ANHANG O WAS IST EINE AUFTRAGSVERGABE AN DAS WIRTSCHAFTLICH GÜNSTIGSTE ANGEBOT? In den meisten Fällen werden die Aufträge an die Anbieter vergeben, die das – unter Berücksichtigung einer Reihe von Kriterien – wirtschaftlich günstigste Angebot unterbreitet haben, also das Angebot, welches das beste Preis-Leistungsverhältnis bietet. Nur der Zuschlag für weitgehend standardisierte Güter (z.B. Kleinmaterial) kann ausschliesslich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises erfolgen («billigstes» Angebot). Als erstes sollte der Auftraggeber prüfen, ob das Angebot nicht ungewöhnlich niedrig ist, der Anbieter also kein Dumping betreibt; etwa mit Einheits-, Gesamt- oder Pauschalpreisen, die sogar unter dem Selbstkostenpreis liegen können und dadurch letztlich seinen Betrieb gefährden oder in den Konkurs treiben könnten, mit entsprechenden Folgen für den Auftraggeber. In einem solchen Fall kann der Auftraggeber vom Anbieter Auskünfte anfordern, um sich zu vergewissern, dass dieser sich an die Teilnahmebedingungen hält und die Auftragsbedingungen zu erfüllen vermag; gegebenenfalls kann er Durchführungsbürgschaften verlangen, bevor er über den Zuschlag entscheidet Ein Dumpingfall rechtfertigt den Ausschluss des betreffenden Anbieters jedoch nur dann, wenn es sich herausstellt, dass dieser technisch, wirtschaftlich oder finanziell nicht in der Lage ist, den Auftrag zum angebotenen Preis auszuführen, oder wenn sich der Preisunterschied durch eine unerlaubte Handlung erklärt (etwa wenn der Anbieter seinen Steuerverpflichtungen nicht nachgekommen ist oder wenn er gegen die Arbeitsschutzbestimmungen und die Arbeitsbedingungen verstossen hat). Dass dem wirtschaftlich günstigsten Angebot der Zuschlag erteilt wird, bedeutet nicht, dass der Preis das einzige zu berücksichtigende Kriterium ist, um zu ermitteln, welchem Anbieter der Auftrag vergeben werden soll. Daneben sind auch andere Kriterien zu berücksichtigen wie: Qualität, Zweckmässigkeit der Leistung, Termine, technischer Wert, Ästhetik, Betriebskosten, nachhaltige Entwicklung/Ökologie, Kreativität, Kundendienst, Infrastruktur (Vollzugsrichtlinien der revidierten IVöB vom 15. März 2001, §32 Abs. 1). Diese Liste ist nicht abschliessend und es gilt von Fall zu Fall zu entscheiden, welche Kriterien sinnvollerweise – entsprechend den Besonderheiten des jeweiligen Auftrags – gewählt werden sollen (siehe diesbezüglich die Liste in Anhang R). Diese sollen direkt mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen und zudem Aufschluss darüber geben, ob das Angebot – wenn möglich auf lange Sicht – wirtschaftlich rentabel ist. Der Auftraggeber sollte somit eine Multikriterienanalyse vornehmen und die verschiedenen Angebote auf der Basis der festgelegten Kriterien beurteilen. Dabei wird jedes Kriterium gewichtet, wobei der Gewichtungsfaktor mit der Bewertungsnote multipliziert wird. Das Angebot, welches das beste Ergebnis erzielt, wird als das wirtschaftlich günstigste erachtet. Es gibt zahlreiche Methoden für die Benotung des Preises (siehe Anhänge T). Bei allen übrigen Kriterien ist es Sache des Auftraggebers, selber eine Wertskala festzusetzen und zu bestimmen, welche Note welcher Beurteilung des Ergebnisses entspricht (siehe die Tabellen für die Bewertung der Kriterien Q und R). Dabei muss für alle Kriterien die gleiche Notenskala gelten; wenn also die Höchstnote für das Preiskriterium 5 ist, muss diese Höchstnote auch für die übrigen Kriterien gewählt werden. So könnte zum Beispiel ein- und derselbe Anbieter für das Kriterium "Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation, Präsentation, Absprache und Verhandlung" (Bewertungselement R12), sehr gut benotet werden, wenn die Eigenschaften seines Angebots denjenigen entsprechen, die für den ausgeschriebenen Auftrag erforderlich sind, oder im Gegenteil eine sehr schlechte Note erhalten, wenn diese nicht mit den Erfordernissen des Auftrags übereinstimmen. Dies bedeutet, dass jeder Auftrag verschieden ist, also mit unterschiedlichen Anforderungen verbunden ist, die entsprechend unterschiedliche Leistungsqualitäten voraussetzen. CROMP - Westschweizer Leitfaden für die Vergabe öffentlicher Aufträge 1 Version vom 17. Mai 2006 ANHANG O Der Auftraggeber muss ebenfalls entscheiden, wie er jedes Kriterium, das er ausgewählt hat, gewichten will oder soll. Auch hier gilt es, die Gewichtung an die besonderen Charakteristiken des betreffenden Auftrags anzupassen. Doch auch wenn der Auftraggeber weitgehend frei über die Gewichtung jedes einzelnen Kriteriums entscheiden kann, muss er dabei doch gewisse Regeln beachten. So darf die Gewichtung des Preises nur zwischen 20% und 80% angesetzt werden. Unter der Limite von 20% würde der Preis zu einem geradezu lächerlich unbedeutenden Kriterium werden, was gegen den