Kontaktmodalitäten - Weiterbildung

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Kontaktmodalitäten
1.Wo findet Kontakt statt?
Kontakt findet immer an einer Grenzlinie statt, das unterscheidet ihn vom Zusammensein oder
Mitmachen. An dieser Grenzlinie wird ein Gefühl des Getrenntseins beibehalten und eine mögliche
Vereinigung wird nicht als überwältigend erfahren.
1.2 Ich-Grenzen
„ Die Grenzen des menschlichen Wesens, die Ich-Grenzen, sind durch seine sämtlichen
Lebenserfahrungen und seine eingebauten Fähigkeiten bestimmt, neue oder intensivere
Erfahrungen zu assimilieren.
.... Sie besteht aus einer ganzen Reihe von Kontaktgrenzen und definiert jene Handlungen, Ideen,
Menschen, Werte, Situationen, Vorstellungen, Erinnerungen und so weiter, bei denen man sich
bereitwillig oder verhältnismäßig frei engagieren kann, sowohl mit der Welt außerhalb seiner selbst
wie auch mit dem Nachhall in sich selbst, den dieses Engagement erwecken mag." ( POLSTER; S.
114)
Wir alle brauchen Kontakte und organisieren uns möglichst so, dass wir einen guten Kontakt
zu unseren Mitmenschen finden. Wenn wir in unserer Entwicklung erfahren konnten, dass
unsere Bemühungen erfolgreich waren, dass wir etwas bekommen, dass wir uns potent
erlebten, dann konnten wir auch die Fähigkeit entwickeln, der Umwelt mit Lust, Vertrauen und
einer gewissen Risikobereitschaft begegnen zu können. Unsere Ich-Grenzen sind in diesem
Fall sehr flexibel.
Manche Menschen verändern ihre Ich-Grenzen sehr stark im Verlaufe ihres Lebens, andere trauen
sich das nicht. Wieder andere erweitern ihre Grenzen nur in bestimmten Bereichen ihres Lebens
und setzen Veränderungen in anderen Bereichen heftigen Widerstand entgegen und entwickeln so
keine ausbalancierte Persönlichkeit.
Je nachdem wie flexibel jemand mit seinen Ich-Grenzen umzugehen vermag, gestaltet er
seine Kontakte.
Das gilt für den Kontakt zu anderen Menschen, wie auch zu sich selbst. ( Selbst-Kontakt)
„Damit ist gemeint, dass seine Wünsche, seine Verhaltensimpulse offenen, angemessenen
Ausdruck finden können, nicht blockiert oder abgewehrt werden. Dazu muss er sich seines Selbst,
also seiner Wünsche, Verhaltenstendenzen, Gefühle leidlich bewusst sein, und sei es auch nur in
der Form eines Gefühls von Stimmigkeit oder Nicht-Stimmigkeit." ( RAHM; S. 173 )
Weitere Kontaktorenzen - Orte des Kontaktes - sind

Körpergrenzen; Körperregionen oder - funktionen werden nicht oder kaum wahrgenommen

(entwicklungsbedingt); diese liegen außerhalb der Ich-Grenze; kein Kontakt zu wichtigen
Teilen des Selbst

Wertgrenzen; betreffen die Flexibilität bezüglich der Wertbegriffe, des eigenen
Wertsystems – ansonsten unnötige Einschränkung durch Festhalten an überalterten Werten

Grenzen der Vertrautheit; Vertrautheit gibt „Sicherheit" - Furcht vor der „Unsicherheit des
Lebens" ermöglicht keine neuen Erfahrungen, keine Ausweitung des Selbst, kein Neubeginn

Grenzen des Ausdrucks; Introjekte „deckein" oft den persönlichen Ausdruck von Gefühlen
(Tabus, z.B. das Berühren als Ausdruck der Zuneigung )

Grenzen der Bloßstellung; beschreibt die Furcht, dass zu viel von der eigenen Person
preisgegeben wir („Geheimniskrämerin“), Scham und Furcht vor Enthüllung
2.Kontaktmodalitäten
Wie schon erwähnt, brauchen wir alle Kontakt und organisieren uns möglichst so, dass wir einen
guten Kontakt zu unseren Mitmenschen finden.
