Die kulturhistorische Natur des Psychischen

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Die kulturhistorische Natur des Psychischen
Die Neigung zu Herde und Meute
Die humanistische Psychologie des vorigen Jahrhunderts setzte die These in die Welt, dass
weder die Lerntheorie noch die Psychoanalyse dem Verständnis einer gesunden und schöpferischen Persönlichkeit gerecht werden können. Denn das Ziel gesunden menschlichen
Lebens sei das Erreichen von Selbstverwirklichung, verstanden als individuelle, autonome
Entwicklung aller im Menschen angelegten Potenzen. In Abraham Maslows Hierarchie der
menschlichen Bedürfnisse (1954/70), die heute weit über die Fachpsychologie hinaus anerkannt ist, erscheint dieses Bedürfnis nach Selbstverwirklichung als das letzte einer ganzen
Reihe von menschlichen Grundbedürfnissen, die in der Regel alle befriedigt sein müssen,
bevor Selbstverwirklichung überhaupt thematisiert werden kann. Wenn Maslow diesen Begriff anhand der empirischen Beschreibung selbstverwirklichender Menschen mit Inhalt füllt,
wird daher schnell klar, dass dieses Bedürfnis nur recht wenigen Menschen entsteht, da die
meisten vollends damit beschäftigt sind, die anderen Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Obwohl alles, was Maslow zu diesen Bedürfnissen nach Sicherheit, nach Zugehörigkeit und
Liebe sowie nach Achtung (so aufsteigend seine Hierarchie) anführt, durchaus richtig ist, hat
seine Theorie dazu einen ganz gewaltigen Haken. Ich möchte versuchen, das am Beispiel
seiner Ausführungen zum Bedürfnis nach Zugehörigkeit aufzuzeigen.
„Wir haben nur wenig wissenschaftliche Information über das Zugehörigkeitsbedürfnis, obwohl
es ein allgemeines Thema von Romanen, Autobiographien, Gedichten und Theaterstücken ist,
auch der neueren soziologischen Literatur. Aus diesen Quellen beziehen wir unsere sehr allgemeine Kenntnis der destruktiven Auswirkungen auf Kinder, wenn sie zu oft den Wohnort
wechseln, die Auswirkungen der Desorientierung; der allgemein zu großen Mobilität durch die
Industrialisierung [...] Wir unterspielen immer noch die große Bedeutung der Nachbarschaft, des
eigenen Territoriums, des eigenen Klans, der eigenen ‚Art’, Klasse, Bande [...] Ich bin der Meinung, dass der unglaublich rasche Anstieg in der Zahl von T-Gruppen und anderen intentionalen Gemeinschaften teilweise von diesem unbefriedigten Hunger nach Kontakt, Intimität, Zugehörigkeit und dem Bedürfnis kommt, das weitverbreitete Gefühl der Entfremdung, Einsamkeit,
Fremdheit und Verlassenheit zu überwinden, das von unserer Mobilität, vom Zusammenbruch
traditioneller Gruppierungen, der Verstreutheit der Familien, dem Generationenunterschied, der
zunehmenden Urbanisierung und dem Verschwinden der dörflichen Nähe und der daraus resultierenden Oberflächlichkeit der amerikanischen Freundschaft entstanden ist. [...] Jede gute Gesellschaft muss dieses Bedürfnis befriedigen, auf die eine oder andere Art und Weise, wenn sie
überleben und gesund bleiben will“ (1954, 71f.).
In diesem kurzen Abschnitt ist sehr viel ausgesagt. Maslow beschreibt Lebensumstände, wie
sie im Amerika der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu beobachten waren. Dabei
konnte man feststellen, dass viele Menschen zunehmend Verhaltensweisen zeigen, die eigentlich nicht zu ihren modernen Lebensumständen passen. Sie rotten sich in Grüppchen,
Gruppen und Vereinen zusammen, die oftmals außerhalb ihrer primären Lebensvollzüge in
Familie und Beruf liegen und scheinbar dem simplen Zweck des Zusammenseins als solchem dienen. Interessant ist nun, dass dieses Phänomen damals zwar in der Literatur bearbeitet, den Wissenschaften jedoch noch weitgehend unbekannt war. Daraus wäre zu schlie1
ßen, dass wir es mit einem gänzlich neuen Phänomen zu tun haben, das bis dahin völlig
unbekannt war. Maslow legt denn auch detailreich die konkrete historische Ursache offen:
den Zusammenbruch der traditionellen Lebensstrukturen im Zuge der zweiten industriellen
Revolution. Allein das ist jedoch bestenfalls die Feststellung eines soziologischen Zusammenhangs, aber noch keine psychologische Erklärung für die (sekundäre) Gruppenbildung.
Denn die müsste die Frage nach dem individuellen Motiv beantworten, nach den Gründen
des Einzelnen, sich einer Gruppe anzuschließen.
Maslow beantwortet diese Frage nicht wirklich, sondern umgeht sie durch eine trickreiche
Operation: Er entwickelt die Theorie von der menschlichen Grundbedürfnishierarchie. Wie
ich noch mehrfach zeigen werde, ist die Frage nach der Ursache der menschlichen Sozialität
auf der individuellen, psychologischen Ebene nicht zu beantworten sondern ist dieser vielmehr vorausgesetzt. Sozialität als menschliches Grundbedürfnis aufzufassen trägt dem zwar
insofern Rechnung als sie damit der individuellen Ebene enthoben wird, also für jeden Einzelnen als gleiche Bedingung gilt. Doch gleichzeitig wird durch dieselbe Operation die soziale Grundbedingung des Menschseins zu einem wiederum individuellen, weil persönlichen,
subjektiven Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung. Damit hat Maslow es geschafft, aus einer
voraussetzungslosen Grundbedingung des Menschseins (denn nur das kann der Begriff
Grundbedürfnis meinen) das subjektive Verlangen nach Liebe und Zuneigung abzuleiten,
das nun seinerseits den Nimbus des Ewiggültigen erhält.1
Mit dem solcherart hergeleiteten Begriff vom Bedürfnis nach Liebe hat Maslow die von ihm
beschriebenen sozialen Verhältnisse in der ersten Jahrhunderthälfte allerdings nur teilweise
erfasst. Denn der von ihm ebenso hervorgehobene Stellenwert „des eigenen Klans, der eigenen ‚Art’, Klasse, Bande“ hat mit individueller, liebender Zuneigung nur wenig zu tun. Das
Bedürfnis nach Zugehörigkeit scheint unterschiedliche Modi annehmen zu können – je nach
Zugehörigkeit zu spezifischen sozialen Strukturen. Denn wenn Maslow schreibt: „Wir unterspielen immer noch die große Bedeutung“ der eben genannten Gemeinschaften wie Klan
oder Bande, wer ist da eigentlich mit „wir“ gemeint? Jene, deren besonderes Verhalten eben
der Auslöser für die Formulierung des sozialen Grundbedürfnisses war, ganz offensichtlich
nicht. Nun, mit „wir“ meint Maslow natürlich sich und seinesgleichen als Angehörige der individualisierten, gebildeten oberen Mittelschicht, deren Vorfahren sich 250 Jahre davor anschickten, den modernen Menschen zu „erfinden“ (Muchembled 1988). Für diese Menschen,
die klassischen Bürgerlichen, war die Zugehörigkeit zur „Art“ des modernen, individualisierten Menschen allerdings kein „Bedürfnis“, sondern eine Tatsache, während eine unbeabsichtigte Bekanntschaft mit den Interaktionsformen von Klan oder Bande wohl eher vom „Bedürfnis“ begleitet gewesen sein wird, diesen zu entfliehen.
