Deckblatt für Manuskript

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Volker Bernius
WISSENSWERT
Zukunft –
Religiöse Visionen
Von Andrea Westhoff
Dienstag, 25.05.2004, 08.40 Uhr, hr2
Sprecher:
Sprecherin:
04-079
COPYRIGHT:
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1
Regie: Musik als Teppich drunter
Spr.:
"Dann sah ich einen großen weißen Thron und den, der auf ihm saß; (...) Ich sah
die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und das Buch des
Lebens wurde aufgeschlagen. (...) und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten
heraus, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Der
Tod und die Unterwelt aber wurden in den Feuersee geworfen. (...) Und wer nicht
im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen."
(Musik kurz hoch?)
Spr.:
"Er wird errettet von den Qualen des Grabes und sieht seinen Platz im Paradies.
(...) Er erhält 72 schwarzäugige Frauen, 70 seiner Familie kommen durch ihn in
den Himmel, er wird gekrönt mit der Krone des Ruhmes, dessen Edelstein besser
als die ganze Welt ist und besser als all das, was darinnen ist."
(Musik kurz hoch?)
Spr.:
Das Nirvana ist leer, zeichenlos, wunschlos, frei von allem Sterben und jeder Art
von Vergänglichkeit, denn das Nirvana ist ungeschaffen, unwandelbar,
unzerstörbar, endlos dauernd, friedlich, denn es ist frei von allem Leid und
Störungen seiner friedlichen Stille.
Regie: Musik hoch und Ende
Sprin:
Religiöse Zukunftsvisionen sind Vorstellungen vom Ende – vom Ende der Welt
und vom Schicksal des einzelnen Menschen dabei. Und: sie sind immer auch
Vorstellungen über die Zeit., erklärt Dr. Ulrich Dehn von der Evangelischen
Zentralstelle für Weltanschauungsfragen:
O-Ton 1: Dehn 1
Grundsätzlich gehen wir heutzutage davon aus, dass die sogenannten monotheistischen Religionen eine eher
lineare Zeitvorstellung haben, die sich fortentwickelt und weitergeht, während die sogenannten östlichen
Religionen, aus dem asiatischen, insbesondere dem indischen und aus dem chinesischen Bereich ein
tendenziell zyklisches Zeitverständnis haben, in dem etwa mit der Vorstellung gearbeitet wird, dass
Menschen wiedergeboren werden, in der keine ausdrückliche Fortentwicklung vorgesehen ist. D.h. das ist
eine eigentlich nicht zukunftsorientierte, sondern eher eventorientierte, von Geburt zu Geburt gedachte Art
der Zukunftsvorstellung. Allerdings haben wir auch im Hinduismus diese Vorstellung der Zeit-, der
2
Weltzeitalter. Und wir befinden uns z.Zt. im Kalijuga, d.h. im Zeitalter des Verfalls, des Abnehmens von
Gottgläubigkeit, das allerdings sich auch über viele Jahrhunderttausende erstreckt und im Prinzip aber auch
als Zyklus gedacht ist. Also eines Tages wird es Menschen geben, die das Ende dieses Kali-Zeitalters erleben
und quasi die Chance haben, wieder von vorne anzufangen.
Sprin:
In den monotheistischen Religionen, also im Judentum, Christentum und Islam,
bedeutet Zukunftsdenken immer "Nachdenken über die letzten Dinge" "Eschatologie". Eine Mischung aus Hoffen, Bangen und Berechnen. Dabei gibt es
ein paar gemeinsame Grundmuster, die unterschiedlich stark betont werden:
Ganz wichtig: die Messiasvorstellung - das Auftreten eines heldenhaften Rächers,
der die Leiden der Menschen beendet, der die Feinde vernichtet und so die
Heilszeit vorbereitet. Am stärksten ist diese Vision im Judentum ausgeprägt.
