1 Mathematische Modellierung und Grundlagen - KIT

Werbung
1 Mathematische Modellierung und Grundlagen
1.1 Grundlagen mathematischer Modellierung
Das Ziel der mathematischen Modellierung ist die verlässliche Vorhersage des Verhaltens zumeist naturwissenschaftlicher oder ökonomischer Systeme. Beispielsweise modellierte Galileo Galilei
1 im Jahre 1590 den
freien Fall eines Körpers aus einer zum Erdboden gemessenen Höhe
t
h. Er fand heraus, dass zum Zeitpunkt
die Höhe dieses Körpers durch die Formel
1
h(t) = h − gt2
2
beschrieben wird, wobei
m
g ≈ 9.81 sec
2
(1.1)
Abbildung 1: Galileo Galilei
der Fallbe-
schleunigung der Erde entspricht. Insbesondere ist die
Fallgeschwindigkeit nach diesem Modell unabhängig von der Masse des Körpers und kann
ungebegrenzt groÿ werden.
Die Vorgehensweise zur Aufstellung eines mathematischen Modells ist die folgende:
1. Aneignung der wissenschaftlichen Grundlagen durch
sungen sowie Studium früherer Ergebnisse.
Beobachtungen und Mes-
Hier: Beobachtung von Fallprozessen, Bestimmung von
2.
g.
Mathematische Modellierung durch Einführung mathematischer Variablen als
Platzhalter für relevante Gröÿen wie Zeit, Temperatur, elektrische Ladung, etc.
Hier: Höhe
3.
h(t),
Zeit
t
und Formel (1.1).
Mathematische Analyse, d.h. Bestimmung der Lösung des formulierten mathematischen Problems und/oder Herleiten von interessanten Eigenschaften.
Hier: Unbegrenzte Fallgeschwindigkeit, Unabhängigkeit der Formel von der Masse
und Form des fallenden Körpers, etc.
4.
Modellkritik durch Abgleich der Ergebnisse mit der Realität oder neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Hier: Abgleich der Messdaten von verschiedenen Fallobjekten mit (1.1).
In der Regel erweist sich aufgrund der Erkenntnisse aus Punkt 4 das Modell als verbesserungswürdig. Nach den Fallgesetzen Galileis besitzt ein Blatt Papier auf der Erde
1
Galileo Galilei (1564-1642), bedeutender italienischer Physiker mit Beiträgen u.a. in den Bereichen
Kinematik und Astronomie, Hauptwerk: Discorsi e dimostrazioni matematiche, intorno a due nuove
scienze.
1
dieselbe Fallzeit wie ein Betonklotz, was nicht den Beobachtungen des Alltags entspricht.
Darum muss das Modell auf den
nichtfreien Fall erweitert werden, d.h. zur Beschreibung
der allgemeinen Situation muss ein Korrekturterm zur Berücksichtigung von atmosphärebedingten Reibungseekten eingeführt werden.
kompliziertere Modellierung ist erforderlich
kompliziertere Gleichungen und Lösungsverfahren müssen entwickelt werden
Stimulation für mathematische Forschung
Gerade im Bereich der mathematischen Modellierung zeigt sich, dass die meisten alltäglichen Situationen zu kompliziert sind, um eine geschlossene Lösung angeben zu können;
kein Mathematiker könnte beispielsweise eine detaillierte verlässliche Vorhersage der zeitlichen Entwicklung der Temperaturverteilung auf dem Karlsruher Marktplatz abgeben.
Im Laufe dieses Kurses werden wir Modelle aus der Populationsdynamik untersuchen.
Sind diese Modelle wie in den ersten drei Vorlesungen
linear, so können wir die Lösungen
explizit bestimmen. Später werden wir Aussagen über Modelle herleiten, deren Lösung
wir nicht explizit bestimmen können, d.h. in diesem Fall steht uns keine Lösungsformel
zur Verfügung.
1.2 Wachstum einer Bakterienkultur
Unser erstes Ziel ist die Voraussage der Entwicklung einer Bakterienkultur in einer Petrischale oder konkret: Wie groÿ ist die Bakterienpopulation gemessen durch den von
Bakterien bevölkerten Flächeninhalt nach
t
Stunden?
Abbildung 2: Entwicklung einer Bakterienkultur
Beobachtungen und Messungen: Der Zuwachs einer ktiven Bakterienkultur in einer
Stunde ist proportional zu ihrem aktuellen Bestand.
2
Mathematische Modellierung: Wir verwenden die mathematischen Gröÿen:
t : Zeit
in (ganzen) Stunden,
Xt : Flächeninhalt
der Bakterienkultur nach
t
Stunden in
mm2 .
Xt+1 − Xt = rXt für eine gewisse Wachstumsrate r > 0.
r muss strikt positiv sein, da wir einen Zuwachs der Bakterienkultur beobachten.
zudem X0 > 0 gilt, erhalten wir
Die Beobachtungen liefern dann
Die Zahl
Da
X0 > 0,
Xt+1 = (1 + r)Xt
für alle
t ∈ N0 .
(1.2)
Mathematische Analyse: Wir erhalten aus (1.2)
X1 = (1 + r)X0 ,
X2 = (1 + r)X1 = (1 + r) · (1 + r)X0 = (1 + r)2 X0 ,
X3 = (1 + r)X2 = (1 + r) · (1 + r)2 X0 = (1 + r)3 X0 , . . .
Es folgt (ohne formalen Beweis durch vollständige Induktion):
Xt = (1 + r)t X0
für alle
t ∈ N0
Jetzt lassen sich weitere Fragen beantworten. Zum Beispiel:
Eine Bakterienkultur bedecke zu Beginn
10mm2 und habe die Wachstumsrate
r = 0.2. Zu welchem Zeitpunkt überdeckt die Population erstmals eine Fläche
von 50mm2 ?
t der bestimmende Zeitpunkt,
r = 0.2. Wir erhalten
Das mathematische Modell liefert die Antwort: Sei
Xt = 50.
Die Voraussetzungen liefern
X0 = 10
50 = Xt = (1 + r)t X0 = 1.2t · 10
und
d.h.
=⇒ 5 = 1.2t
=⇒
log(5) = log(1.2t ) = t · log(1.2)
log(5)
=⇒ t =
≈ 8.827.
log(1.2)
Graphisch lässt sich dies anhand des folgenden Schaubilds erkennen, wobei hier die diskreten Zustände bei
t = 0, 1, 2, . . .
durch Linien verbunden wurden:
3
50
10
1
5
Abbildung 3: Beispiel für
8.827
r = 0.2
und
X0 = 10
Modellkritik:
Das Modell ist sehr vereinfacht, z.B. würde eine solche Bakterienkultur binnen 10 Tagen
die gesamte Erdoberäche
(≈ 5.1108 km2 )
bedecken. Tatsächlich wird die Entwicklung
eher durch das folgende Schaubild beschrieben:
50
10
1
5
10
Abbildung 4: realistischeres Beispiel für
r = 0.2
und
X0 = 10
Das Modell müsste daher noch verbessert werden, um die Entwicklung über den Zeitpunkt
t = 10
hinaus korrekt zu schreiben. Dabei ist zu berücksichtigen:
1. Die Petrischale ist nicht unendlich groÿ, d.h. eine wachstumsbeschränkende Bedin-
2
gung muss in das Modell integriert werden .
2. Fehler durch Diskretisierung der Zeit (?)
3. Einussnehmende Faktoren wie Lichteinstrahlung, Feuchtigkeit, Temperatur etc.
werden nicht berücksichtigt.
2
Später werden wir sehen, welch verheerende Auswirkungen der begrenzende Faktor
Dynamik des Systems haben kann.
4
1 − Xt
auf die
1.3 Kaninchen-Population nach Fibonacci:
Das folgende Modell zur Beschreibung einer Kaninchenpopulation geht auf Leonardo von Pisa
3 zurück. Es beruht auf
den folgenden Annahmen:
1. Es gibt ein Kaninchenpaar zu Beginn.
2. Jedes Kaninchenpaar bringt ab dem zweiten Monat monatlich genau ein Paar zur Welt.
Die
Entwicklung
lässt
sich
folgendermaÿen
darstel-
Abbildung 5: Leonardo von Pisa
len:
5
4
fortpanzungsfähiges Kaninchenpaar
3
fortpanzungsunfähiges Kaninchenpaar
2
dasselbe Kaninchenpaar
1
Kanincheneltern-Kaninchenkinder
0
0
1
2
3
4
5
Abbildung 6: Schematische Veranschaulichung des Fibonacci-Modells
Wie
erhalten
1, 1, 2, 3, 5, . . .
somit
die
sogenannte
Fibonacci-Folge
und es drängt sich die Frage auf, wie diese Folge fortzusetzen ist.
