"Über mafiöse Geschäfte mit Leiharbeitern in der EU

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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Sprecher:
Leskovac, eine Kleinstadt in Süd-Serbien. Schmutzige Fassaden, verlassene
Geschäfte. In den Straßen rostige Golfs und Yugos. Es regnet, die Menschen haben
sich verkrochen. Rund 200 Euro verdient man hier durchschnittlich im Monat, halb so
viel wie anderswo in Serbien. In Orten wie Leskovac sieht Zukunft aus wie
Vergangenheit, deswegen wollen viele fort, möglichst in die EU – die verheißt den
Menschen hier Arbeit und Hoffnung.
Ansage:
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Über mafiöse Geschäfte mit Leiharbeitern in der EU
Feature von Dominik Bretsch
Sprecher:
Nemad bereitet sich auf die Abreise vor. Ein stämmiger Mann, Mitte vierzig, mit
rundem gutmütigem Gesicht und fliehendem Haupthaar. Morgen will er aufbrechen,
um ein Jahr oder länger auf einer deutschen Baustelle zu arbeiten.
O-Ton 1 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Es ist nicht leicht für mich. Aber diesmal kann ich es kaum erwarten. Nach so vielen
Tagen ohne Arbeit. Versteh mich nicht falsch…
O-Ton 2 Deana (serbisch)
Übersetz. Deana:
Nein, ich verstehe das. Du kannst es ja kaum erwarten, mich anzurufen und zu
sagen, „das erste Gehalt ist da und ich kann es dir nach Hause schicken“.
Sprecher:
Ob er alles gepackt hat, will seine Frau Deana wissen.
O-Ton 3 Deana (serbisch)
Sprecher:
Socken, dünne und dicke, solle Nemad einpacken, eine Kappe und einen
Kapuzenpulli für die Arbeit auf der Baustelle. Und natürlich die Medikamente für das
schmerzende Bein.
Nemad, Deana und ihre drei Kinder wohnen am Stadtrand von Leskovac, wo die
Straßen sich zu unasphaltierten Pisten voller Schlaglöcher wandeln. Sie bitten mich,
in dieser Sendung nicht ihre wahren Namen zu nennen. Nemad will in Deutschland
nicht identifiziert werden. Das Haus ist einfach, aber gepflegt. Drinnen heizt ein
großer Kamin die Wohnräume, deren Ecken schummrig bleiben, weil die Familie am
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Strom für elektrisches Licht spart. Von seinem neuen Job – erzählt Nemad – habe er
durch ehemalige Kollegen erfahren.
O-Ton 4 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Es soll Arbeit für ein bis eineinhalb Jahre geben. Sie bauen Brücken, Fertighäuser.
Es gibt viel zu tun in dieser Firma. Seit eineinhalb Monaten sind meine Kollegen
schon dort und haben das erste Gehalt bekommen.
Sprecher:
Ihr Boss habe eine Firma in Ljubljana, an die solle sich Nemad wenden.
O-Ton 5 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Das deutsche Visum sollte ich innerhalb von zehn Tagen bekommen. Das ist der
Deal. Ich weiß nicht, wo genau die Baustelle ist. Irgendwo in der Nähe von Frankfurt.
Sprecher:
Nemad kennt das Prozedere bereits. Vor zwei Jahren hat er es schon einmal so
gemacht. Er fuhr nach Ljubljana und bekam von einer slowenischen Firma namens
DAMAS einen Arbeitsvertrag, ein Visum und Leiharbeiter-Dokumente, um in
Deutschland arbeiten zu können. Dann entsandte ihn DAMAS an die deutsche
Baufirma M.S.V. Diese wiederum war als Subunternehmen für einen deutschen
Generalunternehmer tätig. Nemad arbeitete als Maurer und Kranführer, goss Beton,
isolierte Wände, verlegte Kanalrohre. Den Lohn erhielt er bar auf die Hand.
O-Ton 6 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Im ersten Monat habe ich Geld bekommen, dann, kurz vor Jahresende als ich nach
Hause wollte, gab er mir nichts mehr. Er sagte, wenn du zurück kommst, kriegst du
das Geld. Jetzt rufe ich ständig an, aber niemand geht mehr ans Telefon. Es geht
nicht nur mir so, sondern auch meinen Kollegen aus Mazedonien. Denen schuldet er
sogar noch mehr.
Sprecher:
Um den Lohn für mehrere Monate harter Arbeit habe ihn sein Arbeitgeber betrogen,
erzählt Nemad.
O-Ton 7 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Wir waren ca. dreißig Arbeiter, und er hat uns um insgesamt vielleicht 100.000 Euro
betrogen. Und es war nicht nur mein Boss Milenko Vasic. Ich kenne viele, denen das
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Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Gleiche passiert ist. Niemand versucht, etwas dagegen zu tun. Die können machen,
was sie wollen.
Sprecher:
Bei Nemad geht es um mehrere tausend Euro. Für die Familie ein Vermögen.
Nemad scheint damit innerlich abgeschlossen zu haben. Anders seine Frau. Immer
wieder sei ihr Mann von seinen Arbeitgebern in den EU Ländern betrogen worden,
sagt Deana.