Diese „Psychologisierung“ menschlicher Sozialität hat den amerikanischen Soziologen Richard Sennett veranlasst, von einer „Tyrannei der Intimität“ zu sprechen.
1
2
Maslow ist sich dieser Differenzierung durchaus bewusst, entzieht sich aber der notwendig
gewordenen Auseinandersetzung mit der „zutiefst animalischen Neigung zur Herde und
Meute“ (71), indem er auf ein Buch von Richard Hoggart, „The Uses of Literacy“ (1957), verweist, in dem das Alltagsleben der britischen Arbeiterklasse beleuchtet wird. 2 Es ist unübersehbar, dass Maslow an dieser Stelle die begrenzte Reichweite seiner humanistischen Psychologie registriert, ihre Beschränkung auf den „modernen“, in der bürgerlichen Tradition
stehenden Menschen. Halten wir noch einmal fest, dass der Versuch einer psychologischen
„Erklärung“ menschlicher Sozialität bei Maslow in die Formulierung eines Bedürfnisses nach
Liebe und Zuneigung mündet, während die „zutiefst animalische Neigung zu Herde und Meute“ außerhalb der Reichweite (individual)psychologischer Aussagen bleibt und, wie ich meine, bleiben muss.
Ich möchte diesen für meine weiteren Überlegungen zentralen Gedankengang noch anhand
eines anderen, etwas älteren theoretischen Zugangs verdeutlichen, der bürgerlichen Massenpsychologie. Dabei handelt es sich um ein Nebengleis der Psychologie, das keine Fortsetzung in unsere Gegenwart gefunden hat. Die gegenwärtige Sozialpsychologie, sei sie
humanistischer oder behavioristischer Prägung, weist kaum einen Bezug dazu auf. Das ist
umso erstaunlicher, als wir heute mit wesentlich mehr Berechtigung von einer Massengesellschaft sprechen können als die bürgerlichen Wissenschafter vor dem Einsetzen der zweiten
industriellen Revolution3. Aber hier täuscht der gleiche Begriff eine Gemeinsamkeit vor, die
so nicht gegeben ist. Der Begriff „Massengesellschaft“ steht heute für die spezifische Struktur (post)industrialisierter Gesellschaften als ganzer, während der bürgerliche Massenbegriff
des Fin de Siècle ein isoliertes soziales Phänomen innerhalb der Gesamtgesellschaft bezeichnete. Den Übergang zwischen den beiden unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs
markiert das Werk „Der Aufstand der Massen“ von José Ortega y Gasset (1930). War der
„Massenmensch“ der Jahrhundertwende eine innerhalb des gesellschaftlichen Ganzen neue
und aufs äußerste irritierende Erscheinung, so tritt er bei Ortega y Gasset erstmals als (freilich nicht minder irritierender) „Durchschnittsmensch“ auf, der bereits das heutige Objekt der
Meinungsforschung erahnen lässt.
Die „Masse“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist ein im Wesentlichen auf die wenigen
Großstädte beschränktes soziales Phänomen, das seine Ursache im massenhaften Zuzug
von Menschen meist ländlicher Herkunft in die rapide wachsenden Metropolen hatte. Der
nach 1920 so zentrale Verlust der althergebrachten Strukturen steht freilich schon hier im
Mittelpunkt, da die Form der Zuwanderung weitestgehend isoliert war. Die meisten kamen
2
Hoggarts Zugang zum Verständnis der Kommunikationsformen in der Arbeiterklasse wurde nur wenig später
vom britischen Soziologen Basil Bernsein zu einer Theorie vom „öffentlichen“ Sprachgebrauch ausgearbeitet,
die einen brauchbaren Erklärungsansatz für die von Maslow nur angedeuteten Unterschiede in der sozialen Bedürfnisstruktur abgibt. Ich werde im dritten Abschnitt darauf zurückkommen.
3
Mit der zweiten industriellen Revolution ist gemeinhin jener technische und organisatorische Entwicklungsschub gemeint, der durch den ersten Weltkrieg ausgelöst wurde.
3
allein oder in Gruppen von kaum mehr als einer Handvoll Menschen, die sich zudem vielfach
erst im Zuge der Wanderung zusammengefunden hatten. Bar ihrer überlieferten Lebensformen fanden sie weder Anschluss an die bürgerliche Öffentlichkeit der Cafés, Parks und
Promenaden noch an die lokalen Traditionen der städtisch organisierten Handwerker- und
Händlerschaft. So entstand innerhalb der damals noch keineswegs durchgehend anonymisierten großstädtischen Gesellschaft eine durch das „äußere“ oder wenn man will das objektive Kriterium der Nichtzugehörigkeit definierte Klasse von Menschen, die jeder „inneren“
(oder subjektiven) Verbundenheit oder gar Einheit entbehrte.
In diesem Umfeld entstand die bürgerliche Massenpsychologie. Ihr visionärer Begründer war
der Mediziner Gustave Le Bon, dessen Grundsatzschrift „Psychologie der Massen“ (1895)
bis heute aufgelegt wird und sich nachhaltig erstaunlich gut verkauft.4 Ihm folgten, um nur die
herausragendsten Autoren zu nennen, Wilfred Trotter (1916), William McDougall (1920) und
Sigmund Freud (1921) sowie der schon erwähnte Schwanengesang auf das bürgerliche
Zeitalter von Ortega y Gasset (1930). Den älteren Autoren ist gemeinsam, dass ihre Thesen
eine Ungereimtheit enthalten, die sie nicht wirklich in der Lage sind aufzulösen. Das Phänomen „Masse“ wird zunächst mittels soziologischer Begriffe erfasst, als eine Ansammlung von
vielen, einander nicht bekannten Menschen aus einem bestimmten Anlass, der je nach Gegebenheiten variieren kann. Der Einzelne als Teil dieser Masse, eben der „Massenmensch“,
wird hingegen mittels psychologischer Begriffe beschrieben, allerdings auf eine Art und Weise, die diese Benennung kaum rechtfertigt.
Denn der Massenmensch lässt fast alles, was die klassische Psychologie menschlich nennt,
vermissen. Er zeigt kaum Spuren von Rationalität, wird von instabilen Stimmungen und Gefühlen geleitet, hat keinen Sinn für Moral und lässt insgesamt nicht den Schimmer einer Persönlichkeit erkennen – für die klassische Bewusstseinspsychologie eine Ungeheuerlichkeit.