Mathematische Modellierung:
t : Zeit
Xt : Ein
in (ganzen) Stunden,
Hundertstel der Anzahl der Kaninchenpaare nach
t
Monaten,
Wir möchten anhand der Annahmen den Generationswechsel von
Xt
X0 = 1
schreiben. Da alle Kaninchenpaare der Vorgeneration überleben, beschreibt
3
Xt+1 beXt+1 − Xt
nach
Leonardo von Pisa (ungefähr 1180- 1250), einer der herausragendsten Mathematiker des Mittelalters,
förderte die Verbreitung des arabischen Zahlensystems und hielt die Regeln der Arithmetik (Rechenregeln) in seinem Hauptwerk liber abbaci für die Nachwelt fest. Diesem Werk entstammt auch das
hier zitierte Modell der Kaninchen-Population.
5
die Anzahl der neugeborenen Kaninchenpaare ist. Aufgrund der zweiten Annahme bringen alle Kaninchenpaare, die 2 Monate alt oder älter sind - dies sind
Xt+1 − Xt = Xt−1
ein neues Kaninchenpaar zur Welt. Es folgt
Xt+1 = Xt + Xt−1
für alle
X0 = 1, X1 = 1
Mathematische Analyse:
X̃t = λt .
X̃t+1 = X̃t +X̃t−1
⇐⇒
für alle
t+1
λ
=λ +λ
t
λ =λ+1
⇐⇒
λ1,2 =
Xt+1 = Xt + Xt−1
Es gilt
t∈N
t−1
⇐⇒
Stück - genau
t∈N
Zur Lösung der Reskursionsgleichung
machen wir den folgenden Ansatz:
Xt−1
bzw.
für alle
2
t∈N
p
√
(−1)2 − 4 · 1(−1)
1± 5
=
2
2
1±
X̃t = λt1 als auch X̃t = λt2 Lösungen der Rekursionsgleichung. Dennoch
Lösungen des Problems wegen X̃1 6= 1. Darum betrachten wir
Somit sind sowohl
sind sie keine
Xt := aλt1 + bλt2 ,
Dann gilt immer noch
Xt+1 = Xt + Xt−1 ,
(a, b ∈ R).
denn
Xt+1 = aλt+1
+ bλt+1
2
1
· λ22
= aλ1t−1 · λ21 + bλt−1
2
· (λ2 + 1)
= aλ1t−1 · (λ1 + 1) + bλt−1
2
+ bλt2 + bλt−1
= aλt1 + aλt−1
2
1
+
bλt−1
= aλt1 + bλt2 + aλt−1
2
1
= Xt + Xt−1 .
Die zu erfüllenden Anfangsbedingungen
X0 = 1, X1 = 1
⇐⇒
⇐⇒
⇐⇒
X0 = 1
a + b = 1,
und
X1 = 1
bestimmen
a
und
aλ1 + bλ2 = 1
b = 1 − a,
aλ1 + (1 − a)λ2 = 1
√
√
1 − 1−2 5
1 − λ2
5+1
√
a=
=
= √ ,
2 5
λ1 − λ2
2 5
2
√
√
√
2 5
5+1
5−1
b=1−a= √ − √ = √ .
2 5
2 5
2 5
Ergebnis unserer Untersuchungen ist die sogenannte
6
b:
Formel von Binet
√
√
√
√
5 + 1 1 + 5 t
5 − 1 1 − 5 t
+ √ ·
Xt = √ ·
2
2
2 5
2 5
Modellkritik: Eine Auswahl an Kritikpunkten:
1. Die Population wächst über alle Maÿen.
2. Die Anzahl der Nachkommen ist deterministisch.
3. Das Sterben der Kaninchen wird nicht berücksichtigt.
4. Die Nachkommenschaft ist nur sehr vereinfacht durch Pärchen modellierbar.
1.4 Vollständige Induktion
Die vollständige Induktion ist eine Beweismethode, um eine für alle natürliche Zahlen
formulierte Aussage zu beweisen. Zum Beispiel:
•
Pn
i=1 (2i
− 1) = n2 ,
•
Für alle
n∈N
ist
d.h.
1 + 3 + 5 + . . . + (2n − 1) = n2
32n+4 − 2n−1
für alle
n ∈ N.
durch 7 teibar.
Um den Beweis zu erbringen, geht man folgendermaÿen vor:
1.
Induktionsanfang: Man zeigt die Behauptung für n = 1.
2.
Induktionsschritt:
n∈N
Man nimmt an, die Aussage sei für ein (nichtpräzisiertes)
wahr und zeigt davon ausgehend die Aussage für
n + 1.
Sind beide Schritte erfolgreich durchgeführt, so ist die Behauptung für alle natürlichen
Zahlen
n∈N
gezeigt.
Im ersten Beispiel verfährt man daher folgendermaÿen:
1.
Induktionsanfang: Für n = 1 beträgt die linke Seite 2 · 1 − 1 = 1 ebenso wie die
rechte Seite. Damit stimmt die Aussage für
erledigt.
7
n = 1
und der Induktionsanfang ist
2.
Induktionsschritt: Es gelte die Aussage für ein n ∈ N, d.h. es gelte
n2 . Dann gilt
n+1
X
n
X
i=1
i=1
(2i − 1) =
i=1 (2i−1)
Pn
=
(2i − 1) + 2(n + 1) − 1 = n2 + 2n + 1 = (n + 1)2
Folglich stimmt die Aussage für
n + 1.
Der Induktionsbeweis ist damit durchgeführt.
1.5 Grundbegrie der Analysis in R
Im letzten Kapitel haben wir die Objekte
(Xt )
oder
X0 , X1 , . . .
kennengelernt, die man
(Xt ) von Interesse,
X1 , X3 , X6 , X10 , X15 , . . .. Eine Folge (Xt ) heiÿt monoton
fallend bzw. monoton wachsend, falls Xt+1 ≤ Xt bzw. Xt+1 ≥ Xt für alle t ∈ N gilt. Eine
Folge (Xt ) heiÿt beschränkt, falls ein C > 0 existiert mit |Xt | ≤ C für alle t ∈ N0 .
als
Folgen bezeichnet. Manchmal sind auch sogenannte Teilfolgen von
etwa
X0 , X2 , X4 , X6 , . . .
oder
Die Denition des zentralen Begris der gesamten Analysis geht auf die Mathematiker
Weierstraÿ (1815-1897) und Cauchy (1789-1857) zurück:
Denition 1.1.
ein t0
Eine Folge (Xt ) heiÿt konvergent mit Grenzwert x, falls für alle ε > 0
∈ N existiert mit der Eigenschaft, dass für alle t ≥ t0 die Ungleichung |Xt −x| < ε.
(a)
Karl
Theodor
Wil-
(b) Augustin Louis Cauchy
helm Weierstraÿ
In diesem Fall schreibt man
1.
limt→∞ Xt = x
Xt = 1t . Wir zeigen limt→∞ Xt = 0.
Sei ε > 0. Dann existiert ein t0 ∈ N
oder auch
Xt → x.
t0 ≥ ε−1 . Es
1
1
|Xt − 0| = ≤
≤ ε.
t
t0
mit
8
Beispiele:
folgt für alle
t ≥ t0
2.
Xt = t32 − 1t + 1. Hier gilt limt→∞ Xt = 1.
−1 e (oder eine andere
Sei ε > 0, wähle t0 := d4ε
für alle t ≥ t0
|Xt − 1| = |
3.
Xt = κt
4.
Xt = (−1)t .
für
≥ 4ε−1 .
Dann gilt
3
1
3
1
3
1
3
1
+
≤ −1 + −1 = ε.
− |≤ 2 + ≤
2
t
t
t
t
t0 t0
4ε
4ε
κ ∈ (−1, 1).
Die Folge
natürliche Zahl
In diesem Fall gilt
(Xt )
limt→∞ Xt = 0.
konvergiert nicht.
Abbildung 7: Verlauf der obigen Folgen
(a)
(c)
Xt =
1
t
(b)
Xt = 0.8t
Xt =
(d)
3
t2
−
1
t
+1
Xt = (−1)t
Wir verwenden in diesem Kurs die folgenden Resultate:
Satz 1.2.
Sei
(Xt ) beschränkte und monoton wachsende bzw. monton fallende Folge.
(Xt ) gegen einen Grenzwert x ∈ R.
Dann konvergiert
Satz 1.3.
Sei f : R → R stetig und es gelte Xt+1 = f (Xt ) für alle t ∈ N0 . Ist die Folge
(Xt ) konvergent mit Grenzwert x ∈ R, dann gilt x = f (x).
