währenddessen die Erbsünde und die individuellen Sünden der Hintergrund der christlichen Erlösungsbotschaft sind und die Erlösung ohne sie einfach nicht mehr verstanden werden kann. Die Ursünde verweisen viele in das Reich der Mythologie und die individuelle Sünde des Menschen in das Reich der Psychopathologie, da sie mehr oder weniger davon ausgehen, dass der Mensch nicht frei ist in seinem Handeln und dass das, was wir als das Gewissen bezeichnen, nichts anderes ist als Einbildung. So entbehrt es nicht einer gewissen Konsequenz, wenn man heute die Erlösungsreligion des Christentums weithin auf ein leeres Gutmenschentum nach dem Motto „Seid nett zueinander, denn Jesus war auch nett zu uns“ reduziert, wobei man freilich nicht bedenkt, dass jeder Appell gegenstandslos ist, wenn der Mensch nicht frei ist und verantwortlich ist für sein Tun und Lassen. Eine andere Weise der Reduktion der Erlösungsreligion des Christentums ist der, dass man das Wesen des Christenglaubens als einen Weg ansieht, der dem Menschen dazu verhilft, die eigene Sterblichkeit anzunehmen. Kürzlich erschien ein Buch, in dem „das Einswerden mit der eigenen Unvollkommenheit“ als das 73 Vgl. Neue Züricher Zeitung vom 11./12. August 2007, Nr. 184, S. 43. 52 Wesen der Erlösung verstanden wird74. Da wird dann die demütige Endlichkeitsannahme des Menschen als das entscheidende Wesen des Christentums angesehen. Um das zu erkennen und um aus solcher Erkenntnis zu leben, dazu braucht es indessen keine Offenbarung. Vor allem wird in diesem Kontext das konkrete Schicksal Jesu von Nazareth völlig unverständlich. Es zeigt sich so, dass das Christentum heute weithin banalisiert wird. Diese Banalisierung erfolgt vor dem Hintergrund Christentums, die unter dem Gesetz steht, der Naturalisierung des alles Übernatürliche aus dem Christentum auszuklammern und alles in ihm auf den Menschen zu beziehen. Ein Priester aus Burundi, der in Freiburg ein Promotionsstudium macht und über den Begriff der Erlösung arbeitet, erklärte - wohl ein wenig unüberlegt -, das Ziel der Erlösung sei der Wohlstand für alle und das weltjenseitige Heil müsse heute als irdisches Wohl verstanden werden. Da wird die lateinamerikanische Befreiungstheologie nach Afrika exportiert, wenn hier nicht eine gründliche Korrektur erfolgt. Die Verdiesseitigung der welttranszendenten Erlösung stellt sich heute entweder individuell oder kollektiv dar, psychologisch oder politisch. Die Erlösung ist als das Wesen der christlichen Offenbarung, der alttestamentlichen wie auch der neutestamentlichen, untrennbar mit der Ursünde, mit der sündigen Verfasstheit des Menschen, und mit den konkreten Sünden der Menschen verbunden. Die Ursünde aber ist eine Wirklichkeit, nicht anders als es die konkreten Sünden der Menschen sind. Wäre uns die Ursünde nicht geoffenbart worden, könnten wir sie beinahe erschließen aus dem Zustand unserer Welt und des Menschen. Der Apostel Paulus spricht von dem 74 Peter Groß, Jenseits der Erlösung. Die Wiederkehr der Religion und die Zukunft des Christentums, Bielefeld 2007; vgl. Neue Züricher Zeitung vom 11./12. August 2007, Nr. 184, S. 43. 53 Widerstreit in der Seele des Menschen, in dem sich das Böse mächtig erweist75. Dieser Widerstreit setzt sich fort in der Welt und in der Geschichte der Menschen und entfaltet darin immer größere Macht. Dem unvoreingenommenen Beobachter unserer Wirklichkeit drängt sich da der Gedanke auf, dass Gott die Welt und den Menschen so nicht gedacht haben kann, dass also am Anfang der Geschichte eine Katastrophe das Werk Gottes durchkreuzt haben muss. Im dritten Kapitel des ersten Buches des Alten Testamentes, das sich mit der Erhebung des ersten Menschenpaares gegen Gott beschäftigt, ist von dieser Katastrophe die Rede, wenn sich mit ihr die Verheißung der Erlösung verbindet: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft, sie wird dir den Kopf zertreten“76. Diese Stelle - wir nennen sie auch das Protoevangelium - ist uns von Kindesbeinen an vertraut. Sie findet ihre Erfüllung im Kreuzesgeschehen, im Tod und in der Auferstehung des gekreuzigten Christus. Dieses aber bleibt nicht nur in der Erinnerung lebendig, als ein Ereignis der Geschichte, in seiner kultischen Feier erhält es darüber hinaus fortdauernde Gegenwart. Davon spricht Paulus, wenn er im 1. Korinther-Brief erklärt: „So oft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündet ihr damit den Tod des Herrn, bis er wiederkommt“77. Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers Christi Man hat die Feier der Heiligen Messe als Erneuerung des Kreuzesopfers bezeichnet. Das ist nicht ganz falsch, aber doch missverständlich. Besser ist hier der Terminus 75 Rö 7, 23. 76 Gen 3, 15. 77 1 Kor 11, 26. „Gegenwärtigsetzung“, „repraesentatio“. Durch die 54 Gegenwärtigsetzung oder Vergegenwärtigung des Erlösungsopfers Christi werden uns die Gnaden der Erlösung zugewendet. So hat es der Erlöser bestimmt. Das ist der eigentliche Grund, weshalb die Feier der heiligen Messe das bleibende Zentrum des Christentums ist. Weil die Erlösung das Herzstück des Christentums ist, deshalb ist die Eucharistie seine entscheidende Mitte. Das Erlösungsopfer Christi hat die Ursünde getilgt und alle Schuld der Menschen, die vor Christus gelebt haben. Ferner hat Christus durch sein Erlösungsopfer die Schuld aller gesühnt, die zu seiner Zeit gelebt haben, und im Voraus die Schuld aller Menschen, die nach ihm kamen und noch kommen werden. Zwar hat er am Kreuz alle Schuld der Menschen gesühnt, nicht aber hat er die Möglichkeit zu sündigen aus der Welt geschafft. Den freien Willen hat er den Menschen nicht genommen. Darum können sie sich immer wieder für oder gegen Gott entscheiden, können sie sich nach wie vor von Gott abwenden und seine Ordnung missachten und durchbrechen. Somit ist auch in der erlösten Welt die Schuld gegenwärtig. Gerade in unserer Zeit türmt sie sich gleichsam auf vor Gott, da viele sich von Gott abgewandt und alle Orientierung verloren haben. Weil Christus aber alle Schuld der Menschen auf sich genommen hat, kann auch diese Schuld Vergebung und Heilung finden. Wo immer aber Vergebung und Heilung geschenkt werden, da geschieht das durch das Kreuz Christi. Allein im Zeichen des Kreuzes gibt es Vergebung und Heilung in unserer Welt. Zugewendet werden uns die Gnaden der Erlösung in den Sakramenten, vor allem aber im Sakrament der Eucharistie, in dem das Erlösungsgeschehen in spezifischer Weise seine kultische Vergegenwärtigung erfährt. Wie die Schuld jedoch nicht ohne die Freiheit des Menschen zustande kommt, so gibt es auch keine Vergebung ohne die freie Abwendung des Menschen von der Schuld, ohne die Bekehrung. Die Bekehrung, ist das zentrale Thema der Reich-GottesPredigt Jesu, wie sie uns in den Evangelien geschildert wird. 55 In der Gestalt der Danksagung Die kultische Vergegenwärtigung des Erlösungsgeschehens erfolgt in der Feier der Heiligen Messe in der Gestalt der Danksagung. Indem wir Gott darin danken für die Erlösung, setzt er sie gegenwärtig und macht sie wirksam. Deshalb nennen wir diese Feier „Eucharistia“. Der Dank für die Erlösung, das ist der primäre Inhalt des Dankes in dieser Feier, der sekundäre Inhalt ist dann der Dank für die Schöpfung, denn die Erlösung verweist uns auf die Schöpfung und die Schöpfung verweist uns auf die Erlösung, sofern die Schöpfung in der Erlösung gleichsam neu gestaltet wird. In der Feier der Heiligen Messe ist die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers eingebettet in das große Danksagungsgebet, das eingeleitet wird durch die Präfation: Während wir Dank sagen für die Großtaten der Erlösung, werden diese in einzigartiger Weise durch ein Wunder Gottes gegenwärtig. Opfer und Opfermahl Dabei gedenken wir des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Das tun wir in der Gestalt des Mahles. In diesem Mahl ist Christus, dessen Gedächtnis gefeiert wird, selbst als Gastgeber und Mahlherr anwesend. Diese seine Anwesenheit hat seinshaft personalen Charakter. Die seinshafte Gegenwart Christi ist hier die Grundlage seiner personalen Gegenwart. Zugegen ist er hier als der Geopferte, als der, der sich hingegeben hat für gesamte Menschheit. Im Opfermahl der heiligen Kommunion werden die Kommunizierenden mit Christus und untereinander verbunden. Damit werden sie in besonderer Weise auf die Nächstenliebe hingeordnet, weshalb man nicht die Eucharistie feiern kann, ohne sich in höherem Maße in den Dienst der Menschen zu stellen. 56 Papst Johannes Paul II. erklärt in seiner Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“78: „Die Kirche geht aus dem Ostermysterium hervor. Genau deshalb steht die Eucharistie als Sakrament des Ostermysteriums schlechthin im Mittelpunkt des kirchlichen Lebens“. Und er fährt fort: „Das sieht man bereits an den ersten Bildern für die Kirche, die uns in der Apostelgeschichte überliefert werden: ‚Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten‘ (Apg 2, 42). Im ‚Brechen des Brotes‘ ist die Eucharistie angedeutet. Nach 2000 Jahren verwirklichen wir noch immer dieses ursprüngliche Bild für die Kirche“79. Weiter heißt es dann in der Enzyklika: „Die Einsetzung der Eucharistie nahm auf sakramentale Weise die Ereignisse vorweg, die sich beginnend mit der Todesangst in Gethsemani kurz darauf zutragen sollten“80. In der besagten Enzyklika bezeichnet der Papst das heilige Triduum, das Triduum paschale, die Feier der drei österlichen Tage vom Gründonnerstag bis zur Osternacht, als das Fundament und die Quelle der Eucharistie, und er erklärt, dass sich in der Eucharistie gewissermaßen das Geschehen der heiligen drei Tage konzentriert und perpetuiert, das heißt verewigt, sofern das eucharistische Geheimnis die Kirche auf dem Pilgerweg ihrer Geschichte begleitet bis Christus einst wiederkommt in Herrlichkeit81. Und der Papst fügt dann noch hinzu, dass dieser Gedanke in uns ein großes und dankbares Staunen weckt und wecken muss. Das Staunen, eine Fähigkeit, die wir weithin verloren haben, wir sollten sie wieder einüben im Hinblick auf die Wahrheiten des Glaubens, speziell im Hinblick auf die zentrale Glaubenswahrheit des Allerheiligsten 78 „Die Kirche lebt aus der Eucharistie“. 79 Johannes Paul II., Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17. April 2003, Nr. 3. 80 Ebd. 81 Ebd., Nr. 5 57 Altarssakramentes. Mit dem Staunen kann sich leicht die Dankbarkeit verbinden. Wir nennen das zentrale Geheimnis der Kirche auch die Eucharistie. Eucharistie bedeutet Danksagung. Die Danksagung setzt die Dankbarkeit voraus und ordnet gleichzeitig auf sie hin. Vermittels der Eucharistie können wir, wie Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Die Kirche lebt aus der Eucharistie“ feststellt, so am Werk unserer Erlösung teilnehmen, als ob wir selbst dabei gewesen wären, und daraus in unerschöpflichem Maß die Früchte erlangen82. Sühne und Vergebung Sühne und Vergebung sind die entscheidenden Elemente der Feier der Heiligen Messe. Das wird deutlich durch den Bußritus, mit dem die Feier der heiligen Messe beginnt, dessen Zentrum das „Confiteor“ ist, wobei hier kritisch anzumerken ist, dass dieser Bußritus in der Praxis oft sehr verstümmelt ist, wenn er nicht gar gänzlich entfällt. Dass Sühne und Vergebung die entscheidenden Elemente der Feier der Heiligen Messe sind, wird dann noch einmal deutlich auf dem Höhepunkt der heiligen Handlung, wenn es im Vollzug des Opfers, in der Verwandlung der Opfergaben, heißt: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ und „Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden“. Am 15. August des Jahres 2008, dem Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, erklärte Bischof Mixa von Augsburg in einer Predigt in Maria 82 Ebd., Nr. 11. 58 Vesperbild: „Im Messopfer tritt Christus selbst in die Mitte unserer Wirklichkeit, und da ist er für jeden Menschen ein machtvoller und siegreicher Helfer gegen die übermenschliche Macht des Bösen, die Gottverneinung und das Satanische, wie es durch das Bild des feurigen Drachens im Buch der Apokalypse dargestellt wird“83. Das ist es genau, darum geht es in der Feier der Heiligen Messe, deshalb ist sie die Krönung eines jeden Tages in der Kirche Gottes, sollte sie auch die Krönung eines jeden Tages im Leben der Gläubigen sein, soweit das möglich ist. Die tägliche Mitfeier der Heiligen Messe ist das Ideal des Christen. Das ergibt sich aus ihrem Wesen. Deshalb dürfte es auch für den Priester, der seine Identität bewahrt hat, die größte Selbstverständlichkeit sein, dass er täglich das heilige Opfer feiert, nach Möglichkeit nicht in Konzelebration. Letztere kann lediglich als Ausnahmefall ihre Berechtigung haben. Das wird heute freilich vielmals nicht mehr gesehen, weil man sich über die theologischen und spirituellen Defizite der Konzelebration im Allgemeinen nur wenig Gedanken macht. Die Konzelebration, die zunächst als Ausnahme gedacht war, ist heute weithin zur Regel geworden. In dieser Form ist sie das Produkt einer verdunkelten eucharistischen Glaubens und trägt sie bei zu einer weiteren Verdunklung dieses Glaubens. Die heilige Messe ist nicht nur ein Sühnopfer, sie ist auch ein Lob- und Dankopfer, wie auch das Kreuzesopfer die höchste Verherrlichung des Vaters im Himmel durch den Mensch gewordenen Sohn Gottes und der größte Dank an ihn gewesen ist. Im Sühnopfer der heiligen Messe loben, preisen und danken wir Gott in einer Weise, wie wir das als Menschen nicht vollkommener zu tun vermögen. Viele Namen 83 Kathnet vom 16. August 2008. 59 Seit den Tagen der Apostel begegnet uns das Mysterium der Heiligen Messe unter verschiedenen Bezeichnungen. So spricht man in alter Zeit vom Herrenmahl, vom Brotbrechen, von der Danksagung oder von der Eucharistie, vom Opfer und vom Abendmahl. Die letztgenannte Bezeichnung geht noch am wenigsten auf das wirkliche Geschehen ein. Nicht von ungefähr haben die Reformatoren sich diesen Terminus in besonderer Weise zu Eigen gemacht, der allerdings bei ihnen etwas gänzlich Anderes zum Ausdruck bringt, als es bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts der Fall gewesen ist und auch heute noch in der katholischen Kirche der Fall ist. In ältester Zeit beschrieb man die Feier der Eucharistie gern mit dem Tätigkeitswort „dominicare“, das heißt „den Herrn feiern“. Von diesem Tätigkeitswort her erhielt der erste Tag der Woche seinen Namen „Dies Dominica“, „Tag des Herrn“, denn ursprünglich wurde die Feier der Eucharistie am Gedenktag der Auferstehung Christi begangen, am ersten Tag der Woche. „Dominus“, griechisch „Kyrios“, das war das entscheidende Christusbekenntnis der alten Kirche, die sich damit zur Gottheit Jesu von Nazareth bekannte, denn der „Kyrios“ war im griechisch sprechenden Judentum „Jahwe“, der Gott der Väter. In der „Imitatio Christi“, in der „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempen (+ 1471) wird das Sakrament des Altares als Arznei in der Krankheit bezeichnet84, als Trost im Tal der Tränen85, als Licht im Kerker des Leibes86, als Erfüllung der Sehnsucht87, als Speise für den Hungernden88, als Born der Gnade und 84 Thomas von Kempen, Die Nachfolge Christi, Buch IV, Kap. 3, 13; Kap. 4, 10. 85 Ebd., Kap. 2, 24; Kap. 1, 50. 86 Ebd., Kap. 11, 21. 87 Ebd., Kap. 17, 16. 88 Ebd., Kap. 11, 23; Kap. 6, 16. 60 Barmherzigkeit89 und als wärmendes Feuer90. Nach Augustinus ist die Eucharistie das Sakrament der Einheit und das Band der Liebe91. Der selige Kardinal Newman (+ 1890) bezeichnet sie einmal als die höchste Form der Intervention Gottes92. Das älteste schriftliche Zeugnis Das älteste schriftliche Zeugnis über die Feier des Herrenmahls in der jungen Kirche begegnet uns im 1. Korinther-Brief: 1 Kor 11, 20 - 34. Hier ist nicht vom Abendmahl die Rede, sondern genauer vom „Abendmahl des Herrn“ (1 Kor 11, 20). Die Bezeichnung „Herrenmahl“ ist von daher jene, die dem Ursprung am nächsten ist. Der erste Korinther-Brief wurde Anfang der fünfziger Jahre des 1. Jahrhunderts geschrieben. Im 11. Kapitel dieses Briefes spricht Paulus von den Missständen bei der Feier des Herrenmahls in der Gemeinde von Korinth. Deshalb beginnt er mit den Worten: „Wenn ihr nun zusammenkommt, so hält man da nicht das Herrenmahl, denn ein jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg, und der eine ist hungrig, der andere ist betrunken“93. Von Anfang an hatte das Herrenmahl demnach Öffentlichkeitscharakter, wurde es nicht als privates Mahl verstanden, sondern als kultische Feier der Gemeinde im Rahmen der Gemeindeversammlung, mit dem allerdings ursprünglich auch ein Sättigungsmahl verbunden war, von dem man jedoch sehr bald abging. Was 89 Ebd., Kap. 10, 1. 90 Ebd., Kap. 4, 18; Kap. 16, 12. 91 Augustinus, In Evangelium Ioannis, 26, 13. 92 John Henry Newman, Entwurf einer Zustimmungslehre (ausgewählte Werke Newman, VII), Mainz 1961, 341 f. 93 1 Kor 11, 20 ff. 61 jedoch noch eine Weile blieb, das waren die so genannten „Agapen“, die Liebesmähler, in denen es vor allem darum ging, den Armen etwas zukommen zu lassen94. In unserem Abschnitt des 1. Korinther-Briefes verweist Paulus bereits bewusst die Sättigung in den privaten Bereich. Deshalb fragt er: „Habt ihr denn nicht Häuser, wo ihr essen und trinken könnt? Oder verachtet ihr die Gemeinde Gottes und beschämt die, die nichts haben?“95. Hier wird deutlich, dass es sich bei dem Herrenmahl um etwas völlig anderes handelte als um die Mähler, wie sie sonst begangen wurden. Das Sättigungsmahl schloss sich, wie wir hier erfahren, an das Herrenmahl an. Und da waren in der Gemeinde von Korinth offenkundig solche, die das Herrenmahl nicht abwarteten, sondern ihre eigene Mahlzeit bzw. ihre Sättigung vorwegnahmen. Das Ergebnis eines solchen Verhaltens war das, dass nachher nichts mehr da war, dass einige bei dem gemeinsamen Mahl leer ausgingen. Die Einsetzungsworte Dass Paulus die Einsetzungsworte wörtlich versteht, folgt nicht zuletzt auch daraus, dass er im unwürdigen Genuss der Eucharistie eine Versündigung am Leib und Blut des Herrn sieht, im würdigen Empfang eine Teilnahme am Leib und Blut Christi96. Ähnlich sagt Paulus noch einmal im 10. Kapitel des 1. Korinther-Briefes: „Ist der Kelch des Segens, den wir segnen, nicht eine 94 „Agape“ ist das griechische Wort für „caritas“. 95 1 Kor 11, 22. 96 1 Kor 11, 27 - 29. 62 Teilnahme am Blut Christi, und das Brot, das wir brechen, nicht eine Teilnahme am Leibe Christi“97. Immer wieder hat man die Worte Jesu „das ist mein Leib“ und „das ist mein Blut“ im übertragenen Sinn oder auch symbolisch verstehen wollen. Faktisch dominiert dieses Verständnis heute in allen christlichen Gemeinschaften. Demgegenüber hat die katholische Kirche immer daran festgehalten, und auch heute hält sie offiziell daran fest, dass diese Worte im buchstäblichen Sinne verstanden werden müssen. Sie beruft sich dabei auf die Eindeutigkeit des biblischen Zeugnisses. Die Richtigkeit des wörtlichen Verständnisses der Worte „das ist mein Leib“ und „das ist mein Blut“ wird dadurch unterstrichen, dass Jesus im Zusammenhang mit der Verheißung des Allerheiligsten Altarssakramentes im 6. Kapitel des Johannes-Evangeliums erklärt: „Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank“98 oder dass er auf die Frage seiner Zuhörer: „Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?“99 die in den Augen seiner Zuhörer Ärgernis erregende Vorstellung nicht korrigiert, wie er es sonst bei Missverständnissen tut100, sondern bestätigt. Das tut er selbst auf die Gefahr hin, dass ihn seine Jünger und die Apostel verlassen101. Wenn er dann schließlich erklärt „der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch ist zu nichts nütze“, so weist er damit nicht die buchstäbliche Deutung, sondern nur eine grob 97 1 Kor 10, 16. Vgl. Ludwig Ott, Grundriss der katholischen Dogmatik, Freiburg 101981, 448 - 451. 98 Joh 6, 55. 99 Joh 6, 52. 100 Vgl. Joh 3, 3 ff; 4, 32 ff; Mt 16, 6 ff. 101 Joh 6, 60 ff. 63 sinnliche Deutung zurück102. Solche Zusammenhänge unterstreichen auch die verschiedensten Kirchenväter, unter ihnen der größte Theologe der Alten Kirche, Augustinus von Hippo. Viermal oder in vierfacher Weise begegnet uns die Einsetzung des Allerheiligsten Altarssakramentes in der Heiligen Schrift des Neuen Testamentes, nämlich bei Matthäus, bei Markus, bei Lukas und bei Paulus. Bei Matthäus und Markus - wir sprechen hier von der petrinischen Form - heißt es: „Das ist mein Leib“103, bei Lukas und bei Paulus - wir sprechen hier von der paulinischen Form - heißt es: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“104. Die über den Kelch gesprochenen Worte lauten in der petrinischen Form, also bei Matthäus und Markus: „Das ist mein Blut des Bundes, das ausgegossen wurde für viele“105. Bei Matthäus wird dann noch hinzugefügt: „ ... zur Vergebung der Sünden“106. In der paulinischen Form, also nach Lukas und Paulus, heißt es: „Das ist der Kelch, der neue Bund in meinem Blut, der für euch ausgegossen wird“107. Bei Paulus fehlt das Wort „ausgegossen“. Der Sinn der Worte ist: Der Inhalt dieses Kelches ist mein Blut, durch das der neue Bund geschlossen wird, wie einst auch der alte Bund durch Blut geschlossen wurde gemäß dem Buch Exodus, Kapitel 24, Vers 8, wo es heißt: „ ... und dieses Blut wird für euch vergossen“. 102 Joh 6, 63. 103 Lateinisch: „ ... hoc est corpus meum“. 104 Lateinisch: „ ... hoc est corpus meum, quod pro vobis datur bzw. tradetur“. 105 Lateinisch: „ ... hic est sanguis meus novi testamenti, qui pro multis effundetur“. Lateinisch: „ ... in remissionem peccatorum“. 106 Lateinisch: „ ... hic est calix, novum testamentum in sanguine meo, qui pro vobis fundetur“. 107 64 Der heilige Augustinus erklärt in einer Predigt: „ ... Was ihr also sehet, ist das Brot und der Kelch; das melden euch auch eure Augen. Was aber euer Glaube lehren will, das ist: das Brot ist der Leib Christi, der Kelch ist das Blut Christi. …“108. Die katholische Kirche ist im Grunde die einzige christliche Denomination, die einzige unter den christlichen Konfessionen, die alle Versuche, die Einsetzungsworte Jesu im Zusammenhang mit dem Sakrament des Altares bildlich zu deuten, konsequent zurückgewiesen hat. Sie hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es im Text keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Deutung gibt. Brot und Wein sind weder von Natur aus noch gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch Symbole von Leib und Blut. Die wörtliche Deutung schließt auch keinen Widerspruch in sich, setzt jedoch den Glauben an die Gottheit Christi voraus. Zudem musste Christus sich der geistigen Verfassung der Apostel anpassen, die seine Worte so verstanden, wie sie lauteten, wenn er nicht sie und die Menschheit in die Irre führen wollte. Verschiedene Gegenwartsweisen Wenn wir von der Gegenwart Christi in den Gestalten von Brot und Wein sprechen, müssen wir uns vor Augen halten, dass Christus in vielfältiger Weise gegenwärtig ist in seiner Kirche. Davon ist die Rede in der Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils, wenn sie feststellt: „Gegenwärtig ist Christus im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht … wie vor allem in den eucharistischen Gestalten. Gegenwärtig ist er mit seiner Kraft in den Sakramenten, so dass, wenn immer einer tauft, Christus selber tauft. Gegenwärtig ist er in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden. Gegenwärtig ist er schließlich, 108 Augustinus, Sermo, 272. 65 wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: ‚Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen‘ (Mt 18, 10)“109. Es gibt eine Stufung der Gegenwartsweisen Christi in seiner Kirche. So ist Christus in einer geistig-intentionalen Weise im Glauben der Kirche oder der Gemeinde gegenwärtig. Das ist eine Form der Gegenwart, die gesteigert wird durch das Wort der Schrift oder der Predigt. Im Wort der Schrift ist Christus bereits in einer gewissen Dynamik gegenwärtig, die aber noch nicht das volle Heil bringt. Das geschieht erst in der Gegenwartsweise Christi im Sakrament des Altares. Dort ist er gegenwärtig, zum einen im Spender des Sakramentes, zum anderen unter den Zeichen von Brot und Wein. Das ist die letztmögliche Verdichtung seiner Gegenwärtigkeit. Denn hier ist er persönlich gegenwärtig, das heißt als der Gottmensch, und dazu gehört auch sein Leib. Schon im Spender des Sakramentes ist Christus in der Kraft seines ganzen Heilswerkes und seiner Erlösung gegenwärtig. Das gilt für alle Sakramente, in besonderer Weise aber für das zentrale Sakrament des Altares. Unter den Zeichen von Brot und Wein erfährt die Gegenwart Christi ihre höchste Aufgipfelung. Denn nach der Wandlung sind Brot und Wein nicht mehr das, was sie zu sein scheinen, nun sind sie der lebendige Christus, der Auferstandene, der die Menschheit am Kreuz erlöst hat. Zwar sind alle Gegenwartsweisen Christi in der Welt geheimnishaft, übertroffen werden sie jedoch in ihrer Geheimnishaftigkeit durch die personale leibliche Gegenwart Christi in der Eucharistie. Können wir auch nicht im Einzelnen sagen, wie diese Gegenwart zu denken ist, so können wir doch sagen, was ihr Sinn ist. Die Eucharistie wäre nicht das vollkommenste Mahl und die wirkliche Vergegenwärtigung des Abendmahls, wenn Christus nicht auch als Gabe des 109 Sacrosanctum Concilium, Nr. 7. 66 Mahles anwesend wäre, wenn die Gabe und der Geber nicht identisch wären und wenn der Geber nicht wirklich gegenwärtig wäre. Auch wäre die Eucharistie nicht die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers, wenn das Opfer von damals nicht das gleiche wäre wie das auf dem Altar, wenn Christus sich nicht als der personal-leiblich Gegenwärtige, freilich auf unsichtbare Weise, als Opfer darbieten würde. Ohne die Gegenwart der Opfergabe des Kreuzes wäre die Eucharistie kein wirkliches Opfer, sondern nur ein menschlicher Ritus, auf den man eigentlich verzichten könnte110. Realpräsenz Bereits in der Alten Kirche, speziell aber dann im Mittelalter, wurde die personale leibliche Gegenwart Christi in der Eucharistie des Näheren mit dem Gedanken der Wesensverwandlung von Brot und Wein, der Transsubstantiation, gedeutet. Die Substanz wird verwandelt, zurück bleiben die Akzidentien. Die Akzidentien, das sind die äußeren Bestimmungen oder Erscheinungen. In der Moderne hat man nach neuen Erklärungsmodellen gesucht, wenn man die Begriffe „Transfinalisation“ und „Transsignifikation“ eingeführt hat. So sagte man etwa, ein rotes Tuch könne als bloßer Dekorationsstoff dienen und entsprechend verstanden und gebraucht werden, mache man aber eine Fahne aus ihm, so werde es zu einem bedeutungsvollen Hoheitszeichen, dessen Gebrauch, etwa in einer roten Revolution, über Gedeih und Verderb des Menschen entscheiden könne. Materiell und objektiv habe sich an dem Tuch nichts geändert, aber seine Wirklichkeit sei doch eine andere geworden und zwar durch eine neue Bestimmung, durch eine neue Absicht, durch eine neue Finalisierung. Auf das eucharistische Geheimnis bzw. auf die eucharistische Wandlung 110 Leo Scheffczyk, Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt, Aschaffenburg 1977, 256 - 261, 67 übertragen, bedeutet das: Brot und Wein ändern sich nicht in ihrem objektiven Sein, sie werden nur in einen neuen Sinnzusammenhang hineingehoben. Auf diese Weise haben sie eine Bedeutungs- und Sinnänderung erfahren und gelten nunmehr als Elemente eines gottmenschlichen Gemeinschaftsmahles, haben sie doch den Sinn und die Bedeutung von Christi Leib und Blut erhalten. Von dieser Erklärung der Eucharistie hat sich das Lehramt der Kirche indessen eindeutig distanziert, weil sie nicht über eine geistig intentionale Gegenwart Christi hinaus kommt, weil sich bei dieser Deutung an den Elementen von Brot und Wein durch die Wandlung, durch die Konsekration, nicht das Geringste ändert. Wie sollte das Erheben von Brot und Wein in einen neuen Sinnzusammenhang die Realität der Person Christi in die Zeichen einbringen? Diese Sinnstiftung vollzieht sich zudem von Seiten des Menschen im Glauben. Dann aber ist es der Glaube des je Einzelnen, der Brot und Wein zur Eucharistie macht und dann ist ohne diesen Glauben keine Eucharistie vorhanden. Das aber ist eine subtile Auflösung der Realpräsenz Christi, die Theorie einer weit verbreiteten Praxis auch im katholischen Lager111. „Die Eucharistiefeier verläuft“, so sagt es der Weltkatechismus, „nach einer Grundstruktur, die durch alle Jahrhunderte bis in unsere Zeit gleich geblieben ist. Sie entfaltet sich in zwei großen Teilen, die im Grunde eine Einheit bilden: (1.) die Zusammenkunft, der Wortgottesdienst mit den Lesungen, der Homilie und den Fürbitten; (und 2.) die Eucharistiefeier mit der Darbringung von Brot und Wein, deren Konsekration in der eucharistischen Danksagung und die Kommunion“112. Dabei bilden der Wortgottesdienst und die Eucharistiefeier „einen einzigen Kultakt“, wie das II. Vaticanum in der Liturgie-Konstitution feststellt113. 111 Ebd., 261 - 265. 112 Weltkatechismus, Nr. 1346. 113 Sacrosanctum Concilium, Nr. 56. 68 Sakrament und Opfer Die Eucharistie, das Sakrament des Altares, ist nicht nur Sakrament, sondern auch Opfer. Sofern in ihr die Passion Christi repräsentiert wird, durch welche Christus sich als Opfergabe Gott dargebracht hat, hat sie den Charakter des Opfers114. Dabei ist die Eucharistie als ein „wirkliches und eigentliches Opfer“115 nicht nur das Opfer Christi, sondern auch das Opfer der Kirche. In der Feier der Eucharistie opfert sich die Kirche gemeinsam mit ihrem Haupt. Indem sie das tut, schließt sie sich mit dem Opfer Christi aufs Innigste zusammen und macht sich dieses Opfer erst wirklich zu Eigen. Mit anderen Worten: In der Eucharistie opfert die Kirche zusammen mit Christus, zugleich aber opfert sie in dieser Feier durch ihn116. Das geschieht geistig und innerlich durch ihr Eingehen in seine Opfergesinnung und dadurch, dass sie sich an seine Opferbewegung zum Vater hin anschließt117. Anders gesagt: „Christus legt bei der Eucharistiefeier seinen Leib und sein Blut gleichsam in die Hände der Kirche, damit diese selbst das Opfer Christi darbringe“118. In der Feier der Eucharistie schließt sich die Kirche mit dem Opfer Christi, dem eigentlichen Zentrum der heilshaften Zuwendung Gottes zur Welt, zusammen119. In der inneren Einheit mit dem Gottmenschen und mit seinem Opfertod am Kreuz setzt sie die 114 Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 79, a. 7. 115 Denzinger/Schönmetzer, Nr. 1751. 116 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil: Dekret über Dienst und Leben der Priester, Nr. 13. 117 Leo Scheffczyk, Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt, Aschaffenburg 1977, 258. 118 Ebd. 119 Ebd. 69 Erlösung der Menschheit fort und bietet sie diese immer neu den Menschen an120. Die Eucharistie ist das durch den Propheten Malachias vorausverkündete Opfer des Neuen Bundes. Bis zum Jüngsten Tag wird es überall in der Welt als „reines Speiseopfer“ dargebracht zur Verherrlichung des Namens Gottes und zum Heil der Menschen121. Martin Luther (+ 1546) hat den Opfercharakter der Messe geleugnet, er gab ihr deshalb den Namen „Abendmahl“. Immerhin spricht er jedoch in seinem „Großen Katechismus“ noch von dem Sakrament des Altares. Mit dem Terminus „Abendmahl“ fällt indessen nicht nur der Opfercharakter der heiligen Messe, sondern im Grunde auch ihr sakramentaler Charakter, wenn nicht gar auch die Realpräsenz Christi, an der Luther freilich noch festgehalten hat. Heute ist das „Abendmahl“ bei den Gemeinschaften der Reformation weithin zu einem reinen Gedächtnismahl geworden, zum Gedächtnis an Jesus, oder einfach zu einer nicht näher zu bestimmenden Mahlgemeinschaft mit Christus. Das gilt allerdings in der Gegenwart ebenso für nicht wenige Katholiken, speziell wohl auch für eine beträchtliche Zahl von katholischen Theologen, die sich vom Lehramt der Kirche entfernt haben. Der verlorene eucharistische Glaube, Folge und Ursache der allgemeinen Glaubenskrise 120 Ebd., 259. Mal 1, 11: „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird mein Name groß sein unter den Völkern und an allen Orten wird meinem Namen ein reines Speiseopfer dargebracht werden“. 121 70 Der frühere Bischof von Basel, Kurt Koch - heute ist er der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen122 -, erklärte vor einigen Jahren, die heutige Glaubenskrise sei im Grunde „eine Krise des Glaubens an den auferstandenen Christus und folglich auch an der Eucharistie“. Und er fügte hinzu, das gehe an das Herz der Kirche123. Möglicherweise distanzierte sich Bischof Koch mit diesem Bekenntnis zum eucharistischen Glauben der Kirche von 90 % seiner Priester, schon damals. Der weitgehende Verlust des eucharistischen Glaubens der Kirche ist ein Faktum. Er ist die „Spitze des Eisbergs“ eines verlorenen Glaubens an den Gottmenschen Jesus Christus und an das Geheimnis des dreifaltigen Gottes sowie des verlorenen Glaubens an die göttliche Stiftung der Kirche. Konkret hängt der weitgehende Verlust des eucharistischen Glaubens nicht zuletzt mit der so genannten Handkommunion zusammen und mit der Tatsache, dass man vor einigen Jahrzehnten begonnen hat, die heilige Kommunion durch Laien spenden zu lassen. Zum Teil wird diese Praxis allerdings auch eine Folge dieses Verlustes sein. Die Handkommunion und die Spendung der heiligen Kommunion durch Laien müssen nicht zum Verlust des eucharistischen Glaubens führen, aber faktisch ist es so, jedenfalls weitgehend. Es ist bezeichnend, dass aus der Erlaubnis zur Spendung der heiligen Kommunion durch Laien, die ursprünglich wohl als Ausnahme gedacht war, heute de facto ein Recht geworden ist, dass die Priester zuschauen, während die Laien die heilige Kommunion austeilen. Der eucharistische Glaube krankt auch daran, dass die Vorbereitung der Kinder auf die Erstkommunion weithin nicht genügend und hinreichend ist, dass sie den eucharistischen Glauben der Kirche nicht mehr vermittelt und ihn oftmals nicht 122 Seit dem 1. Juli 2010. 123 Die Tagespost vom 3. April 2003. 71 einmal mehr vermitteln will. Man redet vom „heiligen Brot“ und klammert die Realpräsenz oder auch die Wesensverwandlung der Opfergaben aus, wenn überhaupt noch vom Opfer gesprochen wird. Schon vor Jahrzehnten begann der Streit um den, wie man damals sagte, personalen oder sachlichen Einstieg in die Eucharistie-Katechese. Das war noch vor dem Beginn des II. Vatikanischen Konzils. Dem „heiligen Brot“ entspricht das „heilige Mahl“ und ein symbolisches Verständnis der hier dargereichten Speise. Damit kann natürlich auch der Gedanke des Opfers nicht mehr realisiert werden. Das ist jedoch wiederum auch konsequent angesichts der Tatsache, dass man nicht mehr in der Katechese und in der Verkündigung von der Erlösung spricht oder sie naturalistisch verzerrt. Das eine wie das andere rechtfertigt man aber mit der Feststellung, dass die Kinder das alles nicht verstehen, was freilich gänzlich an der Wirklichkeit vorbeigeht. Bei den harmlosen Termini „heiliges Brot“ und „heiliges Mahl“ wird die kraftvolle Wirklichkeit des zentralen Sakramentes der Kirche übersehen. Diese aber ist die, dass die Gläubigen in ihr zusammengeführt werden dadurch, dass sie den gekreuzigten und auferstandenen Christus empfangen, leibhaftig, wirklich und wesentlich, und dadurch in sein Opfer hineingenommen werden. Nicht wir sind es, die hier die Gemeinschaft schaffen, sondern Christus schafft sie durch seinen Leib und durch sein Blut, worin er sich den Gläubigen durch die Kirche als Speise reicht. Allein, das „heilige Mahl“ und das „heilige Brot“ und das symbolische Verständnis beseitigen die Differenzen zwischen den Konfessionen, speziell zwischen der katholischen Auffassung und jener der reformatorischen Christen. Die Methode ist jedoch allzu simpel, denn sie besteht darin, dass die überlieferte Auffassung der Kirche preisgegeben wird. 72 Aber die Kirche hat kein Recht dazu. Sie kann nicht über den Glauben verfügen, sie kann ihn nur bewahren. Das gilt auch für die Bischöfe und auch für den Bischof von Rom. Diesen Gedanken hat der verstorbene Papst Johannes Paul II. sehr klar zum Ausdruck gebracht in seinem Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ aus dem Jahre 1994, in dem es um die so genannte Frauenordination geht. Da sagt er unmissverständlich: Die Kirche kann die Frauenordination nicht einführen, selbst wenn sie es wollte. Viele, die ein kirchliches Amt haben, und sich mit ihm ein „schönes Leben“ machen oder das, was sie dafür halten, wissen es indessen besser. Der Verlust des eucharistischen Glaubens ist im Grunde zugleich Folge und Ursache der allgemeinen Glaubenskrise in der Kirche. Das Sakrament des Altares ist heute mehr angefochten als viele andere Glaubenswahrheiten. In gewisser Weise kann man sagen, dass die eucharistische Glaubenswirklichkeit zusammen mit der Wahrheit von der Auferstehung Christi im Zentrum der Angriffe steht, innerkirchlich wie auch außerhalb der Kirche. Die einen leugnen diese Wirklichkeiten unverhohlen, die anderen interpretieren sie neu in einer Weise, die schließlich auf ihre Leugnung hinausläuft. Von der Auferstehung Christi aber sagte Paulus im 1. Korinther-Brief: „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Verkündigung vergeblich, vergeblich ist dann euer Glaube, und wir werden als falsche Zeugen Gottes erfunden“124. Gleiches könnten wir auch von der Eucharistie sagen. In ihr geht es um die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers und um die Präsenz des auferstandenen Christus in seiner Kirche. Für die Wiedergewinnung des genuinen eucharistischen Glaubens und für seine Vertiefung ist von großer Bedeutung die Anbetung der eucharistischen 124 1 Kor 15, 15. 73 Gestalten. Der heilige Augustinus hebt diesen Gedanken hervor, wenn er schreibt: „Niemand isst von dieser Speise ohne sie vorher anzubeten“125. Das ist weniger eine Feststellung als ein Appell. Papst Johannes Paul II. stellt in der Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ fest, die Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes des Altares werde zu einer unerschöpflichen Quelle der Heiligkeit für die Kirche und für die einzelnen Gläubigen126, er bezeichnet das Verweilen vor dem Allerheiligsten als einen unermesslichen Schatz und betont, dass wir da aus der Quelle der Gnade schöpfen könnten127. Er erinnert in diesem Zusammenhang an den heiligen Alfons von Liguori (+ 1787), der geschrieben hat: „Unter allen Frömmigkeitsformen ist die Anbetung des eucharistischen Christus die erste nach den Sakramenten; sie ist Gott am liebsten und uns am nützlichsten“128. Verlust der Ehrfurcht Hier ist auch auf die Bedeutung der Ehrfurcht vor den heiligen Gestalten hinzuweisen. Durch nichts werden der Glaube an das eucharistische Geheimnis und die Liebe zu ihm nachhaltiger zerstört als durch die Ehrfurchtslosigkeit. Die Ehrfurcht gegenüber dem Allerheiligsten Sakrament des Altares beginnt schon bei unserem Verhalten im Gotteshaus. Lautes Reden in der Kirche ist heute vielfach an der Tagesordnung. Es entspricht der Tendenz zur Profanierung des Gottesdienstes, die heute nicht weniger verbreitet ist. Das beginnt dann mit 125 Augustinus, Enarrationes in Psalmos, Ps 38, 9. 126 Johannes Paul II., Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17. April 2003, Nr. 10. 127 Ebd., Nr. 25. 128 Visite al SS. Sacramento ed a Maria Santisima, Introduzione: Opere ascetiche, Avellino 2000, p. 205; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17. April 2003, Nr. 25. 74 einem „Guten Morgen“ und endet mit dem Wunsch, dass man einen schönen Sonntag verbringen möchte. Die Feier der wahrhaften Präsenz Gottes unter den Menschen, die Feier der leibhaftigen Anwesenheit des Mensch gewordenen göttlichen Logos und seines Opfertodes schließt sowohl die Beliebigkeit des Ortes und auch des Verhaltens aus. Das eine wie das andere zerstört das Mysterium. Das wird oftmals nicht bedacht. Dinge von solcher Erhabenheit und Würde können einfach nicht überall und nicht ganz gleich wo stattfinden und auch nicht vor irgendeiner zufälligen Ansammlung gleichgültiger Menschen. Ein solches Geschehen fordert in jedem Fall den gegen das Trivial-Alltägliche abgegrenzten Raum, es fordert in jedem Fall die Gemeinschaft der gläubig Anbetenden129. Unter diesem Aspekt wird die Fragwürdigkeit der Übertragung von eucharistischen Gottesdiensten etwa im Fernsehen deutlich. Rechtes Verhalten bei der Feier der Eucharistie Wie sollen wir uns verhalten bei der Feier der Heiligen Messe? Wesentlich ist die Hingabe an Gott, den Vater, in der Gemeinschaft mit Christus. In dieser Gesinnung verbinden wir uns mit dem Opfer Christi. Nur so kann dieses Opfer wirksam werden in unserem Leben. Unsere Opfergesinnung muss bestimmend sein während des ganzen Verlaufes der heiligen Feier, in besonderer Weise jedoch während des Hochgebetes, während des eucharistischen Dankgebetes, und auf dem Höhepunkt der Feier, in der heiligen Wandlung. Dabei dürfen wir in den Elementen von Brot und Wein Sinnbilder von uns selber sehen und uns in der Konsekration dieser Elemente selber konsekriert und verwandelt wissen. 129 Joseph Pieper, Nicht Wort, sondern Realität: Das Sakrament des Brotes, in: Joseph Pieper, Über die Schwierigkeit, heute zu glauben. Aufsätze und Reden, München 1974, 68 f. 75 Vollendet wird das Opfer im Opfermahl, in dem wir die Gaben, die wir Gott geschenkt haben und die Gott verwandelt hat, zurück erhalten, um durch sie vergöttlicht zu werden. Die Verbindung des Opfers mit einem heiligen Mahl, in dem das Opfer nicht zerstört, sondern genossen wird durch die Opfernden, ist ein Phänomen, das uns immer wieder in den Religionen begegnet. Offenbar entspricht das Opfer auch in dieser Gestalt einer tiefen Sehnsucht der Menschheit. Zwar gehören das Opfer und das Opfermahl in der Feier der heiligen Messe zusammen, der Empfang der heiligen Kommunion ist daher das Ideal, er ist aber nicht notwendig in dem Sinne, dass die Mitfeier der heiligen Messe nur von daher einen Sinn erhalten würde. Seit eh und je gab es die Möglichkeit der geistigen Kommunion. In manchen Fällen ist sie geboten, in anderen hat sie einen guten Sinn hat. Während in früheren Zeiten der Empfang der heiligen Kommunion durch die Gläubigen die Ausnahme war, ist er heute die Regel. Da löst das eine Extrem das andere ab, wie es allzu oft geschieht. Die Extreme verzerren jedoch stets die Wirklichkeit. Der Empfang der heiligen Kommunion ist in jedem Fall an gewisse Bedingungen geknüpft. Ihr täglicher Empfang setzt ein intensives religiöses Leben voraus und nicht zuletzt den regelmäßigen Empfang des Bußsakramentes. Ist der tägliche Empfang der heiligen Kommunion auch legitim, so birgt er doch die Gefahr des Formalismus in sich. Um dem zu entgehen, bieten sich zum einen die Vorbereitung auf die heilige Messe und vor allem die Danksagung nach der heiligen Messe an, bietet sich zum anderen die Übung der geistigen Kommunion an. Nicht zuletzt hilft man durch sie jenen, die nicht für den Empfang der heiligen Kommunion disponiert sind. Sie können dann der heiligen Kommunion fern bleiben, ohne das Gefühl haben zu müssen, dass sie als solche angesehen werden, die schwer gesündigt haben. 76 „Ite missa est“ Die ideale Mitfeier der heiligen Messe setzt nicht nur ein intensives religiöses Leben voraus, sie verpflichtet auch zu einem intensiven religiösen Leben. Der Entlassungsgruß am Ende der heiligen Messe, das „Ite missa est“, ist auch ein Imperativ. An diesen Imperativ erinnert uns bereits die Tatsache, dass wir das Allerheiligste Sakrament des Altares als heilige Messe bezeichnen. „Messe“ kommt von „missio“. Dem Begriff „missio“ liegt das Verbum „mittere“ zugrunde, das soviel bedeutet wie „senden“, „aussenden“. Von daher ist die Feier der heiligen Messe wesentlich Rüstung zum Apostolat. Die Eucharistie, das Geheimnis des Glaubens schlechthin Das Allerheiligste Sakrament des Altares ist das Haupt und die Mitte der Kirche Christi130. Ihre Geschichte ist weithin eine Geschichte des Kultes und der Verehrung der Eucharistie. Die Heiligen, die das Rückgrat der Kirchengeschichte sind, hatten stets ein inniges Verhältnis zur Eucharistie. Die Eucharistie ist das Geheimnis des Glaubens schlechthin. Daran erinnert uns die erneuerte Liturgie der heiligen Messe unmittelbar nach der heiligen Wandlung. Es gibt viele Glaubensgeheimnisse. Der Glaube der Kirche ist ein Kosmos von solchen Geheimnissen. Das Geheimnis des Allerheiligsten Altarssakramentes ist jedoch zentraler und grundlegender als alle anderen es sind. Die tägliche Feier dieses Geheimnisses sollte eine Selbstverständlichkeit sein für die Priester, seine tägliche Mitfeier ein Ideal für die Gläubigen. Die Priester wie auch die Gläubigen müssen allerdings bemüht sein, es vor der Profanierung zu bewahren. Die Ehrfurcht ist der angemessene Schutzwall für die geheimnisvollen 130 Papst Pius XII., Enzyklika „Mediator Dei“, Nr. 65. 77 Wirklichkeiten des Glaubens. Das gilt allgemein, besonders aber für die zentrale Glaubenswirklichkeit der Kirche, für das Mysterium des Allerheiligsten Altarssakramentes. DAS SAKRAMENT DER BUSSE 78 Buße als Weg der Heilung für den Sünder Man kann nicht von der Buße sprechen, ohne von der Sünde zu reden. Die Sünde besteht in der Abwendung des Menschen von Gott und in seiner ungeordneten Hinwendung zur Kreatur. Sie verletzt sein Verhältnis zu Gott, aber auch zum eigenen Ich und zu den Mitmenschen. Die Verletzung, die geistige Verwundung, gehört zur Eigenart der Sünde, egal ob es sich um eine schwere oder um eine lässliche Sünde handelt. In der Buße aber begibt sich der Sünder auf den Weg der Heilung. Gott und die Seele Zwei Begriffe oder Wirklichkeiten, die durch unsere natürliche Vernunft erkannt werden können, bilden das Fundament einer jeden Religion, nämlich das ganz Andere dieser Welt, das Weltjenseitige, das, was unsere sichtbare und erfahrbare Welt erst ermöglicht, also das absolut Unwandelbare, wir nennen es Gott, und das geistige Prinzip in uns, das wir aus den geistigen Akten erschließen, zu denen wir fähig sind, aus unserem Erkennen und Wollen. Um Gott und die Seele, die Geistseele des Menschen, geht es hier. Gott ist Geist, ungeschaffener Geist, der Mensch hat einen Geist, einen geschaffenen Geist. Mit unserer Geistigkeit zieht etwas ganz Neues in unsere materielle Welt ein, in ihr begegnet uns die jenseitige Welt in dieser unserer materiellen Erfahrungswelt. De selige Kardinal Newman (+ 1890), eine der großen Gestalten der Kirche des 19. Jahrhunderts, ein bedeutender Philosoph und Theologe, der im Jahre 1845 als gefeierter Theologe in Oxford zur katholischen Kirche konvertierte, hatte als Fünfzehnjähriger, wie er uns in seiner Autobiographie - „Apologia pro vita sua“ hat er sie genannt - berichtet, ein Erlebnis, in dem er diese doppelte Wirklichkeit 79 intuitiv erfasst hat. Seinen Inhalt charakterisiert er mit den Worten „myself and my creator“, mein Ich und mein Schöpfer. Dieses existentielle Erlebnis vermittelte ihm damals die Gewissheit, dass sein Leben ausschließlich der jenseitigen Welt, der Religion, dem Christentum, gehören sollte. Damals wusste er schon, dass er um dieser seiner Lebensentscheidung willen, so schreibt er später, ehelos bleiben würde, obwohl die ehelose Lebensweise als religiöse Entscheidung im anglikanischen Christentum, dem er damals angehörte, nicht bekannt war, zumindest nicht geschätzt wurde. Als geistiges Wesen ist der Mensch frei und verantwortlich für sein Tun und Lassen. Diese Verantwortung reicht hinein in die Ewigkeit, denn der Geist ist unsterblich. Nun bestreitet man heute aber einerseits, wenn nicht ausdrücklich, so doch einschlussweise, dass der Mensch frei ist und verantwortlich für sein Handeln, verharmlost man andererseits die Sünde des Menschen oder versteht sie als Schwäche, die letztlich angeblich bedeutungslos ist. Diese Auffassung herrscht nicht selten auch bei katholischen Theologen. Damit verbindet sich dann gern ein fragwürdiges Gottesbild, ein Gottesbild, in dem Gott nur noch als der Verzeihende, als der mildtätig Liebende angesehen wird, der geradezu auf unsere Liebe und unsere Versöhnung angewiesen ist. Da wird Gott vermenschlicht, da wird er, wie Friedrich Nietzsche (+ 1900) sarkastisch bemerkt, zu einem Gott, der „alt und weich und mürbe und mitleidig“ geworden ist, „einem Großvater ähnlicher als einem Vater“131, da wird die Majestät und Größe des richtenden Gottes ausgeblendet, da wird Gott verniedlicht. Diesem Gottesbild, einer Schöpfung des Menschen, in der Offenbarung findet es sich nicht, fehlt das Moment der Heiligkeit und der Majestät Gottes, worin das Moment des absolut Vollkommenen, des überwältigend Strahlenden und des unbedingt Guten enthalten ist. Das Wesen der Sünde und ihre verschiedenen Ausprägungen 131 Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, IV. 80 Die Sünde ist von ihrem Wesen her eine Abwendung von Gott und eine Hinwendung zur Kreatur. Thomas von Aquin spricht von der „aversio a Deo“ und von der „conversio (inordinata) ad creaturam“. Der Kern einer jeden Sünde ist der Ungehorsam, der aus dem Hochmut hervorgeht. Im Buch Jesus Sirach lesen wir: „Des Menschen Hochmut beginnt, wenn er vom Herrn abfällt und sein Herz von seinem Schöpfer sich abwendet. Denn mit der Sünde beginnt der Hochmut“132. Die Sünde trennt den Menschen nicht nur von Gott, sie trennt ihn auch von sich selbst und von seinen Mitmenschen. Durch die Sünde wird das harmonische Miteinander und Ineinander von unserem Erkennen, unserem Lieben und den Kräften unseres Gemütes gestört. Der Mensch wird in sich verkrampft durch die Sünde, man spricht von dem „homo in se incurvatus“, von dem Menschen, der in sich verbogen oder gekrümmt ist. Die Sünde macht den Menschen friedlos. Der Friede meint das Heilsein des Menschen, sein Glücklichsein. Es ist bezeichnend, wenn es im 4. Kapitel des 1. Buches des Alten Testamentes im Zusammenhang mit dem Brudermord des Kain heißt: „Friedlos und flüchtig sollst du sein auf Erden“. Wer mit Gott uneins ist, wird es auch mit sich selber, und wer mit sich selber uneins ist, wird es auch mit den Mitmenschen. Der Unfriede im eigenen Herzen hat eine unheilvolle Kettenreaktion der Zwietracht zur Folge. Von der Sünde im eigentlichen Sinne, der schweren Sünde, ist die lässliche Sünde zu unterscheiden. Als schwere Sünden nennt die Heilige Schrift die Unzucht, die Ausschweifung, den Götzendienst, die Feindschaft, den Streit, den Mord, die Trunkenheit und dergleichen133. In der Geschichte der Kirche ist vielfach die Rede von den vier Kapitalverbrechen: Mord, Glaubensabfall, 132 133 Sir 10, 12 f. Gal 5, 19 ff; 1 Kor 6, 9 f; Kol 3, 5; Eph 5, 3 - 7; Röm 1, 29 - 32. 