Sensation-Seeking und Medien

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Darstellung und Wirkung des Sports in Medien I
Sensation Seeking
Jana Kießling
[email protected]
Schlüsselwörter: Sensation-Seeking, Reizsuchetendenz, Zuckerman, Medien
Einführung
Die Auffassungen in der Medienwirkungsforschung über die Rolle des Rezipienten
haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Früher wurde er als ein vollkommen
passives Wesen dargestellt und den Medien wurden direkte, störungsfreie, starke
und kollektiv-massenhafte Effekte zugeschrieben (stimulusorientierte Perspektive).
Diese behavioristische S-R-Theorie wurde später zum S-O-R-Modell erweitert, in
welchem der Rezipient mit seinen Eigenschaften als „black box“ mehr Beachtung
fand.
Die Einnahme einer rezipientenorientierten Perspektive vollzog sich spätestens seit
Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Person des Rezipienten wurde
in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtungen gerückt und die Massenmedien
als „Gratifikationsinstanzen“ zur Befriedigung individueller Bedürfnisse betrachtet.
(„Uses-and-Gratifications-Ansatz“). Es entstand „ein aktives Bild vom Rezipienten,
das einen bewusst Agierenden beschreibt, der gemäß seinen individuellen
Bedürfnissen einen rational zielorientierten Umgang mit den Medien und ihren
Angeboten pflegt.“
Nach Gleich et al. sollte eine Orientierung an der Persönlichkeit des Rezipienten im
engeren Sinne erfolgen. Die Persönlichkeitsmerkmale von Personen, als
Variablengruppe zusammengefasst, scheinen auch zur Differenzierung des
individuellen Verhaltens gegenüber Medien geeignet zu sein. Solche
differentialpsychologischen Konstrukte können also der Differenzierung und
Erklärung individuellen Handelns von Rezipienten gegenüber Medien dienen.
Eines dieser Persönlichkeitsmerkmale wird als Sensation-Seeking bezeichnet.
Nachfolgend wird dieses von Marvin Zuckerman entwickelte Konzept näher
vorgestellt.
Inhalt
Sensation Seeking
Die Entwicklung des Sensation-Seeking-Konzepts geht auf Marvin Zuckerman
zurück. Er definiert es als „eine Verhaltensdisposition, die gekennzeichnet ist, durch
das Bedürfnis nach abwechslungsreichen, neuen, komplexen Eindrücken und
Erfahrungen und der dazugehörigen Bereitschaft, physische und soziale Risiken in
Kauf zunehmen“. Das sei als stabiles Persönlichkeitsmerkmal anzusehen, das die
Tendenz von Individuen beschreibt, nach neuen und intensiven Reizen und/oder
Erfahrungen zu suchen.
Zuckerman geht davon aus, dass diese Reizsuchetendenz zum Teil genetisch
determiniert ist (50 bis 60 Prozent). Es würden aber keine komplexen
Verhaltensmuster vererbt, sondern biologische Prädispositionen, die bestimmen
inwieweit solche Verhaltensmuster überhaupt erlernt werden können.
Untersuchungen
ergaben
bei
Sensation-Seekern
einen
höheren
Level
an
Sexualhormonen, ein durchschnittlich geringeres Niveau von Monoaminoxidase
(hemmt Neurotransmitter, die wiederum Aktivität und Emotionen regulieren) sowie
einen niedrigeren Level an Endorphinen (dämpfen Aktivität und Aktivierung).
Diese biologische Fundierung ist jedoch nicht unumstritten. Auch die sozialen
Komponenten (Sozialisations- und Lernprozesse) sollten berücksichtigt werden, da
durch sie individuelle Unterschiede im Reizsucheverhalten ebenso determiniert
werden können.
Personen die über eine hohe Reizsuchetendenz verfügen, werden als HighSensation-Seeker, solche mit einer niedrigen Reizsuchetendenz als Low-SensationSeeker (LSS) bezeichnet.
High-Sensation-Seeker (HSS) verfügen über ein breiteres Spektrum riskanter
Aktivitäten, haben häufigere und variierendere sexuelle Erfahrungen, Drogen- und
Nikotinkonsum sowie Alkoholgenuß gehören häufiger in ihr Verhaltensrepertoire.