O-Ton 8 Deana (serbisch)
Übersetz. Deana:
Wo immer er auch hingegangen ist: Am Anfang war es gut, die Auftraggeber
bezahlten. Dann wurde es von Monat zu Monat weniger. Du verdienst 1500 Euro und
der Chef gibt dir 500. Du arbeitest von morgens bis abends, Tag und Nacht, bei
Regen und Schnee, Sonne und Wind. Es ist wirklich eine große Ungerechtigkeit.
Sprecher:
Slowenien, das kleine Land zwischen Alpen und Adria, galt lange Zeit als
osteuropäischer Musterknabe in der EU: Hohes Wirtschaftswachstum, moderne
Infrastruktur, wenig Schulden. Schon 2007, drei Jahre nach der EU-Osterweiterung,
führte das Land den Euro ein. Und dann kam die Krise.
O-Ton 9 Ana Jakopic:
With the crisis the big construction companies of Slovenia collapsed so a lot of really
small enterprises emerged and they started to fish in the pond, competing in a social
dumping way.
Übersetz. Ana Jakopic:
Durch die Krise sind die großen Bauunternehmen in Slowenien Konkurs gegangen.
Es sind viele kleine Unternehmen entstanden, die im selben Teich fischen und sich
bei den Sozialstandards unterbieten.
Sprecher:
Ana Jakopic arbeitet bei der slowenischen Gewerkschaft ZSSS. Ihr Büro liegt am
Miklosicev-Park im Zentrum der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Das
Gewerkschaftsgebäude ist ein grauer Betonkasten aus der Zeit des Sozialismus. Die
Scheiben sind blind, der Aufzug bleibt manchmal stecken. Die junge Rechtsanwältin
nimmt es gelassen. Auf dem Whiteboard in ihrem Büro ist eine Sonne gemalt. Im
Auftrag der slowenischen Gewerkschaft betreut Ana Jakopic hunderte Arbeiter, die
von slowenischen Firmen nach Deutschland und in andere EU Staaten entsandt und
um ihren Lohn betrogen wurden.
O-Ton 10 Ana Jakopic:
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
We work with the workers very closely, we hear their problems, not only legal
problems, but also their social problems. How this whole situation is a really great
pressure on their families on their wives on their children who have to go to school,
who have to eat something. Sometimes it is really psychological pressure, on the
workers and also on us.
Übersetz. Ana Jakopic:
Wir stehen in engem Kontakt mit den Arbeitern. Wir hören ihre Probleme, nicht nur
die rechtlichen, sondern auch die sozialen Probleme ihrer Familien. Wie diese ganze
Situation Druck auf ihre Frauen und Kinder ausübt, die zur Schule gehen und etwas
essen müssen. Es lastet großer psychischer Druck auf den Arbeitern, aber auch auf
uns.
Sprecher:
Im Büro nebenan arbeitet ihr Kollege Marko Tanasic, ein großer hagerer Mann mit
grauer Stoppelfrisur. Zwölf Jahre lang war er Ermittler bei der Polizei, dann wechselte
er zur Gewerkschaft. Anderer Job, gleiches Klientel.
O-Ton 11 Marko Tanasic:
It is in my blood. For them it is some kind of collateral crime, no smoking gun, no
killed man, no bodies. But we have a lot of families without money without normal
conditions for their lives because of such criminals. This is the real crime for me! This
is systematically, like Mafia. It’s crime against the people.
Übersetz. Marko Tanasic:
Ich habe es im Blut. Für die Polizei ist es ein nebensächliches Verbrechen. Keine
rauchenden Pistolen, keine Toten. Aber wir haben viele Familien, die wegen dieser
Kriminellen kein Geld haben, um ein normales Leben zu führen. Das ist das wahre
Verbrechen für mich. Es läuft wie bei der Mafia. Ein Verbrechen gegen die
Bevölkerung.
Sprecher:
In Slowenien, so erfahre ich von Marko, ist es geradezu lächerlich einfach, ein
Unternehmen zu gründen. 7.500 Euro auf einem Konto und eine Viertelstunde im
Internet – schon ist auf dem Papier eine neue Firma entstanden. Danach kann das
Geld wieder vom Konto genommen werden. Es gebe sogar eine Art Schwarzmarkt
für Firmen. Für ein paar hundert Euro könne man ein schon bestehendes
Unternehmen kaufen. Das Geschäft laufe in der Regel über Strohmänner.
O-Ton 12 Marko Tanasic:
It means that the registered director is not director. It’s just a person who pretend that
he is director, but he is not, actually.
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Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
O-Ton 13 Jutta Steinruck:
Wir haben das grundsätzliche Problem, dass wir einen europäischen Binnenmarkt
haben, der Wirtschaften und Erbringung von Dienstleistungen innerhalb aller
europäischer Staaten ermöglicht. Wir haben damit de facto einen europäischen
Arbeitsmarkt, aber wir haben keine übergreifende europäische Gesetzgebung, die
einen europäischen Arbeitsmarkt koordiniert, in Zusammenhang bringt.
Sprecher:
Jutta Steinruck sitzt seit 2009 für die Sozialdemokraten im europäischen Parlament.
