Über den Verhältnissen

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http://www.egon-w-kreutzer.de/0Pad2010/21.html
Kommentare zum Zeitgeschehen
von Egon W. Kreutzer
Paukenschlag am Donnerstag No. 21 /2010 vom 27. Mai 2010
Über den Verhältnissen
Vorsicht, schwer verdauliche Kost
Die derzeit allgemein übliche Rhetorik in Bezug auf Schulden besagt:
•
Schulden sind der Beweis dafür, dass jemand, mehr oder weniger lang, über
seine Verhältnisse gelebt hat, und,
•
die Ursache der aktuellen Eskalationsstufe der Weltwirtschaftskrise, genannt
"Euro Krise" ist durch dieses "Leben über den Verhältnissen" ausgelöst worden und kann folglich nur durch striktes Sparen überwunden werden.
Das mag in wenigen Einzelfällen zutreffen. Die von unseren führenden Politikern zur
Richtschnur ihres Handelns erhobene fahrlässige Verallgemeinerung ist jedoch in
jeder Hinsicht unzulässig und schreit förmlich nach einer Gegendarstellung.
Ergebnis-Zusammenfassung - Summary
Schulden von Staaten, Unternehmen der Realwirtschaft und privaten Haushalten
sind zwingend erforderlich, um den Austausch von Waren und Leistungen in einer
hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaft überhaupt zu ermöglichen.
Es gäbe sonst kein Geld.
(Außer man organisiert das Geldsystem ganz anders)
Die Tatsache, dass Schulden nach vollbrachter Transaktion nicht mehr (vollständig)
getilgt werden können, infolgedessen dem Zinseszinseffekt unterliegen und zwangsläufig immer weiter wachsen, ist nicht auf ein "Leben über den Verhältnissen" zurückzuführen.
Daher muss auch der Versuch scheitern, Schulden durch strenges Sparen, also
durch ein vermeintlich kompensierendes "Leben unter den Verhältnissen" zu reduzieren.
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Die vollständige Tilgung der Schulden wird doch nicht verhindert, weil der Wille zur
Tilgung und zur dafür erforderlichen Leistungserbringung fehlte, sie wird einzig und
allein dadurch verhindert, dass nicht leistungsadäquate Einkünfte aus der Realwirtschaft in die Finanzsphäre abfließen, dort als Forderungen der Netto-Gläubiger an
Staat, Wirtschaft und private Haushalte (ohne nennenswertes Vermögen) dauerhaft
gehalten werden und damit zur Tilgung nicht mehr zur Verfügung stehen.
Für die aktuelle Situation gilt:
Entschuldung - und damit die Überwindung der Krise - ist ohne Forderungsverzicht nicht möglich.
Nachhaltige Entschuldung erfordert den vollständigen Verzicht auf nicht leistungsadäquate Einkünfte.
Wo die Bereitschaft zum Forderungsverzicht fehlt, wird früher oder später die Inflation für den Ausgleich sorgen. Je später, umso schmerzlicher.
Wo die Bereitschaft zum vollständigen Verzicht auf nicht leistungsadäquate Einkünfte
fehlt, wird es früher oder später zu gewaltsamen Verteilungskämpfen kommen. Je
später, umso härter.
Je früher die Einsicht in diese Zusammenhänge zu nachhaltigen Veränderungen
führt, desto eher werden wir das Zusammenleben einer reifen Gesellschaft in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit organisieren können.
Die Faktenlage
Statt der von sog. Experten vorsätzlich ausgelegten falschen Fährte nachzugehen
und Schulden aus jenem moralisierenden Blickwinkel zu betrachten, der dem
Schuldner stets Verschwendung und Versagen, dem Gläubiger - Wucherer ausgenommen - stets Sparsamkeit und altruistisch-gütige Motive unterstellt, gilt es, sich
einen möglichst vollständigen Überblick über die relevanten Fakten zu verschaffen
und dann ein eigenes Urteil zu bilden.
Das ist einfacher und weniger aufwändig als es zunächst aussieht, denn unter dem
Aspekt der Relevanz lässt sich die Vielzahl der Fakten durch sinnvolle Klassifizierung
nach wenigen bestimmenden Merkmale so stark reduzieren, dass der undurchdringlich erscheinende Wald sich lichtet.
Die Rollenverteilung
Schuldner : Gläubiger
Die erste, wichtigste und zugleich schwierigste Klassifizierung ist die Einteilung der
Wirtschaftssubjekte in Schuldner und Gläubiger. Wichtig ist diese Klassifizierung, um
aufzuzeigen, dass Schuldner und Gläubiger einander bedingen, dass kein Gläubiger
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sein kann, wo es keinen Schuldner gibt und dass kein Schuldner sein kann, wo es
keinen Gläubiger gibt.
Besonders schwierig ist diese Klassifizierung, weil sie nicht vorgenommen werden
kann, ohne das Wesen des Geldes wenigstens ein Stück weit verstanden zu haben:
Erst wenn verstanden ist, dass der Besitz von Geld nicht einfach der Besitz
von Geld ist, so wie der Besitz eines Hutes einfach der Besitz eines Hutes, der
Besitz eines Goldbarrens einfach der Besitz eines Goldbarrens ist, sondern
dass, wer Geld besitzt, zugleich auch Gläubiger ist, kann die Legende von den
bösen Schuldnern und den guten Gläubigern als Lügenmärchen entlarvt werden.
Jeder Geldschein ist ein Schuldschein. Der Schuldschein eines anonymen Schuldners, der immer weitergegeben wird, einfacher und leichter zwar, doch im Grunde
nicht anders wie ein Wechsel. Jeder, der diesen Schuldschein annimmt, tut das im
Vertrauen darauf, dass der Schuldner, der für diesen Schuldschein haftet, ihn letztlich auch einlösen wird.
Das zu begreifen, ist schwierig.
