Neue Politische Ökonomie: Die politischen Akteure III Interessengruppen Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg SS 2008 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München Pol. Ökonomie 1 Die politischen Akteure III Interessengruppen Aufbau der Vorlesung • Die Rolle von Interessengruppen in der Politik • Die Logik kollektiven Handelns • Lobbying • Rent-Seeking • Zusammenfassung Aufbau der VL 2 Die Rolle von Interessengruppen I • Aggregation von Interessen – Die Wähler/Stimmbürger organisieren sich in Interessengruppen (und Parteien), um ihre Präferenzen im politischen Prozess zu äußern. • Informationsvermittlung – Gegenüber den Repräsentanten: Information über die Präferenzen der Bürger – Gegenüber den Bürgern: Information über die Positionen einzelner Gruppen von Wählern zu bestimmten Sachfragen. Die Rolle von Interessengruppen 3 Die Rolle von Interessengruppen II • Informationsvermittlung – In beiden Fällen besteht aufgrund asymmetrischer Information die Möglichkeit für die Interessengruppen, verzerrte Informationen weiterzugeben. – Frage des Wettbewerbs zwischen Interessengruppen. – Frage des Zugangs zu den politischen Entscheidungsträgern • Was sind die Mechanismen und Kanäle der Einflussnahme? Die Rolle von Interessengruppen 4 Die Logik des kollektiven Handelns I • Vertretung der Interessen der Gruppenmitglieder im politischen Prozess als öffentliches Gut – Mancur Olson (1965): Die Logik des kollektiven Handelns – Trittbrettfahrerproblematik. – Mitglieder einer Interessengruppen wollen vertreten sein. – Vertretung wird auch vorgenommen, wenn ein Mitglied sich nicht finanziell beteiligt. Die Logik kollektiven Handelns 5 Die Logik des kollektiven Handelns II • Vertretung der Interessen als öffentliches Gut – Ein einzelner Abweichler reduziert die Durchsetzungsfähigkeit der Interessengruppe und damit den Erfolg der Interessenvertretung nicht. – Ein Abweichler ist unmerklich. – Jedes Mitglied der Interessengruppe hat einen Anreiz, keine Mitgliedsbeiträge zu zahlen. – Kollektiv unerwünschtes Ergebnis. Die Logik kollektiven Handelns 6 Die Logik des kollektiven Handelns III • Historisch: Problemlösung über Zwang – Bsp.: Streikposten. • Theorie selektiver Anreize von Olson – Anreiz zum finanziellen Beitrag durch das Angebot an privat zurechenbaren Gütern und Leistungen als Kuppelprodukt zur Interessenvertretung. – Monopolisierung des Kuppelprodukts und Verwendung der Monopolrente für Lobbying – Bsp.: Gewerkschaften bieten neben der Vertretung im Tarifkonflikt private Dienstleistungen, u.a. günstige Versicherungen an. Die Logik kollektiven Handelns 7 Die Logik des kollektiven Handelns IV • Durchsetzungsfähigkeit von Interessengruppen hängt ab von – Größe der Interessengruppe • kleine Gruppen umgehen das Trittbrettfahrerproblem aufgrund der stärkeren sozialen Kontrolle leichter. – Homogenität der Interessengruppe • Interessengruppen mit homogenen Präferenzen haben mehr Erfolg. • Konzentration auf eindeutige Ziele hilft. • Bsp.: Landwirtschaft vs. Bund der Steuerzahler. Die Logik kollektiven Handelns 8 Lobbying I • Lobbying als Nachfrage von Interessengruppen nach Transfers aus dem politischen Prozess – In der Politik sind manche Gruppen erfolgreicher als andere und erhalten Transfers • Nettonachfrager – Andere zahlen dafür, weil sie schlechter organisiert sind. • Nettoanbieter – Lobbyinggleichgewicht im Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage. Lobbying 9 Lobbying II • Stigler-Peltzman-Chicago View – Beginnend mit Stiglers Analyse der Bestimmungsfaktoren staatlicher Regulierung. – Peltzman (1976): Konsumenteninteressen vs. Produzenteninteressen im politischen Prozess. • Regulatorisches Gleichgewicht nach obigem