Alexander Staudacher Das Problem der Wahrnehmung mentis PADERBORN Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort Einbandabbildung: tiefer brunnen © Sabine Klenke (fotolia.com ) Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ∞ ISO 9706 © 2011 mentis Verlag GmbH Schulze-Delitzsch-Straße 19, D-33100 Paderborn www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Satz: Rhema – Tim Doherty, Münster [ChH] (www.rhema-verlag.de) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-683-7 1 Einleitung Die Rede von dem Problem der Wahrnehmung kann in zweifacher Hinsicht merkwürdig oder sogar fragwürdig erscheinen. Erstens ist wie bei so manchem philosophischen Problem auf Anhieb vielleicht gar nicht klar, worin es eigentlich besteht bzw. ob hier überhaupt ein Problem vorliegt. Zweitens hat sich die Philosophie der Wahrnehmung nicht nur mit einem einzigen, sondern mit einer ganzen Reihe von Fragestellungen und Problemen beschäftigt. Gleichwohl hat es sich eingebürgert, gerade ein ganz besonderes Problem als das Problem der Wahrnehmung zu bezeichnen. 1 Diese Einleitung dient zum einen dem Zweck, dieses Problem kurz kenntlich zu machen. Dies beinhaltet einen kleinen Überblick zu den Überlegungen, die zu ihm führen, sowie zu den üblichen Strategien, auf dieses Problem zu reagieren. Darüber hinaus soll eine kurze Abgrenzung zum gewissermaßen in der Nachbarschaft befindlichen Leib-Seele-Problem erfolgen sowie die Markierung einiger zentraler Voraussetzungen, für die nicht eigens in extenso argumentiert werden soll. Schließlich sollen noch einige methodologische Fragen angesprochen werden, die einem angesichts der Art und Weise in den Sinn kommen können, wie hier die entscheidenden Fragen formuliert werden. Vorab sei allerdings schon gesagt, dass die anstehenden Fragen wie in der Philosophie der Wahrnehmung meist üblich, fast ausschließlich mit Blick auf die visuelle Wahrnehmung diskutiert werden sollen. Wenn man einmal von Geruchsund Geschmackssinn absieht, die spezifische Eigentümlichkeiten besitzen, indem sie unseren körperlichen Empfindungen am nächsten sind, werden sich die zentralen gewonnenen Einsichten aber auch cum grano salis auf die anderen Sinne übertragen lassen. 2 Was ist nun also das Problem der Wahrnehmung? Kurz gesagt, besteht es darin, eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben, was die unmittelbaren Gegenstände der Wahrnehmung sind. Damit dürfte auch schon klar sein, warum nicht so ohne weiteres ersichtlich ist, dass hier überhaupt ein Problem vorliegt. Ist die Antwort auf diese Frage nicht geradezu trivial? Denn sieht man einmal von der 1 Vgl. z.B. die entsprechenden Buch- und Aufsatztitel bei Crane 2006b, Quinton 1955/65 und Smith 2002. Manchmal wird auch von den Problemen der Wahrnehmung gesprochen, obwohl dieselbe einheitliche Fragestellung gemeint ist (vgl. etwa den Titel von Hirst 1959). 2 Manche Autoren fassen auch Körperempfindungen wie Schmerz als Formen der Wahrnehmung auf, nämlich als Wahrnehmung dessen, was im eigenen Körper vorgeht (vgl. etwa Armstrong 2 1993, Kap. 14, Armstrong 1962 sowie Pitcher 1970). Für die Gegenthese vgl. u.a. Ros 2005, 514f. 12 1. Einleitung klärungsbedürftigen Rede von »unmittelbar« ab, wird man vom Standpunkt des Commonsense natürlich antworten wollen: Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, sind schlicht solche Dinge wie Bäume, Stühle, Menschen und vielleicht noch etwas ephemerere Gebilde wie Schall und Rauch, kurz Dinge, die wir im folgenden als physische Gegenstände bezeichnen wollen. Die Antwort auf diese Frage erscheint nicht nur trivial, es ist nicht einmal so ohne weiteres klar, ob es überhaupt eine sinnvolle Alternative zu ihr gibt. Wenn hier also überhaupt ein Problem vorliegt, welches den Namen verdient, dann