Es wird etwas leichter, wenn man sich einmal in aller kindlichen Naivität vergegenwärtigt, dass der Geldschein selbst ja kaum einen Wert hat. Es handelt sich im Grunde um Altpapier. Warum also nehmen wir Altpapier als Lohn für unsere Arbeit? Warum nehmen die Supermärkte Altpapier an und geben uns alles dafür, was wir zum
Leben brauchen? Warum geben die Banken Altpapier heraus, wenn jemand einen
Kredit aufnimmt, warum nimmt der Autohändler dieses Altpapier entgegen und gibt
dafür einen Neuwagen heraus, und warum gibt die Bank, deren Altpapier doch
schließlich den Kauf eines wunderbaren Neuwagens ermöglicht hat, sich bei der Tilgung wieder nur mit Altpapier zufrieden?
Warum vertrauen wir alle miteinander darauf, dass dieses Geld, ob nun in Form von
Banknoten und Münzen - oder in Form von Guthaben auf Girokonten - mehr Wert
hat, als den Papierwert?
Doch nur, weil wir glauben, mit diesem Papier etwas anderes, mehr als nur Papier in
der Hand zu halten, nämlich einen Anspruch auf Waren und Leistungen, so etwas
wie einen Schuldschein, der irgendwie auf dem Weg zurück zum Schuldner ist, der
ihn letztlich einlösen wird - nicht mit Geld, sondern mit einer Leistung, die dem Geldwert entspricht.
Ja, es ist immer noch schwierig.
Denn noch narrt uns der mit großem Geschick inszenierte Anschein, der Geldschein
müsse bereits existent gewesen sein, bevor die Schuld da war, weil man ihn schließlich sonst nicht hätte verleihen können.
•
•
•
Wer Geld verleiht, so scheint es uns, muss es doch zuvor haben.
Wer sich Geld leiht, muss doch auch wieder Geld zurückgeben.
Der Schuldschein, der für das Geldleihen unterschrieben wird, liegt doch bis
zur Tilgung beim Geldverleiher im Safe - und wird zerrissen, wenn das Geld
zurückgebracht wird. Wie soll das Geld also selbst der Schuldschein sein?
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Da müssen wir nun unerschrocken zurückgehen, bis an den Anfang, dahin, wo
der Geldschein herkommt, bevor er zum ersten Mal benutzt werden kann.
Geldscheine werden von Spezialdruckereien im Auftrag der Zentralbanken, auch Notenbanken genannt, produziert. Diese Spezialdruckereien verkaufen die Million Euro
in 20.000 Fünfzig-Euro-Scheinen an die Zentralbank für einen Betrag, der irgendwo
zwischen 2.000 und 4.000 Euro liegen dürfte. Das ist der Neuwert des bedruckten
Altpapiers, samt aller eingebauten und aufgedruckten Sicherheitsmerkmale.
Und wie kommt das neuwertige Altpapier dann als Geld in Umlauf?
Nun, Banknoten kommen in Umlauf, wenn eine Bank sich Banknoten bei der Zentralbank kauft, indem sie dafür Giralgeld überweist, oder wenn sie sich Banknoten
leiht, indem sie dafür Sicherheiten zur Verfügung stellt. Warum zahlt nun aber eine
Geschäftsbank den horrenden Betrag von 1 Million Euro an die Zentralbank für fast
neuwertiges Altpapier, das eigentlich nur einen winzigen Bruchteil dessen wert ist?
Ganz einfach: Weil die Kunden der Bank ihrer Bank ebenfalls eine Million dafür bezahlen, wenn sie genau dieses Altpapier kaufen (indem sie den Betrag von ihrem
Guthaben abbuchen lassen) oder leihen (indem sie sich den Betrag als Schuld auf
dem Girokonto eintragen lassen).
Es ist also die Schnittstelle zwischen Zentralbank und Geschäftsbank, an der
aus Altpapier Geld wird.
Der Weg funktioniert aber auch rückwärts. Bringen Bankkunden Banknoten zur Bank,
wird ihnen Giralgeld dafür gutgeschrieben. Hat die Bank einen Überschuss an Banknoten im Safe, gibt sie diese an die Zentralbank zurück und es wird ihr Giralgeld dafür gutgeschrieben. Liegen die Banknoten wieder im Keller der Zentralbank, handelt
es sich wieder um Altpapier. Es ist - wegen der Gebrauchsspuren - ein bisschen weniger wert als es direkt nach der Auslieferung von der Druckerei wert war. Irgendwann ist es abgenutzt und dann so wenig wert, dass es ohne Bedenken in großen
Öfen zu Asche verbrannt wird. Dann bestellt die Zentralbank neue Banknoten bei der
Druckerei. Banknoten sind nur Geld, solange sie außerhalb der Zentralbank umlaufen. Banknoten kommen in Umlauf, indem sie mit Giralgeld gekauft oder gegen Sicherheiten verliehen werden.
Wie aber kommt man zu Giralgeld?
Das ist die härteste Hürde für jeden, der das Wesen des Geldes verstehen will, doch
erst wenn die genommen ist, wird es möglich, die Einteilung der Wirtschaftssubjekte
in Gläubiger und Schuldner zweifelsfrei vorzunehmen.
1. Zu Giralgeld kommt man, indem man Bargeld auf ein Girokonto einzahlt.
Das ist richtig. Da es aber vorher Giralgeld brauchte, um Bargeld zu erhalten, handelt
es sich bei der Einzahlung von Bargeld auf ein Girokonto nur um einen Rücktausch.
Die Herkunft des ursprünglichen Giralgeldguthabens ist damit nicht geklärt.
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2. Zu Giralgeld kommt man, indem man sich Giralgeld auf ein Girokonto überweisen
lässt.
Das ist richtig. Aber um Giralgeld überweisen zu können, muss der Überweisende
schon darüber verfügen können. Hier wird Giralgeld nur weitergegeben, sein Ursprung ist weiterhin unklar.
3. Zu Giralgeld kommt man, indem man Sparkonten auflöst.
Das ist richtig. Aber um ein Sparkonto auflösen zu können, muss es vorher gefüllt
worden sein. Dazu waren Überweisungen von Giralgeld oder Einzahlungen von Bargeld erforderlich. Wo aber ist das Giralgeld hergekommen, mit dem das Bargeld gekauft wurde, das auf das Sparkonto eingezahlt wurde, wo ist das Giralgeld hergekommen, das auf das Sparkonto überwiesen wurde?