Muster. – Abbildung 1: • Indifferenzkurven, In, des ‚Regulators‘ (‚IsoMehrheitskurven‘) als Abbild des politischen Prozesses. • Jede Kurve bildet Kombinationen von Preisen und Gewinnen ab, die die gleiche politische Unterstützung erhalten. Lobbying 10 Lobbying III Gewinn I1 I0 E Vermögen 0 Preis Abbildung 1: Das Modell von Peltzman Lobbying 11 Lobbying IV • Stigler-Peltzman-Chicago View – Abbildung 1: • Nordwestlich höhere Kurven zeigen eine größere politische Unterstützung an. • Positive Steigung: Wenn Stimmen durch steigende Preise aufgrund der Regulierung verloren gehen, müssen diese durch eine Gewinnanstieg kompensiert werden, um die gleiche politische Unterstützung hervorzubringen. • ‚Gewinnhügel‘ als das zur Einkommensumverteilung zur Verfügung stehende Vermögen. • Politisches Gleichgewicht in E. Lobbying 12 Lobbying V • Kritik an der Stigler-Peltzman-Chicago View – Keine explizite Berücksichtigung des politischen Prozesses – Reduktion auf ‚Iso-Mehrheitskurven‘, die das Ergebnis ‚treiben‘, ohne dass sie näher erläutert sind. – Stabilität der Iso-Mehrheitskurven steht in Frage. – ‚Gewinnhügel‘ fallen vom Himmel: Kartell- bildung oder Naturkatastrophen können sie verändern. Lobbying 13 Lobbying VI • Beckers Modell – Kommentar zu Peltzman: Argumentation lässt sich auf alle Arten von Regulierung ausdehnen, auch auf soziale Regulierungen. – Nach Becker führen Angebots- und Nachfrageprozesse zu einem effizienten Transfer von Ressourcen zwischen Interessengruppen. – Wettbewerb zwischen Interessengruppen reduziert die Effizienzkosten des Lobbying auf ein Minimum. Lobbying 14 Lobbying VII • Beckers Modell – Ökonomische Vorteile werden ausgenutzt. – Wenn eine Situation geringere Kosten verursacht, wird sie gewählt. – Kritik: • • • • Effizienz der Transfers ist nicht messbar. Kosten mancher Transferprogramme sind hoch. Problem der Erklärung von Organisationskosten. Produktionsfunktionen des Lobbying als ‚Black Box‘ • Deregulierungsdiskussion in den 80ern. Lobbying 15 Lobbying VIII • Geld und Einfluss von Interessengruppen – Produktionsfunktion des Lobbying bei Becker • Keine Diskussion, warum und wann Einfluss effektiv ist. • Keine Diskussion, warum manche Gruppen mehr Einfluss haben als andere. • Keine Diskussion, warum von Interessengruppen eingesetzte Ressourcen einen Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse haben sollten. • Keine Diskussion, warum verschiedene Gruppen unterschiedliche Muster der Einflussnahme aufweisen. Lobbying 16 Lobbying IX • Geld und Einfluss von Interessengruppen – Wahlkampfausgaben in den USA als Anknüpfungspunkt (PAC‘s) – Gruppen tätigen Wahlkampfausgaben an Kandidaten im Austausch gegen eine bestimmte Politik. – Im Gleichgewicht gleicht jeder Kandidat die Grenznutzen politischer Unterstützung einer Politikmaßnahme durch die Wähler mit der von der Gruppe gezahlten Wahlkampfunterstützung marginal aus. Lobbying 17 Lobbying X • Geld und Einfluss von Interessengruppen – Die Interessengruppen maximieren ihren erwarteten Ertrag. – Die Politik wird von derjenigen ohne Wahlkampfunterstützung in Richtung der Wünsche der Gruppe verschoben. – Das versuchen alle Gruppen, so dass ein Wettbewerb zwischen ihnen entsteht. Lobbying 18 Lobbying X • Geld und Einfluss von Interessengruppen – Politiken sollten sich stärker verändern, wenn die Geldgeber besonders starke Präferenzen und die Kandidaten besonders schwache Präferenzen haben. – Kandidaten mit höherer Siegeswahrscheinlichkeit erhalten höhere Zuwendungen. – Bei erwartet knappen Wahlausgängen erhalten alle aussichtsreichen Kandidaten Zuwendungen. Lobbying 19 Lobbying XI • Geld und Einfluss von Interessengruppen – Empirisch wird das meiste Geld aus den Wahldistrikten der