Prof. Dr. Alexander Trunk Vorlesung Osteuropäisches Recht III: Wirtschaftsrecht in Osteuropa SS 2008 Zeit/Ort: Do. 16.00 c.t. - 18.00, Seminarraum des Instituts für Osteuropäisches Recht 17.4.2008 Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht in Osteuropa Nachdem wir uns in der letzten Woche einführend mit dem historischen und wirtschaftlichen Hintergrund des Wirtschaftsrechts in der Region Osteuropa befaßt haben, möchte ich heute über VerfassungsR und VerwaltungsR in Osteuropa sprechen, soweit sie für das WirtschaftsR von Bedeutung sind. VerfassungsR = bestimmt den Rahmen, in dem wirtschaftliches Handeln Einzelner überhaupt möglich ist, damit Grundlage auch des des privaten WirtschaftsR VerwaltungsR = gerade in Staaten, die aus einem System der Zentralverwaltungswirtschaft kommen (dominierende Rolle des Staates in der Wirtschaft), von erheblicher Bedeutung (Kontrolle des Staates). Darüber hinaus freiheitssichernde (und damit auch wirtschaftsfördernde) Funktion des VerwaltungsR ungenügendes VerwaltungsR legt der Wirtschaft Hemmnisse an. Wichtig: nicht nur Normtexte ansehen, sondern auch Blick auf Verwaltungspraxis. 1. Teil: Verfassungsrecht: Bedeutung für das Wirtschaftsrecht VerfassungsR = bestimmt den Rahmen, in dem wirtschaftliches Handeln Einzelner überhaupt möglich ist, damit Grundlage auch des privaten WirtschaftsR A. Allgemein Seit 1991 in fast allen Staaten Osteuropas neue Verfassungen verabschiedet. (3./4. Welle von Verfassungen in Europa im 20. Jhr.: 1918, 1945, (1970 ff Südeuropa), 1989 ff 1. Jüngste Verfassungen: Montenegro, 22.10.2007, und Kosovo, 9.4.2008. S.a. BosnienHerzegowina, das die Anerkennung seiner Staatlichkeit durch das Dayton-Abkommen von 1995 erlangt hat. Danach eine sehr zerbrechliche staatsrechtliche Struktur begründet: eine schwache Föderation zwischen Bosnien(-Kroatien) [= Sub-Föderation] und der Respublika Srpska, in der die beiden Teilrepubliken mehr ungern als freiwillig zusammenarbeiten, dies alles abgesichert durch die ständige Präsenz internationaler Truppenverbände. Von einer gesicherten verfassungsrechtlichen Lage und Verfassungspraxis kann in diesen Nachfolgestaaten Jugoslawiens - anders als in Slowenien und Kroatien - noch keine Rede sein. 3. Verfassungsrechtliche Besonderheiten gelten auch für Lettland (alte Verf. v 1922 wieder in Kraft gesetzt) und für Ungarn (Überarbeitung der Verf von 1952). 4. Während sich in den MOE-Staaten, auch in Lettland und Ungarn trotz deren „alter“ Verfassungen, eine demokratische Verfassungswirklichkeit entwickelt hat, ist die Lage in vielen GUS-Staaten wesentlich schwieriger: Zwar wurden in allen GUS-Staaten Anfang bis Mitte der 90er Jahre neue Verfassungen verabschiedet, die inhaltlich allesamt die Grundelemente eines modernen Verfassungsstaates - insbesondere auch die üblichen Grundrechtsgarantien - enthalten. Mehrere dieser Staaten waren aber in den letzten Jahren in kriegerische Auseinandersetzungen untereinander (Armenien - Aserbaidschan) oder in Bürgerkriege verwickelt (Tadschikistan) oder haben mit Sezessionsbewegungen im Inland zu kämpfen (Georgien, Moldau), oder es etablierten sich autoritäre Herrschaftsformen, die zwar die Verfassungen in der Regel unberührt ließen, in denen die Verfassungswirklichkeit aber vom Verfassungsanspruch weit abweicht. Besonders deutliche Beispiele sind hier Belarus (Lukaschenko) und, jedenfalls