9
2 Lineare Rekursionen 1./2. Ordnung mit konstanten
Koezienten
2.1 Denitionen
Bisher haben wir zwei mathematische Modelle kennengelernt, die durch Gleichungen der
Form
1.
Xt+1 = (1 + r)Xt
2.
Xt+1 = Xt + Xt−1
für alle
t ∈ N0
für alle
(Bakterienwachstum)
t ∈ N0
(Fibonacci-Folge)
beschrieben wurden. Die erste Gleichung ist ein Beispiel einer
ter Ordnung, da zur Berechnung der
(t + 1)-ten
Rekursionsgleichung ers-
Generation nur die Zustände der
t-ten
Generation benötigt werden. Rekursionsgleichungen erster Ordnung sind gegeben durch
Gleichungen der Form
4
Xt+1 = f (Xt )
für alle
t ∈ N0 .
Analog dazu bezeichnen wir die zweite Gleichung als
Rekursionsgleichung zweiter Ord-
nung, da die Zustände zweier vorheriger Generationen benötigt werden.
Xt+1 = f (Xt , Xt−1 )
Im Falle der Fibonacci-Folge:
für alle
t ∈ N.
f (Xt , Xt−1 ) = Xt + Xt−1 .
2.2 Die Rekursionsgleichung Xt+1 = aXt + b
Wir betrachten die Rekursionsgleichung
Xt+1 = aXt + b
für alle
Unser Ziel ist es, eine explizite Formel für
t ∈ N0 ,
wobei
X2 = aX1 + b
= a(aX0 + b) + b
= a2 X0 + (a + 1)b,
X3 = aX2 + b
= a a2 X0 + (a + 1)b + b
= a3 X0 + (a2 + a + 1)b.
Im oben genannten Beispiel:
(2.1)
Xt herzuleiten. Die ersten Folgeglieder lauten:
X1 = aX0 + b,
4
a, b ∈ R.
f (Xt ) = (1 + r)Xt
mit
10
r > 0.
Satz 2.1.
Sei
(Xt ) Lösung der Rekursionsgleichung
Beweis:
Wir zeigen zunächst
(2.1).
Falls
a 6= 1 :
Xt = at X0 + b
Falls
a=1:
Xt = X0 + bt
Xt = at X0 + b
Pt−1
i=0
Dann gilt:
1 − at
,
1−a
ai . Auf dem Übungsblatt wird gezeigt, dass das
die Behauptung impliziert.
Induktionsanfang: Zeige die Behauptung für
r.S.
= a1 X0 + b
t = 1!
0
X
ai = aX0 + b,
i=0
l.S.
= X1 = aX0 + b,
also stimmt die Behauptung für
t = 1.
Induktionsschritt: Wir nehmen an, die Aussage gelte für ein
t ∈ N.
Dann:
Xt+1 = aXt + b
= a · a X0 + b
t
= at+1 X0 + b
= at+1 X0 + b
t−1
X
ai + b
i=0
t−1
X
i=0
t
X
ai+1 + b
ai + b
i=1
= at+1 X0 + b
t
X
ai
i=0
Folglich gilt die Behauptung für
Bemerkung: Im Folgenden sei
t+1
der Induktionsbeweis ist vollbracht.
00 := 1.
2.3 Die Rekursionsgleichung Xt+1 = a1 Xt + a2 Xt−1
Die Rekursionsgleichung
Xt+1 = a1 Xt + a2 Xt−1 ist eine Verallgemeinerung der im
Xt+1 = Xt + Xt−1 . Dort waren wir mit dem
Fibonacci-Modell auftretenden Gleichung
Ansatz
Xt = aλt1 + bλt2
Sinne beweisen, dass
erfolgreich. Wir werden nun in einem mathematisch strikten
alle Lösungen solcher Rekursionsgleichungen dieser Form sind:
11
Satz 2.2.
λ1 6= λ2 reelle Nullstellen des Polynoms P (x) = x2 − a1 x − a2 und sei
(Xt ) Lösung der Rekursionsgleichung Xt+1 = a1 Xt + a2 Xt−1 . Dann gilt
Seien
Xt =
Beweis:
Sei
(Xt )
eine Lösung und
λ2 X0 − X1 t −λ1 X0 + X1 t
λ +
λ2 .
λ2 − λ1 1
λ2 − λ1
Yt := Xt − Zt
Zt :=
für
λ2 X0 − X1 t −λ1 X0 + X1 t
λ1 +
λ2 .
λ −λ
λ −λ
| 2 {z 1 }
| 2 {z 1 }
=:c1
Wir wollen zeigen
a2 Xt−1 ,
Xt = Zt ,
d.h.
Yt = 0.
(2.2)
=:c1
Per Voraussetzung wissen wir
Xt+1 = a1 Xt +
also
Yt+1 = Xt+1 − Zt+1
= a1 Xt + a2 Xt−1 − (c1 λt+1
+ c2 λt+1
1
2 )
= a1 Xt + a2 Xt−1 − a1 · (c1 λt1 + c2 λt2 ) + a2 · (c1 λt−1
+ c2 λt−1
1
2 )
= a1 Xt + a2 Xt−1 − a1 Zt + a2 Zt−1
= a1 Yt + a2 Yt−1 .
Ferner gilt
λ2 X0 − X1 −λ1 X0 + X1 +
=0
λ2 − λ1
λ2 − λ1
λ2 X0 − X1
−λ1 X0 + X1 Y1 = X1 − Z1 = X1 −
λ1 +
λ2 = 0.
λ2 − λ1
λ2 − λ1
Y0 = X0 − Z0 = X0 −
Ein Induktionsbeweis liefert
Yt = 0
für alle
Behauptung.
t ∈ N0 .
Somit folgt
Xt = Zt
und damit die
Frage: Wie sieht es in den Fällen aus, wo das Polynom zweiten Grades P
nur reelle Null-
stelle oder überhaupt keine reellen Nullstellen besitzt? Den Fall genau einer Nullstelle,
also
(a1 )2 + 4a2 = 0,
Satz 2.3.
lösen wir auf dem Übungsblatt:
λ ∈ R gegeben mit P (x) = x2 − a1 x − a2 = (x − λ)2 , sei (Xt ) Lösung der
Rekursionsgleichung Xt+1 = a1 Xt + a2 Xt−1 . Dann gilt
Sei
Beweis:
Xt = tλt−1 X1 + λt (1 − t)X0 .
Siehe Übungsblatt 2.
Falls
P
keine reellen Nullstellen besitzt, müssen wir auf
ein ähnliches Resultat zu bekommen.
12
komplexe Zahlen ausweichen, um
2.3.1 Komplexe Zahlen
Die komplexen Zahlen
a + ib mit a, b ∈ R wurden bereits im 16. Jahrhundert von Mathe-
matikern zur Lösung polynomieller Gleichungen verwendet. Es gelten dieselben Rechenregeln wie für reelle Zahlen:
1. Kommutativgesetz:
2. Assoziativgesetz:
bzw.
z1 + z 2 = z 2 + z1
z1 · (z2 · z3 ) = (z1 · z2 ) · z3
bzw.
z1 · (z2 + z3 ) = z1 · z2 + z1 · z3
3. Distributivgesetz:
Die imaginäre Zahl
z1 · z 2 = z 2 · z1
i ist
z1 + (z2 + z3 ) = (z1 + z2 ) + z3
bzw.
vage formuliert eine Zahl mit
Sicht ist dies allerdings zu unpräzise.
Denition 2.4.
(z1 + z2 ) · z3 = z1 · z3 + z2 · z3 .
i2 = −1 . Aus mathematischer
z ist ein Paar (a, b) reeller Zahlen a, b ∈ R, wir
schreiben z = a + ib. Die Menge der komplexen Zahlen bezeichnet man mit C.
Eine komplexe Zahl
Die komplexe Zahl
i
entspricht daher dem Zahlenpaar
5
komplexe Zahlen lauten :
2. Subtraktion:
(a1 + ib1 ) − (a2 + ib2 ) := (a1 − a2 ) + i(b1 − b2 )
3. Multiplikation:
Die Beziehung
i2 = −1
Die Rechenoperationen für
(a1 + ib1 ) + (a2 + ib2 ) := (a1 + a2 ) + i(b1 + b2 )
1. Addition:
4. Division:
(0, 1).
(a1 +ib1 )·(a2 +ib2 ) := (a1 a2 −b1 b2 )+i(a1 b2 +b1 a2 )
a1 +ib1
a2 +ib2
:=
a1 a2 +b1 b2
a22 +b22
+b1 a2
+ i −a1ab22+b
2
2
2
folgt dann aus
i = (0 + i · 1) · (0 + i · 1) = (0 · 0 − 1 · 1) + i(0 · 1 + 1 · 0) = −1.