Kandidaten gezahlt. – Empirisch hat die erwartete Knappheit des Wahlausgangs keinen Einfluss auf die Wahlkampfausgaben. – Bedeutsamkeit einer Entscheidung erfordert wesentlich höhere Zuwendungen. – Empirisch erfolgen mehr Zuwendungen an den marginal entscheidenden Abgeordneten. Lobbying 20 Lobbying XII • Geld und Einfluss von Interessengruppen – Zuwendungen ballen sich zum Zeitpunkt wichtiger politischer Entscheidungen und zu Wahlzeitpunkten. – Zuwendungen werden von einer Industrie verstärkt an die mit der Regulierung dieser Industrie betrauten Parlamentsausschüsse gewährt. – Repräsentantenhaus: Wahlkampfausgaben verbessern Aussichten des Amtsinhabers nicht. – Senat: Wahlkampfausgaben verbessern die Aussichten des Amtsinhabers. Lobbying 21 Lobbying XIII • Information und Einfluss von Interessengruppen – Interessengruppen informieren Kandidaten über die Bedeutsamkeit von politischen Entscheidungen. – Sie informieren die Wahlberechtigten über Eigenschaften und Verhalten der Kandidaten. – Kandidaten profitieren in der Regel von dieser Information: ‚Bessere‘ Entscheidungen – Je näher sich die Positionen einer Interessengruppe und eines Abgeordneten befinden, um so mehr Einfluss hat die Gruppe. Lobbying 22 Rent Seeking I • Renten – ökonomische Renten aus der Wettbewerbstheorie – Marktlagengewinne – Zusatzgewinne: Pionierrenten – Monopol, Regulierung, Zölle, Subventionen. – Die Regierung kann einer Gruppe helfen, ihre Monopolsituation zu schützen, zu verstärken oder sie überhaupt erst zu schaffen. – Die Monopolrente der bevorzugten Gruppe wird auf Kosten der Konsumenten erhöht. Rent Seeking 23 Rent Seeking II • Traditionelle Theorie: Renten als reine Transfers ohne allokative Wirkung. • Rentenstreben als Quelle potentieller sozialer Kosten: – Tullock (1967) – Krueger (1974): Erstmalige Benutzung des Terminus technicus. – Posner (1975): erste Version eines Rent-Seeking Spiels. – Surveys: Tollison (1997), Ekelund und Tollison (2001). Rent Seeking 24 Rent Seeking III Preis PM R L Grenzkosten Pc Nachfrage Menge Abbildung 2: Die sozialen Kosten des Monopols bei Rent Seeking Rent Seeking 25 Rent Seeking IV • Abbildung 2: – – – – Nachfrage nach einem monopolisierten Produkt. Wettbewerbspreis pc und Monopolpreis pM. L ist der Wohlfahrtsverlust durch das Monopol. R ist der Zugewinn an Produzentenrente für den Monopolisten, d.h. die Monopolrente. – Traditionell: L als Effizienzverlust und R als Transfer von den Konsumenten zum Monopolisten. Rent Seeking 26 Rent Seeking V • Staatlich sanktioniertes Monopol – Mehr potentielle Anbieter eines Produkts als der Monopolist existieren in einem Land. – R (bzw. der diskontierte Wert von R) ist der Preis (Auszeichnung) für die Firma, die es schafft, die staatliche Erlaubnis für das Monopol zu ergattern. – Der Monopolist wird Ressourcen investieren, um die Monopolrente zu erhalten. – Rationaler Monopolist wird bis zu R einsetzen. Rent Seeking 27 Rent Seeking VI • Quellen sozialer Kosten des Rent Seeking – Die Anstrengungen und Ausgaben der potentiellen Monopolisten. – Die Anstrengungen der Regierung und Bürokratie, um die Zuwendungen der Wettbewerber zu erhalten und darauf zu reagieren. – Verzerrungen für dritte Parteien aufgrund des Monopols oder des Regierungshandelns. – Transfers an die Regierung reichen von Geschenken bis zur Korruption. Rent Seeking 28 Rent Seeking VII • Soziale Kosten des Rent Seeking – Korruptionszahlung verursacht soziale Kosten aufgrund • • • • aufgewendeter Transaktionskosten der Gebühr für den Lobbyisten der verschwendeten Zeit der Bürokraten des verschwendeten Geldes – Regierung erhält die Rente. – Verschwindet diese Rente tatsächlich oder stellt sie in der Tat einen Transfer dar? Rent Seeking 