Alle bisher betrachteten Wege, zu Bargeld zu kommen, setzen die Existenz von Giralgeld voraus, und alle Wege, zu Giralgeld zu kommen, setzen die Existenz von
Bargeld bzw. Giralgeld voraus.
Bleibt die Frage: Wie entsteht Giralgeld, und warum wird es immer mehr?
Die Geldmengen wachsen, das sagen uns alle Statistiken übereinstimmend, und
dass das gar nicht anders sein kann, lässt sich schon daran erkennen, dass Löhne
und Gehälter und Preise über lange Jahre ganz massiv gestiegen sind und dass
trotzdem immer genügend Geld da war, um alles zu bezahlen. Man nennt das Inflation - "Aufblähung" - und gemeint ist damit, dass immer ein bisschen mehr Geld auf
den Markt gekommen ist, als Waren und Leistungen.
Der Entstehungsprozess von Giralgeld ähnelt stark dem Prozess, bei dem aus bedrucktem Papier Geld wird. Die Möglichkeiten, sich Giralgeld gegen Giralgeld oder
Banknoten zu kaufen, haben wir schon durchgenommen.
Doch auch Giralgeld kann man - gegen Sicherheiten - leihen. Häuser, Grundstücke
oder Autos, die Abtretung künftiger Lohn und Gehaltsansprüche, die Abtretung von
Ansprüchen gegen Kunden (Rechnungsabtretung, Zession), oder die Benennung
eines Bürgen, ermöglichen die Schaffung von Giralgeld aus einem Kreditvertrag.
Der "innere Wert" des Giralgeldes wird dabei alleine durch das Rückzahlungsversprechen des Schuldners und durch die bereitgestellten Sicherheiten repräsentiert.
Die Banken geben das Giralgeld heraus, indem sie den Girokonten ihrer Kunden einen entsprechenden Betrag gutschreiben und gleichzeitig eine Forderung in den
Kreditkonten ihrer Kunden eintragen.
Die Tätigkeit der Auffüllung des Girokontos durch die Geschäftsbank entspricht dabei der Tätigkeit der Spezialdruckerei bei der Produktion von Banknoten. Mit minimalem Aufwand erfolgt eine Gutschrift auf dem Girokonto. Zugleich
wird auf dem Kreditkonto des Kunden - ebenfalls mit minimalem Aufwand - festgehalten, dass die Bank eine entsprechende Forderung gegen ihren Kunden in der Hand
hält. Dass er also das soeben erhaltene Guthaben zurückgeben muss, will er wieder
schuldenfrei sein.
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Solange der Kunde nicht über dieses Guthaben verfügt (und solange keine Zinsen
fällig werden) hat der Kunde (aus dieser Kreditnahme) genau so viel Guthaben wie
Schulden.
Er ist - in dieser Situation - weder Schuldner noch Gläubiger, weil sich die Positionen
ausgleichen.
Fakt ist - und jetzt wird es ganz schwierig dass die Bank ihrem Kunden - mit der Gutschrift auf seinem Girokonto - im Grunde
nur den eigenen Schuldschein beglaubigt und ihm ermöglicht, diesen Schuldschein
in beliebiger Stückelung und Aufteilung anonymisiert weiterzugeben. Die Rolle der
Bank gleicht dabei nicht der Rolle des Geldverleihers sondern eher der Rolle eines
Notars, der den Vorgang nicht nur beglaubigt und treuhänderisch begleitet, sondern
letztlich auch mit dafür haftet, dass der Schuldschein vertragsgemäß eingelöst wird.
Wenn der Schuldner über das aus dem Kredit frisch gewonnene Guthaben auf
seinem Girokonto verfügt, gibt er im Grunde nur den eigenen Schuldschein
weiter, für dessen "Qualität" sich die Bank verbürgt.
Egal, wie oft das Guthaben überwiesen, in Bargeld umgewandelt, wieder eingezahlt,
erneut überwiesen oder auf ein Sparkonto übertragen und von dort wieder abgehoben wird, stets repräsentiert dieses Guthaben nur die ursprüngliche Schuld. Stets
bleibt das Guthaben eine Forderung an den ursprünglichen Schuldner, eine Forderung, die mit jeder Weitergabe des Geldes neu an einen neuen Besitzer abgetreten
wird.
Wer Geld besitzt,
besitzt also "Schuldscheine"
und ist somit Gläubiger.
Immer und in jedem Fall.
Abrundende Erläuterung:
Die Chance des Schuldners, seine Schuld zu tilgen, besteht einzig darin, sich - durch
Leistung oder Glücksspiel, Betrug, Diebstahl, Erpressung, Erbschaft, Spekulation,
Fundunterschlagung usw. - aus der Masse der umlaufenden anonymisierten Schuldscheine so viele zu verschaffen, wie er benötigt, um seine eigene Schuld zu tilgen.
Im Klartext: er braucht pünktlich zur Fälligkeit ein ausreichendes Guthaben auf dem
Girokonto, das er zu Gunsten seines Kreditkontos überweisen kann. Mit dieser
Überweisung gibt der Schuldner in dem Umfang von der Bank beglaubigte und verbürgte Schuldscheine zurück, wie er sie selbst zur Weitergabe erhalten hat. Folglich
kann nun auch die Eintragung auf seinem Kreditkonto gelöscht werden. Das Guthaben auf dem Girokonto und die Schuld auf dem Kreditkonto gleichen sich aus.
Schuldschein und Schuld verschwinden.
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Die Unterscheidung
in Schuldner und Gläubiger
aus geldsystematischer Sicht
Mit der Klärung der Rolle des Geldes in den Schuldverhältnissen wird es möglich,
eine klare Unterscheidung zwischen Schuldnern und Gläubigern zu treffen. Um die
Eigenschaft - Schuldner oder Gläubiger - klar erkennen zu können, müssen Geldschulden und Geldforderungen einfach nur saldiert werden.
Wer unter dem Strich mehr Schulden hat, ist (netto-) Schuldner, wer unter dem
Strich mehr Forderungen hat, ist (netto-) Gläubiger.