2
Eine reelle Zahl
a ∈ R
kann als komplexe Zahl
a + i · 0 = (a, 0)
betrachtet werden.
Man visualisiert die komplexen Zahlen durch Erweiterung der Zahlengerade zu einer
Zahlenebene:
Satz 2.5.
λ1 6= λ2 ∈ C komplexe Nullstellen des reellen Polynoms P (x) = x2 −
a1 x − a2 und sei (Xt ) Lösung der Rekursionsgleichung Xt+1 = a1 Xt + a2 Xt−1 . Dann gilt6
Seien
Xt =
5
6
λ2 X0 − X1 t −λ1 X0 + X1 t
λ +
λ2 .
λ2 − λ1 1
λ2 − λ1
Wichtig: Diese Operationen müssen deniert werden und sind nicht oensichtlich.
Besonders interessant ist, dass diese Formel trotz der komplexen Zahlen
ergibt, denn
X0 , X1
sind reell und wegen
Xt+1 = a1 Xt + a2 Xt−1
13
λ1 , λ2 eine reelle Zahl Xt
X2 , X3 , . . . reelle Zahlen.
sind auch
Beweis:
Der Beweis ist identisch zu dem von Satz 2.2.
2
1 + 2i
3+i
1
−3
−2
1
−1
−1
−2 − 1.5i
2
3
−2
Abbildung 8: komplexe Zahlenebene
2.4 Übung
Lösen Sie die folgenden Gleichungen mit Hilfe der Mitternachtsformel in den komplexen
Zahlen:
i)
x2 = −1
ii)
x2 = −10
iii)
x2 + x + 1 = 0
Bestimmen Sie alle Lösungen der Rekursionsgleichung
Xt+1 = −Xt − Xt−1 .
Lösung:
i)
√
ii) x = ± 10i
x = ±i
√
1
3
i
iii) x = − ±
2
2
Zur Lösung der Rekursionsgleichung sind die Nullstellen des Polynoms
P (x) = x2 + x + 1
zu bestimmen. Nach Satz 2.5 lautet die Lösung
Xt =
(− 21 − i
√
3
)X0
2√
−i 3
− X1
√
√
√
1
3 t ( 21 − i 23 )X0 + X1
1
3 t
√
i +
i .
· − +
· − −
2
2
2
2
−i 3
14
3 Lineare Rekursionen in 2 Dimensionen
Wir nennen eine Gleichung der Form
Xt+1 = f1 (Xt , Yt )
Yt+1 = f2 (Xt , Yt )
eine zweidimensionale Rekursion erster Ordnung, da hier die Entwicklung zweier sich
gegenseitig beeinussender Variablen
Xt
und
Yt
untersucht werden und nur die Zustände
der unmittelbaren Vorgängergeneration zur Bestimmung von
Xt+1
und
Yt+1
benötigt
werden. Im Spezialfall einer sogenannten linearen Rekursion
Xt+1 = α1 Xt + α2 Yt
(3.1)
Yt+1 = β1 Xt + β2 Yt
können wir den in der letzten Vorlesung studierten Ansatz vom Eindimensionalen ins
7
Zweidimensionale übertragen :
Xt
Yt
a1
=
λt ,
a2
d.h.
Xt = a1 λt , Yt = a2 λt
für
a1 , a2 , λ ∈ R.
Verwenden wir nun diesen Ansatz (3.2) zur Lösung von (3.1), so muss für alle
gelten:
(3.2)
t ∈ N0
a1 λt+1 = Xt+1 = α1 Xt + α2 Yt
= α1 · a1 λt + α2 · a2 λt
= α1 a1 + α2 a2 λ t ,
(3.3)
a2 λt+1 = Yt+1 = β1 Xt + β2 Yt
= β1 · a1 λt + β2 · a2 λt
= β1 a1 + β2 a2 λt .
(3.4)
Die Gleichungen (3.3), (3.4) sind äquivalent zu
α1 α2
a1
α1 a1 + α2 a2
λa1
a
·
:=
=
=: λ · 1
β1 β2
a2
β1 a1 + β2 a2
λa2
a2
Dies ist ein sogenanntes
Eigenwertproblem.
Das Eigenwertproblem ist das zentrale Problem der linearen Algebra, welches in den
ersten Semestern eines Mathematik-nahen Studiums ausführlich behandelt wird. Wegbereiter der modernen Eigenwerttheorie, die Anwendung in vielen Gebieten der Mathematik
7
Tatsächlich ist dieser Ansatz auf beliebig endlich viele Dimensionen übertragbar, sobald die im Folgenden studierten Konzepte der Eigenwerte und Eigenvektoren im Mehrdimensionalen deniert worden
sind. Dies ist Gegenstand einer einführenden Mathematik-Vorlesung an der Universität.
15
und in den Naturwissenschaften ndet war der deutsche Mathematiker
David Hilbert8 ,
auf den auch folgendes Zitat zurückgeht:
"Denn im Allgemeinen erfreut sich die Mathematik, wenn auch ihre Bedeutung anerkannt wird, keiner Beliebtheit. Das liegt an der verbreiteten Vorstellung, Mathematik sei eine Fortsetzung oder Steigerung der Rechenkunst."
α1 α2
a1
0
eine Matrix. Ein Vektor
6=
heiÿt Eiβ1 β2
a2
0
genvektor der Matrix zum Eigenwert λ ∈ R, falls gilt
α1 a1 + α2 a2
a
A · v = λ · v, d.h
=λ· 1 .
β1 a1 + β2 a2
a2
Denition 3.1.
A :=
Sei
Haben wir alle Eigenwerte und Eigenvektoren bestimmt, so besteht die Honung, dass wir wie in
der letzten Vorlesung eine allgemeine Lösungsformel angeben können. Die Bestimmung von Eigenwerten und Eigenvektoren erfolgt über die Lösung
eines linearen Gleichungssystems:
⇐⇒
a1
α1 a1 + α2 a2
λ·
=
a2
β1 a1 + β2 a2
(
0 = (α1 − λ)a1 + α2 a2
0 = β1 a1 + (β2 − λ)a2
Beachte: Oft gibt es genau zwei unterschiedliche
Eigenwerte, aber die zugehörigen Eigenvektoren
sind nur bis auf skalare Vielfache eindeutig be-
1
Eigenvektor, so
−2
√ 2
√
. Es genügt, zu
−2 2
Abbildung 9: David Hilbert
stimmt: Ist der Vektor
auch jedes Vielfache von ihm, also auch
6
−2
,
−12
4
beiden Eigenwerten jeweils einen Eigen-
oder
vektor zu bestimmen.
3.1 Übung
1. Zeigen Sie, dass die Vektoren
−3
1
,
1
2
Eigenvektoren der Matrix
1 3
2 6
sind.
Wie lauten die jeweiligen Eigenwerte?
8
David Hilbert (1862-1943), einer der bedeutendsten Mathematiker mit Verdiensten in den Bereichen
Zahlentheorie, Klassische Geometrie, Algebraische Geometrie, Logik, Mathematische Physik, Allgemeine Relativitätstheorie, etc. . Die mathematischen Leistungen dieses Mannes ist nicht zu unterschätzen!
16
Lösung: Es gilt
1
2
1
2
3
6
−3
1 · (−3) + 3 · 1
0
−3
=
=
=0·
,
1
2 · (−3) + 6 · 1
0
1
3
1
1·1+3·2
7
1
=
=
=7·
.
6
2
2·1+6·2
14
2
2. Bestimmen Sie die Eigenwerte und jeweils einen Eigenvektor der Matrix
5 −1
.
3 1
Lösung: Das zu lösende Gleichungssystem für a1 , a2 , λ lautet
(
0 = (5 − λ)a1 − a2
0 = 3a1 + (1 − λ)a2
(
0
0
(
0
0
=⇒
=⇒
Da wir die Situation
erhalten für
λ
a1 = a2 = 0
Für
λ1 = 2
λ1
= (5 − λ) · a1 − a2
= λ2 − 6λ + 8 · a1
vermeiden wollen, nehmen wir
folgende Werte
λ=
sprich
= (5 − λ) · a1 − a2
= (5 − λ)(1 − λ) + 3 · a1 + 0 · a2
und
6±
√
an und
36 − 4 · 8
= 3 ± 1,
2
λ2 = 4.
erhalten wir aus der ersten Gleichung die Bedingung
hingegen
a1 6= 0
0 = a1 − a2
und es gilt:
Eigenwert
λ1 = 2,
Eigenvektor
Eigenwert
λ2 = 4,
Eigenvektor
0 = 3a1 − a2 ,
für
1
,
3
1
.