Sie
haben
außerdem
unkonventionellere
politische
und
ethisch-moralische
Einstellungen.
Bei Männern fanden sich in den zahlreichen Untersuchungen durchweg höhere
Werte als bei Frauen. Auch das Alter der Probanden scheint eine Rolle zu Spielen,
vor allem bei jüngeren Personen werden hohe Sensation-Seeking-Werte beobachtet.
Bildung, sozioökonomischer Status und kulturelle Aspekte spielen dagegen keine
gravierende Rolle.
Sensation-Seeker verfügen offensichtlich im Vergleich zu Nicht-Sensation-Seekern
über
einen
sehr
responsiven
und
starken
Wahrnehmungs-
und
Reizverarbeitungsapparat. Sie können also starke Reize wahrnehmen und
aushalten. Eine Wiederholung von Reizen führt jedoch zu sinkendem Interesse und
sinkender Zuwendung. Demnach werden solche Reize konsumiert, die für den
Einzelnen einen Belohnungswert haben.
Sensation-Seeker begeben sich auf eine aktive und selektive Suche nach neuen
(starken) Reizen einer bestimmten Qualität.
Zur
Abgrenzung
des
Sensation-Seeking-Konzepts
gegenüber
anderen
Persönlichkeitsmerkmalen gibt es unterschiedliche Ansichten (vgl. Burst, 1999,
S.160).
In
der
Persönlichkeitspsychologie
existiert
das
„Fünf-Faktoren-Modell
der
Persönlichkeit“. Lange Zeit wurde Sensation-Seeking einem der fünf Basisfaktoren
dieses Modells untergeordnet.
Andresen (1995) hingegen sieht die Risikobereitschaft als zusätzlichen Basisfaktor.
Zur
Erfassung
des
Persönlichkeitsmerkmals
Sensation-Seeking
wurde
ein
entsprechendes Erhebungsinstrument entwickelt, die „sensation-seeking-scale“
(SSS). Mit ihr wurden verschiedene, durch Reizsuche gekennzeichnete Verhaltenstendenzen abgefragt und Sensation-Seeking auf vier Dimensionen erfasst.
- „Thrill- and Adventure-Seeking“
= Suche nach ungewöhnlichen Reizen durch physische Aktivitäten, Abenteuer
- „Experience – Seeking“
= Suche nach sensorischer Erfahrung und kognitiver Stimulation
- „disinhibition“
= Suche nach Stimulation durch soziale Begegnungen
- „boredom susceptibility“
= Intoleranz gegenüber Langeweile
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Sensation-Seeking-Skala von Gniech et al.
(1993), die für den deutschsprachigen Raum entwickelt wurde. Sie umfasst 20 Items.
Tabelle 1:
Benennung und Beschreibung der vier Subskalen der SSS von
Gniech et al. (1993)
Bezeichnung
Beschreibung
Thrill and Adventure Seeking mit vitalem Auf
Risiko
körperliche
sozial
Aktionen
akzeptierte
oder
ausgelegte
missbilligte
Erlebnismotive, die mit realen Risiken
verbunden sind
Thrill and Adventure Seeking ohne vitales Suche
Risiko
nach
Situationen,
die
starke
sensuelle Reize vermitteln, aber die
eigene Person nicht gefährden (z.B. laute
Musik)
Experience Seeking wunschbezogen
Erlebnismotive, die sich auf zukünftige,
gewünschte
Ereignisse
Etikettierungen
der
bzw.
eigenen
Persönlichkeit beziehen
Experience Seeking sozial aktiv
Erlebnismotive, bei denen der Kontakt zu
anderen
Menschen
als
wichtigste
Anregungsquelle genutzt wird
(In: Burst, 1999, S. 166)
Sensation-Seeking und Medien
Medien bieten Stimulanz, Anregung und breite
Erfahrungsmöglichkeiten in
unterschiedlicher Hinsicht. Nach Gleich et al. (1998) präsentieren Medien Ereignisse,
die im Alltag nicht oder nur sehr selten erfahrbar sind (Science Fiction, Horror oder
Reality-TV Sendungen, die Menschen in Extremsituationen darstellen). Der
Anregungscharakter solcher Formate entsteht durch die Ungewöhnlichkeit oder
Neuigkeit im Vergleich zu alltäglichen Erlebnissen.