Als Berichterstatterin des Ausschusses für Beschäftigung und soziale
Angelegenheiten beobachtet sie seit Jahren die Entwicklungen auf dem
europäischen Arbeitsmarkt.
O-Ton 14 Jutta Steinruck:
Da ist eine unsägliche Allianz. Auf der einen Seite sind es Mitgliedstaaten, die
entsandte Arbeitnehmer aufnehmen, deren Unternehmen ein Interesse haben, dass
es möglichst billige Löhne sind. Und dann gibt es wieder Heimatstaaten,
Entsendestaaten, die sehr froh sind, dass dort Firmen einen Geschäftsbetrieb haben,
Steuern bezahlen. Es gibt Mitgliedstaaten, die haben gar kein Interesse, zum
Beispiel auch eine Briefkastenfirma zu schließen.
Sprecher:
Die ursprüngliche Idee der Arbeitnehmerentsendung innerhalb der EU war es, einem
Arbeitgeber zu ermöglichen, seine Angestellten vorübergehend in einem anderen EU
Staat arbeiten zu lassen, um einen Auftrag dort zu erledigen. Dahinter steht das
Konzept der Dienstleistungsfreiheit, einer der Grundpfeiler der EU.
Mit der Entsenderichtlinie von 1996 sollte gewährleistet werden, dass die entsandten
Arbeiter den inländischen Arbeitern gleichgestellt sind, was Löhne, Arbeitszeiten,
Arbeitsschutz und andere tarifliche Vereinbarungen betrifft. Auf diese Weise sollte
Lohn- und Sozialdumping verhindert werden.
O-Ton 15 Jutta Steinruck:
Der Europäische Gerichtshof hat die ursprünglich in der Entsenderichtlinie
festgelegten Mindestnormen in Maximalnormen umgedeutet, das heißt, dass
wirtschaftliche Freiheiten, die Dienstleistungsfreiheit, vor sozialen Vereinbarungen,
vor Tarifvereinbarungen in den Mitgliedstaaten gilt. Auch Streikrecht in den
Mitgliedstaaten wurde in Frage gestellt. Die Standards in den Mitgliedstaaten wurden
plötzlich als zu hoch erachtet. Der EuGh bestätigt dieses Mehrheitsdenken auf der
europäischen Ebene, dass die Freiheit des Marktes, die Freiheit des Wettbewerbs
über den sozialen Grundrechten steht.
Sprecher:
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Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Ein Viertel aller Entsendungen in der EU findet in der Baubranche statt. Auf dem
Papier ist die Situation der Bauarbeiter besser als in anderen
Dienstleistungsbereichen; es gibt Tarifverträge und eine umfassende
Generalunternehmerhaftung. Doch fehlende Kontrollen machen diese Regelungen
wirkungslos. Und die Gewinnspannen sind enorm.
O-Ton 16 Jutta Steinruck:
Wenn ich mich in Europa umschaue, dann sehe ich an jeder Ecke Menschen aus
vielfach osteuropäischen Mitgliedstaaten aber auch als Drittländern, die als
entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von irgendwelchen Agenturen,
scheinbaren Unternehmen entsandt werden und wie Sklaven bezahlt und behandelt
werden. Von daher scheint mir das schon eine Art Mafia zu sein.
Sprecher:
Nemad, der serbische Arbeiter, ist einer von ihnen. Natürlich ist die Frage: Warum
macht er sich wieder auf den Weg? Ist ihm das Risiko, erneut betrogen zu werden,
nicht zu groß?
O-Ton 17 Nemad (serbisch):
Übersetz. Nemad:
Ich sage nicht, dass dort Milch und Honig fließen, wo ich hingehe. Aber ich muss
arbeiten. Selbst wenn ich nur für drei Monate ein normales Gehalt bekomme. Hier
gibt es keine Arbeit und wenn, dann nicht mal für fünfzehn Tage am Stück.
O-Ton 18 Deana (serbisch)
Übersetz. Deana:
Ich habe Angst. Wir sitzen immer zusammen und diskutieren, ob es gut ist, dass er
geht. Wir hoffen, dass diesmal alles ok ist, aber ich weiß es nicht.
O-Ton 19 Kleine Szene - Nemad und Tochter
Sprecher:
Auf Nemads Schoß sitzt seine jüngste Tochter Anastasia. Sie meint, ihr Vater könne
auch in Serbien Arbeit finden. Er müsse es nur wollen. Ganz so einfach sei es nicht,
erwidert Nemad.
O-Ton 20 Deana (serbisch)
Übersetz. Deana:
Seit Jahren leben wir getrennt um unserer Kinder willen. Sie werden älter und wir
sollten etwas sparen, was wir ihnen hinterlassen können. Aber wir bekommen das
nicht hin. Wir sind beide dreiundvierzig und die Zeit vergeht schnell.
Sprecher:
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Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
500 Euro braucht die Familie, um gerade so über die Runden zu kommen. Im
Sommer geht Deana mit den Kindern Kirschen pflücken. Nemad versucht sein Glück
in der EU.
O-Ton 21 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Ich war immer ein Optimist, aber mich kann nichts mehr überraschen. Wirklich, jeder
ist ein Dieb geworden. Alle meine Kollegen haben erlebt, wie sie oder jemand
anderes übers Ohr gehauen wurden. Es geht nur noch darum, wie viel jemand
verloren hat. 1000 Euro sind keine große Sache mehr.
