3. Konsequenzen für die Lerntheorie und Didaktik

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Grundzüge einer konstruktiven Didaktik
Gliederung
1 Einleitung
2 Der Konstruktivismus
2.1 Konstruktivismus – eine Erkenntnistheorie
2.2 Konstruktivismus im Kontext klassischer Lerntheorien
2.3 Neurobiologische Grundlagen
2.4 Konstruktivistische Essentials
3 Konsequenzen für die Lerntheorie und Didaktik
3.1 Konsequenzen für die Lerntheorie
3.2 Konsequenzen für die Didaktik
3.2.1 Der Lernende
3.2.2 Der Lehrende
3.2.3 Die Lernumgebung
4 Ausblick
1. Einleitung
Der Begriff „Konstruktivismus“ hat Hochkonjunktur. Was zunächst Anfang der 80er
Jahre in kleinen „In-Groups“ begann verbreitete sich seit Beginn der 90er Jahre in
Deutschland, aber auch in anderen Ländern, rasant.
Die Gedanken des Konstruktivismus sind nicht neu. Jedoch ist der genaue
„Geburtszeitpunkt“ nicht auszumachen. Bereits die „Kopernikanische Wende“ im
18.Jh. hat an der Bildung des Theoriegebäudes des Konstruktivismus gewirkt. Der
radikale Konstruktivismus geht u.a. zurück auf Ergebnisse der Kognitionspsychologie
sowie Forschungsergebnisse der Neurobiologie.
Der konstruktivistische Diskurs, an dem Wissenschaftler verschiedener Disziplinen
beteiligt sind, hat zur breiten Popularisierung beigetragen und ist z.Zt. sehr aktuell. Er
hat u.a. zu Kernaussagen (Essentials) in erkenntnistheoretischer, lerntheoretischer
aber auch bildungstheoretischer Hinsicht geführt.
Ich werden nachfolgend das Thema „Grundzüge des Konstruktivismus“ behandeln,
indem ich zunächst den erkenntnistheoretischen Ansatz des Konstruktivismus
erläutere, Grundsätze klassischer Lerntheorien sowie relevante neurobiologische
Grundlagen skizziere, konstruktivistische Essentials darstelle und Konsequenzen für
die Lerntheorie sowie Didaktik ableite.
2. Konstruktivismus
2.1 Konstruktivismus - eine Erkenntnistheorie
Der Konstruktivismus ist eine Erkenntnistheorie. Im Gegensatz zur Ontologie, die
Aussagen über das Wesen der Welt und absoluten Wahrheit macht, beschäftigt sich
die Epistemologie (Erkenntnistheorie) mit den Möglichkeiten und Grenzen
menschlichen Wahrnehmens und Erkennens. Die epistemologische Kernthese
lautet, dass unser Erkenntnisapparat die außersubjektive Realität nicht
wahrheitsgetreu abbilden kann – dazu fehlen die gehirnphysiologischen
Voraussetzungen -, sondern unsere Wahrnehmungen, Kognitionen und Emotionen
konstruieren eine eigene Art von Wirklichkeit. (Siebert, S.6)
Die Entwicklung des Konstruktivismus geprägt haben u.a. Heinz v. Foerster,
Humberto Maturana, Ernst v. Glasersfeld, der insbesondere die Arbeit von Jean
Piaget weiterentwickelt hat, Gerhard Roth und Paul Watzlawik.. Dabei fließen
2
Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen ein: Neurobiologie,
Hirnforschung, Kognitionspsychologie, Informatik, Linguistik.
Mit dem „Diskurs des Konstruktivismus“ haben sich mittlerweile mehrere Positionen
des radikalen Konstruktivismus, sozusagen Konstruktivismen, gebildet.
Ernst v. Glasersfeld bezieht sich auf ein kybernetisches Modell der Wahrnehmung,
was von William T.Powers ausgearbeitet worden ist. Das Grundmodell besteht darin,
dass Wahrnehmungen sowie alle darauf aufbauenden höheren Erkenntnisfunktionen
als Konstruktion von Invarianten zu verstehen sind. Auf der untersten Ebene handelt
es sich um eine Homöostase, die nach dem Prinzip eines Thermostats funktioniert:
die zu regelnde Umweltgröße (Temperatur) wird gemessen, im Apparat (Gehirn) mit
gespeicherten Richtwerten verglichen und aufgrund dessen eine Einwirkung auf die
Umwelt (Heizung) veranlasst. Das Resultat beinhaltet, dass nicht vorgegebene
Eigenheiten aus der Umwelt in den Organismus aufgenommen werden, sondern
umgekehrt, dass in der Umwelt nichts anderes ist, als das, was durch interne
Bedürfnisse festgelegt ist. Dieses Modell hat zunächst noch nichts mit Erkenntnis zu
tun. Durch Rückkoppelungsschleifen entstehen homöostatische Kreisläufe, die
Prozesse initiieren, die sich nicht mehr auf einfache Größen, sondern auf
zunehmend abstrakte Gegenstände wie Sinnqualitäten, Prozessabläufe bis zu
organisierten Systemen beziehen. Die Staffelung bewirkt dabei eine zunehmende
Abkopplung von der Umwelt. Dies ist die Begründung dafür, dass das, was wir im
allgemeinen für eine objektive Welt halten, in Wahrheit eine Konstruktion unseres
Erkenntnisapparates ist.
Humberto Maturanas erkenntnistheoretischen Überlegungen ergeben sich aus dem
biologischen Konzept der Autopoiese (gr. Autos u. poiein = Selbstgestaltung), das er
gemeinsam mit F.J.Varela entwickelt hat. Sie verstehen dabei Lebewesen als
Systeme, die sich vollständig selbst herstellen. Die Organisation der Systeme ist
darauf abgestellt, diese Organisation selbst aufrechtzuerhalten bzw. ständig zu
erneuern. Dadurch wird der Zusammenhalt der Systemelemente gesichert. Es
handelt sich um einen Kreisprozess, in dem Wahrnehmungen als äußere
Einwirkungen nur den Status von Unterbrechungen haben, die den reibungslosen
Ablauf der Autopoiesis stören. Sie lösen beim Organismus ein Verhalten aus, das die
Störung beseitigt und den Normalzustand wiederherstellt. Es sind jedoch lediglich
Strategien zur Störungsbeseitigung zu erlernen, keine umweltbezogenen Kenntnisse.
3
Insofern kann das, was ein Organismus lernt bzw. der Mensch erlebt, nicht anderes
sein als das Produkt der autopoietischen Operation des Systems selbst. Die
Erkenntnisleistung ist eine Konstruktion: Das Bild entsteht im Auge des Betrachters,
und dieser ist für seine Weltsicht, die eine mögliche Konstruktion unter vielen“.
(Overmann, 2002, Allefeld, 1997).
Heinz v. Foersters Konstruktivismus orientiert sich an verschiedenen Gedanken, die
sich nicht zu einer Theorie zusammenschließen lassen. Einen Schwerpunkt legt er
auf das Konzept der Kybernetik. Die Grundfigur seiner Untersuchung ist die
Rückwendung einer Operation auf sich selbst mit immer wieder neuen
Variationsformen, z.B. Lernen lernen, Verstehen verstehen, Erkennen erkennen usw.
Es ist als Kybernetik 2. Ordnung bezeichnet, die ihrerseits Beobachtungen
durchführen: als Beobachtung von Beobachtungen. Die ursprünglich eingegebenen
Werte rücken im fortlaufenden Operationen mehr und mehr in den Hintergrund, sie
werden „vergessen“.