Ebenso wie die Rolle von "Propheten". Allerdings sind sie nicht so sehr
Zukunftsseher, wie man heute meint:
O-Ton 2: Dehn 2
Propheten hatten normalerweise sogar eher eine sehr gegenwartsbezogene Aufgabe. Also alttestamentliche
Propheten etwa hatten immer die Aufgabe, sozusagen zu Mahnern zu werden, die auch dem Volk einen
Spiegel vorhielten oder den Herrschern einen Spiegel vorhielten und sagten, "das, was ihr macht, ist nicht
der Wille Gottes", also das, was wir umgangssprachlich normalerweise mit dem Wort Prophetie verbinden,
also auch eben Zukunftsvorhersage, ist in der Regel gar nicht unbedingt die Aufgabe der Propheten gewesen.
Es ging höchstens darum, etwa auf bestimmte Ereignisse hinzuweisen, und diese Ereignisse zu deuten.
((Sprin: eine weitere Besonderheit im Judentum ist, dass Zukunft oft sehr eng als „Zukunft
des Volkes Israel“ gedacht wird:
O-Ton 3: Dehn 3
Im Judentum gibt es natürlich die Hoffnung und die Zuversicht, dass das zerstreute Volk Israel, das ja
praktisch von der Zerstörung bis Mitte des 20. Jh. so nicht existiert hat, sich wieder endgültig versammelt,
und dafür ist der Zion die Metapher für diese Zukunftsvision, und wieder als Volk Gottes so existieren wird,
in einem quasi auf Erden verwirklichten paradiesischen Zustand. Ansonsten gibt es auch im traditionellen
Judentum, natürlich auch nach wie vor die Vorstellung, die wir aus dem alten Testament, also aus der uns ja
mit dem Judentum gemeinsamen hebräischen Bibel haben, mit apokalyptischen Auferstehungsvorstellungen,
die da auch natürlich geteilt werden.))
Regie: Musik ("apokalyptisch"), darüber
Sprin:
„Apokalypse“. Das ist der zweite Grundtyp der Zukunftsvisionen im Judentum,
Christentum und Islam. Apokalypse bedeutet eigentlich nur „Offenbarung,
Enthüllung“, wird aber meist als das Zukunftsbild schlechthin verstanden:
apokalyptische Texte beschreiben das tausendjährige Reich, das „Millennium“, als
eine Art Übergangsstadium zum abschließenden „Endkampf“ mit „Weltgericht“
und Auferstehung der Toten, mit Vorstellungen vom Paradies und vor allem mit
3
Vorstellungen von der Hölle, wie sie zum Beispiel der Dichter Dante in seinem
"Inferno" ausgemalt hat:
Spr.:
Wohin auch den Blick ich wende, wohin ich schaue
und wohin ich mich kehre.
Grobkörn‘ger Hagel, Schnee und trübes Wasser
fällt rastlos durch die finstre Luft hernieder.
Der Boden stinkt, der solch Gemenge aufnimmt,
und Cerberus , das Untier sondergleichen,
rot ist sein Auge und schwarz der Bart und schmierig,
der Bauch geschwollen, krallig sind die Hände;
er kratzt die Geister, schindet und zerfleischt sie.
Regie: Musik hoch und Ende
Sprin:
Die Visionen von der Hölle und vom Paradies haben jahrhundertelang die
Zukunftsvorstellungen der Juden, Christen und Muslime bestimmt. Sie haben die
Gläubigen in Angst und Schrecken versetzt oder sie in ihrem traurigen irdischen
Dasein vertröstet aufs Jenseits. Im manchen Schulen des Islam wurden- und
werden bis heute - Paradiesbilder als Verlockung für muslimische Märtyrer
benutzt.
Generell aber muss man sagen: Die apokalyptischen Endzeitvorstellungen spielen
in den modernen Kirchen oder religiösen Lehren kaum noch eine Rolle. Weder für
die Welt, noch für den einzelnen Menschen. Sie wurden auch früher nie als „nahe
Zukunft“ verstanden oder konkret auf ein bestimmtes Datum bezogen – außer in
den Randgruppen und Sekten, die damit vor allem ihre Anhänger
zusammenbringen und zusammenhalten wollten.