1
3. Bestimmen Sie die Eigenwerte und jeweils einen Eigenvektor der Matrix
2 3
.
4 1
Lösung: Das zu lösende Gleichungssystem für a1 , a2 , λ lautet
(
0 = (2 − λ)a1 + 3a2
0 = 4a1 + (1 − λ)a2
=⇒
=⇒
(
0
0
(
0
0
17
λ2
= (2 − λ) · a1 + 3a2
= (2 − λ) · λ−1
3 + 4 · a1 + 0 · a2
= (2 − λ) · a1 + 3a2
= (−λ2 + 3λ + 10) · a1
Wieder verlangen wir
a1 6= 0
und erhalten
λ=
λ1 = 5
sprich
Für
λ1
und
−3 ±
λ2 = −2.
erhalten wir die Bedingung
√
9 + 40
3±7
=
,
−2
2
0 = −3a1 + 3a2 ,
Eigenwert
λ1 = 5,
Eigenwert
λ2 = −2,
λ2 0 = 4a1 + 3a2 .
1
Eigenvektor
1
3
Eigenvektor
−4
für
Somit:
3.2 Fortsetzung
Analog zu Satz 2.2 erhalten wir, dass die allgemeine Lösung eine Linearkombination der
oben beschriebenen Eigenvektor-Lösungen ist.
Satz 3.2.
λ1 6= λ2 komplexe Eigenwerte9 der Matrix A :=
a1
b
vektoren
, 1 . Dann ist die Lösung der Rekursion
a2
b2
Seien
α1 α2
mit Eigenβ1 β2
α1 α2
Xt
Xt+1
=
·
Yt+1
β1 β2
Yt
gegeben durch
−a2 X0 + Y0 a1 t b1
b2 X0 − Y0 b1 t a1
Xt
·λ
·λ2
+
.
=
b2
Yt
a1 b2 − b1 a2 1 a2
a1 b2 − b1 a2
|
{z
}
|
{z
}
=:c1
=:c2
Beweis:
Seien
Wir wollen
9
Xt0
Yt0
:= c1 ·
0
Zt =
0
λt1
a1
t b1
+ c2 · λ2
,
a2
b2
für alle
t ∈ N0
Zt :=
Xt
Yt
Xt0
.
−
Yt0
zeigen.
Eine 2x2-Matrix besitzt maximal 2 Eigenwerte, kann aber auch nur einen oder gar keinen (reellen)
Eigenwert besitzen!
18
Es gilt:
0 Xt+1
−
0
Yt+1
α2
Xt
t+1 a1
t+1 b1
·
− c1 λ1
+ c2 λ2
β2
Yt
a2
b2
b
a
α2
Xt
·
− c1 λt1 · λ1 1 + c2 λt2 · λ2 1
b2
a2
β2
Yt
α2
Xt
α1 α2
a1
α1 α2
b1
t
t
·
− c1 λ1 ·
+ c2 λ2 ·
β2
Yt
β1 β2
a2
β1 β2
b2
Xt
a
b
α2
− (c1 · λt1 1 + c2 · λt2 1 )
·
Yt
a2
b2
β2
0 Xt
Xt
α2
−
·
Yt
Yt0
β2
α2
Zt .
β2
Zt+1 =
Xt+1
Yt+1
=
α1
β1
=
α1
β1
=
α1
β1
=
α1
β1
α1
=
β1
α1
=
β1
0
Ferner X0
t ∈ N0
=
0, Y00
= 0,
und wir erhalten
Bemerkung:
d.h.
Z0 = 0 .
Vollständige Induktion liefert
Xt = Xt0 , Yt = Yt0
für alle
t ∈ N0 ,
0
Zt =
0
was zu zeigen war.
für alle
Die Tatsache, dass wir wie bei den eindimensionalen Rekursionen 2.Ord-
nung die Existenz
unterschiedlicher Eigenwerte/Nullstellen verlangen, verdeutlicht die
strukturellen Gemeinsamkeiten der beiden Objekte. In der Tat ist jede Dierenzengleichung 2.Ordnung in einer Dimension
Yt := Xt−1
Xt+1 = f (Xt , Xt−1 )
mittels der Transformation
äquivalent zu einem System erster Ordnung in 2 Dimensionen:
f (Xt , Yt )
Xt+1
.
=
Xt
Yt+1
3.3 Übung
Bestimmen Sie die allgemeine Lösung der Dierenzengleichung von
Xt+1
Yt+1
2 4
Xt
=
.
1 2
Yt
Wie lautet die Lösung dieser Gleichung mit der Eigenschaft
19
X0 = 1, X2 = 16?
Lösung: Zunächst sind Eigenwerte und zugehörige Eigenvektoren zu bestimmen:
(
0 = (2 − λ)a1 + 4a2
0 = a1 + (2 − λ)a2
=⇒
=⇒
Wir verlangen
Für
λ1
a2 6= 0
und erhalten
erhalten wir die Bedingung
Vektoren Eigenvektoren:
(
0
0
(
0
0
λ1 = 0
= 0 · a1 + (λ − 2)(2 − λ) + 4) · a2
= a1 + (2 − λ)a2
= (−λ2 + 4λ) · a2
= a1 + (2 − λ)a2
und
λ2 = 4.
0 = a1 + 2a2 , für λ2 0 = a1 − 2a2 . Daher sind folgende
Eigenwert
λ1 = 0,
Eigenvektor
Eigenwert
λ2 = 4,
Eigenvektor
−2
1
2
1
00 = 1 )
Xt
t 2
t −2
+ c2 · 4
= c1 · 0
1
Yt
1
Die Lösungen sind somit gegeben durch (hier
Die Anfangsbedingung
X0 = 1
und
X2 = 2
liefern
1 = X0 = c1 · (−2) + c2 · 2 = −2c1 + 2c2
16 = X2 = c1 · 02 · (−2) + c2 · 42 · 2 = 32c2
Die einzige Lösung dieses Systems ist oenbar
c1 = 0, c2 =
1
2 und es folgt
1 t 2
1
Xt
t
= ·4
=4 · 1 .
Yt
1
2
2
20
4 Nichlineare mehrdimensionale Modelle in der
Populationsdynamik
Wir kommen nun zur Analyse zweier nichtlinearer mehrdimensionaler Modelle, deren
Lösung man nicht wie im linearen Fall explizit angeben kann. Die mathematische Situation, eine Analyse eines Problems ohne explizite Lösungsformel durchzuführen, entspricht
wohlgemerkt dem
mathematischen Alltag; die geschlossene Lösbarkeit eines Problems10
ist eine Seltenheit und auf Spezialfälle wie etwa die bereits studierten linearen Modelle
beschränkt. Im Folgenden zeigen wir, wie man ohne Lösungsformeln Eigenschaften des
Systems beweisen kann (Grenzwerte, oszillierendes Verhalten oder ähnliches).
Wir betrachten 2 Modelle aus der Populationsdynamik:
1.
Epidemiologie:
Wie lässt sich die Ausbreitung einer Krankheit innerhalb einer
gegebenen Population modellieren?
2.
Panzen-Schädlings-Modell:
Wie entwickeln sich die Populationen einer Pan-
ze (Wirt) und eines Schädlings in Abhängigkeit voneinander?
4.1 Epidemiologie: Das diskrete Kermack-McKendrick-Modell
Modellierung:
Wir betrachten die zeitliche Entwicklung dreier Subpopulationen
konstanten Gesamtpopulation
Xt : gesunde
Yt : inzierte
11
Xt + Yt + Zt = 1:
Xt , Yt , Zt
einer zeitlich
Population ohne bisherigen Kontakt zur Krankheit
Population
Zt : Restpopulation
= genesene Population + verstorbene Population
Trotz der biologisch wichtigen Unterscheidung zwischen genesener und verstorbene Population ist es
aus mathematischer Sicht sinnvoll, diese beiden Populationen zusammen-
zufassen, da beide auf die Entwicklung von
Xt , Yt
keine Auswirkung haben, d.h. wir
betrachten nur Epidemien ohne Reinfektionen.
Wir fordern von einem sinnvollen Modell:
• 0 ≤ Xt , Yt , Zt ≤ 1; Xt + Yt + Zt = 1; X0 , Y0 > 0, Z0 = 0
10
11
Hierunter versteht man das Aunden einer Lösungsformel, die sämtliche relevante Information enthält.
Hier steht die Zahl 1 für eine Einheit, etwa die 81,2 Mio. Menschen in Deutschland.
21
•
Die Entwicklung der
Xt
•
Die Entwicklung der
Zt
•
Ist
Xt , Yt
•
Ist
Xt
und
Yt
hängt nicht von
hängt direkt nur von
Yt
Zt
ab.
ab, da der Übergang von gesund
zu genesen bzw. tot über eine Infektion führen muss.
groÿ, so auch
Yt+1 .
klein, so ist die Zunahme der Inzierten
Yt+1 − Yt
klein.