Sprecher:
Dillenburg, eine verschlafene Kleinstadt in Nordhessen. Zwei Wochen nachdem
Nemad Serbien verlassen hat, bin ich erneut mit ihm verabredet. Die slowenische
Firma Tom.Co hat ihn entsandt. In ihrem Auftrag arbeitet Nemad auf einer
Großbaustelle: der neuen Autobahnbrücke über das Marbachtal. Fünfzig Meter hoch
ragen die Betonpfeiler in den Himmel, von den Seiten spannen sich die
Fahrbahnenden über den Abgrund.
O-Ton 22 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Wir stellen gerade den letzten Pfeiler fertig, da rechts, man sieht ihn nicht so genau
wegen des Wäldchens. Am Dienstag ist geplant, den Beton zu gießen, das sind ca.
400 Kubikmeter.
Sprecher:
Bis jetzt laufe die Arbeit gut. Dennoch: Ob er seinem Chef vertrauen kann, weiß
Nemad nicht.
O-Ton 23 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Ursprünglich kommt er aus Bosnien. Der war bis jetzt korrekt. Ich müsste den ersten
Lohn am kommenden Freitag erhalten. Dann werden wir sehen…
Sprecher:
Gearbeitet wird von 7 bis 18 Uhr. Untergebracht sind Nemad und die anderen
entsandten Arbeiter der slowenischen Firma in einem schäbigen Reihenhaus an der
Hauptstraße von Dillenburg. Eine knarzige Holztreppe führt in den zweiten Stock. Zu
siebt wohnen Nemad und seine Kollegen in zwei Zimmern. Sie kommen aus
Bosnien, dem Kosovo und Serbien. In einem Raum stehen vier Doppelstockbetten
an der Wand, daneben ein paar Sporttaschen. Der andere Raum ist das
„Wohnzimmer“: Nackte, weiße Wände, ein alter Röhrenfernseher mit krisseligem
Bild, aus dem deutsche Werbung dudelt. Die Arbeiter sitzen um einen ausrangierten
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Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Wohnzimmertisch herum, Tassen mit dampfendem Instantkaffee in der Hand. Sie
haben Feierabend, tragen Jogginghosen und Badelatschen und versuchen, es sich
in ihren Plastikgartenstühlen bequem zu machen. Für geleistete Arbeit keinen Lohn
zu erhalten – das hätten sie immer wieder erlebt.
O-Ton 24 Arbeiter (serbisch)
Übersetz. Arbeiter:
Man hat immer die Hoffnung, dass das Geld noch kommt. Es ist ein Teufelskreis. Der
Chef sagt ja nie: „Ihr bekommt euer Geld nicht”, sondern: „Ihr kriegt es morgen, am
Mittwoch, am Montag…ich habe Probleme mit der Firma, die hat mir das Geld nicht
rechtzeitig ausgezahlt, es gibt ein Problem mit der Bank”. Er findet immer wieder eine
Ausrede, damit du noch eine Woche länger arbeitest. Und so geht es einen Monat,
zwei, dann drei…bis man endgültig die Nase voll hat, die Sachen packt und abhaut.
Sprecher:
Ohne Sprachkenntnisse und Kontakte in Deutschland sind die Arbeiter hilflos. Hier
bleiben die Dimensionen des Problems unsichtbar.
O-Ton 25 Arbeiter (serbisch)
Übersetz. Arbeiter:
Viele der Betroffenen kennen sich mit den Gesetzen nicht aus und wissen nicht,
wohin sie sich wenden sollen. Die Arbeitgeber drohen ihnen mit dem Zollamt, nach
dem Motto: „ihr werdet aus Deutschland vertrieben, ihr werdet nie wieder irgendwo
arbeiten können…” Mit solchen Geschichten versetzen sie die Leute in so eine
Angst, dass es für sie dann am einfachsten erscheint, eine neue Firma zu suchen.
Sprecher:
Auch Nemads Kollegen haben – vermittelt durch slowenische Subunternehmen –
schon einmal für die Firma M.S.V. GmbH und deren Inhaber Milenko Vasic
gearbeitet. Ihnen sei die Firma ebenfalls mehrere tausend Euro Lohn schuldig
geblieben. Wer ist dieser Milenko Vasic, und ist seine Firma wirklich so unseriös, wie
die Arbeiter behaupten? Im Internet finde ich zwar keine Homepage des
Unternehmens, aber eine Geschäftsadresse in Frankfurt, eine E-mail Adresse und
eine Telefonnummer. Ich versuche es mit einem Anruf.
Sprecher:
Als nächstes verschicke ich eine E-Mail Anfrage. Die Mail landet wenige Minuten
später als unzustellbar wieder in meinem Postfach. Über das deutsche
Handelsregister bekomme ich die Gründungsurkunde der Firma. Hier ist Milenko
Vasic als einziger Gesellschafter eingetragen. Immerhin, die Geschäftsadresse, die
ich im Internet gefunden habe, stimmt dem Dokument zufolge. Auch die
Jahresabschlüsse kann ich im Unternehmensregister einsehen; allerdings finde ich
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nur die Bilanzen für die Jahre 2011 und 2012. Ich beschließe, Milenko Vasic direkt
am Firmensitz aufzusuchen.