bis vor einem Jahr, Turkmenistan (Turkmenbashi). Divergierende Einschätzungen zu Russland unter Putin. Nächste Woche Besuch Studentengruppe aus Minsk (Belarus) in dieser Vorlesung. Gelegenheit zu Gespräch, auf Wunsch auch am Abend vorher. B. Inhaltliche Grundzüge Grds. jede Verfassung für sich zu betrachten, aber doch gemeinsame Eigenheiten, z.B. [Typische Regelungsstrukturen: Staatsorganisation (Machtverteilung) - Grundrechte. Häufig "Allg. Prinzipien" vorangestellt.] I. Abkehr von System der Einparteiendiktatur (Parteiartikel: führende Rolle der KP) + Zentralverwaltungswirtschaft. II. „Rückkehr“ bzw. Übergang zu westlichen Verfassungsmodellen: 1. Demokratieprinzip 2. Republikanische Regierungsform Wirtschaftsrelevant: 3. Rechtsstaat: [Vorrang u. Vorbehalt des Gesetzes; Bestimmtheit von Gesetzen; grds. Rückwirkungsverbot, Gewaltenteilung (neu! z.T. durchbrochen, z.B. Dekretbefugnisse des Präsidenten), häufig: Einrichtung einer VerfGerichtsbarkeit] Wirtschaftsrelevant: 4. Ausbau der Grundrechte und ihres Schutzes - Wegfall oder Einschränkung von Einschränkungen oder Vorbehalten (z.B. bei Privateigentum) - vielfältige “moderne” Regelungen, die die westliche Verfassungsdiskussion aufnehmen (Schutz der Umwelt, Datenschutz etc.). - Besonderes Gewicht liegt häufig auf Justizgrundrechten (unabhängige Justiz) - “Soziale Rechte” idR aus den älteren sozialist. Verfassungen fortgeführt, manchmal abgeschwächt (Recht auf Wohnung, Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung - aber Verfassungspraxis hier abweichend). Wirtschaftsrelevant: 5. Sozialstaat: als Prinzip überall verankert, Umsetzung stark von wirtschaftl. Entwicklung abhängig (Sozialversicherung etc.: Problem häufig Tradierung „alter“ Ansätze, die früher weitgehend nur auf dem Papier standen - z.B. R auf Wohnung -, aber bei realer Umsetzung kaum finanzierbar wären). Wirtschaftsrelevant: 6. Föderalismus: nur in Russland (89 Subjekte der Föderation), BosnienHerzegowina. Eingeschränkt Ukraine (Krim), Moldau (Transnistrien) Zuständigkeit für Gesetzgebung und Vollzug zw. Zentrale und Regionen geteilt. Im übrigen meist Einheitsstaat (gewisse Ausn. Ukraine). III. Probleme der Verfassungspraxis Hauptproblem ist die Umsetzung der Verfassung in die Verfassungswirklichkeit: Justizreformen, Abhängigkeit von wirtschaftl. Entwicklung, aber auch Frage des polit. Willens (histor. Clan-Strukturen, religiöse Strömungen, z.T. starke Personalisierung von Politik [Lukashenko, Turkmenbashi, aber auch gemilderte Formen: Nasarbajev, Karimov, Alijev, Schewardnadse/Saakaschvili], Fortdauer von Verbindungen aus Zeit des Sozialismus: Belarus, Moldau etc.) - In zahlreichen Staaten autoritäre Strukturen (Belarus, südl GUS-Bereich): können für Wirtschaft positiv oder negativ sein. - Schwäche der Parteien: MOE + GUS: nicht unmittelbar wirtschaftsrelevant, aber wichtig für längerfristige Stabilität („organisierter Wechsel der Mehrheiten“) - Schwäche der Medien: vor allem GUS: mittelbar wirtschaftsrelevant - Wirtschaft: in jüngerer Zeit überall deutliche Verbesserung, aber Verbindung mit R mehrdeutig: Boom auch ohne Recht? - Schwäche des Rechtsstaats (Verwaltung, Justiz): auch wirtschaftl. bedingt: Lage in MOE besser, aber in GUS ungünstiger. „Programm“ des gewählten, künftigen Präsidenten Russlands, Dmitrij Medvedev? längerfristige Entwicklung, gestützt durch