?
Der Vorschlag von de Hoog, Gani, Gates [ ] basierend auf dem Kermack-McKendrick-
?
Modell [ ] lautet:
Xt+1 = (1 − βYt )Xt
Yt+1 = (1 − γ + βXt )Yt
(4.1)
Zt+1 = Zt + γYt
für
t∈N
Der Parameter
β
und
X0 , Y0 > 0, Z0 = 0, X0 + Y0 = 1
entspricht hierbei einer Infektionsrate,
sowie
γ
0 < β, γ < 1.
entspricht einer Heilungs-
bzw. Mortalitätsrate.
Abbildung 10:
X0 /Y0 /Z0 = 0.99/0.01/0;
(a)
Entwicklung von
β = 0.4, γ = 0.2
Xt /Yt /Zt
(b)
in den Farben blau/grün/rot
β = 0.9, γ = 0.2
Weitere Simulationen bringen uns zu den folgenden Vermutungen:
1.
Xt
ist monoton fallend.
2.
Zt
ist monoton steigend.
3. Alle Gröÿen konvergieren.
22
Analyse:
12 zeigt, dass ein Konvergenzbeweis nicht immer unmittelbar
Die folgende Proposition
ersichtlich ist. Wir benötigen zunächst eine gewisse Vorabinformation über die
unter anderem die Monotonie von
Proposition 4.1.
Beweis:
Für
Xt
und
Xt , Yt , Zt wie in
Der Induktionsbeginn für
t = 0
Zt .
(4.1)
t ∈ N0 gilt Xt + Yt + Zt = 1.
und
X0 + Y0 + Z0 = X0 + Y0 = 1
ergibt sich aus
Voraussetzung. Ist die Behauptung für ein
Xt , Yt , Zt ,
t ∈ N0
per
gezeigt, so folgt
Xt+1 + Yt+1 + Zt+1 = (1 − βYt )Xt + (1 − γ + βXt )Yt + (Zt + γYt )
= Xt + (1 − γ)Yt + Zt + γYt
= Xt + Yt + Zt
= 1.
Proposition 4.2.
a)
Für
Xt , Yt , Zt wie in
0 < Xt+1 < Xt < 1
Beweis:
Induktionsbeginn (t
= 0):
und
b)
a) folgt aus
(4.1)
t ∈ N0 gilt
und
0 ≤ Zt < Zt+1 < 1
0 < X0 < 1
und
c)
0 < Yt+1 < 1
(per Voraussetzung) und
X1 = (1 − βY0 )X0 < X0 ,
X1 = (1 − βY0 )X0 > (1 − β)X0 > 0.
Die Aussage b) gilt wegen
Z0 = 0
und
Z1 = Z0 + γY0 > Z0 ,
Z1 = Z0 + γY0 = γY0 < γ < 1.
Die Aussage c) ergibt sich aus
Y1 = 1 − X1 − Z1 < 1 − 0 − 0 = 1,
Y1 = 1 − γ + βX0 Y0 > (1 − γ)Y0 > 0.
Induktionsschritt: Seien nun a),b),c) für ein
t ∈ N0
bewiesen. Dann gilt
c)
Xt+2 = (1 − βYt+1 )Xt+1 < Xt+1
c)
12
a)
Xt+2 = (1 − βYt+1 )Xt+1 > (1 − β)Xt > 0
Eine Proposition ist in der Regel eine Hilfsaussage, die für den Beweis eines darauf folgenden Satzes
benötigt wird. Oftmals lagert man Rechnungen oder technische Aussagen in Propositionen aus, um
sich im Beweis des Satzes nicht in Einzelheiten zu verlieren.
23
und es folgt a). Die Aussage b) folgt aus
c).
Zt+2 = Zt+1 + γYt+1 > Zt+1 ,
Zt+2 = Zt+1 + γYt+1
= Zt+1 + γ(1 − Xt+1 − Zt+1 )
= γ + (1 − γ)Zt+1 − γXt+1
a),b)
Wegen
Xt+2 > 0
< γ + (1 − γ) + 0 = 1.
und
Zt+2 > Zt+1 > 0
(s.o.) erhalten wir schlieÿlich Aussage c) aus
a)
b)
Yt+2 = (1 − γ + βXt+1 )Yt+1 > (1 − γ + β · 0)Yt+1 = (1 − γ)Yt+1 > 0,
Yt+2 = 1 − Xt+2 − Zt+2 < 1 − 0 − 0 = 1.
Wir können daher die folgenden Schlussfolgerungen ziehen:
Satz 4.3.
Für
Xt , Yt , Zt wie in
(4.1)
und
t ∈ N0 gilt: Xt , Yt , Zt konvergieren mit
1.
limt→∞ Yt = 0.
2.
limt→∞ Xt + limt→∞ Zt = 1 und limt→∞ Xt ≤ βγ .
Beweis:
Die Folgen
Xt , Zt
X∞ , Y∞ , Z∞
0 ≤ Xt , Zt ≤ 1. Nach Satz
Yt = 1−Xt −Zt . Für die Grenzwerte
sind nach Proposition 4.2 monoton, ferner
1.2 konvergieren daher beide Folgen und somit auch
folgt aus (4.1)
X∞ = 1 − βY∞ X∞
Y∞ = 1 − γ + βX∞ Y∞
Z∞ = Z∞ + γY∞
und wegen
γ>0
insbesondere
Y∞ = 0
und damit b). Aus
lim Xt + lim Zt = 1
t→∞
Zusatz: Wir nehmen an, es würde
t0 ∈ N
mit
Yt = 1 − Xt − Zt
folgt dann
t→∞
X∞ > 1 −
γ
β gelten. Dann gäbe es ein
δ>0
und ein
γ
+δ
für alle t ≥ t0
β
In diesem Fall Yt+1 = (1 − γ + βXt )Yt ≥ (1 + δβ)Yt im Widerspruch zur Konvergenz
(Yt ) (vgl. Übungsblatt). Also war die Annahme falsch, d.h. X∞ ≤ 1 − βγ .
Xt ≥ 1 −
Zum Beispiel sehen wir anhand von
von
limt→∞ Yt = 0, dass die Epidemie ausgerottet wird.
24
4.2 Panzen-Schädlings-Modell nach Allen,Hannigan,Strauss
Modell:
Wir kommen zu einem Modell zur Beschreibung der
Populationen einer Panzenart und eines entsprechenden Schädlings. Die Biomathematiker Allen, Hannigan,
?
Strauss [ ] untersuchten in Texas die Populationen einer
Weintraubenart
twig borer)
Yt
Xt
und eines Bohrkäfers (amer. apple
und stellten die folgenden Beziehung zwi-
schen den beiden auf
13 :
αXt
+ βXt
= γ(Xt + 1)Yt
Xt+1 =
Yt+1
für
X0 , Y0 > 0
sowie
und
14 γ(α+β−1)
β
2 Yt
Xt .
Abbildung 11: Amphicerus
α > 1, β > 0, 0 < γ < 1
datus
< 1.
Insbesondere protiert die Population
senheit von
(4.2)
Yt
von der Anwe-
Je mehr Weintrauben vorhanden sind,
desto besser ist die Entwicklung der Käfer.
Abbildung 12: Entwicklung der
(a)
13
Xt /Yt
α = 1.5, β = 0.8, γ = 0.6
Der Term der Originalarbeit
eYt
wurde hier zu
in den Farben blau/grün
(b)
2Yt
25
vereinfacht.
α = 1.5, β = 2.3, γ = 0.8
bicau-
Simulationen führen zu folgenden Vermutungen:
• Yt
konvergiert gegen 0.
• Xt
konvergiert gegen einen Wert
α
Ist
• γ
groÿ, so auch
X∞ ;
ist
β
groÿ, so ist
Seien
Dann gilt
limt→∞ Zt =
Beweis:
a−c
a−c
b : Dann gilt b
Z0 >
Zt+1 =
und zum anderen folgt aus
Zt+1 =
Zt
aZt
,
c + bZt
< Zt+1 < Zt
klein.
Zt >
für alle
z ∈ R.
Zt >
a−c
b folgt
· Zt = Zt
a−c
b
< Zt ≤ Z0
Zt =
beschränkt. Also konvergiert
Zt
Dieser erfüllt dann
a−c
b : Hier zeigt man
a−c
b : Es gilt
a−c
b
denn aus
a−c
b
az
c + bz
bzw.
Zt < Zt+1 <
z=
a−c
b für alle
a−c
.
b
a−c
b für alle
folgt analog.
