Wirtschafts-Ethik Hemmschuh oder Erfolgsfaktor für das Marketing? Albert Ziegler* Von Wirtschafts-Ethik ist viel die Rede. Doch manche können diese Rede nicht mehr anhören. Sie haben nämlich den Eindruck, was die Wirtschafts-Ethik an universitären Lehrstühlen und umfangreichen Lehrwerken lehre, finde in der Praxis keinen Niederschlag. In der Tat erwehrt man sich manchmal nur schwer des Eindrucks, die Wirtschafts-Ethik lebe im elfenbeinernen Turm der Universitäten und hüte sich, in die Niederungen des unternehmerischen Alltags hinabzusteigen. Der wirtschaftliche Alltag aber ist gefragt. Hier werden die Brötchen gebacken, verteilt, bezahlt und gegessen. Das geht das Marketing an Erweist sich also Wirtschafts-Ethik im unternehmerischen Alltag eher als Hemmschuh oder als Erfolgsfaktor? Diese Frage stellen nicht zuletzt all jene, die es beruflich mit dem Marketing zu tun haben. Denn ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Markt erforscht, geweckt und gestaltet, aber auch zufriedenstellend mit Gütern und Dienstleistungen versorgt wird. Daher lohnt es sich wohl, an einer Generalversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Marketing einmal ein wenig über Wirtschafts-Ethik nachzudenken. Wir können es in drei Schritten tun: Zunächst ist kurz zu fragen, worum es bei der Wirtschafts-Ethik überhaupt geht. Dann ist die Wirtschafts-Ethik auf das Unternehmen anzuwenden und in ihrer Bedeutung als Unternehmens-Ethik aufzuzeigen. Endlich fragt sich, was die Fachleute des Marketing tun könnten, damit die Wirtschaftsund Unternehmens-Ethik zum wirtschaftlichen Erfolg beiträgt. Diese Fragen versuchen die folgenden Gedanken stichwortartig zu beantworten: Das ist Wirtschafts-Ethik Wirtschafts-Ethik ist die Lehre von der Verantwortung im Bereich der Wirtschaft. Denn Ethik ist die Lehre der Verantwortung - und damit der Pflicht, für sein Tun und Lassen persönlich Rechenschaft abzulegen. In der Wirtschaft geben heute vor allem drei Problemfelder zu Fragen Anlass, nämlich Globalisierung - mit der Fusionierung und Rationalisierung 1 Nachhaltigkeit - damit wir die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen nicht zerstören Knappheit - so dass wir immer haushälterischer mit den vorhandenen Vorräten umgehen müssen. Durch Globalisierung, Nachhaltigkeit und Knappheit werden aber auch grundlegende Menschenrechte betroffen. Die Gefahr besteht, dass der Mensch nur noch als Arbeitsfaktor gewertet und bald einmal verwertet wird. Angesichts dessen hat die Wirtschafts-Ethik die Aufgabe, die Verantwortung für den Menschen innerhalb der Wirtschaft wachzuhalten, damit nicht Menschen im Zuge der Rationalisierung, Nachhaltigkeits-Forderung und wachsender Knappheit verzweckt und um ihre Würde gebracht werden. Das ist Unternehmens-Ethik Unternehmens-Ethik ist die Wirtschafts-Ethik, insofern sie auf das Unternehmen angewandt wird. Daher ist Unternehmens-Ethik die Lehre von der Verantwortung im Unternehmen. Diese Verantwortung kommt vor allem - aber keineswegs ausschliesslich - den einzelnen Unternehmerinnen und Unternehmern zu. Als Lehre von der Verantwortung der Unternehmerin oder des Unternehmers ist Unternehmens-Ethik die Lehre von den verantwortbaren Unternehmens-Zielen der verantwortbaren Mitarbeiter-Führung der verantwortbaren Kunden-Beziehung. Das Ziel des Unternehmens Das verantwortbare Unternehmens-Ziel ist Verbesserung der Lebens-Qualität unter Schonung der Lebensgrundlagen dadurch die nachhaltige Zufriedenheit aller am Unternehmen Beteiligten - vor allem der Eigentümer (Shareholder), der Mitarbeiter (mit samt ihren Angehörigen) und der Kunden dadurch die nachhaltige Sicherung und Entwicklung des Unternehmens. Die Führung der Mitarbeiter Eine verantwortbare Mitarbeiter-Führung setzt ein verantwortbares Verständnis für die Mitarbeiter