Da deren Kategorien eine Erklärung dieser Abweichungen nicht zulassen, kann, so meinte
man, nur eine soziologische Erklärung in Frage kommen. Die beschriebenen Abweichungen
von der psychologischen Norm müssen ihre Ursache in dem Phänomen der Masse selbst
haben. Durch die Teilnahme an oder das Aufgehen in einer Masse wandle sich der Mensch
zum Massenmenschen. Eine solche Erklärung ist natürlich aus zwei Gründen unbefriedigend. Erstens wird dadurch die Psychologie, die doch das veränderte Verhalten der Einzelnen erklären soll, schlicht suspendiert. Und zweitens trägt sie dem von allen Autoren durch4
Den Umstand, dass ein vor über 110 Jahren erstmals veröffentlichtes (populär)wissenschaftliches Werk in
unveränderter Form bis heute verlegt wird und sich relativ gut verkauft, ist deutlich hervorzuheben. Der Eindruck des Außergewöhnlichen wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass das Gros der gegenwärtigen Sozialpsychologen die Thesen Le Bons nicht bloß für überholt, sondern schlicht für falsch hält. Wer liest dann aber
heutzutage dieses Werk? In den Statistiken der Online-Buchhändler, die die durchschnittlichen Lesegewohnheiten ihrer Kunden erheben, wird deutlich, dass Le Bons heutige Leser mit sehr hoher Übereinstimmung auch die
Leser von Management- und Börsenliteratur sind. Ohne diese Daten überbewerten zu wollen, muss doch festgehalten werden, dass Börsengurus, Wirtschaftstreibende und Führungskräfte Le Bons Thesen anscheinend eine
für ihre Zwecke höhere Praxisrelevanz zumessen als denen der modernen Sozialpsychologen. Aber warum tun
sie das?
4
aus bemerkten Umstand, dass der Massenmensch in gar nicht geringem Umfang auch außerhalb einer tatsächlich physischen Massenansammlung auftritt, in keiner Weise Rechnung. Der einzig gangbare Weg angesichts dieser Schwierigkeiten – dem sich Maslow wie
erinnerlich entzogen hat – wäre eine radikale Neufassung von Psychologie auf nichtindividueller Basis. Die bürgerlichen Massenpsychologen haben sich – erstaunlich genug – dieser
Aufgabe zumindest ansatzweise gestellt.
Le Bon hat angesichts der Auflösung der Individualitäten in einer Masse konsequent die
Masse als Ganzes zum psychologischen Objekt gemacht und das „psychologische Gesetz
der seelischen Einheit der Massen“ (12) formuliert: „Die psychologische Masse ist ein unbestimmtes Wesen, das aus ungleichartigen Bestandteilen besteht, die sich für einen Augenblick miteinander verbunden haben, genau so wie die Zellen des Organismus durch ihre
Vereinigung ein neues Wesen mit ganz anderen Eigenschaften als denen der einzelnen Zellen bilden“ (13). Und zur konkreten Erläuterung dieser psychischen Verschmelzung der Einzelnen zieht Le Bon wie nach ihm Freud die Hypothese des Unbewussten heran.
„Unsere bewussten Handlungen entspringen einer unbewussten Grundlage, die namentlich
durch Vererbungseinflüsse geschaffen wird. Diese Grundlage enthält die zahllosen Ahnenspuren, aus denen sich die Rassenseele aufbaut. [...] Eben diese allgemeinen Charaktereigenschaften, die vom Unbewussten beherrscht werden und der Mehrzahl der normalen Angehörigen einer Rasse ziemlich gleichmäßig eigen sind, werden in den Massen vergemeinschaftlicht.
In der Gemeinschaftsseele verwischen sich die Verstandesfähigkeiten und damit auch die Persönlichkeit der einzelnen. Das Ungleichartige versinkt im Gleichartigen, und die unbewussten
Eigenschaften überwiegen“ (Le Bon 1895, 14).
Das Bemühen um die theoretische Formulierung einer transpersonalen Basis des psychischen Geschehens ist hier deutlich spürbar, bleibt aber schon im Ansatz stecken. Le Bon
versucht, die zu erklärende Auflösung der individuellen Seele in einer Massenseele mit deren bereits primärer Eingebundenheit in eine „Rassenseele“ zu begründen, die als „vererbte“
der Reichweite der klassischen Bewusstseinspsychologie entzogen ist. Mit der Einführung
dieses neuen Begriffs ist also außer einer weiteren Komplizierung nichts gewonnen. Das
Problem ist bloß auf eine Ebene verlagert, die nun gänzlich jedem psychologischen Zugriff
trotzt. Selbst Freud, der ja bekanntlich angetreten ist, diesen Zugriff mittels der Psychoanalyse wiederherzustellen, hat an dieser fundamentalen Stelle wenig mehr zu bieten als den
Verweis auf seinen „wissenschaftlichen Mythus“ von der Urhorde.
„Die Psychologie dieser Masse, wie wir sie aus den oft erwähnten Beschreibungen kennen –
der Schwund der bewussten Einzelpersönlichkeit, die Orientierung von Gedanken und Gefühlen
nach gleichen Richtungen, die Vorherrschaft der Affektivität und des unbewussten Seelischen,
die Tendenz zur unverzüglichen Ausführung auftauchender Absichten –, das alles entspricht einem Zustand von Regression zu einer primitiven Seelentätigkeit, wie man sie gerade der
Urhorde zuschreiben möchte. Die Masse erscheint uns so als ein Wiederaufleben der Urhorde.
So wie der Urmensch in jedem Einzelnen virtuell enthalten ist, so kann sich aus einem beliebigen Menschenhaufen die Urhorde wieder herstellen; soweit die Massenbildung die Menschen
habituell beherrscht, erkennen wir den Fortbestand der Urhorde in ihr“ (1921, 114).
5
Freuds Darstellung lässt etwas der „Rassenseele“ Le Bons vergleichbares gänzlich vermissen. Die Beziehung zwischen dem Jetzt- und dem Urmenschen ist direkt und nicht durch
„rassische“ Differenzierungen vermittelt. „Wir müssen schließen, die Psychologie der Masse
sei die älteste Menschenpsychologie; was wir unter Vernachlässigung aller Massenreste als
Individualpsychologie isoliert haben, hat sich erst später, allmählich und sozusagen immer
noch nur partiell aus der alten Massenpsychologie herausgehoben“ (115). Viel mehr als diesen richtungsweisenden Ansatz wird man bei Freud nicht finden. Und wie vor ihm Le Bon
muss auch er letztlich auf das Konzept der Vererbung zurückgreifen.
„Die Erlebnisse des Ich scheinen zunächst für die Erbschaft verlorenzugehen, wenn sie sich
aber häufig und stark genug bei vielen generationsweise aufeinanderfolgenden Individuen wiederholen, setzen sie sich sozusagen in Erlebnisse des Es um, deren Eindrücke durch Vererbung festgehalten werden. Somit beherbergt das erbliche Es in sich die Reste ungezählt vieler
Ich-Existenzen“ (1923, 305).