Die erkenntnistheoretische Relevanz dieser Einsicht: die beobachteten
Eigenschaften des Gegenstandes führen die geistige Koordination des Verhaltens
eines Individuums, die wiederum die beobachteten Eigenschaften verändern und die
ihrerseits zu anderem Verhalten führt. Das Resultat der Beobachtung entsteht aus
den konstruktiven Eigenschaften des Beobachtungsprozesses und entspricht nicht
der Abbildung einer objektiven Welt. (Allefeld, 1997)
Gerhard Roth unterteilt die Wirklichkeit in drei Bereiche: „Die Welt der mentalen
Zustände und des Ich, die Welt des Körpers und die Außenwelt. Diese drei Bereiche
sind Aufgliederungen der phänomenalen Welt, der Wirklichkeit. Dieser Wirklichkeit
wird gedanklich einer transphänomenalen Welt gegenübergestellt, die unerfahrbar
ist....“ Das bedeutet, dass alle Erlebnisse sowohl zwischen mir und meinem Körper
als auch zwischen mir und der Außenwelt laufen innerhalb der Wirklichkeit ab. (Roth,
1995, S.280) Erkennen bedeutet kein bewusstes Erleben, sondern dass neuronale
Prozesse in den Sinnesorganen und im Gehirn so ablaufen, dass der Organismus
mit seinem Verhalten auf sie reagiert und das Überleben sichert. Roth hat sich
intensiv mit der Hirnforschung beschäftigt und Kognition als eine Funktion des
Gehirns dargestellt. (s.a. Pt. 2.3) (Overmann, 2002)
4
Einer wichtiger Vorläufer des Konstruktivismus war Jean Piaget. Ihn interessierte
das Problem des Werdens der menschlichen Erkenntnistätigkeit. Er ging damit in
einen Bereich, der bislang der Philosophiewissenschaft zugeordnet war. Er erkannte,
dass Erkenntnis kein Abbild der Wirklichkeit ist, sondern „....dass der Mensch seine
Wirklichkeit durch seine Assimilationsschemata hindurch erfährt. Er erfasst von ihr
nur soviel, als diese hergeben .. Nur dann, wenn er über das entsprechende Schema
verfügt..“. Reichen die vorhandenen Schemata nicht aus, um sich den Erfordernissen
der Umwelt anzupassen, müssen vorhandene Denkschemata differenziert oder
umgebildet werden. (s.a. Pt.(Dichanz, Eubel, Schwittmann, 1983, S.153 ).
Das Ergebnis der Weiterentwicklung des Theorieansatzes ist die Radikalität des
Ansatzes, das beinhaltet, dass jedes Wissen ist eine Konstruktion, weil das wissende
Subjekt keine Möglichkeit hat, sein Wissen jenseits seiner Erfahrungswelt zu
verifizieren.(Käser, 2002)
Der Konstruktivismus ist keine kohärente Theorie, d. h. es besteht keine
Deckungsgleichheit in den theoretischen Ansätzen der verschiedenen Autoren.
Jedoch lehnen alle konstruktivistischen Grundpositionen übereinstimmend die
Unterscheidung von Subjekt und Objekt ab, da sich die Wirklichkeit aus der
kognitiven Konstruktion unseres Gehirns ergibt. Die Umwelt wird immer als Objekt
eines Subjekts wahrgenommen. (Overmann, S.5)
2.2 Konstruktivismus im Kontext klassischer Lerntheorien
Die Kognitionswissenschaft befasst sich mit dem Erwerb von Wissen und den
Einsatz von Wissen bei der Verhaltenssteuerung. Sie ist wissenschafts-geschichtlich
mit der Einführung des Informationsverarbeitungsbegriffs in Verbindung mit
Entwicklung von Computern entstanden, wo die Informationsverarbeitungsschritte
gegliedert sind in Input (Eingabe, Wahrnehmungsreize) – Verarbeitung (= Denk- und
Gedächtnisprozesse) – Output (Reaktion, Verhalten). (vgl. Grubitsch, 1998)
5
Innerhalb der Lerntheorien gibt es zwei wesentliche Gegensätze:
1. Die behavioristischen Lerntheorien
2. die Kognitive Entwicklungstheorie von Jean Piaget.
Die behavioristische Lerntheorien
Zu den behavioristischen Lerntheorien gehören im Wesentlichen die

Die klassische Konditionierung (Ivan Pawlow)

Die operante (instrumentelle )Konditionierung (Burrhus Frederic Skinner)
Es handelt sich bei beiden Ansätzen um die Reiz-Reaktions-Schema.
Die klassische Konditionierung ist eine Form des Lernens, bei der der Organismus
eine neue Assoziation zwischen zwei Reizen (Stimuli) lernt: einem neutralen und
einem, der bereits eine Reflexreaktion (physiologisch) auslöst.
Beim instrumentellen Konditionieren soll gelernt werden die Beziehung zwischen
Verhalten und ihren Konsequenzen, nicht die zwischen Reizereignissen (wie beim
klassischen Konditionieren). Das Verhalten stellt das Instrument (Mittel) dar für
bestimmte wünschenswerte oder belohnende Umweltveränderungen; zur erlernter
Gewohnheit wird es erst durch Wiederholungen.
Bei den behavioristischen Lerntheorien wird der Lerner selbst beschrieben als
weißes Blatt / Black Box , der durch Reize aus der Umwelt und steuerbaren Stimuli
zu Verhaltensänderungen determiniert wird. Der eigentliche Lernvorgang, d.h. „was
im Kopf mit den Reizen passiert“, interessiert nicht und wird außer acht gelassen.
6
Die kognitive Entwicklungstheorie von Jean Piaget
Die kognitive Entwicklungstheorie von Jean Piaget beschreibt das Lernen als einen
dynamischen intra-personellen Konstruktionsprozess. Die Umwelt wird dabei als
Anregung benutzt, d.h. Reize werden aufgenommen und verarbeitet. Die Impulse
gehen jedoch vom Lernenden selber aus, in dem er aktiv nach dem sucht, was ihm
in seiner Umwelt problematisch erscheint. Mit der Lösung des Problems wird
Erkenntnis aufgebaut.
Entscheidende Einflussfaktoren auf die kognitive Entwicklung haben Reifung, aktive
Erfahrung, soziale Interaktion und Streben nach Gleichgewicht (Äquilibration) durch
Adaption.
Bei den Anpassungsvorgängen ist zu unterscheiden zwischen Assimilation und
Akkommodation. Bei der Assimilation wird die Information, die das Individuum
aufnimmt so verändert, dass sie sich in ein vorhandenes Schema (s.u.) einfügt. Das
bedeutet, das Bestehende wird erweitert. Bei der Akkommodation werden die
Schemata selbst verändert, damit sie nicht zu der Gesamtstruktur im Widerspruch
steht. Ein Schema ist als ein Grundbaustein des Wissens zu sehen, sozusagen als
ein Wissens- und Verhaltensmuster vergleichbar mit „Karteikarten“. Beispielsweise
fiele unter die Karteikarte „Blumen“ z.B. Rose, Tulpe, Nelke etc.. Der Vorteil dieser
„Strukturierung“ oder auch Kategorisierung ist, dass man sich nicht an jede
Situation/Gegenstand neu gewöhnen muss.
Die Schemata entwickeln sich durch Differenzierung des Wissens (=
Akkommodation), d.h. die vorhandenen kognitiven Strukturen verändern sich selbst.
Beispiel: Ein Kind erhält zum ersten mal ein Eis am Stiel. Dieser Vorgang aktiviert
vorhandene Erfahrungsschemata, um Informationen durch aktive Organisations- und
Verarbeitungsleistungen an bisheriges Wissen anzugleichen. Das kann in diesem
Fall bedeuten, dass das Kind bereits Erfahrungen mit einem Bonbon-Lutscher
gemacht hat. Dieser sieht dem Eis am Stiel am ähnlichsten von allen anderen
Süßigkeiten, die das Kind bisher kennengelernt hat. Das Subjekt (Kind) organisiert
und aktiviert dieses Erfahrungsschema und handelt, d.h. es beginnt am Eis zu
lutschen wie zuvor am Bonbon-Lutscher. Das Kind merkt, dass das Eislutschen sich
anders anfühlt wie ein Bonbon lutschen: das Eis ist kälter und weicher, es schmilzt
und tropft weg. Das bedeutet, es kommt im Erlebnisfeld des Subjekts zu einer
kognitiven Widersprüchlichkeit. Das Subjekt wird nach einem Gleichgewicht streben
und nach Ausgleich suchen. Es handelt sich um eine Assimilation, wenn das
Eislutschen ähnlich wie das Bonbonlutschen wäre. Da aber das Eis im Gegensatz
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zum Bonbon einen großen Unterschied in der Konsistenz aufweist, genügt die
Assimilation nicht, um die Situation zu bewältigen. Das Kind muss in diesem Fall
akkommodieren, d.h. das Schema „Süßigkeit“ verändern: Veränderung der
Karteikarte „Süßigkeit: weich, kalt, schmelzend“.