81 Unzucht und Götzendienst134. Das II. Vatikanische Konzil spricht von den himmelschreienden Sünden des Mordes, des Völkermordes, der Abtreibung, der Euthanasie und des Selbstmordes, von der Verstümmelung und von der körperlichen und seelischen Folter, von unmenschlichen Lebensbedingungen, von willkürlicher Verhaftung, von Verschleppung, von Sklaverei, von Prostitution und von unwürdigen Arbeitsbedingungen135. Die Sünde ist in ihrem Wesen das Fehlen der Liebe. Sie ist ein Nein zu Gott und zum Menschen, ein Irrweg, eine Sackgasse. Wir sündigen, wenn wir ein Gebot Gottes mit Wissen und Willen überschreiten. In der Sprache der Bibel würden wir sagen: Eine Sünde begeht, wer sich Gott verweigert mit Wissen und Willen. In der schweren Sünde widerrufen wir unsere Grundentscheidung für Gott. Sie hat den Verlust der heiligmachenden Gnade, des göttlichen Lebens, zur Folge. Lässliche Sünden können zu schweren auswachsen, wenn sie nicht beachtet werden136. Papst Gregor der Große (+ 604) spricht von sieben Hauptsünden, die deshalb besonders schwerwiegend sind, weil aus ihnen andere Sünden hervorgehen. Diese Hauptsünden sind nach Gregor dem Großen die Hoffart, der Neid, der Zorn, der Geiz, die Trägheit - gemeint ist die religiös-sittliche Trägheit -, die Unkeuschheit und die Unmäßigkeit. Dabei stellt Gregor der Große fest, der gemeinsame Nenner dieser sieben Hauptsünden sei der Hochmut, in dem sich in besonderer Weise die Erbschuld ausdrücke. Der mittelalterliche Theologe Petrus Lombardus (+ 1160) kennt sechs Hauptsünden, die Vermessenheit, die 134 Vgl. Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten. Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1982, 125 f. 135 136 Gaudium et Spes, Nr. 27. Vgl. Joseph Höffner, Buße und Vergebung (Themen und Thesen, 3), Köln 61973, 9 - 12 (Hrsg. vom Presseamt des Erzbistums Köln). 82 Verzweiflung, die Ablehnung der erkannten Wahrheit, den Neid über die Begnadigung anderer, die Verstocktheit und die Unbußfertigkeit. Vergebung und Heilung Die Sünde bedarf der Heilung. Sie geschieht, soweit es den Sünder und seine Mitarbeit an der Heilung betrifft, durch die Buße, soweit es Gott betrifft, durch die Vergebung. Die Sünde bedarf der Heilung, welche die Buße bewirkt. Die Heilung, sie besteht wesenhaft in der Reue und im Bekenntnis der Sünde, in der Wiedergutmachung und in der Sühne. Wie die Sünde das Fehlen der Liebe darstellt, so ist die Buße in ihrem tiefsten Wesen nichts anderes als Liebe. Während die Taufe uns im Wasser reinigt, reinigt uns die Buße im Bad der Tränen - das ist in erster Linie geistig zu verstehen, aber nicht nur, es gibt sie, die Tränen der Reue. Das Sakrament der Buße nimmt das Endgericht vorweg, unterscheidet sich von diesem aber dadurch, dass das Bußgericht in jedem Fall gut ausgeht, wenn der Pönitent seine Sünden bereut137. Das Konzil von Trient (1545 - 1563) erklärt: „Wer durch die Sünde die einmal empfangene Rechtfertigungsgnade verloren hat, kann wieder gerechtfertigt werden, wenn er auf die Anregung Gottes hin durch das Sakrament der Buße um der Verdienste Christi willen die verlorene Gnade wiederzugewinnen sich bemüht. Denn diese Weise der Rechtfertigung ist die Wiederherstellung für die Gefallenen“138. 137 Vgl. Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten. Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1982, 128 f. 138 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1542. 83 Die Reue, das Bekenntnis und die Genugtuung des Sünders sind die Materie des Bußsakramentes, die Worte der priesterlichen Lossprechung die Form. Dabei sind die Akte des Sünders, des Empfängers des Sakramentes, wesentlich für das Zustandekommen des Sakramentes. Die Sünde ist Selbstzerstörung, denn allein die Ordnung Gottes bringt dem Menschen Heil und Leben. Das gilt bereits für unsere innerweltliche und natürliche Existenz. Mit der Sünde ist zutiefst die Strafe verbunden. Augustinus schreibt in seinen „Bekenntnissen“: „Du hast es so gefügt, o Gott, dass sich jeder ungeordnete Geist selbst zur Strafe wird“139. Ähnlich lesen wir bei dem französischen Schriftsteller George Bernanos (+ 1948): „Die Ordnung Gottes ablehnen heißt, sich der Ordnung des Bösen überantworten“. Ignatius von Loyola (+ 1566) weist in seinem Exerzitienbüchlein nachdrücklich darauf hin, dass der Preis der Sünde stets der innere Friede ist, das innere Glück des Menschen. Abkehr von Gott und Hinwendung zur Welt Die Sünde, die in ihrem Wesen Abkehr von Gott ist, wurzelt im „Geheimnis der Bosheit“, so sagt es der 2. Thessalonicher-Brief140. Die Sünde ist nicht nur Schwäche gegen das bessere Ich, auch ist sie nicht nur Schuld gegenüber einem Menschen oder gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft. Sicherlich gibt es ein solches Schuldigwerden, aber damit ist nicht das Wesen der Sünde erfasst. Denn die Sünde ist nur von Gott her zu begreifen, mit seiner Existenz und mit dem 139 140 Augustinus, Die Bekenntnisse, Buch I, Kap. XI, 19. 2 Thess 2, 7. 84 Bild, das wir uns von ihm machen. Mit der Wirklichkeit Gottes fällt in jedem Fall auch die Wirklichkeit der Sünde. In ihrer eigentlichen Tiefe ist sie ein SichVer-schließen vor der Liebe Gottes, ein Zurückstoßen jener Liebe, die der Vater uns in Jesus Christus offenbart hat. Dabei ist die schwere Sünde ein Widerruf der Grundentscheidung des Getauften auf Christus hin, ein radikales „Sich-GottVersagen“. Bezeichnend ist die uns heute oft begegnende polemische Feststellung, die Rede von der Sünde sei ebenso hohl wie die Rede von Gott. Worum es in der Sünde geht, kann man nicht besser ausdrücken als mit dem Hinweis auf das Schriftwort: „Habt die Welt nicht lieb … denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen, die Prahlerei des Lebens, stammt nicht vom Vater, sondern kommt aus der Welt“141. Mit Welt ist hier natürlich nicht die sichtbare Schöpfung gemeint, die Gott in ihrer Größe und Schönheit als eine gute Welt erschaffen und die er den Menschen als solche anvertraut hat. Hier ist die „Welt“ der Inbegriff der gottfeindlichen Mächte, eine Welt, die sich Gott verschließt, wie das vor allem erkennbar wird in einem exzessiven Streben nach dem Besitz, nach der Lust und nach der Ehre und der Macht. Gespür für die Sünde Heute nehmen viele das Unheil der Sünde nicht mehr ernst, sie leben mit der Sünde zusammen wie mit einem Hausgenossen oder verharmlosen sie. Derweil eskaliert sie heute geradezu, mehr als je zuvor, vor allem in der Gestalt der 141 1 Joh 2, 15 f. 85 Unzucht. Dabei wird sie in den Massenmedien geflissentlich hinwegdisputiert, in jeder Gestalt. Allein, sie lässt sich nicht verdrängen. Sie ist der eigentliche Grund für die seltsame Unruhe und für die verborgene Lebensangst, worunter viele Menschen heute leiden. Wer sich Gott verschließt, steht vor einem Abgrund, ob er es wahrhaben will oder nicht. Bereits Papst Pius XII. (+ 1958) stellte zu seiner Zeit fest: „Die größte Sünde ist heutzutage die, dass die Menschen das Gespür für die Sünde verloren haben“. Der Verlust des Gespürs für die Sünde und des Bußsakramentes führt heute nicht wenige in die Praxis der Psychotherapeuten. Die nicht bereute und die nicht vergebene Schuld macht heute viele seelisch krank. Sünde und Schuld sind Gegebenheiten, die über das Unbewusste wirksam sind im Menschen. Wird die Sünde nicht ins Bewusstsein gehoben und gesühnt und vergeben, vergiftet sie unser Leben, zunächst seelisch, dann aber auch physisch. In der Medizin geht man heute im Allgemeinen davon aus, dass mindestens 60 % aller körperlichen Krankheiten, nicht nur der funktionellen, sondern auch der organischen, seelischen Ursprungs sind. Die Sünde, ein Geheimnis Das Geheimnis der Sünde tritt in seiner ganzen Tiefe erst angesichts des persönlichen und heiligen Gottes hervor. Der Mensch steht im Anruf Gottes, so erfahren wir es in der Botschaft Christi, und er muss aus seinem ganzen Herzen, aus seinem ganzen Gemüt und mit all seinen Kräften darauf antworten. Der Mensch ist das einzige Wesen, das sündigen kann. Die unergründliche Möglichkeit zur Sünde beruht auf der Geschöpflichkeit und der Freiheit des Menschen. Wir können nicht nur sündigen, sondern wir sind auch geneigt zu 86 sündigen. Das ist das entscheidende Erbe der Ursünde. Da wir erlöst sind, können wir jedoch mit der Gnade Christi die Sünde meiden und ihr widerstehen und, wenn wir sie begangen haben, von ihr befreit werden. Das Gewissen Im Gewissen erfahren wir unabhängig von unseren Neigungen das unserer Personmitte entspringende uns sittlich verpflichtende „du sollst“ oder „du sollst nicht“142, im Gewissen begegnet uns die unerbittliche Mahnung und Aufforderung zum Guten und die ebenso unerbittliche Warnung vor dem Bösen, wenn es intakt ist. Im Gewissen erfährt der Mensch seine Freiheit und seine Verantwortung. Das Gewissen korrespondiert unserer sittlichen Verantwortung, deren Fundament die Freiheit des Willens ist. Ohne sittliche Verantwortung, ohne persönliche Willensfreiheit und ohne das Gewissen verlören Schuld und Sühne, Lohn und Strafe, Reue und Genugtuung ihren Sinn. Nach der Tat erfahren wir entweder das gute Gewissen als beglückendes Erlebnis erfüllter Pflicht oder das schlechte Gewissen, das uns anklagt und an der Schuld leiden lässt. Die Frage des Gewissens hängt zutiefst zusammen mit der Frage nach dem Sinn unseres Lebens. Je eindringlicher ein Mensch sich nach dem fragt, was er zu tun hat, umso unabweisbarer stellt sich ihm die Frage nach dem Wozu. Je ernster die Gewissensentscheidungen sind, die ein Mensch zu fällen hat, umso nachdrücklicher verlangt er nach einem Seinsgrund für sie. Woher stammt das Gewissen? Ist es durch Erziehung, durch eigene Erfahrung oder durch gesellschaftliche Zwänge entstanden? 142 Joseph Höffner, Buße und Vergebung (Themen und Thesen, 3), Köln 61973, 5 (Hrsg. vom Presseamt des Erzbistums Köln). 87 Es ist sicher, dass viele Inhalte des Gewissens durch die Erziehung und die in der jeweiligen Gesellschaft herrschenden Vorstellungen bestimmt sind. Damit ist jedoch nicht das Problem des Gewissens als solches gelöst, sofern es den unerbittlichen Anspruch an uns stellt, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Auch gibt es grundlegende Inhalte des Gewissens, die sich nicht aus den gesellschaftlichen Vorstellungen erklären lassen, aus der Erziehung oder aus der öffentlichen Meinung. In seiner Rätselhaftigkeit ist das Gewissen zwar nicht die Stimme Gottes, wie man vielfach gesagt hat, wohl aber das Echo oder der Widerhall der Stimme Gottes. Es ist eine von Gott in unser Herz gelegte Anlage, die uns für das Sittliche empfänglich macht und auf das Gute hinordnet. Sie ist als solche ein Hinweis auf Gott. Für den Christen und sein Gewissen ist Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben143. Für den gläubigen Christen wird daher die Gewissensfrage „Was wird von mir verlangt?“ zu der Frage an Christus: „Was verlangst du von mir?“ Die Gewissensbildung ist eine lebenslang dauernde Aufgabe. Das gilt bereits für den, der sich einer natürlichen Moral verpflichtet weiß, um wie viel mehr dann für einen Christen. Das Gewissen wird taub und stumpf, wenn der Mensch nicht auf sein Gewissen hört und jeweils die gängige öffentliche Meinung unkritisch übernimmt und mit den Wölfen heult. So machen es nicht wenige heute, erheben dabei aber den Anspruch, ihrem Gewissen zu folgen. Durch ein gewissenhaftes Leben wird das Gewissen geschärft, lernen wir die Unterscheidung der Geister. „Glaubt nicht jedem Geist“, heißt es im 1. Johannes-Brief, sondern „Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind“144. 143 144 6 Joh 14, 6. 1 Joh 4, 1. Vgl. Joseph Höffner, Buße und Vergebung (Themen und Thesen, 3), Köln 1973, 5 - 8 (Hrsg. vom Presseamt des Erzbistums Köln). 88 Buße - Abkehr von der Sünde und Heimkehr zu Gott Buße ist Abkehr von der Sünde. Abkehr von der Sünde aber bedeutet: Seine Gesinnung ändern, mit dem Vergangenen brechen, den Fehlentscheid sich eingestehen, die falschen Wertungen überwinden, sich aus den Verkrampfungen des eigenen Ich lösen und sich aus den gottwidrigen Bindungen und den weltlichen Verstrickungen befreien. Die Buße ist Heimkehr zu Gott, die wir immerfort vollziehen müssen, so lange wir leben. Jeder von uns muss sich in immerwährender Buße dem erbarmenden Gott zuwenden und sich immer wieder von seiner Liebe ergreifen lassen. Buße ist von der Reue durchdrungene Liebe zu Gott. Die Reue ist aber kein seelischer Zusammenbruch, keine Grausamkeit gegen das eigene Ich, kein weinerliches Gefühl, keine Lähmung der seelischen Kräfte, sondern Zugeständnis des sündigen Verhaltens, liebende Hinwendung zu Gott, dem Vater. Sie bedeutet den mutigen und hoffnungsfrohen Aufbruch zu einem neuen Leben, die Bereitschaft zur Sühne und Wiedergutmachung sowie die dankbare Anerkennung der Gottesordnung. Wahre Reue führt uns immer wieder zur inneren und äußeren Befreiung. Sie schenkt uns stets große Freude und tiefen Frieden145. Das Bußsakrament ist eine Last, das ist nicht zu bestreiten, aber es ist auch ein beglückendes Angebot des göttlichen Erbarmens, und es vermittelt uns das Glück der Vergebung und der Versöhnung mit Gott. Buße erscheint uns als etwas Schweres und Belastendes. Seine Schuld aussprechen erfordert Überwindung. Reue kann bitter sein. Und das Sündenbekenntnis ist auch nicht gerade angenehm, zumal wenn wir dabei erkennen, dass es immer wieder die gleichen Fehler sind, die wir zu bekennen haben. Leichter wird das alles für uns, wenn wir dabei ehrlich vor Gott hintreten, wenn wir versuchen, uns die Treulosigkeit vor Augen zu halten, die der Sünde 145 Ebd., 13 - 15. 89 wesenhaft inhäriert, und wenn wir dabei an das Ziel denken, an die Vergebung. Zu bedenken ist hier auch, dass unser Sündenbekenntnis nicht nur eine Selbstanklage ist, sondern zugleich auch ein Glaubensbekenntnis. Indem ich meine Schuld vor Gott bekenne, gebe ich seinen Geboten und seinem heiligen Willen Recht. Ich bekenne mich in diesem Akt zur Gotteskindschaft, die mir zum ersten Mal geschenkt wurde in der heiligen Taufe, auch wenn ich mich anklagen muss, dagegen gefehlt zu haben. Indem ich meine Schuld bekenne, bekenne ich den Glauben an die Barmherzigkeit Gottes, des Vaters, an die Macht des Kreuzes Christi, an das Wirken des Heiligen Geistes zur Vergebung der Sünden und an den Dienst der Kirche und an ihre Vollmacht, mich neu oder tiefer einzugliedern in die Gemeinschaft der Heiligen und mir dadurch die Gemeinschaft mit Gott neu zu vermitteln oder diese meine Gemeinschaft mit Gott zu vertiefen. In jedem Fall gebe ich damit Gott die Ehre. Leichter werden uns auch die Vorbereitung und der Empfang des Bußsakramentes, wenn wir uns vor Augen halten, dass die Umkehr des Sünders in der Sichtweise Gottes ein Fest ist. Im Lukasevangelium heißt es im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn: „Freude ist bei den Engeln Gottes über jeden Sünder, der umkehrt“146. In dem besagten Gleichnis folgt der Vergebung ein Festmahl147. Es ist die Befreiung von der Schuld, die in die Freude Gottes führt, nicht die Befreiung von der Buße. Umkehr und Vergebung durch Reue und Buße Dem reuigen Sünder verzeiht Gott. Er vergibt ihm die Sünden und schließt ihn ein in seine barmherzige Liebe. Gott schenkt uns wahre Verzeihung, indem er unsere Sünden tilgt. Es ist die erbarmende Liebe Gottes, die uns die Vergebung erwirkt. Unsere Leistungen können dabei nur unseren Willen zur Umkehr zum 146 Lk 15, 7. 147 Lk 15, 23. 90 Ausdruck bringen. Der aber ist eine notwendige Bedingung für die Vergebung. Wenn der Sünder umkehrt, wird ihm die Schuld wahrhaft vergeben, ebenso die ewige Strafe im Falle einer schweren Sünde, nicht gilt die Vergebung jedoch für alle zeitlichen Strafen. Thomas von Aquin schreibt: „Die lässliche Sünde wird niemals nachgelassen ohne irgendeinen Akt der Reue, sei es nun ausdrücklich oder unausdrücklich“148. Erst recht gilt das dann für die schwere Sünde. Das ist ein wichtiger Gedanke, der heute oft unterschlagen wird, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Rede von der Barmherzigkeit Gottes. Auch die Barmherzigkeit Gottes setzt die Umkehr voraus, und die Umkehr muss erfolgen, solange der Pilgerstand währt. In besonderer Weise erfahren wir die verzeihende Liebe Gottes im Sakrament der Buße. Das Konzil von Trient stellt fest, dass mit der Lossprechung und der Vergebung im Bußsakrament „Friede und Freude unser Gewissen erfüllen und großer Trost in unsere Seele einkehrt“149. Das Bußsakrament ist das befreiende Geschenk des auferstandenen Christus an seine Kirche. In ihm werden wir mit Gott und mit der Kirche versöhnt, wie das II. Vatikanische Konzil feststellt 150. Der Sünder wird wieder ein lebendiges Glied des Leibes Christi, der Kirche, die Schuld wird bewältigt, ein neuer Anfang wird gesetzt. Das Sündenbekenntnis Der Empfang des Bußsakramentes ist notwendig für alle Gläubigen, die nach der Taufe schwer gesündigt haben. So stellt das Konzil von Trient kategorisch fest151. Unabhängig davon ist es jedoch sinnvoll und gut, das Sakrament 148 Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 87, a. 2, ad. 2. 149 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1674. 150 Presbyterorum ordinis, Nr. 5. 151 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1707. 91 regelmäßig zu empfangen. Für die Gläubigen, die sich keiner schweren Sünde bewusst sind, ist der regelmäßige Empfang des Bußsakramentes eine große Hilfe auf dem Weg zur Heiligkeit des Lebens. Das differenzierte Bekennen der Sünden bewahrt uns vor der Gefahr, unsere persönliche Schuld im Bewusstsein allgemeiner Sündhaftigkeit aufgehen zu lassen. Wer seine Sünden bekennt, nennt sie beim Namen, und dieses schmerzhafte Aussprechen der Sünden ist gleichsam im Wort sich ausdrückende Reue. Das gilt immer: Je deutlicher wir etwas beim Namen nennen, desto tiefer haben wir es erkannt. Thomas von Aquin erklärt: Das Bußsakrament „ist in erster Linie auf die Todsünde hingeordnet, in zweiter Linie auf die lässliche“152. Das Sündenbekenntnis ist ein Ausdruck der Reue. Es dient aber auch der Selbsterkenntnis. Es würde missverstanden, wenn man es einfach nur als Aussprache verstehen würde, wie man sich etwa im Sprechzimmer eines Arztes ausspricht. Es ist auch nicht eine bloße Darstellung des Seelenzustandes, kein „Sich-von-der-Seele-Wegreden“ der Schuld, in seinem Wesen ist es vielmehr Selbstanklage vor dem richtenden und sich erbarmenden Gott, Selbstanklage zugleich aber auch vor dem Angesicht der Kirche, denn jede Sünde, die wir begehen, entstellt das Antlitz der Kirche. Im Sakrament der Buße werden wir mit der Kirche und mit Gott versöhnt. Die Andachtsbeichte Zwar werden uns die lässlichen Sünden auch durch die gläubige Mitfeier der heiligen Messe vergeben. Darauf weist eigens das Konzil von Trient hin153. Auch durch Fasten, Almosen und Gebet sowie durch die gläubige Mitfeier eines 152 153 Thomas von Aquin, Sentenzen-Kommentar IV, dist. 22, 2, 2, 3, ad 3. Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1743. 92 Bußgottesdienstes lässt Gott sich versöhnen und vor allem durch die Nächstenliebe, denn gemäß dem 1. Petrus-Brief deckt die Liebe „eine Menge von Sünden zu“154. Dennoch kommt dem regelmäßigen Empfang des Bußsakramentes eine grundlegende Bedeutung zu für das geistliche Leben. Wir sprechen in diesem Fall von der Andachtsbeichte. In ihr antworten wir immer neu auf das Wort des 1. Johannes-Briefes: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns“155. Bedeutsam sind da vor allem die Gewissenserforschung und der immer neue Anfang sowie die geistliche Führung oder auch die geistliche Begleitung. Es ist unverkennbar, dass den Gläubigen zuweilen die Andachtsbeichte durch die Priester madig gemacht wird, wenn sie Sie etwa im Beichtstuhl fragen: „Warum kommen Sie überhaupt zur Beichte, Sie haben doch nichts getan“. Das ist ein Missbrauch des Amtes und ein Ausdruck dafür, dass man das Wesen des Christentums aus dem Blick verloren hat. Bußgottesdienste Das Sakrament der Buße kann nicht durch öffentliche Bußgottesdienste ersetzt werden. Zum einen muss derjenige, der schwer gesündigt hat, ohnehin das Sakrament der Buße empfangen, indem er ein differenziertes Bekenntnis ablegt. Denn die Bußandacht ist kein Sakrament, in ihr gibt es keine sakramentale Lossprechung. Wollte man sie als Generalabsolution rechtfertigen, ist darauf hinzuweisen, dass diese nur möglich ist in spezifischen Notlagen, zum Beispiel bei Schiffbruch oder bei Luftangriffen oder bei Naturkatastrophen oder wenn ein ungewöhnliches Missverhältnis besteht zwischen der Zahl derer, die das 154 1 Petr 4, 8. 155 1 Joh 1, 8. 93 Sakrament empfangen möchten und der Zahl der verfügbaren Priester. Aber dann muss allemal die schwere Sünde in einer späteren Beichte bekannt werden. De facto kommt es immer wieder vor, dass Priester eine sakramentale Lossprechung „in cumulo“ oder eine Generalabsolution geben, und zwar wider besseres Wissen. Sie laden damit große Schuld auf sich. Schuldig wird dabei aber auch jener, der sich daran beteiligt, vorausgesetzt, dass ihm die Einsicht nicht versagt ist156. Die schwere Sünde In der Gewissenserforschung kann man die zehn Gebote zugrunde legen oder die drei Pflichtenkreise oder das Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Die Vollständigkeit des Bekenntnisses ist nicht erforderlich im Hinblick auf die lässlichen Sünden, im Hinblick auf die schweren Sünden ist sie jedoch Grundsätzlich erforderlich. Da müssen dann um der Vollständigkeit des Bekenntnisses willen auch die näheren Umstände angegeben werden und auch die genauen Zahlen. Was eine schwere Sünde ist, das ist in der Theorie leicht zu sagen, in der Praxis hingegen sehr schwer. Konstituiert wird sie durch eine Verfehlung in einer wichtigen Sache, die bei klarer Erkenntnis und in Freiheit erfolgt. Die Fragen, die sich dabei stellen, sind folgende: Wie klar muss die Erkenntnis sein? Wie frei muss die Entscheidung sein? Was ist eine wichtige Sache? Die letzte Frage ist noch am einfachsten zu beantworten. Legen wir etwa die zehn Gebote zugrunde, dann ist davon auszugehen, dass jedes Gebot zu einer wichtigen Sache werden kann. Falsch wäre es auf jeden Fall, wie das heute des Öfteren geschieht, die schwere Sünde auf die Sünde mit der erhobenen Faust zu reduzieren oder auf die Leugnung Gottes. 156 Vgl. Joseph Höffner, Buße und Vergebung (Themen und Thesen, 3), Köln 1973 (Hrsg. vom Presseamt des Erzbistums Köln, 6. Auflage), 18 - 22. 94 Verschiedene Formen der Buße Die Buße, die der Beichtvater im Sakrament der Buße dem Beichtenden auferlegt, erwirkt ihm die Nachlassung zeitlicher Sündenstrafen und gewährt übernatürlichen Beistand zur besseren Vermeidung der Sünden und zur Erhöhung des Gnadenstandes. Es gibt viele Möglichkeiten der Buße. Dabei unterscheiden wir grundsätzlich Formen, in denen der Einzelne seine Buße ausdrückt, und Formen gemeinsamer Buße des Gottesvolkes. Immer geht es um die Abkehr von der Sünde und die Heimkehr zu Gott. Der Einzelne kann Gott dabei suchen im Lesen in der Heiligen Schrift, im Gebet, in der Meditation, in Zeiten der Stille, im Ertragen der Lebenslasten, in der Bruderliebe, in der Geduld mit anderen, in der Ergebung bei Krankheit und Not und im Verzicht. Im Verzicht thematisiert er in besonderer Weise das Wissen um den Widerstreit zwischen Geist und Fleisch. Hier geht es etwa um das Fasten im eigentlichen Sinn, um die Zügelung des Geschwindigkeitsrausches im Straßenverkehr, um die Enthaltung von Genussmitteln oder Rauschgiften und um den Verzicht auf das Fernsehen, partiell oder völlig, oder auf Sensationen, wie sie speziell in den Massenmedien exzessiv angeboten werden. Formen gemeinsamer Buße sind das Einhalten der heiligen Zeiten, vor allem der heiligen Zeit der vierzig Tage vor Ostern. Auch die Freitage des Jahres sind als Gedächtnistage des Leidens und Sterbens Christi Tage der gemeinsamen Buße. Ist auch die Enthaltung von Fleischspeisen nicht mehr streng geboten an den Freitagen, so sollten wir doch bedenken, dass Speise und Trank von tiefer Bedeutung sind für das rechte Verhältnis des Leiblichen, des Geistigen und des Geistlichen im Menschen. Daher ist die Zucht, die sich auf Speise und Trank 95 bezieht, durch nichts zu ersetzen, als individuelle wie auch als gemeinsame Buße. Formen gemeinsamer Buße des Gottesvolkes sind auch die Andachten vom Leiden und Sterben Christi, die Kreuzwegandachten und die Fastenpredigten und nicht zuletzt die Bußandachten, wenn sie recht verstanden werden, wenn dabei klar und deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass sie nicht an die Stelle des Bußsakramentes treten können, wenn sie nicht in den Dienst kirchlich nicht vertretbarer Glaubensvorstellungen gestellt werden. Gut sind die Bußandachten, wenn sie helfen, die Sünde in ihren Wurzeln und Auswirkungen besser zu erkennen und wenn sie als Hinführung zum Bußsakrament verstanden werden. Auch bei den Formen gemeinsamer Buße des Gottesvolkes ist zu bedenken, dass letztlich jeder persönlich als Sünder vor Gott steht, dass es keine Kollektivschuld gibt, dass die Sünde immer persönlich ist157. Ein gemeinsamer Ausdruck der büßenden Hinwendung des Gottesvolkes zum Herrn sind vor allem das Messopfer und das Bußsakrament. Das Sakrament des Altares bewirkt, wie das Konzil von Trient lehrt, dass wir „Barmherzigkeit erlangen, wenn wir zerknirscht und bußfertig vor Gott hintreten“158. Auch das Bußsakrament ist seinem Wesen nach auf die Gemeinschaft der Kirche hingeordnet. Von daher gibt es eine private Beichte eigentlich nicht. Darum ist es richtiger, von der persönlichen Beichte zu sprechen. Im Übrigen ist jedes Sakrament, das wir empfangen, ein öffentliches Geschehen. Die bedeutsamste Gestalt der Sündenvergebung ist die sakramentale. Ihr begegnen wir in den Sakramenten der Taufe, der Krankensalbung und der Buße. 157 Joseph Höffner, Buße und Vergebung (Themen und Thesen, 3), Köln 1973 (Hrsg. vom Presseamt des Erzbistums Köln, 6. Auflage), 16 f. 158 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1743. 96 Das Bußsakrament thematisiert die Vergebung der Sünden indessen deutlicher und klarer als die zwei anderen Sakramente. Das ist deshalb so, weil bei ihm der Empfänger des Sakramentes mehr einbezogen ist in das sakramentale Geschehen, als das bei allen anderen Sakramenten der Fall ist. Die wesentliche Grundstruktur des Bußsakramentes bilden die Akte der Umkehr, die der Pönitent in der Reue, im Bekenntnis der Sünden und in der Verrichtung der ihm aufgegebenen Buße vollzieht, und die Lossprechung, die ihm durch den Amtsträger der Kirche gespendet wird159. Das Bußsakrament im Kontext von Ostern und Pfingsten Eingesetzt wurde das Bußsakrament am Osterabend. Das Johannesevangelium berichtet davon in Kapitel 20, in den Versen 22 und 23. Der Auferstandene hauchte seine Jünger an mit dem Worten: „Empfanget den Heiligen Geist, wem ihr die Sünden nachlassen werdet, dem sind sie nachgelassen, wem ihr die Sünden behalten werdet, dem sind sie behalten“. Angedeutet wird das Bußsakrament aber auch da, wo Christus seiner Kirche die Binde- und Lösegewalt überträgt: Mt 18, 15 - 18. Die Vergebung im Bußsakrament ist ein österliches Geschehen und zugleich eine Gabe des Heiligen Geistes. Das wird deutlich im Blick auf die Einsetzung dieses Sakramentes. Der Auferstandene sendet den Heiligen Geist. Was nach dem Bekenntnis am Sünder geschieht, ist daher ein österliches und ein pfingstliches Ereignis. Es ist der Geist, der „die Vergebung aller Sünden“ ist, der auf den Sünder herabkommt. 159 Ebd., Nr.Nr. 1667 - 1685. 97 Buße und Taufe Das Sakrament der Buße steht in enger Beziehung zum Sakrament der Taufe. Bereits die Kirchenväter sprechen bei diesem Sakrament von der mühsamen Taufe oder von der rettenden Planke nach dem Schiffbruch. In der Alten Kirche hat man bei diesem Sakrament im Blick auf die Taufe auch von der zweiten Buße gesprochen160. Das Sakrament der Buße steht nicht wie die anderen Sakramente auf dem Fundament der Taufe, sondern stellt gewissermaßen eine Erneuerung und Vertiefung des Taufgeschehens dar161. In einer bedeutenden altchristlichen Schrift heißt es: „Entweder durch die Handauflegung der Buße oder durch die Taufe erhält man Anteil am Heiligen Geist“162. Als zweite Taufe stellt das Sakrament der Buße das in der ersten Taufe begründete neue „Sein in Christus“ wieder her. Darüber hinaus vertieft und intensiviert es dieses Sein in Christus und gestaltet es weiter aus. Vor allem aber radikalisiert es die einmal für Christus gefällte Entscheidung in einer Welt der Sünde. Im Hinblick auf die konkrete Verfassung des Getauften, sofern er in einer Welt der Sünde lebt, ist das Sakrament der Buße von Gott her gesehen eine größere Wohltat als das Sakrament der Taufe. Schon in sich ist es etwas Gewaltiges. Im Blick auf den Menschen stellt es indessen eine Erneuerung der Taufwirklichkeit auf einer höheren Stufe dar163. 160 Tertullian, De poenitentia 7 und 10. 161 Vgl. Gregor von Nazianz, Oratio 39, 17; Tertullian, De paenitentia, 12. 162 Didaskalia II, 41. 163 Leo Scheffczyk, Die spezifische Heilswirkung des Bußsakramentes, in: Klaus Dick u.a., Erneuerung durch Buße (Sinn und Sendung, 3) St. Augustin 1978, 28 f. 98 Weil man das Bußsakrament in gewisser Weise in Parallele zum Taufsakrament verstand, schloss man in der Alten Kirche teilweise, dass es, nicht anders als das Taufsakrament, nur einmal im Leben empfangen werden könnte. So sagt etwa Ambrosius (+ 397): „Wie es nur eine Taufe gibt, so gibt es nur eine Buße“164. Die Alte Kirche lernte jedoch bald verstehen, dass bei aller Verbindung zwischen Taufe und Buße auch die Unterschiede herausgearbeitet werden müssen und dass die Eigenständigkeit des Bußsakramentes nicht übersehen werden darf165. Vereinigung mit Christus Das Bußsakrament bedeutet die Umkehr zu Christus und die Erneuerung der Nachfolge Christi. Darüber hinaus bedeutet es Verähnlichung und Gleichgestaltung mit Christus und das in einem ganz spezifischen Sinn166. Das II. Vatikanische Konzil erklärt: „Die Diener der sakramentalen Gnade vereinen sich mit Christus, dem Erlöser und Hirten, aufs Innigste durch den würdigen Empfang der Sakramente, vor allem durch die häufig geübte sakramentale Buße“167. Die spezifische Verähnlichung und Gleichgestaltung mit Christus, wie sie im Bußsakrament erfolgt, vollzieht sich in der Vereinigung mit Christus, sofern er sich als Sühnender und Büßender dem Gericht über die Sünde unterstellte und dadurch zum Befreier und Erlöser von der Sünde wurde. Im Sakrament der Buße geschieht also „nichts Geringeres als dass der Sünder sich dem leidenden 164 Ambrosius von Mailand, de paenitentia, 2, 10, 95. 165 Leo Scheffczyk, Die spezifische Heilswirkung des Bußsakramentes, in: Klaus Dick u.a., Erneuerung durch Buße (Sinn und Sendung, 3) St. Augustin 1978, 29 f. 166 Es ist hier zu bedenken, dass jedes der sieben Sakramente eine je besondere Christusverähnlichung und Christusgleichgestaltung bewirkt. 167 Presbyterorum ordinis, Nr. 18. 99 Christus anschließt, dass er in die Gesinnung und in das Werk des sühnenden Erlösers eingeht, auch wenn hier der nicht zu übersehende Unterschied besteht, dass er dies - anders als Christus - für seine höchst eigenen und persönlichen Sünden tut. Aber dieser Unterschied kann es doch nicht ungeschehen machen, dass hier tatsächlich eine mystische Vereinigung mit dem sühnenden Christus stattfindet, in deren Kraft der Sünder sogar eine gewisse erlöserische Funktion ausübt und an ihr teilhat, und dies nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Welt, weil die Tilgung von Sünde immer ein überindividuelles, soziales Geheimnis ist“168. Das Buß „gericht“ Das Bußsakrament hat im Verständnis der Kirche den Charakter eines richterlichen Aktes, wir sprechen vom Bußgericht. In dieser Gestalt hat Christus das Bußsakrament seiner Kirche geschenkt. In der Taufe erfolgt die Vergebung der Sünden durch Gott in der Form eines reinen Barmherzigkeitserweises, in dem richterlichen Akt des Bußsakramentes gehen die Reue und der Vorsatz des Pönitenten und sein persönliches Bekenntnis der autoritativen Absolution durch den Priester voraus, und es folgen die Bußwerke. Natürlich unterscheidet sich das Bußgericht wesentlich von einem profanen Gerichtsverfahren, sofern es sich vor dem Hintergrund eines heilsgeschichtlich gnadenhaften Gerichtes vollzieht, das Gott, der Vater, an Jesus Christus, seinem Sohn, vollzogen hat und an dem der Mensch, der das Sakrament in der rechten Gesinnung empfängt, Anteil nehmen darf. Zudem geht es im Bußgericht, anders als bei einem irdischen Gericht, nicht um eine äußere Verurteilung oder um einen äußeren Freispruch, 168 Leo Scheffczyk, Die spezifische Heilswirkung des Bußsakramentes, in: Klaus Dick u.a., Erneuerung durch Buße (Sinn und Sendung, 3) St. Augustin 1978, 33. 100 sondern um eine innere Befreiung und um die Befreiung von wirklicher Schuld, von der Schuld, die der Mensch sich vor Gott zugezogen hat169. Thomas von Aquin schreibt: „Jede Sünde kann … ausgelöscht werden durch wahre Reue“170. Es gibt keine Sünde, die nicht vergeben werden kann in diesem Leben. Die Sünde wird nicht zugedeckt, wie die reformatorischen Christen meinen, sondern ausgelöscht, vernichtet. Thomas verwendet hier das Wort „delere“, das soviel bedeutet wie „zerstören“. Wenn Gott die Sünde vergibt, wird der Sünder ein Gerechter, er ist nicht zugleich ein Gerechter und ein Sünder, „simul peccator et iustus“. Thomas von Aquin fährt fort: „Weil dem Vater die Macht, dem Sohn die Weisheit und dem Heiligen Geist die Gutheit zugesprochen wird, darum ist die Sünde aus Schwachheit eine Sünde wider den Vater, die Sünde aus Unwissenheit eine Sünde wider den Sohn und die Sünde aus unbezweifelbarer Bosheit eine Sünde wider den Heiligen Geist“171. Weil Unwissenheit und Schwachheit die Sünde ganz oder teilweise entschuldigen, deshalb, so Thomas von Aquin, kann die Sünde wider den Vater wie auch die Sünde wider den Sohn nachgelassen werden - hier liegt entweder gar keine Schuld vor oder eine herabgeminderte. Bosheit aber entschuldigt nicht nur nicht, sondern verschärft die Sünde. Und darum wird die Sünde wider den Heiligen Geist nicht nachgelassen, weder ganz noch teilweise, denn sie schließt keinen Grund der Vergebung in sich, durch den die Schuld abgeschwächt würde, und vor allem macht sie die Umkehr unmöglich, ohne die es keine Vergebung gibt172. 169 Ebd., 33 f. 170 Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 86, a. 1. 171 Ders., Quaestiones quodlibetales 2, 15. 172 Ebd. 101 Ein verlorenes Sakrament Auf weite Strecken ist das Sakrament der Buße nicht mehr präsent in der Kirche. Es ist zu einem verlorenen Sakrament geworden. Wir sind heute auf dem besten Wege, des Sakramentes der Buße verlustig zu gehen, wie das in der Aufklärung in den protestantischen Gemeinschaften und später bei den Altkatholiken geschehen ist. Die Entwicklung vom Sakrament der Buße weg hat verschiedene Ursachen: Manche haben bisher zu formelhaft und zu schematisch gebeichtet. Sodann ist hier auf den allgemeinen Rückgang des religiösen Lebens zu verweisen. Schließlich und endlich haben sich nicht wenige auch Ersatzbekenntnissen und Ersatzlossprechungen zugewandt. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Schwund des sakramentalen Verständnisses innerhalb der Kirche hinzuweisen, der nicht zuletzt bedingt sein dürfte durch eine gewisse Protestantisierung, die bei uns Platz greift. Auch darf hier nicht die Tatsache übersehen werden, dass uns das Verständnis für die Wirklichkeit der Sünde weithin abhanden gekommen ist als Folge einerseits der allgemeinen Glaubenskrise und andererseits der Psychologisierung der Sünde auf dem Hintergrund der Leugnung der Freiheit des Menschen. Da versteht man dann unter Sünde nur noch etwas Falsches oder etwas nicht Gelungenes, für das der Einzelne jedoch nicht verantwortlich ist. Dabei wird das Falsche dann noch auf das Verhalten zu den Mitmenschen reduziert. Von den klassischen drei Pflichtenkreisen, den Pflichten gegenüber Gott, gegenüber dem eigenen Ich und gegenüber den Mitmenschen, bleiben dann nur noch die Pflichten gegenüber den Mitmenschen übrig. Letztlich liegt dem eine falsche Auffassung vom Menschen zugrunde, eine falsche Anthropologie, in der der Mensch faktisch als ein hoch entwickeltes Tier verstanden wird, was freilich konsequent ist. In einer Welt, in der kein Platz ist für Gott, ist auch kein Platz für den Menschen als leib-geistiges Wesen. 102 Wenn die Leugnung der Geistseele des Menschen nicht der Leugnung Gottes vorangeht, dann folgt sie ihr auf jeden Fall auf dem Fuß. Auch das ist hier zu bedenken, dass es nicht wenige Priester gibt, die es kategorisch ablehnen, das Bußsakrament zu spenden, oder sich mit irgendwelchen Vorwänden daran vorbeidrücken. Andere spenden es, wenn es gewünscht wird, sehr oberflächlich und offenbaren damit ihre innere religiöse Leere. Das Problem ist hier natürlich auch das, dass viele Priester nicht mehr beichten. Ich habe von Seminaristen gehört, die erklärten: „Beichten, das kommt für mich nicht mehr in Frage. Ein einziges Mal habe ich gebeichtet, und das war vor der ersten Heiligen Kommunion“. Mir wurde schon vor 20 Jahren berichtet, dass Priesteramtskandidaten noch nicht einmal vor der Priesterweihe das Bußsakrament empfangen haben. Will die Kirche das Bußsakrament wieder beleben, muss sie bei den Priesterkandidaten und bei den Priestern ansetzen. Sie muss ihnen erstmals oder aufs Neue ein Verhältnis zum Buß-sakrament vermitteln, ihnen gute Beichtväter präsentieren und sie dahin führen, dass sie wieder Freude haben am inneren Leben. Als Weg dahin empfiehlt sich die Beschäftigung mit dem Leben der Heiligen und mit der überkommenen Lehre von der christlichen Vollkommenheit. Die Erfahrung zeigt, dass die Praxis des Bußsakramentes stark an die Person des Priesters gebunden ist. Wo immer sich ein Priester um das Sakrament bemüht in der Verkündigung wie auch in der Spendung, machen die Gläubigen auch Gebrauch von ihm. Wenn die Priester das Sakrament spenden können und wollen und wenn sie sich Zeit dafür nehmen, werden die Gläubigen auch wieder kommen. 103 DAS SAKRAMENT DER TAUFE Sakramente und Sakramentalien 104 Ein wesentliches Strukturprinzip der Kirche Christi ist das Prinzip der Sakramentalität. Während das Gebet der naturgemäße spontane Ausdruck jeder Art von Frömmigkeit ist und daher eine selbstverständliche Übung in jeder Religion, ist das besondere Kennzeichen der katholischen Frömmigkeit der Gebrauch der Sakramente und der Sakramentalien. Die Sakramente haben jeweils zwei Aspekte, einmal die Gottesverehrung, zum anderen die Begnadung des Menschen. Das Wesen des Sakramentes liegt in der Verknüpfung der Heilsgnade mit einem äußeren Symbol. Das Prinzip der Sakramentalität meint die Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Die sichtbare Erlösung durch den menschgewordenen Gottessohn erhält ihre Fortsetzung in der sichtbaren Kirche. Alle Gnade der Sakramente und alle Gnade überhaupt fließt hervor aus der Passion des Herrn. So der Glaube der Kirche. Bereits die Kirchenväter, die frommen Gottesgelehrten der frühen Christenheit, beschreiben deshalb die Seitenwunde des Gekreuzigten als die Quelle der siebenfältigen Gnade der Kirche. Im Sakrament begegnet uns jeweils die Verleiblichung eines übernatürlichen Geheimnisses oder allgemeiner ausgedrückt, die Manifestation des sich den Menschen zuwendenden Gottes. Dabei wird die Gnade im Sakrament zeichenhaft dargestellt und vermittelt. Alle Sakramente sind im Grunde nichts anderes als ein „Ausdruck und Niederschlag der urchristlichen Zentralidee vom unzertrennlichen Verbundensein mit Christus, vom dauernden, vom permanenten ‚esse in Christo’“173. Der Gedanke des Seins in Christus begegnet 173 Karl Adam, Das Wesen des Katholizismus, Düsseldorf 12 1949 (11924), 32. 105 uns wiederholt bei Paulus174. Er betont, dass das Sein in Christus das eigentliche Wesen der christlichen Existenz ist. Die Sakramente verwirklichen, erneuern und stärken nicht nur die Gemeinschaft des Einzelnen mit Christus, sie verwirklichen, erneuern und stärken auch die Gemeinschaft des Einzelnen mit der Kirche. Genauer gesagt: Die Vereinigung mit der Gemeinschaft der Kirche bewirkt die Vereinigung mit Christus. Der Gläubige vereinigt sich also durch seine Vereinigung mit der Kirche mit Christus. Die entscheidende Konsequenz aus dem Prinzip der Sakramentalität ist das Prinzip der Vermittlung. Das Heil ist vermitteltes Heil. Auch das ist eine katholische Grundüberzeugung. Die Welt der Gnade ist eine vermittelte Welt. Sie wird vermittelt durch Christus, durch die Kirche und endlich auch durch „andere Zeichen und Werkzeuge der Erlösung außerhalb und jenseits der Kirche“175, zunächst auf jeden Fall durch Christus bzw. durch seine Kirche. Dabei gilt, dass die Sakramente nicht wirksam werden durch den Glauben - so behaupteten und behaupten die Reformatoren -, sondern durch ihre Feier. Wenn das Zeichen in der rechten Intention, in der rechten Absicht, gesetzt wird, schafft es eine objektive Realität. Das sinnenhaft Wahrnehmbare, das Sichtbare ist das Instrument des Unsichtbaren, es ist jedoch nicht mit diesem identisch. Das unterscheidet den christlichen Kult von dem heidnischen, von dem Fetischismus, von der Magie. Das Sinnenhafte offenbart und vergegenwärtigt das Nicht-Sinnenhafte, das seinerseits jedoch das Geheimnis bleibt. 174 175 2 Kor 5, 17; vgl. 1 Kor 1, 30; Röm 8, 1 und Gal 6, 15. Richard P. McBrien, Was Katholiken glauben, eine Bestandsaufnahme, Bd. II: Die Kirche. Christliche Existenz, Graz 1982, 505. 106 Dabei wird die sakramentale Gnade durch den objektiven Vollzug des Sakramentes gewirkt. Sie wird nicht durch die persönlichen, sittlich religiösen Bemühungen des Empfängers des Sakramentes erzeugt und erst recht nicht durch das konkrete Tun des Spenders. Das Entscheidende ist bei den Sakramenten der Vollzug des Aktes. Er ist es, der die übernatürliche Gnade bewirkt. Das dispensiert freilich den Empfänger nicht davon, die im sakramentalen Akt objektiv dargebotene Gnade subjektiv anzueignen, etwa durch Akte des Glaubens, der Buße und der Reue. Analoges gilt für die subjektiven Akte des Spenders. Die subjektiven Akte des Empfängers wie auch des Spenders des Sakramentes bedingen also nicht Gnade des Sakramentes wohl aber seinen würdigen Empfang und seinen würdigen Vollzug sowie die subjektive Aneignung der objektiv gewirkten Gnade durch den Empfänger des Sakramentes. Für die Protestanten sind die Sakramente nicht Werkzeug der Gnade, sondern bestenfalls Bedingungen der Gnade. Das entscheidende Moment der Rechtfertigung ist hier der Glaube, nicht mehr das Sakrament. Zu den Sakramenten als Zeichen und wirkkräftigen Symbolen, als Realsymbolen, die dem Bedürfnis des den Sinnen verhafteten Menschen entsprechen, kommen nach katholischer Lehre und in der katholischen Glaubenspraxis noch viele weitere Zeichen, Handlungen und Gegenstände hinzu, Weihungen, Segnungen und Beschwörungen, die dem Gläubigen auf sinnenfällige Weise die Hilfe Gottes erwirken sollen. Hierher gehört auch die Verehrung der Reliquien. Diese heiligen Handlungen und Zeichen werden als Sakramentalien bezeichnet, wegen ihrer Ähnlichkeit mit den Sakramenten. Auch die Sakramentalien sind gnadenwirkende Zeichen nicht anders als die Sakramente, aber im Unterschied zu ihnen wirkt hier nicht die Gnade durch das Zeichen als solches, sondern durch die Weise, wie das Zeichen gesetzt wird. Das 107 ist deshalb so, weil die Sakramentalien nicht auf Christus zurückgeführt werden können, weil sie nicht Christus zum Urheber haben, sondern die Kirche. In den Sakramentalien wirkt das Gebet der Kirche in Verbindung mit dem Gebet der Gläubigen, wobei das Gebet der Kirche jeweils deutlich wird durch die mit den Sakramentalien verbundene Wirksamkeit des Amtsträgers. Dabei müssen wir sehen, dass die Sakramentalien nicht im Zentrum der katholischen Frömmigkeit stehen, wie das bei den Sakramenten der Fall ist, dass sie vielmehr ihren Platz an der Peripherie haben, theoretisch jedenfalls, wobei zugegeben werden muss, dass das faktisch oft anders ist, weshalb sich der oberflächliche Betrachter zuweilen ein falsches Bild von dem katholischen Frömmigkeitsleben bildet. Hier ist etwa an die Wallfahrtsfrömmigkeit zu erinnern, die in sich legitim ist, faktisch aber nicht selten zu magischen Praktiken degeneriert. Eingangstor zur Kirche Christi Die Taufe ist das Eingangstor in die Kirche Christi. Ohne das Sakrament der Taufe kann kein anderes Sakrament gültig empfangen werden. Die Taufe macht den Menschen zum Christen und gibt ihm ein Recht auf das übernatürliche Königreich des Himmels. Sie schenkt ihm das neue Leben der Gnade, weshalb Jesus sie in dem nächtlichen Gespräch mit dem Schriftgelehrten Nikodemus als eine neue Geburt, als eine Wiedergeburt qualifiziert (Joh 5). Im Titus-Brief lesen wir, dass wir gerettet sind durch das Bad der Wiedergeburt, das seinerseits eine Erneuerung im Heiligen Geist ist“176. Jesus selber erklärt: „Wahrlich, wahrlich ich sage dir, wer nicht aus dem Wasser und dem Heiligen Geist wiedergeboren wird, der kann in das Reich Gottes nicht eingehen“177. Im großen 176 177 Tit 3, 4 f. Joh 3, 5. 108 Glaubensbekenntnis, dem Credo der heiligen Messe, heißt es: „Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden“. Auf dem Konzil von Florenz ließ Papst Eugen IV. anlässlich der Unionverhandlungen mit den Armeniern am 22. November 1439 in öffentlicher Sitzung über die Lehre von der Taufe folgende Erklärung feierlich verlesen: „Den ersten Platz unter allen Sakramenten nimmt die heilige Taufe ein, welche die Pforte des geistigen Lebens ist. Denn durch sie werden wir Glieder Christi und Angehörige des Leibes der Kirche. Und da durch den ersten Menschen der Tod in alle eingedrungen ist, so können wir, außer wenn wir aus dem Wasser und dem Geist wiedergeboren werden, wie die Wahrheit sagt (Joh 3, 5) in das Himmelreich nicht eingehen. Die Materie dieses Sakramentes ist wahres und natürliches Wasser. … Die Form aber ist diese: ‚Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes‘ … Die Wirkung ist der Nachlass jeder Sünde, der Erbsünde und der wirklichen Sünde, und jeder Strafe, welche für die Sünde geschuldet wird. ...“178. Wechselnde Bezeichnungen Seinen Namen hat das Sakrament der Taufe von dem für seine Spendung wesentlichen Ritus erhalten, denn Taufen bedeutet soviel wie Eintauchen. Das entsprechende griechische Wort lautet lateinische Wort, das davon abgeleitet „baptizein“, das entsprechende ist, lautet „baptizare“. Der Weltkatechismus stellt fest: „Der wesentliche Ritus der Taufe besteht darin, dass der Täufling in Wasser getaucht oder dass sein Haupt mit Wasser übergossen 178 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1314. 109 wird unter Anrufung der heiligsten Dreifaltigkeit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“179. In der frühen Väterzeit nennt man dieses Sakrament auch wohl das Sakrament der Erleuchtung. Der Kirchenvater Justin (+ 165) schreibt: „Dieses Bad wird Erleuchtung genannt, denn wer diese Unterweisung erhält (gemeint ist die Unterweisung im Glauben, der die Voraussetzung für den Empfang des Sakramentes ist) wird im Geiste erleuchtet“180. Konsequenterweise werden die Getauften in der frühen Väterzeit als Kinder des Lichtes bezeichnet. Es gibt aber schon in ältester Zeit eine Reihe weiterer Begriffe, mit denen man die geheimnisvolle Wirklichkeit des Sakramentes der Taufe umschreibt. So spricht man von Gabe, Gnade, Salbung und Siegel sowie von dem Bad der Wiedergeburt und von dem Gewand der Unverweslichkeit181. Christliche Initiation In alter Zeit war die Taufe ein Teil der so genannten christlichen Initiation. Da wurde sie dann verbunden mit dem Sakrament der Firmung und mit dem Sakrament der Eucharistie. Voraus ging dieser Initiation eine lange Zeit des Katechumenates, das mit einer Reihe von vorbereitenden Riten verbunden wurde182. Der Weltkatechismus erklärt: „Die christliche Initiation geschieht durch drei Sakramente: die Taufe, die der Beginn des neuen Lebens ist; die Firmung, die dieses Leben stärkt; die Eucharistie, die den Gläubigen mit dem 179 Weltkatechismus, Nr. 1278. 180 Justin, Apologia I, 61. 181 Vgl. Gregor von Nazianz, Oratio 40, 3f. 182 Vgl. Weltkatechismus, Nr. 1230. 110 Fleisch und dem Blut Christi nährt, um ihn in Christus umzugestalten“183. Die Firmung und die Eucharistie vertiefen und verinnerlichen auf je verschiedene Weise die Taufgnade184. Fundament der Gemeinschaft der Christen und Bedingung für das übernatürliche Heil „Die Taufe bildet die Grundlage der Gemeinschaft aller Christen, auch mit jenen, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen. ‚Wer an Christus glaubt und in der rechten Weise die Taufe empfangen hat, steht dadurch in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche. … Nichtsdestoweniger werden sie aufgrund des Glaubens in der Taufe gerechtfertigt, Christus einverleibt, und darum gebührt ihnen der Ehrenname des Christen, und mit Recht werden sie von den Kindern der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt‘ (Unitatis redintegratio, 3). ‚Die Taufe begründet also ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind‘ (Unitatis redintegratio, 22)“185. Fest steht, dass niemand selig werden, dass niemand das übernatürliche Heil finden kann ohne dass er das Sakrament der Taufe empfängt. Gemäß dem Johannes-Evangelium erklärt Jesus: „Wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, so kann er in das Reich Gottes nicht eingehen“186, gemäß dem Markus-Evangelium erklärt er: „Wer glaubt und sich 183 Ebd., Nr. 1275. 