Hier zeigt sich überdeutlich, dass die Einführung des Vererbungskonzepts eine zwingende
Notwendigkeit ist. Wenn man das eigentümliche Verhalten des „Massenmenschen“ psychologisch erklären will, ist man, um die Phänomene auch nur annähernd beschreiben zu können, sehr schnell bei Begriffen wie „psychische Masse“ oder „Massenseele“, die freilich im
Rahmen der klassischen Psychologie etwas „Inneres“ bezeichnen müssen (und damit ihren
inter- oder gar transpersonalen Charakter wieder verlieren). Die im „Inneren“, also im „Seelischen“ eingerichtete unbewusste Struktur hat Freud nach mehreren theoretischen Versuchen schließlich (auch um das Unpersönliche hervorzuheben) das „Es“ genannt. Als „innere“, psychische Struktur ist Es aber isoliert, erhält Informationen nur über Vermittlung des
personalen Ich. Allfällige transpersonale Botschaften aus der Vorzeit, wie sie Le Bon und
Freud in ihrer Massenpsychologie benötigen, müssen daher angeboren sein. Diese Position
findet sich allerdings nicht durchgängig in Freuds Werk. An anderen Stellen lässt er eine
„unbewusste“ Wirkung von Es zu Es sehr wohl zu. Aber er hat meines Wissens nirgends den
Versuch gewagt, diese Einsicht zu der einer psychischen „Vererbung“ in Beziehung zu setzen.5
Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma scheint William McDougall anzubieten. In
seinem Werk „The Group Mind“ (1920) unterscheidet er zwischen der unorganisierten Masse
Le Bons („crowd“) und einer organisierten Masse („group“). Die Phänomene, die Le Bon der
5
Es würde zu weit führen, dieses Problem hier mit der nötigen Tiefe zu analysieren. Ich möchte aber doch wenigstens anmerken, dass das Anlage-Umwelt-Problem, also die Frage, ob und inwieweit menschliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen angeboren oder individuell erlernt sind, empirisch nicht lösbar ist, da es sich um
ein theoretisches Problem handelt. Es ist die logische Folge der Verbannung des „Psychischen“ in das „Innere“
eines isolierten Individuums. Von da aus müssen transpersonale Informationen entweder (wie im klassischen
Behaviorismus) geleugnet werden oder eben angeboren und damit sehr alt sein. Menschliche Erfahrung wird
somit durch eine reine Grundvoraussetzung, die ich das Ichprinzip nenne, in zwei Informationsverarbeitungsmodi mit den dazugehörigen Speichersystemen (das Genom und das Gehirn) gespalten, zwischen denen eine Lücke
von mindestens 100.000 Jahren klafft. Deshalb steht bei Freud gleich hinter dem modernen Individuum die
Urhorde, während Le Bons „Rassenseele“ – zur Erklärung von Phänomenen wie dem „Sozialcharakter“ (Riesman 1950) eigentlich zwingend erforderlich – als biologische Unmöglichkeit abgewiesen werden muss. Tertium
non datur. Ein drittes gibt es nicht – darf es nicht geben!
6
Masse als solcher zuschreibt, treten nach McDougall dann nicht auf, wenn folgende fünf Bedingungen erfüllt sind. Die Masse muss eine gewisse Kontinuität in ihrem Bestand aufweisen. Ihre Mitglieder müssen eine symbolische Vorstellung von der Masse haben. Die Masse
muss sich gegenüber anderen Massenbildungen abgrenzen können und mit diesen rivalisieren. Weiters muss die Masse durch Sitten und Gebräuche strukturiert sein und schließlich
eine Gliederung aufweisen, die eine Differenzierung ihrer Teilnehmer ermöglicht. Hier hätten
wir endlich Kriterien zur Hand, mittels derer sich das auffällige Verhalten von Massen
(crowds) relativ leicht erklären lässt. Allerdings hilft uns das nicht wirklich weiter. Denn im
strengen Sinn handelt es sich ja wiederum um soziologische Kriterien. Wir können zwar
nunmehr die These vom Auftreten von Massenverhalten als Folge einer Massenansammlung ersetzen durch die These, dass Massenverhalten nur dann auftritt, wenn die soziale
Ordnung zerbröselt oder nicht mehr vorhanden ist. Aber wir müssten dann folgern, dass die
Strukturierung des Psychischen außen stattfindet, dass die Funktion dessen, was bei Freud
Ich heißt, tatsächlich in der Gruppenstruktur gegeben ist. Denn genau das meint McDougalls
„Group Mind“. Freud hat diese Gefahr natürlich gesehen.
„Es scheint uns, dass man die Bedingung, die McDougall als ‚Organisation’ der Masse bezeichnet hat, mit mehr Berechtigung anders beschreiben kann. Die Aufgabe besteht darin, der Masse gerade jene Eigenschaften zu verschaffen, die für das Individuum charakteristisch waren
und die bei ihm durch die Massenbildung ausgelöscht wurden. Denn das Individuum hatte –
außerhalb der primitiven Masse – seine Kontinuität, sein Selbstbewusstsein, seine Traditionen
und Gewohnheiten, seine besondere Arbeitsleistung und Einreihung und hielt sich von anderen
gesondert, mit denen er rivalisierte. Diese Eigenart hatte es durch seinen Eintritt in die nicht organisierte Masse für eine Zeit verloren“ (1921, 81).
Hier wird ganz klar die psychologische Notbremse gezogen. Freud zeigt einmal mehr wie
schwer es dem bürgerlichen Wissenschafter fällt, von einer Grundkonzeption Abstand zu
nehmen, die die einzige Ursache für das theoretische Schlamassel ist. Weil das in etwas
abgewandelter Form auch für uns heute gilt, möchte ich die von McDougalls Ausführungen
ableitbare These besonders drastisch formulieren. Die Seelenlosigkeit des Massenmenschen hat ihre Wurzel darin, dass dessen „Seele“ in jener Sozialstruktur steckte, die man ihm
unter den Füßen weggezogen hatte. Genau diese Folgerung wollte Freud verhindern: „Ich
kann [...] nicht zugeben, dass eine solche Ausstattung der ‚Massenseele’ mit Organisation
eine Hypostasierung derselben, das heißt die Zuerkennung einer Unabhängigkeit von den
seelischen Vorgängen im Individuum bedeute“ (1921, 82). Diese Befürchtung ist jedoch nur
die Folge der eigenen Voraussetzung. Denn wer daran festhält, dass menschliches Fühlen,
Denken und Verhalten von einer „inneren“ Seele oder einem Geist gesteuert ist, der wird –
wie wir noch sehen werden – beim Versuch der Erklärung sehr vieler, wenn nicht der meisten menschlichen Phänomene zwangsläufig auf eine „Gruppenseele“ stoßen, die dann nur
mühsam und unter Verwendung von allerlei theoretischen Kunstgriffen wieder auf die „seelischen Vorgänge im Individuum“ herabgebrochen werden muss. Hier herrscht das, was ich
7
das Ichprinzip nenne. Jedes Phänomen, das sich in mentalen oder psychologischen Begriffen formulieren lässt, muss „psychisch“ und daher „innen“ sein.