Der Ausgleichsprozess wird auch als Äquilibration bezeichnet. Er kennzeichnet das
Bemühen des Organismus’, aktiv neue Erfahrungen, Informationen,
Zusammenhänge in schon bestehende strukturelle Rahmen einzuordnen oder diese
zu verändern.
(Quelle: URL:http//arbeitsblaetter.stangltaaller.at/KOGNITIVEENTWICKLUNG/default.stml, S.3)
2.3 Neurobiologische Grundlagen
Die Fortschritte der Hirnforschung haben u.a. dazu geführt, dass sie mittlerweile in
Phänomenbereiche eindringt, die traditionell der Philosophie, Psychologie u.a.
8
Geisteswissenschaften vorbehalten waren, z.B. Untersuchungen von
Bewusstseinszuständen, bewusstem und unbewusstem Wahrnehmen und Lernen,
Gedächtnis, Erinnerung und Vorstellung, Sprache, Intelligenz, Handlungsplanung
und Handlungskontrollen aber auch moralisch-ethische sowie religiöse
Vorstellungen.(vgl. Roth, 2002, S, 2f).
G. Roth geht davon aus, dass die Erregungsimpulse in den Nervenbahnen, die von
den Sinnesorganen ausgehen, einer unspezifischen oder undifferenzierten
Codierung unterliegen. Neuronale Erregungen sind abhängig von der Reizstärke,
z.B. schwaches Licht erzeugt seltene Impulse an der Netzhaut des Auges, starkes
Licht häufige. Von Bedeutung sind lediglich die Frequenzen und nicht die Modalität,
z.B. Hörimpulse, Sehimpulse und auch nicht die Qualität, z.B. die Farbe, hoher oder
tiefer Ton. Die Sinnqualitäten werden erst in den Zentren der Hirnrinde erzeugt und
interpretiert. Wichtig ist, das die entsprechenden Aufnahmeorgane an die
entprechenden Hirnarealen über neuronale Verbindungen angeschlossen sind, z.B.
Netzhaut über den Sehnerv mit dem Sehzentrum im Hinterhauptslappen des
Großhirns. Verschiedene Arten von Sinneseindrücken können gemeinsam
verarbeitet werden. Über eine Vielzahl an Vernetzungsmöglichkeiten innerhalb des
Gehirns ergeben sich auch unterschiedliche Kontaktbereiche zur Umwelt, wodurch
eine für das Subjekt einheitliche Welt konstruiert wird.
Kognition ist als Funktion des Gehirns ein selbstreferentielles System: Es
beschreibt ein von der Umwelt abgeschlossenes System, das sich selbst regelt
(autonom arbeitet). Es ist dabei zwar auf äußere Einflüsse aus der Umwelt
angewiesen, wird von ihr beeinflusst, jedoch nicht gesteuert. Die eingehenden Daten
werden nach ihm eigenen Regeln ausgewertet. Nur so ist das das Gehrin in der
Lage, sinnliche Eindrücke zu verarbeiten und daraus Verhalten zu generieren, das
erfolgreiche Selbsterhaltung zu sichern. Ein umweltoffenes System dagegen würde
Reize sofort in Reaktionen umwandeln, z.B. physiologische Reflexe. Auf diese Art
würde zwar Überleben gesichert werden können, aber keine Wahrnehmungs- und
Erkennensleistungen möglich.
Die Frage ist, was können neurobiologische Forschungsergebnisse zur Didaktik
beitragen?
Nach H.Schirp (2003) gibt es bis heute nur wenige systematische Initiativen,
Ergebnisse der Kognitions- und Lernwissenschaften in professionsbezogene
9
Wissens- und Handlungsmodelle von Lehrenden zu überführen, da zwischen
Erziehungswissenschaft und Pädagogik zwischen 2 Wahrnehmungsmustern gibt:
1. keine wirklich gesicherten lernbiologischen Forschungsergebnisse über
unsere Gehirnfunktionen, woraus sich Gestaltungshinweise für Lehrund Lernprozesse ableiten lassen
2. alles, was bisher aus Neurobiologischen Ergebnissen auf Lernen
beziehen lässt, nur das bestätigt, was längst über Unterricht bekannt
ist.
Die Neurobiologen selbst weisen daraufhin, dass sie bei dem Versuch das Gehirn zu
verstehen, sie immer noch am Anfang stehen.
Weitere Fragen ergeben sich: Was muss ich über Denk- u. Speichervorgänge
wissen? Wie geschieht Lernen? Welche Strukturen sind beteiligt? Kann ich als
Lehrender darauf Einfluss nehmen, wenn ja, wie?
Nach Schirp (ebd.) sind folgende 3 Bereiche aus den Ergebnissen der Neurobiologie
und Gehirnforschung für die Weiterentwicklung unterrichtlichter Lehr- und
Lernprozesse von Bedeutung:
1. Muster und Mustererkennung
2. Sinn, Relevanz und Bedeutung
3. Emotion und Kognition
Muster und Mustererkennung
1. Muster und Mustererkennung

Im neuronalen Netzwerk des Gehirns ist alles gespeichert, was wir an Verhaltens, Denk- u. Handlungsmustern benötigen

„Neuronales Universum“ in unserem Kopf: ca. 80 – 100 Mrd. Neuronen, die
wiederum mit bis zu 10.000 anderen Neuronen verbunden bilden dieses
neuronale Netzwerk.

Bei der Geburt: die allermeisten Neurone sind noch unspezifisch und noch nicht
strukturdeterminiert. Mit jedem Wahrnehmungs- und Verarbeitungsvorgang
entstehen in den jeweils beteiligten neuronalen Strukturen Ladungsprozesse.

Entwicklung von neuronalen Mustern / Clustern:
 Gleiche Inputs und Verarbeitungsprozesse bewirken die Ansprechbarkeit und
Entwicklung gleicher Zellverbände
 Bei Regelmäßigkeit und Musterhaftigkeit stellen sich Neurone immer besser
auf bestimmte Inputsignale ein. Wichtig ist die Häufigkeit.
10
 Einzelne Neurone und neuronale Netzwerke beginnen sich zu spezialisieren
 Häufig auftretende und wahrgenommene Muster führen dabei zu ähnlichen
neuronalen Mustererkennungs-Prozessen und zu quantitativ gehäuften
Repräsentanzstellen (neuronale Landkarten im Gehirn)
 Entstehung von Clustern von ähnlichen Mustern
 Spezialisierte Neuronen bilden selbst wieder größere Gruppen und Verbände
von einfachen bis zu hochkomplexen Wahrnehmungsmustern
 Damit können wir alles verarbeiten, was wir zur Bewältigung unserer
Lebenswirklichkeit brauchen

Das neuronale Potential nimmt mit zunehmenden Alter quantitativ ab. Es wird
dafür strukturierter, konturierter und funktionaler. Das bedeutet, unser Gehirn
erhält seine Konturen dadurch, dass wegfällt, was nicht gebraucht wird.
Konsequenzen für gehirngerechtes Lernen:
1. je häufiger bestimmte ähnliche Muster angeboten werden u.a. Signale im
Gehirn aufgenommen u. verarbeitet werden, desto größer und intensiver wird
die neuronale Repräsentanz Deshalb gilt: Übungen häufig u. kurz anlegen
2. je intensiver die Inputs – auch in leichter Varianz – angeboten werden, desto
größer werden die entsprechenden Repräsentanzflächen und die
musterbezogene Speicherkapazität im Gehirn. Für Übungen wäre wichtig,
dass sie zwar in gleichen Mustern aber in leicht abgewandelt Form
durchgeführt werden, damit sich eine möglichst breite Repräsentanzfläche
entwickeln kann.