Die Einschränkung auf die "geldsystematische Sicht" muss getroffen werden, um
Verfälschungen durch Doppelerfassungen und Überschneidungen zu vermeiden.
Schließlich existieren Geldschulden und Geldforderungen vollkommen unabhängig
von realen Lieferungen und Leistungen und den daraus resultierenden Schuld- bzw.
Anspruchsverhältnissen. Daher ist es notwendig, zum jeweiligen Betrachtungszeitpunkt nur solche Schulden und Guthaben zu berücksichtigen, die (bereits) im Geldsystem manifest geworden sind.
Abgrenzungsregel
Schulden und Forderungen, die nicht aus Kreditverträgen sondern aus Lieferungen
und Leistungen resultieren, werden erst mit dem Eintritt dieser Schulden und Forderungen in das Geldsystem berücksichtigt, also dann, wenn die Bezahlung und alle
dafür erforderlichen Schritte der Geldbereitstellung abgeschlossen sind.
Beispiel
Die fällige Rechnung über eine Lkw-Ladung Eiernudeln spielt in dieser Betrachtungsweise so lange keine Rolle, wie der Rechnungsbetrag nicht beglichen ist.
Der Empfänger schuldet dem Lieferanten zwar - vom Eingang der Rechnung an Geld, und der Lieferant hat mit Rechnungsausstellung seine Geldforderung an den
Lieferanten dokumentiert, aber an der hier zu treffenden Unterscheidung in Schuldner und Gläubiger aus geldsystematischer Sicht ändert sich durch die Lieferung,
durch die Rechnungsstellung und durch das Fälligwerden der Rechnung nichts. Das
alles vollzieht sich außerhalb der Geldsphäre und könnte z.B. auch durch eine wertgleiche Gegenlieferung (Tauschgeschäft) oder die Rückgabe der Lieferung ausgeglichen werden.
Erst wenn durch die Bezahlung der Rechnung Geld von Empfänger zum Lieferanten
fließt, kann unter Umständen durch den Geldabfluss aus einem (netto-) Gläubiger ein
(netto-) Schuldner werden bzw. durch den Geldzufluss aus einem (netto-) Schuldner
ein (netto-) Gläubiger. In aller Regel ändern aber solche Einzelvorgänge nichts an
den Rollen der Beteiligten.
Sonderfall Banken
Schulden und Forderungen in den Bilanzen der Banken, die dabei scheinbar nur die
Rolle des dienstleistenden Kontoführers ausfüllen, sind zwar bereits als Forderungen
bzw. Schulden bei den Bankkunden erfasst, müssen aber, zur Klärung der Rolle der
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einzelnen Bankinstitute bei diesen dennoch (mit umgekehrtem Vorzeichen) vollständig berücksichtigt werden.
Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken spielt in dieser Betrachtung zwar keine Rolle, dieses "Geschehen" lässt sich - wie eingangs geschildert - auf die Beglaubigung
von Schuldscheinen der Bankkunden reduzieren, was auch daraus zu erkennen ist,
dass durch den Akt der Geldschöpfung das Vermögen der Banken nicht verändert
wird, wohl aber führt die "Wanderung" der Guthaben durch entsprechende Verfügungen der Bankkunden zu Veränderung in den Schuldpositionen der einzelnen Institute, was bei einzelnen Instituten zu relevanten Veränderungen der Relation
Schulden : Forderungen führen kann.
Bezogen auf die einzelnen Wirtschaftssubjekte bleibt die Einstufung als (netto-)
Schuldner oder (netto-) Gläubiger zumeist über sehr lange Zeiträume konstant. Nur
selten gelingt es einem (netto-) Schuldner, dauerhaft zum (netto-) Gläubiger zu reüssieren, und selten wird ein (netto-) Gläubiger dauerhaft in den Status eines (netto-)
Schuldners zurückfallen.
Es gilt:
Je größer der Saldo aus Schulden und Forderungen, desto unveränderlicher
und stabiler ist die Rolle, egal, ob als Schuldner oder als Gläubiger.
Die Zugehörigkeit
von Schuldnern und Gläubigern
zu den Generalklassen
der volkswirtschaftlich relevanten Subjekte
Um die Verteilung der Schuldner und Gläubiger innerhalb einer Volkswirtschaft erkennen zu können, ist die Einteilung der Wirtschaftssubjekte in die folgenden vier
Klassen hilfreich:
o
o
o
o
Staat/Gemeinwesen,
Banken/Finanzdienstleister,
Unternehmen/Wirtschaft allgemein,
Private Haushalte.
Diese Zuordnungskriterien sind sehr leicht aufzufinden. Sie können in der Regel vom
Klingelschild oder vom Briefkopf abgelesen werden, finden sich zur Not aber auch in
den Akten der Gemeinden und der Finanzämter und werden von niemandem (außer
Geheimdiensten, vielleicht) geheimgehalten.
Spannend wird es, wenn versucht wird, innerhalb dieser vier Kategorien die Verteilung von (netto-) Schuldnern und (netto-) Gläubigern zu ermitteln.
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Der Staat,
das pfeifen die Spatzen von den Dächern, ist in allen seinen Gliederungen, einschließlich der Sozialversicherungen ein gigantischer (netto-) Schuldner.
Die Banken und Finanzdienstleister
gehören per Saldo (bis auf wenige Ausnahmen) ebenfalls zu den (netto-) Schuldnern, weil die bei ihnen gehaltenen Einlagen (die Einlagen der Bankkunden sind
Schulden der Bank) meist etwas höher sind als die Ausleihungen und weil ihr Eigenkapital und das ihnen zur Verfügung gestellte Fremdkapital eben nicht nur als Kredit
verliehen wird. Stattdessen finden wir in der Aktiva bebaute und unbebaute
Grundstücken, Aktien und andere, nichtgeldliche Vermögensgegenstände, in denen
die Mittel, die die Bank ihren Einlegern schuldet, rentierlich angelegt sind.
Dass die Banken, als (netto-) Schuldner in geldsystematischer Sicht, trotzdem prächtig verdienen, liegt daran, dass sie in ganz erheblichem Maße mit den ihnen anvertrauten Einlagen spekulieren und daran, dass sie auf die Einlagen deutlich niedrigere
Zinsen zahlen als sie von ihren Schuldnern erhalten.