EG, Weltbank, Europarat, USAid etc. IV. Einige Beispiele für aktuelle Themen des (Wirtschafts)VerfassungsR in einzelnen Staaten 1. MOE-Staaten, z.B. Polen Polnische Verfassung 1952, Interimsverfassung 1993 (v. Sejm verabschiedet nach Vorgesprächen am Runden Tisch). Neue Verfassung v. 2.4.1997 (Volksabstimmung) a) Staatsstruktur: Demokratie, Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaat, Art.2 poln. Verf. Garantie der sozialen Marktwirtschaft in Art.20 poln. Verf. Art.23 poln. Verf. betont Familienwirtschaft als Grundlage der Landswirtschaft (sozialer und histor. Hintergrund). Einheitsstaat. 16 Wojewodschaften - nur Verwaltungsgliederungen. 2-Kammer-Parlament (Sejm + Senat) b) Grundrechte: - idR Jedermann-Grundrechte, z.B. Eigentum (Art.21 und 64), Berufsfreiheit (Art.65), Gleichheit (Art.33). - Allg. GR-Schrankenregelung Art.31 III poln. Verf., aber auch z.T. besondere Schranken. Beachte auch Art.22 Beschränkung wirtschaftl. Freiheit „nur durch Gesetze und bei wichtigem öff. Interesse“ (verschärft ggü früherer Fassung Verf. 1952: öff. Interesse) - Kein R auf Arbeit od. auf Wohnung. Aber Art.67 ff Anspruch auf soz. Fürsorge bei Krankheit etc. Öffnung für europ. Einigung: Art.90 poln. Verf. erlaubt Souveränitätsübertragung auf internat. Organisationen. Art.91 III Vorrang EU-Recht nur ggü einfachen Gesetzen: potentiell Konflikt poln. Verfassung mit supranat. Recht der EG denkbar. c) Ähnliche Fragen stellen sich bei anderen MOE-Staaten. Justiz: Art.173 ff Unabhängigkeit der Justiz, Art.173, 178, 180. S.a. Art.178 Garantie angemessener Vergütung der Richter. Garantie des Bestand von allg. Gerichten und Verwaltungsgerichten, Art.175. Garantie von 2 Instanzen, Art.176 Abs.1 poln. Verf. d) Verfassungsgerichtshof Art.188 ff poln. Verf.: Normenkontrolle, VerfBeschwerde nur gg. RSätze, keine allg-gültige Auslegung von Normen mehr (so früher sowjet. Tradition). 2. GUS-Staaten, z.B. Russland Russische Verfassung 12.12.1993 Struktur russ. Verfassung 12.12.1993 - kurzer Vergleich mit GG Kap.I Grundlagen der VerfOrdnung Kap.II Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers Kap.III Föd. Aufbau Kap.IV Präsident der RF Kap.V Föderalversammlung (=FödRat + Duma) Kap.VI Regierung Kap.VII Rspr. Gewalt Kap.VIII Örtl. Selbstverwaltung Kap.IX VerfRevision a) Vorbemerkung Unionsverfassungen (UdSSR), zuletzt 1977. Russ. Verfassungen, zuletzt 1978. Neue russ. Verfassung v. 12.12.1993 aa) Vorgeschichte: Auflösung der UdSSR Ende 1991. Danach auf Ebene Russlands Streit zwischen Präsident u. Parlament, in verfassungsrechtlichen Formen ausgetragen. Sturm auf das Weiße Haus Herbst 1993. Verfassungsreferendum 1993 billigt die neue Verfassung. bb) Merkmale der Verf. von 1993: Neuregelungen, aber auch Fortführung der Verfassungstradition von 1978 (mit zahlr. Änderungen, zuletzt Dez. 1992) Starke Stellung des Präsidenten: eig. Dekretrecht. „Präsidentschaftsverwaltung“ als Nebenregierung Bedeutung für Wirtschaft? b) Staatsstruktur (Grundprinzipien der Verfassung): Demokratie, RStaat, SozStaat, Bundesstaat, Republik aa) Rechtsstaatsprinzip Vgl. Art.1 iVm Art.15 I Verf. (1) Vorrang des G: Vorrang der Verf, Art.15 I. Vorrang des BundesVerfG vor einfachen G, Art.76 III. Vorrang des G vor Dekreten des Präs, Art.90 III danach Verordnungen der Reg, Art.115 I Umsetzung des Vorrangs in der RAnwendungspraxis problematisch, z.B. SteuerR, auch: regionale/föderale Regelungen. (2) Vorbehalt des G: s. Art.55 III russ. Verf. (3) Veröffentlichung v. Gesetzen (so auch poln. Verf.): Art.15 III: Inhalt der Sobranie Zakonodatel’stva Praxis problematisch, insbes. bei Staatsverträgen. (4) Gewaltenteilung: Gewaltenteilung Legislative (2-Kammer-Parlament) - Exekutive (Präsident - Regierung) Judikative (bes. Betonung VerfGericht); Art.10, 118 (a) „Präsidialdemokratie“: Stellung des Präs in Verf vor der BundesVers, eig Normativbefugnisse, weitgehende Möglichkeiten zur Auflösung der Duma, Garant der Verf (Art.80 II). Nach Auffassung mancher westl. Autoren Tendenz zu Diktatur: zutreffend? (b) Vermischung der Gewalten: Normativbefugnisse des Präsidenten (Art.90 I) und der Regierung (Art.115 I); GesetzesinitiativR der Ob. Gerichte; Mitwirkung des Parl an Verwaltungsmaßnahmen? Ernennung von Amtspersonen (5) Mat. RStaatsprinzip: Grundrechte s.u. c): Kap.2 Verf. u.a. bb) Sozialstaatsprinzip - Allg. Art.7 I, II. - Soziale Grundrechte, Art.39 (Soz Sicherung), 40 (Wohnung), 41 III, 42 (Umwelt), 43 (Bildung) - Justizbereich z.B. Art.48 I 2 (R auf Prozesskostenhilfe, aber nur bei entsprechendem Gesetz) cc) Föderativer Aufbau (1) Art.65: 88 Subjekte der Föd, davon 2 Städte mit Subjektstatus (Moskau, St. Petersburg) (2) Gesetzgebungskomp: Bund - Subjekte (Kategorien: ausschließl/gemeins. Zuständigkeit): Art.73, 76: weitgehende Zust der Föderation, zB auschließl Zust der Föderation: Art.71 Buchst.b), c), d) (bundesr Behörden), g), h) (Bundeshaushalt: nicht Subjekthaushalt!), n) (ZivR): sehr weitgehend! Gemeinsame Zust: 72 Buchst.a) (VerfKonformität der SubjektVerfassungen), f) (allg. Fragen der Bildung und Kultur), j) (Verwaltungs- und VerwaltungsprozeßR, ArbR etc.) wichtig: z.B. BodenR, UmweltR. - Problem: Verhältnis von ZivilR (ZGB) zu Sondermaterien, für die eine gemeinsame Zust. besteht - nicht eindeutig geklärt. - Problem Verhältnis zu Gesetzen der Subjekte der Föderation: dürfen BundesR nicht widersprechen. Welcher Raum bleibt für eigenständige Gestaltung? Im UmweltR wurde bislang solcher Gestaltungsspielraum nicht genutzt -> „Scheinföderalismus“ oder notwendige Sicherung der Einheitlichkeit der Lebesnverhältnisse? Rest: alleinige Zuständigkeiten der Subjekte (schmal) (3) Verwaltungskompetenzen Föderation/Subjekte: nicht klar getrennt, s. Art.71, 72. Zust der Subjekte „subsidiär“, faktisch dem einfachen GesetzesR überlassen. c) Grundrechte - vgl. mit GG Problematik der praktischen Umsetzung. aa) Allg Grundrechtslehren: (1) Unmittelbare Geltung der Grundrechte, Art.18 (Verbindung mit RStaatsprinzip) (2) Grundrechtsschranken: - z.B. Schranken bei spez. Grundrechten - daneben Art.17 III allg. Grundrechtsschranken. Ergänzend Art.55 II - Schrankenschranken 55 III + 56 (AusnZustand) vgl. mit GG bb) Einzelne Grundrechte (soweit bes. wirtschaftsrelevant) (1) Allgemeine Handlungsfreiheit, Art.34 (wirtschaftl) [schließt wohl die nicht ausdrückl. geregelte Berufswahlfreiheit ein]. Art.34 II „Verbot von Monopolisierung und unlauterem Wettbewerb“: prakt. Bedeutung dieser Vorschrift? Unmittelbar anwendbar? (2) Gleichheitssatz, Art.19 (4) Eigentum Art.8 II, 35: Versch Eigentumsformen seien„gleichrangig“ – vgl. mit GG und Polen (dort ähnl. Text in Verf 1952 durch VerfÄnderung Art.6 (1989). Art.35 Schutz gg Enteignung: nur aufgrund Gerichtsentscheidung und gg vorherige und gleichwertige (ravnozennogo) Entschädigung (vgl. Art.22 poln. Verf: Enteignung nur „zu öff. Zwecken und gegen eine angemessene Entschädigung“) Diff. Regelung für Eigt. allg. und Eigt. an Grund und Boden: Art.36: Privateigentum an Grund und Boden grds. garantiert, aber Sonderproblem Ausländer – haben kein GR auf Bodeneigentum. Hintergrund? Vgl. mit GG (5) Sonstige GrundRechte: z.B. “moderne” Regelungen (Datenschutz etc.) z.B. Art.42 R auf gesunde Umwelt: Auskunftsanspruch als unmittelbares R aus Verfassung? (6) Justizgrundrechte Art.46 ff russ. Verf. sehr konkret: vgl mit GG. Justizgewährungsanspruch, Anspruch auf gesetzl Richter (Art.47). Aber rechtl. Gehör fehlt: Auslegung? Garantie des „kontradiktorischen Verfahrens“, Art.123 III Verf: Bedeutung für Verwaltungsund StrafR unklar. Verbindung zu obj. Regelungen über Justiz Art.118 ff, 120 I, 122,, 123 I: Garantie der „Zivil-, Verwaltungs- und Strafjustiz“, aber nicht gleichzusetzen mit entsprechenden Gerichten, z.B. Verwaltungsgerichte (Art.118 Abs.2 Verf.): noch nicht eingerichtet. Garantie des Obersten Arbitragegerichts (Art.127 Verf.). Wichtig: Bedeutung des Russ. Verfassungsgerichts, dazu etwa Kutter/Schröder (Übersetzungen VerfassungsRspr im Zivil- und WirtschaftsR) 3. Beispielsfall aus der verfassungsgerichtlichen Praxis in Russland zum Wirtschaftsrecht (Steuerrecht): Urt.des VerfG der Russ. Föderation v. 18.2.1997, Sobranie Zakonodatel'stva RF 1997, Nr.8, Pos.1010, dt. Übersetzung. von V. Kutter und T. Schröder, Rechtsprechung des Russischen Verfassungsgerichts in Zivil- und Wirtschaftssachen, S.59) Staatsduma des Gebiets Dagestan beantragt gem.Art.125 II Pkt.a Russ. Verf. v. 1993 beim VerfG der Russ. Föd. die Aufhebung einer VO der Russ. Regierung v. 28.2.1995 über die Erhebung einer „Lizenzgebühr„ für die Herstellung und den Verkauf von Spirituosen“. VO beruhte auf einem Ukaz des Präsidenten von 1993, der das staatl. Alkoholmonopol wiedereinrichtete. G der Russ. Föderation v. Nov. 1995 über Staatl. Regulierung der Herstellung und des Umsatzes von Alkohol sieht nur „einmalige„ Lizenz für Herstellung und Verkauf von Spirituosen vor. Versch. Haushaltsgesetze der Föderation planten Einnahmen aus Alkohollizenzen mit Dauerwirkung ein. - Art.57 russ. Verf v. 1993 Pflicht zur Zahlung der gesetzl. festgelegten Steuern - Art.71 Punkt z russ. Verf. sieht bei föd. Steuern bestimmte Verfahren vor (ua Zustimmung durch FödRat, Art.106 Verf.) VerfGericht sah RGrundlage HaushG nicht als ausreichend an (a.A. insoweit das Minderheitsvotum T. Morshchakova), AlkoholG v 1995 ebf. nicht ausreichend. -- > VO der Regierung wurde für verf-widrig erklärt mit Aufschiebung um 6 Monate. Nach Zeitablauf wurde aber keine entsprechende Rechtsgrundlage (SteuerG) erlassen; darauf erläßt russ. Reg Anordnung, wie nach bisheriger Praxis zu verfahren. Oberstes Gericht erklärt diese Anordnung gleichfalls für r-widrig. Zeigt prakt. Probleme der Durchsetzung verf-gerichtl. Urteile. 