Andererseits könnten formale Gestaltungsmerkmale wie die Schnittfrequenz oder der
Einsatz von Musik anregend und unterhaltsam wirken.
Aufallend ist die Häufung von arbeiten, die Reizsuche mit extremen Medieninhalten
wie Horror oder Erotik in Verbindung bringen.
Studien, die Sensation Seeking mit generellen Aspekten der Fernsehnutzung oder
der Programmselektion in Verbindung bringen, sind dagegen seltener zufinden.
Zuckerman und Litle (1986), Edwards (1991), Johnston (1995) u.a. untersuchten die
Zusammenhänge zwischen Sensation-Seeking und der Präferenz für Horrorfilme
oder Darstellungen morbider Inhalte.
Es zeigten sich überall mehr oder weniger deutliche Korrelationen zwischen
Sensation-Seeking und der tatsächlichen Nutzung von bzw. Präferenz für
Horrorfilme.
Außerdem zeigten Sensation-Seeker mehr Interesse für Actionfilme und besuchten
öfters Rock- und Popkonzerte.
Rowland, Fouts und Heatherstone (1989) untersuchten den Zusammenhang
zwischen Sensation-Seeking und der Nutzung des Mediums Fernsehen. SensationSeeker nutzten demnach das Fernsehen häufig als Nebenbei-Medium, während sie
gleichzeitig anderen Beschäftigungen nachgingen. Sie sind aufgeschlossener und
liberaler gegenüber dem Fernsehen und seinen Inhalten und zeigten ein
ausgeprägteres Zappingverhalten.
Gleich et al. (1998) untersuchten Zusammenhänge zwischen Sensation-Seeking,
individuellem
Fernsehverhalten,
spezifischen
Programmpräferenzen
und
Freizeitverhalten. Die Ergebnisse (Gleich et al., 1998, S. 673-682) ergaben keine
Hinweise darauf, dass HSS weniger oder mehr fernsehen als LSS, dass keine
signifikanten Unterschiede im Bezug auf das Umschaltverhalten, die Anzahl der TVGeräte und die Größe des Bildschirms haben. HSS haben ein ausgeprägteres
Bedürfnis zur Vermeidung von Langeweile sowie nach Anregung und Spannung als
LSS. Desweiteren gehen Sensation-Seeker eindeutig einher mit Vorlieben für Actionund Horrorprogrammen sowie Erotikdarstellungen. HSS verbringen im Durchschnitt
mehr Zeit mit Freizeitaktivitäten als LSS.
Bedeutung des SS-Konzeptes in der sportwissenschaftlichen Forschung
Nach Bakker und Whiting (1992) scheint Sensation Seeking neben Extraversion
diejenige Persönlichkeitsvariable zu sein, bezüglich derer (Hochleistungs-) Sportler
von Nicht-(Leistungs-) Sportlern unterschieden werden können. In diversen
Validierungsstudien konnten eine Reihe von Unterschieden zwischen Personen mit
einer hohen (High Sensation Seeker; HSS) und denjenigen mit einer niedrigen
Reizsuchetendenz (Low Sensation Seeker; LSS) festgestellt werden.
Die bisherigen Untersuchungen lassen sich in zwei dominierende Forschungsstränge
einteilen.
In
der
ersten
Richtung
steht
die
Analyse
von
speziellen
Risikosportgruppen. Ein weiterer Zweig beschäftigt sich mit der Untersuchung eines
allgemeinen Zusammenhangs zwischen Sensation Seeking und sportlicher Aktivität.
Untersuchungen von Risikosportlern:
Straub (1982) hat Risikosportler (wie 33 Gleitschirmflieger und 22 Auto-Rennfahrer
mit 25 Bowlingspielern) verglichen. Seine Hypothese, dass Risikosportler einen
signifikant höheren SS-Gesamtscore aufweisen und auch die vier Subskalen höher
bewerten. Die Hochleistungssportler bewerteten die Gesamtskala sowie alle
Subskalen außer der Boredom Susceptibility Skala höher als die Probanden der
Kontrollgruppe.