Die Unternehmen der allgemeinen Wirtschaft
sind aus geldsystematischer Sicht ganz überwiegend ebenfalls als (netto-) Schuldner
einzustufen. Wir wissen, dass viele Unternehmen unter einer hauchdünnen Eigenkapitaldecke arbeiten, dass ihre Liquidität stets eng am Bedarf bemessen ist und dass
die erzielten Gewinne regelmäßig an die Eigentümer, Gesellschafter und Anteilseigner ausgeschüttet werden, deren Kapitalrendite prozentual umso höher ausfällt, je
höher der Anteil der Fremdfinanzierung ist. Da zugleich Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in dieser Betrachtung nicht berücksichtigt werden (sh. Ausnahmeregel), wird kaum ein Unternehmen der allgemeinen Wirtschaft als (netto-) Gläubiger zu identifizieren sein.
Die privaten Hauhalte,
als letzte noch verbleibende Kategorie, sind also zwangsläufig der Ort, an dem die
(netto-) Gläubiger aufzufinden sein müssen.
Das erscheint bei kurzem Nachdenken auch schnell plausibel, denn schließlich sind
es stets Privatpersonen, die nach Vermögensmehrung und Reichtum trachten, ihre
Unternehmen sind nur Mittel zum Zweck. Der Staat hingegen, als Institution seiner
Bürger, hat nicht die Absicht sich zu bereichern, wozu auch? Und wenn sich jemand
am Staat bereichert, dann sind das wieder ganz normale natürliche Personen, die wir
als Wirtschaftssubjekte den privaten Haushalten zuordnen.
Dass es innerhalb der privaten Haushalte sehr viele gibt, die als (netto-) Schuldner
dastehen, sehr viele, die über kein nennenswertes Vermögen verfügen und vergleichweise wenige, die über große Vermögen verfügen und mit immensen Summen
als (netto-) Gläubiger auftreten, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt, im Grunde ist das selbstverständliches Allgemeinwissen.
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Vorläufige Schlussfolgerung
Wenn Staat, Wirtschaft und der Großteil der Bevölkerung als Netto-Schuldner dastehen und ihnen verhältnismäßig wenige private Haushalte als Netto-Gläubiger gegenüberstehen,
•
•
•
dann ließe sich daraus folgern, dass die wenigen Netto-Gläubiger um ein Vielfaches mehr leisten als Staat, Wirtschaft und der allergrößte Teil der Bevölkerung zusammengenommen.
Es ließe sich daraus folgern, dass Staat, Wirtschaft und der allergrößte Teil
der Bevölkerung aufgehört haben, selbst Waren zu produzieren und Leistungen zu erbringen, und dass sie sich stattdessen auf Pump mit dem versorgen,
was die wenigen Angehörigen jener privaten Haushalte, die als NettoGläubiger in Erscheinung treten, in unermüdlichem Schaffen hervorbringen.
Es ließe sich daraus folgern, dass Staat, Wirtschaft und der allergrößte Teil
der Bevölkerung über ihre Verhältnisse leben –
und genau diese Folgerung hat Angela Merkel jüngst wieder einmal als
"die Wahrheit" von sich gegeben.
Es ließe sich all das folgern, gäbe es nicht die Realität.
Die Realität, in der die Unternehmen der Wirtschaft und der Staat gestützt auf das
Millionenheer der Erwerbstätigen alles hervorbringen, was sie selbst investieren und
verbrauchen, dazu einen erheblichen Exportüberschuss und die Gewinne und Zinserträge jener wenigen privaten Haushalte, die als (netto-) Gläubiger dastehen und an
jeglicher Hervorbringung - durchaus parasitär - partizipieren.
Die Mechanik
des Schuldenwachstums
Schon wieder wird es schwierig.
Da sich das Geschehen in Kreisläufen abspielt, ist es gleichgültig, an welcher Stelle
die Analyse ansetzt. Beginnen wir daher bei den Unternehmen der allgemeinen Wirtschaft, also der sog. Realwirtschaft.
Ungeachtet der realitätsfernen vorläufigen Schlussfolgerung aus dem letzten Absatz
werden hier von der überwiegenden Mehrzahl der Erwerbsfähigen jene Güter und
Leistungen erzeugt und verkauft, die im In- und Ausland Konsum- und Investitionsbedürfnisse befriedigen. Die Erlöse fließen als Netto-Löhne und -Gehälter an die Belegschaft, als Steuern, Beiträge und Abgaben an den Staat, als Bezahlung für Import-Rechnungen an Vorlieferanten im Ausland und als Gewinnauszahlungen an private Haushalte im In- und Ausland.
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Tritt die Situation ein - und dass diese Situation eingetreten ist, kann niemand ernsthaft bestreiten - dass bei einem Teil der privaten Haushalte die Einkünfte deutlich
über den Ausgaben liegen, dann bleibt dort Geld übrig, das letztlich (letztlich! Es geht
gar nicht anders), mangels anderer Verwendungsmöglichkeit, als Einlage bei den
Banken landet, womöglich auch als eiserne Reserve in Form von Banknoten im eigenen Safe.
Der Gesamtumsatz jedes Betrachtungszeitraumes fließt also, solange die Unternehmen der allgemeinen Wirtschaft Gewinne erzielen und diese an Eigentümer, Anteilseigner, Gesellschafter in einer Höhe ausschütten, die das "Sparen" dieser Mittel faktisch erzwingt, nicht vollständig in den Wirtschaftskreislauf zurück.
Das reduziert die verfügbare Liquidität.
Zudem fordern die Banken laufend die Tilgung der ausgereichten Kredite ein.
Jede Tilgung vermindert die Liquidität, denn die als Geld umlaufenden Schuldscheine müssen bei der Tilgung - bildlich gesprochen - zerrissen werden.
Obendrein fordern die Banken Zinsen, was ebenfalls negativ auf die Liquidität wirkt,
weil Zinserträge, wie die bereits betrachteten Gewinnausschüttungen, zu einem erheblichen Teil nur aufs Neue verzinslich angelegt werden, der Realwirtschaft also
nicht zur Verfügung stehen.