3. Regeln und Muster werden nicht als einzelne Regeln u. Muster gelernt,
sondern aus wiederkehrenden Beispielen und modellhafte Situationen. Für
das Lernen gilt: das Regelhafte als neuronales Muster durch
entsprechende Beispiele und Wiederholungen aufbauen.
4. wenn ein Lerngegenstand mehrere spezifische Muster beinhalten, z.B. sozialkommunikative, fachbezogen, emotionale usw., führt das auch zu einer
Ausweitung der Repräsentanz. Der Lerngegenstand wird mit seinen
unterschiedlichen Aspekten in unterschiedliche Muster an unterschiedlichen
Stellen im Gehirn verarbeitet. Für Verstehens- und Übungszwecke ist es
wichtig, Lerngegenstände in unterschiedlichen Kontexten zu stellen.
5. Neuronale Muster bauen häufig aufeinander auf und bilden Abfolgen von
einfach zu komplex werdenden Mustern. Hören, Verstehen, Akzeptieren und
11
entsprechendes Handeln sind jeweils eigenständige Muster. Sie müssen als
eigenständiger Prozess angesehen und im Lerngeschehen entsprechend
verankert werden. Die Übergange zu den jeweils komplexeren Mustern
müssen ebenfalls intensiv eingeübt werden, damit die nächst höhere und
komplexere Leistung überhaupt erbracht werden kann.
6. Für die Lerngestaltung ist wichtig, implizite und explizite Lernvorgänge zu
berücksichtigen:
 Explizite und bewusst erwerben wir unser Fachwissen (lesen, TV-Sendungen,
Unterricht,
 Implizit: unbewusstes Lernen, Wahrnehmungen, motorische
Verhaltensweisen, soziale Einstellungen, emotionale Reaktionen. Wir
übernehmen Muster von den uns umgebenden Personen und Gruppen im
Alltag, weil wir sie als erfolgreich, alltagstauglich und viabel erfahren. Wir
nehmen solche Muster unbewusst als Modelle wahr und übernehmen sie oft
unreflektiert als eigene Orientierungsmuster. Das gilt z.B. für pro-soziales
Verhalten, Einstellungen, Motivationen. Implizite Muster sind häufig sehr stabil,
weil sie auf eine lange Entwicklung basieren und entsprechend breit neuronal
präsentiert sind.
Achtung: wenn es um Wertorientierung und um ein soziales Verhaltens geht,
dann bleiben alle dazu gehaltenen Unterrichtsstunden umsonst, wenn die
Werte, die als wichtig dargestellt werden, nicht auch von allen in der Schule
arbeitenden Personen und Gruppen respektiert werden. Hier bestätigt sich
das, was in einem anderen Beschreibungsparadigma „geheimer Lehrplan“
genannt wird.
12
2. Sinn, Relevanz und Bedeutung:

Unser Gehirn kann zwar nicht alles, was er an Inputs erhält verarbeiten und
speichern und zu jedem gewünschten Zeitpunkt wieder abgerufen werden – wie
z.B. ein Computer.
Dafür kann das Gehirn
 nach Kategorien von „Sinn“, „Relevanz“ und „Bedeutung“ unterscheiden und
arbeiten und
 aufgenommene Eindrücke eigenständig verarbeiten, auch unabhängig von
Außeneindrücken
 in parallel ablaufenden unterschiedlichen Verfahren neue Eindrücke und
bereits verarbeitete Eindrücke miteinander vernetzen und mit verarbeiteten
Erfahrungen in Beziehung zu bringen. Das heißt: Wir lernen und behalten
eigentlich nur das, was Sinn macht, was wichtig für uns ist und was für
uns Bedeutung hat.
 Zentrale Stelle im Gehirn: Hypocampus:
-
Er ist die Nabe, um die sich alles dreht. Er bildet die Schaltzentrale von
überragender Bedeutung für unsere Lern- und Verarbeitungsprozesse.
-
Als Neuigkeitendetektor unterscheidet er zwischen alt, bekannt,
unwichtig, unbedeutend, uninteressant, neu, unbekannt, wichtig,
bedeutsam, etc..
-
Er sorgt dafür, dass Sinnesreize, die zuerst in der Großhirnrinde
bearbeitet werden, eine besondere Bedeutung zugewiesen bekommt.
-
Er initiiert den Prozess, dass Fakten, Ereignisse, Situationen und
Neuigkeiten auch tatsächlich bewusst wahrgenommen und intensiver
verarbeitet werden können.
-
Er verfügt offensichtlich auch über die Fähigkeit, nicht vollständige
Informationen zu „vervollständigen“: indem er sie mit bereits
existierenden Repräsentationen vergleicht und sie stimmig macht, wo
dies sinnvoll erscheint.
-
Der Hypocampus sorgt dafür, dass wichtige Ereignisse in langfristige
Speicherstrukturen überführt werden: = Steuerung bzw. Einfluss auf
Speicher- und Erinnerungsprozesse. Der Hypocampus hat ein
kleines Speichervermögen, lernt dafür neue wichtige Einzelheiten,
Ereignisse usw. schnell. Der Cortex hat ein großes Speichervermögen,
lernt dafür sehr langsam (Veränderung des neuronalen Potentials) und
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eigentlich nur dadurch, dass bestimmte Informationen und Muster
immer wieder, auch in neuen Zusammenhängen und unterschiedlichen
Kontexten angeboten und verarbeitet werden. Diesen Prozess steuert
der Hippocampus. Er leitet deshalb bei entsprechender Wichtigkeit
oder Wiederholung die Impulse an das Großhirn weiter, wo sich die
neurale Präsenz bildet – u.z. Tag und Nacht, also auch im Schlaf: Der
Hippocampus gilt als Trainer und Lehrer des Großhirns
-
Unser Gehirn ist auf diese Art zu 90% mit sich selbst beschäftigt; nur
10% mit der Informationsverarbeitung aus der Umwelt
 Gedächtnisse:
-
Unterscheidung nach der zeitlichen Dimension:
Ultrakurzzeitgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis
-
Unterscheidung nach Inhalt: deklaratives Gedächtnis (explizites
Wissen) und nicht-deklaratives Gedächtnis (implizites Können)
 Das spezifische an unserem Gedächtnis ist jedoch, dass wir das
Wahrgenommene nicht einfach pur aufnehmen, abspeichern, behalten und
genauso erinnern. Es ist vielmehr so, dass immer dann, wenn wir uns an
Ereignisse und Situationen erinnern, wir nicht auf das „eigentliche“ Ereignis in
Reinkultur zurückgreifen können, sondern nur auf die von unserem Gehirn
gespeicherte Formen der Verarbeitung. D.h. die zu speichernde Situation ist
bereits mit einer Vielzahl von kontextuellen Bezügen in Beziehung gesetzt und
entsprechend in komplexer Form abgespeichert worden. Das bedeutet: wenn
man sich erinnert, erinnert man sich nicht an die Sache selbst, sondern
nur an das letzte Mal, wo man sich an sie erinnert hat.
 Diese Art der Abspeicherung ist höchst ökonomisch: die vielfältigen
Vernetzungen sorgen nämlich dafür, dass der Rückgriff auf abgespeicherte
Inhalte auf vielfältige Art und Weise möglich ist. Es gibt sozusagen mehrere
„Schlüssel“ für Erinnerungszugänge, um Erfahrenes und Gelerntes wieder zu
erschließen zu können.
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Für das Lernsituationen bedeutet diese Erkenntnis:
1. Lehr- und Lerngegenstände mit individuellen Erfahrungen der SchülerInnen
verbinden
2. Lehr- und Lerngegenstände sollte vielfältige Zugänge aufweisen sowie
mehrkanalige, kognitive und emotionale Verarbeitungsformen miteinander
kombinieren, z.B. Sachinformationen mit Geschichten verbinden, Einbeziehen
der SchülerInnen,
3. Aufmerksamkeit erregen: Lernangebote mit hohem Neuigkeitswert,
überraschende Darstellungen, Rätseln, kognitive Widerstände etc. anbieten.