sollte sich entweder zeigen lassen, dass diese Antwort falsch ist oder doch zumindest, dass ihre Wahrheit keine Trivialität darstellt. Zum besseren Verständnis des Problems der Wahrnehmung lohnt es sich, sich eine Reihe von weiteren Binsenweisheiten über die Wahrnehmung bzw. über das, was wir wahrnehmen, zu vergegenwärtigen. Allen Gegenständen der Wahrnehmung sind offenbar die folgenden Merkmale gemeinsam: Sie lassen sich in Raum und Zeit verorten und sind intersubjektiv zugänglich. Ihre Existenz und ihre Beschaffenheit ist unabhängig davon, dass bzw. ob sie jemand wahrnimmt oder zum Gegenstand irgendeiner anderen seiner kognitiven Aktivitäten macht (über sie nachdenkt, ihre Existenz herbeiwünscht usw.). Was den letzten Punkt betrifft, so können wir vom Realismus des Commonsense sprechen. Was immer sich zugunsten irgendeiner beliebigen Version von Idealismus vorbringen lassen mag, kurz, einer Spielart der Auffassung, dass alles, was existiert, nur insofern existiert, als es Gegenstand einer geistigen Aktivität ist, es wird kaum die These sein, dass der Idealismus prima facie die beste Rekonstruktion des Commonsense darstellt. Dieser Realismus beinhaltet keine weitergehenden philosophischen Thesen von der Art wie etwa, dass die Welt in Wahrheit ganz anders beschaffen ist, als sie sich unseren Sinnen jemals zeigen kann, oder dass wir niemals herausfinden können, wie sie wirklich beschaffen ist. Er ist schlicht die Voraussetzung für solch triviale Annahmen wie die, dass die Gegenstände der Wahrnehmung gesucht und gefunden werden können und dass sie sich uns manchmal wider unseren Willen aufdrängen, indem wir nicht umhin können, sie wahrzunehmen, so dass ihre Existenz und Beschaffenheit insofern nicht von uns abhängen kann. Eine weitere Binsenweisheit ist, dass uns unsere Wahrnehmung über die Beschaffenheit und Existenz der so verstandenen Dinge in Kenntnis setzen kann. So informiert uns die visuelle Wahrnehmung u. a. über die Farbe und Gestalt von Gegenständen, ihre relative Größe zueinander und ob sie in Bewegung oder Ruhe sind, die taktile Wahrnehmung hingegen über ihre Härte und ihre Gestalt usw. Ist die Wahrnehmung veridisch, dann informiert sie uns nicht nur über die Existenz dieser Gegenstände, sondern auch über ihre tatsächliche Beschaffenheit. Unsere Wahrnehmung informiert uns dabei nicht einfach über diese Gegenstände bzw. ihre Eigenschaften. Vielmehr werden uns diese in der Wahrnehmung in einer besonderen Weise präsentiert, wie dies bei anderen mentalen Zuständen wie Gedanken, Überzeugungen und Wünschen nicht der Fall ist. So ist 1. Einleitung 13 einem das Rot einer reifen Tomate, die man vor sich sieht, in der Wahrnehmung in einer Weise präsent, in der einem das Weiß der Wand hinter einem nicht präsent ist, wenn man lediglich daran denkt, dass diese Wand weiß ist, sich an ihr Weiß erinnert, sich wünscht, sie sei rein weiß oder sogar so felsenfest davon überzeugt ist, dass sie weiß ist, dass man Haus und Hof darauf verwetten würde. Kurz, das Rot der Tomate sieht für den Betrachter in der Wahrnehmung auf eine Weise aus bzw. erscheint ihm in einer Weise (z. B. leuchtend oder transparent bei manchen Gegenständen aus Glas usw.), wie dies bei bloßen Gedanken, Überzeugungen und Erinnerungen usw. an Rotes nicht der Fall ist. Vergleichbares lässt sich natürlich nicht nur von der Wahrnehmung von Farben sagen, sondern auch von der von Geräuschen, Härte, Wärme und der Gestalt von Gegenständen. Häufig wird dieser Umstand in der Literatur auch als der »phänomenale Charakter« der Wahrnehmung bezeichnet. Der phänomenale Charakter eines mentalen Zustandes wird durch das bestimmt, was für uns in Nagels bekannter Formulierung ausmacht, ›in diesem Zustand zu sein‹. Ebenfalls geläufig ist in diesem Zusammenhang der Terminus »phänomenales Bewusstsein«. 