Ansonsten zeigte sich im Laufe der Jahrhunderte immer stärker: Religiöse
Zukunftsvisionen sollen den Gläubigen nicht zuerst ausmalen, was sein wird. Der
Religionswissenschaftler Ulrich Dehn:
O-Ton 4: Dehn 4
Also ich würde das so sagen, dass im Grunde Zukunftsvorstellungen, seien es jetzt Gerichtsvorstellungen,
Hölle, Paradies oder was auch immer für Vorstellungen, eigentlich wichtig werden für den gläubigen
Menschen in ihrem Heruntergebrochensein in meiner jetzige Existenz. Und was das jetzt für meinen
Glauben und meine Ethik ausmacht. Also ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte vom Weltgericht im
Matthäus 25, im NT, die eigentlich nicht sagen will, "ihr werdet irgendwann einen Gerichtstermin mit Jesus
haben, wo ihr euch entscheidet", sondern sie heißt: "Entscheidet euch jetzt dafür, das Richtige zu tun!" Das
ist die Pointe der Geschichte. Und ich denke, das ist ein gutes Beispiel, das zeigt, dass Zukunft eigentlich
eine Metapher ist dafür, wie ich jetzt , in diesem Augenblick zu leben habe.
4
Sprin:
Trotzdem kann die Zukunftsvision von der "Auferstehung", vom "Leben nach dem
Tod" immer noch wichtig für einen Gläubigen sein, meint der Theologe. Sie kann
ihn trösten.
O-Ton 5: Dehn 5
Die Hereinnahme und Verarbeitung von Zukunftsvorstellungen für das eigene Leben ist die, dass der Tod
mir nichts mehr anhaben kann, selbst wenn ich physisch eines Tages sterben werde, weiß ich, dass der Tod
für mich bereits überwunden ist.
Sprin:
Manchmal fehlt diese tröstliche religiöse Zukunftsvision den Menschen in der
säkularen, der „weltlichen“, weitgehend religionslosen Zeit heute - bewusst oder
unbewusst. Diesen Eindruck jedenfalls hat die Psychotherapeutin Eva Jaeggi bei
ihrer täglichen Arbeit:
O-Ton 6: Jaeggi 1
Ganz interessant ist, dass alte Menschen, ich hab viele alte Menschen befragt über die Zukunft, dass sie,
wenn sie noch nicht ganz alt sind, also so ab 60, sich nicht so sehr mit der Zukunft beschäftigen, vor allem
sich sehr selten mit dem Tod beschäftigen. Und das ist ja nun etwas, was absolut klar in der Zukunft vor uns
steht, aber es ist ein Thema, was eher ausgeklammert wird. Natürlich kann man sagen, es ist heutzutage ein
Tabu, das Todesthema, aber ich denke, es ist nicht nur ein gesellschaftlich bedingtes Tabu, sondern der
einzelne hat auch in einer säkularen Gesellschaft keine rechte Vorstellung, in welcher Weise er sich mit dem
Tod beschäftigen sollte, und daher wird er ausgeklammert, weil man gar keine Jenseitsvorstellungen mehr
hat. In religiösen Zeiten ist das sicher etwas anderes und da gibt’s ja dann auch ganz schöne Bilder, wies
einem im Jenseits ergehen wird und was man im Jenseits alles bekommen wird, auf das man verzichten
musste im Diesseits, das alles ist uns eigentlich verwehrt, so können nur sehr naive Menschen mehr denken.
Regie: Musik („asiatisch“?), darüber
Spr.:
Alle Wesen - sogar die Götter - durchwandern in ewigem Kreislauf die Welt, in
einer endlosen Kette der Wiedergeburten - "Samsara" - in unterschiedlicher
Gestalt bestimmt von seinem "Karma".