184 2 Albert Drexel, Katholisches Glaubensbuch. Ein Erwachsenen-Katechismus, Stein a. Rh. 1972, 146. 185 Weltkatechismus, Nr. 1271. 186 Joh 3, 5. 111 taufen lässt, wird gerettet, wer nicht glaubt und sich nicht taufen lässt, wird verdammt werden“187. Hier gilt jedoch, dass der, der das Sakrament der Taufe ohne seine Schuld nicht empfangen kann, dennoch selig werden kann, und zwar einerseits durch die Begierdetaufe und andererseits durch die Bluttaufe. Unter der Begierdetaufe versteht man die vollkommene Liebe zu Gott, verbunden mit der vollkommenen Reue und dem ernsten Verlangen, in allem den Willen Gottes zu erfüllen. Unter Bluttaufe versteht man den Märtyrertod um Christi willen188. Vorformen im Alten Testament Im Neuen Testament begegnet uns die Taufe zunächst als Bußtaufe. Voraus gingen der Bußtaufe die Reinigungsbäder im alten Judentum. Beim Propheten Ezechiel heißt es: „Ich werde über euch ausgießen reines Wasser, und ihr werdet rein von allen euren Ungerechtigkeiten (Sünden)“189. Und bei dem Propheten Sacharja heißt es: „An jenem Tag wird dem Haus Davids und allen Bewohnern Jerusalems eine Quelle zuteil zur Abwaschung des Sünders und der Befleckung“190. Vorgebildet ist das Sakrament der Taufe in dem Durchzug des auserwählten Volkes durch das Rote Meer. In ihm führte Gott das Volk Israel aus der Knechtschaft Ägyptens in das Gelobte Land. Im Ersten Korinther-Brief (1 Kor 10, 1 - 5) vergleicht Paulus den Zug durch das Rote Meer mit der Taufe. Mose teilte mit seinem Stab die Wasser, diese wichen zurück, und das Volk Israels zog trockenen Fußes durch das Meer. So entkamen die Israeliten der 187 Mk 16, 16. 188 Gaudium et Spes, Nr. 22; vgl. Weltkatechismus, Nr. 1260. 189 Ez. 36, 25. 190 Sach 13, 1. 112 Gewaltherrschaft des Pharao. Diesen Vorgang schildert die zweite Lesung der Osternacht: Ex 14, 15 - 30. Die Bußtaufe Zur Zeit Jesu herrschte die Meinung in Israel, der wahre Messias werde die Wassertaufe bringen. Deshalb fragten die Abgesandten der Schriftgelehrten den Johannes, den Täufer: „Warum taufst du, wenn du nicht der Messias bist“191. Dieser verstand seine Taufe als Bußtaufe. Ihr unterzog sich auch Jesus am Beginn seines öffentlichen Wirkens. Darüber berichten alle vier Evangelisten192. Er wollte in allem den Menschen gleich werden und ein Beispiel der „Gerechtigkeit“ geben193. Auch die Jünger Jesu scheinen die Bußtaufe gespendet zu haben, ja, möglicherweise hat auch Jesus selber sie gespendet. Als er später das Zeichen übernahm, um seine Jünger in sein Reich einzuführen, verlieh er ihm eine neue Bedeutung, so dass die Reinigung durch Wasser die innere Wiedergeburt des Menschen durch den Heiligen Geist bewirken konnte194. Demgemäß haben die Apostel stets die Eigenart der christlichen Taufe betont und sie von der Johannes-Taufe unterschieden195. Die Johannes-Taufe war so etwas wie eine Vorbereitung auf die Christus-Taufe196. Sie erhielt eine neue Bedeutung, als Jesus sie zum wirksamen Zeichen der Vermittlung der Erlösung 191 Joh 1, 25); vgl. Albert Drexel, Katholisches Glaubensbuch. Ein ErwachsenenKatechismus, Stein a. Rh., 21972, 147. 192 Mk 1, 9 - 11; Mt 3, 13 - 17; Lk 3, 21 f; Joh 1, 32 - 34. 193 Vgl. Albert Drexel, Katholisches Glaubensbuch. Ein Erwachsenen-Katechismus, Stein a. Rh., 21972, 147. 194 Joh 3, 5 f. 195 Mk 1, 8; Mt. 3, 11; Lk 3, 16; Joh 1, 33; Apg 19, 1 - 5. Vgl. Aimé-Georges Martimort, Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. II, Freiburg 1965, 48 f. 196 2 Albert Drexel, Katholisches Glaubensbuch. Ein Erwachsenen-Katechismus, Stein a. Rh., 1972, 14. 113 erhob und seine Apostel beauftragte, allen Menschen das Sakrament der Taufe mit den Worten „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ zu spenden197. Gemäß dem Markus-Evangelium sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Geht hin in alle Welt und predigt allen Geschöpfen das Evangelium. Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“198. Johannes der Täufer hatte erklärt: „Ich taufe euch nur mit Wasser zur Bekehrung, aber der nach mir kommt, ist stärker. Ich bin nicht wert, ihm die Schuhriemen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit dem Feuer taufen“199. Die messianische Taufe Jesus erläutert den Sinn der messianischen Taufe in dem Gespräch mit Nikodemus, wenn er feststellt: „Wenn jemand nicht wiedergeboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes eingehen“200. Von Anfang an bestand der Taufritus wesentlich aus dem Wasserbad und dem Glaubensbekenntnis. Wie die Taufe in ältester Zeit gespendet wurde, dafür haben wir relativ viele Zeugnisse: Der Taufende stieg mit dem Täufling in das Taufbecken hinab und befragte ihn über seinen Glauben an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist. Auf jede dieser drei Fragen antwortete der Täufling: Credo, Ich glaube. Nach jeder Antwort legte der Taufende seine Hand auf das Haupt des Täuflings 197 Mt 28, 19. 198 Mk 16, 15 f. 199 Mt 3, 11. 200 Joh 3, 3. 114 und veranlasste ihn, vollständig im Wasser unterzutauchen. Schon sehr bald wurde an den Ritus des Wasserbades der Ritus der Salbung angefügt. Für diese Salbung verwendete man heiliges Chrisam201. Als Abschluss des eigentlichen Taufritus wurde dem Neugetauften ein weißes Gewand angelegt und eine brennende Kerze überreicht. Sodann empfing er das Sakrament der Firmung und das Sakrament der Eucharistie202. In der Osternacht Schon früh wurde die Taufe vornehmlich in der Osternacht gespendet. Diese Praxis drängte sich auf angesichts der Tatsache, dass die Gnade, die in der Taufe vermittelt wurde, die Frucht des Todes und der Auferstehung Christi war. Bis zur Neuordnung der Liturgie im Anschluss an das II. Vatikanische Konzil wurde in Erinnerung daran in allen Jahrhunderten in der Feier der Osternacht das Taufwasser geweiht, das so das ganze Jahr hindurch für die Spendung der Taufe verfügbar war. Heute wird in der Osternacht zwar noch das Taufwasser geweiht, mit ihm werden aber nur jene Taufen vollzogen, die in den 50 Tagen der österlichen Zeit stattfinden. An den übrigen Tagen des Jahres wird das Taufwasser, wenn das Sakrament der Taufe gespendet wird, jeweils ad hoc geweiht. Durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung befreite uns Christus aus der Knechtschaft des Teufels. Durch das Wasser der Taufe führt er uns in die Herrlichkeit des ewigen Lebens. Diesen Übergang aus der Knechtschaft zur Freiheit, aus dem Tod zum Leben lässt uns die Osternacht, wenn wir sie recht 201 Bei dem Chrisam handelt es sich um Olivenöl, dem zur Steigerung des Wohlgeruchs Balsame, Mischungen aus Harzen und ätherischen Ölen, beigefügt wurden und das eine besondere Weihe durch den Bischof erhalten hat. Es findet Verwendung bei der Taufe, bei der Firmung und bei der Priesterweihe. 202 Aimé-Georges Martimort, Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. II, Freiburg 1965, 50 f. 115 begehen, eindrucksvoll miterleben. Die Feier der Osternacht ist der Höhepunkt des liturgischen Jahres der Kirche203. Das II. Vatikanische Konzil stellt in der Liturgie-Konstitution fest: „… durch die Taufe (werden die Menschen) in das Paschamysterium Christi eingefügt. Mit Christus gestorben, werden sie mit ihm begraben und mit ihm auferweckt. Sie empfangen den Geist der Kindschaft, ‚indem wir Abba, Vater, rufen‘ (Röm 8, 15) und werden so zu wahren Anbetern, wie der Vater sie sucht. Ebenso verkünden sie, sooft sie das Herrenmahl genießen, den Tod des Herrn, bis er wiederkommt. Deshalb wurden am Pfingstfest, an dem die Kirche in der Welt offenbar wurde, ‚diejenigen getauft, die das Wort‘ des Petrus ‚annahmen‘. Und ‚sie verharrten in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft des Brotbrechens, im Gebet … sie lobten Gott und fanden Gnade bei allem Volk‘ (Apg 2, 41 47)“204. In der Dogmatischen Konstitution über die Kirche erklärt das Konzil: „Durch die Taufe werden wir ja Christus gleich gestaltet: ‚Denn in einem Geiste sind wir alle getauft in einen Leib hinein‘ (1 Kor 12, 13). Durch diesen heiligen Ritus wird die Vereinigung mit Tod und Auferstehung Christi dargestellt und bewirkt: ‚Wir sind nämlich mit ihm durch die Taufe hineinbegraben in den Tod‘; wenn wir aber ‚eingepflanzt worden sind dem Gleichbild seines Todes, so werden wir es zugleich auch dem seiner Auferstehung sein‘ (Röm 6, 4 f). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2, 4 - 10). So sollen alle Jünger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2, 42 - 47) und sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Rö 12, 1); überall auf Erden sollen sie für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, 203 Joseph Müller, Katechesen zur Liturgie. Das Kirchenjahr, Donauwörth 1967, 113 f. 204 Sacrosanctum concilium, Nr. 6. 116 Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben, die in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3, 15)“205. Der Ritus Im Sakrament der Taufe versinnbildet die äußere Abwaschung im Wasser die innere Reinigung. Zunächst ist die Taufe ein Bad. Die Taufe wäscht den Täufling rein, nicht von dem Schmutz des leiblichen, sondern von dem Schmutz der Seele, die von der alten Erbschuld und von der persönlichen Schuld befleckt ist. Es ist der Heilige Geist, der uns reinigt in der Taufe, nicht als ob er sich im Taufwasser befände, sondern weil das Wasser Hinweis auf den Heiligen Geist ist oder weil es gleiche Eigenschaften hat wie der Schöpfergeist. Es ist so klar und so frisch, so fruchtbar und so stärkend und reinigend und erneuernd wie der Gottesgeist im seelischen Bereich206. Zwei Salbungen gibt es im Ritus der Spendung des Sakramentes der Taufe, bei der einen verwendet man Katechumenen-Öl, bei der anderen Chrisam. Die Erstere erinnert an die Salbungen, die in alter Zeit wiederholt an den Taufbewerbern vollzogen wurden, die Salbung mit dem Chrisam erinnert an die in alter Zeit, teilweise aber auch heute noch, übliche Verbindung der Spendung Sakramentes der Taufe mit dem Sakrament der Firmung. Heute verstehen wir die Salbung als eine symbolische Hinordnung des Täuflings auf das Sakrament der Firmung, das das Sakrament der Taufe eines Tages vollenden soll. Könige und Priester wurden in alter Zeit gesalbt. Der Täufling, auch daran erinnert die 205 206 Lumen Gentium, Nr. 7 und Nr. 10. Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 39. 117 Salbung mit dem Chrisam, ist durch die Taufe ein Kind des ewigen Königs und partizipiert am königlichen Priestertum Christi207. Die Wirkung Die Wirkung der Taufe ist vielfältig. Der Weltkatechismus spricht hier von der „Vergebung der Erbsünde und aller persönlichen Sünden“ von der „Geburt zum neuen Leben, durch die der Mensch Adoptivkind des Vaters, Glied Christi und Tempel des Heiligen Geistes wird“, und von der Eingliederung in den Leib Christi und in die Kirche Christi sowie von der Anteilnahme am Priestertum Christi“208. Das Sakrament der Taufe bewirkt vor allem die Reinigung von der Erbsünde sowie die Vergebung aller persönlichen Sünden und Sündenstrafen, nicht nachgelassen werden die allgemeinen Straffolgen der Erbsünde. Das Konzil von Florenz erklärt im Jahre 1439, dass, da durch die Taufe die Erbsünde und alle persönlichen Sünden sowie alle Sündenstrafen getilgt werden, jemand, der sogleich nach der Taufe stirbt, bevor er eine Sünde begehen kann, sofort in das Himmelreich eingeht und zur Anschauung Gottes gelangt209. Die Reinigung von der Erbsünde und die Nachlassung aller persönlichen Sünden geschieht positiv durch die Mitteilung des göttlichen Lebens. Von daher hat die Kirche die Taufe stets als eine Neuschöpfung verstanden. Demnach spricht Paulus im zweiten Korinther-Brief davon, dass der Getaufte eine neue Kreatur ist210. Die Taufe ist eine neue, eine zweite Geburt. Der Tauftag ist ein Geburtstag. In der 207 Ebd., 74 f. 208 Weltkatechismus, Nr. 1279. 209 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1316. 210 2 Kor 5, 17. 118 Taufe empfängt der Täufling ein neues Leben211. Christus spricht im JohannesEvangelium von der Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Heiligen Geist212. Die Taufe gibt uns Gott zum Vater in einem spezifischen Sinn. Gleichzeitig gibt sie uns die Kirche als Mutter. Sie findet ihre Erfüllung in der Ewigkeit, sofern sie uns das Bürgerrecht für den Himmel schenkt. Das Zweite Vatikanische Konzil apostrophiert die Kirche als Mutter, sofern sie durch Predigt und Taufe Kinder gebiert, „die vom Heiligen Geist empfangen und aus Gott geboren sind“, denen sie so ein neues und unsterbliches Leben vermittelt213. Wir sagen oft undifferenziert: Alle Menschen sind Gotteskinder geworden durch die Menschwerdung Gottes und durch den Tod des Erlösers Christus. Alle Menschen sind zwar von Gott geschaffen, aber Kinder Gottes im eigentlichen Sinne sind sie nur, wenn sie wiedergeboren sind „aus dem Wasser und dem Heiligen Geist“ und wenn sie die Taufgnade nicht verloren haben, denn der Verlust der Taufgnade ist eine reale Möglichkeit, tragen wir doch die Gnade des neuen Lebens in einem zerbrechlichen Gefäß214. Heilige werden die Getauften an verschiedenen Stellen des Neuen Testamentes genannt, sofern sie durch die Taufe eingegliedert worden sind in den Leib Christi und Bürger des neuen Gottesvolkes, des Gottesvolkes des Neuen Bundes, geworden sind. Der 1. Petrusbrief stellt fest, dass die Getauften zu „lebendigen Steinen“ und zu „einem geistigen Haus“ und „zu einer heiligen 211 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 39. 212 Joh 3, 5. 213 Lumen Gentium, Nr. 64. 214 Ebd. 119 Priesterschaft“ aufgebaut werden215. Im Folgenden spricht der 1. Petrus-Brief dann von den Getauften als einem auserwählten Geschlecht, als einer königlichen Priesterschaft, als einem heiligen Stamm, als einem Volk, das in besonderer Weise das Eigentum Gottes geworden ist und das die großen Taten Gottes, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat, zu verkünden haben216. Paulus schreibt im 1. Korintherbrief, dass der Getaufte nicht mehr sich selbst gehört217, sondern dem, der „für uns gestorben und auferstanden ist“218. Die Taufe zeigt unsere Erlösung, unseren Loskauf an. Durch die Erbschuld gerieten wir in die Gefangenschaft Satans, in die Unfreiheit. Durch die Taufe wurden wir, losgekauft mit dem Wasser, das aus der Seite Christi kam, frei als Eigentum Gottes. Die Taufe macht uns frei in einem tieferen Sinne, nämlich sofern sie uns von der Knechtschaft der Sünde, von der Versklavung durch das Böse befreit. In der Taufe kommt Gottes Herrlichkeit über uns. Gott wendet sich dem Menschen zu. Dieser Zuwendung Gottes muss der Mensch sich öffnen, und er muss sie mit seiner Hingabe an Gott beantworten219. Und ein weiterer Aspekt ist hier noch zu bedenken: Die Taufe kommt von Christus und führt zu ihm hin. Jesus wurde im Jordan getauft und hat so ein für alle Mal das Wasser befähigt, die Seele des Menschen zu läutern. Zudem 215 1 Petr 2, 5. 216 1 Petr 2, 9. Vgl. Weltkatechismus, Nr. 1268. 217 1 Kor 6, 19. 218 Vgl. auch 2 Kor 5, 15 und Weltkatechismus, Nr. 1269. 219 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 40. 120 strömten, wie uns Johannes berichtet, aus seinem durchbohrten Herzen Blut und Wasser hervor. Das Wasser zeigt hier wiederum die Taufe an, sofern sie aus der Liebe Jesu hervorgeht und ihre Kraft erlangt durch den Erlösertod Christi. Zudem werden wir durch die Taufe als Kinder Gottes Brüder und Schwestern Christi. Ist er ein Sohn Gottes von Natur aus, werden die Getauften Söhne und Töchter Gottes durch die Gnade. Die Taufe übermittelt uns die Erlösung, die das Leiden und Sterben Christi gewirkt hat, sie ist die Frucht des Kreuzes und rettet den Getauften durch das Kreuz. Von daher ist sie Auferstehung mit Christus220. Der Glaube, eine wesentliche Voraussetzung Der Ritus der Taufe ist von Anfang an aufs Engste mit dem Glauben verbunden221. Die Taufe „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ steht hier gleichsam für den christlichen Glauben in seiner Gesamtheit, zu dem sich der Täufling bekennt. Es geht hier, in dieser Formel, um die Glaubenswahrheit, dass der eine Gott in drei Personen existiert. Wir sprechen hier von dem trinitarischen Dogma, dem ersten und entscheidenden Dogma des Christentums. In ihm ist das Dogma von der Menschwerdung Gottes gleichsam enthalten. Wir wüssten nicht, dass Gott in drei Personen existiert, wenn nicht die zweite göttliche Person ein Mensch geworden wäre. Die zwei Glaubenswahrheiten, die Glaubenswahrheit von dem dreifaltigen Gott und von der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person, sie stellen das Fundament des Christentums dar und lassen uns das Christentum als eine Weiterführung oder besser: als die Vollendung des Alten Testamentes erkennen. Das Alte Testament bereitet das Neue vor, das Neue Testament ist das Fundament des Christentums. 220 Ebd., 41. 221 Vgl. Mt 28, 19 f; Mk 16, 15 f. 121 Das Katechumenat Weil die Taufe von Anfang an aufs Engste mit dem Glauben verbunden war, geht seit den Urtagen des Christentums der Spendung des Sakramentes der Taufe das Katechumenat voran. Es besteht in einer Einführung in den Glauben und in das christliche Leben. Die Taufbewerber müssen den Glauben, den sie bei der Taufe bekennen müssen, kennen lernen, und sie müssen das christliche Leben einüben, das Leben nach den Geboten. Das christliche Leben ist die Konsequenz des christlichen Glaubens. Das Katechumenat, in dem der Glaube kennen gelernt und eingeübt werden soll, wurde in alter Zeit von heiligen Riten begleitet, durch die der Täufling immer mehr in das Heiligtum der Kirche eingeführt wurde222. Von den das Katechumenat begleitenden Salbungen war bereits die Rede. Das Katechumenat ergibt sich aus der Notwendigkeit, dass der Taufe der Glaube vorangehen muss. Das gilt natürlich nicht für die Kindertaufe, sondern nur für die Erwachsenentaufe. Aber mit ihr hat es begonnen. Am Anfang wurden nur Erwachsene getauft, solche, die den Glauben bekennen konnten. Dann hat sich jedoch schon sehr bald die Kindertaufe herausgebildet. Schon in der Apostelgeschichte ist von ihr die Rede. Die Praxis der Kindertaufe entspricht im Grunde der inneren Logik des Taufsakramentes. Daher war es im Grunde selbstverständlich, dass, wenn ein Vater oder eine Mutter getauft wurden, die ganze Familie getauft wurde. Wenn man zeitweilig von dieser Praxis abkam, war das eigentlich eine Fehlentwicklung. Der Kirchenvater Augustinus von Hippo berichtet, dass die Kirche schon immer die Taufe der Kleinen, der „parvuli“ praktiziert habe und dass sie sie für immer praktizieren werde. Den die 222 Weltkatechismus, Nr. 1246 - Nr. 1249. 122 Erbsünde leugnenden Pelagianern hielt er gerade die Kindertaufe als wirksames Argument für die Erbsünde entgegen223. Kindertaufe Wenn also ein neu an Christus Glaubender getauft wurde, wurde das ganze Haus mit ihm getauft. Allein, man war auch in diesem Punkt nicht immer konsequent. Denn Jahrhunderte hindurch gab es die Praxis in der Kirche, dass erst die Vierzehnjährigen getauft wurden. Die großen Kirchenväter Basilius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Chrysostomos, Paulinus von Nola, die alle dem 4. und 5. Jahrhundert angehören, wurden beispielsweise als Halbwüchsige oder als junge Männer getauft. Der Kirchenvater Augustinus ging als Ungetaufter in den Beruf, und er ging als Ungetaufter in die Fremde und in die Irre, obwohl seine Mutter Monika eine überzeugte Christin war. Der Kirchenvater Ambrosius von Mailand (+ 397) wurde als Ungetaufter zum Bischof gewählt und musste in einer Woche Taufe, Firmung, Eucharistie, Priesterweihe und Bischofsweihe empfangen. Das Leben dieser beiden bedeutenden Kirchenlehrer zeigt uns, welche Gefahren der Aufschub der Taufe mit sich bringt. Kaiser Konstantin - er starb im Jahre 337 - hat erst, wie viele andere seiner Zeit, auf dem Sterbebett die Taufe empfangen und hat als Ungetaufter, wenngleich als Katechumene, in Nizäa das Konzil im Jahre 325 zusammengerufen und auf ihm gar den Vorsitz geführt. So war das im Römerreich. Anders war das, als das Evangelium zu den germanischen Völkern gelangte. Bei ihnen setzte sich sehr bald die Kindertaufe durch224. Die Kirche hat die Praxis der Hinausschiebung der Taufe in den ersten drei Jahrhunderten, die Hinausschiebung der Taufe bis ins reifere Alter, ja, bis 223 224 Augustinus, Sermo 176, n. 2. Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 53. 123 zur Sterbestunde, geduldet, jedoch nie gebilligt. Sie spricht eindeutig gegen ihre von Anfang an beobachtete Praxis und gegen ihre ursprüngliche Anschauung225. Während ursprünglich die Erwachsenentaufe vorherrschte, wenngleich von Anfang an auch Kinder getauft wurden, wurde seit dem Beginn des 6. Jahrhunderts die Erwachsenentaufe zur Ausnahme, während von nun an die Kindertaufe zur Regel wurde. Das Jesuswort „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet“226 schien die späte, bewusste Taufe zu fordern. Das Wörtchen „gerettet“ rief jedoch die Sorge um das Heil der Kinder auf den Plan. Nicht minder gilt das für das Jesuswort an Nikodemus „Wenn einer nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, kann er nicht in das Himmelreich eingehen“227. Angesichts der Heilsnotwendigkeit der Taufe muss die Taufe bereits den Kindern gespendet werden, und zwar so bald, wie es möglich ist. Die Voraussetzung ist dabei allerdings die, dass die christliche Erziehung der Kinder, das nachfolgende Katechumenat - so kann man sie auch nennen -, gewährleistet ist. Im Fall der Kindertaufe muss die Einführung in den Glauben und in das christliche Leben nachgeholt werden. Dafür müssen die Paten und die Eltern bürgen. Es ist konsequent, wenn die Erklärung des Glaubens dann als Katechese bezeichnet wird. Ein Brennpunkt der Katechese ist in diesem Sinn die Vorbereitung der Kinder auf die Erstbeichte und die Erstkommunion. Das eine 225 2 Albert Drexel, Katholisches Glaubensbuch. Ein Erwachsenen-Katechismus, Stein a. Rh. 1972, 153. 226 227 Mt 28, 18. Joh 3, 5. Vgl. Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 53. 124 wie das andere liegt heute im Argen. Eigentlich müsste der Seelsorger dieser Vorbereitung seine erste und vordringliche Sorge zuteil werden lassen. Dabei soll nicht verkannt werden, dass hier allerdings vielfach beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten liegen. In gewisser Weise könnte man sie abbauen, diese Schwierigkeiten, wenn man das von der Kirche vorgeschriebene Taufgespräch, das der Kindertaufe stets vorangehen muss, ernster nehmen würde. Dann müsste man allerdings in nicht wenigen Fällen die Taufe aufschieben. Eines ist sicher: Wo immer man das Taufgespräch und die Vorbereitung auf die Beichte und die Erstkommunion der Kinder gewissenhaft durchführt, werden auch die Sakramente der Kirche wieder ernster genommen. Da scheiden sich die Geister, da gewinnt die Kirche wieder an Format. Taufgespräch und Taufpaten Das Taufgespräch, das vorgeschrieben ist gemäß der Ordnung der Kirche und das heute sehr im Argen liegt, eigentlich von Anfang an, ist nichts anderes als ein Ersatz für das Katechumenat des Täuflings. Es steht in gewisser Weise in Parallele zu dem Brautunterricht. Im Taufgespräch soll den Eltern des Kindes ihre Verantwortung für die Unterrichtung des Täuflings im Glauben nahegebracht werden, und sie sollen erfahren, wie sie diese Verantwortung wahrnehmen können. Es ist im Grunde gleichsam eine ideale Gelegenheit für den Seelsorger, mit den Gläubigen Kontakt zu bekommen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen228. Der Täufling erhält einen Paten. Dieser ist ursprünglich der Bürge: In der Zeit der Verfolgung der Kirche konnte jeder sich anbietende Taufkandidat ein Spion oder ein Verräter sein. Deshalb musste jemand mit ihm kommen, der sich für 228 Ebd., 55. 125 ihn verbürgte und der einstand für seine gläubige Absicht. Der Bürge kannte die Vergangenheit des Kandidaten. In ältester Zeit war der Pate aber auch der Aufnehmende, sofern er dem Täufling half, aus dem Taufbecken emporzusteigen. Daran erinnert uns heute noch die Ausdrucksweise „aus der Taufe heben“. So wird in alten Taufbüchern die Tätigkeit der Paten beschrieben. Der Pate ist darüber hinaus ein Vermittler und ein Sprecher des Täuflings, sofern er für diesen eintritt, wenn er der Sprache nicht mächtig ist oder wenn er ihrer nur wenig mächtig ist. Ferner steht der Pate in einem Verhältnis der geistlichen Vaterschaft zu dem Täufling. Unser deutsches Wort Pate ist abgeleitet von dem lateinischen Wort „patrinus“. Das ist die Diminutivform von „pater“. Demnach ist der Pate das Väterchen. In manchen Dialektformen haben wir daraus den „Gevatter“ gemacht. Aus der geistlichen Vaterschaft ergibt sich die Hilfe für die Erziehung des Täuflings und für die Familie, der der Täufling angehört. Demnach ist der geistliche Vater Erziehungshelfer und Familienhelfer. Jahrhunderte hindurch war es selbstverständlich, dass der Täufling den Namen des Paten erhielt229. Die ungetauft verstorbenen unmündige Kinder Angesichts der Heilsnotwendigkeit der Taufe hat man sich immer wieder Gedanken gemacht über das Schicksal der ungetauft sterbenden unmündigen Kinder. Die Schrift, die Offenbarung Gottes, gibt uns darüber keine Auskunft. Wohl aber erklärt sie uns, dass das übernatürliche Heil die Taufe zur Voraussetzung hat. Um dieses Dilemma zu lösen, haben die Theologen in den Jahrhunderten die Idee von dem so genannten „Limbus puerorum“ entwickelt, in 229 Vgl. ebd., 48 f. 126 dem diesen Kindern eine natürliche Glückseligkeit geschenkt wird. Das lateinische Wort „limbus“ bedeutet so viel wie „Streifen“, „Bordüre“, „Saum“, „Gürtel“. Der „Limbus puerorum“ ist dann der Saum der Kinder oder die Vorhalle der Kinder, man dachte dabei an einen Ort, der dem Himmel vorgeordnet ist. Heute möchte man diesen Gedanken fallen lassen, der natürlich nie eine Glaubenswahrheit gewesen ist. Demgemäß stellt der Weltkatechismus fest: „Was die ungetauft verstorbenen Kinder betrifft, leitet uns die Liturgie der Kirche an, auf die göttliche Barmherzigkeit zu vertrauen und für das Heil dieser Kinder zu beten“230. Die Erbsünde Die Taufe wäscht den Makel der Erbsünde ab und auch der persönlichen Sünden, die etwa vorhanden sind, und sie macht den Menschen zu einem Kind Gottes und zu einem Erben des Himmels. Mit der Erbsünde werden wir geboren dank der Sünde unserer Stammeltern. Paulus erklärt: „Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod, und so ist der Tod auf alle Menschen übergegangen, weil alle gesündigt haben“ (Rö 5, 12). Nur ein einziger Mensch blieb vor dieser Sünde bewahrt, nämlich die Mutter des Erlösers, und natürlich auch der Gottmensch Jesus von Nazareth. Die Taufe wird gegenstandslos, wenn es die Erbsünde nicht gibt. Dass es sie gibt, lehrt uns der Glaube. Allerdings führt uns auch die Vernunft auf mannigfachen Wegen zu diesem Phänomen. Der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (+ 1662) erklärt: „Der Mensch ist ohne dieses Mysterium unbegreiflicher als dieses Mysterium dem Menschen unverständlich ist“. Der 230 Weltkatechismus, Nr. 1283. 127 Mensch ist unbegreiflich ohne die Erbsünde, gleichzeitig aber zerfließt diese Schwierigkeit in nichts im Angesicht des Dogmas von dem Sündenfall der ersten Menschen. Auf die Ursünde verweisen uns die Widersprüche der menschlichen Natur, die Erhabenheit und das Elend des Menschen, das tragische Wesen des Menschen. Hinzuweisen ist hier auf die letztlich chaotische Struktur des Menschen, auf die scheinbar angeborene Ungerechtigkeit, auf die ungeheure Selbstsucht, auf den unbezwingbaren Hochmut sowie auf die zügellose Begierlichkeit, die dem Menschen zu Eigen sind. Das unauslöschliche Merkmal Der Kirchenvater Augustinus nennt die Taufe das „Siegel des Herrn“231. Er greift damit einen Gedanken auf, der uns schon im Epheserbrief begegnet, wenn es da heißt: Die Taufe ist das Siegel, mit dem der Heilige Geist „uns für den Tag der Erlösung gekennzeichnet hat“232. Der Kirchenvater Irenäus von Lyon (+ 202) kommentiert den gleichen Gedanken, wenn er die Taufe als das „Siegel des ewigen Lebens“ bezeichnet233. Der Weltkatechismus stellt fest: „Die Taufe bezeichnet den Christen mit einem unauslöschlichen geistlichen Siegel (wir sprechen von dem character indelebilis), einem Zeichen, dass er Christus angehört. Dieses Zeichen wird durch keine Sünde ausgelöscht, selbst wenn die Sünde die Taufe daran hindert, Früchte des Heiles zu tragen. Weil die Taufe ein für allemal gespendet wird, kann sie nicht wiederholt werden“234. 231 Augustinus, Epistula 98, 5. 232 Eph 4, 30; vgl. 2 Kor 1, 21 f. 233 Irenäus von Lyon, Demonstratio apostolica, 3. 234 Weltkatechismus, Nr. 1272. 128 Gemäß dem II. Vatikanischen Konzil wird der Getaufte durch das sakramentale Siegel „zur christlichen Gottesverehrung bestellt“235. „Das Taufsiegel befähigt und verpflichtet die Christen, in lebendiger Teilnahme an der heiligen Liturgie der Kirche Gott zu dienen und durch das Zeugnis eines heiligen Lebens und einer tatkräftigen Liebe das Priestertum aller Getauften auszuüben“236. Die heiligmachende Gnade, das göttliche Leben Das göttliche Leben bezeichnen wir auch als die heiligmachende Gnade, die ihrerseits die Gnade der Rechtfertigung ist. Sie befähigt uns durch die göttlichen Tugenden, an den Gott der Offenbarung zu glauben, auf ihn zu hoffen und ihn zu lieben. Durch die Gaben des Heiligen Geistes ermöglicht sie es dem Getauften, unter dem Ansporn des Heiligen Geistes zu leben und zu handeln, und durch die sittlichen Tugenden befähigt sie ihn endlich, im Guten zu wachsen237. Es geht hier um das übernatürliche Leben der Gnade, das das eigentliche Wesen der christlichen Existenz ausmacht, was heute freilich angesichts der Horizontalisierung der christlichen Botschaft und ihrer Verflachung immer mehr in der Verkündigung und im Vollzug des christlichen Lebens verloren geht. Rechte und Pflichten 235 Lumen Gentium, Nr. 11. 236 Ebd., Nr. 10; Weltkatechismus, Nr. 1273. 237 Weltkatechismus, Nr. 1266. 129 Der Getaufte ist verpflichtet, den christlichen Glauben, speziell den Glauben der Kirche, allzeit zu bewahren und treu nach ihm zu leben. Er gehört nicht mehr sich selber, der Getaufte, so sagt es der 1. Korintherbrief238, sondern dem, der für uns gestorben und auferstanden ist239. Weshalb er in der Gemeinschaft der Kirche zum Dienst verpflichtet ist240, wobei einer sich dem anderen unterordnen soll241. Ferner ist der Getaufte verpflichtet, den Vorstehern der Kirche zu gehorchen und sich auch ihnen unterzuordnen, so sagt es der Hebräerbrief242, er soll sie anerkennen und hoch achten243. Wer Pflichten übernimmt, erhält auch Rechte. So ist es auch in der Kirche. Das heißt, dass der Getaufte das Recht erhält, die Sakramente zu empfangen, durch das Wort Gottes gestärkt und durch die weiteren geistlichen Hilfeleistungen der Kirche unterstützt zu werden. So sagt es die Dogmatische Konstitution „Lumen Gentium“ des II. Vatikanischen Konzils244, so sagt es aber auch das Rechtsbuch der Kirche, der Codex Iuris Canonici245. Eine wichtige Verpflichtung darf hier nicht übersehen werden, nämlich die missionarische. Der Getaufte ist verpflichtet, seinen Glauben, den er von Gott durch die Kirche empfangen hat, vor den Menschen zu bekennen. So sagt es die 238 1 Kor 6, 19. 239 2 Kor 5, 15. 240 Joh 13, 12 - 15. 241 Eph 5, 21; 1 Kor 16, 15 f. 242 Hebr 13, 17. 243 Vgl. 1 Thess 5, 12 f. 244 Lumen Gentium, Nr. 37. 245 Codex Iuris Canonici, Canones 208 - 223; vgl. Weltkatechismus, Nr. 1269. 130 Dogmatische Konstitution „Lumen Gentium“246. Der Getaufte darf nicht privatisieren innerhalb der Kirche, sondern er muss sich an der apostolischen und missionarischen Tätigkeit des Gottesvolkes beteiligen247. Dazu gehört dann auch das ökumenische Anliegen, das heute leider Gottes vielfach in ungebührlicher Weise hervorgehoben wird, wodurch der Glaube der Kirche relativiert und nivelliert wird. Nottaufe Wegen der grundlegenden Bedeutung der Taufe kann im Notfall jeder das Taufsakrament spenden, selbst ein Ungetaufter, sofern er die rechte Absicht hat. Das Sakrament muss jedoch in der rechten Weise gespendet werden durch Untertauchen und durch Übergießen mit Wasser, womit sich dann die Taufformel verbinden muss, wie sie durch die Evangelien überliefert ist. Unlängst noch erklärte die römische Glaubenskongregation, dass die verpflichtenden Worte lauten: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Dabei stellt die Glaubenskongregation fest, dass die Taufe nicht als gültig angesehen werden kann, wenn sie etwa erteilt wird mit den Worten ‚im Namen des Schöpfers, des Erlösers und des Heiligmachenden‘ oder ‚im Namen des Schöpfers, des Befreiers und des Erhalters‘. Solche und ähnliche Taufformeln sind in letzter Zeit immer wieder verwendet worden248. Die Form der Taufe ist dabei jene, die der auferstandene 246 Lumen Gentium, Nr. 11. 247 Weltkatechismus, Nr. 1270. 248 Erklärung der Glaubenskongregation vom 1. Februar 2008. 131 Christus im Anschluss an den großen Taufbefehl verwendet: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“249. Eingliederung in die Kirche Christi Durch das Sakrament der Taufe, egal durch wen ein Mensch dieses Sakrament empfängt und egal in welcher der verschiedenen christlichen Gemeinschaften, vorausgesetzt, dass das Sakrament gültig gespendet wird, wird er in die Kirche Christi aufgenommen. Und es gibt nur eine Kirche Christi. Diese aber subsistiert250 in der römischen Kirche, das heißt: sie ist mit ihr identisch. Man muss hier jedoch unterscheiden zwischen einer Mitgliedschaft in der Kirche in einem weiteren und in einem engeren Sinne. Glieder der Kirche Christi im engeren Sinne, das heißt: im eigentlichen Sinn oder im Vollsinn, sind jene getauften Christen, die mit der Kirche Christi, die als solche eine sichtbare Gestalt hat, verbunden sind durch das dreifache Band des Glaubens, der Disziplin und der Sakramente. Weil die Taufe den Täufling stets in die eine Kirche Christi eingliedert, deshalb konvertiert ein Protestant, der katholisch wird, eigentlich, wenn man genauer hinschaut, nicht zur katholischen Kirche, wird er vielmehr durch seine Konversion aufgenommen in die volle Gemeinschaft der Kirche Christi. So verstanden die großen Konvertiten in den Jahrhunderten seit der Reformation stets ihren Übertritt zur katholischen Kirche, allen voran John Henry Newman (+ 1890), der als einer der bedeutendsten Konvertiten der Neuzeit angesehen werden muss. 249 Mt 28, 19. 250 Lumen Gentium, Nr. 8. 132 Dem entspricht es, dass der Protestant, der katholisch wird, nichts preisgeben muss von dem, was er glaubt, sofern sein Glaube biblisch fundiert ist, jedoch einiges hinzu bekommt. So sind ja auch die protestantischen Denominationen in der Zeit der Reformation und später entstanden, indem sie wesentliche Glaubenswirklichkeiten der Kirche Christi aufgegeben haben. Das Wesen der Gemeinschaften der Reformation besteht von daher in der Subtraktion, um einen Terminus aus der Mathematik zu verwenden. Wegen der grundlegenden Bedeutung des Sakramentes der Taufe wird dieses Sakrament, das grundsätzlich nicht wiederholt werden kann, unter Umständen bedingungsweise wiederholt, nämlich dann, wenn die Gültigkeit des gespendeten Sakramentes nicht feststeht. Das ist etwa der Fall, wenn jemand das Sakrament in einer nichtkatholischen christlichen Gemeinschaft empfangen hat. In der Regel geht man jedoch in einem solchen Fall davon aus, dass das Sakrament gültig gespendet worden ist, denn jeder Mensch, nicht nur jeder Christ, jeder Mensch, ob Mann oder Frau, kann gemäß dem Glauben der Kirche das Sakrament gültig spenden, vorausgesetzt, dass er oder sie die von Christus eingesetzte Taufe spenden will und dabei die gebotene Form verwendet, dass er den Täufling mit Wasser übergießt oder untertaucht und dabei die trinitarische Taufformel spricht. Also: Ist die gespendete Taufe sicher gültig, darf sie nicht wiederholt werden. Ist sie sicher ungültig, wird sie bedingungslos gespendet. Ist ihre Gültigkeit zweifelhaft, wird sie bedingungsweise wiederholt. Nur einmal kann man das Sakrament der Taufe gültig empfangen. Wer die Taufgnade verloren hat, wer also nach der Taufe schwer sündigt, muss das Bußsakrament empfangen. 133 Gültigkeit der Spendung Die Gültigkeit der Taufe wird also an dem äußeren Tun des Taufenden abgelesen. Das gilt auch für die übrigen Sakramente. Erforderlich ist das Abwaschen mit Wasser in der Gestalt des Untertauchens, des Aufgießens oder des Übergießens oder des Besprengens verbunden mit der in Worte gefassten Bezeichnung der Taufhandlung und mit der ausdrücklichen Anrufung der drei göttlichen Personen251. Pflege des Taufbewusstseins Die Pflege des Taufbewusstseins ist ein bedeutendes Desiderat in der Gegenwart. Bedeutsamer als die natürliche Geburt ist die Wiedergeburt, durch die wir Anteil erhalten haben an der Erlösung. Im Exsultet der Osternacht heißt es: „… wären wir doch umsonst geboren, wären wir nicht aus der Knechtschaft erlöst“. Der Tauftag ist bedeutsamer als der Geburtstag. An die Taufe erinnern wir uns bei der Tauferneuerung, die ihren Ort eigentlich an den wesentlichen Stationen des Lebens hat. An die Taufe sollten wir uns aber auch erinnern, wo immer wir uns mit dem Weihwasser bekreuzigen. Die Taufe begründet den Adel der Gotteskindschaft. In diesem Zusammenhang erklärt Meister Eckhart (+ 1328): „Die Menschen sollen nicht soviel darüber nachdenken, was sie tun sollen. Sie sollen darüber nachdenken, was sie sein sollen“252. Eine bedeutende Hilfe für die Pflege des Taufbewusstseins ist die die Feier des Tauftages, verbunden damit, dass man die Taufkerze und das Taufkleid in Ehren hält. Dabei sollte das eine wie das andere individuell sein. Darauf hinzuweisen, 251 2 Albert Drexel, Katholisches Glaubensbuch. Ein Erwachsenen-Katechismus, Stein a. Rh. 1972, 149. 252 Karl Morotini, Christliche Lebenslehre, Celle 1951, 76. 134 das wäre etwa auch eine wichtige Aufgabe des Taufgesprächs. Es ist bedauerlich, dass der Tauftag im Leben des katholischen Christen im Allgemeinen keine Rolle spielt, dass die meisten von uns ihn nicht einmal kennen. An die Stelle des Tauftages ist der Geburtstag getreten. Sinnvoller als den Jahrestag der Geburt zu feiern ist es jedoch, den Jahrestag der Wiedergeburt zu feiern. Würde sich das einbürgern in der Kirche, würde das Taufbewusstsein wieder stärker hervortreten. Zumindest müsste neben dem Geburtsdatum stets auch das Datum der Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Heiligen Geist stehen. 135 DAS SAKRAMENT DER FIRMUNG Älteste Zeugnisse Wie uns die Apostelgeschichte berichtet, hatte einst Philippus, einer der Sechs, die in Jerusalem ausgewählt wurden, damit sie den Aposteln beim Tischdienst zur Hilfe kämen, das Evangelium in Samaria gepredigt und eine Anzahl von Bekehrten in die Kirche aufgenommen. Er hatte sie getauft, aber nicht gefirmt. Als die Gemeinde in Jerusalem das erfahren hatte, sandte sie die Apostel Petrus und Johannes dorthin, damit sie den neu Bekehrten die Hände auflegen möchten für den Empfang des Heiligen Geistes. Wörtlich heißt es da in der Apostelgeschichte: „Denn er (der Heilige Geist) war noch auf keinen von ihnen herabgekommen. Sie waren nur auf den Namen des Herrn Jesus getauft worden“253. Einen ähnlichen Vorgang berichtet uns Lukas von Ephesus. Auch dort hatten sich Jünger taufen lassen, die zum Glauben gekommen waren, und anschließend hatte Paulus ihnen die Hände aufgelegt, so dass der Heilige Geist auf sie herabkam254. Auch im Brief an die Hebräer erfahren wir von dem Sakrament der Firmung, wenn es da heißt, dass die Handauflegung zusammen mit der Taufe und der Buße in der Gemeinde Jesu grundlegende Zeichen der 253 Apg 8, 14 ff. 254 Apg 19, 6. 136 Gnadenvermittlung sind255. Grundgelegt ist das Sakrament der Firmung in der Verheißung Jesu: „Wenn ich nicht hingehe, wird der Tröster nicht zu euch kommen; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden“256. Die Firmung bei den Kirchenvätern Eindrucksvolle Zeugnisse für das Sakrament der Firmung gibt es bei den Kirchenvätern und Kirchenschriftstellern der ersten Jahrhunderte nicht wenige. So lesen wir etwa bei dem altchristlichen Kirchenschriftsteller Tertullian (+ um 220): „Das Fleisch wird gesalbt, damit die Seele geheiligt werde; das Fleisch wird überschattet durch die Handauflegung, damit die Seele vom Geist erleuchtet werde“. Der heilige Cyprian von Karthago (+ 258) schreibt im Blick auf die oben zitierte Stelle der Apostelgeschichte: Apg 19, 6: „Weil sie die rechtmäßige Taufe empfangen haben … was fehlte wurde von Petrus und Johannes getan, nämlich dass durch Gebet und Handauflegung der Heilige Geist angerufen und über sie ausgegossen wurde. Was jetzt auch bei uns getan wird, so dass die Getauften in der Kirche den Bischöfen der Kirche vorgeführt werden; durch unser Gebet und Handauflegung empfangen sie den Heiligen Geist und werden mit dem Siegel unseres Herrn vollkommen gemacht“257. Und der Kirchenvater Hieronymus (+ 419) schreibt über die Sekte der Luciferaner, die die Firmung seinerzeit ablehnten, und erklärt dann: „Wisst ihr, dass es eine Übung der Kirche ist, den Getauften die Hand aufzulegen und so den Heiligen Geist anzurufen? Ihr fragt, wo es geschrieben steht? In der Apostelgeschichte; aber wäre auch keine Bestätigung aus der Schrift zur Hand, hätte die 255 Hebr 6, 2. 256 Joh 16, 7. Vgl. Thomas von Aquin, Summae Theologiae, III, q. 72, a. 2, ad 1. 257 Cyprian, Epistula 73. 137 Übereinstimmung der ganzen Welt darüber Gesetzeskraft“258. Der heilige Cyrill von Jerusalem (+ 386) vergleicht die Firmung endlich mit der Eucharistie, wenn er schreibt: „Ihr wurdet mit Öl gesalbt und erhieltet so Anteil an Christus. Seid bedacht, es nicht nur als reine Salbung anzusehen; denn wie das Brot der heiligen Eucharistie nach der Anrufung des Heiligen Geistes nicht mehr nur Brot ist, sondern der Leib Christi, so ist die heilige Salbung nach der Anrufung nicht mehr gewöhnliche Salbung, sondern die Gabe Christi und des Heiligen Geistes, die durch seine Göttlichkeit wirksam wird. Ihr wurdet auf die Stirn gesalbt, damit ihr von der Scham befreit wurdet, die immer wegen der ersten Sünde blieb, und mit unverhülltem Antlitz Gottes Herrlichkeit schauen durftet. … Wie Christus nach seiner Taufe und der Herabkunft des Heiligen Geistes öffentlich auftrat und seine Feinde überwand, so werdet auch ihr nach der heiligen Taufe und der geheimnisvollen Salbung, in das Gewand des Heiligen Geistes gekleidet, gegen die Übermacht der Feinde stehen und sie überwinden. Wenn ihr sagt: ‚Alles vermag ich zu tun in Christus, der mich stärkt‘“259. Parallelen in anderen christlichen Gemeinschaften Nicht nur die Orthodoxen kennen das Sakrament der Firmung, die sich im 11. Jahrhundert von der Westkirche getrennt haben - sie sprechen von dem Sakrament der Salbung, des „Myron“ -, auch die altorientalischen Kirchen, die sich bereits im 4. Jahrhundert getrennt haben, kennen das Sakrament und mit ihm auch die übrigen sechs Sakramente der Kirche, von denen die Protestanten fünf verloren haben. John A. O’Brien, Der Glaube der Millionen, die Beweise der katholischen Religion, Aschaffenburg 1951, 227 f. 259 Ebd., 228. 258 138 In gewisser Weise entspricht die Konfirmation der Protestanten dem Sakrament der Firmung, man versteht sie hier jedoch nicht als ein Sakrament. In der Wirkung ist die Konfirmation im Verständnis der Protestanten auf jeden Fall dem Sakrament der Firmung in gewisser Weise ähnlich, sofern sie bei ihnen faktisch den Charakter einer Mündigkeitsfeier oder einer Vollendung der Taufe hat. Dabei lehnen sie die katholische Firmung jedoch dezidiert ab, sehen sie in ihr doch eine Abwertung der Taufe und eine Überbewertung des bischöflichen Amtes. Sakrament der Lebensreife und des allgemeinen Priestertums Die Firmung ist das Sakrament der christlichen Lebensreife oder besser: sie sollte es sein. So will es verstanden werden. In der Firmung erfüllt Christus uns mit dem Heiligen Geist. Der Heilige Geist soll uns beistehen, damit wir unseren Glauben aus innerer Überzeugung standhaft bekennen und mutig für ihn eintreten. Er soll uns die Kraft geben für den Kampf gegen die Feinde unseres Heils. Diese sind der Teufel, die bösen Neigungen in uns und das Böse in der Welt. Die Firmung soll uns fähig machen, an der Heiligung der Welt mitzuarbeiten und in der Familie, im Beruf und im öffentlichen Leben als Apostel zu wirken. Die Firmung vollendet das, was in der Taufe begonnen hat, sie bringt das übernatürliche Leben des Glaubens und der Gnade zur reifen Entfaltung, jenes übernatürliche Leben des Glaubens und der Gnade, das uns in der Taufe zuteil geworden ist. Das Firmsakrament ist in gewisser Weise der Priesterweihe verwandt. Wie diese, betraut es uns mit apostolischer Verantwortung. Wie die Priesterweihe das Sakrament des besonderen Priestertums ist, so ist die Firmung das Sakrament des allgemeinen Priestertums. Genauer gesagt, sie vervollkommnet die Bevollmächtigung zum allgemeinen Priestertum, denn schon die Taufe 139 vermittelt uns das allgemeine Priestertum, sie macht uns bereits zu Priestern und Königen260. Der Gefirmte soll als Laie in der Kraft des Heiligen Geistes seinen Teil beitragen zur Erhaltung und Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden. Wie die Priesterweihe und auch die Taufe, so prägt auch die Firmung der Seele ein unauslöschliches Merkmal ein, weshalb man das Sakrament der Firmung, nicht anders als das Sakrament der Taufe und das Sakrament der Priesterweihe, nur einmal im Leben empfangen kann. Wortbedeutung „Firmung“ bedeutet dem Wortsinn nach Stärkung. Das lateinische „firmare“, das dem Wort „Firmung“ zugrunde liegt, bedeutet so viel wie „fest machen“, „stark machen“, „sichern“, „bekräftigen“, „bestärken“, „ermutigen“. Firmung bedeutet also so viel wie Stärkung. Dabei handelt es sich nicht um eine Stärkung, die nur von Fall zu Fall eintritt, sondern um eine solche, die ein Leben lang dauert. Das Sakrament der Stärkung ist nicht heilsnotwendig, wie das bei dem Sakrament der Taufe der Fall ist, die - wie wir sagten - die Grundlage des christlichen Lebens ist, das Fundament. Man hat die Firmung auch als das Sakrament des christlichen Gewissens bezeichnet. Damit will man sagen, dass die Firmgnade nicht von selbst wirkt und nicht als ein Zaubermittel verstanden werden darf. Das heißt: Die Firmgnade wirkt nur dort fruchtbar, wo sie erkannt, bejaht und konsequent ins tägliche Leben eingebaut wird, und ihr eigentlicher Bereich ist das Gewissen im Sinn des voll entwickelten christlichen Bewusstseins. 260 1 Petr 2, 5. 9. 140 In christlicher Verantwortung Es genügt nicht, getauft zu sein, es genügt nicht, zu wissen, dass man ein Christ und kein Heide ist, man muss auch wissen, welche Folgen das hat für einen selbst und für die Gemeinschaft, der man angehört. Man muss den Mut haben, zu diesen Folgen zu stehen. Gelegenheiten dazu bietet das moderne Leben immer wieder in den Problemen, die es aufwirft, in den Aufgaben, die es stellt, und in dem nötigen Einsatz, den es fordert. Ehe und Familie, Bildung, Erziehung und Beruf, privates und öffentliches Leben, in all diesen Bereichen trägt das christliche Gewissen Verantwortung. Es gibt keinen Bezirk des Daseins, der von dem Bereich des Gewissens ausgespart und damit von der christlichen Verantwortung ausgenommen wäre, es gibt aber auch keinen Bezirk des Daseins, dem nicht die Verheißung gälte, die Christus seinen Jüngern in der Stunde des Abschieds gegeben hat: „Der Beistand, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“261. Weil das Sakrament der Firmung nicht nur Gabe ist, sondern auch Aufgabe, deswegen muss der Gefirmte sich immer wieder daran erinnern, dass er gefirmt ist. Der Heilige Geist im Leben Jesu und der Apostel Das Sakrament der Firmung erinnert uns an das vielfältige Wirken des Heiligen Geistes im Leben Jesu. Bei seiner Taufe durch Johannes sah Jesus den Geist auf sich herabsteigen262, der dann über ihm blieb263. Von eben diesem Geist wurde 261 Joh 14, 26. 262 Mk 1, 10. 141 er angetrieben und durch seine Gegenwart und durch seinen Beistand gestärkt, seine öffentliche Wirksamkeit zu beginnen, um in ihr seine messianische Aufgabe zu erfüllen. Nach dem Bericht des Lukas macht er, als er dem Volk in Nazareth seine Heilsbotschaft verkündet, in seinen Worten deutlich, dass sich das Wort des Jesaja „der Geist des Herrn ruht auf mir“ auf ihn bezieht 264. Im Lukas-Evangelium lesen wir auch, dass Jesus auch seinen Jüngern den Beistand des Heiligen Geistes versprochen hat, damit sie selbst vor ihren Verfolgern den Glauben mutig verteidigen könnten265. Und am Abend vor seinem Leiden hat er den Aposteln versichert, so heißt es im Johannes-Evangelium, dass er ihnen vom Vater den Geist der Wahrheit senden werde266, der in Ewigkeit bei ihnen bleiben sollte267. Nach seiner Auferstehung hat er schließlich die nahe Herabkunft des Heiligen Geistes verheißen, wenn er ihnen erklärt hat: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommt, und werdet meine Zeugen sein“268. Auf wunderbare Weise ist der Heilige Geist sodann am Pfingstfest auf die Apostel herabgekommen, die mit Maria, der Mutter Jesu, im Abendmahlssaal versammelt waren. Damals wurden sie derart von ihm erfüllt269, dass sie ganz entflammt von göttlicher Glut „die Großtaten Gottes“ verkündeten. Petrus erklärte damals, dass der Geist, der in dieser Weise auf die Apostel herabgekommen war, eine Gabe der messianischen Zeit sei270. Darauf wurden diejenigen getauft, die an die Predigt der Apostel glaubten, und auch sie 263 Joh 1, 32. 