2. Teil: Verwaltungsrecht A. Entwicklungslinien des Verwaltungsrechts in Osteuropa I. Zeit vor der Oktoberrevolution bzw. vor Eingliederung der mittelosteurop. Staaten in das polit. System der UdSSR: allg. Tendenz zu Stärkung Rechtsstaatlichkeit - in 20er Jahren in mehreren MOE-Staaten Erlaß eines allg. VerwaltungsVerfG (z.B. PL, CS, HU, auch Estland: Vorbild war österr. VwVfG 1925. - bes. Verwaltungsgerichtsbarkeit in Ungarn (1896), CS (1920), PL (1922), Slowenien (1922) II. Phase des Sozialismus - demokrat. Zentralismus (Wahl unten unter Leitung von oben: politisch, aber auch auf Verwaltungsebene) - Herrschaft der KPs: persönl./parteiliche Kontakte und Telefonrecht überspielen formale Rechtsstrukturen. Große Bedeutung VerwaltungsR wg. Planwirtschaft (Lenin: „Für uns gibt es kein PrivatR, für uns ist alles R öffentliches Recht“). Aber häufig zersplittert: zugleich Hyper- und Hypotrophierung des VerwaltungsR: zu viele Normen verschiedener Ebenen, gleichzeitig Fehlen zentraler Regelungen (z.B. über Verwaltungsakt) und rechtsstaatlicher Garantien. Gewisse Ausnahmen hiervon (theoretisch): - Ukraine erläßt 1927 ein Verwaltungsgesetzbuch, das sowohl das allgemeine als auch das besondere VerwR regelte: blieb auch in UdSSR-Zeit formell weiter gültig, wurde aber durch UdSSR-Regelungen der Planwirtschaft etc. überholt. - (Allg.) VwVfGs in sozialist. Zeit erlassen in CS, PL und HU (1957). Anlehnung an die VwVfGs der Zwischenkriegszeit. In Personalstärke war Verwaltung dennoch im Vergleich zu westl. Staaten nicht überbesetzt, z.B. in Polen Ende 1990 150 000 Angehörige des öff. Dienstes (pro Kopf der Bevölkerung im internationalen Vergleich geringe Zahl), davon 46 000 in Zentralbehörden, 34 000 in örtlichen Einheiten zentraler Behörden. Ende 1991 Zahl auf ca. 190 000 gewachsen (neue Aufgaben, auch: Einführung lokaler Selbstverwaltung). Perestrojka in UdSSR--> neue Entwicklungen: Rechtsstaatlichkeit, Effizienzsicherung. III. Rechtsangleichung an EU: Beitrittsverhandlungen - regelmäßige Evaluationen durch EUKommission. "Twinning" - Partnerschaften in konkreten Projekten. TACIS/PHARE-Projekte, z.B. Umweltschutz am Baikalsee. IV. Umsetzung des VerwR, insbes. auch der Aufsicht problematisch: Korruptionsthematik, Überlastung, fehlende Qualifikation. B. Systematik Zum Vergleich: Deutschland: - Allg. VerwaltungsR - Bes. VerwaltungsR - mat. VerwaltungsR/Verwaltungsverfahrensrecht (VwVfG 1978) 1. In Lehre in Osteuropa ähnl. Struktur: allg./bes. VerwaltungsR, häufig Abgrenzungsprobleme zum StaatsR und StrafR (OrdnungswidrigkeitenR): häufig wird unter VerwaltungsR nur VerwaltungsstrafR verstanden (Kodeks ob Administrativnych Pravonarusheniach) Häufig verwaltungs-r Elemente im ZivilR bzw. Zivilgesetzbüchern enthalten (z.B. Staatshaftung, Enteignung) --> Systematik des VerwaltungsR in Lehrbüchern aus Staaten Osteuropas nicht immer klar durchschaubar (--> Lücken), Lit. häufig sehr deskriptiv, wenig kritisch-analytisch, gemeinsame Linien nur selten gezogen. 2. Für Dt. charakterist. Nebeneinander von BundesR und LandesR in Osteuropa wg. des verbreiteten Zentralismus selten (Ausn. insbes. Russland). Sachl. Ausnahme KommunalR, wo örtl. Selbstverwaltung stark an Raum gewonnen hat. 3. VerwaltungsprozessR a) Z.T. Sonderregeln für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten in allg. Prozessordnungen (ZPO/APO: z.B. Russland, andere GUS-Staaten), z.T. besondere Verwaltungsprozessordnungen (z.B. Litauen, Estland, Polen). b) Z.T. eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit (z.B. Polen, Litauen), z.T. Teil der allg. Gerichte oder der Wirtschaftsgerichte (z.B. Russland), wobei teilweise Ansätze zu Verselbständigung der Verwaltungsgerichtsbarkeit bestehen (z.B. besondere Verwaltungsgerichte oder entsprechende Kammern auf Ebene der 1./2. Instanz der