voraus. Das heisst: Mitarbeiter als Persönlichkeiten hochschätzen: Sie sind nicht einfach Arbeitskräfte 2 Sie sind Eigentümer ihres Human-Kapitals1 (ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten) Sie entsprechend ihrer Fähigkeiten einsetzen (Intrapreneure). Mitarbeiter motivierend führen: Führen = Fahren machen Führen = Bewegen = Motivieren Unternehmerisch führen: Als und im Team. Auch in den schwierigen Zeiten des Verdrängungs-Wettbewerbs und der drohenden Arbeitslosigkeit eine Innere Kündigung verhindern. Die Beziehung zu den Kunden Die verantwortbare Kunden-Beziehung ist eine Hauptaufgabe des Marketing. Denn Marketing heisst nicht, dass ein Unternehmen über eine Marketing-Abteilung verfügt. Marketing ist vielmehr jenes Unternehmens-Verständnis, das alle unternehmerischen Aktivitäten am Markt und damit an den Bedürfnissen der Kunden orientiert. Das könnten Marketingleute tun Darum muss es dem Marketing um eine verantwortbare Kunden-Beziehung gehen. Diese Kunden-Beziehung muss auf Kunden-Zufriedenheit ausgerichtet sein. Darum ist, vom Marketing her gesehen, der Kunden-Zufriedenheit eine besondere Beachtung zu schenken. Als Lehre der verantwortbaren Kunden-Beziehung und der daraus folgenden KundenZufriedenheit geht Unternehmens-Ethik erstens von einer Goldenen Regel aus hat zweitens eine Grundnorm, aus der sich drittens drei Leitsätze ableiten lassen. Die Goldene Regel Behandle andere so, wie Du von ihnen möchtest behandelt werden. Die Grundnorm Kunde ist, wer ein Problem hat, das er allein nicht zu lösen imstande ist. Daraus folgt die Grundnorm: Wer ein Kernproblem des Kunden besser lösen kann als andere, dessen Erfolg kann nicht verhindert werden. 3 Drei Leitsätze Diese drei Leitsätze lauten: 1. Besser ein treuer Kunde als ein schneller Käufer. 2. Damit aus dem schnellen Käufer ein treuer Kunde wird, dürfen wir ihm nicht Produkte und Dienstleistungen anbieten. Wir müssen vielmehr mit unseren Produkten und Dienstleistungen seine Probleme lösen helfen.2 3. Damit wir seine Probleme lösen helfen, dürfen wir ihm nicht den erstbesten KundenWunsch erfüllen. Vielmehr müssen wir mit unserer fachlichen Kompetenz und menschlichen Anteilnahme seine Kunden-Wünsche kritisch gestalten. Mit anderen Worten: Marketingleute müssen den Markt nicht nur explorieren und informieren, sie müssen den Markt kreieren bzw. gestalten - auch im Hinblick darauf, was nicht gewünscht werden soll. Wenn es um Werbung geht Verantwortbare Werbung muss informativ soll suggestiv darf aber nicht manipulativ sein. Schon 1929 (anlässlich des Weltreklame-Kongresses in Berlin) hiess es: Gute Reklame soll sich durch Knappheit, Wahrheit und Einprägsamkeit auszeichnen.3 Das ist wahr geblieben, aber im Zeitalter der Geschwätzigkeit dringlicher geworden. «Informativ» 1. Die Information muss genügen und wahrheitsgemäss sein. Alles, was ich sage, muss wahr sein. Aber nicht alles, was wahr ist, muss gesagt werden. Gesagt werden muss, worauf der andere einen Anspruch hat, weil er es zum Leben braucht. Die Information muss von daher «gehörig», braucht aber nicht vollständig sein. 2. Die Information soll das Qualitäts-Gefühl des Kunden dadurch ansprechen, dass es die Qualität der Sache ins richtige Licht rückt. «Suggestiv» 1. Suggestion ist die Beeinflussung nicht durch die Wahrheit einer Botschaft (Sache), sondern durch die Anziehungskraft des Boten. 4 2. Die Anziehungskraft des Boten soll die Wahrheit der Botschaft verstärken, darf sie aber nicht überspielen und verdunkeln. «Manipulativ» 1. Manipulation ist die Beeinflussung durch das Gefühl, am kritischen Verstand vorbei - zum Schaden des Genasführten. 