Haben wir in unserer Entwicklung erfahren, es sich iohnt, Kontakt aufzunehmen, dass unsere
Bedürfnisse befriedigt wurden, unser Selbst-Kontatö
durfte, dann werden wir freudig Kontakt
aufnehmen wollen.
War das jedoch überwiegend nicht der Fall, wenn die Bemühungen ins Leere liefen, dann
entstanden verschiedene störende Gefühle: Wut, Verwirrung, Groll, Ärger, Enttäuschung, etc. Das
sind Energien, die einen guten Kontakt nicht ermöglichen. Wenn der Kontakt zu erniedrigend,
schmerzhaft oder überwältigend war, wenn das „Ich" des Kindes" nicht oder zu wenig
berücksichtigt wurde und so kaum wachsen konnte, entwickelte dieses Kontaktvermeidungsstrategien. Zu dem Zeitpunkt waren es notwendige „Überlebensstrategien"; von
Neurose sprechen wir, wenn dieses „Notprogramm" ohne aktuellen Anlass abläuft; wenn wir uns
als Erwachsene immer noch so verhalten, obwohl unsere Situation sich grundlegend verändert
hat.
„Neurose ist ein Mangel an Bewusstheit, eine Herabsetzung der Awareness, des Gewahrseins von
Impulsen des eigenen Organismus und der Umwelt. Per/s benutzt für diesen Zusammenhang vor
allem einen Ausdruck: Vermeidung. Die Neurose ist gekennzeichnet durch eine
Vermeidungshaltung, durch die ein Individuum die Bewusstheit der Wahrnehmungen, die es in
einen Konflikt bringen, ausblendet." ( Frambach; S. 77 )
Beim Neurotiker ist die Balance zwischen „Ich" und „Umwelt" gestört; die Anforderungen der
Umwelt werden als wichtiger erfahren, spielen eine größere Rolle als die eigenen Bedürfnisse. Bei
einer kriminellen Störung ist genau das Gegenteil der Fall - die Umwelt spielt keine oder nur eine
untergeordnete Rolle.
Perls unterscheidet zwischen vier Vermeidungsmechanismen:
Je zwei stehen sich polar gegenüber - Projektion und Introjektion, Retroflektion und Konfluenz.
„ Der Introjektor tut, was andere von ihm erwarten könnten; der Projektor tut anderen das an, was
er ihnen vorwirft; der pathologisch Konfluente weiß nicht, wer wem was tut; und der Retroflektor tut
sich selbst das an, was er am liebsten anderen antäte." ( Frambach; S. 82 )
Bei POLSTER ( S. 97 ) finden wir noch die „Deflektion" und Marlies und Alfred hatten am
5.10.2003 auch noch den Vermeidungsmechanismus der „Übertragung" genannt.
„Vermeidungsmechanismen" sind jedoch nicht nur Störungen; sie bergen auch menschliche
Fähigkeiten, die je nach Situation, förderlich und dienlich sind. Wenn wir sie flexibel und der
Situation
angemessen anwenden können, sind sie Bestandteil einer gesunden psychischen Flexibilität, z.B.
Konfluenz als Fähigkeit zu liebendervereinigung, Projektion als Fähigkeit zu künstlerischer
Gestaltung.
Und - wie die Buddhisten sagen - „Atles Leid kommt vom Festhalten." - an dem einen oder dem
anderen Pol
2.1. Projektion - das Veräußerlichen
Diese Übung hatten wir schon durchgeführt; ihr erinnert euch vielleicht? Wir sollten uns zu zweit
gegenübersitzen und dann den anderen wahrnehmen. Dabei sollten wir phantasieren und
aufschreiben, was für ein Mensch unser Gegenüber wohl sei. Danach wurde das Geschriebene
dem „teeren Stuhl" vorlesen (Anrede „DU" ), im zweiten Schritt saßen wir selbst auf dem Stuhl und
trugen in der Ich-Form noch einmal den Text vor.