Ein Beispiel zeigte die Persönlichkeitseigenschaften von 7 Teilnehmern einer
norwegischen
Mount
Everest
Expedition.
Von
Breivik
(1996)
wurden
38
Elitekletterern, 43 Sportstudenten und 26 militärischen Rekruten verglichen. Dabei
wurde
neben
einem
high-risk
Persönlichkeitsprofil
auch
ein
typisches
Expeditionsteilnehmerprofil gefunden. Ein Ergebnis dieser Studie war, dass es sich
bei diesen Mount Everest- Besteigern durchweg um High Sensation Seeker handelt,
die sehr hohe Sensation Seeking-Werte in drei der vier Subskalen (TAS, ES, BS)
und im Gesamtscore hatten.
Zusammenhänge zwischen Sensation Seeking und sportlicher Aktivität:
Rowland, Franken & Harrison (1986) zeigten bei einer Untersuchung, dass High
Sensation Seeker über die Zeit dazu tendieren, mehr Sportarten auszuüben als Low
Sensation Seeker. Dagegen bleiben LSS einer Sportart über einen längeren
Zeitraum verbunden. Außerdem konnte ein Zusammenhang zwischen Geschlecht,
Sensation Seeking und der Entscheidung für bestimmte sportliche Aktivitäten
gefunden werden.
Bei einer Befragung von 134 Angehörigen einer überwiegend studentischen
Stichprobe (58 Frauen, 76 Männer) von Gleich (1998) wurde das Merkmal SS
signifikant häufiger bei den Männern gefunden. Außerdem korrelierte SS mit der
Vorliebe für Sport im Fernsehen. Hinsichtlich ihrer Freizeitaktivitäten zeigten sich
Personen mit einer hohen Reizsuchetendenz als im Gesamtausmaß stärker aktiv
und mit einer stärkeren Vorliebe für Nachtschwärmer-Aktivitäten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass insbesondere Extremsportler, die eine
sogenannte High-Risk-Sportart ausüben, als High Sensation Seeker identifiziert
wurden. Außerdem scheint die Reizsuchetendenz stärker bei männlichen, jüngeren
Erwachsenen ausgeprägt zu sein.
Das Anregungspotential sportlicher Aktivitäten soll einerseits bezogen auf die
Sportartenpräferenz und den damit verbundenen Trainingsumfängen analysiert
werden und anderseits mit dem anderer Freizeitaktivitäten verglichen werden.
Zusammenfassung Kritik, Diskussion, Ausblick
Die individuelle Tendenz zur Reizsuche, die von Zuckerman als stabiles
Persönlichkeitsmerkmal beschrieben wird, steht in einem deutlichen Zusammenhang
mit dem Fernsehverhalten von Rezipienten. Das Fernsehen stellt für SensationSeeker eine Möglichkeit dar, Bedürfnisse nach Anregung und Stimulation zu
befriedigen (Gleich et al., 1998, S.682).
Diese Ausführungen sollen als Diskussionsgrundlage dienen, inwieweit das Konzept
des Sensation-Seeking für die Sportberichterstattung in den Medien relevant ist, bzw.
in welchem Maße Sportbeiträge für Sensation-Seeker gewisse Reize setzen können.
Welche Sportarten könnten am besten dafür in Frage kommen? Wie müssten die
Beiträge gestaltet sein?
Literatur
Bommert, H., Weich, K.-W. & Dirksmeier, C. (1995). Rezipientenpersönlichkeit und Medienwirkung.
Der persönlichkeitsorientierte Ansatz der Medienwirkungsforschung (Medienpsychologie,
Bd.1).Münster: LIT Verlag.
Burst, M. (1999). Zuschauerpersönlichkeit als Voraussetzung für Fernsehmotive und
Programmpräferenzen. Medienpsychologie, 3, 157 - 181
Gleich, U., Kreisel, E., Thiele, L., Vierling, M. & Walther, S. (1998). Sensation Seeking,
Fernsehverhalten und Freizeitaktivitäten, 661 – 688. In W. Klinger, G. Roters & O. Zöllner (Hrsg.),
Fernsehforschung in Deutschland. Themen – Akteure – Methoden. Teilband 2. Baden-Baden:
Nomos Verlagsgesellschaft.
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