Nur wenn der Hippocampus angeregt wird, leistet er seinen ersten Beitrag für
eine erste Speicherung
4. Angebot an lernspezifische Strukturierungsangebote: sie erleichtern die
Übertragbarkeit stabiler Repräsentations- und Behaltensmuster in das
Langzeitgedächtnis: mind-maps, Kernsätze, Kurz-Memos.
3. Emotionalität und Kognition

Emotionale Zugänge sind für unsere Urteils-, Entscheidungs- und
Handlungsprozesse bedeutsam

Emotionale Zugänge laufen messbar schneller ab, als kognitive. D.h. bevor wir
selbst uns entscheiden, etwas zu wollen, haben die für unsere Emotionen
zuständigen neuronalen Strukturen die Situation schon „bewertet“ und
entsprechende Aktionspotentiale aufgebaut.

Emotionale Erregungszustände können sich sowohl positiv wie negativ auf
Lernen, auf Behaltensleistungen, auf die Aktualisierung von deklarativen
Gedächtnisinhalten und Leistungspotenzialen auswirken:
 In angstbesetzten Situationen, unter Leistungsdruck oder in
Überforderungssituationen verschlechtern z.B. Stresshormone
nachweislich die Leistungsfähigkeit vieler neuronaler Funktionen und
wirken leistungsmindernd auf den Hippocampus. Wir können zwar immer noch
einfache Aufgaben lösen, jedoch sind blockiert, wenn es um das Lösen
kreativer, assoziativer Aufgaben oder divergentes Denken geht.
 Emotionale Intelligenz: mit Hilfe unserer Emotionen können wir neue und
tragfähige Zugänge zum Verstehen von Situationen herstellen und damit
häufig schnelle und sinnvolle Verstehensprozesse organisieren.
15
 Gefühle sind nicht auf Lerngegenstände sondern auf Lernkontexte bezogen.
Eine auf Wertschätzung individueller Fähigkeiten und Anstrengungen angelegt
Lernatmosphäre und ein gutes soziales Klima sind Schlüsselvariablen für
erfolgreiches Lernen und Leisten.
Wenn schulische und unterrichtliche Konzepte dabei helfen, über eigene und
fremde Gefühle nachzudenken und sich ihrer bewusst zu werden, dann leisten sie
eine wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines vernünftigen Selbst-Bewusstseins.
Folgende Lernarrangements eignen sich:
1. Gestalten von Lernsituationen, die individuelle Lernverfahren und
selbstständige Lernprozesse unterstützen
2. Gestalten von Lernsituationen, die positive Bedeutung der Lernprozesse
und –ergebnisse vermitteln.
3. Variationsreiche Formen von Übungen, Leistungsförderung und
Leistungsdarstellungen. Es ist dabei auf Entwicklungsstand und emotionale
Selbstkonzepte der SchülerInnen achten: Nicht alle müssen alles zur
gleichen Zeit können! Die jetzigen Formen von Leistungsförderung und –
bewertung sind nicht lerntheoretisch oder neurobiologisch begründet,
sondern lediglich formal-organisatorisch.
4. Einsatz von kooperativen und sozialen Lernarrangement: dabei sind
emotionale Erfahrungen der Lernenden mit einzubeziehen.
5. gegenseitiges Wertschätzen von Anstrengungen und Ergebnissen.
6. Gefühle und darauf bezogenen Verhaltensweisen müssen auch in
Unterricht und Schulleben Thema sein, reflektiert werden. Ziel ist die
Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlswelt, das Erlernen von
angemessener Kontrolle über eigene Gefühle und der verantwortungsvolle
Umgang mit Gefühlen anderer. Dazu gehört auch, dass Schüler lernen, mit
Leistungs-, Prüfungs- u. Versagensängsten umzugehen.
7. Als Methode kommen hier auch in Betracht: Bewegungs- und
Entspannungsformen sowie kreative und musisch orientierte Lernzugänge.
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Konstruktivistische Essentials
Aus den Erkenntnissen der kognitiven Lerntheorie und der Neurobiologie sowie der
Hirnforschung haben sich Hauptpunkte für den Konstruktivismus ergeben, die sich in
folgenden Essentials niederschlagen (vgl. Overmann):
1. Es gibt keine vom Beobachter unabhängige Wirklichkeit. Denken und
Erkennen sind nicht vom demjenigen zu trennen, der denkt und erkennt
2. Wir konstruieren unsere Wirklichkeit als Subjekt selbst. Danach ist das Objekt
immer nur Objekt eines Subjekts.
3. Wir erkennen die Dinge nicht so wie sie sind, sondern nur so, wie sie uns
erscheinen
4. Die Realität ist prinzipiell unerkennbar
5. Die Umwelt, wie wir sie empfangen ist unsere Empfindung
6. Die menschliche Wahrnehmung ist, ähnlich wie bei den kognitiven
Verhaltenstheorien, ein neuronaler Konstruktionsprozess im Gehirn, der über
die Sinnesorgane ausgelöst wird.
7. Der Mensch filtert als beobachtendes System die ihn perturbierenden
wahrgenommenen Phänomene auf seine individuelle einzigartige Art und
Weise und konstruiert seine ihm eigene kognitive Wirklichkeit durch die
Fähigkeit zur Selbstorganisation.
8. der Aufbau von Wissen ist immer an die kognitiven Funktionen des
Beobachters gekoppelt
9. Wahrnehmung und Erkenntnis können von außen nicht steuernd beeinflusst
werden
10. Der Mensch ist ein autonomer, selbststeuernder, zu bereits vorhandenen
Werten zurückgehender, organisierter und strukturdeterminierter denkender
Organismus (=Autopoiese), d.h. dass sich das Gehirn selbst herstellt, sich
selbst konstruiert.
11. Im Sinne des radikalen Konstruktivismus steht der Mensch als von der Umwelt
abgeschlossenes, selbsterhaltendes System nicht in einer Ursache-WirkungsBeziehung zur Umwelt (selbstreferentielles System)
17
3. Konsequenzen für die Lerntheorie und Didaktik
3.1 Konsequenzen für die Lerntheorie
Nach dem konstruktivistischen Ansatz ist Lernen kein passives Aufnehmen und
Verarbeiten von Informationen und Reizen aus der Umwelt, sondern ein aktiver
Prozess der Wissenskonstruktion. Wahrnehmung und Erkennen stellen mentale
Operationsprozesse dar, die der Lernende ganz individuell auf Basis seines
Vorwissens realisiert. Wissen ist zudem in soziale Bezüge konstruiert und
unabgeschlossen.
Dem Sinn des „autopoietischen Systems“ zufolge, konstruiert sich das Subjekt immer
nur mögliche Bilder von Welten aufgrund von Reizen aus der Umwelt. Offen bleibt,
wie weit dieselben Reize von verschiedenen Subjekten als gleich erlebt werden.
Aus neurobiologischer Sicht entsteht die subjektive Wirklichkeit durch Eigenaktivität
des Gehirns, das durch unspezifische Impulse (Hörwellen, Lichtwellen usw.) der
Umwelt gereizt wird. Je nachdem wo die Impulse im Gehirn landen, werden sie als
Melodie oder als Bild interpretiert. Der Lehrende kann lediglich den Transport von
Energie auslösen, welche die Gehirnaktivitäten anregen, jedoch niemals
bedeutungstragende Informationen.
Kann es denn nach der konstruktivistischen Sichtweise gar keine Beeinflussung im
Sinne von Wissensvermittlung geben? Beeinflussungen nach konstruktivistischer
Sichtweise werden als Perturbationen (Störungen, Verwirrung) bezeichnet. Sie sind
nicht inhaltsbestimmend. Der Lerner muss sie willentlich zulassen und „offen“ sein
dafür, dass äußere Faktoren assimiliert werden können. Erst dann können
elektrische Aktivitäten der Rezeptorzellen in subjektbestimmte Vorstellungen
gestaltet werden. Dieser Vorgang der Perturbation wird vom Individuum
unterschiedlich äquilibriert. Daraus kann gefolgert werden:
 jeder Lernende in Lernsituationen benötigt unterschiedliche Zeiten für das Lernen
(Perturbation und Äquilibration)
 jeder Lernende erarbeitet unterschiedliche Bedeutungen
 es ist nicht möglich, einem Schüler etwas gegen seinen Willen beizubringen
 es ist demzufolge unsinnig, konkrete Lernziele zu formulieren
18
 eine Lernzielkontrolle z.B. in Form einer Klassenarbeit, in der alle Schüler zur
gleichen Zeit das gleiche Wissen wiedergeben müssen steht den o.g.