3 3 Für den Ausdruck phänomenaler Charakter vgl. Chalmers 2006, oder auch Tye 2000. Zu Nagel vgl. Nagel 1974/79. Zum Hintergrund des Begriffs »phänomenales Bewusstsein« und zu weiterer Literatur vgl. Staudacher 2002, Einleitung u. Kap. 2. sowie zum damit intendierten Phänomen auch Ros 2005, 282ff. u. 618ff. Für gewöhnlich wird ein phänomenaler Charakter nicht nur Wahrnehmungen zugesprochen, sondern auch Empfindungen wie Schmerz, Gefühlen wie Trauer, aber auch geistigen Vorstellungsbildern. Gedanken und Wünsche zeichnen sich hingegen der Mehrheitsmeinung nach nur insofern durch solch einen Charakter aus, als dass uns beim bewussten Denken bestimmte Wortvorstellungen bewusst sein mögen. In diesem Sinn mag man sich bei einem bewussten Gedanken an eine rote Tomate akustische Wortvorstellungen der Worte »Tomate« oder »rot« haben, aber das Rot der Tomate ist einem dabei nicht in der Weise bewusst wie bei ihrer visuellen Wahrnehmung. Die Rede von einem phänomenalen Bewusstsein spielt genau auf diesen Umstand an. Phänomenales Bewusstsein ist daher von anderen Formen von Bewusstsein zu unterscheiden, z.B. Bewusstsein im Sinne von bloßer Wachheit und Ansprechbarkeit oder Bewusstsein von den eigenen mentalen Zuständen in dem Sinne, dass man gleichsam automatisch in der Lage ist, anzugeben, was man gerade denkt, wünscht oder glaubt. Manche Autoren haben mehr oder weniger deutlich bestritten, dass Wahrnehmung (oder auch Empfindungen wie Schmerz) tatsächlich einen phänomenalen Charakter besitzen. Aber auch diese Autoren geben zu, dass es aus der Warte des Commonsense so ist, als ob Wahrnehmungen einen phänomenalen Charakter besitzen (vgl. z.B. Dennett 1991). Hier wird im Folgenden vorausgesetzt werden, dass Wahrnehmungen einen phänomenalen Charakter besitzen (zur Kritik von Dennetts Auffassung vgl. Staudacher 2002, Kap. 5). Häufig wird die These, dass Wahrnehmungen einen phänomenalen Charakter besitzen, mit der These verknüpft, dass dies bestimmten intrinsischen Eigenschaften der Wahrnehmungszustände geschuldet ist (dies ist eine der geläufigen Bedeutungen des Ausdrucks »Qualia«). Was immer es für gute Gründe für diese These geben mag, es spricht wenig dafür, dass der Commonsense davon ausgeht, dass das Rot, welches uns phänomenal beim Anblick einer reifen Tomate erscheint bzw. welches und direkt präsent ist, 14 1. Einleitung Als nächstes wollen wir kurz den noch für klärungsbedürftig befundenen Begriff »unmittelbar« kommentieren. In der Philosophie der Wahrnehmung wird häufig und auf vielfältige Weise zwischen »unmittelbarer« und »mittelbarer«, oder, wie es auch häufig heißt, »direkter« und »indirekter« Wahrnehmung unterschieden. 4 Für den Moment können wir jedoch gut darauf verzichten, uns den unterschiedlichen Deutungen dieser Unterscheidung im Detail zu widmen. Fürs erste kommt es nur auf Folgendes an: Es gibt einen harmlosen Sinn, in dem wir manchmal Dinge wahrnehmen, indem wir etwas anderes wahrnehmen. So nimmt das bedauernswerte Opfer im Horrorfilm seinen Mörder mit gezücktem Messer in seinem Rücken wahr, indem es dessen schwarzen Schatten auf der Wand vor sich erblickt. Und wir sehen von unserer Wohnzimmercouch wie ein Spieler, der sich am anderen Ende der Welt befindet, den Ball ins Tor schießt, indem wir das Bild auf unserem Fernseher sehen. Oder um ein drittes Beispiel zu nennen, wir sehen unseren Körper, indem wir die uns spiegelnde Wasseroberfläche sehen. Gegeben, die Situationen verhalten sich so wie beschrieben, würden wir vom Schatten wie dem Fernsehbild oder der Wasseroberfläche ihrerseits nicht mehr sagen, dass wir sie nur sehen, indem wir wiederum etwas anderes sehen. 