29 Rent Seeking VIII • Rent Dissipation (Posner, 1975) – Spiel mit konstanten Kosten – Die Gewinnwahrscheinlichkeit ist proportional zur Investition der Gruppe. – Die Renten verschwinden völlig. – Beispiel: • Renten seien 100‘000. • 10 Rent-Seeker, die jeweils 10‘000 für die Rente bieten. • Ähnlich des Kaufs eines Lotterieloses mit 10% Gewinnchance. • Genau 100‘000 werden eingesetzt, um 100‘000 zu erhalten. Rent Seeking 30 Rent Seeking IX • Rent Dissipation (Posner, 1975) – Rent Seeker tätigen Ausgaben, um ihre Renten vor Wettbewerbern zu schützen. – Möglichkeiten der ‚Over- and UnderDissipation‘ – ‚Black-hole Tariffs‘: Grenzproduktivität des Lobbying übersteigt diejenige der Produktion, so dass enorme Ressourcen in Lobbying investiert werden. – Rent-Dissipation vs. Beckers Wettbewerbsansatz • Inputs für Lobbying werden effizient eingesetzt. • Aber: Transaktionskosten treten immer auf. Rent Seeking 31 Rent Seeking X Studie Land Jahr Kosten Krueger Indien 1964 7% BSP Krueger Türkei 1968 15% BSP Posner USA Versch. 3% BSP Cowling/ Mueller Ross USA 1963-1969 Kenia 1980 7-13 % BSP im 2. Sektor 38% BIP 1980-81 25-40% BSP 1985 50% BSP 1987 12.5 % des Konsums Mohammed/ Indien Whalley Laband/ USA Sophocles Lopez/ USA Pagoulatos Tabelle 1: Geschätzte Kosten des Rent Seeking 32 Rent Seeking XI Dienst- Preiser- Elastizi- Elastizi- Kosten 1 tät 2 leistung höhung tät 1 0.42 0.575 3.500 0.40 Ärzte Kosten 2 0.31 Optiker 0.34 0.394 0.450 0.39 0.24 Milch 0.11 10.00 0.339 0.15 0.10 Taxi 0.62 2.630 1.140 0.57 0.30 Öl 0.65 2.500 0.900 0.60 0.32 Airlines 0.66 2.500 2.360 0.60 0.19 Tabelle 2: Geschätzte Regulierungskosten 33 Rent Seeking XII • Messung der Kosten des Rent-Seeking • Rent Protection • Rent Seeking findet in einer bestimmten politischen Ordnung statt. • Die politische Ordnung schlägt auf das Ausmaß an Rent-Seeking und die Art des Rent-Seeking durch. • Richterliche Unabhängigkeit hilft den ‚deal‘ zwischen Rent-Seekern und der Regierung zu sichern. Rent Seeking 34 Zusammenfassung I • Bedeutende Rolle der Interessengruppen im politischen Prozess – Nachfrageäußerung – Informationsvermittlung • Bildung von Interessengruppen – – – – Logik kollektiven Handelns Theorie selektiver Anreize Größe der Interessengruppe Homogenität der Interessen Zusammenfassung 35 Zusammenfassung II • Lobbying – – – – – Angebot und Nachfrage Stigler-Peltzman: Lobbyinggleichgewicht Becker: vollkommener Wettbewerb Wahlkampfausgaben: Money matters. Informationsverzerrung? • Rent Seeking – Soziale Kosten des Lobbying – Geld zur Erlangung von Renten ‚verschwindet‘ Zusammenfassung 36 Zusammenfassung III • Rent Seeking – Aufwand von Zeit und Geld – Korruption – Geschätzte Kosten des Rent Seeking zwischen 3 und 50% des BSP • Fazit – politische Ordnung spielt eine Rolle – Wettbewerb zwischen Interessengruppen – Transparenz und Offenheit Zusammenfassung 37 Literatur – Ekelund, R. B. and Tollison, R. D. (2001), “The Interest-Group Theory of Government,“ The Elgar companion to public choice, pp. 357-78. – Krueger, A. O. (1974), “The Political Economy of the Rent-Seeking Society,“ American Economic Review 64, pp. 291-303. – Olson, M., Jr. (1965), The Logic of Collective Action, Cambridge: Harvard University Press. – Peltzman, S. (1976), “Towards a More General Theory of Regulation,“ Journal of Law and Economics 19, pp. 211-40. – Posner, R. A. (1975), “The Social Costs of Monopoly and Regulation,“ Journal of Political Economy 83, pp. 807-27. – Tollison, R. D. (1997), Perspectives on public choice: A handbook, Cambridge, New York and Melbourne: Cambridge University Press – Tullock, G. (1967), “The Welfare Costs of Tariffs, Monopolies and Theft,“ Western Economic Journal 5, pp. 224-32. Literatur 38