allg. Gerichte). C. Rechtsquellen - Z.T. allg. Verwaltungsverfahrensgesetze vorhanden, z.B. Polen, Tschechien, Ungarn (alle aus 1960er Jahren), Nachfolgestaaten Jugoslawien; jüngst auch Armenien, Georgien, Aserbaidschan, Kirgistan (Einfluß GTZ, aber auch Europarat). Planung in Ukraine. - Z.T. fehlen übergreifende Regelungen (z.B. Russland). VwVfG seit längerer Zeit in Diskussion. Sonderfall Aserbaidschan: VwVfG bereits verabschiedet, aber noch nicht in Kraft, da auf VwGO gewartet werden soll, die aber noch aussteht (interne Streitigkeiten). - Aber z.T. recht umfassende, BT-übergreifende Teilkodifikationen, z.B. russ. LizenzierungsG 2001, poln. G über Freiheit der Wirtschaftstätigkeit von 2004 (trat an Stelle des WirtschaftstätigkeitsG 1999, teilw. wortgleich, aber ausführlicher). I. Rußland: Verfassung von 1993: s. Art.73 Ziff.1 Buchst.j (Zuständigkeit insbes. zur Gesetzgebung: VerwaltungsR + VerwaltungsprozeßR), Buchst.m (allg. Organisationsprinzipien f. öff. Verwaltung) 1. Auf einfachgesetzl. Ebene starke Zersplitterung sowohl im Allg. als auch Bes. VerwaltungsR - Gesetzbuch über administrative Rechtsverletzungen v. 2001: entspricht in seinem Regelungsgehalt unseren OWiG, allerdings auch mit verfahrens-r Regelungen. - ZGB Teil 1 - Sonderregelungen für staatl. u. kommunales Eigentum (§§ 214, 214), § 217 (Privatisierung), §§ 113 - 115 (staatl. Einheitsunternehmen), § 16 (Staatshaftung), s.a. §§ 235 II, 239 - 243, 306 (enteignender/enteigungsgleicher Eingriff). - Bodengesetzbuch, Waldgesetzbuch, Luftgesetzbuch, etc. Wichtig: Städtebaugesetzbuch 2004: regelt RaumplanungsR und BauR. - Gesetz der RF über die allgemeinen Grundsätze der Organisation der örtl. Selbstverwaltung v. 1995 (ergänzt durch Gesetze der Subjekte der Föderation) - Daneben zahlr Spezialgesetze, z.B. im UmweltR = Allg. UmweltschutzG 1991 = AbfallG 1998 = G über Verbesserung der Böden 1996 = BaikalseeschutzG 1999 = G über den Schutz der atmosphär. Luft 1999 = AtomG 1995 Ähnliche Vielfalt im PlanungsR: Generalpläne auf FödEbene, SubjektEbene, Kommunalebene; keine klare Abstimmung. 2. Stets Regelungen auf FödEbene, Regionsebene, kommunaler Ebene. KompAbgrenzungsverträge mit einzelnen Regionen mittlerweile weitgehend wieder aufgehoben. 3. Überlagerung Verwaltung der FödRegierung mit Präsidialverwaltung. II. Polen: - Verwaltungsverfahrensgesetzbuch v. 1960 (idF von 1996) - Besonderes Verwaltungsrecht, z.B. Baurecht v. 7.7.1964 (idF v. 1997), BankenG v. 29.8.1997, ZollG v. 9.1.1997 III. Tschechien: - Gesetz über das Verwaltungsverfahren v. 1967 - Zahlr. Gesetze zum bes. VerwR, z.B. Gesetz über den Schutz von persönlichen Daten in Informationssystemen v. 1992 IV. Ungarn: - G über die allg. Regeln des Verwaltungsverfahrens v. 1957 (idR v. 1991) - Zahlr. Gesetze zum bes. VerwaltungsR, z.B. GesetzesVO über die Enteignung v. 1976 D. Ausgewählte Einzelregelungen (z.B. am Beispiel des poln. VwVfG 1960; mehrfach grundlegend überarbeitet seit 1990): dt. Übersetzung bei Brunner (Hrsg.), VSO (Loseblattsammlung zum VerwaltungsR in Osteuropa, mittlerweile eingestellt). I. Allg. Teil: 1. Verfahrensprinzipien, z.B. a) Untersuchungsmaxime (Inquisitionsmaxime) b) Rechtl. Gehör? Art.9, 10 poln. VwVfG (vgl. § 28 dt VwVfG) - Geheimhaltung (vgl. § 30 dt VwVfG) 2. Drittbeteiligung: vgl. Art.31 poln. VwVfG a) Staatsanwaltschaft: allg. Rechtmäßigkeitskontrolle? so z.B. Russland, Ukraine, Belarus --> aber keine "Durchgriffskompetenz" b) Teilnahme der Presse und ges. Organisationen, Art.248 ff poln. VwVfG: Tradition 3. Ermessen? In Polen und anderen Staaten mit neuem VwVfG nur RMäßigkeitskontrolle, aber einschl. Ermessensfehlgebrauch. Poln. Rechtsprechung überprüft Ermessensfehlgebrauch. Für Russland nicht nachweisbar. 