Wenn auch die große Zahl der ausgereichten Kredite und die immense verfügbare Geldmenge die Problematik der abschmelzenden Liquidität für eine Weile
verschleiern können, weit schwieriger zu verschleiern sind die beängstigenden
Spuren, die eine anhaltende Netto-Tilgung in den Bilanzen der Banken hinterlässt:
Stehen zum Beispiel in der Anfangsbilanz eines Instituts Eigenkapital und Sachanlagen mit je 10 Milliarden Euro ausgeglichen gegenüber und entsprechen die Ausleihungen mit 50 Milliarden Euro in der Höhe in etwa den Einlagen, so werden sich, bei
ständiger Netto-Tilgung, sowohl Einlagen wie auch Ausleihungen um etwa den gleichen Betrag reduzieren, weil schließlich Einlagen (Girokonto) benötigt werden, um
Ausleihungen zu tilgen. Doch dieses scheinbare Gleichgewicht ist gestört, weil die
Einlagen (Sparkonten) um die Zinszuweisungen gestiegen sind. Das führt zwangsläufig dazu, dass die Deckung der Einlagen durch Ausleihungen nicht mehr im vorherigen Maße gegeben ist.
Unterstellen wir beispielhaft, am 31.12. eines Geschäftsjahres erfolgte eine NettoTilgung von 10 Prozent der Ausleihungen und zugleich die Wiederanlage von Zinsgutschriften (5%) auf das angelegte Kapital, verschiebt sich das Verhältnis von Ausleihungen zu Einlagen am Bilanzstichtag von 50 : 50 auf 45 : 52,5.
Die Bilanz neigt sich damit in Richtung "Verlust" und die Bank muss versuchen,
die durch Tilgung geschrumpfte Aktiva durch andere Positionen auszugleichen, um
den Einlagen der Gläubiger entsprechende Vermögenspositionen gegenüberstellen
zu können.
Dies führt auf direktem Wege dazu, dass die Bank sich, über ihr eigentliches Geschäft - das Kreditgeschäft - hinaus, bemühen muss, rentierliche Anlagen für die Ein11
lagen ihrer Anleger zu finden. Sie wird also Wertpapiere erwerben. Erst festverzinsliche Papiere, dann Aktien, und schließlich unweigerlich in das Geschäft mit Derivaten
aller Art einsteigen müssen, um den anschwellenden Spareinlagen ihrer Kunden entsprechende Vermögenspositionen gegenüberstellen zu können.
Das Problem dabei liegt darin, dass die Werte aller dieser Papiere davon abhängen,
wie groß die Nachfrage danach ist. Je größer die Nachfrage, desto höher der Preis,
der dafür verlangt werden kann - und je dringender die Banken diese Papiere benötigen, um ihren Sparern einen "Gegenwert" präsentieren zu können, desto höher steigen wundersamerweise auch die Preise dieser Papiere.
Steigende Werte in der Aktiva, die sich hauptsächlich daraus erklären, dass an den
Kapitalmärkten zuviel Geld unterwegs ist, dass also partielle Inflation herrscht, bringen jetzt wunderbarerweise Bilanzgewinne hervor. Die nominalen Werte der Aktiva
übersteigen die nominalen Werte der Einlagen der Passiva - und die Differenz kann
als Gewinn an Aktionäre und als Guthabenzins an die Einleger ausgeschüttet werden. Da es sich bei den Wertsteigerungen der Papiere jedoch um reine Buchgewinne
handelt, die nicht mit entsprechenden Geldzuflüssen hinterlegt sind, muss die Bank
die Gewinnzuweisung aus ihren eigenen liquiden Mitteln darstellen.
Dies mindert wiederum die insgesamt verfügbare Liquidität.
Da parallel dazu weiter netto getilgt wird, steigt der Druck auf die Banken, ihre Aktiva
mit Papieren aufzuputzen, deren bilanzierter Wert nichts anderem mehr geschuldet
ist, als dem Nachfrageüberhang. So wird Schrott zu purem Gold - und am Ende des
Geschäftsjahres steht wieder ein dicker Buchgewinn zur Verteilung an.
Dieser Mechanismus ist fester Bestandteil des herrschenden Geldsystems und
innerhalb dieses Systems nicht außer Kraft zu setzen.
Letztlich entwertet sich dadurch das Vermögen der Einleger - und, so sonderbar es
klingt: Je höher die von den Banken ausgeschütteten Gewinne sind, desto näher rücken sie - trotz strahlender Geschäftszahlen - der Insolvenz wegen Überschuldung.
Ein Nadelstich genügt, und die Blase platzt.
Zweite vorläufige Schlussfolgerung
Wenn die Forderungen der Netto-Gläubiger größer werden als die Schulden der Netto-Schuldner, sorgen die Banken durch wundersame "Werterhöhung" der Aktiva in
ihren Bilanzen für den Ausgleich.
Daraus ließe sich schließen,
•
•
dass die Forderungen der Netto-Gläubiger trotz Netto-Kredit-Tilgung so lange
ungebremst weiter wachsen können, wie sich Banken finden, die bereit sind,
"Papiere" mit dem erforderlichen Wert in ihre Bilanzen einzustellen.
Daraus ließe sich schließen, dass die Banken absolut darauf vertrauen, die
durch Gewinnzuweisung an ihre Aktionäre abfließende Liquidität bei Bedarf
12
•
•
durch Hinterlegung der "Papiere" bei den Zentralbanken (re-) generieren zu
können.
Daraus ließe sich schließen, dass Netto-Gläubiger, die mit dem aus Luftbuchungen entstandenen Vermögen ihre Rechnungen aus der Sphäre der Realwirtschaft bezahlen, im guten Glauben an die Seriosität ihrer Bank in vollen
Zügen über ihre Verhältnisse leben.
Daraus ließe sich schließen, dass Geldvermögen, vollkommen losgelöst von
jeglicher realwirtschaftlichen Basis, ungebremst in den Himmel wachsen können,
gäbe es nicht die Realität.