Wir kommen damit zu einem ähnlichen Ergebnis wie schon bei der Untersuchung von
Maslows Bedürfnishierarchie. Die psychologische Argumentation ist nicht oder nur mittels ihr
inadäquater Konzepte wie dem der „Massenseele“ in der Lage, die soziale Dimension
menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns zu verstehen. Sie muss zur Erklärung kollektiven Fühlens, Denkens und Handelns auf eine Dimension verweisen, die ihr selbst nicht
zugänglich ist und in der Regel als „angeboren“ bezeichnet wird. Dennoch ist es den Massenpsychologen zu danken, dass sie diese kollektive Dimension des Menschlichen erkannt
und deren Bedeutung im alltäglichen Leben hervorgehoben haben. Ganz im Gegenteil zu
den modernen Sozialpsychologen, die sie chronisch ignorieren. Peter Hofstätter (1982) etwa
meinte: „Hätte Le Bon die Situationen genauer betrachtet, in denen aus mehreren Menschen
keine ‚psychologische Masse’ wird, wäre er wahrscheinlich zum Begründer der modernen
Gruppendynamik geworden“ (XXXII). Damit ist die Strategie der heutigen Sozialpsychologie
hinreichend beschrieben. Sie gewinnt ihre Erkenntnisse zum überwiegenden Teil aus Laborexperimenten mit Gruppen, die stets so konstruiert sind, dass „Massenphänomene“ weitgehend ausgeschlossen sind.6 Freilich kann die Sozialpsychologie nicht als einzige psychologische Teildisziplin dem Vorwurf ausgesetzt werden, wesentliche Aspekte der Massenpsychologie auszuklammern. Vielleicht ist sie ja nicht einmal vorrangig für „Massenphänomene“
zuständig. Wir haben nämlich mit unserer bisherigen Konzentration auf die Masse einen essentiellen Gesichtspunkt außer Acht gelassen. Wie ist es möglich, dass es den „Massenmenschen“ auch außerhalb der Masse gibt? Und wenn das so ist, warum wurde dann die
Masse zum primären Erklärungskriterium?
Ich habe eingangs schon angemerkt, dass die Massen des 19. Jahrhunderts im wesentlichen aus den Zuwanderern in die Großstädte bestanden7, die durch den Verlust der lokalen
Traditionen ihrer Herkunftsgebiete sowie deren Nichtzugehörigkeit zu den vorhandenen städtischen Gruppen charakterisiert werden können. Es sollte eigentlich auf der Hand liegen,
dass es sich bei einem Migrationsprozess dieser Größenordnung, der eine völlig neue Klasse von Menschen schafft, eine „Klasse ohne Eigenschaften“, um einen einzigartigen historischen Vorgang handelt. Nicht für die zeitgenössischen bürgerlichen Autoren.
6
Zwei rühmliche Ausnahmen seien allerdings erwähnt, die freilich seit 30 Jahren ohne Nachfolger sind: Philip
Zimbardo (1973) und Stanley Milgram (1974). Während Milgram in seinen früher weithin bekannten Experimenten die Herabsetzung der Persönlichkeit auf den Stand eines Agenten unter dem Einfluss von Autorität demonstrierte, zeigte Zimbardo die „Deindividuation“ (was einer „Vermassung“ gleichkommt) anhand eines Gefängnisexperiments auf, in dem brave Bürger als „Wärter“ und „Häftlinge“ dermaßen aufeinander losgingen,
dass Zimbardo das Experiment abbrechen musste.
7
Daneben gab es natürlich die zahlenmäßig nicht unwesentliche Masse der Industriearbeiter. Diese können aus
zwei Gründen hier unberücksichtigt bleiben. Erstens sind sie aufgrund der sich entwickelnden Arbeiterkultur
nicht als „Masse“ im hier diskutierten Sinne aufzufassen und zweitens waren sie infolge der vorrangigen Industrieansiedlung außerhalb der Großstädte für die Bürger um 1900 noch nicht als „Masse“ wahrnehmbar.
8
Le Bon hat die Vermassung der westeuropäischen Gesellschaften zwar durchaus als historische Erscheinung, als ein heraufziehendes „Zeitalter der Massen“ (1895, 1 ff.) beschrieben.
Der Massenmensch jedoch ist für ihn keineswegs, wie man vielleicht meinen möchte, eine
neuartige Erscheinung. Er setzt ihn vielmehr gleich mit den immer schon bestehenden
Volksmassen, dem „Pöbel“ der Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts. Neu ist nur dessen
politische Organisation, der Drang der Volksmassen zur politischen Macht, der eine Folge
der kommunistischen Agitation und des inneren Zerfalls der bürgerlichen Ordnung8 ist. Diese
Argumentation Le Bons ist mitnichten historisch.9 Er macht keinen Unterschied zwischen den
Massen seiner Zeit, den napoleonischen Volksmassen und den barbarischen Horden, die
das marode römische Reich zerstörten. Der Begriff „Masse“ bezeichnet dann weniger die
abstrakte soziologische Konstellation einer Massenansammlung als vielmehr eine Art Lebensform, die sich gegenüber der bürgerlichen (wie auch der aristokratischen) durch ihre
weitgehende Ungeregeltheit abgrenzt und sich auf der anderen Seite nur unscharf vom bürgerlichen Begriff des „Wilden“ oder „Primitiven“ abheben lässt.10 Dieser Blickwinkel verändert
völlig den Charakter der Massenpsychologie, die damit von einem Erklärungsversuch
menschlichen Fühlens, Denkens und Verhaltens im Rahmen von Massen(ansammlungen)
zu einer Psychologie des einfachen Volks, ja des menschlichen Primitivzustands überhaupt
gerät – wie mit Freuds „Urhorde“ ja bereits angedeutet.
Die unterschiedslose Verwendung des Massenbegriffs für die Volksmassen insgesamt und
die städtischen Massen des 19. Jahrhunderts im Besonderen verdeckt allerdings einige wesentliche Unterschiede. Die „Masse“ des Volks lebte in Le Bons Frankreich immer noch auf
dem Land, wo das Leben um die Dörfer zentriert war und kaum Ansatzpunkte für die Bildung
von Massen bot. Wenn sie doch auftraten, so handelte es sich durchwegs um vorübergehende Erscheinungen, deren Charakter voll und ganz McDougalls unstrukturierten Massen
entsprach, sich aber mit der Rückkehr in die traditionellen dörflichen Strukturen wieder verflüchtigte. Die neuen städtischen Massen hingegen waren nirgends zentriert, wiesen kaum
eines der Kriterien auf, die McDougall für organisierte Massen (groups) anführte. Sie sind es,
„In unseren Tagen geraten die Grundanschauungen, von denen unsere Väter lebten, immer mehr ins Wanken,
und gleichzeitig erweisen sich die Einrichtungen, die auf ihnen beruhen, als völlig erschüttert“ (1895, 38).
9
„Bisher bestand die Aufgabe der Massen offenbar in diesen großen Zerstörungen der alten Kulturen. Die Geschichte lehrt uns, dass in dem Augenblick, da die moralischen Kräfte, das Rüstzeug einer Gesellschaft, ihre
Herrschaft verloren haben, die letzte Auflösung von jenen unbewussten und rohen Massen, welche recht gut als
Barbaren gekennzeichnet werden, herbeigeführt wird“ (1895, 4). Le Bons Verständnis von Historie nimmt
Oswald Spenglers (1918/1922) organisch-zyklische Geschichtsauffassung vorweg, die mit ihrem Totalanspruch
weder die Geschichte der traditionellen Gesellschaften noch den radikalen Umbruch der Moderne erfassen will
und kann.