Wir nehmen etwas am anderen wahr, bewundernd oder ablehnend, was wir selbst nicht leben. Die
Störung im Kontakt setzt dann ein, wenn wir dem anderen etwas zuschreiben, was eigentlich bei
uns abläuft, das wir aber nicht wahrnehmen können oder wollen. Dann verfallen wir oft in
Anschuldigungen oder Vorwürfe - und merken gar nicht, dass wir etwas kritisieren, was wir bei uns
selbst anschauen sollten. Doch zu 98% sind wir es, die etwas bei sich nicht sehen.
Immer, wenn wir uns dabei erwischen, dass wir andere anklagen, emotional sehr dabei beteiligt
sind, können wir eigentlich sicher sein, dass wir projizieren.
Beispiel:
Bewunderung/Neid: „Mein Gott, hat die wieder ein enges Kleid an!"
Dahintersteht vielleicht mein eigener Wunsch, schlanker als jetzt zu sein - aber den mag ich
mir nicht eingestehen (warum auch immer)......
oder
Es macht mich wütend, dass mein Freund in mancherlei Hinsicht nicht ausdrücken kann, was er will.......
Ha, ich meine das für mich zu wissen und merke gar nicht, dass ich es im Grunde auch nicht weiß, dass das einer
meiner „Schatten" ist.
Oft können wir bei uns etwas nicht fühlen oder Handlungen akzeptieren, weil wir nicht so fühlen
oder handeln „sollten" (Introjekte sind am Werke). Weil wir aber so fühlen / handeln wollen, es aber
nicht „dürfen", schreiben wir es einem anderen zu und kritisieren dort; so meinen wir aus dem
Dilemma zu kommen. Doch in Wirklichkeit geben wir so Stück für Stück unsere Identität auf, wir
„zerstückeln" uns <. sozusagen, denn unsere ungeliebten Anteile finden wir stellvertretend in
vielen Menschen wieder.
In der Therapie ist es daher wichtig, diese Anteile wieder „einzusammeln", zu helfen, die eigenen
Identität wieder zusammenzusetzen, sich und die ungeliebten Anteile anzunehmen. Für
deflProjektor ist es notwendig zu erkennen, wem er etwas sagen will, sich seiner eigenen
Abneigung zu stellen; im Hier und Jetzt zu erfahren, wer „Ich" ist und wer „Du".
Projektion ist eine natürliche menschliche Reaktion; sie drückt auch die Fähigkeit aus, von sich auf andere schließen zu
können, sich in den anderen einfühlen können.
2.2. Introjektion — das Verinnerlichen
Auch hierzu haben wir schon gearbeitet, selbst Erfahrungen gesammelt.
„Welche > Erziehungsaufträge/ Introjekte< möchtest du abgeben?"
Du sollst.... Du musst... - wir erlebten noch einmal bewusst, was diese Sätze mit uns machten:
Sie vermittelten uns das Gefühl, nicht frei wählen zu können. Wenn wir unser Leben auf diese Art
gestalten, die unkritisch übernommenen Introjekte unterstützen und unser Verhalten danach
ausrichten, was andere für richtig oder falsch halten, sind wir darauf angewiesen, dass die Welt um
uns herum sich nicht verändert. Das Kartenhaus würde einstürzen -und das tut es auch, denn die
Welt verändert sich - Kontakte beinhalten Veränderungen.
Daher ist es z.B. wichtig, Kindern nicht die Chance zu nehmen, den eigenen Weg zu gehen. Das,
was als Introjekt gegeben wird, ist nur eine Möglichkeit der Zugehensweise an eine
Herausforderung.