Sprin:
Wie ist eine "Zukunft" vorstellbar, wenn alles im endlosen Kreislauf dahinfließt.
Oft wird behauptet, das "Zukunftsziel" östlicher Religionen sei das "Nirvana" vergleichbar mit dem Paradies. Der Religionswissenschaftler Ulrich Dehn
widerspricht:
O-Ton 7: Dehn 6
Nirvana heißt ja wörtlich einfach nur "erlöschen". D.h., es ist ein Begriff dafür, dass der Mensch den
Kreislauf der Begierden, der Leiden durchbrochen hat und für sich selbst einen Zustand erreicht hat, in dem
seine Begierden erloschen sind. Das ist ein ganz individueller Begriff, der eigentlich überhaupt nichts mit
der Welt insgesamt oder irgendeinem Zustand äußerer Art zu tun hat. D.h. Ich kann Nirvana erreichen und
kann sozusagen im nächsten Augenblick schon wieder davon Abstand genommen haben und schon wieder in
meine Leiden und meine Begierden zurück gefallen sein.
5
Sprin:
Eine Zukunftsvorstellung mit einer „Endzeit“ gibt es in diesem zyklischen Denken
nicht. Und auch sonst scheint das "Offene", das wir in der Regel mit Zukunft
verbinden hier keinen Platz zu haben. Denn da gibt es ja noch die KarmaVorstellung, dass alles vorherbestimmt, „prädestiniert“ ist:
O-Ton 8: Dehn 7
Die Unausweichlichkeit dessen, was auf mich zukommt, ist sicherlich in einigen Richtungen östlicher
Religiosität vorhanden, also ich denk im Hinduismus gibt es sicherlich Orientierungen, die darauf
hinauslaufen, dass man nicht aus der Kaste ausbrechen kann oder dass man sich innerhalb des
Kastensysttems höher orientiert oder dass man abfällt, und das bringt natürlich eine gewisses Maß an
Determination mit sich, Heutzutage werden Ihnen aufgeklärte Buddhisten oder auch Hindus sagen, diese
Vorstellung, dass quasi eine Art Prädestination stattfindet, die wird heutzutage eigentlich übersetzt in den
Begriff der Verantwortung. D.h. dass ich jederzeit in meinem Leben dafür verantwortlich bin, was in der
Zukunft aus mir wird. Das ist nicht irgendeine äußere Macht, die einen Lebensweg festlegt, an dem wir
selbst nichts ändern können.
Sprin:
Durch das Karma vorherbestimmt ist, in welchem Körper die Seele wiedergeboren
wird - und der Zeitpunkt des Todes. Alles dazwischen ist „offen“, aber nicht
beliebig:
O-Ton 9: Dehn 8
Das ist eigentlich der Kern der Karma-Theorie, das "Wie-ich-jetzt- bin" ist immer schon eine Wirkung einer
vorhergehenden Ursache und dem bin ich so ausgeliefert, aber ich kann zu jedem Zeitpunkt neu darüber
entscheiden, wie es in Zukunft sein wird. In dem ich so handle oder anders handle.
Sprin:
Man sieht: Wie verschieden die konkreten Zukunftsvisionen der einzelnen
Religionen auch sind, letztlich sind sie vor allem Aufforderungen zum rechten
Handeln im Hier und Jetzt. Egal, was einem vorschwebt oder droht, was man
wünscht oder fürchtet...
Regie: Musik (wie Anfang) als "Teppich"
Einzelne Spr.-Zeilen leicht ein- bzw. ausblenden ?
Spr.:
Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen/
Er wird errettet von den Qualen des Grabes und sieht seinen Platz im Paradies /
Leer, zeichenlos, wunschlos, frei von allem Sterben und jeder Art von
Vergänglichkeit /
besser als die ganze Welt ist und besser als all das, was darinnen ist /
frei von allem Leid und Störungen seiner friedlichen Stille /
gerichtet, jeder nach seinen Werken.
Regie : Musik hoch und Ende
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