Grundsatz des wirtschaftlichen Umgangs mit öffentlichen Mitteln verstossen würde. Und jenseits der Obergrenze von 80% würde es sich nicht mehr um einen Zuschlag an das wirtschaftlich günstigste Angebot, sondern an das billigste Angebot handeln, was nur für weitgehend standardisierte Güter möglich ist. Zwischen diesen beiden Grenzwerten kann der Auftraggeber die Gewichtung der jeweiligen Kriterien relativ frei wählen. Jedoch kann dem Preis für Aufträge, die ein hohes Mass an Kreativität erfordern oder komplex sind, wie beispielsweise Architektenaufträge oder die Entwicklung einer neuartigen Informatikanwendung, nur eine geringe Bedeutung beigemessen werden, d.h. dessen Gewichtung würde eher bei 20% liegen, wogegen die qualitätsbezogenen Kriterien ein stärkeres Gewicht erhalten würden. Für die Beschaffung von gängigen Leistungen oder Gütern sollte der Preis hingegen bei der Schlussentscheidung eine grössere Rolle spielen (siehe diesbezüglich die Empfehlungen in den Anhängen G). So schreibt Artikel 31 Absatz 2 der Walliser Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 11. Juni 2003 (VoeB VS) vor: "Die Gewichtung des Preises sollte für anspruchvolle Leistungen in der Regel sechzig Prozent nicht übersteigen ". Die Gewichtung der "qualitativen" Kriterien gegenüber den mit dem "Preis" verbundenen Kriterien ist entsprechend der Komplexität des Auftrags nach folgendem Schema festzulegen: Festlegung des jeweiligen Gewichts des Kriteriums Preis und der Kriterien Vorteile Entscheid des Auftraggebers 100 % 100 % 90 % 90 % PREIS 80 % Preis Vorteile 80 % 70 % 70 % 60 % 60 % 50 % 50 % 40 % 40 % 30 % 30 % VORTEILE 20 % 20 % 10 % 10 % 0% 0% hoch mittel schwach Komplexität des Auftrags Zur Beurteilung der verschiedenen Kriterien, die der Auftraggeber ausgewählt hat (siehe Anhänge Q und R), kann dieser Bewertungselemente (Unterkriterien) verwenden. Diese können benotet werden, was aber nicht Bedingung ist. Da diese Bewertungselemente für die Benotung der Hauptkriterien hilfreich sind und darüber hinaus der Grundsatz der Transparenz zu wahren ist, sind sie in einem Bewertungsbericht zu erwähnen, welche die durchgeführte Bewertung erläutert. Dieser Bericht kann den Anbietern vorgelegt werden, sofern sie dies wünschen, oder aber dem Gericht, falls eine Einsprache erfolgt. Sollte jedoch der Auftraggeber einem Unterkriterium eine zentrale Bedeutung zumessen und dieses auf CROMP - Westschweizer Leitfaden für die Vergabe öffentlicher Aufträge 2 Version vom 17. Mai 2006 ANHANG O die gleiche Stufe stellen wie ein Hauptkriterium oder geht ein solches Unterkriterium nicht aus dem hervor, was im Zusammenhang mit dem Hauptkriterium, auf das dieses sich bezieht, üblicherweise zu erwarten ist, so erfordert der Grundsatz der Transparenz, dass dieses Unterkriterium den Anbietern zuvor mitgeteilt wird. Die den Kriterien oder allenfalls den Bewertungselementen (Unterkriterien) verliehenen Noten folgen in der Regel einer sinkenden Skala, das heisst die beste Note ist 5 (= sehr interessant) und die schlechteste 0 (= absolut ungenügend). Die Note 0 wird dann vergeben, wenn der Anbieter die gewünschte Information oder das gewünschte Dokument für das festgelegte Kriterium nicht geliefert hat, sofern eine solche Unterlassung nicht sofort zum Ausschluss führt (Genaueres dazu siehe Anhang T1). Damit das Konzept des «wirtschaftlich günstigsten Angebots» nicht umgangen wird, wird dem Auftraggebern empfohlen, die "qualitativen" Kriterien nach der vollständigen Notenskala zu benoten, also von der Note 0 bis zur Note 5, da sonst das Kriterium "Preis" gegenüber den "qualitativen" Kriterien übergewichtet wird. Schliesslich sollte man bei den als «auftragsfremd» erachteten Kriterien – wie regional-, steuer- oder strukturpolitischen Aspekten, die Bekanntschaft mit dem Anbieter oder die Kenntnis seiner früheren Arbeiten oder auch Ortskenntnisse – vorsichtig sein. Denn dieses können nur dann «ausgenutzt» werden, wenn sie einen direkten Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen und wenn es sich um Bewertungselemente handelt, die weniger wichtig oder von nebensächlicher Bedeutung sind und/oder dazu dienen, die Kandidaten oder Anbieter, die ein fast identisches Ergebnis erzielt haben, zu unterscheiden. Offen bleibt die Frage, ob die Ausbildung von Lernenden ein auftragsfremdes Kriterium ist oder im Gegenteil ein Faktor, der darauf hinweist, dass das Unternehmen sich seiner sozialen Rolle bewusst ist (siehe Bewertungselement Q5). Die umweltbezogenen Bewertungselemente (Unterkriterien) (siehe Bewertungselemente Q5, Q6, Q7, Q8d, R10 und R16) sollten nur dann angewandt werden, wenn sie einen direkten Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen. CROMP - Westschweizer Leitfaden für die Vergabe öffentlicher Aufträge 3 Version vom 17. Mai 2006