10
„Verschiedene besondere Eigenschaften der Massen, wie Triebhaftigkeit, Reizbarkeit, Unfähigkeit zum logischen Denken, Mangel an Urteil und kritischem Geist, Überschwang der Gefühle und noch andere sind bei Wesen einer niedrigeren Entwicklungsstufe, wie beim Wilden und beim Kind, ebenfalls zu beobachten.“ Eine nähere Ausführung dieser zentralen Parallele unterlässt Le Bon mit einer sonderbaren Begründung. „Sie wäre unnötig
für alle mit der Psychologie der Primitiven Vertrauten und für jene, die nichts von ihr wissen, ohne rechte Überzeugungskraft“ (1895, 19). Hier werde ich den Verdacht nicht los, dass Le Bon uns etwas verschweigt, was er
selbst sehr wohl wusste und was in diesem Zusammenhang auch wichtig und richtig wäre.
8
9
die das eigentliche Vorbild für den Massenbegriff abgeben und sie sind es auch, die nach Le
Bon „die Rückkehr zu jenen Zeiten verworrener Anarchie“ (4) einleiten sollen. Man könnte
sie eine permanente Masse ohne die Erfordernis ihrer physischen Ansammlung nennen. Le
Bon hat sie so beschrieben:
„Tausende von getrennten einzelnen können im gegebenen Augenblick unter dem Einfluss gewisser heftiger Gemütsbewegungen, etwa eines großen nationalen Ereignisses, die Kennzeichen einer psychologischen Masse annehmen. Irgendein Zufall, der sie vereinigt, genügt dann,
dass ihre Handlungen sogleich die besondere Form der Massenhandlungen annehmen“ (1895,
11).
Diese Form von Vermassung auf Distanz wird von den bisher dargestellten Erklärungsansätzen nicht einmal berührt. Allein McDougalls These könnte – in Verbindung mit Freuds umgewendeter Kritik – hier zumindest teilweise Abhilfe schaffen. Wie erinnerlich hat Freud die
fünf Kriterien einer organisierten Masse als „Eigenschaften [...], die für das Individuum charakteristisch waren“ interpretiert. Denn nur dieses hat „seine Kontinuität, sein Selbstbewusstsein, seine Traditionen und Gewohnheiten, seine besondere Arbeitsleistung und Einreihung
und hielt sich von anderen getrennt, mit denen es rivalisierte“ (1921, 81). Der einzig gangbare Weg zur Erklärung der Masse auf Distanz scheint mir nun der zu sein, den an ihr beteiligten Individuen genau diese Kriterien abzusprechen.
Es sei aber noch einmal daran erinnert, dass wir hier keine theoretische Ableitung der Eigenschaften einer Masse auf Distanz vornehmen, sondern die konkreten städtischen Massen des 19. Jahrhunderts empirisch hinsichtlich der Kriterien McDougalls und Freuds untersuchen. Dass die meisten vom Land kamen und ihnen der Zugang zu den städtischen sozialen Lebensformen zunächst (und noch für einige Zeit) verwehrt war, habe ich schon erwähnt.
Sie hatten keine „berufliche“ Ausbildung und waren der Schrift gar nicht oder nur sehr bedingt mächtig. Sie wurden vorwiegend für Hilfstätigkeiten aller Art eingesetzt und hatten daher weder eine dauerhafte Anstellung noch einen festen Wohnsitz. Diese Unstetigkeit des
Lebens erschwerte sowohl ein Familienleben als auch Freundschaften und andere dauerhafte soziale Beziehungen.
Wie ist nun die Kontinuität dieser Masse auf Distanz zu bewerten? Vom soziologischen
Standpunkt aus ist sie zweifellos objektiv gegeben. Solange sich die Massen nicht lokal vorhandenen Gruppierungen anschließen oder gar eigene Verbände begründen, gehören sie
kontinuierlich der „Klasse ohne Eigenschaften“ an. Freilich ist dies eine negativ definierte
Kontinuität, eine Kontinuität des Nicht-Etwas-Seins. Die Frage nach der Kontinuität der Individuen dieser Masse ist schwerer zu beantworten. Wiederum objektiv ist diese auf einer
elementaren Ebene, der des organischen Fortbestehens, ebenso gegeben wie vom rein for-
10
malen Gesichtspunkt aus. Inhaltlich ist diese Kontinuität aber der der Masse als Ganzes
gleichzusetzen, als Kontinuität eines nicht bestimmten, eigenschaftslosen Seins.11
McDougalls zweites Kriterium, das Bewusstsein des Einzelnen von Funktion und Sinn der
Masse und darauf aufbauend eine auch emotionale Identität mit ihr ist im hier untersuchten
Fall ganz sicher nicht erfüllt. Dasselbe gilt für das Selbstbewusstsein des Einzelnen. Unter
den genannten Lebensbedingungen fehlt jede nur mögliche Basis für ein Selbst, dessen man
sich bewusst sein kann. Man könnte sich freilich auch hier auf eine formale Bestimmung des
Selbst im Sinne einer logischen Selbstübereinstimmung (Ich bin Ich) zurückziehen. Diese
müsste dann aber mangels inhaltlicher Gründe als formale Bedingung der Möglichkeit von
Menschsein wieder einmal als angeboren vorausgesetzt werden. Was unter diesen Bedingungen hingegen sehr wohl auftrat, ja auftreten musste, war die Erfahrung des Nichtseins
(Ich bin nichts), die dann der Ausgangspunkt für Maslows „Bedürfnis“ nach Zugehörigkeit
und wie ich meine auch nach Sicherheit ist.
Das dritte Kriterium einer organisierten Gruppe, die rivalisierende Abgrenzung gegenüber
einer anderen, ihr ähnlichen Gruppe, war im ländlichen Ursprungsgebiet der städtischen
Massen mit der Konkurrenz zwischen Nachbardörfern zweifellos erfüllt, in der Stadt boten
sich aufgrund der Neuheit und Einzigartigkeit der undifferenzierten Masse gerade einmal
Ansätze dazu. Rivalität fand unter den geschilderten Bedingungen de facto in wechselnden
Gruppen und Banden statt, die Sicherheit und Zugehörigkeit boten, während individuelle Rivalität zwar vorkommen konnte, aufgrund der Unsicherheit der Verhältnisse aber kein dauerhaft individuelles Phänomen war, sondern innerhalb und zwischen den wechselnden Gruppen geregelt wurde.