264 Vgl. Lk 4, 17 - 21. 265 Lk 12, 12. 266 Joh 15, 26. 267 Joh 14, 26. 268 Apg 1, 8; vgl. Lk 24, 49. 269 Apg 2, 4. 270 Vgl. Apg 2, 17 f. 142 empfingen dann die „Gabe des Heiligen Geistes“271. Seither haben die Apostel es unternommen, in Erfüllung des Willens Christi die Gabe des Heiligen Geistes als Vervollkommnung der Taufgnade und Neugetauften durch Handauflegung und Salbung zu vermitteln272. Von dieser Handauflegung ist auch im 6. Kapitel des Hebräerbriefes die Rede im Zusammenhang mit dem Sakrament der Taufe und dem Sakrament der Buße273. Taufe, Firmung und Eucharistie In der Vermittlung des Heiligen Geistes als Gabe des Auferstandenen hat die Kirche stets die Anfänge und die Wurzeln des Firmsakramentes gesehen, in dem gewissermaßen die Pfingstgnaden in der Kirche immerfort gegenwärtig sind. Darauf verweist Papst Paul VI. mit Nachdruck in seiner Apostolischen Konstitution über das Sakrament der Firmung vom 15. August 1971. Er erinnert an dieser Stelle daran, dass dieses Sakrament stets in Einheit mit dem Taufsakrament sowie mit dem Sakrament der Eucharistie gesehen worden ist. Schon die Kirchenväter sprechen im Blick auf diese drei Sakramente von der christlichen Initiation, wodurch die Gläubigen mit dem himmlischen Christus und mit dem Christus auf Erden, dem fortlebenden Christus, der Kirche, gleich gestaltet werden, wodurch sie Glieder Christi und seiner Kirche werden und Anteil erhalten am Priestertum des Erlösers (vgl. 1 Petr 2, 5. 9)274. Ohne das Sakrament der Firmung und ohne das Sakrament der Eucharistie ist die Taufe zwar gültig und wirksam, ist die christliche Initiation jedoch noch 271 272 Apg 2, 38. Apg 8, 15 - 17; 19, 5 f. 273 Hebr 6, 2. Vgl. oben Anmerkung 242. 274 Papst Paul VI., Apostolische Konstitution über das Sakrament der Firmung vom 15. August 1971. 143 nicht vollendet. Die Bedeutung der Firmung für die christliche Initiation wird durch die kirchliche Bestimmung unterstrichen, dass Kinder, die noch nicht gefirmt sind, in Todesgefahr in allen Fällen durch einen Priester gefirmt werden können und sollen275. Analog dazu ist ein Priester, der einen Erwachsenen tauft und in die Kirche aufnimmt, immer berechtigt, dem Neugetauften im Anschluss an die Taufe das Sakrament der Firmung zu spenden. Der Spender, die Spendung und die Wirkung In der Regel spendet das Sakrament der Firmung der Bischof, der der Träger der Fülle der apostolischen Vollmacht ist. Er spendet die Firmung durch Handauflegung und Salbung mit dem Chrisam, wobei er die Worte spricht: „Ich bezeichne dich mit dem Zeichen des Kreuzes und stärke dich mit dem Chrisam des Heiles im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen“. Indem der Bischof diese Worte spricht, legt er dem Firmling die Hand auf und salbt ihn auf der Stirn. Heute, im Zuge der Liturgie-Reform im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil, wird das Sakrament der Firmung mit den Worten gespendet: „Empfange das Siegel der Gabe des Heiligen Geistes“. So bestimmt es die Apostolische Konstitution über das Sakrament der Firmung von Papst Paul VI. vom 15. August 1971. Seit der Reform des Firmsakramentes im Anschluss an das Zweite Vatikanischen Konzil wird die Firmfeier der Feier der heiligen Messe verbunden, was sicherlich sehr sinnvoll ist. Vor allem aber ist nun das Glaubensbekenntnis der Firmlinge ein integraler Bestandteil der Spendung des Sakramentes geworden276. Dadurch soll die 275 Weltkatechismus, Nr. 1306f. 276 Sacrosanctum Concilium, Nr. 71. 144 Aneignung des Glaubensbekenntnisses, das die Eltern und die Paten in ihrem eigenen Namen bei der Taufe des Kindes gesprochen hatten, durch den nunmehr mündigen Christen zum Ausdruck gebracht werden. Es handelt sich hier um so etwas wie eine Erneuerung des Taufversprechens, wie sie Jahr für Jahr in der Feier der Osternacht vorgesehen ist, wie sie aber auch für gewöhnlich bei der Erstkommunionfeier erfolgt. Papst Innozenz III. (1198 - 1216) schreibt bereits: „Mit der Salbung auf der Stirn wird die Handauflegung bestimmt, welche mit einem anderen Wort auch Firmung genannt wird, weil durch sie der Heilige Geist zum geistigen Wachstum und Erstarken vermittelt wird“277. Immer wieder ist in den ältesten Zeugnissen des Glaubens die Rede davon, dass dieses Sakrament im Zeichen der Handauflegung und der Salbung mit dem Chrisam gespendet wird. Das Chrisam, das auch bei der Taufe und bei der Priesterweihe Verwendung findet, wird, wie bereits gesagt, am Gründonnerstag in der sogenannten Chrisam-Messe durch den Bischof geweiht. Wenn bei der Taufe eine Salbung mit dem Chrisam erfolgt, erklärt sich das als eine Reminiszenz an die Tatsache, dass ursprünglich die Taufe zusammen mit der Firmung gespendet wurde. Davon war früher schon die Rede. Der Weltkatechismus stellt fest: „Die Salbung ist in der biblischen und antiken Bildersprache reich an Bedeutungen: Öl ist Zeichen des Überflusses und der Freude; es reinigt (Salbung vor und nach dem Bad) und macht geschmeidig (Salbung der Athleten und Ringer); es ist Zeichen der Heilung, denn es lindert den Schmerz von Prellungen und Wunden; auch macht es schön, gesund und kräftig“278. 277 Papst Innozenz III., Epistola „Cum venisset“: PL 215, 285. 278 Ebd., Nr. 1293. 145 Weiter heißt es dann: „Alle diese Bedeutungen der Salbung mit Öl finden sich im sakramentalen Leben wieder. Die vor der Taufe gespendete Salbung mit Katechumenen-Öl bedeutet Reinigung und Stärkung; die Salbung der Kranken Heilung und Kräftigung. Die nach der Taufe, bei der Firmung und bei der Weihe erfolgende Salbung mit heiligem Chrisam ist Zeichen einer Konsekration. Durch die Firmung haben die Christen - das heißt die Gesalbten - vermehrt an der Sendung Jesu Christi und an der Fülle des Heiligen Geistes Anteil, damit ihr ganzes Leben den ‚Wohlgeruch Christi‘ ausströme“279. Von dem „Wohlgeruch Christi“, den die Christen ausströmen sollen, spricht Paulus im 2. Korintherbrief (2, 15). Durch die Salbung erhält der Firmling ein Mal, das Siegel des Heiligen Geistes. Im Weltkatechismus heißt es: das Siegel ist Sinnbild der Person, Zeichen ihrer Autorität, ihres Eigentumsrechtes an einem Gegenstand - man kennzeichnet etwa die Soldaten mit dem Siegel ihres Anführers und die Sklaven mit dem ihres Herrn. Das Siegel beglaubigt einen Rechtsakt oder ein Dokument und macht dieses unter Umständen zu einem Geheimnis“280. Im 2. Korintherbrief lesen wir: Gott ist es, „der uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat“ (1, 22). Durch den Heiligen Geist besiegelt sein, das bedeutet, dass man gänzlich Christus angehört, dass man für immer in seinen Dienst gestellt ist. Das bedeutet aber auch, dass den Besiegelten der göttliche Schutz in der großen endzeitlichen Prüfung verheißen ist281. Es ist das Siegel des Streiters für Christus und für den Glauben, das der Firmling im Sakrament der Firmung empfängt. Immer wieder hat man den Gefirmten als „miles Christi“ (2 Tim 2, 3), als Streiter oder als 279 Ebd., Nr. 1294. 280 Ebd., Nr. 1295. 281 Ebd., Nr. 1296. 146 Soldat Christi, bezeichnet. Gestärkt durch den Gottesgeist soll er Leiden und Verfolgung um Christi willen in einer gottfeindlichen Welt tapfer ertragen. Als Sakrament der Lebendigen vermehrt das Sakrament der Firmung die heiligmachende Gnade zu dem besonderen Zweck der Glaubensstärkung. Wird das Sakrament nicht im Stande der Gnade empfangen, wird es unwürdig empfangen. Unwürdig wird das Sakrament aber auch dann empfangen, wenn der Firmling nicht die wichtigsten Glaubenswahrheiten kennt und sich zu Eigen gemacht hat. Was die Taufe bewirkt hat, das festigt die Firmung für den Kampf gegen die Widersacher des Glaubens und gegen die Sünde. Sie stärkt das übernatürliche Leben durch die Entfaltung der sieben Gaben des Heiligen Geistes282. Sieben Gaben des Heiligen Geistes Die Fülle des Heiligen Geistes, die dem Firmling im Sakrament der Firmung mitgeteilt wird, differenziert sich in der Tradition der Kirche in den so genannten sieben Gaben des Heiligen Geistes, wie sie bei dem alttestamentlichen Propheten Jesaja angedeutet sind283. Es handelt sich hier um die Gaben der Weisheit, des Verstandes, des Rates, der Stärke, der Wissenschaft, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn. Die sieben Gaben des Heiligen Geistes werden im christlichen Volk bei weitem nicht genügend erkannt und vor allem werden sie nicht ausgeschöpft. Spielen sie in unserem Leben eine Rolle, machen sie uns fähig, auf die Erleuchtungen und Antriebe Gottes leicht zu achten und willig auf sie einzugehen und reife christliche Persönlichkeiten zu werden284. 282 283 Vgl. auch Thomas von Aquin, Summae Theologiae, p. III, q. 72, a. 2, ad 1. Jes 11, 2. 284 Vgl. auch Ambrosius, De mysteriis, 7, 42. 147 Die Gabe der Weisheit lehrt, die Welt und das Leben der Menschen von Gott her zu sehen und zu beurteilen und das tiefere Wesen der Dinge in den Blick zu nehmen, allem im Leben seine rechte Stelle zu geben, die richtige Rang- und Wertordnung einzuhalten und alles im Blick auf die Ewigkeit zu relativieren. Die Gabe des Verstandes bezieht sich auf das rechte Begreifen der Gotteswahrheit und ihrer Verwirklichung im Leben. Die Gabe des Rates bezieht sich auf die rechte Entscheidung des Gewissens in äußeren und inneren Schwierigkeiten sowie auf die Unterscheidung der Geister, ob sie aus Gott sind oder in der widergöttlichen Welt beheimatet sind. Die Gabe der Stärke vermittelt jene Überlegenheit und Sicherheit im Glauben, wodurch der Firmling befähigt wird, standhaft zu bleiben gegenüber äußerer Bedrohung und Gewalt. Was diese Gabe des Heiligen Geistes vermag, veranschaulicht die Kirche der Märtyrer. Die Gabe der Wissenschaft entscheidet sich dort, wo systematisch die Offenbarung Gottes und ihre Geheimnisse durchforscht und auf das praktische Leben hin ausgewertet werden. In der Gabe der Frömmigkeit entfaltet der Christ sein Gebetsleben, indem es um das Verhältnis zu Gott und zu den Heiligen und somit zur jenseitigen Welt geht. In einem Leben des Gebetes legen wir das rechte Fundament für die Erfüllung des Willens Gottes. Die Gottesfurcht bezieht sich auf das rechte Verhältnis zu Gott, das wir als scheue Liebe und liebende Scheu oder als Ehrfurcht charakterisieren können. Diese doppelte Haltung ist gefordert, weil Gott sich uns offenbart als der Heilige und Gerechte, als das „mysterium tremendum et fascinosum“, das heißt als das Geheimnis, das in seiner Größe und Majestät den Menschen erzittern lässt, ihn aber zugleich mit unwiderstehlicher Liebe an sich zieht. Der heilige Augustinus erläutert diese Erfahrung mit den Worten: „inhorresco, in quantum inardesco“, „ich erschrecke in dem Maße, indem ich (vor Liebe) entbrenne“. „Stehet fest im Glauben“ 148 Sinnvoll wird der Status des Gefirmten erläutert durch das Schriftwort: „Alles ist euer, ihr aber gehört Christus und Christus gehört Gott“285. Der entscheidende biblische Imperativ der Gefirmten lautet gemäß dem 1. Korintherbrief: „Steht fest im Glauben! Handelt mannhaft und seid stark!“286. Thomas von Aquin erklärt: „Die Firmung verhält sich zur Taufe so wie das Wachstum sich zur Geburt verhält“287, und er fügt hinzu: „In der Firmung erlangt der Mensch das Vollalter des geistlichen Lebens“288. Er bemerkt, dass dieses Sakrament nicht die Ungläubigen von den Gläubigen unterscheidet, wie das bei der Taufe der Fall ist, sondern dass es die geistlich Vorangeschrittenen von den, wie es der 1. Petrusbrief ausdrückt, neugeborenen Kindern unterscheidet“289. Er stellt fest: „Wie … der Getaufte die geistliche Gewalt erlangt, den Glauben durch den Empfang der anderen Sakramente zu bekennen, so empfängt der Gefirmte die Gewalt, den Glauben an Christus öffentlich und sozusagen aufgrund einer Amtsverpflichtung mit Worten zu bekennen“290. Das entscheidende Ziel der Firmung ist für ihn, „dass der Mensch durch sie tapfer und stark werde, den Glauben zu bekennen und zu verkünden, selbst vor Königen und Fürsten“. Er erklärt: „Darum … wird die Firmung an der Stirn gespendet, dass der Mensch nicht in Verwirrung gerate noch erschrecke, den Glauben vor jedermann zu verkündigen und zu verteidigen“291. 285 1 Kor 3, 23. 286 1 Kor 16, 13. 287 Thomas von Aquin, Summae Theologiae, p. III, q. 72, a. 6. 288 Ebd., q. 72, a. 1. 289 Ebd., q. 72, a. 3 ad 1. 290 Ebd., q. 72, a. 5 ad 2. 291 Thomas von Aquin, Quaestiones quodlibetales q. 11, a. 7. 149 Kontrovers war über Jahrhunderte hin die Frage der wesentlichen Gestalt des Sakramentes, dabei ging es um die beiden Zeichen der Handauflegung und der Salbung, kontrovers war aber auch stets in der Vergangenheit und ist auch heute noch die Frage des richtigen Firmalters. In der Ostkirche war die Frage des richtigen Firmalters allerdings zu keiner Zeit kontrovers, sofern in ihr das Sakrament von Anfang an sogleich nach der Taufe gespendet wurde. Wird das Sakrament der Firmung sogleich nach der Taufe gespendet, liegt hinsichtlich der Wirkung des Sakramentes der Akzent auf der Vollendung der Taufe, wird es später gespendet, liegt im Blick auf die Wirkung des Sakramentes der Akzent auf dem Auftrag und auf der Vollmacht zum geistigen Kampf gegen die Feinde des Heiles und zur Gestaltung der Welt im Sinne des Evangeliums. In jedem Fall gilt jedoch, dass das Sakrament der Firmung zunächst nicht auf das Seelenheil des Gefirmten zielt, sondern auf seine Aufgaben in der Welt und an der Welt. Stand in der Frühzeit der Kirche die Handauflegung im Vordergrund, nahm später die Salbung den ersten Platz ein. Das gilt nicht weniger für die Kirche des Westens wie auch für die Kirche des Ostens292. Heute wird viel diskutiert über den rechten Zeitpunkt der Firmung. Die einen möchten die Frühfirmung gleich nach der Taufe, wie sie ursprünglich erfolgt ist und wie sie in den orthodoxen Kirchen bis heute durchgehalten wird - diesem Beispiel folgen im Allgemeinen die Diözesen in südeuropäischen Ländern, wenn sie die Firmung zwar nicht mit der Taufe verbinden, aber immerhin mit der Einschulung oder mit der Erstkommunion -, die anderen wollen die Firmung der Vierzehnjährigen, wenn nicht gar der Achtzehnjährigen. Wenn man das Erwachen der Persönlichkeit und der Entscheidungskraft des Kindes um das 7. Lebensjahr ansetzt, wie es viele moderne Pädagogen tun, wie es im Übrigen 292 Vgl. Papst Paul VI., Apostolische Konstitution über das Sakrament der Firmung vom 15. August 1971. 150 auch schon Thomas von Aquin getan hat, wird man dieses Alter für das ideale Firmalter ansehen. Dieses Alter empfiehlt sich auch aus praktischen Gründen, denn die Vierzehnjährigen oder gar Achtzehnjährigen kann man, gerade heute, nur noch in geringer Zahl erreichen. Und diese Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach verstärken. Seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts favorisierte man unter dem Einfluss eines gewissen Neo-Rationalismus in den deutschsprachigen Ländern die Spätfirmung. In der Schweiz liegt das Firmalter heute allgemein bei 18 Jahren. Das hat dazu führt, dass die Getauften nur noch in sehr seltenen Fällen um den Empfang des Firmsakramentes bitten. Bei uns wird die Firmung heute im Allgemeinen den Zwölfjährigen oder den Vierzehnjährigen gespendet293. Dabei erfolgt die Erstkommunion der Kinder durchweg im Alter von neun Jahren. Die Praxis der Frühkommunion begegnet uns nur noch in seltenen Fällen, meines Erachtens bedauerlicherweise. Besonders verhängnisvoll ist hier, dass man schon bei der Erstkommunion und häufig auch bei der Firmung auf die Erstbeichte bzw. im Fall der Firmung auf den Empfang des Bußsakramentes verzichtet, obwohl diese Praxis seitens der römischen Kirchenleitung wiederholt verurteilt worden ist. Dem Ganzen liegen in jedem Fall konfuse theologische Vorstellungen zugrunde. Nicht nur praktische Gründe sprechen heute eher für die Frühfirmung. Die Frühfirmung richtet sich auch mehr an der Dogmatik der Firmung aus, sofern die Firmung die vollendete Taufe ist und als solche auf die Eucharistie hinordnet. Demnach müsste dann das Sakrament der Firmung vor der Erstkommunion empfangen werden. Würde man die Frühfirmung generell einführen, würde sich für die Vierzehn bis Fünfzehnjährigen eine Sendungsfeier empfehlen, die dann als Sakramentale 293 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 87 f. 151 interpretiert werden müsste, eine Sendungsfeier am Ende der Pflichtschulzeit. Diese müsste dann in jedem Fall dem Bischof vorbehalten bleiben, während die Firmung dann durch den Pfarrer oder unter Umständen durch einen vom Bischof eigens dazu Beauftragten gespendet werden könnte. Im Zentrum dieser Sendungsfeier könnte dann die Überreichung der Heiligen Schrift und des Kreuzes stehen294. In besonderer Weise beziehen sich auf das Sakrament der Firmung folgende Verse aus dem Epheserbrief: „Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, die sich von jedem Wind einer Lehrmeinung durch das Trugspiel der Menschen und durch Verführungskünste des Irrtums hin- und herschaukeln und umhertreiben lassen. Wir sollen uns vielmehr an die Wahrheit halten und in Liebe hineinwachsen, in dem er das Haupt ist, Christus“ (Eph 4, 14 f). Das Sakrament der Firmung bringt den Getauften in eine engere Verbindung mit der Kirche. Es vollendet die Taufe und macht den Gefirmten zum Vollbürger im Reiche Christi. Der Gefirmte wird von Christus in Besitz genommen295. Dabei wird er bevollmächtigt, „in der Kraft des Heiligen Geistes als Zeuge Jesu Christi den Glauben durch Wort und Tat zu verbreiten und zu verteidigen und so zum Aufbau und Wachstum des Leibes Christi, der Kirche, beizutragen“296. Der Urheber des Sakramentes der Firmung ist, wie bei allen Sakramenten, der dreifaltige Gott. Dabei wird dieses Sakrament jedoch in besonderer Weise dem Heiligen Geist, der dritten göttlichen Person zugeeignet, weil er in einer speziellen Affinität steht zu diesem Sakrament. Das Sakrament vermittelt die Teilhabe am Priestertum, am Königtum und am Prophetentum Christi und ist in 294 Vgl. auch ebd., 88 f. Katholischer Erwachsenenkatechismus. Das Glaubensbekenntnis der Kirche, Kevelaer 1985, 341. 295 296 Ebd. 152 besonderer Weise auf das allgemeine Priestertum der Getauften hingeordnet297. Deshalb spricht man bei der Firmung gern von der Übertragung des Heiligen Geistes. Die Firmung steht ganz im Dienst einer Intensivierung des religiösen Lebens, einer bewussten Entscheidung für den Glauben und für ein Leben aus dem Glauben in einer säkularisierten Welt. Was die Wirkungen der Firmung angeht, stellt der Weltkatechismus fest: „Sie verwurzelt uns tiefer in der Gotteskindschaft, die uns sagen lässt: ‚Abba, Vater!‘ (Röm 8, 15); sie vereint uns fester mit Christus; sie vermehrt in uns die Gaben des Heiligen Geistes; sie verbindet uns vollkommener mit der Kirche; sie schenkt uns eine besondere Kraft des Heiligen Geistes, um in Wort und Tat als wahre Zeugen Christi den Glauben auszubreiten und zu verteidigen, den Namen Christi tapfer zu bekennen und uns nie des Kreuzes zu schämen“298. Firmunterricht - Firmkatechumenat Der Empfang des Firmsakramentes verlangt eine intensive Vorbereitung. Diese muss darauf abzielen, dass der zu Firmende zu einer engeren Einheit mit Christus geführt wird, zu einer lebendigen Vertrautheit mit dem Heiligen Geist, mit seinem Wirken, mit seinen Gaben und mit seinen Anregungen, sie muss darauf abzielen, dass der zu Firmende die apostolischen Verpflichtungen des christlichen Lebens besser auf sich nehmen kann299. Hier liegt eine spezielle Crux. Der Firmunterricht, durch den die Heranwachsenden auf die Firmung vorbereitet werden sollen, liegt weithin im Argen. Das ist hier freilich nicht anders als bei dem Taufunterricht und dem 297 Ebd. 298 Weltkatechismus, Nr. 1303. 299 Vgl. ebd., Nr. 1309. 153 Brautunterricht. Auch da werden im Allgemeinen die Möglichkeiten und Chancen nicht wahrgenommen und die kodifizierten Erwartungen der Kirche nicht erfüllt, aus Gleichgültigkeit oder auch aus mangelnder Einsatzbereitschaft der Priester, die diese Aufgaben entweder selber nachlässig erfüllen oder auf die Laienmitarbeiter abschieben, auf Hauptamtliche oder auf Ehrenamtliche, oder die unzureichend darauf vorbereitet sind. Zur Vorbereitung auf das Sakrament der Firmung gehört auch der Empfang des Bußsakramentes. Denn fruchtbar kann das Sakrament der Firmung nur empfangen werden, wenn der Firmling im Stand der Gnade ist. In der Praxis der Seelsorge verfehlt man sich nicht selten gegen diese Voraussetzung. Der Verzicht auf den Empfang des Bußsakramentes vor dem Empfang des Sakramentes der Firmung ist extrem verantwortungslos angesichts des moralischen Libertinismus und der völligen Absenz der religiösen Praxis bei einem Großteil der Heranwachsenden, auch bei denen, die sich firmen lassen. In dem Fall wäre es besser, wenn man auf die Spendung des Sakramentes verzichten würde. Abgesehen davon verliert das Sakrament der Firmung ohne das Sakrament der Buße seinen Zusammenhang mit der Taufe, geht es im Bußsakrament doch um die Erneuerung der Taufgnade und um ihre Vertiefung. Zudem kann der Firmungsritus in diesem Fall nicht die Firmgnade vermitteln, weil der Firmling sich ihr nicht geöffnet hat. Stets setzt die Gnade auf Seiten dessen, der sie empfängt, die Mitwirkung mit ihr voraus. Das gilt auch für die sakramentale Gnade der Firmung300. Die schlechte Vorbereitung auf die Firmung und der Verzicht auf das Bußsakrament führen dazu, dass das Sakrament als solches in nicht wenigen Fällen von den Firmlingen gar nicht ernst genommen wird. Diese Tendenz wird verstärkt durch die häufig anzutreffende Mode, dass der firmende Bischof bei 300 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 87 f. 154 der Spendung des Sakramentes lacht und eine banale Unterhaltung mit dem Firmling führt, wie mir wiederholt berichtet wurde. Ideal war die Spendung des Sakramentes der Firmung freilich auch früher nicht, aber sie wurde jedoch, wie mir scheint, ernster genommen, wenngleich die Erinnerung an meine eigene Firmung, die ich als Fünfzehnjähriger empfangen habe, arg verblasst ist. Der Firmunterricht war damals eigentlich bescheiden, er bestand maximal aus drei Unterrichtsstunden, und die Zahl der Firmlinge belief sich auf mehrere Hundert. Aber der Firmgottesdienst war ehrfürchtig und fromm und die Firmlinge waren, soweit ich das erkennen konnte, interessiert und andächtig, trotz der bescheidenen Vorbereitung und der großen Zahl der Firmlinge. Viele waren sicherlich auch ergriffen, als sie in langen Reihen vor den Bischof hintreten mussten. Mir ging es auf jeden Fall so. Vielleicht kann man sagen, dass die Begegnung mit dem Bischof den Empfang des Sakramentes ein wenig überlagerte. Alle hatten den gleichen Firmpaten, einen frommen Lehrer, der schon im vorgerückten Alter war. Der Bischof vollzog den Ritus der Firmung äußerst gesammelt, obwohl er ihn bei der großen Zahl der Firmlinge endlos wiederholen musste. Das Sakrament wurde an einem Nachmittag gespendet, und der Gottesdienst zog sich, soweit ich mich erinnern kann, über einige Stunden hin. Außer den zu Firmenden und den Firmpaten nahm niemand an der Feier teil. Die Firmpaten waren die Lehrer, die Firmung erfolgte jahrgangsweise. In der Familie wurde in der Regel keine Notiz genommen von dem Firmgottesdienst und von der Firmung. Dennoch waren die Angehörigen der Firmlinge wie auch die Firmlinge durchweg davon überzeugt, dass im Firmgottesdienst und in der Firmung der Heranwachsenden etwas Bedeutsames geschehen war. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die Firmlinge im Unterschied zu den früheren Jahren in kleineren Gruppen gefirmt, es fanden häufiger Firmfeiern statt in den Pfarrgemeinden, es kamen auch die 155 Angehörigen zu den Firmgottesdiensten, zumindest die Eltern, und es hatte jeder Firmling seinen eigenen Paten. In der Regel empfingen damals noch alle Getauften der entsprechenden Jahrgänge das Sakrament der Firmung. Schon bald wurden damals die Firmfeiern mit der Feier der heiligen Messe verbunden. Als solche wurden sie, so meine Erfahrung, ehrfürchtig begangen. Der Empfang des Bußsakramentes vor der Spendung der Firmung war selbstverständlich für alle. Mit der Firmvorbereitung gab man sich große Mühe, sie erstreckte sich über einige Wochen, so dass jeder Firmling etwa zwanzig Stunden Unterricht hatte. Der Firmunterricht wurde von den Priestern und von den Lehrern erteilt, vielfach in Verbindung mit dem schulischen Religionsunterricht. In den letzten drei oder vier Jahrzehnten hat sich da nun viel gewandelt. Die Vorbereitung auf die Firmung und die Firmgottesdienste wurden durchweg immer flacher, nicht zuletzt auch bedingt durch die wachsende Distanzierung der Kinder und Jugendlichen von der Kirche und von der religiösen Praxis. Vielfach verzichtete man auf das Bußsakrament und ließ den Firmunterricht in Kleingruppen durch irgendwelche Personen erteilen, die sich dafür meldeten, unabhängig davon, ob sie sich wirklich in der Gemeinde als Christen bewährt hatten. Die Firmgruppen sind in der Regel gemischte Gruppen von Jungen und Mädchen, wodurch neue spezifische Probleme entstehen, über die einfach hinwegsieht. Die Pfarrer und Kapläne sind bei der Vorbereitung wenig präsent. Im besten Fall treffen sie sich regelmäßig mit den Leitern der Firmgruppen. Das Material, das den Leiterinnen und Leitern der Firmgruppen zur Verfügung gestellt wird, ist durchweg mehr auf die Sozialisierung als auf die Vermittlung des Glaubens und auf die Verankerung der zu Firmenden in der Gemeinde ausgerichtet. Nicht wenige Bischöfe und Priester sind sehr unzufrieden mit dieser Praxis und machen sich große Sorge angesichts der formalistischen Absolvierung dieses Sakramentes. Andere haben resigniert. Wieder andere erkennen die Probleme nicht oder wollen sie nicht erkennen. Unverzichtbar im Hinblick auf eine Rehabilitierung des Sakramentes ist vor allem eine stärkere 156 Einbindung der Familie oder der Familien der Firmanden in die Vorbereitung der Firmung und in den Vollzug der Firmfeier. In Einzelfällen, wenn der Formalismus sich hier allzu sehr breit macht und wenn gutwillige Eltern mit ihrem Protest dagegen auf taube Ohren stoßen, empfiehlt es sich, dass die Heranwachsenden nicht an den für sie festgelegten Firm-Terminen teilnehmen, sondern warten, bis sie erwachsen sind und dann an einer Erwachsenenfirmung teilnehmen, wie sie inzwischen überall, nicht nur in den Bischofsstädten, angeboten werden. Der Weltkatechismus ist nicht besonders konkret, wenn er im Blick auf den Firmunterricht feststellt: „Die Vorbereitung auf die Firmung muss darauf hinzielen, den Christen zu einer engeren Einheit mit Christus, zu einer lebendigeren Vertrautheit mit dem Heiligen Geist, seinem Wirken, seinen Gaben und seinen Anregungen zu führen, damit er so die apostolischen Verpflichtungen des christlichen Lebens besser auf sich nehmen kann. Deshalb wird sich die Firm-Katechese bemühen, den Sinn für die Zugehörigkeit zur Kirche Jesu Christi - sowohl zur Weltkirche als auch zur Pfarrgemeinde - zu wecken. Letztere hat bei der Vorbereitung der Firmlinge eine besondere Verantwortung“301. Dennoch könnte man zuversichtlich sein, wenn das dort Gesagte wirklich als verbindlich angesehen würde. Priester als Spender des Sakramentes Wenn der Firmling einen Paten oder eine Patin haben soll, ist das zwar nicht eine notwendige Bedingung, aber sinnvoll ist es auf jeden Fall. Der Pate oder die Patin legt bei der Spendung der Firmung die rechte Hand auf die rechte Schulter des Firmlings. Dadurch soll die Unterstützung angezeigt werden, die der Pate oder die Patin dem Firmling zuteil werden lassen will. Der Brauch des 301 Weltkatechismus, Nr. 1309. 157 Firmpaten verweist auf die Taufe, bei der die Patenschaft eine Bedingung ist. Im Idealfall wird die Firmpatenschaft von daher von den Taufpaten übernommen 302. Der ordentliche Spender der Firmung ist der Bischof. Das ist altchristliche Tradition303. Der Bischof kann jedoch jederzeit einen Priester damit beauftragen, wenn die Umstände es verlangen. Kraft Gesetzes hat der Priester die Vollmacht, das Firmsakrament zu spenden, im Zusammenhang mit einer Konversion oder auch wenn er zu einem Sterbenden gerufen wird, der noch nicht gefirmt ist. Er benutzt dabei in jedem Fall das Chrisam, das der Bischof geweiht hat. Stets spendet der Priester die Firmung auch bei Erwachsenentaufen. Da tritt dann die Firmung an die Stelle der Salbung des Getauften mit dem Chrisam304. Weil der Bischof zwar normalerweise der Spender der Firmung ist, aber die Bischofsweihe nicht die Voraussetzung ist für die Spendung der Firmung, deshalb erteilen die Bischöfe in neuerer Zeit immer wieder bestimmten Priestern die Erlaubnis, sie bei der Spendung der Firmung zu vertreten, etwa Domkapitularen oder Äbten. Das ist problemlos, in den Ostkirchen wird das Sakrament der Firmung ohnehin in der Regel von den Priestern gespendet. Das Firmsakrament ist zwar nicht notwendig zum Heil, aber es ordnet den Getauften auf das vollkommenere Glück in der Ewigkeit hin. Thomas von Aquin (+ 1274) ermahnt jene, denen die Erziehung der Kinder obliegt, recht dafür besorgt zu sein, dass sie gefirmt werden, weil, wie er sagt, in der Firmung 302 Ebd., Nr. 1310 f. „In den ersten Jahrhunderten bildet die Firmung allgemein zusammen mit der Taufe eine einzige Feier, ein Doppelsakrament, wie es der Kirchenvater Cyprian (Epistula 73, 21) sagt. Die Häufung der Kindertaufen, und zwar zu jeder Zeit des Jahres, und die Vermehrung der (Land-) Pfarreien lassen es dann, neben anderen Gründen, nicht mehr zu, dass der Bischof bei allen Tauffeiern anwesend ist. Weil man die Vollendung der Taufe dem Bischof vorbehalten möchte, kommt im Westen der Brauch auf, den Zeitpunkt der Spendung beider Sakramente voneinander zu trennen. Der Osten hat die beiden Sakramente miteinander vereint erhalten; die Firmung wird durch den Taufpriester erteilt. Dieser darf sie allerdings nur mit dem von einem Bischof Geweihten ‚myron‘ spenden“ (Weltkatechismus, Nr. 1290). 304 Vgl. Weltkatechismus, Nr. 1312 - Nr. 1314. 303 158 große Gnade mitgeteilt wird und weil derjenige, der die Firmung empfangen hat, wenn er hinscheidet, also wenn er stirbt, eine größere Glorie erhält als der nicht Gefirmte, weil der Gefirmte schon im irdischen Leben mehr Gnade gehabt hat305. Lebendiges Firmbewusstsein Wenn man heute zu Recht eine Verlebendigung des Taufbewusstseins fordert, so gilt diese Forderung nicht weniger für das Firmbewusstsein. Beides ist heute notwendiger als je zuvor, weil das christliche und kirchliche Milieu heute immer mehr dahinschwindet und der Einzelne in wachsendem Maß mit seiner Entscheidung für den Glauben der Kirche und für ein christliches Leben auf sich selbst gestellt ist. Diese zwei Sakramente müssten heute in der Verkündigung weit mehr thematisiert werden, als das faktisch geschieht. Wir sollten das Firmbewusstsein dadurch verlebendigen, dass wir oft bedenken, welche Bedeutung der Heilige Geist für das messianische Wirken Jesu und für dessen Weiterführung in der Geschichte der Kirche hatte. Tatsache ist, dass Jesus immer wieder denen, die an ihn glauben würden, den Heiligen Geist verheißen hat. Nichts fehlt der Kirche, die sich heute in einer fundamentalen Krise befindet, um nicht zu sagen in der Agonie, mehr als der Heilige Geist. Ein bewährter Weg, das Firmbewusstsein zu verlebendigen, ist die tägliche Verehrung und Anrufung des Heiligen Geistes. Es dürfte kein Tag vergehen, an dem wir ihn nicht anrufen und verehren, den Heiligen Geist. Da empfehlen sich vor allem die Pfingstsequenz „Komm, o Geist der Heiligkeit“ und der Pfingsthymnus „Veni Creator Spiritus“, „Komm Schöpfer Geist“. Diese zwei Gebete sollte der lebendige Christ auswendig können. Häufig sollten wir auch 305 Katechismus des heiligen Kirchenlehrers Thomas von Aquin, Kirchen/Sieg 1971, 87 f. 159 das dritte Gesetz des glorreichen Rosenkranzes beten. Darüber hinaus empfiehlt es sich, dass wir, wo immer wir schwierige Aufgaben zu erfüllen haben, sei es im natürlichen oder sei es im übernatürlichen Raum, uns dem Heiligen Geist zuwenden und auf ihn unsere Hoffnung setzen. DAS SAKRAMENT DER KRANKENSALBUNG Verähnlichung mit dem leidenden und sterbenden Christus Krankheit und Tod sind für den Christen nicht ein dunkles Verhängnis oder ein unerklärliches Schicksal, sondern eine Folge der Ursünde. Dank der Gnade der Erlösung sind sie für ihn der Grund einer besonderen Verähnlichung mit Christus, der „unsere Krankheiten getragen“ hat, der als „ein Mann der Schmerzen mit Leiden vertraut“ gewesen ist. So charakterisiert der 160 alttestamentliche Prophet Jesaja bereits viele Jahrhunderte vor der Zeitenwende den Messias306. Der Christ weiß sich zutiefst vom Stachel des Leidens erlöst, weil das Leid ihm zur Vollendung der religiös-sittlichen Persönlichkeit geworden ist oder werden kann und soll. Der Christ bejaht das Leid in der schweren, aber befreienden Erkenntnis, dass Lebens- und Liebesgemeinschaft mit Christus immer auch notwendigerweise Leidensgemeinschaft mit ihm bedeutet. So wird die Krankheit für den Christen zu einem Wachstums- und Reifungsprozess und erhält dadurch eine tiefe Sinnhaftigkeit in seinem Leben. Der Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal (+ 1662) erklärt: „Krankheit ist nicht eine vorübergehende Prüfung, Krankheit ist der eigentliche christliche Zustand, eine eigentümliche Berufung“. Das Leid, speziell in der Gestalt der Krankheit, wird von daher für den Erlösten zu einer Begegnung mit Gott. Die spezifische Gnade Wie das ganze Menschenleben in seinen großen Erscheinungen, wie Geburt, Reife, Nahrung, Schuld, geistliche und irdische Vater- und Mutterschaft, in die sakramentale Ordnung hineingebunden ist, das heißt: hineingebunden ist in das Christusleben, so ist es auch die Schwächung des Lebens in der Krankheit und schließlich das Ende im Sterben. Im Sakrament der Krankensalbung offenbart Christus dem Menschen den Heilssinn von Krankheit und Tod und salbt ihn gegebenenfalls zu christlicher Todesbereitschaft, damit er seinen Tod aktiv sterben kann, sein Leben, sein irdisches Leben, wie wir es in der Perspektive des christlichen Glaubens sagen, in die Hände Gottes zurückgeben kann. Dabei werden Krankheit und Tod in einer letzten Begegnung mit dem fortlebenden Christus zu einem gnadenhaft entsühnenden, den Menschen heiligenden Geschehen. In jedem Fall entfaltet die Krankensalbung die Gnade Gottes in einem reichen Maß, tilgt sie die Sünde und Sündenstrafen und richtet den 306 Jes 53, 3. 161 Kranken auf und stärkt ihn und lässt ihn in manchen Fällen auch dem Leibe nach gesunden, mit anderen Worten: Sie heilt den Menschen in der Wurzel307. Das Sakrament der Krankensalbung lehrt uns, dass der Tod des Christen, wenn er mit Ergebung in Gottes Willen hingenommen wird, das schönste Opfer ist, das der Christ Gott darbringen kann. In jedem anderen persönlichen Opfer gibt er Gott nur etwas, während er ihm im Tode alles gibt. Durch das Sakrament der Krankensalbung wird die Krankheit aus ihrer Verwurzelung in der Sünde gelöst und in der Verbundenheit mit dem in sich sündenlosen Leiden des Herrn zu einer seligen Passion, zu einem heilwirkenden Leiden, sie wird zu einem Organ für die besonderen Gnaden der Passion Christi und seines Todes308. Vollendung des Bußsakramentes Der Weltkatechismus stellt fest: „Krankheit und Leiden gehören von je her zu den schwersten Prüfungen im Leben des Menschen. In der Krankheit erfährt der Mensch seine Ohnmacht, seine Grenzen und seine Endlichkeit. Jede Krankheit kann uns den Tod erahnen lassen“309. Des Weiteren heißt es dann im Weltkatechismus, dass die Krankheit den Menschen veranlassen kann, sich in seiner Angst und Sorge auf sich selbst zurückzuziehen, dass sie aber auch zu Verzweiflung und zur Auflehnung gegen Gott führen kann. Andererseits, so fährt der Weltkatechismus fort, kann sie den Menschen jedoch auch reifer machen und ihm den Blick öffnen für das, was wesentlich ist in seinem Leben, so dass er sich dem Wesentlichen zuwendet und sich mit größerer Intensität Gott zuwendet oder sich ihm wieder zuwendet, nachdem er ihn verlassen hat310. 307 Carl Morotini, Christliche Lebenslehre, Celle 1951, 87 - 89. 308 Hermann Peichl, Das Leben, Katholische Glaubenslehre, Innsbruck 41949, 136. Weltkatechismus, Nr. 1500. 309 310 Ebd., Nr. 1501. 162 All das lässt die Krankensalbung als Vollendung des Bußsakramentes und des ganzen christlichen Lebens, sofern es als Bußlebens verstanden wird, erkennen. Diesen Gedanken betont das Konzil von Trient mit großem Nachdruck311. Das Sakrament der Krankensalbung stärkt den Kranken aber auch durch die Weckung des Vertrauens auf die göttliche Barmherzigkeit, „der Herr wird ihn aufrichten“, heißt es im Jakobus-Brief312. Dadurch wird der Kranke wiederum befähigt, die Beschwerden der Krankheit und die Todesnot leichter und heilbringender zu ertragen und den Anfechtungen des Teufels, die ihn in dieser Ausnahmesituation nicht selten arg zusetzen, entschiedener zu widerstehen313. Das Gnadengeschehen der Krankensalbung unterstreicht in spezifischer Weise die Schicksalsgemeinschaft des Christen mit Christus, die dem Christen durch die Taufe zuteil geworden ist. Der „universale Lehrer“ der Kirche, Thomas von Aquin, macht darauf aufmerksam, dass die Krankensalbung den Kranken von den Überresten der Sünde heilt, etwa von Trägheit und Schwäche, die aus der Erbsünde und aus persönlichen Sünden stammen und sich in der Krankheit besonders fühlbar machen, und von zeitlichen Sündenstrafen, darüber hinaus von lässlichen Sünden und von Todsünden in dem Fall, dass der Kranke erst unter dem Gnadeneinfluss der Krankensalbung zu einer hinreichenden Reue über diese Sünden gelangt314. Nach der Lehre der großen Theologen macht die heilige 311 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1694. 312 Jak 5, 15. 313 Denzinger / Schönmetzer, Nr. Nr. 1694. 1696. 1717; Catechismus Romanus II, 6, 14. Thomas von Aquin, Summa theologiae, Suppl. q. 31, a. 1; vgl. Catechismus Romanus II, 6, 14; Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1696. Nr. 620. Nr. 1717. 314 163 Ölung den Menschen, der am Tor der Ewigkeit steht und mit der Gnade des Sakramentes getreu mitwirkt, bereit, unmittelbar einzugehen in die beseligende Gottesschau315. Ich sagte: Die Krankensalbung ist die Vollendung des Bußsakramentes. In der Krankensalbung - früher sprach man von der heiligen Ölung oder auch von der letzten Ölung - bereitet Christus die Sterbenden schließlich auf wunderbare Weise durch ein eigenes Sakrament für den Eintritt in das ewige Leben. In diesem Sakrament geht es um die Tilgung der letzten Sünden und Makel, um die Erneuerung der Taufunschuld, um die Weihe des Todes und um die Empfehlung des Gläubigen in Gottes unergründliches Erbarmen. Eine gewisse Aufgipfelung erhält das Sakrament durch das Sakrament der Buße und das Sakrament der Eucharistie, in diesem Fall der Wegzehrung, zwei Sakramente, die idealerweise zusammen mit der Krankensalbung gespendet werden, weshalb wir in diesem Zusammenhang auch von den drei Sterbesakramenten sprechen. Sie erhalten wiederum eine letzte Aufgipfelung durch den apostolischen Segen oder den päpstlichen Segen, der dem Kranken in der Sterbestunde einen vollkommenen Ablass zuwendet, sofern er disponiert ist bzw. die Bedingungen für die Gewinnung eines vollkommenen Ablasses erfüllt. Früher betete die Kirche immer wieder um die Bewahrung vor einem plötzlichen und unvorhergesehenen Tod. Heute wünschen sich viele einen solchen. Sie beweisen damit, dass der Tod eines Menschen für sie im Grunde nicht mehr ist als das Verenden eines Tieres. Der heilige Cyrill von Alexandrien (+ 444), die führende Persönlichkeit des Konzils von Ephesus (431 n. Chr.), warnt die Christen, in der Krankheit zu Zauberern, zu Gesundbetern Zuflucht zu nehmen, und er ermahnt sie, ihr 315 Josef Neuner, Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Regensburg 1954, 324. 164 Vertrauen auf das Gebet und auf das Sakrament der Krankensalbung setzen, das der Jakobusbrief als apostolische Überlieferung bezeuge316. Jesus und die Kranken Das Sakrament der Krankensalbung verweist uns auf den geschichtlichen Jesus, der sich stets in besonderer Weise der Kranken angenommen hat und sie in nicht wenigen Fällen von ihrer Krankheit geheilt hat. Im Markus-Evangelium heißt es: „Mit dem Anbruch des Abends, als die Sonne untergegangen war, brachte man zu ihm alle Kranken und Besessenen. … Er machte viele, die an mancherlei Krankheiten litten, wieder gesund“317. Bei Matthäus lesen wir: „Jesus durchwanderte ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen, predigte das Evangelium vom Reich und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen im Volk. Der Ruf von ihm ging über ganz Syrien hin, und sie brachten zu ihm alle, die leidend waren, behaftet mit verschiedenen Krankheiten und Plagen … und er heilte sie“318. Es geht Jesus jedoch nicht nur und nicht einmal zunächst um die Heilung von der Krankheit, seine Krankenheilungen sind für ihn vielmehr in erster Linie Zeichen für den Anbruch des Reiches Gottes319. Die Heilungen verweisen darauf, dass das Reich Gottes in der Person des Jesus von Nazareth gekommen ist. Wichtiger als die Heilung des Kranken ist für Jesus das Heilswirken an den Kranken. 316 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten, Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 147. 317 Mk 1, 32 ff. 318 Mt 4, 23 f. Mk 16, 17; Joh 9, 16; Lk 11, 20. 319 165 Jesus, der selbst viele Kranke heilte, sandte die zwölf Apostel mit dem Auftrag aus, das Reich Gottes zu verkünden und Kranke zu heilen320. Die Heilgewalt, mit der er sie ausrüstete, stand in Verbindung mit der Vollmacht, die Herrschaft der Dämonen zu brechen. Die Apostel führten diesen Auftrag aus321. Wie uns der Markus-Evangelist berichtet, trieben die Apostel „viele Dämonen aus und salbten (sie) viele Kranke mit Öl und heilten sie“322. Die Praxis, Kranke „im Namen des Herrn“ zur Heilung mit Öl zu salben, wurde beibehalten in der nachösterlichen Kirche. Davon zeugt der Jakobusbrief. Dabei dachte die Kirche zu keiner Zeit nur an die Heilung des Leibes, sondern stets auch an die Heilung der Seele323. In der Heiligen Schrift sind Krankheit und Tod nicht nur biologische Vorgänge, sondern zugleich Zeichen der Unheilssituation, in welcher sich der Mensch vorfindet. Im vollendeten Gottesreich, das ist eine Grundaussage der gesamten Offenbarung, wird es die Krankheit und den Tod nicht mehr geben. Die moderne Psychologie bestätigt die enge Verbindung zwischen Leib und Seele in der Komposition des Menschen. Der Leib wird krank, wenn die Seele krank ist, und die Seele wird gesund, wenn der Leib gesundet. Die Sünde macht den Leib krank, und die Vergebung konsolidiert die Gesundheit des Leibes. Jesus ist nicht nur den Kranken und Leidenden zu Hilfe gekommen, er hat sich gar auch mit ihnen identifiziert. Gemäß dem Matthäus-Evangelisten wird er als Weltenrichter sein urteil dereinst mit den Worten begründen: „Ich war krank, 320 Lk 9, 2. 321 Mk 6, 12; Lk 9, 6. 322 Mk 6, 13. 323 Karl Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck 1969, 693. Der Autor Karl Hörmann starb im Jahre 2004 im Alter von 90 Jahren. 166 und ihr habt mich besucht“324. Die besondere Liebe Jesu zu den Kranken bewog die Christen in allen Jahrhunderten, sich ihrer anzunehmen, ihnen nahe zu sein und ihre Leiden zu lindern oder ihnen ihr Los zu erleichtern325. Der MatthäusEvangelist wendet das Jesaja-Wort auf Jesus an: „Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen“326. Nicht alle Kranken heilte er. Seine Heilungen trugen in erster Linie Zeichencharakter, sie waren Zeichen für das Kommen des Gottesreiches und kündeten die Überwindung aller Leiden, aller Sünde und des Todes durch sein Leiden und Sterben an. Er nahm die Sünde der Welt hinweg327, deren Folge das Leiden und der Tod in der Welt sind. „Durch sein Leiden und seinen Tod am Kreuz hat Christus dem Leiden einen neuen Sinn gegeben: es kann uns nun ihm gleich gestalten und uns mit seinem erlösenden Leiden vereinigen“328. Im Sakrament der Krankensalbung setzt Christus sein irdisches Wirken zugunsten der Kranken fort in der Geschichte. Dieses aber hatte nicht nur die Gesundung zum Ziel, sondern war von einer umfassenderen Finalität: Geheilte und umstehende Zeugen sollten Gott die Ehre geben und an seinen Sohn glauben. Den einen wie den anderen wollte er einen Vorgeschmack der Ewigkeit, des Reiches Gottes geben, das er verkündete. Er wollte aber auch zum Ertragen der Krankheit aufrufen und auf sein Erlöserleiden und Erlösersterben vorbereiten329. Es ist der leidende und der verherrlichte Herr, dem die Kirche den Kranken in der Krankensalbung empfiehlt, damit er ihn aufrichtet und rettet, was dieser um 324 Mt 25, 36; vgl. Weltkatechismus, Nr. 1503. 325 Vgl. ebd. 326 Jes 53, 4 (Mt 8, 17); vgl. Weltkatechismus, Nr. 1505. 327 Joh 1, 29. 328 Weltkatechismus, Nr. 1505. Anton Ziegenaus, Die Heilsgegenwart in der Kirche, Sakramentenlehre, (Leo Scheffczyk, Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, VII), Aachen 2003, 430. 329 167 so bereitwilliger tut, als sich der Kranke mit dem Leiden und dem Tod Christi vereinigt330. Bedingungen für den Empfang des Sakramentes Nach den klaren Weisungen der Kirche darf das Sakrament der Krankensalbung nur Kranken gespendet werden, um deren Leben man fürchten muss. Dabei ist die Materie des Sakramentes das durch den Bischof geweihte Olivenöl und die Form das die Salbung begleitende Gebet des Priesters. Der Spender des Sakramentes ist der Priester. So stellt die allgemeine Kirchenversammlung zu Florenz im Jahre 1439 unmissverständlich fest331. Solche Feststellungen werden durch das Konzil von Trient und durch das Zweite Vatikanische Konzil aufgegriffen und bestätigt. Ein wenig differenzierend erklärt das Zweite Vatikanische Konzil, dass das Sakrament auch dann gespendet werden kann, wenn der Gläubige beginnt, wegen Krankheit oder Altersschwäche in Lebensgefahr zu geraten332. Sofern die Krankensalbung einen Kranken, der in der Gnadenverbindung mit Gott lebt, darin stärkt, erweist sich das Sakrament als ein Sakrament der Lebenden, sofern ein Kranker erst durch dieses Sakrament die Vergebung der Todsünden erlangt und das Gnadenleben zurückerhält, erweist sich dieses Sakrament als ein Sakrament der Toten. Die Todsünden werden durch das Sakrament der Krankensalbung vergeben, wenn eine Beichte nicht möglich ist und wenn wenigstens eine vollkommene Reue gegeben ist. 330 Vgl. Lumen Gentium, Nr. 11. 331 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1324 f. 332 Sacrosanctum Concilium, Nr. 73; vgl. Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1694 ff. 168 Primär ist das Sakrament der Krankensalbung ein Sakrament der stärkenden Gnade für die Kranken, erst sekundär ist es auf die Sterbenden hin ausgerichtet. Deshalb bestimmt das Zweite Vatikanische Konzil, dass dieses Sakrament in Zukunft nicht mehr als Letzte Ölung bezeichnet wird, sondern als Krankensalbung333. Zwar ist das Sakrament nicht heilsnotwendig, der Christ kann ja die heilsnotwendige Gemeinschaft mit Christus auch auf andere Weise pflegen, es liegt in diesem Sakrament jedoch eine so bedeutsame Möglichkeit dazu, dass die Kirche wünscht, dass niemand dieses Sakrament in schwerer Krankheit ungenützt lassen kann. Unter Umständen könnte jemand gar einer schweren Sünde schuldig werden, wenn er das Sakrament etwa verächtlich zurückweisen würde334. Nur ein Getaufter kann dieses Sakrament empfangen, weil die in der Taufe grundgelegte Christusgemeinschaft in ihm in spezifischer Weise ausgestaltet wird - alle Sakramente der Kirche haben die Taufe zur Voraussetzung. Zudem muss der Empfänger des Sakramentes ernstlich krank sein, also durch Krankheit oder auch Altersschwäche in Todesgefahr geraten sein335. Dabei ist zu bedenken, dass die Todesgefahr nicht erst beim Sterben selbst gegeben ist, sondern schon dann, wenn die Krankheit anfängt, bedenklich zu werden336. Angesichts der Bedeutung dieses Sakramentes kann man es auch einem Sterbenden noch spenden, wenn Zweifel bestehen, ob er noch lebt. In dem Fall müsste das Sakrament allerdings bedingungsweise gespendet werden. In derselben schweren Krankheit soll es nur einmal gespendet werden nach der Bestimmung der Kirche. Wiederholt werden darf es jedoch, wenn der Kranke 333 Sacrosanctum Concilium, Nr. 73. 334 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1259; Nr. 1699; Nr. 1718. 335 Ebd., Nr. 1324 und Nr. 1698; Catechismus Romanus II, 6, 9. Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil: Sacrosanctum Concilium, Nr. 73. 336 169 nach vorübergehender Besserung seines Zustandes durch dieselbe oder durch eine andere Krankheit in neue Todesgefahr gerät337. Soldaten vor der Schlacht und zum Tode Verurteilte können das Sakrament nicht empfangen. Etwas anderes ist die Spendung des Sakramentes bei solchen, die sich einer lebensbedrohenden Operation unterziehen müssen338. Als Vollendung des Bußsakramentes setzt die Krankensalbung im Empfänger die Fähigkeit voraus, persönliche Sünden zu begehen. Das heißt: Der Empfänger des Sakramentes muss zum Vernunftgebrauch gekommen sein339. Wie alle Sakramente setzt auch dieses voraus, dass der Empfänger des Sakramentes es empfangen will. Dieses Verlangen muss wenigstens einschlussweise gegeben sein. Zudem muss der Empfänger im Gnadenstand und im Frieden mit der Kirche leben, weil dieses Sakrament die Christusgemeinschaft ausformt. Wer also in schwerer Sünde ist, muss vor dem Empfang des Sakramentes der Krankensalbung durch das Bußsakrament wieder mit Gott und mit der Kirche versöhnt werden340. Wenn ein Kranker in einer offenkundigen Todsünde unbußfertig verharrt, muss die Kirche ihm die Krankensalbung verweigern, um nicht an einem Sakrileg mitzuwirken. Was anderes ist, wenn die Unbußfertigkeit des Kranken unsicher ist. In dem Fall soll der Priester das Sakrament bedingungsweise spenden341. 