Beispiel:
VIRGINIA SA7JR
„ Hat du schon mal die Geschichte der jungen Braut gehört, die ein Roastbeef zubereitet hat? Der Bräutigam war
sichtlich überrascht, als er sie sorgfältig das Roastbeef in zwei Hälften schneiden und in zwei Töpfen verteilen sah und
rief aus, »Warum machst du das so?" Sie antwortete sehr selbstsicher: „So macht man das! Meine Nutter hat das immer
so gemacht." Dem Bräutigam, der sich sehr bewusst war, kein Experte im Kochen zu sein, war diese Logik suspekt und
er beschloss, der Sache etwas nachzugehen. Er eilte zu seiner Schwiegermutter und fand heraus, dass sie das
Roastbeef tatsächtich auf die gleiche Weisezubereitete. Und „ dabei sagte sie: „So macht man das, meine Mutter hat
das auch immer so gemacht." Zum Glück für unsere Geschichte lebte ihre Mutter auch noch. So eilte er zu ihr und
erzählte ihr seine Geschichte. Sie hörte aufmerksam zu und sagte dann mit sichtlichem Vergnügen und großer
Überraschung: „Ach du lieber Himmel - ich hatte immer so viele Münder zu stopfen, aber nur so kleine Töpfe, dass ich
das Roastbeef in kleinere Stücke schneiden musste, damit es in die Töpfe passte."
Wie viele Sachen seh neidest du noch in zwei Stücke und legst sie in kleinere Töpfe, obwohl du größere Töpfe besitzt?"
Der Introjektor kann die Fremdartigkeit der unkritisch „heruntergeschluckten" Introjekte nicht mehr
erkennen, hält die Impulse von außen für seine eigenen.
Er ist nicht in der Lage, zwischen seinen Bedürfnissen (die kann er meist gar nicht mehr erkennen)
und den Ansprüchen von außen zu unterscheiden. Konflikten geht er aus dem Weg, indem er sich
mit
diesen äußeren Ansprüchen identifiziert. Dadurch hat er die Grenze zwischen sich und der Umwelt
so
weit in sich hinein verlegt, dass er beinahe zum Pünktchen zusammengeschrumpft ist
Für die Therapie bedeutet das, dass der Introjektor lernt, seine Bedürfnisse, seine Befindlichkeit im
Hier und Jetzt wahrnehmen zu können und als wichtig zu erachten und nach außen zu tragen.
Bei der Introjektion handelt es sich grundlegend um die Fähigkeit, die eigenen Impulse
zurücknehmen zu können, diese allgemeingültigen Regeln unterzuordnen; eine Fähigkeit, die für
das Zusammenleben dienlich ist, wenn sie bewusst gelebt wird auch für den betreffenden
Menschen.
2.3. Konfluenz -• das Auflösen
Der neurotisch Konfluente kann seine Ich-Grenzen nicht getrennt von seiner Umgebung
wahrnehmen. Seine Vermeidungsstrategie ist das Verwischen der Grenzen. Spricht der Konfluente
von „Wir", so ist dieses „Wir" nicht aus Kontakt und Begegnung entstanden, sondern dadurch,
dass keine eigenen Grenze besteht. Es besteht eben ein Unterschied zwischen „Offenheit" (die
Bereitschaft neuen Situationen vorurteilsfrei begegnen zu können ) oder der Konfluenz, bei der
kein Kontakt stattfinden kann, weil es eigentlich kein Gegenüber gibt.
Der Konfluente ist der chronische Harmoniker, der keine Auseinandersetzungen eingehen kann,
weil er sich seiner eigenen Bedürfnisse nicht bewusst ist. Das, was im Moment anliegt, ist auch
seine Sache, wo gibt es da Probleme??
Die Konfluenz ist gekennzeichnet durch eine diffuse Verschwommenheit, denn Unterschiede und
genaues Wahrnehmen wird vermieden.
Beispiel:
Wir haben hier im Raum eine Regel, die besagt, dass keine Getränke neben dem Platz stehen
sollten - umgekippte Becher wären eine lästige Störung, wenn z.B. gerade intensive
Einzelarbeit stattfindet. Auch eine rege „ Toilettenrennerei" ist aus diesem Grund nicht
angebracht.
Bitte stelle dir vor deinem geistigen Auge folgende Situation vor.
Du spürst, dass du sehr durstig wirst, die Zunge klebt am Gaumen - und zu allem Überfluss
meldet sich auch noch deine Blase überdeutlich.