Gemäß den beiden letzten Kriterien McDougalls für eine organisierte Masse müsste diese
Traditionen und Gebräuche sowie soziale Differenzierungen aufweisen, die das Verhalten
des Einzelnen steuern und ihm die Einnahme stabiler Positionen ermöglichen. Auch diese
Bedingungen waren in den Herkunftsgebieten der städtischen Massen gegeben, während
ihre neue Umgebung nur wenig davon und vor allem keine nachhaltige Sicherheit zu bieten
hatte. Eine Diskussion der beiden Kriterien auf individueller Ebene verbietet sich aufgrund
ihrer explizit sozialen Natur von vornherein. Wenn Freud meint, das Individuum hat seine
Traditionen und Gewohnheiten, dann verkennt er völlig den fundamentalen Unterschied zwischen den „verinnerlichten“ bürgerlichen Traditionen und Gewohnheiten (hier drängt sich das
Klischeebild vom behandschuhten, exakt um 17 Uhr Tee trinkenden Engländer mitten im
indischen Dschungel auf) und den nur durch Teilnahme an den sozialen Interaktionen „gelie11
Das mag sehr abstrakt klingen und ist es auch. Das liegt daran, dass die Bestimmung der Kontinuität eines
Individuums keine empirische sein kann sondern notwendig eine logische Operation ist. „Individuum“ heißt
übersetzt „das Unteilbare“. Und ein Unteilbares ist per se notwendigerweise kontinuierlich weil es ansonsten gar
nicht oder nicht mehr wäre. Das meinte ich mit formaler Kontinuität. Das, was uns eigentlich interessiert, die
Kontinuität eines spezifischen Individuums, ist abhängig vom zeitlichen Überdauern eines charakteristischen
Eigenschaftskomplexes. Und ein solcher ist nach den obigen Charakterisierungen für die fraglichen städtischen
Massen in ihrer Mehrheit zu bezweifeln.
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henen“ Traditionen und Gewohnheiten der streng lokal organisierten ländlichen Gemeinschaften.12
Wir kommen damit zu dem Schluss, dass das Urbild der Masse nur wenig mit physischen
Massenansammlungen zu tun hat, sondern ein beständiges Konglomerat vieler gleichartiger,
gleichsam eigenschaftsloser Individuen meint, das bereits eine Masse ist und eben deshalb
eine besondere Neigung zu Massenbildungen hat. Das heißt, dass nicht erst die Massenansammlung den Massenmenschen hervorbringt, sondern umgekehrt der Massenmensch, das
eigenschaftslose Wesen, die Massenbildung befördert. Damit sind jedoch noch längst nicht
alle Aspekte des Massenmenschen erklärt, sondern nur, um mit Freud zu sprechen, der
„Mangel an Selbständigkeit und Initiative beim Einzelnen, die Gleichartigkeit seiner Reaktion
mit der aller anderen, sein Herabsinken zu Massenindividuum sozusagen“.
„Aber die Masse zeigt, wenn wir sie als Ganzes ins Auge fassen, mehr; die Züge von Schwächung der intellektuellen Leistung, von Ungehemmtheit der Affektivität, die Unfähigkeit zur Mäßigung und zum Aufschub, die Neigung zur Überschreitung aller Schranken in der Gefühlsäußerung und zur vollen Abfuhr derselben in Handlung, dies [...] ergibt ein unverkennbares Bild
von Regression der seelischen Tätigkeit auf eine frühere Stufe, wie wir sie bei Wilden oder bei
Kindern zu finden nicht erstaunt sind“ (1921, 109).
Wenn wir die bisher angewandte Strategie auch auf diese Aspekte der Massen anlegen wollen, dann müssten wir folgern, die von Freud postulierte Regression sei bereits mit dem Eintritt in die Masse des städtischen Pöbels eingetreten. Wir müssten also nachweisen, dass
das eben dargelegte „Individuum ohne Eigenschaften“ durch den ersatzlosen Verlust seiner
es bis zur Übersiedlung in die Stadt tragenden Sozialstruktur auch eine Herabsetzung seiner
intellektuellen Fähigkeiten sowie seiner Affektkontrolle erlitt. Tatsächlich ist es aber ganz
anders.
„Der einfachste Vorfall, von der Masse gesehen, ist sofort ein entstelltes Geschehnis. Sie denkt
in Bildern, und das hervorgerufene Bild löst eine Folge anderer Bilder aus, ohne jeden logischen Zusammenhang mit dem ersten. [...] Die Vernunft beweist die Zusammenhanglosigkeit
dieser Bilder, aber die Masse beachtet sie nicht und vermengt die Zusätze ihrer entstellenden
Phantasie mit dem Ereignis. Die Masse ist unfähig, das Persönliche von dem sachlichen zu unterscheiden. Sie nimmt die Bilder, die in ihrem Bewusstsein auftauchen und sehr oft nur eine
entfernte Ähnlichkeit mit der bestehenden Tatsache haben, für Wirklichkeit“ (Le Bon 1895, 23).
Hier sind zwei Aspekte des „Denkens“ zu unterscheiden. Zum einen beschreibt Le Bon gewissermaßen den Modus des Denkens als einen „in Bildern“ anstatt in Begriffen. Und zum
anderen fehlt diesem „Denken“ offenbar die Reflexivität, die es erlauben würde, persönliches
von sachlichem, innen von außen zu unterscheiden. Ein anderer Autor beschreibt dasselbe
Phänomen 24 Jahre nach Le Bon durchaus ähnlich:
„Wie ist eigentlich die eigenartige Leichtfertigkeit aufzufassen, die sich in Oberflächlichkeit, Ungenauigkeit und Leichtgläubigkeit bei den Menschen [...] fortwährend offenbart? Oft scheint es,
Genau diesen Unterschied hat als erster der amerikanische Soziologe David Riesman (1950) als einen im „Sozialcharakter“ bestehenden identifiziert und demgemäss zwischen dem traditionsgeleiteten und dem innengeleiteten Sozialcharakter unterschieden. Eine psychologische Analyse dieses Unterschieds hatte Riesman zur Darstellung von dessen Auswirkung interessanterweise nicht nötig. Ich werde detailliert darauf zurückkommen
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als hätten sie nicht das geringste Bedürfnis nach wirklichen Gedanken, als böte ein bloßes Vorübergleiten flüchtiger Traumbilder ihrem Geist hinreichend Nahrung. [...]
Bei allen jedoch fasste – unter dem Einfluss der starken Leidenschaftlichkeit und der allzeit willigen Einbildungskraft – der Glaube an die Realität des Eingebildeten sehr leicht Fuß. Bei einer
Geisteshaltung, die so stark in isolierten Vorstellungen denkt, begründet die bloße Anwesenheit
einer Vorstellung im Geiste bereits die Vermutung ihrer Glaubwürdigkeit. Sobald eine Idee einmal unter Namen und Gestalt im Gehirn umgeht, ist sie gleichsam in das System moralischer
und religiöser Figuren aufgenommen und teilt unwillkürlich deren hohe Glaubwürdigkeit“ (1919,
344 f.).