337 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1698. 338 Hermann Peichl, Das Leben, Katholische Glaubenslehre, Innsbruck 41949, 135 f. 339 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 3536. 340 Ebd., Nr. 216; Nr. 620; Catechismus Romanus II, 6, 12. CIC von 1917, Canones 940; 942; 943; vgl.: CIC von 1983, Canones 998 - 1007. 341 170 Damit sich der Kranke in wünschenswerter Weise auf das Sakrament der Krankensalbung vorbereiten kann, soll ihm das Sakrament nicht erst, so betont es nachdrücklich das Zweite Vatikanische Konzil, in der Todesstunde gespendet werden, sondern schon bei Beginn der Todesgefahr342. Wenngleich die Sakramente der Kirche normalerweise nur Katholiken gespendet werden können, die im Frieden mit der Kirche leben, können in Ausnahmefällen auch die getrennten Christen das Sakrament der Krankensalbung empfangen, wenn sie darum bitten und wenn sie ihren eigenen Priester nicht erreichen können, sofern sie guten Glaubens von der Kirche getrennt sind und sich in der rechten seelischen Verfassung befinden. Das gilt vor allem für die Ostchristen und für die Gläubigen der altorientalischen Kirchen. Im Fall, dass ein protestantischer Christ das Sakrament erbittet, ist die Sache etwas schwieriger, da es das Sakrament der Krankensalbung bei den reformatorischen Christen nicht gibt. Unter ähnlichen Bedingungen, unter denen etwa Ostkirchen das Sakrament der Krankensalbung empfangen können, könnte auch ein katholischer Christ sich das Sakrament durch einen Priester der Ostkirchen spenden lassen343. Salbung mit Öl und „geistliche Heilung“ 342 343 Sacrosanctum Concilium, Nr. 73; vgl. Catechismus Romanus II, 6, 9. Orientalum Ecclesiarum, Nr. 84; vgl. Carl Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck 1969, 693 -701. 171 In der apostolischen Konstitution „Sacram Unctionem Infirmorum“ vom 30. September 1972 bestimmt Papst Paul VI. im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil, dass im römischen Ritus von nun an Folgendes gelten soll: „Das Sakrament der Krankensalbung wird jenen gespendet, deren Gesundheitszustand bedrohlich angegriffen ist, indem man sie auf der Stirn und auf den Händen mit ordnungsgemäß geweihtem Olivenöl oder, den Umständen entsprechend, mit einem anderem ordnungsgemäß geweihten Pflanzenöl salbt und dabei einmal folgende Worte spricht: ‚Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen. Er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes: der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf‘“344. Öl war in der gesamten Antike ein beliebtes Heilmittel. Bei dem Propheten Jesaja heißt es, dass die Wunden, mit denen Israel von oben bis unten bedeckt ist, nicht verbunden und nicht gelindert wurden mit Öl345. Der Samariter goss „Öl und Wein“ in die Wunden des von den Räubern Überfallenen 346. Das Öl gilt in alter Zeit aber auch als Sinnbild für das Glück347, speziell in der messianischen Endzeit348. Schließlich wurden auch Tote mit Öl gesalbt349, wie auch Jesus „im Hinblick auf sein Begräbnis“ gesalbt wurde350. Gesalbt wurden nicht zuletzt und vor allem auch Priester und Könige. Die frühere Spendeformel lautete: „Durch diese heilige Salbung und seine überreiche Barmherzigkeit verzeihe dir der Herr, was du (hier werden die 344 Vgl. CIC von 1983, Canon 847, § 1; Weltkatechismus, Nr. 1513. 345 Jes 1, 6. 346 Lk 10, 34. 347 Ps 23, 5. 348 Jes 61, 3. 349 Mt 26, 12; Mk 16, 1. 350 Joh 12, 7; Mk 14, 8. 172 verschiedenen Sinneswahrnehmungen Sehen, Hören usw. genannt) gesündigt hast. Amen“. In die neue Formel wurden die Anfangsworte der alten Formel übernommen, während der zweite Teil völlig geändert wurde: Der Akzent, der auf der Sündenvergebung gelegen hatte, wurde durch die im 5. Kapitel des Jakobusbriefes in den Versen 14 und 15 angegebenen Verben ersetzt. Die Sündenvergebung wurde für die Rettung und Aufrichtung vorausgesetzt; damit ist dann angedeutet, dass die Vergebung schwerer Sünden im Normalfall im Bußsakrament und nicht in der Krankensalbung geschieht. Vor allem wird in der neuen Spendeformel die Wirkweise genannt, nämlich: Der Herr helfe „durch die Kraft des Heiligen Geistes“. Das Konzil von Trient hatte festgestellt: „Die Salbung stellt am angemessensten die Gnade des Heiligen Geistes dar, mit der die Seele des Kranken unsichtbar gesalbt wird“351. Wie der Römerbrief bezeugt, bewirkt die Gnade des Heiligen Geistes „Hoffnung in Geduld“352. Die Kirchenväter sehen im Sakrament der Krankensalbung den vollendenden Abschluss nicht nur der Buße, sondern des ganzen Christenlebens. Das Konzil von Trient (1545 - 1563) erinnert daran, dass der Widersacher Gottes zwar immerfort versucht, „unsere Seelen zu verschlingen“, dass es jedoch keine Zeit gibt, in der er so heftig alle Kräfte seiner Verschlagenheit einsetzt, um den Menschen endgültig zu verderben, als wenn er ihn auf das Lebensende zugehen sieht353. Während das Bußsakrament nach Thomas von Aquin „eine Art geistlicher Wiedererweckung“ ist, so ist die heilige Salbung „eine Art geistlicher Heilung“, die aber das geistliche Leben, also den Gnadenstand, voraussetzt. Sie heilt die „Rückstände der Sünde“, die zurückbleibenden Schwächen und Mängel, und auch die lässlichen Sünden. Weil jedoch die Gnade sich mit der Sünde nicht 351 Denzinger / Schönemetzer, Nr. 1695. 352 Rö 8, 18 ff. 353 Denzinger / Schönemetzer, Nr. 1694. 173 verträgt, heilt sie auch die von der Todsünde, sofern der Empfänger dieser Heilung kein Hindernis entgegensetzt, etwa durch eine mangelhafte Disposition oder durch die Ablehnung der Beichte, falls er sich einer Todsünde bewusst wäre354. Bei Thomas kann man die Letzte Ölung noch nicht als ein Sterbesakrament bezeichnen. In diese Richtung weisen erst die Franziskaner-Theologen Bonaventura (+ 1274) und Duns Scotus (+ 1308). Offiziell hat sich die Kirche diese Auffassung niemals zu Eigen gemacht. Im Zuge der konfessionellen und religiösen Nivellierung und wachsender Indifferenz praktiziert man heute mit einem hohen pastoralen Anspruch in immer mehr Pfarreien die Krankensalbung „in cumulo“. Da werden dann alle älteren Personen und all jene, die sich irgendwie krank fühlen, zu einem Salbungsgottesdienst eingeladen, der dann, in der Regel jedenfalls, in einer gemeinsamen Kaffee-Tafel ausklingt. Als Krankheit sieht man dabei schon ein momentanes leichtes Unwohlsein an oder auch einfach den Status des Rentners, den Senioren-Status. Damit wird man allerdings der Voraussetzung, an die das Sakrament der Krankensalbung seit den Urtagen der Kirche gebunden ist, nicht mehr gerecht. Deshalb ist diese Praxis im Grunde ein Missbrauch des Sakramentes, und de facto richtet es dieses zugrunde. Den Verantwortlichen mag das durchweg nicht bewusst sein, zumal sie im Allgemeinen von den Hirten nicht darauf hingewiesen werden, aber die Konsequenzen sind verheerend. Unterminiert wird das Sakrament heute durch einen weiteren Missbrauch: Immer wieder kommt es vor, dass so genannte Krankenseelsorger und Krankenseelsorgerinnen, also pastorale Mitarbeiter, die nicht Priester sind, das Sakrament der Krankensalbung spenden bzw. simulieren. Sie berufen sich dabei auf Theologen, die die Meinung vertreten, dass auch Pastoralassistenten und 354 Thomas von Aquin, Summa theologiae, Suppl. q. 30 a. 1 f. 174 Pastoralreferenten, die in der Krankenseelsorge tätig sind, die Krankensalbung spenden können, zumindest wenn sie Diakone sind. Auch da verlässt man den Boden der Heiligen Schrift und des Glaubens der Kirche. Des gilt erst recht für die ökumenischen Salbungsgottesdienste, von denen man heute zuweilen hört. Nicht jede Krankheit oder ein bestimmtes Alter genügt schon als Voraussetzung dafür, dass einem Katholiken die Krankensalbung gespendet wird. Es muss eine wirklich lebensbedrohliche Krankheit vorliegen. Darauf besteht auch das Zweite Vatikanische Konzil. Deshalb ist der heute sich ausweitende Brauch, einige Male im Jahr allen alten Menschen in Altersheimen und in Seniorenclubs etwa anlässlich eines Krankengottesdienstes die Krankensalbung zu spenden, zum einen nicht erlaubt und zum anderen eine subtile Zerstörung des Sakramentes. Anzuerkennen ist dabei die gute Absicht, die Krankensalbung von dem Geruch des Sterbesakramentes zu befreien und die Gesundung des Leibes als Teil seiner Wirkung hervorzuheben. Das wird in diesem Fall jedoch mit falschen Mitteln angestrebt. Als Vorteil solcher gemeinschaftlicher Salbungen hat man immer wieder angegeben, dass dadurch der Priester entlastet werde, weil er so den Einzelnen nicht mehr so stark betreuen müsste. Dabei übersieht man, dass die individuelle Begegnung des Priesters mit dem Kranken und dem Sterbenden gerade ein wesentliches Element dieses Sakramentes ist. Die gemeinsame Spendung der Krankensalbung ist in dieser Weise nicht akzeptabel, weil sie zum einen die Gesundung als Wirkung des Sakramentes einseitig hervorhebt und zum anderen die Bedingung nicht ernst nimmt, dass der Empfänger des Sakramentes wirklich krank sein muss. Nicht akzeptabel ist diese Form der Krankensalbung auch deshalb, weil bei ihr de facto zu wenig von der fruchtbaren Annahme des Leidens und Sterbens die Rede ist und der Einzelne in seiner individuellen Not zu kurz kommt. Nicht zuletzt wird hier die 175 innere Beziehung des Sakramentes zum Bußsakrament verdunkelt. Die Krankensalbung ist die Vollendung des Bußsakramentes, und das Bußsakrament sollte ihr in der Regel vorangehen355. Der gläubige Katholik wird sich daher von solchen Veranstaltungen fernhalten, um nicht mitschuldig zu werden an dem Missbrauch dieses Sakramentes und an seiner Destruktion. Stets galt die Überzeugung, dass das Sakrament der Krankensalbung einem Kranken erst von dem Beginn einer lebensbedrohenden Krankheit an gespendet werden könnte, weil es den Kranken vor allem „in der geistigen Not der Brüchigkeit des Daseins stärken will“, die eine existentielle Bedrohung zur Voraussetzung hat, welche bei einer problemlosen Krankheit eben nicht gegeben ist. Zudem empfiehlt die Kirche dem Kranken bei der Krankensalbung dem leidenden und verklärten Christus, mit dem er sich bewusst vereinigen soll, um so zum Wohl des Gottesvolkes beizutragen356. Es geht also auch um die gläubige Bereitschaft zum Mitleiden mit Christus. Eine solche Angliederung an den leidenden Christus und die Vereinigung mit ihm setzen notwendigerweise eine schwerere Erkrankung voraus357. Was bei der Krankensalbung in cumulo und bei verschiedenartigen den Experimenten, die man mit ihr macht, vor allem nicht beachtet wird, das ist die Tatsache, dass die Spendung der Sakramente in jedem Fall an die Disziplin der Kirche gebunden ist, die in dieser Disziplin im Grunde einfach die Überlieferung kanonisiert. Allein, viele verstehen die Sakramente nur noch als Rituale und sehen sie nur noch unter dem Aspekt ihrer psychologischen Effizienz. Sie vertreten im Grunde die Meinung, die Kirche könne 355 Vgl. Anton Ziegenaus, Die Heilsgegenwart in der Kirche, Sakramentenlehre, (Leo Scheffczyk, Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, VII), Aachen 2003, 452 f. 356 357 Lumen Gentium, Nr. 11. Anton Ziegenaus, Die Heilsgegenwart in der Kirche, Sakramentenlehre (Leo Scheffczyk, Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, VII), Aachen 2003, 456 f. 176 überkommene Sakramente abschaffen und neue hervorbringen, wenn sie diese Möglichkeit nicht gar auch sich selber zuschreiben. Die Krankensalbung im Neuen Testament Die biblische Grundlage dieses Sakramentes haben wir im 5. Kapitel des Jakobusbriefes in den Versen 14 und 15. Da heißt es: „Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Presbyter der Kirche zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben“. Der Jakobusbrief wurde um das Jahr 60 verfasst. Man zählt ihn zu den katholischen Briefen. Er ist nicht an eine einzelne Gemeinde gerichtet, sondern an die Gesamtheit der Gemeinden. In der Zeit, in der der Jakobusbrief abgefasst wird, steht noch der Tempel in Jerusalem, es leben noch die meisten Apostel und viele, die den historischen Jesus gekannt haben und ihm begegnet sind. Daher ist es undenkbar, dass Jakobus hier etwas verkündet, das mit der Lehre Jesu nicht konform ist. Immerhin ist die Vorstellung von der Heilkraft des Olivenöls allgemein in der Medizin wie in den Religionen verbreitet, schon in alter Zeit. Das Sakrament der Krankensalbung gibt es als solches nur in der katholischen Kirche und in den Kirchen des Ostens. Der Reformator Martin Luther (+ 1546) lehnte nicht nur das Sakrament der Krankensalbung ab, sondern auch den Jakobus-Brief, in dem das Sakrament verbürgt ist. Die anderen Reformatoren folgten ihm darin, währenddessen es in neuerer Zeit in den Freikirchen die Praxis der Krankensalbung gibt, in wachsendem Maß, ohne dass man diese freilich als Sakrament versteht. Erst in jüngster Zeit experimentiert man, wie gesagt, mit Salbungen auch in den evangelischen Landeskirchen. 177 Gegenüber den Reformatoren, welche die Krankensalbung als solche nicht als Sakrament verstehen wollten, erklärt das Konzil von Trient: „Diese heilige Salbung der Kranken wurde von Christus, unserem Herrn, als wahrhaftes und eigentliches Sakrament des Neuen Testamentes eingesetzt und zwar bei Markus angedeutet (Mk 6, 13: ‚... sie trieben viele Dämonen aus und salbten die Kranken mit Öl und heilten sie‘), durch Jakobus aber den Apostel und Bruder des Herrn, den Gläubigen empfohlen und verkündet“358. Die zitierte Markusstelle lautet im Kontext: „Die Zwölf zogen aus, predigten das Bußetun, trieben viele Dämonen aus und salbten die Kranken mit Öl und heilten sie“359. Die entscheidende Gnade Zweifach ist die Wirkung dieses Sakramentes, wenn es zum einen die Gesundheit wiederherstellen soll, zum anderen aber die Sünden vergeben und das Gnadenleben vertiefen soll. Die entscheidende Gnade des Sakramentes ist die Stärkung, die Beruhigung und die Ermutigung des Kranken. Bestärkt werden soll er im Vertrauen auf Gott und im Kampf gegen das Böse, gegen die Versuchung und gegen die Todesangst. Zu der Stärkung, der Beruhigung und der Ermutigung gehört auch gegebenenfalls die Heilung des Leibes, sofern das im Willen Gottes liegt. Sofern Sünden vergeben werden, gilt das nur für die lässlichen Sünden, von Ausnahmen abgesehen. Im Sakrament der Krankensalbung „tritt der barmherzige Samaritan“, so schreibt der Theologe Karl Adam (+ 1966) „ans Krankenbett und träufelt neuen Lebensmut und Opfergeist ins wunde Herz“360. 358 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1695; vgl. Weltkatechismus, Nr. 1511. 359 Mk 6, 13. 360 Karl Adam, Das Wesen des Katholizismus, Düsseldorf 12 1949 (11924), 30. 178 Für den gläubigen Christen ist es selbstverständlich, dass er rechtzeitig das Sakrament der Krankensalbung empfängt, wenn er schwer erkrankt oder dass er rechtzeitig die Sterbesakramente empfängt, wenn es absehbar ist, dass er sterben muss, dass er, wie wir es in unserer Sprache sehr schön ausdrücken, das Zeitliche segnen muss. Im letzteren Fall soll man den Priester so früh rufen, dass man die Sakramente noch bei voller Besinnung und mit gebührender Andacht empfangen kann. Wenn wir in gesunden Tagen um eine glückselige Sterbestunde beten, meinen wir damit den bewussten Abschied aus dieser Welt mit dem Empfang der Sterbesakramente, die durch den apostolischen Segen abgeschlossen werden, der mit einem vollkommenen Ablass verbunden ist, wenn die entsprechenden Bedingungen erfüllt sind. Der Christ soll so leben und sterben, dass er am Ende mit dem Apostel Paulus sagen kann: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt; im Übrigen ist mir die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt, welche mir an jenem Tag der Herr geben wird, der gerechte Richter“361. Das Sakrament der Krankensalbung tilgt die lässlichen Sünden und viele Sündenstrafen, es vermehrt die heiligmachende Gnade, es stärkt im Leiden und im Todeskampf, und es bringt dem Kranken oft Erleichterung und sogar die Gesundheit, wenn es zu seinem Seelenheil dienlich ist. Die Salbung erfolgt bei der Spendung des Sakramentes der Krankensalbung mit dem vom Bischof am Gründonnerstag in der sogenannten Chrisam-Messe geweihten Krankenöl. Wenn der Bischof in dieser Messe zusammen mit dem Krankenöl das Katechumenenöl und das Chrisamöl weiht, wird die innere Verbindung der drei dem entsprechenden Sakramente, des Sakramentes der Taufe, der Firmung und der Krankensalbung mit der Kirche und mit ihrem apostolischen Ursprung im Zeichen deutlich. Ursprünglich wurden die heiligen Öle in der Osternacht geweiht. Davon berichtet uns Hippolyt von Rom (+ 235). Wenn die Ölweihe 361 2 Tim 4, 7 f. 179 später auf den Gründonnerstag verlegt wurde - seit dem 9. Jahrhundert -, so geschah das wohl zur Entlastung der Osternacht. Wer die Spendung des Sakramentes der Krankensalbung oder auch der Sterbesakramente vorbereitet, muss dafür sorgen, dass auf einem Tisch ein weißes Tischtuch ausgebreitet ist und dass auf diesem Tisch ein Kruzifix zwischen zwei Kerzen aufgestellt wird und dass die Kerzen angezündet werden, bevor der Priester eintritt. In jedem Fall muss auf dem Tisch ein Gefäß mit gewöhnlichem Wasser und ein Tellerchen mit Watte und Salz stehen. Sodann muss Waschwasser bereit stehen und ein Handtuch, damit der Priester sich nach der Spendung der Krankensalbung in geziemender Weise das an den Fingern haftende Krankenöl entfernen kann. Werden die „Sterbesakramente“ gespendet, erfolgt die Spendung so, dass zunächst das Bußsakrament gespendet wird, dann das Sakrament der Krankensalbung und endlich das Sakrament der Wegzehrung. Thomas von Aquin erklärt im Blick auf das Sakrament der Krankensalbung: „Es gibt … in diesem Leben gar vieles, was den Menschen hindert, zu einer gänzlichen Reinigung von aller Sünde zu gelangen. Und doch kann niemand ins ewige Leben eingehen, er sei denn ganz gereinigt. Daher war noch ein anderes Sakrament notwendig, durch welches der Mensch von den Sünden geläutert, von der Schwachheit befreit und vom Eintritt ins himmlische Reich vorbereitet würde. Und das ist eben das Sakrament der letzten Ölung. Dass dasselbe aber nicht auch immer leibliche Genesung herbeiführt, kommt daher, weil oft vielleicht das längere Leben der Seele nicht frommen würde. ‚Wenn daher jemand unter euch krank ist, so rufe er die Priester der Kirche, und sie sollen über ihn beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn; und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken zum Heile sein und der Herr wird ihm Erleichterung schaffen, und wenn er Sünden auf sich hat, so werden sie ihm vergeben werden‘ (Jak 5, 14)“362. 362 Katechismus des heiligen Kirchenlehrers Thomas von Aquin, Kirchen / Sieg 1971, 89 f. 180 Das Sakrament der Krankensalbung ist mehr eschatologisch geprägt als die übrigen Sakramente, insofern als es den Menschen für die vollendete Teilnahme an der Auferweckung Jesu Christi bereitet. Das gilt auch dann, wenn der Empfänger der Krankensalbung seine physische Gesundheit zurückerhält. „Im Sakrament der Krankenölung teilt sich Gott dem Menschen mit, um ihn zum letzten und höchsten Dialog mit sich selbst zu befähigen und zu berufen. Die Krankheit oder die Todesgefahr sind die Gelegenheit hierzu“363. Kardinal Newman (+ 1890) betet im Blick auf das Ende seines Lebens: „O mein Herr und Heiland, stärke mich in der Stunde meines Todes durch die starken Waffen deiner heiligen Sakramente und durch den erfrischenden Duft deiner Tröstungen. Gib, dass die Worte der Lossprechung über mich gesprochen werden, das heilige Öl mich bezeichne und besiegele und dein eigener hochheiliger Leib meine Nahrung und dein Blut mir Trank sei. Deine süße Mutter Maria stehe mir bei. Mein Engel spreche Worte des Friedens zu mir und meine heiligen Patrone … mögen mir zulächeln, dass ich mit ihnen und durch sie die Gnade der Beharrlichkeit erlange und sterbe, wie ich zu leben wünsche, in deinem Glauben, in deiner Kirche, in deinem Dienst und in deiner Liebe. Amen“364. 363 Michael Schmaus, Der Glaube der Kirche (Handbuch Katholischer Dogmatik, II), München 1970, 482 f. 364 John Henry Newman, Betrachtungen und Gebete, München 31952, 238 f. 181 DAS SAKRAMENT DER EHE Zwei Standessakramente Während die ersten fünf Sakramente zur Heiligung des Einzelnen eingesetzt sind, sind die zwei letzten zur Heiligung der Gemeinschaft eingesetzt. Die Priesterweihe dient der Begründung, dem Wachstum und der Vollendung des göttlichen Gnadenlebens, die Ehe der Fortpflanzung und der Erhaltung des natürlichen Lebens. Dabei verleihen die Taufe, die Firmung, die Priesterweihe und auch die Ehe der Seele eine dauernde Beziehung zu Christus und zur Kirche. Die Ehe und die Priesterweihe begründen die zwei Stände in der Kirche. Sie stehen nicht in Spannung zueinander - für manche ja, aber nicht im Kontext der Überlieferung der Kirche -, sie sind vielmehr aufeinander hingeordnet. Der Priesterstand bedingt den Ehestand, und der Ehestand bedingt den Priesterstand. Ist es schlecht um den Priesterstand bestellt, ist es auch schlecht bestellt um den Ehestand. Gerade das erfahren wir heute in schmerzlicher Weise. Wenn das Sakrament der Ehe seinen tiefsten Sinn aus seinem Dienstcharakter empfängt, so ist das nicht anders bei dem Sakrament der Priesterweihe. Die beiden Standessakramente der Kirche sind, wie gesagt, aufeinander hingeordnet. Das sie miteinander verbindende Element ist der Dienst oder die selbstlose Hingabe. Dabei ist im einen wie im anderen Fall die entscheidende Verpflichtung der Dienst am Leben, im einen Fall der Dienst am natürlichen Leben, im anderen Fall der Dienst am übernatürlichen Leben. Dabei ist zu bedenken, dass, wie es Papst Johannes Paul II. ausdrückt, „die der menschlichen Sexualität eingeschriebene Zeugungsfähigkeit … ein Zusammenwirken mit der 182 Schöpferkraft Gottes ist“365, denn, wo immer ein neuer Mensch ins Dasein tritt, da ist es Gott, der die Seele erschafft. Dabei beschränkt sich der Dienst der Eltern nicht auf die Weitergabe des natürlichen Lebens in der Wirkgemeinschaft mit dem Schöpfer, denn in der Erziehung ihrer Kinder sorgen sie auch für den Fortbestand der Kirche und üben so einen entscheidenden Dienst am Glauben aus. Von daher verwirklichen sie in prägnanter Weise das allgemeine Priestertum der Gläubigen. In diesem Sinne nennt das II. Vatikanische Konzil die Familie gleich zweimal eine Schule des Apostolates366. Ehe und Familie in einem gigantischen Verfallsprozess Gern sagt man heute, Ehe und Familie befänden sich in einem Umbruch. Richtiger ist es jedoch, hier von einem Verfallsprozess zu sprechen, der, wenn er nicht angehalten wird, die Zukunft der Menschheit zerstört und zugrunde richtet. Das gilt zunächst für die westliche Welt, wird aber in wachsendem Maß zu einem weltweiten Problem. Im Jahre 1990 wurden in Deutschland über eine halbe Million Ehen geschlossen, nämlich 516.388, im Jahre 2005 waren es gerade noch 388.451. Die Scheidungsrate betrug im Jahre 1990 nicht ganz ein Viertel, nämlich 23,8% der geschlossenen Ehen, im Jahre 2005 erhöhte sie sich auf über die Hälfte, genau auf 51,9% der geschossenen Ehen. Der Hauptgrund war der, dass die Ehefrauen mit ihren Männern unzufrieden waren. Was die hohe Scheidungsrate für die Kinder bedeutet, die durch die Scheidung der Eltern heimatlos werden, darüber denkt man allzu wenig nach. In erster Linie sind die Kinder die Leidtragenden der Ehescheidungen. Der Trennungsschmerz der Eltern nagt fortwährend an ihrer Seele. Verhängnisvoll sind die Folgen für das spätere 365 L’ Osservatore Romano vom 18. September 1983. 366 Lumen gentium, Nr. 35; Apostolicam actuositatem, Nr. 30. 183 Partnerschaftsverhalten dieser Kinder. Mit ihnen entstehen Generationen, die nicht mehr bindungsfähig sind. Auch das ist hier zu bedenken: In den sogenannten Patchwork-Familien, in denen die Kinder aus den Scheidungsfamilien zusammengewürfelt werden, findet der Friede nur selten einen Hort. Tiefe Wunden hinterlässt die Scheidung auch bei den Eltern, jede Scheidung, auch wenn sie sich äußerlich darüber hinwegsetzen. Bedingt durch die zahlreichen Ehescheidungen, aber auch durch die immer häufigere Zeugung von Kindern außerhalb der Ehe, gibt es immer mehr überforderte Alleinerziehende. Nach einer neueren Studie werden in Großbritannien 44% aller Kinder von unverheirateten Müttern zur Welt gebracht und hat jedes fünfte Brautpaar, das sich vor dem Traualtar das Ja-Wort gibt, bereits ein Kind oder mehrere Kinder367. Ein spezifisches Problem sind hier die Mischehen, die dank der Bevölkerungsfluktuation und Dank der wachsenden religiösen Gleichgültigkeit stark zugenommen haben, wenn es in solchen Fällen überhaupt noch zu einer kirchlichen Trauung kommt. Die Erfahrung lehrt uns, dass im Fall der Mischehen der katholische Partner in der Regel der Kirche entfremdet wird und dass die Kinder, wenn Kinder überhaupt aus einer solchen Ehe hervorgehen, bestenfalls nur noch nominell katholisch sind. Das Problem verschärft sich im Fall der Religionsverschiedenheit. In den Familien gibt es heute in wachsendem Maße Zerwürfnisse zwischen den Eltern und ihren heranwachsenden Kindern, die in nicht wenigen Fällen die Familien schon sehr früh auseinanderführen. Oft verhärten die Kinder sich in 367 Kath.net vom 27. Juli 2009. 184 ihrer Abkehr von den Eltern, die in immer größerer Zahl vereinsamen und verbittert werden. Unaufhaltsam sinkt die Geburtenrate in Deutschland. Derzeit liegt sie bei 1,35. Im Jahre 2008 erreichte die Geburtenzahl den zweitniedrigsten Stand der Nachkriegszeit. Nur im Jahre 2006 wurden noch weniger Kinder geboren, im Jahre 2006 hatte die Geburtenzahl in Deutschland den tiefsten Stand in der Nachkriegsgeschichte. Dank dieser Situation sind wir unfähig geworden, uns selber zu erhalten und, wenn nicht eine unerwartete Wende eintritt, in absehbarer Zeit zum Aussterben verurteilt. Es gibt in Deutschland 40% Männer bis 40 Jahren, die nicht heiraten, keine Kinder haben wollen und auch keine Verantwortung übernehmen wollen. Etwa 40% der Frauen entscheiden sich gegen Kinder und für Erwerbstätigkeit. Nur noch in 18% der Hamburger Haushalte gibt es Kinder. Dabei sind die jungen Menschen alles andere weniger als ausgeglichen und optimistisch. Man hat von einer epidemisch ansteigenden Depressionsrate bei den jungen Menschen gesprochen. Ja, schon ein Großteil der Kinder erweist sich als psychopathisch. Nicht wenige von ihnen wachsen nicht nur ohne Religion, sondern auch ohne Moral auf. Eine nicht unbedeutende Zahl der Erstklässler ist nicht sozialisiert. Häufig erweisen sich bereits Schulkinder als kriminell. Die Disziplinschwierigkeiten der Lehrer sind übergroß und rauben vielen von ihnen den Idealismus, so dass sie in wachsendem Maß, wenn sie es irgendwie ermöglichen können, den Weg der Frühverrentung wählen. Allgemein sind Brutalität und Kriminalität bei den jungen Menschen im Wachsen begriffen. Nicht selten übersteigen die Gewalt- und Krawallexzesse der jungen Menschen die Wehrhaftigkeit der örtlichen Behörden. Bei den Jugendlichen verbreitet sich heute eine merkwürdige Praxis, das „happy 185 flapping“. Dieses besteht darin, dass sie einen Gleichaltrigen zusammenschlagen und demütigen und das ganze Szenario mit einem Handy filmen. Ein besonderes Kapitel sind die Nikotin- und Alkoholexzesse bei Kindern und Jugendlichen. Sie begegnen uns heute schon im kleinsten Dorf. Die Strategie der totalen Sexualisierung des öffentlichen Lebens Die totale Sexualisierung des öffentlichen Lebens, wie sie derzeit vor allem in den Massenmedien und auch durch die Mode und in der Werbung vorangetrieben wird, wird immer hemmungsloser. Unsere Gesellschaft leidet an einer übersteigerten Sexualität. Daran sind die Schulen mit ihrer „Sexualerziehung“, die sich nicht als Erziehung, sondern als sexuelle Bedürfnisweckung darstellt, nicht gerade unschuldig. Die Sexualerziehung versteht die sexuelle Lust weithin als Konsumartikel, wie es der öffentlichen Meinung entspricht, und führt zu verfrühter sexueller Aktivität. De facto zerstört sie das Schamgefühl der Kinder und Jugendlichen und stimuliert sie in verhängnisvoller Weise zu sexuellem Tun, bewusst oder unbewusst368. Die gegenwärtige Sexualisierung des öffentlichen Lebens und die damit verbundene Banalisierung der Sexualität trägt totalitäre Züge. Sie ist ein wesentliches Moment der Propagierung des New Age, der „sanften Verführung des Wassermannes“. Bewusst ist sie gegen das Christentum gerichtet, das der Exponent des Zeitalters der Fische ist, das durch das Zeitalter des Wassermanns abgelöst werden muss, speziell gegen das katholische Christentum, das dank Kein Geringerer als Sigmund Freud (+ 1939) erklärt: „Der Verlust des Schamgefühls ist das erste Zeichen von Schwachsinn … Kinder, die sexuell stimuliert werden, sind nicht mehr erziehungsfähig; die Zerstörung der Scham bewirkt eine Enthemmung auf allen anderen Gebieten, eine Brutalität und Missachtung der Persönlichkeit des Mitmenschen“ (Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Bd. VII, Frankfurt/M 1972, 149). In solcher Sexualerziehung, in der die Zerstörung der natürlichen Scham erfolgt, die das Geheimnis umgibt, wird das Geheimnis breit getreten, wird gewaltsam ans Licht gezerrt, was Kinder weder sehen wollen noch verstehen können. Das gilt im Grunde auch für die Jugendlichen. 368 186 seiner zentralen Leitung in der Gestalt des Petrusamtes nicht so leicht der Versuchung erliegt, sich dem Zeitgeist anzupassen, und das ohnehin nuancierter ist als die anderen christlichen Denominationen. Es ist bezeichnend, dass die konsequente Ablehnung der Abtreibung, die ein natürliches Kind der Sexualisierung der Öffentlichkeit ist, heute im Blick auf das gesellschaftliche Spektrum nur noch in der katholischen Kirche, zumindest offiziell, einen Hort hat. Vielleicht ziehen hier noch einige kleinere christliche Freikirchen und Denominationen mit, die offizielle Auffassung der Protestanten ist indessen die, dass man der Frau die Entscheidung über Leben und Tod ihres Kindes überlassen muss369. Im Grunde ist auch die Homosexualität, die sich heute offensiv ausbreitet, die in der Forderung der so genannten Homo-Ehen und der Adoption von Kindern in solchen Verbindungen kulminiert, ein Kind der übersteigerten Sexualität, wenngleich deren Aktivisten das leugnen, ja, eine solche Äußerung gar kriminalisieren und das teilweise mit Erfolg370. Auch die Propagierung der Homosexualität ist ein wesentlicher Programmpunkt der New Age-Mission. Der Glaubensschwund - Grund und Folge unserer sexuellen Anarchie Die Kirche lässt sich in dem Maß von der Strategie des New Age infizieren, in dem sie ihre innere Substanz verliert, in dem Maß, in dem der Glaube in ihr zerfällt und zusammenbricht. Genau darauf spekuliert die Strategie der sanften 369 Vgl. Eva Hermann, Über diese Dinge gibt es keine Diskussion, Vortrag in Frankfurt am Main, gehalten am 16. Mai 2009. Eva Hermann war früher Nachrichtensprecherin des Norddeutschen Rundfunks und kämpft heute engagiert für die Wiederherstellung der Ideale von Ehe und Familie. Eine kurze Zusammenfassung des Vortrages brachte kreuz.net am 18. Juli 2009. 370 Andere Ursachen mögen frustrierende Erlebnisse mit dem anderen Geschlecht sein oder frühe Verführung, zuweilen auch eine konstitutionelle Disposition, die dann durch entsprechende äußere Ereignisse aktiviert wird. Dass es sich hier um eine neutrale Spielart der Natur handelt, wird man nicht plausibel machen können. 187 Verschwörung des Wassermanns. Wo immer sich in der Kirche und im Christentum die sexuelle Unmoral breit macht, da geschieht das deshalb, weil es im Grunde um den Glauben geschehen ist. Letztlich aber ist es da um eine positive Antwort auf die Gottesfrage geschehen. Das heißt: Das Problem ist eigentlich die Leugnung der Existenz Gottes, explizit oder implizit, anders gesagt: die Infragestellung der philosophischen Grundlegung des christlichen Glaubens. Die Sexualisierung der Öffentlichkeit und die damit verbundene Banalisierung der Sexualität ist also nicht ein Zufallsprodukt unseres kulturellen Verfalls, sie ist vielmehr ein wichtiger Programmpunkt des New Age. Die Sexualität wird da zu einem reinen Konsumgut abgewertet und die Kinder werden schon früh auf die Sexualität fixiert. Charakteristisch ist hier die maßgebliche Aufklärungsbroschüre des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit, die den Titel trägt: „Ich bin scharf auf dich“. Ehe, Familie und Verantwortung für die Zukunft geraten hier völlig aus dem Blickfeld. In anderen Ländern und Regierungen geht es in dieser Hinsicht nicht anders zu. Weithin identifiziert sich auch die Kirche mit dieser Tendenz und Praxis, zumindest schweigt sie dazu und bedenkt dabei nicht, dass das letzten Endes der Tod ihrer Verkündigung ist. Hier liegt auch wohl der entscheidende Grund dafür, dass die Kinder und Jugendlichen der Kirche fernbleiben. Festzuhalten ist, dass hinter den ungestümen Forderungen nach einer aufgeklärten Sexualmoral, die faktisch eine totale Umkehrung ihrer Normen darstellt, womit man den moralischen Zusammenbruch intellektuell oder besser: ideologisch rechtfertigen will, die Strategie des Wassermannes steht. Die isolierte sexuelle Lust, wie immer sie sich darstellt, avanciert da zum höchsten existentiellen Wert. Vielfach füllt sie das religiöse Vakuum aus und tritt an die Stelle der religiösen Überzeugung, an die Stelle der Glaubenstheorie und der Glaubenspraxis. Entlarvend sind hier die Sex-Skandale in der Kirche der 188 Vereinigten Staaten, die vor einigen Jahren die Öffentlichkeit erschütterten, inzwischen in weiteren Ländern offenkundig geworden sind und vermarktet werden, die letztlich eine Konsequenz der inneren Entwicklung hin zu einem vielleicht noch ein wenig christlich gefärbten Agnostizismus sind. Dass man an diesen innerkirchlichen Sex-Skandalen in der Öffentlichkeit Anstoß nimmt, ist eigentlich inkonsequent, es sei denn, man versteht dieses Faktum nicht als Teil einer Strategie der Zerstörung der Kirche371. Ein neues Frauenbild Dem geschilderten Desaster liegt ein neues Familien- und Frauenbild zugrunde, wie es durch die derzeitige Politik von Angela Merkel und Ursula von der Leyen forciert wird, wenn dieses neue Familien- und Frauenbild nicht gar eine Frucht des geschilderten Desasters ist. Das Desaster wird in jedem Fall durch diese Politik gefördert. Bezeichnend ist, dass sich hier die Vertreter einer christlich firmierenden Partei völlig einig sind mit den Sozialdemokraten. Um nur einen Punkt herauszugreifen: Statt den Müttern ein Erziehungsgeld zu zahlen, fördert man deren Erwerbstätigkeit und schafft ein flächendeckendes System von Kinderkrippen, das weit mehr Geld verschlingt als das Erziehungsgeld für Mütter verschlingen würde. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass hier der Totalitarismus der sozialistischen so genannten Deutschen Demokratischen Republik ein neues Betätigungsfeld gefunden hat. Hier will man nicht wahrhaben, dass die elterliche Erziehungsarbeit in jedem Fall billiger ist als die „Erziehungsarbeit“ der Erzieherinnen in den Kinderkrippen, ganz abgesehen davon, dass die Kinderkrippen mit Sicherheit ein weites Feld für die Ideologisierung der Kinder darstellen. Schlimm ist dabei, dass das Kollektiv der Kinderkrippe, des sich anschließenden Kindergartens und der dann folgenden 371 Joseph Schumacher, Esoterik - Die Religion des Übersinnlichen. Eine Orientierungshilfe nicht nur für Christen, Paderborn 1994, 264 - 276. 189 Ganztagesschule die Kinder und Jugendlichen kollektivieren und den Raum ihrer Begegnung mit den Eltern immer mehr einengen. Möglicherweise kommt die Einsicht erst dann, wenn die Entwicklung irreversibel geworden ist. Die Europäische Union (EU) im Dienst der Ideologie des „Neuen Zeitalters“ Was die Zerstörung von Ehe und Familie angeht, spielen heute auch die Europäische Union und das Europa-Parlament eine unrühmliche Rolle, sofern sie die Frauenarbeit fördern, die Abtreibung, die künstliche Familienplanung, die embryonale Stammzellenforschung, die künstliche Befruchtung und die Homosexualität. Abtreibung wird hier als wichtiges Thema der Volksgesundheit und der Rechte der Frau verstanden. In diesem Kontext steht auch die Förderung der Embryonen-Selektion durch das Europa-Parlament, der künstlichen Erzeugung von Menschen „in vitro“ sowie der genetischen Auslese der Menschen und der Eugenik. Nüchtern betrachtet, erkennt man hier eindeutig totalitäre Tendenzen. Es ist nur konsequent, wenn man die Ehe hier weithin als eine von vielen Lebensgemeinschaften versteht und die Sonderstellung, die sie gemäß dem Willen des Schöpfers einnimmt, faktisch leugnet, wenn man davon ausgeht, dass überall da Familie ist, wo Kinder sind, und dass sich heute legitim verschiedene Modelle des Zusammenlebens gebildet haben. Ehe und Familie im Schöpfungsplan Gottes Man stellt sich damit indessen gegen die unvoreingenommene Vernunft und gegen die Heilige Schrift. Welch eine andere Bestimmung sollte die geschlechtliche Differenzierung des Menschen haben als die von Ehe und Familie? Im Buch Genesis lesen wir: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; 190 als Abbild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie“372. Der Auftrag Gottes an die ersten Menschen lautet: „Seid fruchtbar und vermehret euch …“373. Ehe und Familie sind nicht eine Erfindung des menschlichen Geistes, sie entsprechen vielmehr dem Plan des Schöpfers, sind von daher in der Vernunft des Menschen und in der göttlichen Offenbarung verankert, damit aber der Beliebigkeit unseres Handelns und Gestaltens entzogen. Nach dem Zeugnis der Bibel sollen sich Mann und Frau als Abbild des Schöpfergottes erkennen und ihren Ehebund in Analogie des Bundes Gottes mit seinem Volk bzw. Christi mit seiner Kirche verstehen. Darin ist bereits die Unauflöslichkeit der Ehe enthalten sowie die Monogamie und die Fruchtbarkeit der ehelichen Liebe, ist doch auch der Bund Gottes mit seinem Volk irreversibel und als Zweierbündnis auf Fruchtbarkeit hin finalisiert. Die Unauflöslichkeit der Ehe wie auch die Einehe und die Fruchtbarkeit der Ehe werden heute, eigentlich schon seit geraumer Zeit, indessen grundlegend in Frage gestellt. Die Ehescheidung ist zu einem Massenphänomen geworden. Die Gesetzgebung der Länder erleichtert sie auf der ganzen Linie und die Massenmedien banalisieren sie. Vorangetrieben wird diese Entwicklung nicht zuletzt auch durch die Normativität des Faktischen. Immer mehr gilt eine lebenslange Ehe als Illusion. Die „Ehe auf Probe“, die „Lebensabschnitts-Partnerschaften“ und die „Wochenend-Partnerschaften“, in denen es keinerlei rechtliche und moralische Verbindlichkeit gibt, werden mehr und mehr als normal angesehen. Viele Ehen werden heute auch geschlossen mit dem Vorbehalt, dass man sich gegebenenfalls wieder trennen kann, was freilich im Hinblick auf das Sakrament der Ehe eine irritierende Wirkung hat. 372 Gen 1, 27. 373 Gen 1, 28. 191 Die Ehe wird heute vielfach als solche nicht mehr gewollt. Viele ziehen zusammen, ohne zu heiraten, und verhindern die Fruchtbarkeit. Und wo man noch heiratet, da hält man nicht viel von der Fruchtbarkeit. 14,5 Millionen Deutsche leben allein, 37% der Haushalte in Deutschland sind Single-Haushalte, 33,8% sind Zwei-Personen-Haushalte. Die Familien oder Paare mit mindestens einem Kind bilden weniger als 30% der Haushalte in Deutschland. Die Folge davon ist eine stark individualisierte Gesellschaft mit den entsprechenden Bedürfnissen, Interessen, Ansprüchen und Zielen. Faktisch ist eine mehrköpfige Familie dank unserer fragwürdigen Familienpolitik der einfachste Weg, sich selbst zu ruinieren. Die öffentliche Herabsetzung der Nur-Hausfrau ist eine Tragödie. Die sozialen und ökonomischen Konsequenzen dieser Situation sind fatal. Hier ist auch an die künstliche Erschwerung der Adoption zu erinnern. Das muss gesehen werden im Zusammenhang mit der Verhütungsmentalität und der grundlegenden Zerstörung von Ehe und Familie. Gerade im Blick auf Ehe und Familie erkennen wir, wie krank unsere Gesellschaft ist374. Folgen des Verfalls von Ehe und Familie Wie chaotisch die Wertung der Ehe in der Gegenwart auch in der Kirche sich darstellt, geht aus einer Notiz des Internet hervor, in der darauf hingewiesen wird, dass der Jugendseelsorger der Diözese Feldkirch in Vorarlberg, ein Herr von 70 Jahren, namens Elmar Simma, in einem Interview festgestellt habe, die Unterscheidung zwischen natürlicher und künstlicher Empfängnis-Verhütung sei nicht mehr haltbar, ebenso wenig die Unterscheidung vor der Ehe und nach der 374 Vgl. auch Stefan Baier, Kinder arm und lebensmüde, in: Schweizerisches Katholisches Sonntagsblatt 13, 2009 (vom 28. Juni 2009). 192 Ehe, man müsse in diesem Bereich weiterdenken, das gälte speziell auch für den Gebrauch von Kondomen. Auf die Frage des Interviewers, ob sein Bischof auch so denke, habe er geantwortet, das interessiere ihn nicht. Schließlich habe der Interviewte noch erklärt, wegen seiner individuellen Position hinsichtlich von Ehe und Familie verteile er auch Kondome, er tue das allerdings über eine Organisation375. Sollte die Information nicht der Wahrheit entsprechen, ist sie jedoch nicht untypisch, in jedem Fall aber extrem destruktiv. Hinsichtlich der verbreiteten Verachtung der Ehe als Institution sei hier auf das Verhältnis des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre (+ 1980) zu seiner „Lebensgefährtin“ Simone de Beauvoir (+ 1986) hingewiesen, das Schule gemacht hat und weiterhin Schule macht. In ihm plädierte Sartre für die „freie Treue“. Damit wollte er Simone suggerieren, dass sie beide zwar zusammengehörten, dass ihre Treue jedoch nicht zu einer Fessel werden dürfe, weshalb er sich in seiner „freien Treue“ immer wieder neben seinem Verhältnis zu Simone Liebschaften zuerkannte. Dabei ist die ablehnende Haltung der Beiden zum Kind, im Grunde genommen aber auch zueinander, ganz bezeichnend. In einem Interview erklärte Simone de Beauvoir einst: „Meine Beziehung zu Sartre war solcher Art - auf einer intellektuellen Basis und nicht auf einer institutionellen und was auch immer -, dass ich nie den Wunsch nach einem Kind hatte. Ich hatte keine große Lust, eine Reproduktion von Sartre zu haben - mir genügte er selbst - und auch keine Lust, eine Reproduktion von mir zu haben: ich genügte mir“376. Verhängnisvolle Auswirkungen der „Königsteiner Erklärung“ 375 376 Kreuz.net vom 16. Juli 2009. Vgl. Karl Simpfendörfer, Verlust der Liebe, Stein am Rhein 1990, 25 ff.; vgl. Anton Ziegenaus, Die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramentenlehre, Aachen 2003, 538. 193 Eine unheilvolle Rolle spielt hier auch die sogenannte Königsteiner Erklärung des deutschen Episkopates, wodurch die Enzyklika „Humanae Vitae“ aus dem Jahre 1968 unterlaufen wurde. Damals begann die Selbstzerstörung der Autorität in der Kirche auf höchster Ebene. Die Bischöfe kündigten dem Papst den Gehorsam auf und stellten dessen Norm dem persönlichen Gewissen anheim. Die negativen Folgen dieser Aktion sind gar nicht hoch genug einzuschätzen, nicht nur im Hinblick auf die Ehe und die Familie und die Weitergabe des Lebens, auch und vor allem im Hinblick auf die Lehre vom Gewissen. Die Bischöfe meinten damals, der Papst werde der Lebenswirklichkeit von heute nicht gerecht. Dabei übersahen sie, dass zu keiner Zeit die moralischen Normen der Kirche von dem Gros der Menschen bejubelt wurden. Zudem: Die Wahrheit ist doch unabhängig von ihrer Akzeptanz. Demgegenüber richtet sich die Pastoral heute de facto weithin nach den Marktgesetzen, im protestantischen Raum schon länger, seit geraumer Zeit mehr und mehr auch im Raum des Katholischen. Zementiert wurde die Königsteiner Erklärung durch den II. Band des Katholischen Erwachsenen-Katechismus, der im Jahre 1995 von der Deutschen Bischofskonferenz herausgegeben wurde377. Deutlich tritt hier an die Stelle der Normativität des Lehramtes der Kirche die „Bildung eines selbständigen Gewissens“378. Natürlich gilt, dass niemand verpflichtet werden kann, gegen den Spruch seines Gewissens zu handeln, wenn er etwa guten Gewissens zu der Überzeugung gelangt, die vom Lehramt verkündete Handlungsnorm sei in sich schlecht. Das ist jedoch ein Grenzfall. Normalerweise darf sich der Katholik nicht auf sein Gewissen berufen, um von der Norm der Kirche abzuweichen. Rückt man von dieser Überzeugung ab, wird aus der lehramtlichen Norm nicht mehr als eine beachtenswerte, in die Urteilsbildung einzubeziehende Anweisung 377 Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bd. II: Leben aus dem Glauben, Hrsg. von der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburg i. Br. 1995. 378 Ebd., 127 ff; vgl. Giovanni B. Sala, Kontroverse Theologie, Ausgewählte theologische Schriften, Bonn 2005, 142 - 154. 194 für den Einzelnen, womit das Lehramt grundsätzlich unterminiert und die Lehre vom Gewissen zur Beliebigkeit des moralischen Handelns geführt wird. Faktisch wird dann der Einzelne zum Richter über das Lehramt erhoben. Demgegenüber erklärt Papst Johannes Paul II. in einer Ansprache am 12. November 1988: „Da das Lehramt der Kirche von Christus dem Herrn eingesetzt worden ist, um das Gewissen zu erleuchten, bedeutet die Berufung auf dieses Gewissen, gerade um die vom Lehramt verkündete Lehre zu bestreiten, eine Ablehnung der katholischen Auffassung vom Lehramt als auch vom sittlichen Gewissen“379. In der Instruktion über die kirchliche Berufung des kirchlichen Theologen schreibt die Kongregation für die Glaubenslehre im Jahre 1990: „Dem Lehramt der Kirche ein oberstes Lehramt des Gewissens entgegenstellen heißt, den Grundsatz der freien Prüfung vertreten, was aber mit der Entfaltung der Offenbarung und ihrer Weitergabe in der Kirche … unvereinbar ist. Die Glaubensaussagen sind nämlich nicht das Ergebnis einer rein individuellen Forschung und freien Kritik des Wortes Gottes, sie bilden vielmehr ein kirchliches Erbe. Wenn man sich von den Hirten trennt, die die apostolische Überlieferung lebendig halten, setzt man die Verbindung mit Christus unwiderruflich aufs Spiel“380. Abgesehen davon, dass die Königsteiner Erklärung ein Affront gegen eine verbindliche Glaubenslehre ist, wie sie von Papst Paul VI. bezeugt worden ist in seiner Enzyklika, untergraben die Bischöfe mit ihr die Autorität, die sie selber vertreten und für die sie einstehen müssen kraft ihres Amtes. 379 Papst Johannes Paul II., Ansprache vom 12. September 1988; vgl. Giovanni B. Sala, Kontroverse Theologie, Ausgewählte theologische Schriften, Bonn 2005, 154. 380 Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen vom 24. Mai 1990, Nr. 38; vgl. auch Giovanni B. Sala, Kontroverse Theologie, Ausgewählte theologische Schriften, Bonn 2005, 154. 195 Humanisierung der menschlichen Geschlechtlichkeit Gegenüber den zahlreichen verheerenden Irrtümern über Ehe und Familie sowie gegenüber deren Verfall, der weithin künstlich herbeigeführt ist, zumindest gefördert wird, sagt uns die Vernunft und die Offenbarung bestätigt es uns, dass die Dualität der Geschlechter und die Sexualität auf die Ehe und die Familie hin finalisiert sind und dass die kulturelle Ausgestaltung der Geschlechtlichkeit ein wesentliches Element des Menschseins ist. Die geschlechtliche Differenzierung der Menschen hat ihre Bestimmung in der Ehe, die ihrerseits auf die Familie hin ausgerichtet ist. In der Ehe und in der Familie wird sie humanisiert. Erfolgt diese Humanisierung nicht, kann es keine Zukunft geben für die Menschheit. In der Förderung von Ehe und Familie geht es letzten Endes um die Rettung des Menschen im Menschen. Unter dem Aspekt der Humanisierung der Geschlechtlichkeit haben Ehe und Familie in allen Kulturen einen hohen Stellenwert. In sterbenden Kulturen unterliegen sie einem Verfallsprozess. Die Kulturen sterben, wo immer Ehe und Familie verachtet werden, und wo immer Ehe und Familie missachtet werden, da sterben die Kulturen. Eine Gesellschaft, die Ehe und Familie missachtet, sägt den Ast ab, auf dem sie sitzt, das gilt schon rein soziologisch. Eine Gesellschaft, in der keine Kinder mehr geboren werden und in der die Ehescheidungen immer häufiger werden oder in der überhaupt keine Ehen mehr geschlossen werden und in der die monogame Ehe nicht mehr geschätzt oder unterlaufen wird, sollte sich auf einen fatalen Untergang vorbereiten. De facto kann man heute das Sakrament der Ehe wie auch die Institution der Ehe verachten, sexuelle Promiskuität und gar widernatürliche Sexualität 196 vertreten und dennoch in der Gesellschaft als ein Ehrenmann gelten und hohe Ämter erlangen381. Dennoch ahnen es auch heute noch viele, für deren Denken und Handeln die Ehe unter dem Einfluss der Massenmedien banal und zum Symbol eines hoffnungslos antiquierten Denkens und Empfindens geworden ist, unterschwellig, dass der Ehestand wie auch der Eintritt in ihn etwas zutiefst Geheimnisvolles ist, dass der Ehestand und das, was mit ihm zusammenhängt, die Kategorien dieser unserer sinnenhaften Welt überschreiten, transzendieren. Deshalb sehnen sich nicht wenige junge Menschen im Grunde nach einer idealen Ehe, die etwas ganz anderes ist als egoistische Triebbefriedigung, die nicht zuletzt auch eine religiöse Wirklichkeit ist, wie uns das schließlich alle Religionen bestätigen. Die Ehe als Sakrament Der katholische Christ versteht die Ehe als ein Sakrament. – Ein Sakrament ist eine sichtbare Handlung, die auf Grund ihrer Einsetzung durch Christus eine unsichtbare Wirkung zeitigt. Im Sakrament verleiblicht sich die unsichtbare Gnade in sichtbaren Zeichen. In ihm wird Göttliches durch Menschliches bewirkt. Dank seiner Zusage handelt Gott in ihm unbedingt und objektiv, vorausgesetzt, dass das entsprechende äußere Zeichen in der rechten Absicht gesetzt wird. Mit anderen Worten: Sakramente sind gnadenwirkende Zeichen, die unabhängig vom Menschen wirksam werden durch das direkte Eingreifen Gottes, der sich dabei jedoch instrumentaliter, werkzeuglich, des Spenders und des sakramentalen Zeichens bedient. In der katholischen Kirche gibt es sieben Sakramente. So entspricht es der altkirchlichen Überlieferung. Die orthodoxen 381 Theodor Schnitzler, Was die Sakramente bedeuten. Hilfen zu einer neuen Erfahrung, Freiburg 1981, 201. 