2. Manipulation ist der Versuch, einen Menschen zu hintergehen und über den Tisch zu ziehen. Verantwortung auch ... Verantwortbares Marketing ist auf Kunden-Zufriedenheit bedacht. Zufriedenheit ist das Gefühl, wenn unsere Bedürfnisse wahrgenommen, kritisch gestaltet und zuträglich erfüllt worden sind. Nun hat der Mensch nicht nur wirtschaftliche Bedürfnisse. Darum kann ein bedürfnis-orientiertes Marketing auch an der Umwelt der Wirtschaft nicht vorbeisehen. Die Frauen und Männer des Marketing können dies umso weniger, als sie selber in diesem Umfeld leben und von diesem Umfeld betroffen sind. Diesem Umfeld gilt der abschliessende Gedanke: ... im Umfeld der Wirtschaft Als Lehre der Verantwortung der Unternehmerin oder des Unternehmers muss Unternehmens-Ethik auch eine Lehre enthalten, wie man die Spannung von Arbeit, Beruf und Unternehmen einerseits und Partnerschaft, Ehe und Familie andererseits konstruktiv gestaltet. Dazu gehört: 1. Die Spannung von Arbeitswelt und Familienwelt wahrnehmen 2. Die Spannung konstruktiv gestalten: - Die Arbeitswelt muss auch schon selber ein Stück Lebensfreude bieten - Ehe und Familie können unternehmerischer geführt werden - Die Hausfrau ist nämlich eine eigenständige Unternehmerin eines ökologisch-ökonomischen Kleinbetriebes. 3. Die eheliche Partnerschaft als Partnerschaft ernst nehmen: - Partnerschaft: Anteil nehmen und Anteil geben (pars = Teil) - Du besitzest im anderen, was Du selber nicht hast (Antonius von Padua) - Zeit haben mit- und füreinander, um Zeit zu finden, zwei Wunschlisten miteinander in Einklang zu bringen. 5 Verantwortbares Marketing ist lebens-orientiert Alles in allem: Verantwortbares Marketing ist mit seiner Bedürfnis-Orientierung lebensorientiert. Es will Lebens-Qualität fördern und damit lebens-dienlich sein. Unvergessen ist das Wort von Hans Domizlaff, das er 1956 zum 10jährigen Bestehen der Werbefachschule Hamburg in seinem Festvortrag «Ethik im Werbefach» gesagt hat:4 «Die Ethik beginnt überall da, wo die reine Eigensucht aufhört und der Mensch etwas um einer Sache selbst willen zu tun bemüht ist, wenn er also nicht nur unmittelbar an seinen Vorteil denkt oder wenn er für ein ideelles Ziel zu persönlichen Opfern bereit ist.» Zu dieser höchst nützlichen uneigennützigen Lebens-Dienlichkeit gehört aber auch jene Heiterkeit, die Überlegenheit in Verlegenheit ist und das Bedürfnis nicht in Abrede stellt, sogar über sich selbst zu lachen. Ein solches Marketing hat auch heute noch gut lachen. Ich wünsche es Ihnen von Herzen. ---------------------------------------------*Sie lesen Gedanken, die Pater Ziegler zur Vorbereitung seines Gastvortrages «Wirtschaftsethik - Hemmschuh oder Erfolgsfaktor für Unternehmer und das Marketing» anlässlich der Generalversammlung der GfM Schweizerische Gesellschaft für Marketing am 21. Oktober 1999 in Zürich zusammengestellt hat. 1 vgl. den Denkansatz von Wolfgang K.A. Disch, das Begriffspaar «Arbeit-Geber» und «Arbeit-Nehmer» zu tauschen: «Wer in einem Unternehmen mit-arbeitet, der gibt seine Arbeit. Der verhält sich wie ein Unternehmer, der etwas anzubieten hat. Nämlich das, was er kann. Und er sorgt dafür, dass das, was er anzubieten hat, von anderen begehrt wird.» In seinem Gastvortrag anlässlich der Generalversammlung 1996 der GfM Schweizerische Gesellschaft für Marketing am 24. Oktober 1996 in Zürich. 2 vgl. dazu die Formulierung von Gerry Leumann, VR-Delegierter der Ebnöter AG in Sempach Station/Schweiz: «Für uns sind die Kunden Problemlöser; wir liefern einen Lösungs-Beitrag». Heft 5/86 MARKETING JOURNAL, Seiten 436-438 3 Der Weltreklame-Kongress 1929. In: Heft 4/99 MARKETING JOURNAL, Seiten 220-221 4 Nachdruck in Heft 4/91 MARKETING JOURNAL, Seiten 288-290, 292-293. ---------------------------------------------Albert Ziegler, Dr. phil., lic. theol., Jesuitenpater, Hochschulseelsorger und Publizist in Zürich. Pater Ziegler ist u.a. Mitglied der Ethischen Kommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften 6