Sprecher:
Die Adresse führt mich zu einem 10stöckigen Bürogebäude an einer vielbefahrenen
Straße am Stadtrand von Frankfurt. Nebenan Fitness pur für 9 Euro 90, ein
Spielcasino, eine Tankstelle. Auf dem Klingelschild sind 82 Namen, darunter
zahlreiche Baufirmen. M.S.V. ist auch dabei. Ich drücke die Klingel. Niemand meldet
sich, aber die Eingangstür ist offen.
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Sprecher:
Drinnen steril wirkende Flure, grauer Industrieteppich, abgehängte Decken,
Neonlicht. Zwei Männer vom Typ Hütchenspieler begegnen mir: große Sonnenbrille
mit Goldrand, zurückgegelte Haare, schwarze Lederjacke, Anzughose. Im 1. Stock
entdecke ich einen Flur mit vielen Baufirmen. Am Ende des Ganges steht eine Tür
offen, eine Gruppe Männer hat es sich hier zwischen Kisten, Akten und
ausrangierten Computern gemütlich gemacht. Sie rauchen Wasserpfeife.
O-Ton 26 Kurze Szene - Im türkischen Flur:
Autor: 5:00 Kennen Sie Milenko Vasic?
Mann: Oh, keine Ahnung, alles Türkei.
Autor: Nur türkische Firmen?
Mann: Ja, nur türkisch
Sprecher:
Im achten Stock werde ich fündig. An der Tür ist ein winziger Aufkleber angebracht.
Darauf steht M.S.V. Bau GmbH. Keine Kontaktdaten, keine Öffnungszeiten.
Sprecher:
Niemand öffnet. Vielleicht weiß der Nachbar bei „Mansoud Gastropersonal“ etwas.
O-Ton 27 Kurze Szene - Gespräch mit dem Nachbarn:
Autor: Hallo, ich bin auf der Suche nach der Firma M.S.V. sind da öfter mal Leute
da?
Nachbar: Keine Ahnung, weiß ich nicht. Ich seh‘ die einmal im Monat. Öfter sind die
nicht da.
Sprecher:
Wie können sich deutsche Auftraggeber auf so eine Firma einlassen? Es braucht ja
nicht viel, um herauszufinden, dass dieses Unternehmen kaum seriös sein kann:
Keine funktionierende Telefonnummer, keine Homepage, kein Büro. Sind die
deutschen Auftraggeber wirklich so naiv? Oder nehmen sie den Missbrauch einfach
billigend in Kauf? Ich würde diese Fragen gerne einem der Generalunternehmer
stellen, der Aufträge an M.S.V. vergeben hat. Eine mittelständische Baufirma aus
Mannheim. Doch deren Geschäftsführer möchte sich dazu im Interview nicht äußern.
Auch der Name des Unternehmens solle nicht genannt werden. In einer schriftlichen
Stellungnahme heißt es lediglich:
Zitator:
„Wir haben auch in der Vergangenheit die Firma M.S.V. als Subunternehmer
beauftragt und konnten im Rahmen der Auftragsabwicklung keine
Unregelmäßigkeiten feststellen. Vielmehr hat die Fa. M.S.V Leistungen stets
ordnungsgemäß erbracht und wurde von uns ebenso ordnungsgemäß vergütet. Wir
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hatten daher in der Vergangenheit keinerlei Anhaltspunkte für etwaige unseriöse
Geschäftspraktiken der Firma M.S.V.“
Sprecher:
Die Firma M.S.V. ist kein Einzelfall. Immer wieder wagen sich verzweifelte Arbeiter
doch in die Öffentlichkeit und streiken, um ihren Lohn einzufordern. In die
überregionalen deutschen Medien schaffen sie es selten. Dann muss es schon um
ein Luxus-Einkaufszentrum wie die Mall of Berlin gehen. Die deutschen
Generalunternehmer, in deren Auftrag die dubiosen Subfirmen tätig sind, fühlen sich
nicht verantwortlich. Die Geschäftspartner würden gründlich geprüft, sagt man mir in
einem Fall am Telefon, ein gewisses Restrisiko lasse sich eben nicht ausschließen.
Schließlich bekomme ich doch noch eine Telefonnummer von Milenko Vasic: Über
die Hausverwaltung des Bürogebäudes, in dem die M.S.V. GmbH gemeldet ist. Und
diesmal funktioniert sie.
Sprecher:
Er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun, behauptet Milenko Vasic am Telefon.
Die Arbeiter seien über ein Subunternehmen aus Slowenien bei ihm beschäftigt
gewesen. ADAMS sei dessen Name, mit Sitz in Ljubljana. Dem Subunternehmen
habe er das Geld für die Löhne ausgezahlt. Was ADAMS damit gemacht habe, gehe
ihn nichts an. Um der Sache nachzugehen, fliege ich noch einmal nach Slowenien.