197 Gemeinschaften haben die Siebenzahl der Sakramente bewahrt, die reformatorischen Gemeinschaften haben sie auf zwei reduziert. Letztere haben dabei allerdings im Allgemeinen ein neues Sakramentsverständnis entwickelt und die sakramentale Struktur der Kirche oder ihre gottmenschliche Beschaffenheit als solche in Frage gestellt, wenngleich sie zuweilen, inkonsequenterweise, gewisse sakramentale Strukturen noch gelten lassen. In der sakramentalen Struktur der Kirche oder in ihrer gottmenschlichen Beschaffenheit erkennen wir die inkarnatorische Struktur des Heiles, die grundgelegt ist in der Menschwerdung der zweiten Person des dreifaltigen Gottes. Im Sakrament der Ehe wird das „Leibliche … transparent und Mittel für das von Christus geschenkte Heil“382. Wie sich infolge der inkarnatorischen Struktur des Heiles die Gnade durchgehend mit der materiellen Sinnenwelt verbindet, so geschieht das auch im Sakrament der Ehe. Eine dauernde und ungeteilte und unteilbare Lebensgemeinschaft Der Begriff „Ehe“ leitet sich her von dem althochdeutschen „ewa“, das soviel bedeutet wie Vertrag oder dauerndes Gesetz. Das Wort „ewa“ begegnet uns auch in dem Wort „Ewigkeit“. Demgemäß ist die Ehe die dauernde, ungeteilte und unteilbare Lebensgemeinschaft von Mann und Frau mit dem Zweck der gegenseitigen Hilfeleistung und Ergänzung, der Weitergabe des Lebens und der Aufgabe, das geschlechtliche Tun in geordnete Bahnen zu lenken und in geordneten Bahnen zu halten. Die Grundlage und die bewirkende Ursache der Ehe ist der gegenseitige Ehe-Wille, der bei der Eheschließung im Ja zum Ehevertrag zum Ausdruck gebracht werden muss. 382 Anton Ziegenaus, Die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramentenlehre, Aachen 2003, 534. 198 Das Alte Testament berichtet von der Einsetzung der Ehe bereits im Paradies, wenn es im 2. Kapitel des Buches Genesis erzählt, wie Gott dem ersten Menschen eine Gehilfin erschaffen hat383. Aber zuvor schon heißt es: „Gott schuf den Menschen nach seinem Abbild, nach Gottes Bild schuf er ihn, als männlich und weiblich erschuf er sie; und Gott segnete sie und sprach: Pflanzt euch fort und vermehrt euch“384. Als Natur-Ehe nahm Gott die Ehe bereits in besonderer Weise in seine Obhut. Umso mehr geschah das, als die Ehe im Neuen Testament durch Christus zu einem Sakrament erhoben wurde. Darauf bezieht sich Paulus im Epheserbrief, wenn er erklärt, die Ehe sei ein großes Geheimnis wegen ihrer „Beziehung zu Christus und seiner Kirche“, und wenn er daraus folgert, dass jeder seine Frau wie sich selbst lieben und dass die Frau ihren Mann ehren soll385. Wenige Zeilen zuvor sagt der Apostel das Gleiche mit anderen Worten, wenn es da heißt: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie dahingegeben hat, um sie zu heiligen. … So sollen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Niemand hat je sein eigenes Fleisch gehasst, sondern man hegt und pflegt es. So macht es auch Christus mit seiner Kirche, weil wir die Glieder seines Leibes sind“386. Die Vermählung Christi mit seiner Kirche Als Sakrament ist die Ehe ein Sinnbild der Verbindung Christi mit seiner Kirche. Daher leuchtet in der christlichen Ehe das Geheimnis der Vermählung Christi mit seiner Kirche auf. Um es genauer zu sagen: Die sakramentale Ehe 383 384 Gen 2, 18 - 25. Gen 1, 27 f. 385 Eph 5, 32 f. 386 Eph 5, 25 199 weist zurück auf die Vermählung Christi mit der sichtbaren Gemeinschaft der Erlösten, die gleichsam aus seiner Seitenwunde hervorgegangen ist, und sie weist voraus auf die Vermählung der Vollendeten mit Gott in der kommenden Welt oder im ewigen Leben. Die Heilige Schrift spricht hier von der Hochzeit des Lammes. Einerseits ist die christliche Ehe ein Bild des Liebesbundes Christi mit seiner Kirche und andererseits bedeutet sie Teilhabe an diesem Liebesbund387. Eine Bestätigung erhält diese Auffassung von der Ehe, wenn Christus das kommende Gottesreich, das Endziel der Erlösung, mit einem Hochzeitsmahl vergleicht und wenn ihm wiederholt der Titel „Bräutigam“ zuerkannt wird388. Gemäß der Geheimen Offenbarung des Johannes ist das neue Jerusalem, das vom Himmel herniedersteigt, „ausgestattet wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat“389. Damit wird ausgesagt, dass die Erlösung der Menschheit, die wesenhaft in dem Bund Gottes mit der Menschheit gründet, ein Werk hingebungsvoller bräutlicher Liebe ist, dass sie eine mystische Ehe ist zwischen dem Erlöser und den Erlösten390. Immer wieder begegnet uns in der Heiligen Schrift das Bild von der Ehe oder auch das Bild von der Braut und dem Bräutigam letztlich zur Bezeichnung der Erlösungswirklichkeit, wobei die Kirche die erlöste Menschheit repräsentiert als die makellose Braut des himmlischen Bräutigams Christus. Die Häufigkeit dieses Bildes in der Heiligen Schrift und sein Glanz festigen das sakramentale Fundament der christlichen Ehe. Dabei ist nicht zu übersehen, dass auch der 387 Gaudium et Spes, Nr. 48. 388 Mt 2, 19; Joh 3, 29. 389 Apk 21, 2. 390 Vgl. Leo Scheffczyk, Die Ehe als Sakrament und als Aufgabe (Vortrag als Manuskript gedruckt), S. 6 f. 200 Bund Gottes mit der erlösten Menschheit die Fruchtbarkeit zum Ziel hat, die aus der Hingabe Christi hervorgeht, der sein Leben in Freiheit geopfert hat. Die klassische Stelle für das Verständnis der Ehe als Sakrament im Epheserbrief391 beginnt mit der Mahnung: „Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“392. Das Erste ist also nicht die Unterordnung der Frau unter den Mann, sondern die wechselseitige Unterordnung des Mannes und der Frau, und zwar deshalb, weil beide unter der Herrschaft Christi stehen und die Anerkennung seines Hauptseins in der Ehe die entscheidende Unterordnung ist393. Die folgenden Ausführungen scheinen dann allerdings doch wieder eine Unterordnung der Frau unter den Mann nahezulegen, wenn es da heißt: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn, denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist … wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem ihren Männern unterordnen. Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt hat und sich für sie dahingegeben hat“394. Abschließend sagt der Verfasser des Epheserbriefes von der so beschriebenen Zuordnung von Mann und Frau in der Ehe: „Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“395. Man stößt sich heute vielfach an der hier doch ausgedrückten Unterordnung der Frau. Dazu ist jedoch zu sagen, dass die traditionelle Überordnung des Mannes über die Frau nicht das Hauptgewicht trägt. Sieht man die Verse des 391 Eph 5, 22 - 31. 392 Eph 5, 22. 393 Leo Scheffczyk, Die sakramentale Ehe als Abbild des Christus-Kirche-Verhältnisses, in: Johannes Stöhr, Hrsg., Die Familie - ein Herzensanliegen. Zur neueren Theologie der christlichen Ehe, St. Ottilien 1988, 131. 394 Eph 5, 23 - 27. 395 Eph 5, 32. 201 Epheserbriefes in ihrem Kontext, muss man feststellen, dass Paulus dem Mann keineswegs eine Machtstellung zuweisen will, dass er ihn vielmehr zu einer spezifischen Liebe gegenüber seiner Frau verpflichten will. Wenn der Apostel diese Liebe mit dem Hinweis auf den Opfertod Jesu charakterisiert, verbindet er mit ihr eine stärkere Verpflichtung zur Selbstaufgabe, als sie in dem „untertan sein“ der Frau enthalten ist396. Zudem muss man unterscheiden zwischen einer pragmatischen und einer prinzipiellen oder wesenhaften Unterordnung. Sicher ist, dass hier nicht ein naturhaftes Untertanen-Verhältnis gemeint ist, sondern eine besondere Ordnung der Liebe. „Dem Mann kommt die Hinordnung auf die Frau in der Weise des aktivinitiativen Tätigseins zu, der Frau ist dieselbe Hinordnung in der Weise der lebendigen Empfänglichkeit zu Eigen. Beim Verbleiben eines zeitgeschichtlich-soziologischen Restes der Aussage meint sie doch kein patriarchalisches Abhängigkeitsverhältnis, sondern eine Zuordnung in Analogie von Christus und Kirche, eine Analogie, die mit menschlichen Machtstrukturen nicht wesentlich zu tun hat“397. Schon als Natur-Ehe besitzt die Ehe eine hohe Würde. Diese ist aber dadurch übernatürlich erhöht worden, dass Christus die Ehe zu einem Sakrament gemacht hat, zu einem übernatürlichen Werkzeug der göttlichen Gnade erhoben hat, das seine Kraft erhält aus dem Geheimnis der Erlösung. Nicht der Priester spendet das Ehesakrament 396 Gerhard Friedrich, Sexualität und Ehe. Rückfragen an das Neue Testament, Stuttgart 1977, 93. 397 Leo Scheffczyk, Die Ehe als Sakrament und als Aufgabe (Vortrag als Manuskript gedruckt), S. 6. Vgl. auch Rudolf Schnackenburg, Die Ehe nach dem Neuen Testament, in: Gerhard Krems, Reinhard Mumm, Hrsg., Theologie der Ehe, Regensburg 21972, 28 ff; Heinrich Schlier, Der Brief an die Epheser, Düsseldorf 1957, 263 f. 202 Die sakramentale Ehe beginnt mit dem gültigen Ehevertrag, in dem Mann und Frau einander ihr Ja-Wort geben. In dem Augenblick, in dem sie den gültigen Ehevertrag schließen, spenden sie einander das Sakrament der Ehe. Die Ehe wird also bewirkt durch den wechselseitigen Konsens, der in Gegenwart beider Ehepartner durch Worte ausgedrückt wird. Durch den gültigen Ehevertrag unter Getauften wird die unsichtbare Wirklichkeit des Ehebandes hervorgebracht, das erst gelöst wird durch den Tod eines der beiden Partner. Nur eine einzige Ausnahme gibt es hier: Stets hat die Kirche sich die Vollmacht zugeschrieben, gültig geschlossene sakramentale Ehen zu scheiden, wenn sie noch nicht vollzogen wurden. Dabei hat sie diese Vollmacht seit eh und je als Teil ihrer verbindlichen Glaubensüberlieferung verstanden. Wenn die Heiratenden bei der gegenseitigen Spendung des Sakramentes der Ehe mit schwerer Sünde behaftet sind, wenn sie also in diesem Augenblick nicht im Stande der heiligmachenden Gnade sind, schließen sie, vorausgesetzt, dass die Bedingungen für eine gültige Spendung des Sakramentes erfüllt sind, zwar eine gültige Ehe, spenden und empfangen sie das Ehesakrament jedoch unwürdig und begehen damit die schwere Sünde eines Sakrilegs oder eines Gottesraubes. In einem solchen Fall können die Gnaden des Ehesakramentes erst wirksam werden, wenn beide Eheleute wieder im Stande der Gnade sind. Der Spender des Ehesakramentes ist nicht der Priester, vielmehr spenden die Heiratenden sich das Sakrament gegenseitig. Das bedeutet nicht, dass sie das Sakrament bewirken oder hervorbringen. Der eigentliche Spender des Sakramentes ist immer Christus. Das gilt für alle Sakramente. Der menschliche Spender kann immer nur als Werkzeug Christi fungieren. Das Ehesakrament ist, nicht anders als das Sakrament der Priesterweihe, ein fortdauerndes, ein permanentes Sakrament, das heißt: eine bleibende Gnadenquelle, zeitlebens, solange das Sakrament besteht. Darauf verweist das 203 II. Vatikanische Konzil mit Nachdruck, wenn es feststellt: „Er (Christus) bleibt fernerhin bei ihnen (bei den Ehegatten), damit die Gatten sich in gegenseitiger Hingabe und ständiger Treue lieben, so wie er selbst die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat (vgl. Eph 5, 25)“398. Zum Ehestand berufen Die große Mehrheit der Menschen ist von Gott zum Ehestand berufen. Aber die Ehe verpflichtet nicht den Einzelnen. Er hat stets das Recht, die Ehelosigkeit zu wählen, wenn er entsprechende Gründe dafür hat. Papst Leo XIII. erklärt in seiner berühmten Enzyklika „Rerum novarum“ im Jahre 1891: „In Bezug auf die Wahl des Lebensstandes ist es der Freiheit eines jeden anheim gegeben, entweder den Rat des Herrn zum enthaltsamen Leben zu befolgen oder in den Ehestand zu treten. Kein menschliches Gesetz darf den Menschen das natürliche und angeborene Recht zur Verehelichung nehmen“399. Manche heiraten nicht, weil sie sich physisch oder psychisch dazu nicht in der Lage fühlen oder weil sie nicht den rechten Partner gefunden haben und lieber nicht heiraten wollen, als sich und andere unglücklich zu machen. Das ist zu respektieren. Solche Überlegungen zeugen von einem hohen Ethos und von großem Verantwortungsbewusstsein. Andere verzichten auf die Ehe, weil sie sich ganz in den Dienst eines hilfsbedürftigen Menschen oder vieler hilfsbedürftiger Menschen stellen wollen oder weil sie für eine große Idee leben wollen, die ihren totalen Einsatz verlangt. Dazu ist ein hochherziger Charakter vonnöten. Einige wenige aber sind berufen, um des Himmelreiches willen auf die Ehe zu verzichten. Eine solche Berufung ist Gnade, sie ist eine besondere Gabe Gottes. Als solche muss sie angenommen werden von dem Berufenen, wie Maria, die Mutter Jesu, die Gnade ihrer Berufung angenommen hat. 398 Gaudium et spes, Nr. 48. 399 Leo XIII., Enzyklika „Rerum novarum“ von 1891, Nr. 9. 204 Die Ehen nichtkatholischer Christen Die Ehen andersgläubiger Christen sind nicht nur rechtmäßige Verbindungen, sondern auch sakramentale Ehen, vorausgesetzt, dass keine trennenden Ehehindernisse vorlagen bei der Eheschließung und dass bei ihr kein Vorbehalt gemacht wurde gegen die drei Wesensmerkmale der christlichen Ehe, gegen ihre Fruchtbarkeit, gegen ihre Einheit und gegen ihre Unauflöslichkeit. Dabei sind die andersgläubigen Christen nicht an eine bestimmte Form der Eheschließung gebunden. Konkret bedeutet das: Wenn ein Katholik eine geschiedene Protestantin heiraten möchte, kann er mit ihr keine gültige und somit keine sakramentale Ehe eingehen. Davon ist jedenfalls auszugehen. Wird ein solcher Fall konkret, muss gewissenhaft geprüft werden, ob die vorausgehende Ehe der Protestantin eine gültige sakramentale Ehe gewesen ist. Nichtkatholische Christen können die Ehe in jedweder Form gültig schließen, privatim oder vor dem Standesamt oder vor dem Pfarrer, vorausgesetzt dass kein trennendes Ehehindernis vorliegt und dass, wie gesagt, kein Vorbehalt gegen eine der drei Wesenseigentümlichkeiten der Ehe gemacht wird. Die Katholiken sind demgegenüber in der Regel an eine spezifische Form der Eheschließung gebunden, sofern sie nur vor einem Pfarrer und zwei Zeugen eine gültige Ehe eingehen können. Vorausgesetzt ist dabei, dass der Pfarrer Trauvollmacht hat und dass die Bedingungen für eine gültige Eheschließung geprüft und im Protokoll des Brautexamens niedergelegt worden sind. Eine Bedingung für die erlaubte Assistenz des Pfarrers ist seine Zuständigkeit, die ihrerseits zu seiner Trauvollmacht hinzutritt. An die Stelle des Pfarrers kann auch ein Vikar treten oder ein Diakon, unter Umständen gar auch ein Pastoralassistent oder -referent. In all diesen Fällen muss allerdings eine Delegation erfolgen durch einen Pfarrer, der Trauvollmacht hat. 205 In der Regel besteht für Katholiken, die heiraten möchten, die kanonische Formpflicht. Von dieser können sie jedoch in einem konkreten Fall auf Antrag des zuständigen Pfarrers durch den Bischof befreit werden. Dann gilt für sie im Einzelfall das, was für nichtkatholische Christen allgemein gilt. Ein Sonderfall sind die ökumenischen Trauungen, bei denen die Vertreter zweier Konfessionen tätig werden. Auf sie soll hier nicht eingegangen werden, zumal sie sich angesichts der Möglichkeit des katholischen Teils, sich von der Formpflicht befreien zu lassen, eigentlich erübrigen und einen übermäßigen Aufwand darstellen. Die Ehen der Nichtgetauften Die Ehen der Nichtgetauften sind rechtmäßige und Gott wohlgefällige Verbindungen, wenngleich ihnen der sakramentale Charakter fehlt. Wir sprechen hier von Natur-Ehen. Auch sie sind in den Augen der Kirche unauflöslich und an das Gesetz der Einehe gebunden sowie an die Fruchtbarkeit, wenngleich hier unter Umständen eine Scheidung durch die Kirche ausgesprochen werden kann, etwa dann, wenn der eine Partner das Sakrament der Taufe empfängt und der andere dem Getauften das christliche Leben unmöglich zu machen droht. In dem Fall gewährt die Kirche das so genannte „privilegium Paulinum in favorem fidei“, wie es im Kirchenrecht heißt, zu Deutsch „das paulinische Privileg zugunsten (oder zum Schutz) des Glaubens“. Das dreifache Gut der sakramentalen Ehe Das Gut der sakramentalen Ehe ist ein Dreifaches: Das Erste ist die Fruchtbarkeit der ehelichen Liebe, der zu empfangende Nachwuchs, der zum 206 Dienst vor Gott erzogen werden soll. Das Zweite ist die Treue, die ein Gatte dem anderen zu wahren verpflichtet ist, sie folgt aus der Treue Christi zu seiner Kirche. Das Dritte ist die Unzertrennlichkeit der Ehe, weil sie die unzertrennliche Verbindung Christi und der Kirche darstellt. Objektiv ist die Ehe auf die Erzeugung und Erziehung der Nachkommenschaft hingeordnet, subjektiv auf die gegenseitige Hilfe der Ehegatten in gesamtmenschlicher Hinsicht. Darunter fällt dann auch ein geordneter und disziplinierter Umgang mit dem Sexualtrieb. Mann und Frau ergänzen einander in vieler Hinsicht. Schon von daher können sie gemeinsam die Unannehmlichkeiten des Lebens leichter ertragen und die Annehmlichkeiten des Lebens tiefer erfahren. Thomas von Aquin nennt die eheliche Verbindung unter Christen „maxima amicitia“, die höchste Gestalt der Freundschaft400, weil sie in einzigartiger Weise den ganzen Menschen umfasst, sofern er leiblich, seelisch und geistig strukturiert ist, weil sie eine Gemeinschaft des Leibes, des Lebens und der Gnade ist und weil sie von einer Liebe getragen wird, die nicht nur geistig fruchtbar ist, sondern in der Nachkommenschaft auch leibliche Gestalt annimmt. Die christliche Ehe: Liebesgemeinschaft und Christusgemeinschaft Die Ehe ist Liebesgemeinschaft. Das bedeutet, dass zwei Menschen durch unwiderrufliches Wohlwollen einander zugeordnet sind. Der Grundakt der Liebe ist die Bejahung. Von daher ruht die Liebe zunächst in der Erkenntnis. In der Gestalt der ehelichen Liebe richtet sich die Bejahung auf die Person als solche, nicht auf bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten oder äußere Mittel des Partners. Als personale Liebe nimmt sie das weniger Positive oder das Negative 400 Thomas von Aquin, Summa Contra Gentiles, Buch 3, Kap. 123. 207 des Partners in Kauf. Idealiter wächst sie im Laufe der Ehejahre mit der fortschreitenden Erkenntnis des Partners, um im Alter ihren Zenit zu erreichen. Das entscheidende Ferment der christlichen Ehe ist die Liebe, die natürliche Liebe der Ehegatten, die durch die Gnade des Sakramentes vervollkommnet wird. Die christliche Ehe hat die Liebe zur Voraussetzung und zugleich ist sie der Ort, in dem die Liebe gelernt wird. Auf der Grundlage des Ehesakramentes ist die Liebesgemeinschaft der Ehe zugleich Christusgemeinschaft. Das bedeutet, dass sich das Zweierbündnis der sakramentalen Ehe zu einem Dreierbündnis ausweitet. In der sakramentalen Ehe werden Mann und Frau mit Christus vereinigt. Diese Wirklichkeit schafft das Sakrament zusammen mit den Ehegatten. Das geschieht nicht einmal, sondern immerfort. Wir müssen das Sakrament der Ehe als Prozess verstehen. Es handelt sich hier um ein permanentes Sakrament, das so lange fortdauert, wie das Eheband besteht. Die eheliche Liebe verbindet die Eheleute zu einer Einheit, die auf Erden ihresgleichen nicht hat. Auch die Mutterliebe reicht nicht heran an die Gattenliebe. Das gilt natürlich nur idealer Weise, die Praxis sieht hier oft sehr viel anders aus. Das Specificum der ehelichen Liebe ist, dass sie konkrete Gestalt erhält im Kind bzw. in den Kindern. Die Kinder sind die Frucht der Liebe, die die Eheleute einander schenken. Darum binden sie die Eheleute enger zusammen, währenddessen sie ihrerseits am besten gedeihen und für das Leben vorbereitet werden, wenn sie im Raum der Liebe der Ehegatten Geborgenheit finden und heranwachsen können. In den Kindern erkennen sich die Eheleute in je neuer Weise, sofern diese jeweils zugleich das Antlitz des Ehegatten und das eigene Antlitz tragen. In der Fruchtbarkeit der Ehe tritt in besonderer Weise die Geheimnishaftigkeit dieser Institution hervor. Zugleich macht die Fruchtbarkeit die Ehe aufs Äußerste verletzlich. Denn das Schicksal der Kinder ist untrennbar 208 mit der Treue und der Liebe der Ehegatten verbunden, weshalb die Kinder die eigentlichen Opfer der Ehescheidung sind. Indem sich die sakramentale Ehe zur Familie ausweitet, wird sie zu einer Kirche im Kleinen, wirken die Ehegatten doch in der Fruchtbarkeit ihrer Liebe mit am Schöpfungswerk Gottes sowie am Werk der Erlösung und damit am Aufbau des Gottesreiches in der Welt. Ist schon die Liebe der Ehegatten zueinander ein Geheimnis, ein noch größeres Geheimnis ist die Fruchtbarkeit dieser Liebe, sofern aus ihr neues Leben hervorgeht. Dabei ist freilich zu bedenken, dass die Liebe immer irgendwie schöpferisch ist, da ja alles, was ist, ein Produkt der Liebe Gottes ist: Aus Liebe hat Gott die Welt und den Menschen geschaffen. An dieser seiner schöpferischen Liebe hat er dem Menschen in je verschiedener Weise Anteil gegeben. Das gilt in spezifischer Weise für die eheliche Liebe. Missachtung der Fruchtbarkeit Die fruchtbare eheliche Liebe wird heute weithin nicht mehr als ein Wert angesehen. Die Welt wäre jedoch ärmer ohne Albrecht Dürer (+ 1528), William Shakespeare (+ 1616), Johann Sebastian Bach (+ 1750), Wolfgang Amadeus Mozart (+ 1791) Friedrich Schiller (+ 1805) und Johann Wolfgang von Goethe (+ 1832). Sie verdanken ihre Existenz Vätern und Müttern, die in ihrer Ehe ein fünftes, achtes, zehntes und zwölftes Ja zum Leben gesprochen haben. Wir sprechen von dem Kindersegen. Je mehr Kinder, umso mehr Segen Gottes. Der selige Kardinal von Galen (+ 1946) pflegte zu sagen: „Ich bin das elfte Kind in unserer Familie und ich will es ewig meiner Mutter danken, dass sie den Mut hatte, auch zu dem elften Kind, das Gott ihr anbot, noch ein Ja zu sagen“. Oftmals haben die späteren Kinder größere Begabungen, sind sie seelisch und 209 körperlich ausgeglichener und leisten sie mehr im Leben. Nicht selten wird das ungewollte Kind zum Sonnenschein des Lebens. Die meisten Priester und Ordensleute stammen aus kinderreichen Familien401. Die hohe Wertung der Ehe in der Kirche Stets hat die Kirche die Ehe als in sich gut verstanden, als eine Stiftung Gottes, die Christus gar zu einem Sakrament, zu einem gnadenwirkenden Zeichen erhoben hat. Es ist abwegig zu behaupten, die Kirche habe den ehelichen Umgang früher als sündhaft bezeichnet, wie es des Öfteren geschieht 402. Die Tradition der Kirche ist hier eindeutig. Die Kirche hat sich im christlichen Altertum gegen die verschiedenen Formen der Gnosis, die ein negatives Verhältnis zur Schöpfung und damit auch zur Ehe hatten, zur Wehr gesetzt und ihnen kategorisch ihre positive Sicht entgegengestellt. Das gilt auch für spätere Jahrhunderte. Am Beginn der Neuzeit waren es gerade die Gemeinschaften der Reformation, die zu einer negativen Wertung der Ehe gelangten. Während Martin Luther (+ 1546) betonte, die Ursünde habe den Menschen in seiner Natur verändert, und während er in der Konkupiszenz, in der ungeordneten Begierde, das Wesen der Ursünde sah, stellte das Konzil von Trient fest, die menschliche Natur sei durch die Ursünde nicht zerstört, sondern nur verwundet, und die Konkupiszenz sei nicht das Wesen der Ursünde, sondern nur ihre Folge. Wo immer sich in der Geschichte der Kirche eine negative Sicht der Ehe zeigte, hat das Lehramt der Kirche diese als sektiererisch gekennzeichnet403. 401 Vgl. Alois Brems, Ottilie Moßhamer, Das Wort an die Jugend, Bd. I: Christus, der Weg zum Vater, Freiburg i. Br. 21951, 292 - 296. 402 So etwa in: Wolfgang Beinert, Erbsünde, in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen - Berlin - Essen - Hildesheim - Köln und Osnabrück 5, 2009, 131 - 138, bes. 133. 403 Vgl. Denzinger- Schönmetzer, Nr.Nr. 1797 - 1816. 210 Während der Katholik die Ehe in jeder Hinsicht als Gabe Gottes betrachtet, sieht der Reformator Martin Luther (+ 1546) in ihr primär eine Konzession zur „Kanalisierung der Konkupiszenz“404. Offiziell ist die Ehe für die reformatorischen Christen keine religiöse Wirklichkeit, hat sie keinerlei religiöse Bedeutung für sie. Faktisch hat sich diese jedoch auch bei ihnen durchgehalten, jedenfalls weitgehend, soweit sie noch kirchlich sozialisiert sind. Das kommt darin zum Ausdruck, dass sie auch heute noch vielfach die Ehe mit der kirchlichen Trauung beginnen und nicht selten, jedenfalls prinzipiell, von der Unauflöslichkeit der Ehe überzeugt sind. Bei Jesus gibt es auch nicht den Schatten einer negativen Sicht der Ehe, wenngleich er der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen einen höheren Rang einräumt als der Ehe. Er übernimmt die positive Sicht der Ehe, wie sie uns im Alten Testament begegnet, und überhöht sie gleichsam. Die Kirche machte sich diese positive Wertung von Anfang an zu eigen und interpretierte sie, wenn sie die sakramentale Ehe als „eine wirklichkeitserfüllte Abbildung der geheimnisvollen Christus-Kirche-Beziehung“ verstand und den Sinn der sakramentalen Ehe in „das Geheimnis des in der Kirche fortlebenden Christus“ erhob405. Demnach formt die Ehe das Ursakrament der Kirche in spezifischer Weise „in einem Teilbereich des Lebens“406 aus. Von daher nennt das II. Vatikanische Konzil die Ehe eine Hauskirche407. Die Ehe besitzt demgemäß 404 Anton Ziegenaus, Die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramentenlehre (Leo Scheffczyk, Anton Ziegenaus, Hrsg., Katholische Dogmatik, Bd. VIII) Aachen 2003, 535. Wenn die Reformatoren die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen grundsätzlich in Frage stellten, fixierten sie damit die Frau auf die Ehe und die Familie, nahmen sie ihr andere Entfaltungsmöglichkeiten, etwa in beschaulichen Orden, in der Krankenpflege, in der Erziehung oder in Damenstiften (ebd.). 405 Leo Scheffczyk, Die Ehe als Sakrament und als Aufgabe (Vortrag als Manuskript gedruckt), S. 8. 406 Ebd. 407 Lumen gentium, Nr. 11. 211 einen ekklesialen Charakter wie ihn sonst kein anderes Sakrament besitzt408. Was sich in der Kirche im Großen findet, das bildet sich in der Ehe im Kleinen ab. In dieser „Kirche im Kleinen“ sollen die Ehepartner einander heiligen. Sie sollen der Kirche neue Glieder zuführen und für diese die ersten Künder des Glaubens sein. Sie empfangen somit in ihrem Leben und in ihrem Wirken Anteil an der Sendung der Kirche und kraft des allgemeinen Priestertums Anteil am priesterlichen Amt Christi. „Die Ehe ist so zur Fortführung des Christusbundes der Erlösung in der Menschheit gestiftet und zwar in der tiefsten und intimsten natürlichen Ordnung einer Geschlechts- und Familiengemeinschaft. Sie dient damit der Fortführung der Heilswirklichkeit und dem Aufbau des Gottesreiches von den kleinsten gemeinschaftlichen Lebenszellen her“409. Verzicht um des Himmelreiches willen Man kann nicht sagen, dass die sakramentale Ehe durch die höhere Wertschätzung der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen eine Minderbewertung erhält. Eine gute Sache wird nicht abgewertet durch eine bessere. Für Paulus gilt: Heiraten ist gut, nicht heiraten ist besser 410. Die christliche Ehe ist ein Zeichen für die endzeitliche Hochzeit des Lammes, die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist die Wirklichkeit als solche. Die Wirklichkeit ist jedoch immer größer als ihre Zeichenhaftigkeit. Deshalb kann man nicht argumentieren: Die Ehe ist ein Sakrament, die Ehelosigkeit nicht. Die hohe Wertschätzung der sakramentalen Ehe bedingt die hohe Wertschätzung der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Thomas von 408 Leo Scheffczyk, Die Ehe als Sakrament und als Aufgabe (Vortrag als Manuskript gedruckt), S. 8. 409 Ebd., 8 f. 410 1 Kor 7, 6 ff. 212 Aquin zitiert den heiligen Augustinus, wenn er erklärt, dass die immerwährende Jungfräulichkeit den Menschen in ganz besonderer Weise zur Kontemplation befähigt, weil die Ehe das Sinnen und Trachten des Menschen auf das Sinnenhafte richtet, während der Verzicht darauf das Sinnen und Trachten des Menschen für das Geistige und das Geistliche öffnet411. Die Evangelien sprechen in diesem Zusammenhang von dem Weg der Vollkommenheit. Die religiöse Ehelosigkeit ist eine bedeutende Hilfe für die christlich gelebte Ehe, und sie ist eine wirksame Stütze für das Sakrament der Ehe. In gewisser Weise besteht hier eine Interdependenz. Der protestantische Philosoph und Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster (+ 1966) erklärt: „Der Zölibat ist der größte Schutz der Ehe. Warum? Weil alle sexuellen Argumente, die man gegen den Zölibat vorbringt, auch gegen die Monogamie gebraucht werden können. Ist der Zölibat eine physiologische Unmöglichkeit, so sind es auch zahlreiche Ehen, in denen die sexuellen Beziehungen aus Schonung des Lebens oder der Gesundheit der Frau auf längere Zeit oder ganz abgebrochen werden müssen oder in denen eine Reise die Gatten längere Zeit voneinander trennt“412. „Die Hochschätzung von Ehe und Familie durch Jesus steht außer Frage; aber ebenso wie er selbst ehelos lebte, hat er es auch gutgeheißen, wenn Jünger ‚um des Himmelreiches willen‘ … auf die Ehe verzichteten“413. „Ähnlich verhält sich der Apostel Paulus. Er warnt Eheleute vor einer lang andauernden geschlechtlichen Enthaltsamkeit in der Ehe, die zur Versuchung führen könnte. … Zugleich hält er das Ideal der Ehelosigkeit hoch, um ganz für den Herrn da zu sein, ihm ungeteilten Herzens zu dienen …“414. 411 Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III/II, q. 180 a. 2, ad 3; Augustinus, Soliloquium, lib. I, cap. 10. 412 Zit. nach Michael Pfliegler, Der Weg. Katholische Sittenlehre, Innsbruck 61953, 148. 413 Rudolf Schnackenburg, Die sittliche Botschaft des Neuen Testamentes, Bd. I, Freiburg 1986, 206. 414 Ebd., 207. 213 Der Verzicht auf Ehe und Familie steht auf einer objektiv höheren Stufe als das Eingehen einer Ehe und die Gründung einer Familie, es sei denn die Motive sind in sich schlecht oder verwerflich. Man muss hier allerdings unterscheiden zwischen der ontologischen und der moralischen Ebene. Der heilige Augustinus erklärt in diesem Sinne: „… Die Keuschheit der Ehelosen ist besser als die Keuschheit der Verheirateten“, fügt aber sogleich hinzu: „… Ich bin nicht besser als Abraham, sofern ich ehelos lebe“415. Und er verdeutlicht diese seine Position, wenn er in seinem Psalmenkommentar schreibt: „Besser ist die Ehe in Demut, als stolze Jungfräulichkeit“416. Man hat gesagt, die Ehelosigkeit widerstrebe als solche der Natur des Menschen. Dem ist keineswegs so. Wenn der Mensch eine große Idee hat und ganz für sie lebt, ist die Ehelosigkeit problemlos für ihn, ergibt sie sich in gewisser Weise folgerichtig aus seinem Lebensentwurf. Der Sexualtrieb ist zwar der stärkste Trieb des Menschen, aber bindet nicht den Einzelnen an seine Befriedigung. Er kann ihm entsagen, und zeitweilig muss er es gar - das lehrt ihn die Sexualmoral -, und er kann ihn sublimieren. Beispiele für Ehelosigkeit in diesem Sinne sind: Leonardo da Vinci (+ 1519), Paracelsus (+ 1541), Michelangelo (+ 1564), Blaise Pascal (+ 1662), Immanuel Kant (+ 1804) und Ludwig van Beethoven (+ 1827). Man könnte hier noch zahlreiche andere bedeutende Persönlichkeiten der Geschichte nennen, in Absehung von jenen Personen, Männern und Frauen, die aus religiösen Gründen, um des Himmelreiches willen und damit um der Menschen willen auf Ehe und Familie verzichtet haben. 415 Augustinus, De bono coniugali, 22, vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae II/II, q. 186, a. 4 ad 2. 416 Ders., In Psalmos, 99, 13 214 Es ist bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass sich die Krise der Ehe heute mit einer Krise der christlich motivierten Ehelosigkeit verbindet. Der Protest gegen die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist gleichzeitig ein Protest gegen die christliche Ehe. Die gegenwärtige Missachtung der religiösen Ehelosigkeit wie auch der christlichen Ehe steht im Kontext jener sexuellen Verwilderung, die man heute - unehrlicher Weise - gern als neue Ehemoral deklariert. Die Gültigkeit der sakramentalen Ehe Die entscheidenden Wesensmomente der sakramentalen Ehe sind die Ausrichtung auf die Nachkommenschaft, das „bonum prolis“, die eheliche Treue, das „bonum fidei“, die der Einheit der Ehe entspricht, und die unauflösliche Verbindung, das bonum sacramenti“. Fehlt eines dieser Wesensmerkmale, ist die Ehe ungültig. Thomas von Aquin erklärt: „Der Güter der Ehe, sofern sie ein Sakrament der Kirche ist, sind drei: die Kinder, die zum Dienste Gottes aufzunehmen und zu erziehen sind, die Treue, sofern ein Mann sich einer Gattin verbindet, und das Sakrament, sofern die eheliche Verbindung unauflöslich ist, zum sakramentlichen Zeichen der Vereinigung Christi und der Kirche“417. Er fährt dann fort: „Weil die Sakramente das wirken, was sie zeichenhaft bedeuten, müssen wir glauben, dass den sich Vermählenden durch dieses Sakrament jene Gnade zuteil wird, durch die sie auf die Einheit Christi und der Kirche hin ausgerichtet sind. Das aber ist aufs Höchste notwendig für sie, damit sie den Dingen des Fleisches und den irdischen Dingen auf solche Weise sich zuwenden, dass sie von Christus und der Kirche nicht getrennt werden“418. 417 418 Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles, lib. IV, cap. 78. Ebd. 215 Das Wesensmoment der Einheit der Ehe, das Wesensmoment ihrer Einpaarigkeit, findet seine Begründung in dem natürlich personalen Wesen der Partner, die sich zu einer totalen Lebens- und Liebesgemeinschaft zusammenschließen. Es geht hier um die Totalität der Hingabe, die nur in Bezug auf einen Menschen geleistet werden kann. Die Totalität der Hingabe der Ehepartner oder ihre totale Lebens- und Liebesgemeinschaft impliziert aber auch die Unauflöslichkeit ihrer Ehe. Die Unauflöslichkeit der Ehe liegt in der Konsequenz ihrer Monogamie. Das müsste eigentlich auch die Vernunft nachvollziehen können. Überhöht wird diese Erkenntnis durch die Einbeziehung der ehelichen Gemeinschaft in das Verhältnis Christi zu seiner Kirche, denn die Kirche hat nur ein Haupt und eine Trennung Christi von seiner Kirche, die sein mystischer Leib ist, ist nicht möglich419. Unauflöslich Während der moderne Mensch die Wesenseigentümlichkeit der Einheit der Ehe schließlich noch gelten lässt, fällt es ihm sehr viel schwerer, ihre Unauflöslichkeit zu akzeptieren, speziell angesichts der Tatsache, dass so viele Ehen heute scheitern. Auch unter Christen ist die Unauflöslichkeit der Ehe heute fragwürdig geworden, in den reformatorischen Gemeinschaften schon lange, aber auch in den orthodoxen Gemeinschaften und gar in der katholischen Kirche ist sie heute nicht mehr selbstverständlich. Vielfach lässt man heute im protestantischen Trau-Ritus das „bis der Tod euch scheidet“ wegfallen. Und in den orthodoxen Gemeinschaften gibt es durchweg die Möglichkeit, ein zweites Mal vor den Traualtar zu treten, wenn die erste Ehe zerbrochen ist. Es muss dann allerdings eine gewisse Zeit der Buße zwischen der Trennung und der 419 Leo Scheffczyk, Die Ehe als Sakrament und als Aufgabe (Vortrag als Manuskript gedruckt), 9 f. 216 neuen Trauung eingehalten werden. Man versteht dann die Unauflöslichkeit der Ehe als ein Zielgebot. Auch in der katholischen Kirche wird heute vielfach die Meinung vertreten, die Forderung der Unauflöslichkeit der Ehe sei unrealistisch und weltfern und aus psychologischen und soziologischen Gründen als überholt anzusehen, sie sei starr, statisch, formalistisch und anachronistisch420. Zur Begründung dieser Position sagt man dann gern, wenn die Liebe zwischen den Partnern erloschen sei, dann sei der Ehebund als personale Verbindung aufgehoben. Dagegen ist vernünftigerweise zu sagen, dass doch die Liebe neu entfacht werden kann, wenn sie einmal da gewesen ist, und dass die ausschließliche Liebe, wie es unserer tiefsten Erwartung entspricht, nicht als befristet verstanden werden kann. Zudem gibt es schon im natürlichen Bereich Bindungen und Entscheidungen, die legitim und ohne Schuld nicht zurückgenommen werden können. Ein verbindliches Versprechen, eine ernste Zusage und ein Eid können ihrem Wesen nach gebrochen, aber nicht mehr aufgehoben werden. Das gilt vor allem für zwischenmenschliche Verpflichtungen und Entscheidungen, die im höchsten Maß personal sind. Eine Mutter kann ihre einmal gefasste personale Entscheidung für ihr Kind niemals aufgeben, selbst wenn es auf Abwege gerät. Ein einem Menschen gegebenes Treueversprechen, etwa das Versprechen der Freundschaft, das einem Menschen verantwortlich gegeben wurde, kann rechtmäßig nicht mehr annulliert oder als unverbindlich erklärt werden. Das hängt zusammen mit der Würde des Menschen, die in seiner Personalität begründet ist, letztlich in seiner GottEbenbildlichkeit421. Faktisch fällt der Mensch endgültige und unwiderrufliche Entscheidungen in seinem Leben, und er muss sie fällen. Diese können jedoch nur bewahrt werden, wenn sie in immer neuen Einzelentscheidungen konkretisiert werden. Letztlich ist hier aber auf die Tatsache zu verweisen, dass Gott sich im Christusereignis endgültig und unwiderruflich für die Menschheit 420 Ebd. 10 f. 421 Ebd. 11 f. 217 entschieden hat, sowie darauf, dass die christliche Ehe die Verbindung Christi mit der Kirche darstellt und von daher als ekklesiale Gemeinschaft zu verstehen ist422. Klar und eindeutig verbietet Jesus die Ehescheidung, wenn er erklärt: „Ein jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, der bricht die Ehe; und wer eine vom Mann Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe“423, und wenn er feststellt: „Das, was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“424. Somit unterstellt er die Ehe wieder gänzlich und unmittelbar dem Schöpferwillen Gottes. Dabei tragen die Partner für ihn in gleicher Weise die Verantwortung für das Schicksal der Ehe. Der Mann kann die Frau nicht mehr entlassen, und er kann auch eine Entlassene nicht mehr heiraten, wenn er die Ehe nicht brechen will. Aber auch die Frau kann den Mann nicht verlassen. Das war damals geradezu revolutionär in den Augen der Juden, für die auf jeden Fall ein Ehemann seine eigene Ehe brechen wie auch die Ehe mit einer Geschiedenen eingehen konnte. Die Unzuchtsklausel bei Matthäus425, die gewiss schwer erklärbar ist, die möglicherweise aber illegitime Verbindungen unter Heidenchristen betrifft, erbringt keine wirkliche Ausnahme von dem Ehescheidungsverbot Jesu426. Dass die Forderung Jesu hier äußerst radikal ist, das entging auch seinen Jüngern nicht. Das geht aus ihrer Feststellung hervor: „Wenn das die Stellung des 422 Ebd., 11 - 13. 423 Lk 16, 18. 424 Mt 19, 6. 425 Mt 5, 31 und 19, 6. 426 Rudolf Schnackenburg, Die Ehe nach dem Neuen Testament, in: Gerhard Krems, Reinhard Mumm, Hrsg., Theologie der Ehe, Regensburg 21972, 16 ff. 218 Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten“427. Die Reaktion der Jünger Jesu zeigt aber auch, dass die Unauflöslichkeit der Ehe nicht erst in der Moderne als herausfordernd empfunden wird. Immer schon war sie ein Stein des Anstoßes. Jesus ist jedoch der Meinung, dass diese Herausforderung von dem Menschen angenommen und bestanden werden kann, wenn er die Ehe als Schöpfung Gottes glaubt und wenn er sich unter den Willen und unter die Kraft Gottes stellt, ja, dass sie ihm dann letztlich zum Heile gereicht, nicht nur zum ewigen Heil. „Insofern die sakramentale Ehe eine Ausfaltung der unauflöslichen Verbindung Christi mit der Menschheit in der Kirche darstellt, eignet auch ihr der Charakter der unauflöslichen Einheit. wirklichkeitsgetreues Abbild eingegangenen Verbindung. Ohne der Das Unauflöslichkeit von Christus verleiht der mit Ehe wäre sie kein der Menschheit ihre einzigartige Christuswürde, ihren übernatürlichen Charakter einer Gnade und Gabe Christi, die freilich für die Menschen auch mit einer entsprechend schweren Aufgabe verbunden ist“428. Stets muss der Mensch die Gnaden, die Gott ihm schenkt, durch eigenes Mittun assimilieren. Jeder Gnadengabe entspricht in der göttlichen Heilsordnung eine menschliche Aufgabe429. Die Auffassung der Kirche von der Ehe war in der antiken Welt etwas gänzlich Neues: Die Kirche trat kompromisslos ein für die Einehe sowie für die Unauflöslichkeit der Ehe und für ihre Hochschätzung als mystische Gemeinschaft mit Christus. Damit setzte sie hohe ethische Kräfte frei. 427 Mt 19, 10. 428 Leo Scheffczyk, Die Ehe als Sakrament und als Aufgabe (Vortrag als Manuskript gedruckt), 13. 429 Ebd., 13 f. 219 Die Wertschätzung der Ehe durch die Kirche wurde noch in ein besonderes Licht gerückt durch das Ideal des Verzichtes auf die Ehe um des Himmelreiches willen, das von Anfang an eine bedeutende Rolle spielte. Somit wuchs die Achtung vor der Frau und die Wertschätzung ihrer Würde für die damalige Welt, in der die Frau erst durch den Mann eine Stellung erhielt, ins Unermessliche430. Allgemein wird man sagen müssen, dass im christlichen Altertum neben der christlichen Liebestätigkeit nichts so werbend und anziehend wirkte in der Welt des Heidentums wie das christliche Ehe-Ideal, welches das jüdische Ehe-Ideal, das sich bereits stark abhob von der heidnischen Sicht der Ehe, noch um vieles übertraf431. Die Unauflöslichkeit der Ehe, ein göttlicher Schutzdamm Die Unauflöslichkeit der Ehe ist ein göttlicher Schutzdamm für den Bestand und für das Glück Tausender von Familien. Sie ist gewiss auch eine Quelle furchtbarer Not, ja, zuweilen kann sie geradezu zu einem Martyrium werden. Aber als Sakrament ist die Ehe eine Quelle himmlischer Gnade, in welcher der Mensch über sich selbst hinauswachsen kann. In der christlichen Ehe vermag er sich dank der Gnade des Sakramentes über die „Allmacht“ der sinnlichen Triebnatur zu erheben, vermag er diese im Vertrauen auf die Gnade des Sakramentes zu überwinden. Um des Ehebandes willen hält der Christ auch in einer gescheiterten Ehe aus. Nur im Extremfall wird er von der Möglichkeit einer Trennung Gebrauch machen, die dann freilich nur äußerlich erfolgen kann, im bleibenden Respekt vor dem Fortbestehen der Ehe bis zum Tod eines der Ehegatten. 430 Carl Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, München 1970, 388. 431 Ebd., 389. 220 Die Unauflöslichkeit der Ehe schützt zum einen die Ehefrau und zum anderen die Kinder. Die Ehescheidung, die in unserer säkularen Welt immer mehr hoffähig wird, ist nicht nur eine Katastrophe für das Kind oder für die Kinder, sondern im Grunde auch für die Ehefrau, wenngleich heute nicht selten die Ehescheidung von den Frauen betrieben wird, die dabei freilich Opfer der Desorientierung, der bewussten Desorientierung sind, wie sie in den Massenmedien erfolgt. Manipulierung - „Humanae vitae“ Aus der integralen Sicht der sakramentalen Ehe ergibt sich die Sündhaftigkeit der Manipulierung des ehelichen Aktes. Nicht erst die Enzyklika „Humanae vitae“ von 1968 bezeichnet die Manipulation der ehelichen Fruchtbarkeit als Sünde. Auch das II. Vatikanische Konzil kommt darauf zu sprechen und gibt hier klare Weisung432. Ebenso bezieht der Weltkatechismus hier eindeutig Stellung433. Papst Johannes Paul II. bekennt sich unmissverständlich zur Lehre der Enzyklika „Humanae vitae“, wenn er in seiner Enzyklika „Familiaris consortio“ erklärt: „ … die Lehre der Kirche beruht auf der untrennbaren Verbindung der zweifachen Bedeutung des ehelichen Aktes, die von Gott gewollt ist und die der Mensch nicht eigenmächtig aufheben kann, nämlich die liebende Vereinigung und die Fortpflanzung. … Wenn die Ehegatten … diese beiden Sinngehalte … auseinanderreißen, liefern sie den Plan Gottes ihrer Willkür aus; sie manipulieren und erniedrigen die menschliche Sexualität - und damit sich und den Ehepartner -, weil sie ihr den Charakter der Ganzhingabe nehmen“434. Es geht hier, so der Papst, um das vorbehaltlose, gegenseitige Sich432 Gaudium et spes, Nr. 50. 433 Weltkatechismus, Nr. 1664. 434 Papst Johannes Paul II., Enzyklika „Familiaris Consortio“ vom 22. November 1981, Nr. 32. 221 Schenken der Ehegatten. Diese setzt die Offenheit für das Leben voraus, die eheliche Liebe, die Hingabe in personaler Ganzheit. Ihre Simulierung ist eine Verfehlung gegen die Wahrheit435. Mit der Manipulation des ehelichen Aktes darf allerdings nicht die natürliche Familienplanung verwechselt werden. Als eine Form der Geburtenregelung ist sie innerhalb der Ehe im Allgemeinen vertretbar. Annullierung Eine gültig geschlossene, sakramentale Ehe, die vollzogen ist, ist unauflöslich. Auch die Kirche kann eine solche Ehe nicht scheiden. Wohl aber kann sie unter Umständen eine Natur-Ehe scheiden und eine gültig geschlossene, sakramentale Ehe, die nicht vollzogen ist. Kann die Kirche auch eine gültig geschlossene, sakramentale Ehe, die vollzogen ist, nicht scheiden, so kann sie eine solche Ehe jedoch annullieren. Das heißt: Nach einer gründlichen Untersuchung einer kirchlich geschlossenen und vollzogenen Ehe kann sie gegebenenfalls feststellen, dass diese Ehe unter falschen Voraussetzungen geschlossen wurde und daher zu keiner Zeit gültig war, dass der Eheabschluss gar nicht zustande gekommen ist, dass die Ehe demnach nur eine Putativ-Ehe, eine vermeintliche Ehe, gewesen ist. So kann etwa der nicht eine gültige Ehe eingehen, der aus Gründen psychischer Natur wesentliche Verpflichtungen der Ehe zu übernehmen nicht imstande ist. Das ist etwa der Fall, wenn jemand auf Grund seines Charakters zur Gewalt neigt, ist doch die Ehe ihrer Natur nach auf das Wohl der Eheleute ausgerichtet. Bei diesem Ehenichtigkeitsgrund pflegt man von psychisch bedingter Eheführungsunfähigkeit zu sprechen436. Eine gültige Ehe kann auch der nicht eingehen, der bewusst Vorbehalte setzt gegenüber den 435 436 Ebd. Vgl. CIC, can. 1095, Nr. 2. 222 drei Wesenseigenschaften der Ehe, nämlich gegenüber der Ehe als einer Gemeinschaft von einem Mann und einer Frau, welche als unauflöslich zu verstehen und auf die Fruchtbarkeit hin ausgerichtet ist. Die Kirche hat eine Reihe von Ehehindernissen aufgestellt. Sie unterscheidet dabei solche, von denen sie nicht dispensieren kann und solche, von denen sie das kann. Ehehindernisse, von denen sie nicht dispensieren kann, sind ein bestehendes Eheband, Blutsverwandtschaft in der geraden Linie und im 1. Grad der Seitenlinie, Ehebruch mit Eheversprechen oder das Fehlen des vorgeschriebenen Mindestalters437. Ehehindernisse, von denen die Kirche dispensiert und dispensieren kann, sind die Konfessions- und die Religionsverschiedenheit, Ordensgelübde oder Blutsverwandtschaft im 2. und 3. Grad der Seitenlinie. Ein Ehehindernis, von dem die Kirche für gewöhnlich nicht dispensiert, von dem sie aber dispensieren kann und es auch hin und wieder tut, ist die Priesterweihe. Die Ehenichtigkeitsgründe werden jeweils in einem Annullierungsverfahren festgestellt, das vor dem kirchlichen Ehegericht stattfindet. Dieses trägt die Bezeichnung Offizialat. Jede Diözese hat ein solches Offizialat. Zwar wird dieses in den meisten Fällen in Ehe-Angelegenheiten tätig, grundsätzlich verhandelt es jedoch auch über andere Fragen des kanonischen Rechtes. Nähere und entferntere Vorbereitung Von großer Bedeutung für die Führung einer christlichen Ehe ist die Vorbereitung auf sie. Die entferntere Vorbereitung muss im Religionsunterricht der Heranwachsenden erfolgen und in der Jugendseelsorge, die nähere in 437 14 Jahre bei weiblichen Personen, 16 Jahre bei männlichen. 223 BrautleuteSeminaren und im so genannten Brautunterricht. In der Enzyklika „Casti connubii“ von 1930 stellt Papst Pius XI. fest, für eine umfassende und dauerhafte Erneuerung der Ehe im christlichen Geiste sei es notwendig, „dass die Gläubigen über die Ehe genau unterwiesen“ würden, „nicht nur einmal und oberflächlich, sondern oft und gründlich, in klarer und überzeugender Weise, so dass die Wahrheit den Verstand gefangen“ nehme „und bis in das innerste Herz“438 eindringe. Es kann hier nicht nur um das Wissen gehen. Die Vorbereitung auf eine christliche Ehe fordert heute von dem jungen Menschen eine gehörige Portion von Non-Konformismus. Er muss wissen, dass die voreheliche Enthaltsamkeit eine entscheidende Voraussetzung ist für das Gelingen der christlichen Ehe und der Ehe überhaupt. Sexuelle Disziplinlosigkeit, Pornographie und Promiskuität sind eine schwere Hypothek für die spätere Ehe. Wenn heute so viele Ehen scheitern, liegt das an der oft exzessiven vorehelichen sexuellen Praxis der jungen Menschen. In nicht wenigen Fällen führt das dazu, dass junge Menschen in wachsender Zahl eine Ehe gar nicht mehr eingehen. Eine Frucht exzessiver sexueller Praxis ist auch das Laster der Homosexualität, das heute merkwürdig offensiv das Feld beherrscht. Sofern der Mensch Person ist, darf er niemals als Mittel zum Zweck gebraucht werden. Das gilt auch für die Ehe. Wird der Partner in der Ehe als Mittel zum Zweck gebraucht für die eigenen Wünsche und Begierden und Vorstellungen, beginnt der Verfall der Ehe, wird ihre Harmonie an der Wurzel zerstört. Wo der Mensch in seiner Würde nicht geachtet wird, da kann keine Gemeinschaft Bestand haben, zumindest kann sie da den Menschen nicht glücklich machen. Der Egoismus ist das Problem. In der engen Gemeinschaft der Ehe wirkt er sich besonders verheerend aus. Christliche Eheleute müssen sich fortwährend um Beharrlichkeit und Geduld, um Demut und Starkmut und um kindliches Vertrauen zu Gott und zu seiner 438 Papst Pius XI., Enzyklika „Casti connubii“ vom 31. Dezember 1930, III, 3. 