Erkenntnissen im Widerspruch
 die Bewertung einer subjektiven Leistung objektiv für alle Schüler gleich nach
festgelegten Leistungskriterien scheint ebenso widersinnig: der Lehrende
bewertet nicht das, was der Lernende mental assimiliert hat, sondern zeigt
Defizite auf, die der Lerner möglicherweise nicht assimilieren wollte. Geprüft wird,
was der Lernende auswendig gelernt hat, jedoch keine Flexibilität.
 Eine traditionelle gute oder schlechte Bewertung einer Klassenarbeit sagt
höchstens aus, ob der Lehrende den Lernenden gut oder schlecht zum Lernen
hat motivieren können.
 Besteht eine Differenz in der Anpassungsfähigkeit zwischen Lehr- und
Lernersystem (Lernumwelt und dem autopoietischen System des Schülers)
bewertet der Lehrende eher seine eigene Methodenkompetenz
Wie muss demnach das Lernsystem gestaltet sein, um diesen Erkenntnissen gerecht
zu werden?
Für den Lehrenden ist von Bedeutung zu wissen, dass Wissensvermittlung im Sinne
einer Übertragung nicht möglich ist, die Unterrichtsgestaltung möglichst wenig
Außensteuerung beinhaltet und Unterrichtsergebnisse nicht vorhersehbar sind.
Es müssen neue schulische und unterrichtliche Modelle entwickelt werden, die sich
an den Bedingungen und Möglichkeiten des Lernprozesses der Lernenden orientiert.
Vorrangiges Ziel von Unterricht sollte darin bestehen, das autopoietische System der
jeweils Lernenden zu perturbieren. Der Lehrende ist aufgefordert, seine Rolle als
instruierender Wissensvermittler zu überdenken, statt Antworten zu geben, Fragen
stellen und Paradoxien herstellen. Da der Lernende nur begreift, wenn ihn etwas
„ergreift“. Der Lernende muss neugierig, kritikwillig, fragend, verwirrt, sein.
(Overmann)
19
3.2
Konsequenzen für die Didaktik
3.2.1 Der Lernende
Voraussetzung für Wissenskonstruktionen sind Freiheit und Komplexität der
Lernsituationen. Wenn der Lernende den Nutzen des Lerngegenstandes für seine
Weltkonstruktion erkennt, wird er sich auf eine Lernreise einlassen mitsamt seinen
Erfolgs-, Misserfolgserlebnissen, Anstrengungen und Überraschungen.
Im einzelnen bedeutet das für den Lernenden:
 soll aus der Spezialität einer Realsituation durch Abstraktion und
Verallgemeinerung die zugrundeliegenden allgemeinen Aussagen, Regeln und
Strukturen herausarbeiten
 Die erworbenen Strategien sind in verwandten Situationen anzuwenden und
zu übertragen auf unbekannte neue Situationen
 Der Lernende muss sein Wissen über den Lerngegenstand und seine
Bedeutung selbständig herstellen und aufgrund seiner eigenen Erfahrungen
konstruieren.
 Bei der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand ist es wichtig, dass der
Lernende möglichst verschiedene Betrachtungsweisen einnimmt, in dem er die
Vielfalt der Bezüge und die Bedeutung des Lerngegenstandes erfassen kann.
Beispielsweise ist der Unterrichtgegenstand „Verbandwechsel“ innerhalb der
Kranken- und Gesundheitspflegeausbildung aus möglichst umfassenden
Perspektiven zu beleuchten, angefangen bei der Berücksichtigung des
Patientenzustandes, seiner Wunde, Wirkweisen von Verbandsmaterialien,
Kontraindikationen, hygienische Aspekte aber auch wirtschaftliche Aspekte
usw. bis zur Durchführung der kompetenten Wundversorgung. Auf diese
Weise wird vernetztes Denken und auch soziale Verantwortlichkeit gefördert.
20
3.2.2 Der Lehrende:
Der Lehrende erzeugt nicht mehr das Wissen in den Köpfen der Schüler, sondern er
ermöglicht den Prozess des selbständigen Lernens und damit die Bildung neuer oder
veränderter kognitiver Strukturen. Demzufolge kann die Wissensvermittlung
Unterricht nicht ergebnis- sondern nur prozessorientiert sein und bleibt immer
vorläufig . Der Lehrer muss sich von seiner Funktionalität als Wissensvermittler
verabschieden und sich ganzheitlich dem Lernenden zuwenden mitsamt seinen
Fehlern und wirklichen Interessen und Emotionen. Das bedeutet auch, dass der
Lehrende sich selbst eingestehen muss, dass er Mängel hat.
Seine Hauptaufgabe ist die Begleitung des Lernprozesses als Manager, Regisseur,
Gesprächspartner, Berater.
Die Aufgaben des Lehrenden beinhalten:
 Strukturierung und Organisation der Lernumgebung und der Lerninhalte
 Der Unterrichtsgegenstand sollte in einem realen und persönlichen Sinnbezug
zum Lerner stehen, d.h. er muss den Lernenden in seinen Problemen,
Bedürfnissen und seinen sozialen Interaktionen direkt tangieren.
 Beachten von Vorwissen: der Informationsgehalt muss im Kontext zum
Vorwissen stehen.
 Integrativer Unterricht, d.h. gemeinsamer Lerngegenstand, den alle Kinder auf
ihrem individuellem Niveau lernen können. Das bedeutet auch Orientierung an
subjektiven Biographien der Kinder
 Auch das Lernen von Fakten ist wichtig. Jedoch machen Einzelheiten nur im
Zusammenhang Sinn. Das Allgemeine wird nicht dadurch gelernt, dass der
Lernende allgemeine Regeln lernt, sondern viele gute Beispiele verarbeitet
und aus diesen Beispielen die Regeln selbst produziert (induktiv)
 Unterstützung bei der Ursachenforschung bei Auftreten von
Lernschwierigkeiten
 Hilfe bei der Bewältigung von Lernschwierigkeiten, z.B. durch Anregen,
Lösungswege zu gehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Lerntechniken
und Lernstrategien des Schülers in einem authentischen Sachbezug mit
Interesse am Lerngegenstand stehen
 Den Lernenden anregen, beraten, seine Konstruktion überprüfen, bestätigen
oder verwerfen und vorzutragen
21
 Richtige Fragen im Lerner wecken, denn dadurch setzt sich der Lernprozess
von selbst in Gang. Mit den Fragen beginnt das Verstehen.
 Kein Angebot an Lösungen präsentieren, sondern allenfalls den Weg dorthin
entwerfen
 Wahl geeigneter Methoden, die konstruktivem Wissenserwerb fördern, z.B.
Projektunterricht, selbständiges Experimentieren, Lernwerkstatt, Planspiel,
Szenisches Spiel usw.
3.2.3 Die Lernumgebung
Als Lernumgebung ist der gesamte unterrichtliche Kontext gemeint: das
Klassenzimmer, die Unterrichtsmaterialien, der Einsatz von Medien.
Die Lernumgebung soll die Realität widerspiegeln, d.h. sie soll authentisch sein. Nur
in einer realistischen, komplexen Situation kann sich der Lernende mit vielen
Informationen versorgen. Sie räumen seinem Wissenserwerb die Chance ein
Strategien entwickeln zu können, die dazu führen, sie auch in künftigen
Realsituationen anwenden zu können.
Der Einsatz von Lernprogramme ist dann effektiv, wenn der Lerner eine Welt
vorfindet, in der er sich bewegen kann, die zu Fragen anregen und ihm helfen
Antworten zu finden. Es ist eher ein Mittel zur Reflektion als zur Wissensvermittlung.
Möglichkeiten gibt es z.B. bei Simulationen und Planspielen.