Was denkst du?
Was würdest du tun?
Was sagt der Konfluente?? Wir wollen weitermachen!
Er kann nicht zwischen den eigenen dringenden Bedürfnissen und denen der Gruppe
unterscheiden.
Doch wie schon oben erwähnt beinhaltet auch diese Kontaktmodalität die menschliche Fähigkeit,
durch das Auflösen der Ich-Grenzen zu liebender Vereinigung oder mystischen Erlebnissen zu
finden.
In der Therapie ist es notwendig, dem Konfluenten die Erfahrung zu ermöglichen, dass er der
panische^Angst, von anderen getrennt zu sein, begegnen kann und dabei am Leben bleibt. Er
muss seine Bedürfnisse differenziert als seine eigenen wahrnehmen lernen und diesen Ausdruck
verleihen. Auch eigene Gefühle und Entscheidungen muss er tragen lernen, auch wenn sie denen
der anderen nicht entsprechen.
2.4. Retroflektion - die Verdichtung
Das Kennzeichen dieser Vermeidungsstrategie ist, dass der betreffende Mensch das gegen sich
wendet, was er eigentlich nach außen bringen möchte. Oder er tut sich das an, von dem er
eigentlich möchte, dass es jemand anders für ihn tut.
Sprachlich benutzt er oft das Reflexivum „mich": „Ich ärgere mich über mich." oder „Ich muss mich
zu dieser Arbeit zwingen."
Er erfährt sich selbst als Gegenüber - spaltet sich in zwei verschiedene Personen, den Betrachter
und den Betrachteten. Wir kennen das alle, wenn wir meinen, uns für etwas kritisieren zu müssen.
Der Retroflektor ist in der Lage, deutliche, klare Grenzen zu ziehen, doch an der falschen Stelle. Er
zieht seine Kontaktgrenze in der Mitte seines Selbst, und so gelangen seine Aktionen nicht nach
außen, sondern verbleiben innerhalb der eigenen Grenzen. Der Impuls nach außen ist da, er geht
ihm auch nach, aber er begegnet nicht der realen Umwelt, sondern einem Pseudo-Gegenüber
in sich selbst.
Er nimmt Konflikte wahr, verlegt sie aber in sein Inneres, blendet so die Umwelt aus.
Beispiel:
Du stehst au feiner Party mit einem Glas Sekt und jemand stößt dich an, sodass du dich bekleckerst. Natürlich
ärgert dich das, und was würdest du als Retroflektor sagen?
„Ich muss mich wirklich entschuldigen!" - »Ach, was muss ich mich auch in den Weg stellen!"
Auch diese Kontaktmodalität ist nicht per se eine Störung; sie beinhaltet die menschliche
Fähigkeit, zur Selbstbeobachtung und Selbstkritik. Auch der Humor ist hier anzusiedeln, das über
sich selbst lachen, zu sich auf Distanz gehen können. Die Fähigkeit zur Retroflektion ist auch dann
sinnvoll, wenn eine Situation es erfordert, „einen kühlen Kopf zu bewahren, sich nicht von seinen
Emotionen davon schwemmen zu lassen.
Auch ist es förderlich, nicht allen Impulsen unüberlegt nachzugeben; z.B. dem Impuls immer weiter
aufs offenen Meer hinaus schwimmen zu wollen, ohne Meeresströmungen oder die Kondition zu
berücksichtigen.
Pathologisch wird diese Vermeidung erst, wenn der Rhythmus zwischen Selbstbeobachtung und
Spontaneität verloren geht und der Mensch in entgegengesetzten, blockierenden Kräften stecken
bleibt. Das führt zu innerem Stress und Kampf.
In der Therapie wird es notwendig sein, dem Retroflektor die Gelegenheit zu bieten, eine
Beziehung zu den äußeren Objekten herzustellen sowie ein Bewusstsein zu entwickeln, was er
wirklich will und die begonnene Aktion zielgerichtet zu Ende führen.
