Ute Lorenzen

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Ute Drewsen-Lorenzen
Opfer- und Täterhilfe
Schulsozialarbeit Gymnasium Insel Föhr
Fon Sekretariat Schule: 04681/4440
« Stand - up Training »®
Ein Konzept sozialer Gruppenarbeit
für Kinder und Jugendliche, die
wiederholt Opfer
von Gewalttaten ihrer Mitschüler werden
Ute Drewsen-Lorenzen, 2009
Das „Stand- up Training“®
Ein Konzept sozialer Gruppenarbeit mit Opfern
Zielgruppe:
Die Teilnehmer dieses Gruppenangebots sind entweder männliche oder weibliche Jugendliche, die im
Kontext Schule wiederholt Opfer von Gewalttaten ihrer Mitschüler wurden oder nach wie vor werden.
Diese Gruppe wird nach der Homogenität der Anmeldungen zusammengesetzt, daraus kann sich eine
gemischte Jungen und Mädchengruppe ergeben.
Angesprochen sind jene Schüler, die ihren Lehrern oder in anderen Institutionen aufgefallen sind, weil
sie auffällig häufig gehänselt, bedroht, beraubt, erpresst oder geschlagen werden, auffällig
zurückgezogen, einsam und depressiv wirken. Die Teilnahme ist freiwillig.
Zusammensetzung:
6-10 Jungen und/oder Mädchen von 12- 16 Jahren (die Alterseingrenzung kann im Einzelfall je nach
kognitivem Entwicklungsgrad nach unten oder oben variiert werden)
Leitung:
Dipl.Soz.päd. Ute Drewsen- Lorenzen, evtl. eine Praktikantin
Zeitlicher Rahmen:
Ein wöchentliches Treffen von ca. 2 Stunden, über die Dauer eines Schulhalbjahres (insgesamt ca.24
Sitzungen). Während des Kursverlaufs werden im Rahmen der Trainingszeit gelegentlich evtl. auch
gemeinsame Unternehmungen durchgeführt. Das Angebot könnte als geschlossener Kurs im Rahmen
der „Offenen Ganztagsschule“ angeboten werden, sodass die TeilnehmerInnen ebenfalls am
Mittagessen und der Hausaufgabenbetreuung am betreffenden Tag teilnehmen könnten.
Ausschlusskriterien:
Jugendliche, bei denen primäre Suchtproblematiken, und/oder psychiatrische Indikatoren vorliegen.
Kosten:
Das Training inklusive der flankierenden Maßnahmen wird in Kooperation der Schulsozialarbeit des
Schulzentrums und des Vereins „1000 Stunden“ angeboten. Die Trainingsgebühr wird vom Verein
„1000 Stunden“, Förderprojekte für Föhr und Amrum, übernommen. Es entstehen somit keinerlei
Kosten für die TeilnehmerInnen. Wer jedoch gern etwas spenden möchte, kann dies über den Kontakt
www.1000stunden.de tun.
Arbeitsform:
Die „Soziale Gruppenarbeit“ im Sinne der Methoden Sozialer Arbeit (vgl. Schmidt-Grunert 1997)
bietet die Möglichkeit, Interaktionserfahrungen mit Gleichaltrigen zu machen, Opfererfahrungen zu
teilen, nicht isoliertes einziges Opfer zu sein, Verständnis für selbst Erlebtes zu haben und zu
bekommen. Die Lernerfahrung der Rollenfindung im Prozess der Gruppenphasen (vgl. SchmidtGrunert 1997) auch in dieser speziellen Gruppe kann zur eigenen Reflexion genutzt werden, denn auch
hier wird es wie in jeder Gruppe „Machtkämpfe“ und Rollenzuschreibungen geben.
Es wird in der „Stand- up“ - Gruppe zu ähnlichen Rollenfindungsprozessen kommen, wie auch in der
Klassengemeinschaft, nur dass das Gruppenziel und die Inhalte andere sind als in der herkömmlichen
Schulklasse und die Zusammensetzung eine andere ist. Die Integrationsphase stellt einen wichtigen
Bestandteil im gemeinsamen Lernprozess dar, hier können die Teilnehmer erstmalig eine positive
Integrationserfahrung unter Gleichaltrigen machen. Gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt
können in dieser, gemessen an der Klassendurchschnittgröße, kleinen Gruppe erfahren werden.
Trotz der Persönlichkeitsunterschiede haben alle Schüler eine Gemeinsamkeit: Sie wurden und werden
häufig Opfer von Gewalttaten ihrer Mitschüler.
In der Altersgruppe der Jugendlichen hat die Meinung Gleichaltriger einen besonders hohen
Stellenwert und kann in der Motivationsphase sinnvoll genutzt werden („Peer-group education“).