Sprecher:
Ich bitte den Gewerkschafter Marko, nach der Firma ADAMS zu suchen, die Nemads
Kollegen an die M.S.V GmbH und Milenko Vasic verliehen hat.
O-Ton 28 Marko Tanasic:
I just have to check. …. Ah..
Tatsächlich findet Marko das Unternehmen schon nach wenigen Klicks – und macht
eine interessante Entdeckung: Die Firma ADAMS hieß früher DAMAS, so wie jene
Firma, die Nemad das erste Mal nach Deutschland entsandte. Inhaber von ADAMS
ist ein gewisser Aleksandar Vasic. Er ist der Sohn von Milenko Vasic. Offensichtlich
haben Vater und Sohn ein profitables Geschäftsmodell entwickelt: Der Sohn
entsendet über die slowenische Firma die Arbeiter, der Vater organisiert in
Deutschland die Aufträge.
O-Ton 29 Marko Tanasic:
To punish those directors unfortunately the chances are not so big. Because you
have to have a strong evidence that he did all the things intentionally. It’s hard to
collect such strong evidences to prove that.
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Übersetz. Marko Tanasic:
Leider sind die Chancen nicht besonders groß, dass solche Geschäftsführer bestraft
werden. Denn man muss sehr starke Beweise haben, dass sie alles absichtlich getan
haben. Und es ist sehr schwer, solche Beweise zu finden
Sprecher:
Milenkos Frau Stoja mischt ebenfalls im Business mit. M.S.V steht ganz einfach für
Milenko und Stoja Vasic. Das, erklärt mir Ana, sei ein typisch slowenisches Modell:
O-Ton 30 Ana Jakopic:
One family owns many many companies so a husband has three companies, the
daughter has four, but the real boss is the son. So what it will help if for example the
daughter is not allowed to open a new company. First of all they have so many
companies opened and second if that happens they have other family members. And
the real owners are usually not on the papers, they are behind the scene.
Übersetz. Ana Jakopic:
Meist besitzt eine Familie viele Unternehmen. Der Vater hat drei Firmen, die Tochter
vier, aber der wahre Boss ist der Sohn. Was bringt es also, wenn der Staat zum
Beispiel der Tochter verbietet, eine neue Firma zu eröffnen? Sie haben so viele
Firmen und so viele Familienmitglieder. Und die wahren Eigentümer stehen in der
Regel nicht auf dem Papier, sie agieren hinter den Kulissen.
Sprecher:
Die Firma ADAMS hat eine Adresse in der Innenstadt von Ljubljana. Ein düsteres
menschenleeres Geschäftsgebäude, in dem die Rolltreppen geisterhaft nach oben
fahren. Die Ladengeschäfte reihen sich entlang enger Flure aneinander. ADAMS ist
die Nummer 40 im ersten Stock. Tatsächlich steht in zierlichen blauen Buchstaben
der Firmen-Name an der Scheibe. Sonst nichts, die Jalousien sind heruntergelassen.
Es gibt keine Klingel, keine Geschäftszeiten, keine Telefonnummer. Es gibt nicht mal
einen Briefkasten.
Sprecher:
Über 190.000 Firmen sind in Slowenien registriert. Für ein kleines Land eine
erstaunlich große Zahl. Für deren Überprüfung hat der Staat gerade einmal 46
Inspekteure angestellt. Die Behörde befindet sich in einem neu errichteten
Verwaltungsgebäude am Stadtrand von Ljubljana. Drinnen riecht es nach frisch
verlegten Teppichen. Die Büros wirken wie aus dem Katalog: Kunstdrucke,
Gummibäume, Flipcharts. Hier treffe ich Damjan Masera; er koordiniert die Einsätze
der Arbeitsinspekteure.
O-Ton 31 Damjan Masera:
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Almost every complaint gives us a criminal offence. It is like 6500 complaints and we
found. I have data here. last year we found 9700 criminal offences. Whenwe go on
inspection procedure regarding complaint. There is a certainty that we will find that
offence that is described in the complaint. We got one person who registers 200 or
more companies. Someone who would work in legal framework, he doesn’t need 240
companies.
Übersetz. Damjan Masera:
Bei fast jeder Beschwerde, die wir bekommen, stoßen wir auf eine Straftat. Im
vergangenen Jahr hatten wir 6500 Beschwerden, und wir haben 9700 Straftaten
entdeckt. Wenn wir Unternehmen überprüfen, über die sich Arbeiter beschwert
haben, stoßen wir mit Sicherheit auf das Vergehen, das in der Beschwerde
beschrieben wurde. Es gab jemanden, der hatte über 200 Firmen auf sich registriert.
Jemand, der innerhalb des rechtlichen Rahmens arbeiten will, braucht nicht so viele
Firmen.
Sprecher:
Damian Masera ist Anfang dreißig. Er trägt ein graues Hemd, zugeknöpft bis zum
obersten Knopf. Ich spüre, dass er angespannt ist. Er will die Regierung, seinen
Arbeitgeber, nicht zu offen kritisieren. Und findet dennoch deutliche Worte.
O-Ton 32 Damjan Masera:
I don’t know if there is a masterplan, but we don’t get any feedback about those
figures. Personally it is not good to get so many complaints that you can’t solve in a
reasonable time. That is frustrating and that is also not good for inspectors, So we
had to create a list of complaints that are more important than others. If someone
didn’t get the wage paid in six months it is important to go there and check.
