DER GILDEN-DIENST Nr.18-2015 – 4.5.2015 Melodys Baby Von Bernard Bellefroid (MFA, Kinostart 14.Mai 2015) Melody ist eine hübsche junge Französin aber arm. Doch sie hat Träume. Sie möchte einen Friseursalon eröffnen. Das Geld zum Kauf muss sie rechtzeitig vorlegen. Was tun? Sie sucht Frauen, die keine Kinder haben können und deswegen eine Leihmutter brauchen. Im Internet hat die begüterte, in einer Villa wohnende, aus dem englischen Sprachbereich stammende Emily Melody rasch gefunden. Die beiden Frauen werden handelseinig – ohne sich zunächst zu mögen. Es wird ständig um neue Bedingungen gefeilscht, der Deal könnte durchaus noch platzen. Schließlich, nach einiger Wartezeit, wird Melody schwanger. Sie zieht in das Landhaus zu Emily. Die lange Zeit des Wartens während der Schwangerschaft beginnt. Immer wieder stoßen die beiden aufeinander. Emily hat Angst, dass Melody sie verlässt oder betrügt, diese, die früher einen rein materiellen Zweck verfolgte, fängt an, an Ihr Kind zu denken, es zu lieben. Deshalb wird gestritten. Doch in beider Not kommen Emily und Melody auch immer wieder zusammen, weinen und lachen gemeinsam, werden so etwas wie Freundinnen. Emily erfährt vom Arzt eine schlimme Nachricht: ihr früherer Krebs ist zurückgekehrt. Sie wird nicht mehr lange leben. Jetzt ist es an Melody, um des Neugeborenen willen richtig zu handeln. Das Thema der Leihmutterschaft ist im Kino ziemlich selten. Hier, von Bernard Bellefroid, wird es auf eine recht plausible Art und Weise, viele reale Aspekte beleuchtend, abgehandelt. Allerdings ist auch festzustellen, dass manches arg konstruiert wirkt. Der Trumpf des Films ist das Spiel der beiden Frauen: wie sie ihre Unterschiedlichkeit zum Ausdruck bringen; wie jede ihre eigene Forderung durchsetzen will; wie die Gefühlswallungen kommen und gehen; wie sie sich anschreien und im nächsten Moment in den Armen liegen; wie die eine an der nicht mehr zu umgehenden Todeserwartung leidet und die andere an der verantwortungsvollen Zukunft mit dem Kind; wie die belgische Lucie Debay (Melody) und die australische Rachael Blake (Emily) schauspielerisch harmonieren (und beide ausgezeichnet wurden), das ist schon große Klasse. Abgesehen vom Thema und vom übrigen ist schon allein das ein Grund, diesen Film anzusehen. Filmkunsttheatern und Programmkinos zu empfehlen. Silentium – Vom Leben im Kloster Von Sobo Swobodnik (Mindjazz, Kinostart 14.Mai 2015) In diesem Film ist nicht vom Judentum, vom Islam, vom Buddhismus oder anderen Religionen die Rede, sondern einzig und allein vom Katholizismus. In früheren Zeiten nahm dieser die Menschen in zu hohem Maße und zum Teil in der abwegigsten Weise gefangen, heute ist die Rolle, die er spielt, eindeutig stark eingeschränkt – zu stark, wie viele meinen. In diesem Spannungsfeld befindet sich das Leben in dem südöstlich von Sigmaringen gelegenen Kloster Habsthal, das hier geschildert wird. In der jetzigen Welt sind Geld, Macht, Neid, Konkurrenzdruck, Urlaub und „Fun“ wichtiger als Einkehr, Besinnung und Glaube, wie sie in Habsthal gelten. Es wird sich dann herausstellen, wer Recht hat, wenn es einmal ans Sterben geht. Die Nonnen (früher sagte Man „Schwestern“) von Habsthal haben sich für Letzteres entschieden. Sie beten und arbeiten, wie es der heilige Benedikt es gefordert hat. Sie sind nur noch zu viert –Kornelia, Hildegard, Walburga und Lidwina- und drei davon in beträchtlichem Alter. Ob es in nächster Zeit Nachwuchs geben wird, ist keineswegs sicher. 