2.5. Deflektion
Diese Vermeidungsstrategie ist daran zu erkennen:
Der direkte Kontakt wird unmöglich gemacht, durch weitschweifiges Erzählen, nicht zur Sache
kommen, nur über die Vergangenheit reden, das Gegenüber nicht anzuschauen, durch einen stets
ironischen oder scherzhaften Ton, durch eine stereotypische Sprache, durch Höflichkeit (statt
Direktheit), durch aussageschwache Beispiele, durch das Zurücknehmen der eigenen Aussagen.
Der Kontakt geht aneinander vorbei.
Bei einer Interaktion kann deflektiv agiert oder reagiert werden. Im ersten Fall bemüht sich
jemand vermeidlich um einen Kontakt und erfährt, dass seine Bemühungen nicht das
gewünschte Ergebnis erzielen und kann das noch nicht einmal konkretisieren,
Derjenige, der den Kontaktversuch eines anderen abbiegt, „erfährt sich oft als ungerührt,
gelangweilt, verwirrt, interesselos, zynisch, ungeliebt, unwichtig und fehl am Platz." ( Polster, S.
98)
Doch auch dieser Vermeidungsmechanismus ist oft nützlich, insbesondere, wenn eine Situation zu
eskalieren droht. Dann ist es sinnvoll, erst einmal aus dem Kontakt treten zu können um dann,
wenn sich die Gemüter wieder beruhigt haben, erneut und ruhiger Kontakt aufnehmen zu können.
Für deflektierende Menschen ist es in der Therapie wichtig, sie lernen, z.B. in Gesprächen,
Fragen nicht fachlich so umfassend wie möglich zu beantworten, sondern kurz und knapp und sehr
persönlich; dass sie lernen, sich zu offenbaren und nicht hinter
zu verstecken. Dass sie
lernen, dass sie selbst wichtiger für einen guten Kontakt sind als ihre Masken.
2.6. Übertragung
Wenn wir übertragen, d.h. etwas aus der Vergangenheit auf eine aktuelle Situation beziehen,
vermeiden wir den Kontakt im Hier und Jetzt. Wir können das Gegenüber nicht wirklich
wahrnehmen,
weil sich für uns unbewusst die aktuelle Begegnung mit Begegnungen aus der Vergangenheit
mischt.
Beispiel:
Während deiner Schulzeit machtest du verschiedene schlechte Erfahrungen mit deinen Lehrern.
Nun bringst du dein eigenes Kind zum ersten Schultag. Welche Gefühle begleiten dich? Vor allen
Dingen, wenn bei der Lehrerin deines Kindes äußere Ähnlichkeiten zu einer deiner ehemaligen
Lehrerinnen bestehen?
Natürlich beinhaltet die Übertragung auch die menschliche Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen,
d.h. oft ist es notwendig, das Gelernte anzuwenden, z.B. beim Autofahren. Hier wird deutlich, dass
jede Situation zwar neu ist, ich jedoch oft blitzschnell eine Entscheidung in Anlehnung an bereits
erlebte Situationen treffen muss.
Pathologisch wird dieser Mechanismus erst, wenn die Vorstellungen, Annahmen, Befürchtungen
und Vorbehalte nur noch sehr wenig mit der aktuellen Situation zu tun haben. Der Klient muss die
Möglichkeit erhalten, zwischen der neuen und der alten Situation unterscheiden zu können,
erkennen zu können, dass z.B. seine Gefühle eigentlich einer alten, kindlichen Sichtweise
angehören. Eine hilfreiche Frage: „Kennst du das von früher?"
Literaturangabe:
Erving und Miriam Polster; Gestaittherapie - Theorie und Praxis der integrativen Gestalttherapie; Köln 2001
Ludwig Frambach; Identität und Befreiung in Gestalttherapie, Zen und christlicher Spiritualität;
Petersberg 1993
Dorothea Rahm u.a.; Einführung in die Integrative Therapie - Grundlagen und Praxis; Paderborn 1993
Virginia Satir; Mein Weg zu dir; München 1989
Referat: Sabine Albrecht - Duisburg; 16.1.2004
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