5 Insofern können wir sagen, dass wir diese Objekte direkt wahrnehmen, während wir das, was wir wahrnehmen, indem wir diese wahrnehmen (den Mörder, den Fußballspieler, unseren Körper), indirekt wahrnehmen. In all diesen Fällen haben wir es mit einer Situation zu tun, in der wir ein Objekt insofern indirekt oder mittelbar wahrnehmen, indem wir ein davon verschiedenes anderes Objekt unmittelbar oder direkt wahrnehmen. Diese Fälle stellen in der Wahrnehmung eher die Ausnahme als die Regel dar. Allgegenwärtig zumindest in der visuellen Wahrnehmung ist hingegen der Fall, dass wir einen Gegenstand wahrnehmen, indem wir einen seiner Teile wahrnehmen. So nehmen wir den Schreibtisch vor uns wahr, indem wir die Oberfläche seiner uns zugewandten eine Eigenschaft der Wahrnehmung und nicht der Tomate ist. Daher soll die Richtigkeit dieser These im Folgenden nicht vorausgesetzt werden, genauso wenig wie die These, dass der phänomenale Charakter ein unüberwindliches Hindernis für den Materialismus darstellt (zum letzten Punkt vgl. auch die Ausführungen unten, Abschnitt 1.6). Für den Moment geht es nur darum, was sich vom Standpunkt des Commonsense als plausibel erweist. 4 Vgl. u.a. Jackson 1977 Kap. 1 sowie Cornman 1975, 3ff., Gram 1983, 1–6, Armstrong 1976/80, Berkeley 1713/1962, 188f. 5 Auch wenn es sein mag, dass wir immer auch noch etwas anderes sehen müssen, um überhaupt irgendetwas sehen zu können. Wenn die Gestalttheorie Recht hat, dann beruht jede Wahrnehmung auf einer Figur-Grund-Unterscheidung, was beinhaltet, dass wir einen Gegenstand immer nur im Kontrast mit seinem Hintergrund wahrnehmen können und insofern auch diesen Hintergrund wahrnehmen müssen, um den Gegenstand wahrnehmen zu können. Das besagt aber nur, dass wir gegebenenfalls auch den Hintergrund wahrnehmen müssen, aber nicht, dass wir den Gegenstand nur insofern wahrnehmen, als wir stattdessen auch etwas anderes wahrnehmen. 1. Einleitung 15 Seite wahrnehmen. Auch hier nehmen wir den Gegenstand nur wahr, indem wir etwas anderes wahrnehmen und können entsprechend von direkter/unmittelbarer versus indirekter/mittelbarer Wahrnehmung sprechen. Wichtig zu sehen ist nun, dass diese Unterscheidung in einer epistemischen und in einer nicht-epistemischen Weise verstanden werden kann. Folgt man der epistemischen Lesart, dann beruht die indirekte Wahrnehmung darauf, dass auf Grund von Erfahrung, Lernprozessen und bestimmten Hintergrundinformationen von der Wahrnehmung des direkt wahrgenommenen Objekts auf die Gegenwart des Objektes der indirekten Wahrnehmung geschlossen wird. So könnte man geltend machen, dass das Opfer aus dem Horrorfilm nur auf Grund seines Hintergrundwissens über Schatten in der Lage ist, zu erschließen, dass sein Mörder hinter ihm steht und diesen nur in diesem Sinne überhaupt wahrnehmen kann. Wie insbesondere jene Beispiele deutlich machen, in denen eine Teil-Ganzes-Beziehung im Spiel ist (Schreibtischoberfläche versus Schreibtisch usw.) hängt die Plausibilität der Unterscheidung aber nicht daran, dass man sie in dieser Weise auffasst: Jemand kann offenbar einen Schreibtisch sehen, indem er seine ihm zugewandte Oberfläche sieht, ohne zu entsprechenden Schlussfolgerungen auch nur in der Lage zu sein. Dasselbe gilt sicherlich auch für den Fall, in dem man sich in einer spiegelnden Oberfläche sieht. Insofern kann man sagen, dass sich die Unterscheidung auch in einer nicht-epistemischen Weise treffen lässt. Wie später noch deutlich werden wird, kommt insbesondere diesem nicht-epistemischen Sinn der Unterscheidung eine zentrale Rolle für die plausible Formulierung ganz bestimmter Auffassungen zu. 6 Detaillierter soll der Unterscheidung zwischen direkter bzw. unmittelbarer und indirekter bzw. mittelbarer Wahrnehmung im zweiten Kapitel nachgegangen werden. Die These, dass uns Gegenstände in der Wahrnehmung in einer