1946 waren es noch an die 60 Nonnen. Mit im Kloster lebt auch der Mönch Pius. Wie jedermann nähen, bügeln oder putzen sie, arbeiten im Garten oder essen – aber vor allem beten sie immer wieder, gemeinsam oder einzeln – und halten absolute Stille ein. Nur das Notwendigste und Wichtigste wird beredet. Und so geht es tagein, tagaus, das ganze Leben lang. Eine der vier Schwestern lebt seit über 60 Jahren in Habsthal. Swobodniks Film arbeitet, dem Klosterleben angepasst, absichtlich mit den wirklich einfachsten Mitteln. Manchmal, wenn man an das heutige Kino denkt, könnte man meinen, es fehle etwas. Doch das ist nicht der Fall, das Ganze ist Absicht und Stil. Deshalb ist es bei weitem nicht immer leicht dabei zu bleiben. Doch man kann aus dem Dokumentarfilm auf jeden Fall Schlüsse ziehen. Die Schwestern haben den Glauben: an Christus, an Gott, an die Erlösung, an das ewige Leben. Unzählige Menschen halten das für reinen Humbug. „Man wird sehen.“ Glücklicherweise ist es jedem überlassen, sich selbst zu entscheiden. Für Interessierte im Arthouse-Bereich. La Buena Vida – Das gute Leben Von Jens Schanze (Camino, Kinostart 14.Mai 2015) Steinkohle, Braunkohle, Atomenergie, erneuerbare Energie – was brauchen wir? Das Problem ist groß, die damit in aller Welt verbundenen Notwendigkeiten sind es ebenso. Tamaquito, ein Wald-Dorf in Kolumbien. Lange lebten die etwa 30 WayúuIndianerfamilien dort friedlich und so wie ihre Vorfahren. Dann die schlechte Nachricht: Das Dorf muss umgesiedelt werden, denn die in der Nähe arbeitende Steinkohlemine Cerrejón, finanziell in Schweizer, britischer und australischer Hand, braucht Terrain. Sie schürft im Tagebau ab und frisst ständig riesige Geländeteile. Tamaquito kämpft, kann aber gegen die Großkonzerne (und den allgemeinen Kohlebedarf) nichts ausrichten. Jairo ist im Dorf der Anführer. Er verhandelt jahrelang, stellt Forderungen, ohne deren Erfüllung nichts geht, verlangt vor allem Waser, Wasser, Wasser – denn ansonsten könnten die Umgesiedelten weder sich selbst noch ihr Vieh noch ihre Pflanzen versorgen. Wasser ist in Kolumbien rares, wertvolles Gut. Nicht dass der Konzern nichts täte oder getan hätte. Er hat am neuen Ort kleine (hässliche) Häuschen mit Elektrizität, Duschen und Toiletten gebaut, erfüllte gewisse Bedingungen, arbeitete mit der kolumbianischen Armee zusammen, um die FARCGuerilla auszuschalten, organisierte den Umzug, steht, so wurde gesagt, immer mit Rat und Tat zur Seite. Die Umsiedlung fand also statt. Die Wayúus aber sind unglücklich in ihrem menschenleeren Straßendorf. Sie leiden außerdem, wie schon immer vermutet werden konnte, unter starkem Wassermangel. Richten sie bei den verantwortlichen Firmen (u.a. in Europa) nichts mehr aus? Ein soziales, gesellschaftspolitisches Beispiel und Drama, wie es viele in der Welt gibt. Dieses ist lebensnah, sympathisch und mit viel Mitgefühl erzählt. In nicht wenigen Szenen dieses Dokumentarfilms (Projektlaufzeit vier Jahre) spürt man, wie der Regisseur (später auch der Zuschauer) mit diesen Menschen empfindet. Es ist immer dasselbe: Die mächtige Kapitalwelt steht gegen die ohnmächtige Welt der „Kleinen“. Solange das - durch welche Mittel auch immer - nicht geändert wird, hört das Leid nicht auf. Als charakteristisches Beispiel im Arthouse-Bereich sehr gut möglich. Zweite Chance Von Susanne Bier (Prokino, Kinostart 14.Mai 2015) Tristan ist ein Prolet und Schläger, der seine Sanne wie den letzten Dreck behandelt. Immerhin haben die beiden ein noch ganz kleines Kind. Doch dieses wird stark vernachlässigt, denn seine Eltern sind Junkies ersten Grades. Als sie sich wieder einmal zu laut streiten, kommt die Polizei. Sie sieht den Säugling und will ihn in Obhut geben, doch da das Kind weder verletzt noch unterernährt ist, darf es bei den Rabeneltern bleiben. Andreas und seine schöne Anne haben ebenfalls einen Säugling, den kleinen Alexander. Leider stirbt dieser am plötzlichen Kindstod. Annes Schock darüber ist nicht nur groß sondern lebensgefährlich. Andreas will ihr etwas Gutes tun, schleicht nachts zu den völlig zugekifften Tristan und Sanne, nimmt deren Kind und legt den toten kleinen Alexander an dessen Platz. Anne geht es