Die „Peers“ haben eine äußerst wichtige sozialisatorische Funktion auf dem Weg ins
Erwachsenenleben und stellen eine bedeutende Ressource dar, die besonders die Teilnehmer dieser
Gruppe gerade nicht erleben konnten oder können, da sie meist keinen Freund oder keine Freunde
haben. Es werden interaktionspädagogische Übungen und Spiele sowie Rollenspiele und
erlebnispädagogische Elemente als Arbeitsformen verwendet, die der Reflexion und Erweiterung des
eigenen Verhaltens und des Verhaltenspotentials dienen und das Selbstwertgefühl stärken sollen. Das
Training soll insgesamt Spaß machen, bei gemeinsamen Unternehmungen sollen Außenkontakte
stattfinden, die positive Interaktionserfahrungen ermöglichen.
Struktur und Prozess des „Stand- up Trainings“:
Der Trainingsverlauf teilt sich in vier Sequenzen, der zeitliche Rahmen eines halben Jahres dient der
längerfristigen Unterstützung und Begleitung der Opfer.
A. Integrationsphase:
Diese erste Arbeitsphase ist geprägt durch das gegenseitige Kennen lernen der TeilnehmerInnen und
TrainerInnen und dient vorrangig dem Vertrauensaufbau zwischen allen Beteiligten.
Anfänglich werden mit der Gruppe gemeinsame verbindliche Regeln erarbeitet, wie z.B. gegenseitiges
Ausreden lassen, Respekt, kein Auslachen und Ähnliches. Eine weitere Regel soll das gegenseitige
Anschauen, also der Blickkontakt beim Reden sein. In allen Sitzungen wird kontinuierlich daran
gearbeitet, das direkte Anschauen des Interaktionspartners, bzw. der anderen Gruppenteilnehmer
einzuüben, bis es zu einer selbstverständlichen Gewohnheit geworden ist. Die Thematisierung der
Opfererfahrungen steht in dieser Phase im Vordergrund, die Motivation zur Teilnahme thematisiert.
Zu Beginn jeder Sitzung bekommt jede Teilnehmerin/jeder Teilnehmer die Gelegenheit, über die seit
dem letzten Training vergangene Woche zu berichten. Es können positive sowie negative Erlebnisse
oder persönlich wichtige Ereignisse erzählt werden. Diese Wochenrückschau ist ein verlässliches,
kontinuierliches Ritual, das über die Dauer des gesamten Trainingsverlaufs beibehalten wird. Sie
bietet die konstante Möglichkeit des sich Mitteilens und des Zuhörens. Jede Teilnehmerin/jeder
Teilnehmer bekommt am Ende des Trainings eine „Ich“- Mappe, in der die ganz persönlich
gewonnenen Erkenntnisse und das „Feed-back“ der anderen Teilnehmer sowie der TrainerInnen
zusammengefasst sind.
Von Woche zu Woche werden von den TrainerInnen persönliche Ziele notiert, die in der Folgewoche
als erreicht oder noch nicht erreicht, bzw. nicht durchführbar thematisiert werden. Hier steht nicht der
Erfolg oder Misserfolg im Focus, sondern die Selbstwirksamkeit der TeilnehmerInnen. Mögliche
Verhaltensmodifikationen können besprochen werden, die Kinder und Jugendlichen lernen zu
beobachten, dass ihr eigenes Verhalten Reaktionen ihrer Interaktionspartner hervorruft.
Ebenfalls lernen sie, ihr eigenes Verhalten zu beobachten und in der Gruppe zu reflektieren.
Sie erlernen parallel dazu, ihre Aufmerksamkeit auf ihre Selbstwirksamkeit zu entwickeln, die ihnen
langfristig die Kontrolle sozialer Interaktionen ermöglicht. Im Rahmen eines sozialen Trainings
werden in dieser Phase unterschiedliche Einstellungen zu verschiedensten Themen diskutiert.
Vorrangig werden Themen gewählt, die im weitesten Sinne mit menschlichen Eigenschaften und
deren Einschätzung zu tun haben, mit Vorurteilen und wie diese entstehen. Das Thema Körpersprache
wird umfangreich besprochen. Jede Teilnehmerin/jeder Teilnehmer bekommt in dieser Phase die
Möglichkeit, sich in Form eines kurzen Referats der Gruppe vorzustellen. Die Länge dieser Phase (ca.
8 Sitzungen) richtet sich nach dem Stand des gegenseitigen Vertrauens. Ist ausreichendes Vertrauen in
der Gruppe vorhanden, kann zur Motivationsphase übergegangen werden.