Das Werk des holländischen Autors, dem dieses Zitat entnommen ist, machte zum Zeitpunkt
seines Erscheinens nicht minder Furore als Le Bons Buch und hatte auch eine vergleichbar
nachhaltige Wirkung. Beide Werke unterscheidet allerdings ein gewichtiges Faktum. Johan
Huizinga beschreibt in seinem „Herbst des Mittelalters“ das alltägliche Denken, Fühlen und
Verhalten der Menschen des 15. Jahrhunderts. Dass dieses in vielen Punkten auffallend
jenem der Massen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gleicht, muss auf den ersten Blick
äußerst befremdlich wirken.13 Da es sich bei diesem Zusammenhang um ein Geschehen
noch ungeahnter Tragweite handelt, werde ich der alten ländlichen Welt, dem Ursprungsort
der städtischen Massen, im nächsten Abschnitt ausreichend Raum geben und kann mich
hier kurz fassen. Freuds Vorstellung von einer „Regression der seelischen Tätigkeit auf eine
frühere Stufe“ muss nicht auf die „Wilden“ oder gar die „Urhorde“ zurückgreifen. Die alteuropäische, ländliche Volkskultur, die nach ethnologischen Kriterien durchaus einer „primitiven“
Gesellschaft entspricht, stand noch im 16. Jahrhundert in voller Blüte. Dies sowie Ihre brutale
Unterdrückung und teilweise Zerstörung durch den aufstrebenden absolutistischen Staat im
Jahrhundert zwischen 1650 und 1750 war – so unglaublich das klingen mag – bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend unbekannt. Nach der endgültigen Machtübernahme
des Bürgertums 1848 wurden diese Vorgänge wie auch die eigene, subtilere Politik gegenüber der Landbevölkerung durch die bürgerliche Geschichtsschreibung, wie es der französische Historiker Robert Muchembled (1978) treffend formuliert, „verdrängt“. Huizingas „Herbst
des Mittelalters“ wurde nicht zuletzt deshalb ein Klassiker, weil darin die „primitive“ Dimension der europäischen Seele erstmals seit François Rabelais wieder ein Sprachrohr fand.
Wenn Muchembled diese nahezu totale Verwischung der europäischen Wurzeln eine „erfolgreiche Verdrängung“ nennt, übersieht er freilich, dass eine Verdrängung im psychoanalytischen Sinn niemals erfolgreich sein kann.14 Und so sollte es denn nicht verwundern, wenn
Freud den „primitiven“ Denkmodus mit seiner unlogischen Aneinanderreihung von affektiv
besetzten Bildern als im Alltagsleben gerade seiner bürgerlichen Patienten höchst aktiven
Faktor registrierte, wenngleich natürlich „unbewusst“. Bei den nichtbürgerlichen Massen hingegen tritt er ganz offen zutage und muss daher sogleich der äußeren Bedingung der Mas-
13
Und doch werden wir genau hier den Schlüssel nicht nur zu den Problemen der Massenpsychologie sondern
zum Mysterium der Psychologie als solcher finden. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.
14
Muchembled hat zwar sehr wohl eine „Rückkehr des Verdrängten“ im Wiederaufleben der Volkskultur im 18.
Jahrhundert ausgemacht, sie aber dennoch im 19. Jahrhundert – wie ich meine zu Unrecht – für tot erklärt.
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senansammlung zugeordnet werden. Natürlich hat Freud diesen falschen Zusammenhang
durchschaut, konnte ihn aber – selbst der bürgerlichen „erfolgreichen Verdrängung“ unterliegend – nur möglichst weit weg von sich und seinesgleichen dingfest machen: am Anfang der
Zeiten, in der Urhorde.15
Ich habe an anderer Stelle mehrfach darauf hingewiesen, dass in der Lebenshilfeliteratur
nach Benjamin Spocks erstem Vorstoß und deutlich zunehmend seit den siebziger Jahren
eine biologisierende Argumentation die psychologische zu verdrängen scheint. Jetzt können
wir deutlicher sehen, dass dieser Prozess ältere Wurzeln hat. Er entspringt der Unfähigkeit
des individualistischen Ansatzes der klassischen Psychologie, Tragweite und Tiefe der
menschlichen Sozialität zu begreifen. Maslow hat vor dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit in
Form einer „zutiefst animalischen Neigung zu Herde und Meute“ psychologisch resigniert
und es als nicht weiter hintergehbaren, angeborenen „instinktoiden Trieb“ (1954, 113) erfasst. Doch bereits Le Bon und Freud haben erkannt, dass mit diesem „Bedürfnis“ psychologische Charakteristika einhergehen, die unmöglich mit dem individuellen Seelenleben vereinbar sind, ja sie haben gerade umgekehrt dessen Auflösung unter der Bedingung der
„Herde und Meute“ diagnostiziert. Und auch diese „Regression“ hat ihre Wurzel – notwendigerweise, wie ich zu zeigen versuchte – in einer angeborenen „Rassenseele“. Die Erklärung
menschlichen Sozialverhaltens auf der Basis eines Modells vom Urmenschen, wie sie heute
prominent durch die Literatur spukt und weithin Anerkennung genießt, ist hier im Prinzip
schon angelegt.16
Ich halte eine solche Erklärung aus zwei Gründen für inakzeptabel. Erstens weil sie, wie
schon mehrfach betont, keine ist. Das eigentlich zu Erklärende wird durch das UrmenschArgument in einen Phänomenbereich verschoben, der psychologischer Forschung prinzipiell
entzogen ist. Das heißt, zur Rettung der Theorie von der individuellen Einzelseele wird ein
Großteil des menschlichen Lebens der Soziobiologie zur Erklärung überantwortet.17 Der
zweite Grund ist, dass eine im ersten Schritt durchaus brauchbar erscheinende Alternativtheorie von vornherein und mit keiner oder nur fadenscheiniger Begründung vom Tisch gewischt wird. Ich habe, einer These von William McDougall folgend, vorgeschlagen, das in
15
Besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang ist Freuds Unvermögen, eine führerlose Masse zu begreifen.
„Das Rätsel des suggestiven Einflusses [der Masse] vergrößert sich für uns, wenn wir zugeben, dass ein solcher
nicht allein vom Führer, sondern auch von jedem einzelnen auf jeden Einzelnen geübt wird, und wir machen uns
den Vorwurf, dass wir die Beziehung zum Führer einseitig herausgehoben, den anderen Faktor der gegenseitigen
Suggestion aber ungebührlich zurückgedrängt haben“ (1921, 109 f.). Diese Ehrlichkeit Freuds, die fast allen
seinen Schriften eigen ist, adelt ihn als ernsthaften und selbstkritischen Forscher, zeigt aber eben auch, dass eine
Gruppenkohäsion ohne bürgerlich-patriarchalische Zentralfigur für ihn kaum vorstellbar ist.
16
Und das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest ein Mitgrund, warum Le Bons „Psychologie der Massen“
heute als pragmatischer Ratgeber von jenen gelesen wird, die sich einen distanziert-intellektualisierenden Zugang zum Problem der „Massen“ nicht leisten können und ansonsten keine Alternative haben.
17
Wir sollten uns daher nicht wundern, wenn diese Voraussetzung – die Aufrechterhaltung des Begriffs der
individuellen Seele – in den Ergebnissen der Soziobiologie als das „egoistische Gen“ (Dawkins 1976) wiederauftaucht. Das Ichprinzip ist kein ausschließlich psychologisches Prinzip, sondern ein tief in der Strukturen des
modernen Seinsmodus und daher auch der modernen Wissensformen verankertes logisches Prinzip.
14
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der direkten Nachbarschaft der Bürgerlichen zunehmend auftretendende „Massenverhalten“ durch den Verlust jener Gruppenstrukturen zu
erklären, die die städtischen Zuwanderer auf dem Land zurückließen. Dabei gilt es zwei Dinge in Augenschein zu nehmen. Zunächst ist zu versuchen, die Strukturen selbst darzustellen, um dann deren – wenn man so will – „psychologische“ Relevanz aufzuhellen.
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