Übersetz. Damjan Masera:
Ich weiß nicht, ob das beabsichtigt ist, aber wir bekommen keine Rückmeldung auf
diese Zahlen. Es ist nicht gut, so viele Beschwerden zu kriegen, man hat nicht die
Zeit, allen nachzugehen. Das ist frustrierend. Es ist nicht gut für die Inspektoren. Wir
haben eine Liste gemacht mit den wichtigsten Beschwerden. Zum Beispiel wenn
Arbeiter sechs Monate keinen Lohn bekommen.
Sprecher:
Damian Masera zeigt mir eine Tabelle. Daraus geht hervor, dass sich die Anzahl der
Gesetzesverstöße von slowenischen Unternehmen seit 2007 verdoppelt hat, von
knapp 5000 auf rund 10.000 jährlich. Und das sind nur die Fälle, bei denen die
Arbeitsinspektoren tätig wurden. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.
O-Ton 33 Damjan Masera:
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
That is the main problem with letterbox companies. Employers are unavailable. We
only get information from employees. And there is not enough information to conduct
inspection procedures in the end.
Übersetz. Damjan Masera:
Das ist das Hauptproblem mit den Briefkastenfirmen: Die Eigentümer sind nicht
greifbar. Wir bekommen nur von den Arbeitern Informationen. Und die reichen nicht,
um eine Überprüfung einzuleiten.
Sprecher:
In den meisten Fällen gehe es um nicht gezahlten Lohn, sagt Damjan Masera. Das
Risiko für die Firmeninhaber sei gering. Und selbst wenn sie erwischt würden, kämen
sie mit einer geringen Strafe davon.
O-Ton 34 Damjan Masera:
The fines go from 4000 to 20.000 Euros. The maximum fine for an offence regarding
employment relationships. Fines for personal responsability are lower, quite lower.
We also find out that a lot of companies that are fined, they don’t pay (the) fine
because they close the companies before the fine gets paid. And you can do nothing
about that. So if fines are prescribed and aren’t paid there is no function of that.
Übersetz. Damjan Masera:
Die Strafen reichen von 4000 bis 20.000 Euro. Das ist die Maximalstrafe im
Arbeitsrecht. Die Strafen bei persönlicher Haftung sind sehr viel niedriger. Außerdem
erleben wir, dass viele Firmen, die eine Geldstrafe bekommen haben, nicht zahlen.
Sie schließen einfach die Firma und wir können nichts dagegen tun. Die Strafen
haben also keine Wirkung.
Sprecher:
Allmählich formt sich ein Bild: Wenige Inspekteure, geringes Risiko, kaum Auflagen,
um ein Unternehmen zu gründen oder zu schließen. In der Eurokrise seit 2008
scheint der slowenischen Regierung jedes Mittel recht gewesen zu sein, um
Wirtschaftswachstum zu generieren – oder auch nur zu simulieren.
Sprecher:
Arbeiter aus Staaten, die nicht zur EU gehören, wie Serbien oder Bosnien, brauchen
eine Aufenthaltsgenehmigung, um in einem EU Land arbeiten zu dürfen. Die
bekommen sie, wenn sie zum Beispiel über eine slowenische Firma angestellt
werden. Darüber hinaus müssen die slowenischen Arbeitgeber eine sogenannte A1
Bescheinigung besorgen, wenn sie Arbeiter entsenden wollen. Das Papier dient als
Nachweis, dass der Arbeiter im Entsendeland sozial- und krankenversichert ist.
Diese Bescheinigung wird von der staatlichen Gesundheitsbehörde in Slowenien
ausgestellt. Rund 60.000 A1 Bescheinigungen wurden im vergangenen Jahr
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
ausgegeben, heißt: 60.000 entsandte Arbeiter, alleine aus Slowenien. Es fehle das
Personal, alle diese Anträge ordentlich zu prüfen, so die Behörde.
Im Ergebnis führt das dazu, dass selbst Firmen, deren Bankkonten gesperrt sind, die
weder Steuern noch Sozialversicherungen zahlen und keine Einnahmen in ihren
Bilanzen ausweisen, A1 Bescheinigungen ausgestellt bekommen.
Unverblümt schalten sie Annoncen in Zeitungen und im Internet, um Arbeiter
anzuwerben. Mich interessiert: Wer steckt hinter diesen Firmen?
Sprecher:
Die slowenische Gewerkschaft hilft mir erneut bei der Recherche. Wir rufen bei einer
Firma an, die laut Unternehmensregister keine Einnahmen hat und lediglich das
Minimalkapital von 7500 Euro auf dem Firmenkonto ausweist. Deutliche Anzeichen
für eine Briefkastenfirma. Das Unternehmen hat eine Anzeige geschaltet und sucht
Arbeiter für Aufträge in Deutschland. Lockvogel am Telefon ist Goran, ein Kollege
von Ana und Marko bei der slowenischen Gewerkschaft. Er stammt aus Bosnien und
hat selbst jahrelang auf dem Bau gearbeitet.