Die Realität, in der die Unternehmen der Wirtschaft und der Staat gestützt auf das
Millionenheer der Erwerbstätigen alles hervorbringen, was sie selbst investieren und
verbrauchen, dazu einen erheblichen Exportüberschuss und die Gewinne und Zinserträge jener wenigen privaten Haushalte, die als (netto-) Gläubiger dastehen und an
jeglicher Hervorbringung - durchaus parasitär - partizipieren, aber eben nicht in jeder beliebigen Höhe, sondern immer nur in dem Maße, wie es die Leistungsfähigkeit der Realwirtschaft zulässt.
Netto-Tilgung
führt direkt in die Bankenkrise.
Zur Erinnerung: Alle Ausführungen, bis zu diesem Punkt, beschreiben die Funktionsweise unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems.
Vom Prinzip her spielt es dabei keine Rolle, ob, von einem einmal erreichten Stand
der Guthaben und Schulden ausgehend, die Verschuldung weiter fortschreitet, ob die
Zunahme der Verschuldung gebremst oder gar eine echte Netto-Tilgung erreicht
wird. Stets hält der Netto-Gläubiger die besseren Karten in der Hand und zwingt den
Netto-Schuldner über Gewinnabschöpfung und Zinsforderung immer tiefer in die Abhängigkeit der Verschuldung.
Faktisch gibt es allerdings erkennbare Unterschiede im Verlauf.
Ein stetes Anwachsen der Neuverschuldung
erleichtert die Bedienung bestehender Kredite mit Zins und Tilgung.
Ein stetes Anwachsen der Neuverschuldung hält Aktiva und Passiva der Bankbilanzen einigermaßen im Gleichgewicht.
Ein stetes Anwachsen der Neuverschuldung, kann ohne nennenswerte Inflation erfolgen, solange das Schuldenwachstum das Produktivitätswachstum nicht überschreitet, und wenn die Schulden schneller wachsen als die Produktivität, relativieren
sich Schulden und Forderungen über die sinkende Kaufkraft von selbst.
Ein stetes, mäßiges Anwachsen der Neuverschuldung wäre also die unserem System angemessene Strategie, um das Wachsen der Vermögen der Netto-Gläubiger
am verträglichsten zu gestalten.
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Ein stetes Zurückfahren der Neuverschuldung
erschwert die Bedienung bestehender Kredite mit Zins und Tilgung.
Ein stetes Nachlassen der Neuverschuldung stört die Balance der Bankbilanzen.
Ein stetes Nachlassen der Neuverschuldung stoppt die Inflation und kehrt sie womöglich um. Die Prognose für Amortisation und Rendite realwirtschaftlicher Investitionen wird belastet, weil mit Preisverfall gerechnet werden muss. Zuflüsse aus Gewinnen und Zinsen werden folglich nicht im wünschenswerten Umfang realwirtschaftlich reinvestiert, sondern verbleiben im Bereich der Finanzanlagen. Dies führt zu weiteren Störungen der Balance der Bankbilanzen. Gelingt es den Bankern nicht, ihre
Aktiva mit Scheinwerten aufzublähen, stehen die Banken sichtbar vor der Pleite.
Natürlich muss bei den Auswirkungen einer nachlassenden Neuverschuldung, die
allmählich in eine Netto-Tilgung übergeht, zunächst unterschieden werden zwischen
zwei verschiedene Formen der Verschuldung.
a) Verschuldung durch Bankkredite, die auf Geldschöpfung beruhen, und
b) Verschuldung durch Ausgabe eigener Schuldscheine (Anleihen und Pfandbriefe),
die gegen bereits bestehende Guthaben verkauft werden, andererseits.
Wirkungen der Tilgung
a) Wer einen Bankkredit tilgt, mindert die Forderungen der Banken und die umlaufende Geldmenge und bringt so, wie oben beschrieben, die Bankbilanzen ins Ungleichgewicht, weil der Zinszuwachs der Passiva auf der verkleinerten Basis stärker
wirkt.
b) Wer eine Anleihe zurückzahlt, mindert die Forderungen der Gläubiger, nicht aber
die umlaufende Geldmenge. Folglich werden - und das ist noch weitaus schlimmer
als im Fall a) - die frei gewordenen Gelder bei den Banken, neben den neu angelegten Zinsen, nach neuer Anlage suchen.
Beide Prozesse laufen parallel zueinander ab. Irgendwann gelingt es den Banken
nicht mehr, eine einigermaßen vertretbare Verwendung für die nach Anlagemöglichkeiten suchenden Geldmengen zu finden. Vor allem dann nicht, wenn die künstlich in
die Höhe getriebenen Kurse beginnen einzubrechen.
Dieses Stadium war spätestens im Sommer 2007 erreicht und führte zu den ersten
Schockwellen im weltweiten Finanzsystem.
Die Anleger realisierten, dass die Blase zu platzen drohte, dass ihr Geld rasend
schnell an Wert verlieren würde, gelänge es nicht, aufs Neue den Anschein zu erwecken, die Aktiva der Banken sei werthaltig und gut besichert. Mit den Schrottanleihen
der US-Subprime-Betrugs-Maschine war das nicht mehr möglich. Die einzige Chance
bestand darin, die Staaten zu zwingen, als neue Schuldner einzutreten und die Bürger für die Sicherheit der Anlagen der spekulativ aufgeblasenen Vermögen in Haftung zu nehmen.
Es laufen also zwei anscheinend widersprüchliche Prozesse parallel ab, die
sich jedoch gegenseitig stark beeinflussen.
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Prozess 1 Schuldentilgung
Durch den Abbau von Schulden schwindet die Liquidität der Realwirtschaft. Die rückläufige Liquidität mindert die Kaufkraft und belastet die Konjunktur.
Löhne und Preise passen sich sukzessive den kleineren Geldmengen an. Löhne,
Gehälter, Umsätze und Gewinne sinken - nur die verbliebenen Schulden bleiben
nominal gleich hoch, die Tilgung erschwert sich weiter. Tilgung führt zu Deflation, zu
Arbeitslosigkeit und Unternehmensinsolvenzen.