224 Gnade bemühen, sie müssen regelmäßig beten und häufig die Sakramente der Eucharistie und der Buße empfangen. Daran erinnert Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Familiaris consortio“439. Das sind Haltungen, die nicht früh genug eingeübt werden können. Wesentliche Momente der christlichen Ehe sind die unbedingte Zusammengehörigkeit der Eheleute, der Gleichklang der Seelen, die Geborgenheit, welche die Eheleute einander gewähren, und ihr entschlossener Wille, einander auf dem Weg zu Gott zu helfen und das Christusheil im Alltag sichtbar zu machen. Es geht in der christlichen Ehe nicht darum, dass die Eheleute einander ihre Unvollkommenheit eingestehen und sich so annehmen, wie sie sind - so wird es heute zuweilen fälschlich dargestellt -, vielmehr geht es in der christlichen Ehe darum, dass die Eheleute mit Hilfe der Gnade des Sakramentes ihre verborgenen Anlagen entfalten und miteinander den Weg der vollkommenen Liebe gehen. Papst Pius XI. schreibt in der Ehe-Enzyklika „Casti connubii“: „Die gegenseitige innere Formung der Gatten, das beharrliche Bemühen, einander zur Vollendung zu führen, kann man … sehr wahr und richtig als Hauptgrund und eigentlichen Sinn der Ehe bezeichnen“440. Viele junge Menschen stolpern heute gleichsam in die Ehe hinein und zerstören damit ihr Lebensglück, unter Umständen auch das ewige Heil. Statt bei ihrer Wahl auf Religion, Tugend und Gesundheit zu schauen, schauen sie oftmals lediglich auf die irdischen Güter, auf die Schönheit und auf andere vergängliche Vorzüge. Oftmals beginnen sie eine Bekanntschaft allzu früh, versprechen 439 Papst Johannes Paul II., Enzyklika „Familiaris Consortio“ vom 22. November 1981, Nr. 33. 440 Papst Pius XI., Enzyklika „Casti connubii“ vom 31. Dezember 1930, I, 3 b. 225 leichtsinnig einander die Ehe und entehren den Brautstand durch schwere Sünden. Das aber kann nicht gut gehen. Der Glaube und die religiöse Haltung sind von großer Bedeutung für das Gelingen der Ehe. Die Ehen nichtgläubiger Partner scheitern sehr viel häufiger als die Ehen gläubiger Partner. In den USA wird heute die Hälfte aller nur standesamtlich geschlossenen Ehen wieder geschieden, während von den kirchlich geschlossenen jede dritte wieder geschieden wird. Wenn beide Partner regelmäßig den Gottesdienst besuchen, scheitern nur 2% dieser Ehen. Beten die Partner täglich gemeinsam, geht nur eine Ehe von 1400 Ehen in die Brüche441. Zu einer speziellen Belastung wird der Glaube jedoch für die Ehe, wenn die Ehepartner verschiedener Konfession oder gar verschiedener Religion sind. Das wird heute zu wenig bedacht. Vielfach verschließt man gar die Augen davor, wenn man etwa statt von konfessionsverschiedenen Ehen von konfessionsverbindenden Ehen oder auch von religionsverbindenden Ehen spricht. In der Regel wird man in solchen Ehen gleichgültig hinsichtlich der religiösen Praxis, allein schon deshalb, weil man den religiösen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen möchte. Die katholische Kirche verliert durch die konfessionsverschiedenen und religionsverschiedenen Ehen mehr Gläubige, als sie durch die Missionstätigkeit gewinnt, wobei man nicht übersehen darf, dass auch die Missionstätigkeit der Kirche heute im Gefolge eines wachsenden religiösen Indifferentismus weithin stagniert. Es gibt sicherlich vorbildliche Mischehen, auch heute noch, aber sie sind äußerst selten. Da sind sich gläubige Katholiken einig mit den gläubigen Protestanten. Vorbildliche Ehen führen in der Regel die Zeugen Jehovas, vorbildlich auch für uns. Sie verstehen ihre Ehe als heilig, und sie werden durch ihre Ehe geheiligt. 441 So stellt die Amerikanerin M. A. Wilson in einer Untersuchung fest (Internet); vgl. Was hält Ehe zusammen? Internet: www.familienhandbuch.de 226 Bedingungslose Treue, intensives Gebet und der tapfere Einsatz für den Glauben, das sind die entscheidenden Elemente ihres Lebens. Noch einmal: Die Wesensmerkmale der christlichen Ehe Die Liebe ist das entscheidende Element der christlichen Ehe, weil die sakramentale Ehe ein Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen und seiner Treue zu ihnen ist. Die sakramentale Ehe hat die Liebe zur Voraussetzung, und zugleich ist sie der Ort, in dem die Liebe gelernt wird. Wo sie herrscht, da findet die christliche Ehe ihre Vollendung. Die sakramentale Ehe der Christen hat in spezifischer Weise Anteil an der Liebe Christi, wie er sie uns in seinem Tod am Kreuz geschenkt hat. Zugleich setzt sie diese Liebe immer wieder gegenwärtig in unserer Welt442. Papst Pius XII. (+ 1958) betont, dass die Liebe der Ehegatten auch im jenseitigen Leben fortbesteht, wie ja auch die Seelen fortexistieren, in denen sie in diesem Leben gewohnt hat443. Ein wesentliches Element der Liebe ist die Bereitschaft zur Vergebung. Ihre Vollendung findet sie in der Hingabe. In der sakramentalen Ehe und überhaupt in der christlichen Existenz geht es nicht um die Selbstverwirklichung, sondern um den selbstlosen Dienst, wie er paradigmatisch Gestalt gefunden hat in Maria, der Mutter Jesu. Die Liebe und die Hingabe machen den Menschen frei, der Egoismus macht ihn abhängig. Der Schlüssel zu einem glücklichen Eheleben ist die Geduld. Zusammen mit der Opferbereitschaft geht sie aus der Selbstlosigkeit hervor. Die Opferbereitschaft ist der Prüfstein für die Reife der ehelichen Liebe und ihr religiöses Niveau. 442 Josef Höffner, Ehe und Familie. Wesen und Wandel in der industriellen Gesellschaft, Münster 1965, 49 f. Papst Pius XII., Ansprache an Neuvermählte am 29. April 1942 in: Soziale Summe Pius’ XII., Hrsg. von Arthur Fridolin Utz und Josef Groner, Bd. I, Freiburg Schweiz 1954, Nr. 920. 443 227 In der christlichen Ehe ist das Verhalten der Gatten zueinander rücksichtsvoll und höflich, bestimmt von würdevoller Aufmerksamkeit und Herzlichkeit. Dazu gehört auch jene subtile Distanz, ohne die die wahre Liebe nicht möglich ist, ohne die die Liebe banalisiert wird. Die Banalisierung der Liebe ist die größte Versuchung der Eheleute, gerade auch in der heutigen Großwetterlage. Ihr müssen sie besondere Aufmerksamkeit zuwenden, damit das Glück der Liebe fortdauern, ja, damit es immer mehr wachsen kann. In der christlichen Ehe dürfen und müssen die Gatten einen Heiligungsdienst nicht nur an ihren Kindern ausüben, sondern auch aneinander. Die Ehe ist ja nicht nur in ihrem Entstehen ein Sakrament, sondern auch in ihrem Bestehen. Erinnert sei hier an ein kostbares Wort des Kirchenvaters Johannes Chrysostomus (+ 407), der sich an den christlichen Ehemann wendet mit der Mahnung: „Biete ihr die Hand in geistlichen Dingen“444, und der im Blick auf die christliche Ehefrau sagt: „Sie wird ihren Mann zu retten vermögen, wenn sie … ein apostolisches Leben in sich ausprägt … Dadurch wird die Seele dessen gerettet, mit dem sie zusammenlebt“445. Von großer Bedeutung ist das Gebet der Eheleute füreinander. Es ist das „remedium optimum“, das beste Heilmittel, vor allem dann, wenn eine Ehe gefährdet ist, in Zeiten der Krise, die der besten Ehe nicht erspart bleiben. Der Dichter Reinhold Schneider (+ 1958) schreibt: „Wo die Luft erfüllt ist vom Gebet, da werden die Gedanken reiner und die Taten besser“. Letztlich ist es Satan, der das Miteinander der Menschen zerstört. Dabei ist das entscheidende 444 Johannes Chrysostomus, Homilien zum 2. Thessalonicherbrief, Hom. 5, 5. 445 Ders., Vom jungfräulichen Stande, Kap. 47. 228 Medium, dessen er sich bedient, die Unwahrhaftigkeit, denn nichts bringt die Menschen schneller auseinander als die Lüge446. Von Anfang an müssen christliche Eheleute das Gebet auch miteinander pflegen, nicht nur in der Gestalt des Tischgebetes oder des Gebetes mit den Kindern. Nichts verbindet die Menschen so sehr miteinander wie das gemeinsame Gebet. Beginnen die Eheleute damit gleich am Anfang oder gar schon vor der Eheschließung, ist es nicht schwer. Verschiebt man es auf später, sind die Widerstände dagegen in vielen Fällen unüberwindlich, scheinen sie in vielen Fällen unüberwindlich zu sein. Wenn die christliche Ehe und das christliche Leben überhaupt der Askese bedürfen, so gilt das in ganz spezifischer Weise für die christliche Ehe. Die Offenbarung, aber auch die Vernunft bezeugen es uns, dass es kein wahres und dauerhaftes Glück gibt ohne die Übung des Verzichtes und dass es keine fruchtbare Übung des Verzichtes gibt ohne Innerlichkeit oder ohne Gebet. Die entscheidenden Waffen in der Auseinandersetzung des Christen mit dem Bösen sind Fasten und Beten447. Die christliche Ehe ist, nicht anders als das Priestertum, zutiefst ein auf Taufe und Firmung aufbauender neuer Grad der Christusverwirklichung in der Welt. Christliche Ehegatten sind bestimmt, nach dem Bild Christi miteinander und füreinander zu leben und in gestaltender Freude und duldendem Leiden sowie in segnender Bereitung und in opferndem Entsagen miteinander und aneinander zu reifen. Sie sind berufen, in ihren Kindern die neuen Gefäße und Werkzeuge der Gotteskindschaft und des irdischen Christuslebens zu schaffen und mitzuwirken am Aufbau des Gottesreiches in der Welt. 446 Kürzlich hieß es in einer Pressemitteilung, dass in den USA jene Ehen, in denen die Eheleute täglich gemeinsam beteten, nur ganz selten auseinandergingen, bei 1400 Ehen komme das nur in einem einzigen Fall vor. 447 Mt 17, 20; Mk 9, 28. 229 Die christliche Ehe und das christliche Priestertum stützen einander, ja, sie bedingen einander. Die heilige Ehe ist der Ort, an dem Priester- und Ordensberufungen in großer Zahl heranreifen können, und das heilige Priestertum ist wiederum der stützende Halt für die hohen ethischen und religiösen Forderungen, mit denen christliche Eheleute konfrontiert werden. DAS SAKRAMENT DER PRIESTERWEIHE Apostolische Vollmacht, messianisches Vikariat Eingesetzt hat Christus das Sakrament der Priesterweihe, als er im Anschluss an eine Nacht des Gebetes - der Evangelist Markus berichtet davon - aus dem größeren Kreis seiner Jünger zwölf auswählte, „damit sie bei ihm seien“ und „damit er sie sende“ (Mk 3, 1 f). Zwölf wählte er aus, weil er mit ihnen an die zwölf Stammväter des Gottesvolkes Israel erinnern wollte. Sie sollten die Stammväter des neuen Israel werden. Diese Jünger - wir nennen sie auch Apostel - wählte er aus, um sie an seiner messianischen Aufgabe zu beteiligen. 230 Neutestamentliches Priestertum bedeutet messianisches Vikariat. Dieses aber hat die Bevollmächtigung zur Voraussetzung. Beim messianischen Vikariat geht es nicht um eine Beauftragung, sondern um eine Bevollmächtigung. Demgemäß bedeutet die Priesterweihe eine objektive Verwandlung des Weihekandidaten, sofern dieser durch die Weihe zu einem, um es lateinisch auszudrücken, „alter Christus“, zu einem anderen Christus wird. Er repräsentiert Christus in spezifischer Weise, er tritt an seine Stelle. Die Bevollmächtigung ermöglicht es ihm, „in persona Christi“ zu handeln, Christus gleichsam seine Stimme zu leihen, was besonders deutlich hervortritt, wenn er in der Feier des Sakramentes der Eucharistie die Worte spricht „das ist mein Leib … das ist mein Blut“ und in der Feier des Sakramentes der Buße die Worte „ich spreche dich los …“. Die Vollmacht Christi, die dem Priester im Sakrament der Weihe übertragen wird, bezeichnen wir auch, weil sie auf die Auswahl der Zwölf zurückgeht, als apostolische Vollmacht. Formal beruht sie auf der „apostolischen Sukzession“, übertragen wird sie durch den Ritus der Handauflegung. Folglich ist der Priester Träger der apostolischen Vollmacht, sofern er durch die Handauflegung in die apostolische Sukzession eingeführt wurde. Das Priesteramt hat sich aus dem Bischofsamt entwickelt. Im Amt des Bischofs begegnet uns die apostolische Vollmacht, die „repräsentatio Christi“, in ihrer Fülle, im Amt des Priesters begegnet sie uns in einer gewissen Reduktion. Aus dem „Bischofsamt“ der Apostel und ihrer Schüler, die überall Bischöfe einsetzten in den neu gegründeten Gemeinden, wurde schon bald das Priesteramt ausgegliedert, und die Bischöfe, die zunächst als Kollegium an der Spitze der Gemeinden standen, wurden nun Einzelbischöfe. Wir sprechen hier von dem Monepiskopat. Um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert standen bereits überall solche Einzelbischöfe an der Spitze der Gemeinden, die umgeben waren von dem Presbyterium, das heißt von den Priestern, denen sie nur das Eine voraushatten, dass sie die apostolische Vollmacht weitergeben konnten. Nur sie, die Bischöfe, konnten in die apostolische Nachfolge hineinholen und 231 neue Priester oder Bischöfe weihen. Mit der Ausgliederung des Priesteramtes aus dem Bischofsamt entwickelte sich auch das Amt der Diakone, die als Mittler zwischen der Gemeinde und dem Priester bzw. als Mittler zwischen der Gemeinde und dem Bischof stehen sollten. Ihre Weihe war so etwas wie eine Vorstufe zum Priestertum. Die entscheidenden Funktionen des Priestertums konnten sie nicht ausüben, sie wurden nicht Repräsentanten Christi, sofern sie nicht Anteil erhielten am messianischen Vikariat, wurden aber durch die Handauflegung dazu befähigt, dem Priester und dem Bischof bei der Spendung der Sakramente zur Seite zu stehen. Vor allem erhielten sie mit ihrer Weihe die Bevollmächtigung zur Verkündigung des Gotteswortes innerhalb der Feier der Eucharistie, die stets als sakramental verstanden wurde. Von Anfang an herrschte die Überzeugung in der Kirche, dass in der Feier der Eucharistie in der Predigt des Priesters, des Bischofs oder auch des Diakons Christus selber in entscheidender Weise wirke, so wie er in den Sakramenten der eigentliche Urheber der jeweils speziellen sakramentalen Gnade war. Das Fundament Nicht selten liest man heute in theologischen Schriften oder in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen: „Im Neuen Testament gibt es überhaupt noch keine Priester“. Das ist eine Behauptung, die, immer wieder aufgestellt, der Wirklichkeit jedoch keineswegs gerecht wird. Tatsächlich ist das Priesteramt von Christus eingesetzt worden, wenn nicht im Hinblick auf die nähere Ausgestaltung des Priesteramtes, so doch im Hinblick auf seinen wesentlichen Kern. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass alles Wesentliche im Glauben der Kirche schon in seiner heutigen Gestalt im Neuen Testament enthalten sein muss. Hier gilt, wie auch sonst im Leben der Menschen, aber auch in der Geschichte der Offenbarung, die etwa 1.000 Jahre vor Christus beginnt, 232 das Gesetz der Entwicklung, der Entfaltung. Evolutiv ergeht die Offenbarung Gottes an die Menschheit. Es gibt zwar im Neuen Testament noch kein ausgeformtes Priesteramt, aber das Wesen desselben gibt es schon in den Evangelien, und es entfaltet sich bereits in den Briefen. Jesus setzt spezifische Zeugen ein, die teilhaben an seinem Zeugnis und an seinem messianischen Wirken. Für sie gilt: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“448. Jesus hat den Zwölferkreis geschaffen, um bestimmten Jüngern Anteil zu geben an seiner messianischen Sendung. Dieses Faktum ist das Fundament des Priesteramtes wie auch des Bischofsamtes in der Kirche des Neuen Testamentes. Nachfolger der Apostel Die Nachfolger der Apostel, die Träger der apostolischen Vollmacht, werden zunächst „presbyteroi“ oder auch „episkopoi“ genannt. In den heidenchristlichen Gemeinden sprach man von „episkopoi“, in den judenchristlichen von „presbyteroi“. In der Apostelgeschichte erfahren wir aus dem Mund des Paulus, dass die „presbyteroi“ identisch sind mit den „episkopoi“, wenn der Völkerapostel in der Abschiedsrede an die Presbyter in Milet diese ermahnt: „Tragt nun Sorge für euch und für die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu ‚episkopoi‘, also zu Bischöfen, bestellt hat, damit ihr die Kirche Gottes weidet, die er mit seinem eigenen Blut erworben hat“449. Die judenchristlichen und heidenchristlichen Ämter werden hier gleichgesetzt, und es wird deutlich gesagt, dass der Heilige Geist sie in ihre Ämter eingeführt hat, dass sie demnach nicht Funktionäre sind, sondern Träger von Vollmachten. Diese sind ihnen nicht durch die Gemeinden übertragen worden, sondern von oben her. In ihrem Amt setzt sich der Hirtendienst Christi fort, der seine Kulmination im Kreuz 448 449 Joh 20, 21. Apg 20, 28. 233 erfährt: „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für seine Schafe“450. Nicht zuletzt ist es diese Wirklichkeit, durch die die zölibatäre Lebensweise der Priester ihre höchste Sinnhaftigkeit erfährt. Das Priestertum ist von seinem Wesen her auf das Opfer hin ausgerichtet. Wir sprechen bei den Episkopen und Presbytern zwar nicht mehr von Aposteln, aber in ihnen lebt das apostolische Amt fort. Das Amt der Apostel erlischt in der Kirche, nicht aber die apostolische Vollmacht, die als messianisches Vikariat zu verstehen ist. Sie lebt fort in der Geschichte der Kirche bis zum Jüngsten Tag. Das Weihepriestertum im Widerstreit Das zentrale Segenszeichen der Priesterweihe ist die Handauflegung, die uns bereits im Alten Testament in vielfacher Bedeutung begegnet. Im Neuen Testament ist sie vor allem das Zeichen der Übertragung der apostolischen Vollmacht451. Der Rahner-Schüler Herbert Vorgrimler ist nicht der einzige, der offen das Weihepriestertum bestreitet und kühn behauptet: „Es wird (in den biblischen Zeugnissen) gar nichts über eine Weihe gesagt, und selbst Jesus war ja ein Laientheologe - kein Priester“. Ihm sekundiert der Alttestamentler Herbert Haag (+ 2001), wenn er erklärt, eine Kirche, in der es den Klerus und Laien gebe, entspreche nicht dem, was Jesus getan und gelehrt habe, Jesus habe keine Priester haben wollen. Dagegen steht das Konzil von Ephesus (431), wenn es unter Androhung des Bannes den Glauben verteidigt, dass das göttliche Wort, 450 Joh 10, 11. Joseph Schumacher, „Wenn nur diese Hierarchie nicht wäre“, Kirchliche Hierarchie und Strukturen, in: Michael Müller, Hrsg., Plädoyer für die Kirche. Urteile über Vorurteile, Aachen 41992, 217 - 232. 451 234 Christus, unser Hoherpriester, sich für uns als Opfer dargebracht hat452. Im Übrigen ist das Hohepriestertum Christi das entscheidende Thema des Hebräerbriefes. Zwar hat Jesus sich selbst nie als Priester bezeichnet, offenbar deshalb nicht, weil er sich von dem levitischen Priestertum absetzen wollte, ohne dieses jedoch zu verwerfen. Sein Priestertum stammte nicht von Aaron, sondern es hatte sein Vorbild in Melchisedech und kam direkt vom Himmel. Er war unvergleichlich größer und überbot jede Gestalt des Priestertums um Welten. Dass Jesus sich als Priester verstanden hat, wird etwa deutlich, wenn er von seinem Tod spricht und diesen mit Hilfe der alttestamentlichen Vorbilder als Sühnopfer beschreibt, wenn er den Tod, dem er ausgeliefert wird, freiwillig auf sich nimmt, ihn aufopfert als Sühne für die Sünden der Menschen und mit ihm einen Neuen Bund errichtet. Der Evangelist Johannes spricht in seinem Evangelium von dem „Hohenpriesterlichen Gebet“ Jesu453. Für Paulus ist die freiwillige Lebenshingabe Christi eindeutig ein Opfertod454. Klar und unmissverständlich bestätigt das der Hebräer-Brief, wenn er erklärt: „Weil dieser (Jesus) aber in Ewigkeit bleibt, besitzt er ein unvergängliches Priestertum“455. Das Konzil von Trient erklärt: „Dieser unser Gott und Herr wollte sich zwar einmal auf dem Altar des Kreuzes in seinem Tod Gott, seinem Vater, als Opfer darbringen, um für jene die ewige Erlösung zu wirken, weil aber sein Priestertum nicht durch den Tod ausgelöscht werden sollte, wollte er beim letzten Mahl in der Nacht des Verrates seiner geliebten Braut, der Kirche, ein sichtbares Opfer hinterlassen, wie es die Menschennatur erfordert, indem 452 Denzinger - Schönmetzer, Nr. 261. 453 Joh 13, 31 ff. 454 1 Kor 11. 455 Hebr 7, 24. 235 jenes blutige Opfer, das einmal am Kreuz dargebracht werden sollte, dargestellt, sein Andenken bis zum Ende der Zeiten bewahrt und seine heilbringende Kraft uns zur Vergebung der Sünden, die täglich von uns begangen werden, zugewandt werden sollte. So sagte er von sich, dass er in Ewigkeit zum Priester bestellt sei nach der Ordnung des Melchisedech (Ps 109, 4); er brachte Gott, dem Vater, seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein dar, reichte ihn den Aposteln, die er damals zu Priestern des Neuen Bundes bestellte, unter eben diesen Zeichen zum Genuss und befahl ihnen und ihren Nachfolgern im Priestertum, dieses Opfer darzubringen mit den Worten: ‚Tut dies zu meinem Gedächtnis‘“456. Christus ist die Mitte des Priestertums des Neuen Testamentes und der Kirche. Thomas von Aquin erklärt: „Christus ist der Quell allen Priestertums: der Priester des Gesetzes hat ihn vorgebildet, der Priester des neuen Gesetzes aber wirkt an seiner Statt“457. Das Priestertum des Neuen Testamentes und der Kirche ist demnach ein abgeleitetes, ein mittelbares. Für das Neue Testament gibt es nur den einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich den Mensch gewordenen Gottessohn, der sich durch sein Leiden und Sterben am Kreuz als solcher erwiesen hat. Schon in seinen Erdentagen hat er jedoch bestimmten Jüngern Anteil gegeben an seiner messianischen Sendung und an seiner messianischen Vollmacht, als er, wie bereits festgestellt wurde, aus dem weiteren Kreis der Jünger nach einer Nacht des Gebetes zwölf auswählte und somit neben das Jünger-Institut das Institut der Apostel stellte, das seine Fortsetzung finden sollte im apostolischen Amt der Kirche. Seit den Tagen der Urkirche unterscheidet die Kirche drei Stufen des Amtes, die göttlichen Rechtes sind, weil sie sich noch in der Zeit der Offenbarung gebildet haben, das diakonale Amt, das Priesteramt und das Bischofsamt. Die drei Stufen 456 Denzinger / Schönmetzer, Nr. 1740. 457 Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 22 c. 4. 236 des Amtes sind aufeinander hingeordnet. Deshalb kann gemäß der geltenden Kirchenordnung nur ein Diakon zum Priester geweiht und nur ein Priester zum Bischof geweiht werden. Priester sein heißt Mittler sein, Mittler zwischen Gott und den Menschen. In diesem Sinne erklärt Paulus im 1. Korinther-Brief: „So betrachte man uns als Diener Christi und als Verwalter der Geheimnisse Gottes“458. Dreifach ist die Aufgabe der Priester: Sie verkündigen das Evangelium, sie feiern die Sakramente und sie leiten die Gemeinde Christi. Sie nehmen damit teil an dem Lehramt, dem Priesteramt und dem Hirtenamt Christi. Das Priesteramt Christi aktualisieren sie in der Feier des Opfers sowie in den übrigen Sakramenten, die als solche auf die Eucharistie hingeordnet sind, sein Lehramt aktualisieren sie in der Verkündigung und sein Hirtenamt in der religiösen Führung und Betreuung der Gläubigen und in der Leitung der Gemeinde. Dabei stehen das Lehramt und das Hirtenamt im Dienst des Priesteramtes, das seine Kulmination erfährt im Vollzug des eucharistischen Sakramentes. In persona Christi Im sakramentalen Priestertum ist Christus dem gläubigen Katholiken in spezifischer Weise gegenwärtig. Gegenwärtig ist er ihm darüber hinaus in der Heiligen Schrift und in der Glaubensüberlieferung der Jahrhunderte, also in der Tradition. Dank der sakramentalen Weihe, die der Priester empfangen hat, ist Christus in ihm präsent mit seiner Erlösungs- und Wandlungskraft, mit seiner vergebenden und nährenden Allmacht sowie mit seiner lehrenden und weisenden Hirtensorge. 458 1 Kor 4, 1. 237 Denn ihm ist die sakramentale Zeugung, Formung und Erhaltung des übernatürlichen Christuslebens in der Menschheit anvertraut. Das Sakrament der Priesterweihe steht neben dem Sakrament der Taufe und dem Sakrament der Firmung. Die zwei Letzteren finden ihre Krönung in dem Ersteren. Dabei ist es so, dass die Gotteskindschaft der Taufe, die christliche Wirkverpflichtung oder das Laienapostolat der Firmung und die sakramentale Lehr- und Weihevollmacht des Priestertums einander bedingen und dass sie die unverlierbaren Prägungen und Seinsformungen darstellen, durch die die menschliche Seele ihre übernatürliche Vervollkommnung empfängt. Der Katholik unterscheidet zwischen dem Priester als Menschen und dem Priester als Gottesboten. Er freut sich, wenn er das menschlich-bürgerliche Dasein des Priesters von der Kraft des Übernatürlichen geformt und von dem Glanz dieser Kraft durchstrahlt sieht, und er leidet schmerzlich unter der menschlichen Unzulänglichkeit und Sündhaftigkeit der Priester, achtet aber auch dann noch in ihnen die segnende und weihende und lossprechende Macht und Güte Christi. Bindung an Christus Das mit den Aposteln eröffnete neutestamentliche Priestertum ist zutiefst christologisch strukturiert. Konkret bedeutet es die Einbeziehung eines Menschen in die Sendung Christi. Von daher ist eine tiefe persönliche Bindung an Christus wesentlich und grundlegend für den priesterlichen Dienst. Zu dieser Bindung hinzuführen, das muss der Kern aller Vorbereitung auf das Priestertum sein459. Daraus folgt, dass der Priester vor allem ein Mann des Gebetes sein muss, ein wirklich geistlicher Mensch460. Von Christus, den er repräsentiert, 459 Joseph Ratzinger, Zur Gemeinschaft gerufen. Kirche heute verstehen, Freiburg 1991, 120. 460 Ebd. 238 muss er lernen, dass es in seinem Leben nicht auf Selbstverwirklichung und nicht auf Erfolg ankommt, dass er die priesterliche Existenz verfehlt, wenn er den Beifall der Massen sucht. Hat man diese Versuchung, den Beifall der Massen zu suchen, einmal überwunden - das gilt letzten Endes nicht weniger für jeden, der bewusst als Christ lebt aus den Sakramenten der Taufe und der Firmung -, erfährt man in dieser Überwindung eine geradezu beglückende Befreiung461. Die Bindung des Priesters an Christus muss von der Liebe getragen sein. Als Präfekt der Glaubenskongregation schreibt Kardinal Ratzinger in diesem Zusammenhang: „Wer liebt, will kennen. Daher äußert sich wirkliche Christusliebe auch in dem Willen, ihn immer besser zu kennen und alles zu kennen, was zu ihm gehört. Wenn Christusliebe (aber) notwendig Menschenliebe wird, heißt dies, dass die Erziehung zu Christus hin auch Erziehung zu den natürlichen Tugenden des Menschseins einschließen muss“462. Mit der Christusliebe, wenn sie echt ist und authentisch, muss sich nicht nur die Liebe zu den Menschen verbinden, sondern auch die Liebe zur Kirche, denn die Kirche ist der Leib Christi. Die Kirche schützt uns davor, dass wir uns einem erdachten Christus anvertrauen. „… nur in der realen Gemeinschaft der Kirche begegnen wir dem realen Christus“463. Das allgemeine und das besondere Priestertum Von Anfang an wird zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem besonderen unterschieden. Das allgemeine Priestertum der Gläubigen wird begründet durch die Taufe und die Firmung, das besondere Priestertum der Amtsträger wird begründet durch die Priesterweihe. Die beiden Formen des 461 Ebd. 462 Ebd., 122. Ebd., 122 f. 463 239 Priestertums sind einander zugeordnet und haben ihre gemeinsame Quelle in Christus. Das besondere Priestertum wird im 2. Timotheusbrief angesprochen, wenn Paulus an seinen Schüler Timotheus schreibt: „Ich ermahne dich, dass du die Gnadengabe Gottes wieder erweckst, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände“464. In den Gemeinschaften der Reformation gibt es keine Priester im Sinne des besonderen Priestertums. Die Reformatoren waren der Meinung, dass das Weihepriestertum unbiblisch sei und dass es das einzig wahre Priestertum des Hohenpriesters Christus verdunkle. Das allgemeine Priestertum unterscheidet sich von dem besonderen nicht gradmäßig, sondern wesentlich. Es handelt sich hier jeweils um eine qualitativ verschiedene Teilnahme am Priestertum Christi. Derjenige, der am besonderen Priestertum Anteil hat, repräsentiert Christus und vertritt ihn, während derjenige, der am allgemeinen Priestertum Anteil hat, mit Christus verähnlicht wird. Er übt sein Priestertum aus, so sagt es das Zweite Vatikanische Konzil, „im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“465. Das gemeinsame Priestertum aller Getauften dient „vor allem der christlichen Prägung aller Lebensbereiche“466, während das amtliche Priestertum die Gläubigen zu dieser Sendung inspiriert und ausrüstet. Bei dem gemeinsamen Priestertum kann man von daher nur im uneigentlichen Sinn von Priestertum sprechen. Bedingungen für den Empfang der Priesterweihe 464 2 Tim 1, 6. 465 Lumen Gentium, Nr. 10. 466 Deutsche Bischofskonferenz, Der pastorale Dienst in der Pfarrgemeinde, 1995, II, 1, 5. 240 Zum würdigen und erlaubten Empfang der Priesterweihe gehören die Berufsgnade sowie der Empfang des Sakramentes der Firmung, der Gnadenstand und eine gründliche wissenschaftliche und religiös sittliche Vorbereitung, die sich normalerweise über fünf oder sechs Jahre erstreckt467. Zudem dürfen keine Weihehindernisse vorliegen, oder es muss vorher die nötige Dispens erteilt werden. Die Kirche hat eine Reihe von Weihehindernissen aufgestellt, um durch sie alles Ungeziemende vom heiligen Dienst fernzuhalten. Dabei unterscheidet sie in ihrem Recht Irregularitäten und einfache Hindernisse. Irregularitäten sind dauernde Hindernisse, einfache Hindernisse sind zeitweilige468. Die Irregularitäten können bedingt sein durch einen Mangel hinsichtlich einer für den Empfang und für die Ausübung des Priesteramtes notwendigen Eigenschaft oder durch ein Vergehen, das nach der Taufe als schwere Sünde begangen wurde. Früher waren die Irregularitäten zahlreicher, im Codex Iuris Canonici, Gesetzbuch der Kirche von 1983 hat man manche fallen lassen. Irregulär für den Empfang der Priesterweihe sind jene, die „an irgendeiner Form von Geisteskrankheit oder an einer anderen psychischen Erkrankung“ leiden, welche die ordnungsgemäße Erfüllung des priesterlichen Dienstes unmöglich machen, die „die Straftat der Apostasie, der Häresie oder des Schismas“ begangen haben und die eine Eheschließung versucht haben, „sei es auch nur eine bürgerliche“, obwohl sie entweder selbst „durch ein bestehendes Eheband oder die heilige Weihe oder das öffentliche ewige Gelübde der Keuschheit an einer Eheschließung“ gehindert waren oder „die Frau in gültiger Ehe verheiratet oder an das gleiche Gelübde gebunden war“. Ferner sind jene irregulär für den Empfang der Priesterweihe, die „vorsätzlich einen Menschen getötet oder eine vollendete Abtreibung“ vorgenommen haben, und alle, „die positiv daran 467 Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 2001, cann. 1033. 1025. 1027. 468 Ebd., can. 1040. 241 mitgewirkt haben“, die „sich selbst oder einen anderen schwerwiegend und vorsätzlich verstümmelt“ oder einen Selbstmordversuch unternommen haben, und die „eine Bischöfen oder Priestern vorbehaltene Weihehandlung“ vorgenommen haben, obwohl sie „entweder die betreffende Weihe nicht empfangen“ hatten oder „an deren Ausübung durch eine festgestellte oder verhängte kanonische Strafe“ gehindert waren469. Einfache Weihehindernisse liegen dann vor, wenn jemand verheiratet ist, wenn er „ein Amt versieht oder einer Verwaltertätigkeit nachgeht, die Klerikern“ verboten sind, oder wenn jemand erst vor kurzer Zeit das Sakrament der Taufe empfangen und sich noch nicht in ausreichender Weise im christlichen Leben bewährt hat470. Wer ein öffentliches Amt ausübt, das eine Teilhabe an der Ausübung weltlicher Gewalt mit sich bringt oder wer Vermögen verwaltet, das Laien gehört, oder wer ein weltliches Amt innehat, mit dem die Pflicht zur Rechenschaftsablage verbunden ist, oder wer Bürgschaften übernommen hat, auch wenn sie nur das Privatvermögen belasten, kann nicht, solange diese Hindernisse vorliegen, die Priesterweihe empfangen471. Das Gleiche gilt auch für die, die ein Gewerbe ausüben oder kaufmännisch tätig sind472. Von allen Irregularitäten und Hindernissen kann der Weihekandidat durch Dispens befreit werden, theoretisch auch von dem Hindernis einer bestehenden Ehe. In diesem Fall erfolgt faktisch jedoch eine Befreiung nur im Fall des Übertritts eines verheirateten Pfarrers einer der christlichen Denominationen zur 469 Ebd., can. 1041. 470 471 Ebd., can. 1042 Ebd., can.. 285. 472 Ebd., can. 286. 242 katholischen Kirche, aber auch in dem Fall wird die Dispens nicht in allen Fällen gewährt473. Nur eine männliche Person kann das Sakrament der Priesterweihe gültig empfangen. Sie muss zudem getauft sein und ein gewisses Alter erreicht haben474. Diese drei Bedingungen sind von dogmatischer Relevanz. Eine Dispens ist hier nicht möglich. Dass eine Frau nicht die Priesterweihe empfangen kann, hat Papst Johannes Paul II. eindeutig dargelegt in dem Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ vom 22. Mai 1994, in dem er sich auf die ununterbrochene Tradition der Kirche in ihrer zweitausendjährigen Geschichte beruft. Eine weitere Gültigkeitsbedingung für den Empfang der Priesterweihe ist neben dem Nichtvorhandensein von irritierenden Weihehindernissen die Freiheit des Kandidaten. Ein Sakrament kann man nur gültig empfangen, wenn man im Augenblick des Empfangs in ausreichendem Maß frei ist. Das gilt auch für die Priesterweihe. Andererseits ist die rechte Motivation keine Gültigkeitsbedingung für den Empfang der Priesterweihe. Wenn sich also ein Kandidat zur Priesterweihe drängt, ohne für das Priestertum geeignet zu sein oder ohne bereit zu sein, die notwendige priesterliche Lebensführung zu übernehmen, empfängt er die Weihe gültig, sofern keine die Weihe irritierenden Hindernisse vorliegen, aber er versündigt sich in schwerer Weise gegenüber seiner eigenen Person wie auch gegenüber der Kirche. Es geht hier um das Problem der Weiheerschleichung, das früher in den Priesterseminaren immer wieder in Vorträgen behandelt wurde475. Gemäß dem neuen Gesetzbuch der Kirche ist die Voraussetzung für den erlaubten Empfang der Priesterweihe das vollendete 25. Lebensjahr, für den 473 Vgl. auch Karl Hörmann, Hrsg.., Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck 21976, 1301 1325. 474 475 Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 2001, can. 1024. Ebd., cann. 1026. 1036. Vgl. Presbyterorum Ordinis, Nr. 11; Optatam Totius, Nr.Nr. 2. 6. 243 erlaubten Empfang der Bischofsweihe das vollendete 35. Lebensjahr476. Vorangehen muss der Priesterweihe die Diakonenweihe, wie der Bischofsweihe die Priesterweihe vorangehen muss. Die Voraussetzung für den erlaubten Empfang der Diakonenweihe ist für den Priesteramtskandidaten das vollendete 23. Lebensjahr, für den Unverheirateten, der ständiger Diakon werden möchte, das vollendete 25. Lebensjahr, für den Verheirateten, der ständiger Diakon werden möchte, das vollendete 35. Lebensjahr477. Dem Diakonat muss stets die Übernahme der Dienste des Lektors und des Akolythen vorausgehen sowie ihre Ausübung für eine angemessene Zeit478. Der Bischof darf nur solche zu Priestern weihen, die die für das Priesteramt notwendigen Eigenschaften besitzen und genügend vorbereitet sind, spirituell und intellektuell, und die in der Lage und auch bereit sind, der Kirche zu dienen479. In einer Ansprache an die Gemeinschaft des Französischen Priesterseminars von Rom fordert Papst Benedikt XVI. am 6. Juni 2009 von den zukünftigen Priestern menschliche Reife, geistliche Qualitäten, apostolischen Eifer und intellektuelle Strenge. Das Priestersein ist zunächst von sozialer Relevanz. Priester wird man nicht um der eigenen Vervollkommnung willen, sondern um Gottes und um der Menschen willen. Das Priestertum ist auch eine Gabe, ein „munus“, aber in erster Linie ist es ein Dienst, ein „ministerium“. Thomas von Aquin (+ 1274) erklärt: „Die Priesterweihe wird nicht gespendet als Heilmittel für einen einzelnen Menschen, sondern für die ganze Kirche“480. 476 Eine weitere Voraussetzung ist die, dass der Betreffende wenigstens bereits 5 Jahre Priester ist. Vgl. Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 2001, can. 378. 477 Ebd., can. 1031. 478 Ebd., can. 1035. 479 Ebd., cann. 1025. 1027. Thomas von Aquin, Sentenzenkommentar IV, dist. 24, 1, 2, 1 ad 1. 480 244 Gemäß Canon 290 des Codex Iuris Canonici lässt selbst der Verlust des klerikalen Standes („Laisierung“) die Weihe unberührt: „Die einmal gültig empfangene heilige Weihe wird niemals ungültig“. Etwas anderes ist es, wenn durch ein richterliches Urteil oder durch ein Verwaltungsdekret die Ungültigkeit der Priesterweihe festgestellt wird481. Die Berufung zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben Priester wird man nicht, man ergreift das Priestertum nicht wie man einen Beruf, wie man sonst einen Beruf ergreift. Das Priestertum setzt eine Berufung voraus, und es vermittelt seinem Träger auch keinen Beruf im eigentlichen Sinne, denn es nimmt ihn in seiner ganzen Existenz in Anspruch. Im Markus-Evangelium heißt es: „Jesus stieg auf den Berg hinauf und rief die zu sich, die er selbst wollte“482. Es ist hier wie bei dem Leben nach den evangelischen Räten, dem gottgeweihten Leben. In beiden Fällen ist eine Berufung vorausgesetzt. Gott selber wählt jene aus, die er in seinen Dienst nehmen möchte. „Niemand darf sich diese Würde anmaßen, er muss wie Aaron von Gott berufen sein“ heißt es im Hebräerbrief483. Aber auch hier wirkt Gott nicht ohne den Menschen, denn niemals drängt Gott dem Menschen seine Gnade auf, immer muss der Mensch sie in Freiheit annehmen. Diese Annahme ist allerdings unter Umständen schwer, nämlich dann, wenn die Umwelt entchristlicht ist und wenn jene, die Priester sind, in großer Zahl ihr Priestertum nur noch formalistisch leben oder gar in größerer Zahl aufgegeben haben. Man kann die Berufung überhören. Es scheint, dass das heute in nicht wenigen Fällen geschieht. 481 Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 2001, can. 290, 1. 482 483 Mk 3, 13. Hebr 5, 4. 245 Das Wesen der für das Priestertum und für das Leben gemäß den evangelischen Räten notwendigen Berufung liegt nicht in einer Art von Privatoffenbarung oder in einer außerordentlichen Anregung durch den Heiligen Geist, es sind vielmehr natürliche Faktoren, an denen der Berufene seine Berufung erkennen kann, nämlich an einer starken gefühlsmäßigen Neigung zum geistlichen Stand und an der Eignung für die Obliegenheiten, die mit diesem Stand verbunden sind. Daraus kann der Berufene oder der vermeintlich Berufene jedoch keinen Anspruch herleiten, zur Priesterweihe zugelassen zu werden. Das entscheidende Moment der Berufung liegt in der Annahme des Kandidaten durch den Bischof, der dann die Berufung durch die Weihe sozusagen ratifiziert. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt: „Bei der Auslese und Prüfung der Kandidaten soll man mit der nötigen geistigen Festigkeit vorgehen, auch dann, wenn Priestermangel zu beklagen ist. Gott lässt es ja seiner Kirche nicht an Dienern fehlen, wenn man die Fähigen auswählt, die nicht Geeigneten aber rechtzeitig in väterlicher Weise anderen Berufen zuführt und ihnen dazu verhilft, dass sie sich im Bewusstsein ihrer christlichen Berufung mit Eifer dem Laienapostolat widmen“484. Endgültige Besitzergreifung durch Christus In der Priesterweihe ergreift Christus endgültig Besitz von einem jungen Menschen, der sich über Jahre hin vorbereitet und wohl überlegt sein „adsum“ gesprochen hat. Diese Besitzergreifung, die durch die Handauflegung sinnfällig unterstrichen wird, kann dann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Besiegelt wird sie gleichsam durch den priesterlichen Charakter, durch das unauslöschliche Merkmal, das die Konfiguration des Geweihten mit Christus und mit der Kirche, dem mystischen Leib Christi, bezeichnet und bezeugt. 484 Optatam Totius, Dekret des II. Vatikanischen Konzils über die Ausbildung der Priester. 246 Fortan steht der neu geweihte Priester an der Stelle Christi und auch in spezifischer Weise an der Stelle seiner Kirche. Zwar ist die Kirche nicht identisch mit den Priestern, sie besteht immer aus Priestern und Gläubigen, und auch die Priester sind in erster Linie Gläubige, aber die Priester sind der entscheidende Faktor der Kirche Christi. Es ist das unauslöschliche Merkmal, das den Priester dem Hohenpriester Christus gleichförmig macht, so dass er in der Person des Hauptes Christus handeln kann. Ein solches Merkmal vermittelt nicht nur die Priesterweihe, auch die Sakramente der Taufe und der Firmung vermitteln es. Auch sie können daher nur einmal empfangen werden, nicht anders als das Sakrament der Priesterweihe. Drei der sieben Sakramente prägen dem, der sie empfängt, ein solches Siegel auf. Ein viertes Sakrament nimmt unter diesem Aspekt eine Sonderstellung ein, das Sakrament der Ehe. Bei ihm begründet das Eheband, das die Ehegatten miteinander verbindet, ein quasi-unauslöschliches Merkmal, das als solches das Fortbestehen der Ehe zur Voraussetzung hat und das dann nicht mehr existent ist, wenn das Sakrament durch den Tod eines der Ehegatten gegenstandslos geworden ist, weshalb in dem Fall der überlebende Teil eine neue Ehe eingehen kann485. Die Priesterweihe bewirkt eine innere Verwandlung des Ordinanden, sie vermittelt ihm in spezifischer Weise den Heiligen Geist und prägt ihm ein unauslöschliches Merkmal ein, wie das in anderer Weise jeweils in der Taufe und in der Firmung geschieht. Durch den Empfang des Heiligen Geistes wird dem Ordinanden in der Priesterweihe geistliche Vollmacht übertragen zur Darbringung des Opfers des Neuen Bundes, zur Verwaltung des Bußsakramentes und der anderen Sakramente, abgesehen von den Sakramenten der Ehe und der Priesterweihe, zur sakramentalen Verkündigung des Evangeliums und zur Leitung der Gemeinde. Die Weihe schenkt dem 485 Vgl. Prebyterorum Ordinis, Nr. 2; Lumen gentium, Nr.Nr. 10. 21; Denzinger / Schönmetzer Nr.Nr. 825. 1609. 1767. 1774. 247 Ordinanden eine Vertiefung der heiligmachenden Gnade und vermittelt ihm in reichem Maße jene helfenden Gnaden, derer er zur würdigen Verwaltung seines Amtes bedarf. In spezifischer Weise tritt er durch die Weihe an die Stelle Christi, was sich in besonders eindrucksvoller Weise zeigt bei den zentralen Sakramenten, die er zu verwalten hat, bei den Sakramenten der Eucharistie und der Buße, wenn er im eucharistischen Sakrament in der heiligen Wandlung von „meinem Leib“ spricht und im Bußsakrament in der Ich-Form die Lossprechung erteilt. Mit Nachdruck hebt das Zweite Vatikanische Konzil hervor, dass der Priester „in persona Christi“ handelt486. Mit dieser Feststellung greift es eine uralte kirchliche Tradition auf, knüpft es an die Berufung der Zwölf durch Jesus, an nicht wenige Jesus-Worte, wie sie uns in den Evangelien überliefert wurden und an die Wirklichkeit der apostolischen Sukzession, die untrennbar mit dem Werden der Kirche in apostolischer Zeit verbunden ist. Die apostolische Sukzession ist das entscheidende Element des kirchlichen Amtes, speziell der Priesterweihe und der Bischofsweihe. Thomas von Aquin hebt die Sonderstellung der Priesterweihe im Vergleich mit den anderen sechs Sakramenten hervor, wenn er feststellt: „Das, was im Sakrament mitgeteilt wird, leitet sich in den anderen Sakramenten einzig von Gott her und nicht von dem Amtsträger, der das Sakrament spendet. Was aber in diesem Sakrament (im Sakrament der Priesterweihe) übertragen wird, nämlich die geistliche Gewalt (oder Vollmacht), leitet sich auch von dem her, der das Sakrament spendet, und zwar als eine unvollkommene Gewalt (oder Vollmacht) von einer vollkommenen. Und darum beruht die Wirkkraft der anderen Sakramente vornehmlich auf der Materie, welche die göttliche Kraft sowohl zeichenhaft darstellt wie auch enthält, und zwar auf Grund der Heiligung, die sie 486 Lumen gentium, Nr. 10; Presbyterorum ordinis Nr. 2. 248 durch den Amtsträger erfahren hat487. Die Wirkkraft dieses Sakramentes aber wohnt vornehmlich bei dem, der das Sakrament auch spendet“488. Der Priester und die Feier der Eucharistie Entscheidend übt der Priester sein priesterliches Amt aus in der Feier der Eucharistie. Seit eh und je wurde das Priestertum vom Opfer her konzipiert und der christliche Priester von daher als derjenige verstanden, der Gott das Messopfer darbringt („in persona Christi“), in dem das Kreuzesopfer in sakramentaler Weise gegenwärtig wird, weshalb es auch von jeher selbstverständlich war, dass der Priester jeden Tag die heilige Messe feierte. Das ist heute weithin nicht mehr der Fall. Gerade an diesem Punkt wird der Identitätsverlust der Priester in besonderer Weise deutlich. Sie folgen damit nicht nur einem Trend. Tatsächlich wird nicht wenigen Priestern die Feier der heiligen Messe heute zu einer Qual489, wie das Gebet überhaupt, weil ihnen das innere Leben fremd geworden ist. Sie rechtfertigen die Unterlassung der täglichen Feier der heiligen Messe und auch des Gebetes gern damit, dass sie keine Zeit haben, in Wirklichkeit fliehen sie jedoch in die Aktion, die sich bei näherem Hinsehen zudem noch als rein profan darstellt. Das Opfer ist dem Priestertum wesensimmanent. Das gilt auch für das Priestertum der Kirche. Nun gibt es aber im Neuen Bund nur noch ein Opfer, das Opfer des Kreuzes, und nur noch einen Priester, nämlich Christus, der sich 487 Gemeint ist das sakramentale Zeichen, das der Spender setzt, wie etwa bei der Eucharistie die Konsekration von Brot und Wein oder beim Sakrament der Buße die Lossprechung in Verbindung mit der Reue und dem Bekenntnis dessen, der das Sakrament empfängt. 488 489 Thomas von Aquin, Sentenzenkommentar IV, dist. 24, 1, 1, 5. Nicht zuletzt rächt sich hier wohl auch die Profanierung der Eucharistie als Folge wilder liturgischer Experimente im Rahmen von „Tischmessen, Karnevalsmessen, charismatischen Bacchanalien oder politischen Hetzfeiern“. So schreibt der Konvertit Gottfried Hoffmann (Der Ökumenismus heute. Geschichte - Kritik – Wegweisung, Aschaffenburg 1978, 94). 249 in seinem Tod am Kreuz selbst als Opfer dargebracht hat. Von daher ist er zugleich das Opfer und der Opferpriester. Deshalb ist das Amt der Priester des Neuen Bundes, wie bereits festgestellt wurde, zutiefst christologisch strukturiert, deshalb sind die Priester des Neuen Bundes Priester nur im abgeleiteten Sinn, wirken sie doch an Christi Statt490. Das tun sie aber in erster Linie in der kultischen Feier des Kreuzesopfers. „Die Kirche lebt aus der Eucharistie“, heißt es in der letzten Enzyklika des Papstes Johannes Paul II.491. Der Papst nennt die Eucharistie in dieser Enzyklika einen „unermesslichen Schatz“492, der „das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle“493 enthält. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Eucharistie an bedeutender Stelle als die Quelle und den Gipfel des Tuns und des Lebens der Kirche bezeichnet494. Bereits Thomas von Aquin hat sie das Sakrament der Sakramente genannt495 und erklärt, auf dieses Sakrament sei das Sakrament der Priesterweihe in erster Linie hingeordnet496. Für ihn ist die Konsekration des Leibes und des Blutes Christi das entscheidende Tun des Priesters497. Er stellt fest: „Priester werden geweiht, dass sie das Sakrament des Leibes Christi vollziehen“498. Er verdeutlicht diesen Gedanken noch einmal, wenn er bemerkt: „Das Tun des Priesters ist zweifach: ein Eigentliches und Erstliches, nämlich die Konsekration des wahren Leibes Christi; und ein anderes, nachgeordnetes, 490 Ders., Summa Theologiae III, q. 22, a. 4. 491 Papst Johannes Paul II., Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17. April 2003, Nr. 1. 492 Ebd., Nr. 25. 493 Ebd., Nr. 1 (Zitat von Presbyterorum Ordinis, Nr. 5) 494 Sacrosanctum Concilium, Nr. 10. 495 Thomas von Aquin, Sentenzen-Kommentar IV, d. 24, 2, 1, 2. 496 497 Ebd. Ebd., IV, d. 24, 2, 3. 498 Ders., Summa Theologiae III, q. 67, a. 2. 250 nämlich die Bereitung des Volkes für den Empfang dieses Sakramentes“499. Er will damit sagen, dass alle Arbeit des Priesters auf die Feier der Eucharistie hin ausgerichtet sein muss, die Glaubensverkündigung, die seelsorgerliche Betreuung, die Spendung der Sakramente und die Leitung der Gemeinde. Demgemäß erklärt das Zweite Vatikanische Konzil, die Darbringung des eucharistischen Opfers sei die „wesentliche Funktion“ des Priesters, in dem „beständig das Werk unserer Erlösung vollzogen“ werde500. Vor diesem Hintergrund erweist sich das alte Axiom „Qualis Missa, talis sacerdos“ - „ein Priester ist so viel wert wie die Messe, die er feiert“ als durchaus sachgemäß. Wenn die Feier der Eucharistie das entscheidende Tun des Priesters ist, wird man nicht fehl gehen, wenn man die Qualität seiner priesterlichen Existenz an seinem eucharistischen Leben abliest. Auch in neueren kirchlichen Dokumenten wird dem Priester immer wieder mit Nachdruck die tägliche Feier der heiligen Messe empfohlen501. Papst Benedikt XVI. erklärte den Alumnen des Päpstlichen Römischen Priesterseminars (Pontificio Seminario Romano Maggiore) bei einem Besuch am 17. Februar 2007, an keinem Tag dürfe die heilige Messe fehlen und sie dürfe vor allem nicht als eine berufliche Pflicht verstanden werden. So bestimmt es auch der neue Codex Iuris Canonici502. Weil die tägliche Feier der heiligen Messe 499 Ders., Sentenzenkommentar IV, dist.. 24, 3, 2, 1. Thomas unterstreicht diesen Gedanken, wenn er sagt: „Das Sakrament der Priesterweihe ist hingeordnet auf das Sakrament des Herrenmahles, welches das Sakrament der Sakramente ist, wie Pseudo-Dionysius Areopagita sagt. Wie nämlich der Tempel und der Altar und die Gefäße und die Gewänder, so bedürfen auch die Ämter, die auf das Herrenmahl hingeordnet sind, der Weihung: Und diese Weihung ist das Sakrament der Priesterweihe“ (ebd. 24, 2, 1, 2). 500 Presbyterorum Ordinis, Nr. 13. 501 Vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 26 f; Presbyterorum Ordinis, Nr. 13; Papst Paul VI., „Mysterium fidei” (Acta Apostolicae Sedis 1965, 761 f); Ritenkongregation vom 25. Mai.1967 (Acta Apostolicae Sedis, 1967, 542). 502 Vgl. Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 2001, can. 246, § 1: „Die Feier der Eucharistie hat der Mittelpunkt des ganzen Seminarlebens zu sein, so 251 eigentlich selbstverständlich ist für den Priester, deshalb ist er wohl nicht, wie das beim Stundengebet der Fall ist, unter Sünde dazu verpflichtet. Konzelebration Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Priester gemäß dem neuen Codex Iuris Canonici nicht gegen seinen Willen zur Konzelebration gezwungen werden darf, dass ihm, wo immer er es wünscht, die Möglichkeit zur Einzelzelebration geboten werden muss503. Die Konzelebration ist für das geistliche Leben des Priesters und für seine priesterliche Identität problematisch. Wenn heute die Klöster aussterben und die Orden zugrunde gehen, liegt das nicht zuletzt auch an der Konzelebration, wie sie die Regel geworden ist in den Klöstern. Zudem zerstört sie den Sinn für die tägliche Feier der heiligen Messe. Die Priester, die heute an Werktagen nicht mehr die heilige Messe feiern - ihre Zahl ist nicht klein - haben gestern und vorgestern konzelebriert. Bei ihnen ist die Konzelebration zuvor die Regel geworden. Von der theologischen Problematik der Konzelebration soll hier nicht geredet werden. Man kann nur beten, dass sich bei den Priestern und bei denen, die besondere Verantwortung tragen für sie, die Erkenntnis durchsetzt, dass die Konzelebration ein großer Schaden ist für das Priestertum und für die Kirche in ihrer Gesamtheit, zumindest in dieser Extensität504. Der Priester in der säkularen Welt dass die Alumnen täglich an der Liebe Christi Anteil haben und die geistliche Kraft für ihre apostolische Arbeit und für ihr geistliches Leben vor allem aus dieser reichen Quelle schöpfen“. 503 Ebd., can. 912. Vgl. auch Peter Fabritz, Die tägliche Zelebration des Priesters. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, St. Ottilien 2005, passim. 504 252 Der Priester verkörpert als Bote Gottes in einem ganz spezifischen Sinn ein Stück Ewigkeit. Daraus ergibt sich für ihn eine gewisse Fremdheit in unserer säkularen Welt. Das spüren die Menschen. Früher war das auf jeden Fall so, sogar in der Regel. Heute ist das allerdings weithin anders, weil sich viele Priester bewusst weltlich geben und dabei nicht merken, was sie damit zerstören, wie sie verbürgerlichen und ihre Berufung verraten. In diesem Kontext ist auch daran zu erinnern, dass der Priester im Alltag an seiner Kleidung erkennbar sein muss. Nach dem Gesetzbuch der Kirche ist er dazu verpflichtet. Weithin wird diese Verpflichtung jedoch ignoriert. Das ist bedauerlich, weil die Priesterkleidung nicht unbedeutsam ist für den Priester wie auch für die Gläubigen und nicht zuletzt auch für die Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit, ganz abgesehen davon, dass der Priester mit ihr dokumentieren kann, dass er stets im Dienst ist. Der Priester in Zivil, wenn er über sein Verhalten nachdenkt, müsste er erkennen, dass er eigentlich ein protestantischer Pastor oder ein Laie ist, wobei sich heute immer wieder auch protestantische Pastoren für die dunkle Kleidung und für das römische Kollar begeistern 505. Die These von der Barriere, die durch die zivile Kleidung abgebaut wird gegenüber den Gläubigen, ist ein theoretisches Konstrukt. Seit wann wird durch eine Uniform eine Barriere aufgebaut? Die Barriere schaffen die Priester durch ihre verlorene Identität und durch ihren fehlenden Eros506. Im Übrigen wird der Priester in Zivil, der sich über die Disziplin der Kirche hinwegsetzt, mit höchster 505 Am 8. November des Jahres 2008 war ich auf der Geburtstagsfeier eines befreundeten evangelischen Pastors. Er feierte seinen 80. Geburtstag. Von den sieben dort anwesenden evangelischen Pastoren trugen fünf korrekte Priesterkleidung. Auf meine Nachfrage wurde mir erklärt, das sei ihre Kleidung auch im Alltag. Ich vermute, dass das Amtsverständnis dieser Pastoren katholischer ist als das vieler katholischer Priester heute. Das katholische Amtsverständnis fordert eigentlich die Priesterkleidung. Darum hat der Verzicht darauf verheerende Folgen. Diese aber treten ein und sind eingetreten, ungeachtet der Tatsache, dass nicht wenige Priester die Priesterkleidung aus Gedankenlosigkeit abgelegt haben. 506 Eros bedeutet in diesem Zusammenhang religiöse Begeisterung, pastorale Einsatzbereitschaft. An ihre Stelle sind Gleichgültigkeit und Desinteresse getreten. Ein verbürgerlichter Klerus distanziert sich von der Kirche und von den Menschen. Dagegen spricht nicht, dass sich viele Priester heute bei den Menschen anbiedern. 253 Wahrscheinlichkeit auch in der Verkündigung manche nicht katholische Positionen vertreten. Es ist davon auszugehen, dass die Vorschrift, als Priester an der Kleidung erkennbar zu sein, nicht die einzige Vorschrift ist, um die er sich nicht kümmert. Berufen zur Heiligkeit Wichtiger als das Wirken des Priesters ist die priesterliche Existenz, bedeutsamer als sein Wissen ist sein religiöses Leben. Darauf weist Papst Benedikt XVI. hin in seiner Weihnachtsansprache an die Römische Kurie am 22. Dezember 2006, wenn er feststellt: „Der Priester muss wirklich Gott von innen her kennen und ihn so zu den Menschen bringen: Das ist der allererste Dienst, den die Menschheit heute braucht“. Er fährt fort: „Wenn in einem priesterlichen Leben diese Zentralität Gottes verloren geht, dann wird auch der Eifer des Tuns allmählich leer. Im Übermaß des Äußeren fehlt die Mitte, die allem Sinn gibt und es zur Einheit fügt … . Der Zölibat, die Ehelosigkeit der Priester … kann letztlich nur von hier aus verstanden und gelebt werden …“. In der gleichen Ansprache beschwört der Papst die „Theozentrik der priesterlichen Existenz“, die gerade in unserer „funktionalistischen Welt“ nötig sei, „in der alles auf errechenbaren und greifbaren Leistungen“ beruhe507. Das Zweite Vatikanische Konzil stellt lapidar fest: Die Priester sind „in besonderer Weise zum Streben nach der Vollkommenheit verpflichtet“508. Im Gesetzbuch der Kirche von 1983 heißt es: „In ihrer Lebensführung sind die Kleriker in besonderer Weise zum Streben nach Heiligkeit verpflichtet, da sie, 507 Benedikt XVI., Weihnachtsansprache an die römische Kurie vom 22. Dezember 2006. 508 Prebyterorum Ordinis, Nr. 12. 254 durch den Empfang der Weihe in neuer Weise Gott geweiht, Verwalter der Geheimnisse Gottes zum Dienst an seinem Volke sind“509. In dem Apostolischen Schreiben „Pastores dabo vobis“ erklärt Papst Johannes Paul II., die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils, alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges seien zur Heiligkeit des Lebens berufen 510, finde eine besondere Anwendung auf die Priester, denn sie seien nicht nur als Getaufte zur Heiligkeit berufen, sondern auch und ganz besonders als Priester, das bedeute, sie seien mit einer neuen Würde und unter eigenständigen Bedingungen, die sich aus dem Weihesakrament ableiten ließen, zur Heiligkeit berufen511. Der Papst konkretisiert diese Aussage, wenn er in dem nämlichen Schreiben feststellt: „Die priesterliche Berufung ist im Wesentlichen eine Berufung zur Heiligkeit in der Form, die aus dem Sakrament der Priesterweihe entspringt. Die Heiligkeit ist Vertrautheit mit Gott, sie ist Nachahmung des armen, keuschen und demütigen Christus, sie ist vorbehaltlose Liebe zu den Seelen und Hingabe an ihr wahres Wohl; sie ist Liebe zur Kirche, die heilig ist und uns heiligen will, weil das die Sendung ist, die Christus ihr anvertraut hat. Jeder von euch muss heilig sein, um auch den Brüdern zu helfen, ihrer Berufung zur Heiligkeit zu folgen“512. Der Priester muss sich um die Heiligkeit des Lebens bemühen, weil er das, was er objektiv geworden ist durch die Priesterweihe, 509 Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 2001, can. 276, § 1. Präziser heißt es im alten CIC von 1917: „Die Kleriker müssen innerlich und äußerlich ein heiligeres Leben führen als die Laien und sie durch Tugendhaftigkeit und rechtes Tun beispielgebend übertreffen“ - „ Clerici debent sanctiorem prae laicis vitam interiorem et exteriorem ducere eisque virtute et recte factis in exemplum excellere“ (can. 124). 510 Lumen Gentium, Nr. 40. 511 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Pastores dabo vobis“ vom 25. März 1992, Nr. 19. 512 Ebd., Nr. 33. 255 auch im Lebensvollzug werden muss. Er muss werden, was er ist513. Das ist letztlich das Geheimnis des „Erfolgs“ im Leben des Priesters. Das Bemühen um die Heiligkeit des Lebens beinhaltet in erster Linie das Bemühen um ein intensives Gebetsleben. Im Einzelnen sollte es Gestalt finden in der täglichen Feier der heiligen Messe, in der Betrachtung, im Rosenkranz, in der Schriftlesung und in der geistlichen Lesung. Wenn der Priester sich treu daran hält, bedeutet das für ihn, dass er wenigstens drei Stunden am Tag im Gebet verbringt. Für die heilige Messe muss er, wenn er die Danksagung mit einbezieht, wenigstens drei Viertelstunden rechnen, für die Betrachtung eine halbe Stunde, für das Rosenkranzgebet etwa zwanzig Minuten, wenn nicht gar eine halbe Stunde, für die Lesung der Heiligen Schrift etwa zehn Minuten, für die geistliche Lesung noch einmal zehn Minuten und für das Stundengebet, wenn er es sorgfältig betet, etwa fünf Viertelstunden. Dann käme er schon auf drei Stunden und zwanzig Minuten. Zu allen Zeiten besteht die Versuchung, das Priestertum aus unlauteren Motiven anzustreben, die Vorteile des Priesterstandes in Anspruch zu nehmen, nicht jedoch den Anforderungen gerecht zu werden, die die Kirche an diesen Stand stellt und stellen muss. Bereits bei Augustinus lesen wir einen Satz, der heute aufs Neue von besonderer Aktualität ist. Er lautet: „Seht, die Welt ist voll von Priestern, dennoch findet sich auf dem Erntefeld Gottes kaum ein Arbeiter, weil wir zwar das priesterliche Amt übernommen haben, aber die daraus folgende Verpflichtung nicht erfüllen“514. Das Zweite Vatikanische Konzil ermahnt die Priester nachdrücklich, um ihrer Teilhabe am Priestertum Christi und um ihrer Sendung willen „den Bischof 513 Vgl. ebd., Nr. 27. „Ecce mundus sacerdotibus plenus est, sed tamen in messe Dei rarus valde invenitor operator, quia officium quidem sacerdotale suscepimus, sed opus officii non implemus“ (Augustinus, Homilia 17, 3). 514 256 wahrhaft als ihren Vater“ anzuerkennen und „ihm ehrfürchtig“ zu gehorchen 515. Dieser aber soll, so das Konzil, „seine priesterlichen Mitarbeiter als Söhne und Freunde ansehen“ so wie „Christus seine Jünger nicht mehr Knechte, sondern Freunde“ genannt hat516. Weil es mit dem Gehorsam der Priester schlecht bestellt ist - das ist letztlich die Folge des religiösen, menschlichen und intellektuellen Niedergangs im Klerus -, darum ist die Kirche heute weithin unregierbar geworden. Die Bischöfe geben den Priestern in dieser Hinsicht allerdings nicht immer ein gutes Beispiel, wenn sie ihrerseits etwa dem Papst nicht gehorsam sind und die Gesetze der Kirche nicht ernst nehmen und sie nicht urgieren. Dass man die Vorschriften der Oberen in der Kirche ignoriert oder nur äußerlich einhält, das hat indessen eine längere Geschichte, eine Geschichte, die schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hat, jedenfalls bei den Priestern, wenngleich das früher nicht solche Ausmaße hatte, wie das heute der Fall ist. Das Zweite Vatikanische Konzil weist auch darauf hin, dass die Priester kraft der Gemeinsamkeit der heiligen Weihe und Sendung „einander in ganz enger Brüderlichkeit verbunden“ sind, was sich „spontan und freudig äußern“ soll „in gegenseitiger Hilfe, geistiger wie materieller, pastoraler wie persönlicher Art, in Zusammenkünften, in der Gemeinschaft des Lebens, der Arbeit und der Liebe“517. Auch diese Mahnung ist von großer Aktualität, da die Brüderlichkeit der Priester untereinander sehr zu wünschen übrig lässt. Um sie ist es schlechter bestellt als je zuvor. Das Miteinander der Priester war noch nie so korrumpiert wie heute. Vor einigen Jahrzehnten war das Verhältnis der Priester, ob sie sich kannten oder 515 Lumen gentium, Nr. 28. 516 Ebd. Ebd. 517 257 nicht, im Allgemeinen ausgesprochen familiär. Vor etwa dreißig Jahren bin ich in meinen Ferien einmal durch Frankreich gefahren und habe jeden Tag in einer anderen Pfarrei die heilige Messe gefeiert und so jeden Tag einen anderen Priester kennen gelernt. Zusammengehörigkeitsgefühls Stets konnte machen trotz ich der die Erfahrung des Verschiedenheit der Nationalität und der Sprache. Nicht selten wurde ich zum Frühstück eingeladen. Heute dürfte das kaum noch möglich sein. Ein jüngerer Priester erzählte mir kürzlich, er sei mit einer kleinen Gruppe von jungen Menschen seiner Pfarrei mit dem Fahrrad gut tausend Kilometer durch Frankreich gefahren. Da habe er einen Messkoffer dabei gehabt und jeden Tag mit seinen Begleitern in einer anderen Kirche die heilige Messe gefeiert, wo er gerade eine Kirche vorgefunden habe, die nicht geschlossen war. Mit dem Pfarrer Kontakt aufzunehmen, habe er vermieden, weil er von dem nichts erwartet hätte. Hirtensorge Was die Verpflichtungen der Priester im Hinblick auf die Gläubigen angeht, schreibt das Zweite Vatikanische Konzil: „Sie seien eingedenk, dass sie in ihrem täglichen Wandel und ihrer Obsorge für Gläubige und Ungläubige, Katholiken und Nichtkatholiken das Antlitz des wahren Priester- und Hirtendienstes zeigen und allen das Zeugnis der Wahrheit und des Lebens geben müssen. Als gute Hirten haben sie die Pflicht, auch jenen nachzugehen (vgl. Lk 15, 4-7), die zwar in der katholischen Kirche getauft sind, sich aber von der Übung des sakramentalen Lebens oder gar vom Glauben entfernt haben“518. Diese Sorge ist nur noch selten erkennbar bei den Priestern. Ihre Nähe zu den Menschen deklamieren sie zwar oft, aber die Wirklichkeit ist anders. Die 518 Ebd. 258 Präsenz der Priester in der modernen Welt ist weithin gleich Null. Die Pastoralpläne verstärken diese Tendenz, indem sie das, was man im Grunde nicht mehr als Seelsorge bezeichnen kann, systematisch anonymisieren und horizontalisieren. Von all dem lenkt die vorgetäuschte oder wirkliche Hektik des Alltags der Priester ab, die meiner Erfahrung nach mehr vorgetäuscht ist als wirklich. Priesterliche Formung Pfarrer Guido Rodheudt, Pfarrer in Herzogenrath, der Gründer des Netzwerkes katholischer Priester, weist in einem Interview darauf hin, dass angesichts der erschreckenden Zahlen des Priesternachwuchses, die in manchen Diözesen fast gegen Null gehen, eine grundsätzliche Forderung die ist, dass das katholische Profil in der Priesterausbildung wieder gepflegt werden muss519. Er meint, ein katholisches Profil steigere den Marktwert des Priesters, verkappte Sozialarbeiter oder larmoyante Psychotherapeuten gebe es an jeder Straßenecke genug, dazu brauche es nicht den Priester520. Kürzlich ging durch die Presse, im Jahr 2008 habe es erstmalig in Deutschland weniger als hundert Priesterweihen gegeben, nämlich nur dreiundneunzig. Im laufenden Jahr werden es kaum mehr sein. Dreiundneunzig, das sind, umgerechnet auf dreiundzwanzig Diözesen, kaum 3,5 Neupriester pro Diözese521. Bundesweit gibt es im Jahre 2007 rund neunhundert Priesteramtskandidaten. Gesunken ist aber auch die Zahl der Priester. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts betrug sie noch fünfundzwanzigtausend, im Jahre 1992 etwa neunzehntausend, im Jahre 2005 an 519 Internet: priesternetzwerk.net 520 Ebd. IK-Nachrichten - Pro Sancta Ecclesia 10, 2009, Nr. 8 / 9. 521 259 die sechzehntausend. Im Jahre 2005 wurden knapp zweihundert neue Priesteramtskandidaten angenommen522. Priestermangel In den USA sind 75 % der Priester und 91% der Ordensschwestern sechzig Jahre alt oder älter. Von den restlichen 9 Prozent der Schwestern ist der Großteil über fünfzig Jahre alt. Das ergab eine Studie der Jesuiten-Universität Georgetown für das katholische Gremium „National Religious Vocation Conference“, die am 11. August 2009 veröffentlicht wurde523. Immer wieder empfiehlt man angesichts des Priestermangels die Aufhebung des Zölibates, scheinheilig erklärt man dann: Man muss den Zölibat aufheben, um die Seelsorge sicherzustellen und eine genügende Zahl von Eucharistie-Feiern zu garantieren. Dabei verschließt man die Augen davor, dass die In-FrageStellung des Zölibates oder das Unverständnis für ihn die Folge des Seelsorgenotstandes ist, nicht die Ursache, dass das eigentliche Problem der verlorene Glaube der Priester ist. Daraus aber folgt der Identitätsverlust der Priester. Der verlorene Glaube ist indessen eine Folge der falschen Theologie, woraus dann ein moralischer Notstand resultiert, der die oftmals geradezu verheerenden Zustände in den Pfarreien hervorgebracht hat. Was die genügende Zahl von Eucharistiefeiern angeht, ist daran zu erinnern, dass die Sonntagsgottesdienste sich landauf landab durch gähnende Leere auszeichnen und dass nicht selten auch an Sonntagen Konzelebrationen stattfinden, ganz abgesehen von den vielen Priestern im Ruhestand, die nicht mehr die heilige Messe feiern. Unter ihnen dürften nicht wenige sein, die gern 522 Vgl. Die Tagespost vom 17. März 2007; Internet: www.dbk.de (24. April 2007) 523 Vgl. Kreuznet vom 12. August 2009. 260 dazu bereit wären. Andere würden sich gewinnen lassen, wenn man sie dazu ermuntern würde. Zum einen ist das Problem des Priestermangels ein relatives, zum anderen geht es hier nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Zudem: Schon seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wird auf den rapiden Rückgang der Studierenden auch in den evangelisch theologischen Fakultäten hingewiesen524. Im Studienjahr 2002/2003 haben sich in Deutschland nur zweihundert Neuanfänger für evangelische Theologie angemeldet gegenüber zweitausendzweihunder zwölf Jahre zuvor525. Es geht also offenbar um den Glauben, der verdunstet. Werben kann man für Priester- und Ordensberufungen nicht durch die Reduktion der religiösen, ethischen und intellektuellen Anforderungen, die man an die Priester und Ordensleute richtet, sondern nur, indem man die einen wie die anderen animiert, ihre Berufung authentisch und somit glaubwürdig zu leben und sich von jedweder Gestalt der Lüge, der Heuchelei und der Untreue zu verabschieden. Priester- und Ordensberufungen erwachsen aus Begegnungen mit Priestern und Ordensleuten, die imponieren. Die immer wieder explizit oder implizit vorgebrachte Behauptung, man müsse den Zölibat aufheben, um die Seelsorge sicherzustellen und eine genügende Zahl von Eucharistiefeiern zu garantieren, sie hat verheerende Folgen. Allerdings: Was soll der Zölibat noch, wenn alles ohnehin egal ist? Ein Priester, der nicht einmal besonders liberal ist, gewiss, er trägt einen Ring als Ausdruck seiner Eitelkeit, er erklärte vom Ambo aus: Es gibt eine Hölle! Aber sie ist leer! Wie sein Gesichtsausdruck dabei war, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich von schlau bis verschmitzt. Das Ganze wirkt beinahe wie eine „Köpenickiade“. Man 524 „Rheinischer Merkur“ vom 2. August 1996; „Christ in der Gegenwart“ 1992, IX. 525 Vgl. „Die Tagespost“ vom 21. Dezember 2002 (Nr. 153). 261 hat den Eindruck, dass eine ganze Generation von Priestern weder sich selber noch die Sache der Glaubensinhalte ernst nimmt. Das ist die Frucht einer schlechten, einer faulen Theologie über Jahrzehnte hin. Nicht zu Unrecht hat man von der Apotheose der Frage durch Karl Rahner (+ 1984) hingewiesen, der hier eine Schlüsselstellung innehat. Pastorale Dienste Der angebliche Notstand des Priestermangels in der Kirche ist heute für liberale Kräfte innerhalb der Kirche nicht nur ein willkommener Anlass, den Zölibat in Frage zu stellen, mit dem Hinweis auf den Priestermangel bemühen sie sich auch, alternative „pastorale Dienste“ einzuführen und auf diesem Weg das sakramentale Priestertum zu destruieren. Da sind sie auf jeden Fall erfolgreicher als bei der Infragestellung des Zölibates für die Priester. Weithin scheint die Neuordnung der Seelsorge aus diesem Geist zu erfolgen. Die neuen Dienste der Laien bis hin zu dem Dienst des „Pfarrbeauftragten“ machen das sakramentale Priestertum überflüssig, zumindest stellen sie es von Grund auf in Frage. Die Architekten des „neuen Aufbruchs“ sind dabei vielmals ahnungslos, während die eigentlichen Drahtzieher hier klar sehen und eine Strategie der Nivellierung des Katholischen und seiner Protestantisierung verfolgen. Der Protestantisierung der Kirche und damit auch der Destruktion des Priestertums dient heute auch die verbreitete Praxis der Interkommunion, an der sich häufig gar Priester beteiligen oder teilweise die Gläubigen dazu auffordern. Verheerend wirkt sich die nichtsakramentale Beauftragung von Laien im Dienst der Seelsorge auf das sakramentale Amt und auf die sakramentale Gestalt der Kirche aus, sofern diese Beauftragung nicht als Provisorium verstanden wird, sondern als dauerhaft, und sofern man in ihr faktisch oft gar einen Fortschritt 262 sieht. Da wird de facto das geweihte Priestertum substituiert und auf das allgemeine Priestertum der Gläubigen nivelliert. In diesem Zusammenhang muss auch die undifferenzierte Zusammenfassung der Laien mit den Priestern durch die gemeinsame Bezeichnung „Seelsorger“ und „Seelsorgerinnen“ erwähnt werden. Die Seelsorge, die „Cura animarum“, hat noch immer die Weihe zur Voraussetzung, weshalb Laien lediglich Seelsorgehelfer und Seelsorgehelferinnen sein können. Mit ihnen tritt faktisch weithin eine neue Klasse von Kirchenfunktionären an die Stelle der Pfarrer, die nach Dienstzeit arbeiten und Gemeindebetrieb veranstalten526, die ihr Geschäft weithin als „Job“ betreiben und rein formal fungieren, und das nicht einmal in Konformität mit dem Glauben der Kirche. So ist es jedenfalls nicht selten. Es ist im Keim verfehlt, einen flächendeckenden pastoralen Service zu organisieren, der zum einen nicht nötig und zum anderen nicht einmal erwünscht ist und der faktisch nicht effizient sein kann, mit dem man bestenfalls eine gewisse Bewegung in die Pfarreien hineintragen kann, aber Glaubensverkündigung, authentische Hinführung zu den Sakramenten und vom Glauben getragene Spendung der Sakramente bleiben dabei auf der Strecke. In diesem Zusammenhang sei auch auf eine fragwürdige Berufungspastoral hingewiesen, in der man diese ausweitet auf „Berufe der Kirche“ und damit die Berufung zum Priestertum und zum Leben nach den evangelischen Räten nivelliert. Laien können nicht die besondere Berufung des Priesters und der Ordensfrau oder des Ordensmannes ersetzen. Zudem ist es nicht sinnvoll, von einer Berufung zur Pastoralassistentin und zum Pastoralreferenten zu sprechen, 526 Giovanni B. Sala, Kontroverse Theologie. Ausgewählte theologische Schriften, Bonn 2005, 183. 263 so wenig wie es sinnvoll ist, von einer Berufung zum Organisten oder zum Messner oder zum Kirchenrendanten zu sprechen. Die Kirche braucht Priester und Ordensleute. Und diese können durch Laien nicht ersetzt werden. Sagt man das nicht deutlich, weckt man falsche Hoffnungen, macht man Versprechungen, die man nicht einlösen kann, ganz abgesehen davon, dass man so dem Idealismus junger Menschen im Hinblick auf das Priestertum und auf das gottgeweihte Leben das Wasser abgräbt. Undifferenziert spricht man heute von Aufbrüchen in der Kirche. Diese kann man jedoch nur als solche bezeichnen, wenn sie den authentischen Glauben der Kirche wieder sichtbar werden lassen und der Wahrheit die Ehre geben. Der Pragmatismus, der hier hervortritt, ist weithin Unwahrhaftigkeit und führt in die Unwahrhaftigkeit hinein. Das sogenannte Pfarrbeauftragtenkonzept ist nicht ein Hoffnungszeichen, sondern verhindert eine echte Reform der Kirche und beschleunigt ihren Verfall. Der Weg der neuen pastoralen Dienste mag teilweise einer echten Hirtensorge entspringen. Er führt jedoch zu einer Kirche, die ihre Identität verloren hat. Darüber hinaus ist dieser Weg zutiefst kontraproduktiv im Hinblick auf das Anliegen der Priester und Ordensberufe, das im Übrigen auch schon dadurch unterlaufen wird, dass man in einem Zug mit der Sorge um Priester- und Ordensberufe eine angebliche Sorge um die Bewerbung für die neuen pastoralen Dienste artikuliert. Frustration und Kritik 264 Das Problem ist nicht der Priestermangel, die Priester selber sind das Problem, ihr Selbstverständnis und ihre Treue zu ihrer Berufung. Die Priestertragödien sind Legion. Auch von daher erklärt es sich, dass der Priesterberuf jungen Menschen nicht mehr erstrebenswert erscheint, dass sie ihre Berufung nicht erkennen und, wenn sie sie erkennen, nicht bereit sind, sie anzunehmen. Es gibt heute an die vierhunderttausend Priester. Vierzigtausend haben seit dem Konzil das Priestertum aufgegeben, zehn von hundert527. Das bedeutet nicht, dass die anderen alle gut sind, ihren religiösen und pastoralen Verpflichtungen nachkommen und den ganzen Glauben verkünden. Im Gegenteil. Die Vierzigtausend sind die Spitze des Eisbergs. Sie schaden der Kirche und ihrer Glaubwürdigkeit vielfach weniger als jene, die es vorziehen, keine klaren Verhältnisse zu schaffen. Die Unzufriedenheit vieler Priester ist groß. Die Kritik an der Kirche eskaliert. Kritisiert wird vor allem der Papst, letzten Endes deswegen, weil er am Zölibat festhält, die Frauenordination nicht frei gibt, die Sexualmoral der Kirche für bindend erklärt und die Interkommunion nicht erlaubt. In der unmittelbaren Gegenwart greifen nicht wenige Priester den Papst auf das Heftigste an, weil er ihnen in seinem Brief an die Priester vom 16. Juni 2009 den Pfarrer von Ars Jean Marie Vianney zum Vorbild gegeben hat. Dieser Kritik schließen sich nicht wenige Taufscheinchristen und vor allem nicht wenige Vertreter der Pastoralbürokratie an. Das schlägt sich dann in Kirchenzeitungen nieder, deren Redaktionen mit unverhohlener Sympathie auf der Seite der Kritiker stehen. Geschürt wird solche Kritik aus den Kreisen der „Kirche von 527 Im Jahre 1969 haben allein in Frankreich insgesamt eintausendfünfhundert Priester ihr Amt aufgegeben, haben von vierzig Seminaristen einer Diözese vierunddreißig unmittelbar vor der Weihe das Seminar verlassen (Interview mit Kardinal Poupard; vgl. Internet: kathnet vom 19. Mai 2008). 265 unten“, die heute innerhalb der Kirche viel einflussreicher ist, als die Verantwortlichen in der Kirche es wahr haben wollen528. Man kritisiert den Papst und den Pfarrer von Ars, den der Papst in seinem Schreiben als Vorbild der Priester proklamiert hat. Das ist grotesk. Darüber hinaus ist es ein Novum in der Geschichte der Kirche, dass man die Heiligen kritisiert. Auch dieses Faktum erinnert uns daran, dass die gegenwärtige Krise der Kirche nicht ihresgleichen hat in ihrer zweitausendjährigen Geschichte. Die Kritik der Priester am Pfarrer von Ars und am Papst, der ihn den Priestern als Vorbild vorgestellt hat, erscheint in einem besonders seltsamen Licht angesichts der Tatsache, dass der Pfarrer von Ars der einzige Pfarrer ist, der heilig gesprochen worden ist in der Geschichte der Kirche. Allein, mit dem Widerspruch gegen dieses Vorbild verteidigt man den Verfall des Priestertums, denn der Pfarrer von Ars hat das Priestertum gelebt, wie es sich von seinem Wesen her darstellt. Der Heilige von Ars war kein Mann der Gremien oder des Dialogs mit den Räten und den Vereinen, er betete viel vor dem Tabernakel, feierte täglich die heilige Messe und verbrachte täglich bis zu vierzehn Stunden im Beichtstuhl, kurz: er verstand sein Priestertum religiös. Das aber will der Großteil der Priester nicht mehr, und auch die Gläubigen wollen in der Majorität lieber einen weltläufigen Priester als einen frommen. Der Pragmatismus bringt der Kirche Augenblickserfolge, die ihrerseits jedoch nur von irdischem Glanz sind und das „proprium christianum“, das Christliche als solches, verdunkeln, langfristig ist er in jedem Fall tödlich für die Kirche. Die „Kirche von unten“ bildet den Exponenten einer beliebig definierten Christlichkeit, die Eskalation der subjektiven Interpretation des Glaubens der Kirche. Ihre Bandbreite reicht bis zu einem positiv akzentuierten Agnostizismus. 528 266 In dem Protest gegen den Papst wehrt man sich nicht zuletzt gegen die Erkenntnis, dass der immer wieder beschworene Aufbruch in der Kirche sich inzwischen in den Augen vieler, auch wohl des Papstes, als Abbruch entlarvt hat, sowie gegen eine mögliche Korrektur des allgemein zur Schau gestellten Optimismus von Seiten des Papstes. „Hardliner am konservativen Rand der katholischen Kirche“ nannte kürzlich der Journalist der KatholischenNachrichten-Agentur Joachim Heinz jene, die den angeblichen Neuaufbruch der Kirche als Abbruch bezeichnen529, um sie zu verunglimpfen. Die Kritiker des Papstes nehmen ihm seinen vermeintlichen Konservativismus übel, derweil solche Kategorisierung grundsätzlich fragwürdig ist, speziell in diesem Kontext. Was das Priestertum und die Kirche angeht, will der Papst das sakramentale Amtsverständnis und die sakramentale Struktur der Kirche wieder in den Blick rücken, das Übernatürliche am Priestertum wieder hervorheben und so das katholische Profil wieder zum Leuchten bringen530. Das ist sicher, aber was ist daran konservativ? Und was heißt das überhaupt: konservativ? Die Amtsführung vieler Pfarrer ist heute ernüchternd. De facto besteht sie bei nicht wenigen von ihnen in Wichtigtuerei, Verkürzung des Glaubens der Kirche, antiautoritärem Gehabe, Abreaktion von Emotionen gegenüber der Autorität in der Kirche, vor allem gegenüber der Autorität des Papstes und viel Urlaub und Freizeit. Was noch übrig bleibt von der Pastoral ist weitgehend Bürokratie. Von geistlicher Betreuung der Gläubigen und von ihrer Hinführung zum Gebet und zu den Sakramenten kann man in sehr vielen Fällen nicht mehr sprechen. 529 Vgl. Links nach Rechts. Christliche Hardliner am konservativen Rand der Kirche: Kölner Domradio vom 29. Juni 2009. Vgl. auch Artikel von Georg Alois Oblinger, in: Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (Berlin) vom 10. August 2009. 530 267 Hinführung zum Priestertum Problematisch ist heute schon die Vorbereitung auf das Priestertum. Der langen wohl überlegten Vorbereitung auf das Priestertum, die früher oftmals schon mit dem kleinen Seminar begann, in der das religiöse Leben eingeübt wurde und die notwendigen Kenntnisse für den Priesterberuf vermittelt wurden, ist heute eine religiös-theologische Vorbereitung im Schnellverfahren gefolgt, in der die religiöse Einübung weithin einer amateurpsychologischen Supervision gewichen ist. Psychologisch wirkten sich früher sehr gut die sieben Weihestufen aus, auf denen der Alumne allmählich stufenweise zum Heiligtum und zur Feier des Opfers hingeführt wurde. Hier, aber auch sonst, verkümmert der emotionale Bereich in der Vorbereitung auf die Priesterweihe weithin. Das ist eine verhängnisvolle Verarmung. Problematisch ist auch das Studium der Theologie geworden, weithin. Wie es faktisch erfolgt, bereitet es nicht auf das Priestertum vor. In der Regel fehlt der Theologie die rechte philosophische Grundlage. Auf sie aber kommt es entscheidend an im katholischen Verständnis des Christentums. Gewiss war die Vorbereitung auf das Priestertum schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht ideal. Vielfach war sie formalistisch erstarrt. Äußerlich stimmte es damals noch, die Formen waren intakt, mehr oder weniger, aber der innere Mitvollzug dieser Formen sowie die Inhalte waren defizient, teilweise extrem. Aber es gab noch viele Stützen, die heute nicht mehr vorhanden sind. Ich habe mit meinem Theologie-Studium und mit meiner Seminar-Ausbildung im Jahre 1953 begonnen. Schon damals war die übernatürliche Komponente in der Theologie wie auch in der Spiritualität nicht besonders stark. An der Basis war sie vielleicht wirkmächtiger als in den oberen Etagen. Es gab noch viel Begeisterung, aber auch viel Resignation. Schon damals träumten viele von 268 einer neuen Kirche und von einem ganz neuen Priesterbild, das an die Stelle des überkommenen treten müsse. Als dann im Jahre 1958 das Konzil angekündigt wurde, schlugen die Wellen der Begeisterung hoch. Begeistert war man nicht deshalb, weil man eine Vertiefung dessen erhoffte, was man hatte, und eine Verinnerlichung der Glaubenspraxis sowie neue missionarische Impulse, sondern irgendwie eine Revolution. Symptomatisch war damals die Hoffnung, dass die pflichtgemäße Ehelosigkeit der Priester durch das Konzil beseitigt werde. Weil die Formation der Priester heute in menschlicher, religiöser und intellektueller Hinsicht nicht hinreicht, deshalb ist das priesterliche Amt - oder besser: der priesterliche Dienst - in den Augen vieler Priester oftmals nicht mehr als ein Job, mit dem man gut Geld verdienen kann, ohne dass die Arbeit, die man leistet, kontrolliert wird, und der einem eine gewisse soziale Stellung vermittelt. Das Image, das dem Priesterberuf trotz allem noch zukommt, instrumentalisiert man zur persönlichen Profilierung. Von daher stellt sich die Kirche heute weithin unwahrhaftig und unehrlich dar. Wie schlimm, ja, wie katastrophal das ist, das wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Wahrhaftigkeit die entscheidende Forderung Jesu an seine Jünger ist. Für Jesus rangiert sie noch vor der Liebe, denn die geheuchelte Liebe ist für ihn eine diabolische Perversion. Er selber nennt sich die Wahrheit und bezeichnet seinen Gegenspieler, den Teufel, als den Vater der Lüge. „Dazu bin ich gekommen“, erklärt er im Johannes-Evangelium, „um von der Wahrheit Zeugnis zu geben“ (Jo 18, 37). Papst Paul VI. (+ 1978) hat wiederholt die Krise der Kirche beschworen. In einer Rede vom 7. Dezember 1968 erklärt er: „Die Kirche befindet sich in einer Stunde der Unruhe, der Selbstkritik, man könnte selbst sagen, der Selbstzerstörung. Dies ist wie eine innere Erschütterung …, die niemand nach dem Konzil erwartet hätte“. In einer Rede am 26. Juni 1972 stellt er fest: „Der 269 Rauch Satans ist durch irgendeinen Riss in den Tempel Gottes eingedrungen“. Diese Sentenz ist in den letzten Jahren wiederholt zitiert worden. Papst Johannes Paul II. (+ 2005) spricht in diesem Zusammenhang von einer lautlosen Apostasie531. Nüchtern konstatiert Papst Benedikt XVI.: „ … in vielen Teilen der Welt droht der Glaube zu erlöschen“532. Der frühere Präfekt der Glaubenskongregation, Vorgänger von Kardinal Ratzinger, Kardinal Šeper, hat das Wort geprägt: „Die Krise der Kirche ist eine Krise der Bischöfe“533. Mit größerer Berechtigung noch kann man sagen: „Die Krise der Kirche ist eine Krise der Priester“. Das „Jahr des Priesters“ Eine Wiedergesundung der Kirche muss bei den Priestern beginnen, von wo die Krise ihren Ausgang genommen hat. Papst Benedikt setzt in dieser Hinsicht große Hoffnungen auf das „Jahr des Priesters“, das er anlässlich des 150. Todesjahres des Pfarrers vor Ars am 19. Juni 2009 ausgerufen hat. Er will durch diese Aktion den Wert und die Bedeutung der priesterlichen Sendung deutlich machen und für mehr Priesternachwuchs werben. Der im Jahre 1925 heilig gesprochene und im Jahre 1929 zum Patron der Pfarrer proklamierte Priester Jean-Marie Vianney (+ 1859) galt schon vor seinem Tod allgemein als Musterbeispiel eines frommen und engagierten Gemeindepriesters. Das Jubiläumsjahr, das unter dem Leitwort „Treue in Christus, Treue des Priesters“ steht, soll das Profil der rund 404.000 Priester in aller Welt stärken Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Ecclesia in Europa“ an die Bischöfe und Priester, an die Personen gottgeweihten Lebens und an alle Gläubigen vom 28. Juni 2003, Nr. 9. 531 532 Papst Benedikt XVI., Brief an die Bischöfe vom 10. März 2009. 533 Vgl. Der Fels, 1985, S. 345; 1986, S. 186. 270 und junge Menschen für das Ideal des Priesterberufes begeistern. Sofern das entscheidende Problem in der weltweiten Krise der Kirche die Priester sind, ist das Priesterjahr providentiell. Das Priester-Jahr will das aufgreifen, was bereits die Weltbischofssynode im Jahre 1990 diskutiert hat und was dann in dem päpstlichen Lehrschreiben „Pastores vobis dabo“ im Jahre 1992 zusammengefasst wurde. Damals hatten die Synodalen über den Priestermangel, über die Identitätskrise der Priester und über deren verändertes Rollenverständnis gesprochen. Sie hatten die unersetzliche Rolle des Priesters für das Leben der Kirche und die Bedeutung unterstrichen, die ihm zukommt, sofern er der Leiter der Eucharistie, des zentralen Gottesdienstes der Kirche, und der Spender der Sakramente ist. Und sie hatten deutlich gemacht, dass der Priester ein Mann Gottes, eine reife Persönlichkeit und ein Intellektueller mit Herz sein muss. Im Priester-Jahr 2009 / 2010 nun dürfte vor allem die spirituelle Dimension des priesterlichen Lebens im Vordergrund stehen. In dem Brief, den Papst Benedikt am 16. Juni 2009 aus Anlass des Priesterjahres an alle Priester der Weltkirche gesandt hat, macht er ihnen zunächst Mut für ihren anspruchsvollen Dienst, um dann darauf hinzuweisen, dass die Kraft, „vertrauensvoll in die Zukunft zu schauen“, aus dem Glauben an Jesus Christus, den göttlichen Meister, kommt. Dabei vertraut er das Priesterjahr, das dazu dienen soll, „im Innern jedes Priesters eine großherzige Wiederbelebung jener Ideale der völligen Hingabe an Christus und an die Kirche auszulösen, die das Denken und Handeln des heiligen Pfarrers von Ars bestimmten“, Maria, der Mutter Jesu an. Der heilige Pfarrer von Ars 271 Er erklärt, der Pfarrer von Ars habe seine tägliche rückhaltlose Hingabe an Gott und an die Kirche mit seinem eifrigen Gebetsleben und seiner leidenschaftlichen Liebe zum gekreuzigten Jesus genährt. Wörtlich sagt er dann: „Möge sein Beispiel die Priester zu jenem Zeugnis der Einheit mit dem Bischof, untereinander und mit den Laien bewegen, das heute wie immer so notwendig ist“534. Der Papst weist in seinem Brief darauf hin, dass im Zentrum des Wirkens des Pfarrers von Ars zum einen die tägliche Feier der heiligen Messe und zum andern die Spendung des Bußsakramentes gestanden hat. Tatsächlich hat der Pfarrer von Ars über viele Jahre hin sechzehn Stunden am Tag im Beichtstuhl verbracht. Auch in diesem Punkt ist er nach Meinung des Papstes ein Vorbild für die Priester535, mit Recht, unverständlich allerdings für den, der ein protestantisches Amtsverständnis hat. In diesem Zusammenhang betont der Papst mit Berufung auf den Pfarrer von Ars, dass einerseits der Priester ein unermessliches Geschenk Gottes an die Kirche und an die Menschheit ist, sofern er die Sakramente spendet, vor allem das eucharistische Sakrament und das Bußsakrament - der Priester feiert das Opfer Christi und setzt den geopferten und erhöhten Christus in der Welt gegenwärtig - und dass andererseits das eucharistische Sakrament ein Geschenk auch an den Priester ist, für das er nicht genug danken kann. Das wusste der Pfarrer von Ars, wie es kaum ein heiliger Priester je gewusst hat, ohne dass ihn das überheblich machte, stand ihm doch seine persönliche Unwürdigkeit stets vor Augen536. 534 535 Schreiben des Papstes Benedikt XVI. zum Beginn des Priesterjahres vom 16. Juni 2009. Ebd. 536 Ebd. 272 Der Papst erinnert in seinem Schreiben an die Priester daran, dass der Pfarrer von Ars davon überzeugt war, dass von der Weise, wie der Priester die heilige Messe feiere, der ganze Eifer eines Priesterlebens abhänge. Mit den Worten des Pfarrers von Ars erklärt er: „Alle guten Werke zusammen wiegen das Messopfer nicht auf, denn sie sind Werke von Menschen, während die heilige Messe Werk Gottes ist“. Das ist eine indirekte Bestätigung des Axioms „Qualis Missa, talis sacerdos“537. Der Papst hebt in diesem Zusammenhang in seinem Schreiben auch das unerschöpfliche Vertrauen des Pfarrers von Ars zum Sakrament der Buße hervor. Durch die Tatsache, dass er das Bußsakrament ins Zentrum seiner pastoralen Sorge gerückt hat sowie durch die Art und Weise, in der er das Sakrament verwaltet hat, ist er, so stellt der Papst fest, ein Vorbild für alle Priester538. Papst Benedikt verweist in seinem Schreiben an die Priester auch darauf, dass der Pfarrer von Ars in eindrucksvoller Weise die Wirklichkeit gelebt hat, dass der Priester der Stellvertreter Christi ist, dass er nichts aus Eigenem hat, dass er vielmehr alles aus dem hat, den er repräsentiert, weshalb er nach der Meinung des Papstes mehr geeignet ist als viele andere Heilige, Vorbild der Priester zu sein539. Dabei geht der Papst davon aus, dass die priesterliche Existenz, wie der Pfarrer von Ars sie gelebt hat, in ihren wesentlichen Zügen zeitlos und immer gültig ist. - Jene, die ihm darin nicht folgen, wissen nicht oder nicht mehr, was die Identität des Priesters im Glauben der Kirche ist. 537 Siehe oben S. 48. 538 Schreiben des Papstes Benedikt XVI. zum Beginn des Priesterjahres vom 16. Juni 2009. 539 Ebd. 273 Der Papst zitiert in seinem Schreiben das Wort des Pfarrers von Ars „Der Priester ist nicht Priester für sich selbst, er ist es für euch“540. Für den Priester ist das ein bedeutender Aspekt seiner Berufung. Noch einmal zitiert der Papst den Pfarrer von Ars, wenn er schreibt: „Wenn wir recht begreifen würden, was ein Priester auf Erden ist, würden wir sterben: nicht vor Schreck, sondern aus Liebe … Ohne den Priester würden der Tod und das Leiden unseres Herrn zu nichts nützen. Der Priester ist es, der das Werk der Erlösung auf Erden fortführt. … Was nützte uns ein Haus voller Gold, wenn es niemanden gäbe, der uns die Tür dazu öffnet. Der Priester besitzt den Schlüssel zu den himmlischen Schätzen. Er ist es, der die Tür öffnet; er ist der Haushälter des lieben Gottes“541. Das sind schlichte Worte, aber sie sind voll tiefer Weisheit. Der Papst charakterisiert den Pfarrer von Ars in seinem Schreiben als einen Priester, „den die apostolische Leidenschaft für das Heil der Seelen verzehrte“, der durch strenge Askese seiner Berufung nachzukommen versuchte und mit Wachen und Fasten den Leib zügelte, „um zu vermeiden, dass dieser sich seiner priesterlichen Seele widersetzte“542. Und er stellt in diesem Zusammenhang fest, dass er nicht davor zurückschreckte, „sich selbst zu kasteien zum Wohl der ihm anvertrauten Seelen und um zur Sühne all der Sünden beizutragen, die er in der Beichte gehört hatte“543. Dass eine solche Aussage von manchen Priestern als anachronistisch verstanden wird, kann nicht überraschen. Richtigerweise müsste sie jedoch als Aufforderung zur Bekehrung verstanden werden. 540 541 Ebd. Ebd. 542 Ebd. 543 Ebd. 274 Das Miteinander von Priestern und Laien In seinem Schreiben an die Priester hebt der Papst mit Nachdruck auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Priester mit den Laien hervor. Bewusst spricht er dabei von den gläubigen Laien. Er erinnert dabei an das Zweite Vatikanische Konzil, das die Priester ermutigt hat, „die Würde der Laien und die bestimmte Funktion, die den Laien für die Sendung der Kirche zukommt, wahrhaftig (zu) erkennen und (zu) fördern“, und das sie ermahnt „gern auf die Laien (zu) hören, ihre Wünsche brüderlich (zu) erwägen und ihre Erfahrung und Zuständigkeit in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Wirkens an(zu)erkennen, damit sie gemeinsam mit ihnen die Zeichen der Zeit erkennen können544“. Ein spezifisches Problem der Kirche ist heute das, dass sich nicht selten halbgläubige oder ungläubige Laien in der Kirche engagieren, dass sie sich in die Gremien hineindrängen oder durch Priester in sie hineingeholt werden, denen die Gabe der Unterscheidung der Geister abhanden gekommen ist. Da vertreten dann Laien die Kirche oder stehen in ihrem Dienst, bei denen man beim besten Willen nicht erkennen kann, dass sie dem Aufbau der Kirche dienen wollen. Oftmals hat man gar den Eindruck, dass sie durch die „Kirche von unten“ gesteuert werden. Nicht wenige Mitglieder des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken stehen auf der Seite von „Donum vitae“ und stellen sich damit gegen den ausdrücklich von Papst Johannes Paul II. geforderten Verzicht der Kirche auf die Einbindung in die staatliche Schwangerschaftsberatung, die als „offene Beratung“ nicht mit den Prinzipien der Kirche vereinbar ist. Das provozierte kürzlich noch einen Eklat, als das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken ausgerechnet einen der Gründer von „Donum vitae“ als Kandidaten für die Präsidentschaft vorschlug Bischofskonferenz abgelehnt wurde. 544 Ebd.; vgl. Prebyterorum Ordinis, Nr. 9 und dieser durch die Deutsche 275 Wo immer die Verantwortlichen in der Kirche für Ordnung, Konsequenz und Kohärenz eintreten bei jenen, die die Kirche nach außen hin vertreten und die in ihrem Dienst stehen, kündigen sich neue Konflikte an. Der Priester und die Mutter Jesu Ein wesentliches Attribut der priesterlichen Existenz ist die kindliche Liebe zur seligen Jungfrau Maria. Wer sie als Priester nicht hat, wird über kurz oder lang in seiner priesterlichen Existenz scheitern. Auch in diesem Punkt hebt der Papst die Vorbildfunktion des Pfarrers von Ars für den Priester hervor, wenn er feststellt, dass dieser stets mit Andacht und zugleich mit Vertrautheit von Maria gesprochen hat545, und wenn er ihn zitiert mit den Worten: „Nachdem Jesus Christus uns alles gegeben hatte, was er uns geben konnte, wollte er uns noch das Wertvollste als Erbe hinterlassen, das er besitzt, nämlich seine Mutter‘“546. Zwar ist das sakramentale Wirken des Priesters objektiv, aber fruchtbarer ist es, wenn der Priester sich gänzlich mit seiner Aufgabe identifiziert. Andererseits leidet sein Wirken, wenn er Ärgernis gibt oder ein sündhaftes Leben führt. Nicht zuletzt gefährdet er dann aber auch seinen Glauben, weil dieser immer auch gelebt werden muss. Es ist eine grundlegende Aufgabe der Priester, Christus nicht nur objektiv zu repräsentieren, sondern ihn auch in ihrem Verhalten und in ihrem Leben transparent zu machen. 545 Kathnet vom 15. August 2009. 546 Schreiben des Papstes Benedikt XVI. zum Beginn des Priesterjahres vom 16. Juni 2009. 276 Die objektive Heiligkeit des Dienstes des Priesters muss sich mit der subjektiven Heiligkeit des Priesters in seinem Leben verbinden. Auch daran erinnert Papst Benedikt in seinem Schreiben an die Priester zum Beginn des Priesterjahres mit dem Hinweis auf den Pfarrer von Ars, wenn er feststellt, dass dieser die Mitglieder seiner Pfarrei in erster Linie durch das Zeugnis seines Lebens belehrt hat547. Die übernatürliche Sicht des Priestertums im Volk Gottes Im Priestertum der Kirche lebt und wirkt Christus fort. Das bedingt die Wertschätzung und die Hochschätzung des Priesterstandes. Es geht hier um die übernatürliche Sicht des Priesters. Diese ist heute weithin verloren gegangen, im Zuge der allgemeinen Säkularisierung und des Glaubensverlustes, sowohl bei den Priestern selbst als auch bei den Gläubigen. Es ist nicht zuletzt das Anliegen des Priesterjahres, das der Heilige Vater proklamiert hat, dass die übernatürliche Sicht des Priestertums der Kirche, die mit der übernatürlichen Sicht der Kirche als solcher zusammenhängt, neu gegründet und gefestigt werde. Das würde nicht zuletzt auch wieder mehr junge Menschen für den Ruf Gottes öffnen. In dem Maße, in dem der Priester selber das Priestertum hoch schätzt, in dem Maße werden es auch die Gläubigen tun. Solche Hochschätzung führt den Priester nicht zur Überheblichkeit, sondern zur Demut, denn diese Hochschätzung ist ja relativ, bezogen auf Christus, und in religiöser Perspektive ist das Priestertum stets als eine unverdiente Gnade zu verstehen. Es ist merkwürdig, dass jene Priester, die sich anbiedern, denen es im Grunde an der Selbstachtung fehlt - sie sind heute eindeutig in der Mehrzahl - die Nase besonders hoch halten. Der gängige Typ des Priesters, der sich nicht nur zivil, 547 Ebd. 277 sondern vielfach auch ordinär kleidet und unter Umständen gar provokativ, ist im Allgemeinen von einer außergewöhnlichen Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit bestimmt. Das zeigt sich vor allem in der Manipulation des Glaubensgutes, in der Eigenwilligkeit bei der Feier der Liturgie und in der exzessiven Kritik an der Kirche, mit der diese Priester sich in keiner Weise identifizieren, der sie sich vielmehr bewusst entgegenstellen, die sie verächtlich die Amtskirche nennen, wobei ihre Kritik sich vor allem auf den Träger des Petrusamtes richtet. Das zeigt sich ferner im Desinteresse an den Menschen, die ihnen anvertraut sind, und in einem gestörten Verhältnis zur Tugend der Wahrhaftigkeit. Vor einiger Zeit fragte mich eine entschiedene Katholikin - sie hat ein abgeschlossenes Philosophie-Studium und ein abgeschlossenes Theologiestudium -, woran man denn erkennen könne, ob ein Priester echt sei. Ich dachte: Das ist allmählich für viele, die es ernst meinen mit der Kirche und mit dem katholischen Glauben, eine existentielle Frage geworden. Meine Antwort lautete: Sie können das erkennen erstens an der Priesterkleidung, zweitens an der Weise, wie der Betreffende die heilige Messe feiert, und an der Danksagung, die er nach der heiligen Messe macht. Ich sagte, große Skepsis gegenüber der priesterlichen Existenz eines Priesters sei begründet, wenn die Danksagung stets ausfalle, noch größer müsse die Skepsis allerdings sein, wenn der Priester nicht mehr täglich die heilige Messe feiere. Ich nannte dann noch ein drittes und viertes wichtiges Kriterium für die Integrität des Priesters, dessen positive Stellung zur Kirche und zum Heiligen Vater und dessen Liebe zur Mutter Jesu, zur Mutter der Kirche. Aus der Wertschätzung des Priestertums folgt die Verpflichtung zum Gebet für die Priester, vor allem für jene, die man kennt, für die lebenden und für die verstorbenen Priester, und dafür, dass auch in unserer Zeit viele gute Priester von Gott berufen werden, dass gut geartete junge Menschen den Ruf Gottes 278 hören und dass sich niemand in das Heiligtum einschleicht, dass nur lautere Charaktere den Weg zum Priestertum finden. Das Gebet ist wirksamer, wo es mit dem Opfer verbunden wird. Die schlimmsten Dämonen können nach einem Jesus-Wort nur durch Fasten und Beten vertrieben werden (Mt 17, 20; Mk 9, 28).