bestimmten Art und Weise erscheinen, die für den phänomenalen Charakter der Wahrnehmung verantwortlich sein soll, wurde oben unter Rekurs auf bestimmte Eigenschaften der wahrgenommenen Gegenstände erläutert, etwa das leuchtende Rot der reifen Tomate. In dieser Weise erscheinen uns in der visuellen Wahrnehmung natürlich nur die Eigenschaften der uns zugewandten Teile der Gegenstände; wir nehmen in dieser Weise weder die Farbe der Rückseite der Tomate wahr noch die ihres Fruchtfleisches. Kurz, nur was direkt wahrgenommen wird, erscheint uns in der Weise, die für den phänomenalen Charakter der Wahrnehmung relevant ist. Für das Folgende müssen wir erst einmal nur festhalten, dass man in den genannten Hinsichten von mittelbarer und unmittelbarer Wahrnehmung sprechen kann und dass natürlich damit immer noch nicht in Frage gestellt ist, dass es sich bei dem, was direkt wahrgenommen wird, um etwas Physisches, intersubjektiv 6 Für diese Form, die Unterscheidung zu explizieren, vgl. v.a. Jackson 1977, 15–20. 16 1. Einleitung Zugängliches handelt, wie etwa die uns zugewandten Teile entsprechender Gegenstände. 1.1 Das Problem der Wahrnehmung und die Sinnesdatenthese Sollten wir die oben angedeutete Commonsense-Antwort auf die Frage nach den unmittelbaren Gegenständen der Wahrnehmung ohne weiteres als korrekt verbuchen können, dann ist nicht ersichtlich, inwiefern überhaupt ein diskussionswürdiges Problem der Wahrnehmung bestehen soll. Dass sich die Dinge jedoch nicht ganz so einfach verhalten, lässt sich deutlich machen, wenn man die ebenfalls vom Commonsense getragene Annahme akzeptiert, dass physische Gegenstände keinesfalls immer so erscheinen, wie sie de facto beschaffen sind und dass uns sogar manchmal solche Gegenstände erscheinen, ohne dass überhaupt ein entsprechender Gegenstand in der fraglichen Situation wie auch in der geeigneten Blickrichtung vorhanden ist. Für den ersten Typ von Fällen kann man z. B. darauf verweisen, dass ein ins Wasser getauchtes gerades Ruder geknickt aussieht, Gegenstände, die in Wahrheit rund sind, aus manchen Perspektiven elliptisch aussehen, bewaldete Berge am Horizont nicht grün, sondern eher blau aussehen usw. Für den zweiten Typ von Fällen kann man an die sprichwörtlichen weißen Mäuse denken, die dem delirierenden Trinker erscheinen können, oder an Macbeth, dem in der ersten Szene des zweiten Akts des gleichnamigen Stücks ein Dolch im leeren Raum vor seinen Augen erscheint. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir in diesen Fällen entweder keine Objekte unserer Umwelt wahrnehmen, bzw. diese zumindest nicht so wahrnehmen, wie sie de facto beschaffen sind, lässt sich mit Hilfe einer Reihe von weiteren Prämissen die Schlussfolgerung erzielen, dass die unmittelbaren Objekte der Wahrnehmung niemals, also auch nicht in den Fällen, die wir als veridische Wahrnehmungen einstufen, die uns zugewandten Seiten betrachterunabhängiger physischer Gegenstände sein können. Vielmehr sollen diese eine besondere Art von betrachterabhängigen Objekten sein, die so genannten Sinnesdaten, die in vieler Hinsicht als die Erben der Vorstellungen und Eindrücke der Erkenntnistheorie des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts angesehen werden können. Die These, dass es sich bei den unmittelbaren Gegenständen der Wahrnehmung um Sinnesdaten handelt, wollen wir hier als die Sinnesdatenthese bezeichnen. Wie gleich deutlich werden wird, lässt sich die Sinnesdatenthese mit recht unterschiedlichen weiteren theoretischen Implikationen verknüpfen. Was jedoch die meisten Sinnesdatentheorien jenseits dieser Unterschiede eint, ist die sogenannte Akt-Objekt-Konzeption der Wahrnehmung. Folgt man dieser Konzeption, dann lassen sich an einem Wahrnehmungszustand zwei Komponenten unterscheiden,