längere Zeit nicht gut, doch langsam betrachtet sie das fremde Kind als ihren Alexander. Allerdings nicht für immer. Denn sie nimmt sich das Leben. Andreas, von Beruf Polizist und immer mit seinem Kollegen und Freund Simon auf Streife, versucht nun mit allen Mitteln, Tristan und Sanne als Schuldige für den Tod ihres Kindes hinzustellen. Das gelingt ihm auch beinahe. Sanne muss in die Psychiatrie, Tristan riskiert, ins Gefängnis zu kommen, in das ihn Andreas früher schon einmal gebracht hatte. Doch dann tritt der unberechenbare Zufall ein. Bei einem der Verhöre verspricht Andreas sich. Simon bleibt nun nichts anderes übrig, als alles aufzudecken. Polizist ist Andreas die längste Zeit gewesen. Dramatisiert, bebildert und ausgestattet ist das alles professionell, schließlich ist Susanne Bier eine ausgezeichnete Regisseurin. Allerdings hapert es ganz schön mit der Wahrscheinlichkeit der Geschichte! Das wiederum ist zum Teil ausgeglichen durch die Schauspielertruppe. Die Darsteller bringen die Merkmale ihrer Charaktere sehr gut zum Ausdruck: Maria Bonnevie ist die tödlich leidende Anna, Nikolaj Lie Kaas der brutale rauschgiftsüchtige Tristan, Ulrich Thomsen der getreue Simon, Lykke May Anderson die geschundene und verzweifelte Sanne, Nikolaj Coster-Waldau der riskant handelnde Andreas, dessen gut gemeintes Fehlverhalten das ganze tragische Geschehen erst auslöst. In Filmkunsttheatern und Programmkinos sehr gut möglich. Papusza – Die Poetin der Roma Von Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze (Kairos, Kinostart 7.Mai 2015) Einen Film über eine Roma-Dichterin zu machen, das ist neben der Kinomassenproduktion schon eine außergewöhnliche Idee. Hier ist sie auf bemerkenswerte Weise verwirklicht. Es geht um Bronislawa Wajs. Ihr sich durch das ganze 20. Jahrhundert in Polen spielendes Lebensschicksal dient als roter Faden, anhand dessen eine ganze Kultur widergespiegelt wird. „Papusza“ wird Bronislawa von ihrer Mutter liebevoll genannt. Wir sehen ihre früheste Kindheit; die ruhelosen Wanderungen dieser Zigeuner im Tross; die totale Abschottung der Roma-Gemeinschaft nach außen; die Tatsache, dass jeder, der ihrer Sippe nicht angehört, mit Misstrauen betrachtet und behandelt wird; dass sie ausschließlich „romanes“ (die Roma-Sprache) sprechen; dass die Männerherrschaft und der Alkohol eine nicht geringe Rolle spielen; dass einer gezüchtete Hühner nicht mag sondern nur gestohlene; dass sie fromm sind, das Schamanentum und der Aberglaube aber ebenso blühen; dass sie wie die Juden, die vor den Massenmorden der Nazis immerhin einen Gutteil der polnischen Bevölkerung ausmachten, von den Nichtroma als minder behandelt und immer wieder von den von ihnen gewählten Plätzen vertrieben werden. Dann speziell das Leben von Papusza. Wie ihr von einer jüdischen Händlerin das Lesen beigebracht wird; wie schon allein diese Tatsache von ihrem Vater verdammt wird; wie sie von einem befreundeten Schriftsteller in ihren ersten poetischen Versuchen unterstützt wird; wie sie immer wieder an sich zweifelt; wie sie schließlich wunderschöne Gedichte über die Natur, über ihre Träume, über ihre Sehnsucht nach Reisen verfasst; wie ihre Kunst heute langsam anerkannt wird. Es war gewiss nicht einfach, im Film diese Welt wieder auferstehen (und die Ausstattung rekonstruieren) zu lassen. Joanna und Krzysztof Krauze haben es in jahrelanger Arbeit geschafft. Und die verschiedenen Zeitebenen in wunderbare, z.T. einzigartige Schwarzweißbilder gekleidet. Ein positives Ergebnis: „Seit der Film in Polen herauskam, sind die Geschichte und die Situation der Roma wieder mehr im Bewusstsein präsent. Und auch Papuszas Gedichte werden aktuell wieder nachgedruckt.“ Etwas sowohl gesellschaftspolitisch als auch filmisch ziemlich Außergewöhnliches. In Filmkunsttheatern und Programmkinos sehr gut möglich..