B. Motivationsphase oder „Stand-up“ -Phase:
Auf Grundlage der Persönlichkeitseinschätzungen der Jungen/Mädchen untereinander (Selbst- und
Fremdwahrnehmung) und der fachlichen Einschätzung der TrainerInnen wird das eigene Verhalten
reflektiert. Jedes Gruppenmitglied wird in dieser Phase zum Mittelpunkt eines Treffens, jede
Teilnehmerin/jeder Teilnehmer wird in ihrer/seiner persönlichen „Stand- up“ Sitzung Thema einer
Sitzung. Ganz entscheidend ist hier, dass das thematisierte Verhalten klar von jeder Form der
Schuldzuweisung oder Mitschuld der Viktimisierung getrennt wird und ihren Schweregrad
berücksichtigt. Vielmehr sollen Persönlichkeitsfaktoren herausgearbeitet werden, die möglicherweise
die Viktimisierung beeinflusst oder begünstigt haben könnten. Die eigenen bewussten oder
unbewussten passiven Verhaltensweisen, Unsicherheiten und ihre Ängste werden besprochen. Hier
wird auch der Sozialisationshintergrund thematisiert. Die Konzentration auf die einzelne Person soll
gleichermaßen besonderes Interesse an ihr ausdrücken und eine Klärung der Gesamtsituation über den
schulischen Kontext hinaus bewirken. Stärken und Schwächen, der individuelle „Stand“ der
Grundeigenschaften interaktionistischen Rollenhandelns wie Rollendistanz, Frustrationstoleranz und
Ambiguitätstoleranz (Habermas 1968, 1973) werden hier thematisiert. Kinder und Jugendliche, die
mehrmals Opfer werden, spüren selbst ihr „Anderssein“ im Vergleich mit anderen, wissen häufig nur
nicht, worin genau dieses „Anderssein“ besteht und haben in dieser Phase die Gelegenheit, es durch
die anderen im vertrauten Gruppen- „Setting“ zu erfahren.
C. Kompetenzphase:
In dieser Phase können die gewonnenen Erkenntnisse ausprobiert werden, bzw. Möglichkeiten der
Neueinschätzung der eigenen Person werden besprochen. Es werden Verhaltensalternativen
vorgestellt, erarbeitet und erprobt und die erlebnispädagogischen Elemente angewandt. Die
TeilnehmerInnen können mit anderen sozialen Rollen „spielen“ durch z.B. fotopädagogische Anteile
oder ein „Video-Casting“. Sie erlernen oder erweitern ihre verbalen und non- verbalen Fähigkeiten.
Die Kinder und Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, durch den Einsatz von Körpersprache, eigene
„Instrumente“ zur Beeinflussung ihrer Interaktionspartner „in der Hand“ zu haben. Das direkte
Anschauen der Gesprächspartner ist an dieser Stelle, in der Kompetenzphase, wahrscheinlich bereits
schon zur Gewohnheit geworden, sodass es als ein körpersprachliches Instrument genutzt werden
kann. In dieser Phase wird Ressourcen- orientiert gearbeitet mit dem Schwerpunkt der
Selbstwertstärkung. Hier soll, wenn noch möglich, eine tertiäre Viktimisierung verhindert werden oder
eine vorhandene tertiäre Viktimisierung(die komplette Übernahme der Opferrolle ins Selbstbild)
verlernt werden, der verlorene „Spaß am Leben“ geweckt werden und neue Möglichkeiten der
Persönlichkeitsentfaltung geprobt werden. Die in der Motivationsphase erarbeiteten persönlichen
Stärken jedes einzelnen sollen positiv verstärkt werden. Sozial unsicheres Verhalten wird fortlaufend
angesprochen und durch Angebote von Verhaltensalternativen thematisiert und z.B. im Rollenspiel
eingeübt. Insgesamt werden kleinste positive Entwicklungsschritte der Probanden während des
gesamten Trainingsverlaufs genau beobachtet und von den TrainerInnen protokolliert. Es erfolgt bei
jedem noch so kleinen Entwicklungsschritt eine positive Rückmeldung in Form von Lob an die
Teilnehmerin/den Teilnehmer. So bekommen diese den Eindruck, ganz persönlich angesprochen zu
werden. Ihnen wird Interesse entgegengebracht und die Anstrengung des „Sich- Änderns“ wird
bemerkt und positiv verstärkt.
Diese Rückmeldungen der TrainerInnen fördern die Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit und
unterstützen das Selbstvertrauen der Kinder und Jugendlichen.
Es sollen über das Verhaltenstraining hinaus auch nützliche Informationen vermittelt werden. Zu
speziellen Themen werden unter Umständen externe Referenten eingeladen, wie z.B.