Prozess 2 Geldanlage
Der Tilgungsprozess und die oben beschriebenen Umschuldungsprozesse sowie
Zins- und Gewinngutschriften führen zu einem Aufblähen des Passivgeschäfts der
Banken, die Einlagen wachsen und suchen außerhalb des Kreditgeschäfts nach Anlage.
Um die Bilanzen ausgleichen und trotz Einlagenüberschuss Gewinne ausweisen zu
können, müssen die Banken sich in der Aktiva mit hoch- und überbewerteten Papieren ausstatten. "Leichte Gewinne" locken nicht nur immer mehr Geld an, sondern
beflügeln auch die Kreditvergabe, weil Spekulationsgeschäfte mit mächtigen Kredithebeln die Eigenkapitalrendite in den Himmel treiben.
Die Banken füllen nun allmählich auch wieder die Aktiva - mit Ausleihungen zur Finanzierung der Spekulation - die jedoch wiederum nur mit dem gleichen Schrott besichert sind, der sich sowieso schon angesammelt hat.
Alle wissen, dass die Blase unweigerlich platzen muss, dass der Termin von Tag zu
Tag näher rückt, doch keiner kann aussteigen, will er nicht als erster in den Ruin fallen.
Über den Verhältnissen
Geld, das als universelles Medium für den Austausch von Waren und Leistungen in
einer hochspezialisierten, arbeitsteiligen Gesellschaft unverzichtbar ist, ist nichts anderes als ein, von Banken beglaubigter, und dadurch anonymisierter, umlauffähiger
Schuldschein. Solches Geld muss - in seiner Gesamtheit - vor der Leistungserstellung geschaffen und nach Abschluss der damit bewerkstelligten Transaktionen wieder vernichtet werden. Dann dient jede Verschuldung einem sinnvollen realwirtschaftlichen Zweck und verschwindet mit dessen Erfüllung von selbst wieder.
Es ist also falsch, zu behaupten,
für ein "Leben über den Verhältnissen".
Verschuldung
sei
der
Beweis
Würde unser Wirtschaftssystem vernunft- und verfassungsgemäß funktionieren, wäre
Verschuldung - ganz im Gegenteil - der wichtigste Indikator für die innerhalb einer
Volkswirtschaft vorhandene Leistungsbereitschaft, ein Anstieg der Verschuldung
würde auf einen (bevorstehenden) Anstieg des BIP hinweisen, ein Rückgang der
Verschuldung auf eine (bevorstehende) Sättigung der Märkte.
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Doch leider ist das Prinzip "Kredit - Transaktion - Tilgung" im real existierenden Banken-Kreditgeld-Kapitalismus-System an entscheidender Stelle nur unvollständig realisiert,
denn:
1. fordert der Kreditzins eine stete Ausweitung der Geldmenge durch Neuverschuldung, weil er anders, unter den normalen Bedingungen des Systems, gar nicht dargestellt werden kann, und
2. erzwingt der Mittelbedarf für nicht leistungsadäquate Einkünfte (Zinsen, Pachten,
Mieten, Dividenden, Lizenzen, Spekulationsgewinne) durch die dafür erforderliche
Neuverschuldung Inflation, weil damit mehr Geld ins System kommt, als Waren auf
den Markt (daher: nicht leistungsadäquat).
3. Um aber den Geldwert stabil zu halten, werden die überflüssigen Geldmengen
gehortet, also aus den Kreisläufen der Realwirtschaft herausgehalten und in die
Sphäre der Finanzwirtschaft überführt, wo sie letztlich dem Spekulantentum überlassen werden und wo wiederum Banken durch die Beglaubigung von Schuldscheinen
Giralgeld bereitstellen und damit die Einsätze für immer neue Wetten auf immer obskurere Papiere hervorbringen, was
4. dazu führt, dass bestehende Schulden nicht mehr getilgt werden können, weder
da, wo sie realwirtschaftlichen Zwecken dienten, noch da, wo sie zur Finanzierung
verlorener Wetten eingegangen wurden.
Schulden von Staaten, Unternehmen der Realwirtschaft und privaten Haushalten sind zwingend erforderlich, um den Austausch von Waren und Leistungen
in einer hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaft überhaupt zu ermöglichen.
Es gäbe sonst kein Geld. (Außer man organisiert das Geldsystem ganz anders)
Die Tatsache, dass Schulden nach vollbrachter Transaktion nicht mehr (vollständig) getilgt werden können, infolgedessen dem Zinseszinseffekt unterliegen und zwangsläufig immer weiter wachsen, ist nicht auf ein "Leben über den
Verhältnissen" zurückzuführen.
Daher muss auch der Versuch scheitern, Schulden durch strenges Sparen, also durch ein vermeintlich kompensierendes "Leben unter den Verhältnissen"
zu reduzieren.
Die vollständige Tilgung der Schulden wird doch nicht verhindert, weil der Wille zur
Tilgung und zur dafür erforderlichen Leistungserbringung fehlte, er wird einzig und
allein dadurch verhindert, dass nicht leistungsadäquate Einkünfte aus der Realwirtschaft in die Finanzsphäre abfließen, dort als Forderungen der Netto-Gläubiger an
Staat, Wirtschaft und private Haushalte ohne nennenswertes Vermögen dauerhaft
gehalten werden und damit zur Tilgung nicht mehr zur Verfügung stehen.
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Für die aktuelle Situation gilt:
•
Entschuldung - und damit die Überwindung der Krise - ist ohne Forderungsverzicht nicht möglich.
•
Nachhaltige Entschuldung erfordert den vollständigen Verzicht auf nicht
leistungsadäquate Einkünfte.
Wo die Bereitschaft zum Forderungsverzicht fehlt, wird früher oder später die Inflation für den Ausgleich sorgen. Je später, umso schmerzlicher.
Wo die Bereitschaft zum vollständigen Verzicht auf nicht leistungsadäquate Einkünfte
fehlt, wird es früher oder später zu gewaltsamen Verteilungskämpfen kommen. Je
später, umso härter.
Je früher die Einsicht in diese Zusammenhänge zu nachhaltigen Veränderungen
führt, desto eher werden wir das Zusammenleben einer reifen Gesellschaft in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit organisieren können.
Das, Frau Dr. Merkel, ist die andere Wahrheit.
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