4. VA als Kernbegriff? - nicht klar, Art.104 ff poln. VwVfG (Entscheidung). - Wirksamkeit/Nichtigkeit: Art.156 (vgl. Art.44 dt VwVfG) Z.T. keine Diff. nach Fällen von Nichtigkeit/Fehlerhaftigkeit: „jede Rechtsverletzung“ (?) (so z.B. VwVfG von Kirgistan) Formelle Anforderungen an Aufnahme des Antrags auf VA Z.T. Begründungserfordernis eingeführt. 5. Öffr Vertrag: fehlt in PL. Aber vorhanden in Georgien. Großer Streit in RF u.a. über Sinn/Existenz öffentlichrechtlicher Verträge. 6. Rücknahme/Änderung von Entscheidungen? Art.154 ff poln. VwVfG - keine klare Unterscheidung zw. rwi/rmäßigen VAs (vgl. §§ 48 f. dt. VwVfG). Ähnlich Russland in LizG und StädtebauGB. 7. WiderspruchsVerf: zunehmend etabliert, teilw. wahlweise als PflichtVerfahren oder alternativ zu Klage (s. künftig Aserbaidschan). Z.T. in Lit. Unklarheit über VerwaltungsVerf und Verwaltungsprozess. II. Besonderer Teil: 1. Rolle des Staates in der Wirtschaft a) „Privilegien“ des Staates in der Wirtschaft auf Papier weitgehend abgeschafft (Eigentum etc.), in Praxis z.T. anders. b) Staatl. Wirtschaftsaufsicht: - z.T. relativ zurückhaltend: poln. G über Freiheit der Wirtschaftstätigkeit/GewerbeR: nur relativ wenige genehmigungspflichtige Tätigkeiten, häufig bei Auslandsbezug od. Relevanz für Gesundheit der Bevölkerung. Keine ausreichende Kontrolle bei grds. genehmigungsfreien Tätigkeiten (Diemer-Benedict) - weitergehend: russ. LizensierungsG 2001. 2. GewerbeR: - z.T. sehr weiter Geltungsbereich (z.B. auch freie Berufe, so grds. PL und RF) - Diff. von Gewerbefreiheit, Anmeldepflicht (nicht konstitutiv), Genehmigungspflicht und Konzessionspflicht (so PL: Konzessionen nach wohl hM im Ermessen, bei Genehmigungen besteht Anspruch. 3. BauR: z.T. keine Konzentrationswirkung mit anderen Genehmigungen; Antragsteller muss selbst andere Genehmigungen einholen D. Allg. Problembewertung S. Geistlinger, in Luchterhandt, Verwaltung und VerwaltungsR, S.388 f.: I. Allg. - Diskrepanz Recht und Realität als Kennzeichen für „Osteuropa“? z.T. noch zutreffend - Recht als Machtinstrument betrachtet? z.T. noch zutreffend (Problem BeamtenR, Staatsapparat) - Mangelnde Abstraktionsfähigkeit der Gesetzesverfasser (Geistlinger): z.T. noch zutreffend. II. Konkrete Ausprägungen: 1) z.T. noch nicht ausreichende rechtstaatl. Garantien, Regelungsüberschneidungen/Unklarheiten 2) Hauptproblem z.Zt. finanzielle Schwäche: - Stellen nicht besetzt - gute Mitarbeiter wandern aus Vw ab - Politisierung - Korruption Abhilfe: - Ausbildungskonzepte - bessere Bezahlung - bessere Kontrolle Literatur zur Nachbereitung: 1. Verfassungsrecht Schweisfurth/Alleweldt, Die neuen Verfassungsstrukturen in Osteuropa, in: Brunner, Politische und ökonomische Transformation in Osteuropa, 2.A. (1997), S.45 ff 2. Verwaltungsrecht: Luchterhandt (Hrsg.), Verwaltung und VerwaltungsR in Osteuropa (2001) Sommerauer, Ausgewählte Bereiche des materiellen Verwaltungsrechts im Vergleich, in: Wieser/Stolz (Hrsg.), Vergleichendes Verwaltungsrecht in Ostmitteleuropa (2004), S.737 784