Von Bedeutung ist auch das Lernen in einer freundlichen Lernumgebung mit
entsprechenden Interaktionsmöglichkeiten. Die Beziehungen der Lernenden
untereinander und zu Lehrenden stellen einen wesentlichen Bestandteil der Lehrund Lernsituationen dar.
22
4. Ausblick
Der Ist-Zustand in den Schulen ist derart, dass alle Schüler zur gleichen Zeit mit der
gleichen Methode im 45-Minuten-Takt das gleiche abfragbare Wissen erwerben. Auf
individuelle Neigungen und Interessen aber auch Launen wird dabei keine Rücksicht
genommen. Spätestens mit Kenntnis über den konstruktivistischen Ansatz – und der
ist ja nicht neu – ist klar, das wir mit unserem Unterricht keine 20 – 25 individuelle
Lernprozesse synchron mitziehen können. Wir wissen, dass die vielfach angewandte
„Nürnberger-Trichter-Didaktik“ keine Wissensvermittlung im eigentlichen Sinne ist,
sondern dass hier täglich in den Schulen vorwiegend abfragbares, auswendig
gelerntes Wissen produziert wird, was jedoch zum großen Teil im Alltag nicht mehr
benötigt und vergessen wird.
Was macht es denn so schwierig, die Erkenntnisse, die sich aus dem
Konstruktivismus ergeben in die didaktischen Überlegungen zu integrieren und im
Unterrichtsalltag umzusetzen?
Folgende Überlegungen sind meiner Meinung nach zu bedenken:
1. Lehrplan:
-
konstruktivistische Lehrpläne können keine strikten Zeit- und
Zielerreichungsvorgaben beinhalten.
-
Selbstgesteuertes Lernen benötigt – individuell unterschiedlich – mehr
Zeit als instruktives Vorgehen, nicht zuletzt auch deswegen, weil
korrektiv-kreatives Verhalten zeitlich nicht genau planbar ist.
-
Instruktives Vorgehen ermöglicht dem Lehrer durch höhere
Strukturiertheit schneller informative Inhalte zu vermitteln.
-
Demgegenüber stehen die konstruktiv selbsterarbeiteten Inhalte vom
Lernenden, die besser verarbeitet, behalten und effektiver genutzt
werden.
2. Methodenwahl: Im Schulalltag scheitert häufig die Methodenwahl an
defizitäre Rahmenbedingungen, die Auswirkung darauf hat, dass authentische
Situationen nur bedingt oder gar nicht hergestellt werden können:
-
Räumlichkeiten: zu wenig, zu klein, unzureichende Ausstattung, sodass
z.B. Lernen in Gruppen oder Experimentieren unter defizitären
Bedingungen angeboten werden kann.
23
-
Medien: Die Schulausstattungen sind qualitativ und quantitativ
unterschiedlich ausgestattet
-
Materialen für den Unterricht, z.B. Computer
-
Unterschiedlicher Zeitaufwand bei Anwendung bestimmter Methoden
3. Bewertung: (Lernzielkontrollen) Gruppenleistungen erschweren die
Evaluierung von Einzelleistungen, Selbstbeurteilung, Beurteilung durch ein
anderes Gruppenmitglied. Die Bewertung erfolgt in der Regel anhand von
Beurteilungskriterien, die sich an Lernziele orientieren. Nach dem
Konstruktivismus müsste sich die Bewertung danach richten, wie der Schüler
zu welchem Ergebnis gekommen ist. Der Sinn der traditionellen Bewertung
müsste sorgfältig überdacht werden.
4. Ausbildung der Lehrer: die Lehrerausbildung orientiert sich daran, dass
politische Bildungspläne und Lehrpläne umgesetzt werden können. Das
Manfred Bönisch zufolge muss jede Art von Schule eigentlich 3 Curricula verfolgen:
1. das Curriculum der Unterrichtsinhalte
2. das Curriculum sozialer Kompetenzen
3. das Curriculum der Selbstkompetenzen.
Während das erste Curriculum selbstverständlich ist, wird das zweite schon weniger
und das dritte meist gar nicht in seiner Bedeutung erkannt. Für die Verfolgung einer
konstruktivistischen Didaktik muss die Selbstkompetenzentwicklung (s.a. Übersicht
Folie) als Basis in sämtliche Lehrpläne eingehen.
Ich möchte mit den Schlusssatz von M.Bönsch abschließen:
„Es ist immer gut, wenn viel Gutes auf den Tisch kommt. Aber was auf den Tisch
kommt, soll ja jemand essen. Essen muss schon jeder selbst. Man lässt sich gern
einladen, man hat aber seine Vorlieben und Geschmacksrichtungen. So lässt man
sich gerne auf Fremdes ein, möchte dann aber immer wieder selbst entscheidenn
können. Beim Lernen ist es nicht anders.
24
Literatur:
1. Allefeld, C.: Radikaler Konstruktivismus, Diskussionskreis am 3.Dezember
1997, URL: http//www.murfit.de/radkon.html
2. Bubenhofer, N.(1999): Kreative Konstruktion – Einführung in den
Konstruktivismus. URL:
http://www.bubenhofer.com/publikationen/1999krekon/konstruktivismus.html
3. Bönisch, M. (2005): Kommunikatives und offenes Lernen – Lernarrangement
statt Lehrgänge, in Pflegepädagogik / PrinterNet 01/05
4. Dichanz, H., K.D.Eubel, D.Schwittmann (1983): Einführung in didaktisches
Denken und Handeln, Vierfachkurseinheit, Kurs 3050-8-01-S1, FernUniversität
Hagen
5. Käser, U., Referenten: A.Delija, U.Langenscheidt: (2002): Konstruktivismus,
M7-Pädagogische Psychologie, Uni Bonn
URL: http:psychologie.uni-bonn.de/entpaed/Download/ss2002/m7-1.pdf.
6. Köck, P., H.Ott (1997): Wörterbuch für Erziehung und Unterricht, 6. mehrfach
überarbeite und aktualisierte Auflage, Auer Verlag GmbH, Donauwörth
7. Lück, E. (1987): Einführung in die Psychologie sozialer Prozesse, Kurs 3050,
FernUniversität Hagen
8. Overmann, M.(2002): Konstruktivistische Prinzipien der Lerntheorie und ihre
didaktischen Implikationen. URL:http://www1.ub.unisiegen.de/ext/overmann/baf5/5e.htm von 01.02.2005
9. Roth, G. (2002): Hirnforschung als Brücke zwischen Natur- und
Geisteswissenschaften“, http://stabi.hsbremerhaven.de/lfi/html_fachartikel/2002_Roth_Hirnforschung.htm
10. Schirp, H. (2003): Neurowissenschaften und Lernen. Was können
neurobiologische Forschungsergebnisse zur Unterrichtsgestaltung beitragen?,
in „Die Deutsche Schule“, 3/2003, S.304 – 316
11. Siebert, H. (2005): Bildung und Mündigkeit – Perspektiven einer
konstruktivistischen Pädagogik, in Pflegepädagogik / PrinterNet 01/05, S. 5 ff
25
12. Stangl, W.: Die konstruktivistischen Lerntheorien. URL:
http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNEN/LerntheorienKonstruktive.shtml
13. Stangl, W.: Der erkenntnistheoretischer Ansatz Piagets, URL:
http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/KOGNITIVEENTWICKLUNG/AkkAssModell.html
14. Thissen, F.: Das Lernen neu erfinden – konstruktivistische Grundlagen einer
Multimedia-Didaktik in Beck, U., W.Sommer (Hrsg.) (1997): LEARNTEC 97,
Europäischer Kongress für Bildungstechnologie und betriebliche Bildung,
Tagungsband, Karlsruhe, S.69 – 79
URL: http://www.frank-thissen.de/lt97.pdf
15. Zimbardo (1995): Psychologie, 6.Auflage, Springer Verlag
26
Grundzüge einer konstruktiven Didaktik
1
Einleitung
2
Der Konstruktivismus
2.1 Konstruktivismus – eine
Erkenntnistheorie
2.2 Konstruktivismus im Kontext
klassischer Lerntheorien
2.3 Neurobiologische Grundlagen
2.3 Konstruktivistische Essentials
3
Konsequenzen für die Lerntheorie und
Didaktik
3.1 Konsequenzen für die Lerntheorie
3.2 Konsequenzen für die Didaktik
4
3.2.1
Der Lernende
3.2.2
Der Lehrende
3.2.3
Die Lernumgebung
Ausblick
27
Konstruktivismus – eine Erkenntnistheorie
Epistemologische (erkenntnistheoretische
Kernthese:
 Unser Erkenntnisapparat kann die außersubjektive
Realität nicht wahrheitsgetreu abbilden.