Präventionsbeamte der Polizei, die über die Rolle als Opfer im Jugendstrafverfahren und über
mögliches Anzeigeverhalten informieren können. Je nach Interessenlage in der Gruppe können weitere
Angebote gemacht werden.
D. Nachbetreuungsphase:
Nach jeder Sitzung kann, falls nötig, eine Nachbetreuung stattfinden.
Ein halbes Jahr nach Beendigung des Trainings findet ein Treffen statt, bei dem nachgefragt werden
kann, ob und wie sich die Situation der Probanden verändert hat. Der Kontakt zu den TrainerInnen
kann im Einzelfall während des Trainingsverlaufs als „Notrufnummer“ in akuten Krisen genutzt
werden.
Darüber hinaus können die Teilnehmer, sofern sie sich angefreundet haben, in Kontakt bleiben, evtl.
gemeinsame Schulwege planen oder gemeinsame Freizeitaktivitäten unternehmen.
Ziel:
Dieses Gruppenangebot möchte im Sinne der Primärprävention keine Opfer zu Tätern werden
lassen. Diese Opfer leiden u.U. still und fallen im Schulalltag nicht auf, weil sie nicht den Unterricht
stören, sie können aber auch in sehr seltenen Fällen zu „Rächern“ an ihren Lehrern oder Mitschülern
werden, weil sie irgendwann an einen unerträglichen Punkt des Leidens kommen. Sie werden
möglicherweise zu Schulversagern, weil sie niemand hört und wahrnimmt, haben im System Schule
keinen Zuhörer und evtl. daraus resultierend keine guten Zukunftschancen in Bezug auf soziale
Beziehungen oder berufliche Perspektiven.
Sie können Lehrer „nerven“ oder provozieren, weil sie ständig ihre Aufmerksamkeit beanspruchen
ohne die Aussicht auf eine langfristig gelungene Konfliktlösung. Das „Stand- up - Training“ möchte
als eine Form der sozialen Gruppenarbeit eine über das System Schule hinausgehende Ergänzung zur
Einzelfallhilfe darstellen und sekundäre Viktimisierung (Reaktionen des sozialen Umfelds auf das
Opfer und dessen Viktimisierung) thematisieren, sowie möglichst eine tertiäre(Übernahme der
Opferrolle in das Selbstbild) verhindern. Falls eine tertiäre Viktimisierung bereits evident ist, soll
diese wieder „verlernt“ werden durch Trainingselemente, die den Zustand erlernter Hilflosigkeit durch
schrittweise Wiedererlangung der Kontrolle ersetzen. In Kooperation mit den Eltern und den
Lehrern möchte das Angebot des „Stand- up- Trainings“ im Rahmen der Methode der „Sozialen
Gruppenarbeit“ als ein langfristiges und effektives Angebot in der Opferbetreuung die Einzelfallhilfe
ergänzen und zur Entlastung dieser beiden wichtigen Sozialisationskomponenten beitragen.
Trainings- begleitend werden Austauschgespräche mit Eltern und Lehrkräften angeboten, um einen
Transfer des in der Gruppe Gelernten in die Bereiche Familie und Schule zu unterstützen. Im
kognitionspsychologischen Sinne nach Piaget durchlebt jeder Mensch bestimmte
Entwicklungsstufen (vgl. Tillmann 1989). Das Jugendalter (nach Piaget beginnt die 4. und
letzte Stufe, die des „formalen Operierens“, ca. mit 11 Jahren) als Übergangsphase zum
Erwachsenenleben stellt ganz entscheidende und folgenschwere „Weichen“ für das zukünftige
Leben. Piaget beschreibt den Wechsel von der einen zur nächst höheren Stufe als einen
Zustand gestörten Gleichgewichts, der durch ein neu erworbenes ersetzt werden muss und der
gleichermaßen ein besseres Verständnis der Realität ermöglicht. Er nennt diesen Prozess
„Äquiliberation“ (vgl. Tillmann 1989). Das „Stand- up - Training“ möchte in genau dieser
Entwicklungsphase die „Weichen“ in Richtung eines Gleichgewichts stellen, das einer
gelungenen Interaktion der inneren und äußeren Realität entspricht und den Weg einer
weiteren „Opferkarriere“ verhindern. Die Form der Gruppe bietet gerade im Jugendalter
den idealen Rahmen, interaktionistisches Rollenhandeln zu erlernen, da die Meinung der
„peers“ einen hohen Stellenwert hat und zur Selbsteinschätzung genutzt werden kann. Es
möchte den Probanden helfen, ein eigenes „Standing“ zu entwickeln, aufzustehen und
sich selbst zu behaupten inmitten der Gruppe von Gleichaltrigen und anderen
Interaktionspartnern.
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