Z0 =
t ∈ N0 ,
a a−c
a(a − c)
a−c
aZt
b
>
>
=
.
a−c
c + bZt
ba
b
c+b b
z=
Z0 <
Z0 > 0.
a
a
· Zt <
c + bZt
c+b·
monoton fallend und durch
gegen einen Grenzwert
3.Fall
ist.
a−c
b .
zum einen
2.Fall
X∞
α, β
a > c > 0, b > 0, sei Zt gegeben durch
Zt+1 =
Also ist
der abhängig von
hat keine wesentlichen Auswirkungen.
Proposition 4.4.
1.Fall
X∞ ,
t ∈ N0
t ∈ N0 .
Es folgt ein anstrengender Beweis zweier Konvergenzaussagen.
26
und die Behauptung
Satz 4.5.
Seien
(Xt ), (Yt ), a, b, c gemäÿ
a)
(4.2)
lim Yt = 0,
gegeben. Dann gilt:
b)
t→∞
α−1
.
β
lim Xt =
t→∞
Beweis:
a) Wegen
γ(α+β−1)
β
Sei dann die
< 1 existiert ein δ > 0
Folge (Zt ) gegeben durch
Zt+1 =
(klein genug) mit
αZt
,
1 + βZt
Xt ≤ Zt für alle t ∈
α−1
, d.h. es existiert ein t0 ∈ N mit
β
α−1
+δ
β
Xt ≤ Zt ≤
γ(α+(1+δ)β−1)
β
< 1.
Z0 = X0 .
Ein Induktionsbeweis zeigt
limt→∞ Zt =
κ :=
N.
für alle
Wegen Proposition 4.4 gilt
t ≥ t0
Wir erhalten
0 ≤ Yt+1 = γ(Xt + 1)Yt ≤ γ(
und somit
b) Sei
ε>0
0 ≤ Yt+1 ≤ κYt ≤ . . . ≤ κt−t0 +1 Yt0
beliebig. Wegen
Xt ≤ Zt
Xt ≤ Zt ≤
Wegen
α−1
+ δ + 1)Yt = κYt
β
limt→∞ Yt = 0
und
gibt es ein
Z̃t
t2 ∈ N
t3 ∈ N
mit
Xt ≥ Z̃t ≥
Insgesamt erhalten wir aus
|Xt −
15
ε>0
limt→∞ Yt = 0.
∈N
t ≥ t1 .
mit
(∗)
mit
für alle
t ≥ t2 .
durch
Ein Induktionsbeweis liefert für
Da
15 :
Es folgt
t ≥ t0
α−1
β existiert ein t1
für alle
βε
2
Z̃0 = X0 , . . . , Z̃t2 = Xt2 ,
4.4 existiert ein
t ≥ t0 .
limt→∞ Zt =
α−1
+ε
β
1 ≤ 2 Yt ≤ 1 +
Deniere nun
für
für alle
beliebig war:
Z̃t+1 =
Xt ≥ Z̃t .
1+
Wegen
α−1
−ε
β
(∗), (∗∗)
αZ̃t
βε
2
für
+ β Z̃t
Z̃t →
für alle
α−1
β
−
t ≥ t3 .
die Ungleichung
α−1
|≤ε
β
limt→∞ Xt =
für
α−1
β .
Siehe Übungsblatt.
27
t ≥ max{t1 , t3 }.
t ≥ t2 .
ε
2 nach Proposition
(∗∗)
Somit wissen wir, dass die Schädlinge früher oder später aussterben werden.
28
5 Die logistische Gleichung X
t+1
= λXt (1 − Xt )
Bisher haben wir Rekursionen mit mehr oder weniger einfachem Verhalten betrachtet;
wir konnten entweder eine explizite Lösungsformel aufstellen oder ohne sich aus den
Simulationen ergebenden Vermutungen bezüglich des Verhaltens dieser Folgen beweisen.
Die logistische Gleichung
Xt+1 = λ·Xt (1−Xt ) zeigt, dass ein solches leicht vorhersagbares
Xt+1 = f (Xt ) ist. Zunächst einige
Verhalten keineswegs typisch für Rekursionen der Form
Beispiele:
Abbildung 13: Logistische Gleichung für
(a)
X0 = 0.7
λ ∈ {0.5, 1.1, 1.7, 2.3, 2.9}
(b)
und diverse
λ ∈ (0, 4)
λ ∈ {3.1, 3.5, 3.9}
{blau,grün,rot}
Das Verhalten der durch
Xt+1 = λXt (1 − Xt ) =: f (Xt ),
0 < X0 < 1
denierten Folge hängt in interessanter Art und Weise vom Parameter
im Folgenden
λ ∈ [0, 4]
annehmen, denn in diesem Fall gilt
0 ≤ Xt ≤ 1
(5.1)
λ
ab. Wir wollen
für alle
t ∈ N0 .
Herkunft der logistischen Gleichung:
Das Wachstum einer Bakterienkultur in einer Petrischale hatten wir näherungsweise
durch die Rekursion
Xt+1 − Xt = rXt ,
X0 > 0
modelliert. Eine Kritik an diesem Modells bestand darin, dass die von der Kultur bedeckte
Fläche ins Unendliche wächst, insbesondere also über eine natürliche Grenze
M
hinweg.
Möchte man einen einfachen Überpopulationseekt in das Modell integrieren, so bietet
sich die folgende Rekursionsgleichung an:
Xt+1 = rXt (M − Xt ),
29
X0 > 0
Yt :=
Dann genügt
Yt+1 =
1
M Xt der logistischen Gleichung (5.1) für
λ = rM ,
denn
1
r
Xt+1 =
Xt (M − Xt ) = rYt (M − M Yt ) = rM Yt (1 − Yt ).
M
M
5.1 Der Fall 0 < λ ≤ 1
Zunächst einige Simulationen:
Abbildung 14: Beispiele für
(a)
X0 = 0.5
und
λ ∈ {0.1, 0.3, 0.5, 0.7, 0.9}
λ ∈ (0, 1)
(b) Ausschnitt von (a)
Wir vermuten daher, dass die Lösungen monoton gegen 0 konvergieren.
Satz 5.1.
Sei
λ ∈ (0, 1] und (Xt ) eine Lösung von
(5.1).
Dann konvergiert
(Xt ) monoton
fallend gegen 0.
Beweis:
0 < Xt+1 < Xt < 1 für alle t ∈ N0 .
t = 0: Aus 0 < X0 < 1 per
X0 > 0.
Wir zeigen
Induktionsanfang
wegen
Induktionsschritt: Ist die Behauptung für ein
λXt ≤ Xt .
Also ist
(Xt )
t ∈ N0 ,
0 < λX0 (1 − X0 ) < X0
dann folgt
0 < λXt (1 − Xt ) <
streng monoton fallend und durch 0 nach unten beschränkt. Daher kon-
vergiert die Folge, d.h.
Xt+1 = f (Xt )
Annahme folgt
limt→∞ Xt = x
für ein
die Grenzwertgleichung
x ∈ [0, 1].
Nach Satz 1.3 gilt wegen
x = f (x) = λx(1 − x).
Wäre
x > 0,
dann
1 = λ(1 − x) < 1,
was falsch ist. Also
30
x = 0.
5.2 Der Fall 1 < λ < 2
Im Fall
1<λ<2
scheint wieder Konvergenz vorzuliegen, doch diesmal nicht notwendig
monoton und nicht gegen 0.
Abbildung 15:
X0 = 0.8
und
λ's
äquidistant zwischen 1.01 und 1.99
Abbildung 16: Beispiele für
(a)
λ = 1.2
(Xt blau,
Yt
grün)
X0 = 0.8
(b)
und
λ ∈ (1, 2)
λ = 1.5
(Xt blau,
Für den Beweis der Konvergenz verwenden wir einen Trick: Statt
Yt =
λ
1−λ
Xt +
.
2−λ
2−λ
31
Xt
Yt
grün)
betrachten wir
Dann gilt:
λ
1−λ
Xt+1 +
2−λ
2−λ
λ
1−λ
=
· λXt (1 − Xt ) +
2−λ
2−λ
2
2
λ
λ
1−λ
=−
Xt +
Xt +
2−λ
2−λ
2−λ
1
λ
= (λXt + (1 − λ))(
−
Xt )
2−λ 2−λ
= (2 − λ)Yt (1 − Yt ),
Yt+1 =
also
Yt+1 = (2 − λ) Yt (1 − Yt ),
| {z }
Y0 =
∈(0,1)
Die Folge
(5.2)
λ
1−λ
X0 +
2−λ
2−λ
(Yt ) erfüllt also eine Rekursion wie im Fall λ ∈ (0, 1]. Leider können wir jedoch
Y0 ∈
/ (0, 1) möglich.
das Resultat von vorhin im Allgemeinen nicht verwenden, denn es ist
Dennoch können wir Konvergenz beweisen.