 Unsere Wahrnehmungen, Kognitionen und Emotionen
konstruieren eine eigene Wirklichkeit
An der Entwicklung des Konstruktivismus sind u.a.
namentlich beteiligt:
 Ernst v. Glasersfeld: Kybernetisches Modell der
Wahrnehmung
 Humberto Maturana/F.J. Varela: Biologisches
Konzept der Autopoiese
 Heinz v. Foerster: orientiert sich an verschiedenen
Gedanken, z.B. auch der Kybernetik 2.Ordnung
 Jean Piaget: als Vorläufer des Konstrukitvismus
28
Konstruktivistischer Diskurs
 Der Begriff „Konstruktivismus“ hat zur Zeit
Hochkonjunktur
 An der Popularisierung sind Wissenschaftler
verschiedener Disziplinen beteiligt, u.a.:
- Neurobiologie
- Hirnforschung
- Kognitionspsychologie
- Informatik, u.a.
 Ergebnisse haben zu Kernaussagen (Essentials)
geführt in erkenntnis-, lern-, u.
bildungstheoretischer Hinsicht
 Es besteht keine Kohärenz in den
unterschiedlichen Ansätzen
 Gemeinsamkeit:
- Ablehnung der Unterscheidung „Subjekt“ –
„Objekt“
- Wirklichkeit konstruiert das Gehirn
29
Konstruktivismus im Kontext klassischer
Lerntheorien
2 Gegensätze:
1. Behavioristische Lerntheorien
2. Kognitive Lerntheorien
Kognitive Entwicklungstheorie v. Jean Piaget:
 Lernen ist ein dynamischer inter-personeller
Konstruktionsprozess
 Lernender verarbeitet aktiv aus der Umwelt
aufgenommene Reize
 Erkenntnis entsteht durch Lösung von Problemen
 Einflussfaktoren bei diesem Prozess:
- Reifung
- Aktive Erfahrung
- Soziale Interaktion
- Streben nach Gleichgewicht (Äquilibration)
 Anpassung (Adaption) in Schemata durch:
- Assimilation
- Akkommodation
30
Neurobiologische Grundlagen
Gerhard Roth:
 Sinneserregungen sind unspezifische, undifferenzierte
Codierungen u. abhängig von der Reizstärke
 Sinnqualitäten werden erst im Gehirn erzeugt und
interpretiert
 Verschiedene Arten von Sinneseindrücken können
gemeinsam verarbeitet werden
 Über die individuellen Verknüpfungen ergeben sich
unterschiedliche Konstruktionen
 Erkennen ist ein Ergebnis neuronaler Prozesse im
Gehirn
 Kognition: = Funktion des Gehirns als
selbstreferentielles System
31
Heinz Schirp:
 3 Bereiche aus der neurobiologischen und
Gehirnforschung sind für Lehr- u. Lernprozesse von
Bedeutung:
1. Muster und Mustererkennung
2. Sinn, Relevanz und Bedeutung
3. Emotion und Kognition
 Viele methodische und didaktische Ansätze
werden durch Erkenntnisse der
Neurowissenschaft bestätigt.
32
Konstruktivistische Essentials
1. Es gibt keine vom Beobachter unabhängige
Wirklichkeit
2. Wir konstruieren unsere Wirklichkeit als Subjekt
selbst
3. Das Objekt ist immer nur Objekt eines Subjekts.
4. Wir erkennen die Dinge nicht so wie sie sind,
sondern nur so, wie sie uns erscheinen
5. Die Realität ist prinzipiell unerkennbar
6. Die Umwelt, wie wir sie empfangen ist unsere
Empfindung
7. Die menschliche Wahrnehmung ist ein
neuronaler Konstruktionsprozess im Gehirn, der
über die Sinnesorgane ausgelöst wird.
33
8. Der Mensch filtert die ihn perturbierenden
wahrgenommenen Phänomene auf seine
individuelle einzigartige Art und Weise
9. Aufbau von Wissen ist immer an die kognitiven
Funktionen des Beobachters gekoppelt
10.
Wahrnehmung und Erkenntnis können von
außen nicht steuernd beeinflusst werden
11.
Der Mensch ist ein autonomer,
selbststeuernder Organismus (Autopoiese) d.h.
dass sich das Gehirn selbst herstellt
12.
Als selbstreferentielles System ist der
Mensch selbstbestimmend, selbsterhaltend und
autonom; er ist von der Umwelt abgeschlossen
34
Konsequenzen für die Lerntheorie
 Wissen ist nicht vermittelbar
 Lernen ist ein aktiver Prozess der
Wissenskonstruktion
 Jeder Lernende benötigt unterschiedliche Zeiten für
sein Lernen
 Jeder Lernende erarbeitet unterschiedliche
Bedeutungen
 Es ist unmöglich, einem Lernenden etwas gegen
seinen Willen beizubringen
 Konkrete Lernziele sind unsinnig
 Lernzielkontrollen sind widersinnig
 Traditionelle Bewertungskriterien sind zu reflektieren
und zu überprüfen
35
Konstruktivistische Didaktik: Der Lernende
Der Lernende
 Gestaltet seine Lernprozesse in einer realen,
authentischen Situation individuell selbst
 Soll erworbene Strategien in verwandte Situationen
anwenden
 Arbeitet von speziellen Situationen allgemeine
Aussagen und Regeln heraus
 Sein Wissenserwerb baut sich auf bereits
vorhandenes Wissen auf
36
Konstruktivistische Didaktik: Der Lehrende
Rolle des Lehrers: Begleiter, Berater
Aufgaben:
 Strukturierung und Organisation der Lernumgebung
und Lerninhalte
 Beachten von Vorwissen des Lernenden
 Integrativer Unterricht
 Anregung, Beratung, Überprüfung der Konstruktion,
Bestätigung, Anregen zum Vortragen
 Richtige Fragen im Lerner wecken, denn mit den
Fragen kommt das Verstehen
 Hilfe bei Lernschwierigkeiten: Lösungswege suchen
 Keine Lösungen anbieten
 Wahl geeigneter Methoden:
- Projektarbeit
- Selbständiges Experimentieren
- Lernwerkstatt
- Planspiel
37
Konstruktivistische Didaktik:
Die Lernumgebung
Zur Lernumgebung gehören:
 Schulgebäude
 Klassenzimmer mit Möglichkeiten zum
Experimentieren, Arbeiten in Gruppen etc.
 Unterrichtsmaterialien
 Medien
 Effektive Lernprogramme (Planspiele, Simulationen)
Die Lernumgebung sollte
 Authentisch u. realistisch gestaltbar sei
 Eine freundliche Atmosphäre mit entsprechenden
Interaktionsmöglichkeiten
 Möglichkeiten bieten, die verschiedenen Methoden
anwenden zu können.
38
39
41
Ordnung muss sein: In den ersten beiden Lebensjahren bildet sich eine große Anzahl an Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn aus – wesentlich
mehr, als später benötigt werden. Danach wird ausgelichtet: Nur die Kontakte bleiben erhalten und verstärken sich, die immer wieder benötigt werden; die anderen
verkümmern. Mit der Pubertät ist dieser Prozess im Wesentlichen abgeschlossen: Dem Erwachsenen steht ein gut eingefahrenes, aber auch weniger
anpassungsfähiges Nervennetz zur Verfügung.
Quelle: Gerhard Friedrich, Gerhard Preiss: Lernen mit Köpfchen, in Gehirn & Geist, Spektrum Der Wissenschaft, Nr.4/2002, S.68
42
Piagets theoretisches Modell
43
(Quelle: URL:http//arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOGNITIVEENTWICKLUNG/default.stml, S.3)
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