Proposition 5.2.
Beweis:
Sei
λ ∈ (1, 2) und (Xt ) eine Lösung von
Xt → 0. Nach der Denition des Grenzwerts
t0 ∈ N mit |Xt | < ε für alle t ≥ t0 . In diesem Fall
Annahme:
Xt+1 = λ(1 − Xt )Xt > λ(1 − ε)Xt ≥
Wegen
λ+1
2
Satz 5.3.
Beweis:
Es gilt für
>1
Sei
(Yt )
ist die Folge
(Xt )
(5.1).
Dann
gibt es für
λ+1
Xt
2
Xt 6→ 0.
ε =
λ−1
2λ
> 0
(t ≥ t0 ).
daher unbeschränkt - Widerpsruch.
λ ∈ (1, 2) und (Xt ) eine Lösung von
(5.1).
ein
Dann gilt
limt→∞ Xt =
λ−1
λ .
wie in (5.2)
Yt+1 = (2 − λ)Yt (1 − Yt ) = (2 − λ)
1
λ
−
Xt Yt = (1 − λXt )Yt .
2−λ 2−λ
−1 < 1 − λ ≤ 1 − λXt < 1 folgt |Yt+1 | = |1 − λXt ||Yt | < |Yt |. Also ist
(|Yt |) monoton fallend und beschränkt. Nach Satz 1.2: (|Yt |) konvergiert gegen
Wegen
die
Folge
ein
γ ≥ 0.
Wir nehmen
γ>0
an. Dann würde gelten
|1 − λXt | =
|Yt+1 |
γ
→ = 1.
|Yt |
γ
32
Wegen
1 − λXt ≥ 1 − λ > −1
muss daher
1 − λXt → 1
Widerspruch zu Proposition 5.2. Also war die Annahme falsch, d.h.
|Yt | → 0
und damit
Yt → 0.
Aus der Denition von
0 = lim Yt = lim
t→∞
t→∞
λ
1−λ
Xt +
,
2−λ
2−λ
Yt
Xt → 0 gelten.
es gilt γ = 0, d.h.
und somit
folgt dann
also
lim Xt =
t→∞
λ−1
.
λ
5.3 Der Fall λ = 2
Satz 5.4.
Sei
λ = 2 und (Xt ) eine Lösung von
(5.1).
Dann gilt die Lösungsformel . . . .
5.4 Der Fall 2 < λ ≤ 3
Es liegt Konvergenz vor, die ähnlich wie im Fall
1<λ<2
Abbildung 17: Beispiele für
(a)
Satz 5.5.
Sei
X0 = 0.3, λ ∈ (2.01, 2.99)
(b)
λ ∈ (2, 3] und (Xt ) eine Lösung von
33
bewiesen werden kann.
λ ∈ (2, 3)
X0 = 0.0000005, λ ∈ (2.001, 2.3)
(5.1).
Dann gilt
limt→∞ Xt =
λ−1
λ .
5.5 Der Fall 3 < λ < 4
Einige Beispiele:
Abbildung 18: Beispiele für
(a)
λ = 3.5:
(c)
X0 = 0.7
4 Häufungswerte
λ = 3.65:
Chaos . . .
und
λ ∈ (3, 4)
(b)
λ = 3.55:
8 Häufungswerte
(d)
λ = 3.85:
. . . und Ordnung
Wir sehen:
Für
λ>3
konvergiert die Folge im Allgemeinen nicht.
(Ausnahmen bilden die Anfangswerte
34
X0 ∈ {0, 1, λ1 , λ−1
λ }).
Die unterschiedlichen Phasen der logistischen Folge für variierende
3 < λ < 3.45:
2.
3.45 < λ < 3.54:
3.
3.54 . . . 3.57:
Es existierenen 2 Häufungswerte
Es existieren 4 Häufungswerte.
Es kommt in immer kleiner werdenden Intervalllängen das Doppelte
an Häufungswerten hinzu, d.h.
λ ≈ 3.83:
lauten:
16 .
1.
4.
λ
8, 16, 32, 64, . . .
Häufungswerte.
Es treten 3, dann 6,12,24,. . . Häufungswerte auf; aber auch ab und zu
einige Bereiche mit schönem Verhalten.
Das Phänomen immer zahlreicher auftretender Häufungswerte wird in einem sogenannten Bifurkationsdiagramm
17 erfasst: Für jeden Wert von
Häufungswerte aufgetragen. Bis zum Wert
lich der Grenzwert
λ−1
λ . Bei
λ=3
λ=3
λ
werden die auftretenden
ist daher nur ein Wert zu sehen, näm-
tritt dann die erste Bifurkation ein, denn aus dem
Grenzwert verzweigen sich mit der Zeit immer deutlicher zu unterscheidende Häufungswerte. Ab
λ ≈ 3.45
kommt es zu immer weiteren Vergabelungen und damit zu immer
mehr Häufungswerten, was man auch als chaotisches Verhalten bezeichnet. Bemerkenswert sind hierbei die Bereiche bei
3.72
oder auch
3.83,
in denen die logistische Folge ein
vergleichsweise geordnetes Verhalten an den Tag legt.
Zumindest das Phänomen des Auftretens zweier Häufungswerte ab
λ > 3 können wir erX0 , X2 , X4 , . . .
kennen. Die Simulationen zeigen uns, dass die Folge der geraden Folgenglieder
16
17
Häufungswerte sind Zahlen, bei denen sich die Werte der Folge häufen, d.h. unendlich viele Folgenglieder benden sich in der Nähe dieses Wertes.
Bifurkation entspricht dem deutschen Wort Verzweigung oder Zweigabelung.
35
X1 , X3 , X5 , . . . gegen den entsprechenden HäuUntersuchen wir darum Xt+2 und nicht Xt+1 in
und die Folge der ungeraden Folgenglieder
fungswert zu konvergieren scheinen.
Abhängigkeit von
Xt :
Es gilt
Xt+2 = λXt+1 (1 − Xt+1 )
= λ2 Xt (1 − Xt ) 1 − λXt (1 − Xt ) .
Konvergiert nun
X0 , X2 , X4 , . . .
bzw.
X1 , X3 , X5 , . . .
gegen einen gewissen Wert
x,
so
gilt
⇐⇒
x = λ2 x(1 − x)(1 − λx(1 − x))
...
⇐⇒ 0 = λ3 x(x −
λ−1 2 λ+1
λ+1
)(x −
x+
).
λ
λ
λ2
Die Diskriminante des quadratischen Terms lautet
−
D.h. nur im Fall
λ>3
fungswerten ungleich
λ+1
2
1
4
4
λ + 1 2
−4·
=1+ + 2 − − 2
λ
λ2
λ λ
λ λ
3
2
=1− − 2
λ λ
1 2
= 2 λ − 2λ − 3
λ
1
= 2 (λ + 1)(λ − 3).
λ
ist die Diskriminante gröÿer als 0 und das Phänomen von Häu-
λ−1
λ−1
λ kann auftreten, da das entsprechende Polynom nun neben λ
zwei weitere Häufungswerte zulässt. Diese sind gegeben durch
x1,2
1
1
= +
±
2 2λ
p
(λ + 1)(λ − 3)
.
2λ
Theoretisch lässt sich dieses Verfahren auch auf den Fall von drei oder zahlreicheren
Häufungswerten verallgemeinern; praktisch sind dem jedoch Grenzen gesetzt. Zur Be-
X0 , Xk , X2k , . . . müssten sämtliche Nullstelk
len eines Polynoms vom Grade 2 bestimmt werden. Dies ist für groÿe k im Allgemeinen
stimmung der Häufungswerte einer Teilfolge
nicht mehr explizit möglich.
36
5.6 Der Fall λ = 4
Satz 5.6.
Sei
λ = 4 und (Xt ) eine Lösung von
(5.1).
Dann gilt
p
Xt = sin2 (2n arcsin( X0 )).
Beweis:
√
√ 2
t = 0: sin2 (arcsin( X0 )) = X0 = X0 .
Induktionsschritt: Gilt die Behauptung für t ∈ N0 , so folgt
Induktionsanfang
für
√
z := 2n arcsin( X0 )
Xt+1 = 4Xt (1 − Xt )
= 4 sin2 (z)(1 − sin2 (z))
= 4 sin2 (z) cos2 (z)
= (2 sin(z) cos(z))2
= (sin(z + z))2
= sin2 (2z)
p
= sin2 (2n+1 arcsin( X0 )).
37
Herunterladen