O-Ton 35 Goran und Briefkastenfirma-Inhaber (bosnisch):
Übersetz. Goran:
Hallo, guten Tag. Sind Sie Herr Bunić? Ich habe eine Anzeige bei der Jobbörse
gesehen. Für Zimmermannsarbeiten in Deutschland. Wo ist das, in Nürnberg?
Übersetz. Bunić:
Ja, Nürnberg. Da wird eine Schule abgerissen, und dann soll ein Sportzentrum
entstehen, ich weiß es nicht genau. Irgendein Flachbau. Die Fahrt zur Arbeit und
zurück ist organisiert, die Übernachtung auch. Das Essen besorgst Du selbst. Wenn
Du ordentlich arbeitest, gibt es 8 Euro die Stunde. Sonst weniger.
Übersetz. Goran:
Ihr macht das noch nicht so lange, oder?
Übersetz. Bunić:
Seit einem Jahr. Wir haben jetzt ca. 20 Leute, die für uns arbeiten. Ich weiß es auch
nicht genau. Der Chef hat schon einiges erlebt. Hat früher mal für Leute gearbeitet,
die nicht zahlten. Deswegen haben ich und er uns entschieden, lieber ne eigene
Firma zu gründen. Ich hab gesagt: Wir werden uns das Geld dafür schon
zusammenleihen. Wir brauchen nur die Arbeiter und bezahlen, je nachdem wie es
läuft. Und wenn es nicht weitergeht, sagen wir eben: Leute, es gibt keine Arbeit
mehr...
Sprecher:
Die Hintermänner der Briefkastenfirmen haben es gar nicht nötig, sich zu verstellen
und einen seriösen Geschäftsbetrieb vorzutäuschen. Es ist klar: Wer die
Verbindungen nach Deutschland hat, diktiert die Bedingungen. Für die Arbeiter
bedeutet das: Friss oder stirb.
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
O-Ton 36 Ana Jakopic:
The workers are really really depressed. They don’t see any possibility for finding
really good employers, which would mean in their terms someone who would pay
minimum wages, regularly or at least somehow regulary, depending on the work they
do.
Übersetz. Ana Jakopic:
Die Arbeiter sind sehr deprimiert. Sie sehen keine Möglichkeit, wirklich gute
Arbeitgeber zu finden. Also jemanden, der ihnen den Mindestlohn zumindest
einigermaßen regelmäßig zahlt.
Sprecher:
Ana Jakopic und ihre Kollegen bei der slowenischen Gewerkschaft können nur
versuchen, den Schaden für die Arbeiter zu begrenzen. Selten gelingt es,
Entschädigungszahlungen einzufordern oder einen Job bei einem wirklich seriösen
Unternehmen zu vermitteln.
O-Ton 37 Ana Jakopic:
I had a very frustrating situation when a worker who came to us many times – I think
it was the 5th company in a row that didn’t pay him properly and he didn’t know what
to do. He said: You know Ana, can we find a company that has no blocked bank
accounts, who pays the workers minimum wages or at least the stipulated wage
which is agreed. And I had to say unfortunately: no, that I am not able to say that
there is a fair company out there.
Übersetz. Ana Jakopic:
Ich hatte ein sehr frustrierendes Erlebnis mit einem Arbeiter, der sehr oft zu uns kam.
Ich glaube, es war das fünfte Unternehmen nacheinander, das ihn nicht bezahlt hat.
Er fragte mich: Können wir eine Firma finden, die keine gesperrten Bankkonten hat,
die den Mindestlohn zahlt, oder wenigstens den vereinbarten Lohn? Und ich musste
leider sagen: Ich weiß nicht, ob es ein faires Unternehmen da draußen gibt.
Sprecher:
Seit Jahren verschlechtert sich die Situation für entsandte Arbeitnehmer auf dem
europäischen Arbeitsmarkt. Es fehlt der politische Wille, wirksame
Schutzmaßnahmen im Entsendesystem zu verankern. Auf Druck des Europäischen
Parlaments hat die EU Kommission mehrere Jahre an einer Reform der
Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 gearbeitet. Herausgekommen ist die
sogenannte „Durchsetzungsrichtlinie“. Seit Mai 2014 ist sie in Kraft. Darin wird unter
anderem ein besserer Informationsaustausch nationaler Behörden vereinbart und
eine Reihe neuer Auflagen für Entsende-Unternehmen festgelegt. Doch all diese
Regeln und Absichtserklärungen nutzen nichts, solange sie nicht wirksam kontrolliert
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
und durchgesetzt werden können. EU Parlamentarierin Jutta Steinruck war an den
Verhandlungen rund um die Reform der Entsenderichtlinie beteiligt.
O-Ton 38 Jutta Steinruck:
Ich bin nicht der Meinung, dass wir alles europäisch regeln müssen, aber wir müssen
europäische Arbeitsverhältnisse regeln, gerade was Kontrollen betrifft. Und da
blockieren die Mitgliedstaaten, dass es grenzübergreifend schneller geht. Ich hab
schon Subunternehmerketten quer durch Europa erlebt. Und wenn dann jedes Mal
eine formale Anfrage in ein anderes Mitgliedsland gestartet werden muss - das
dauert Zeit. Dann stellt sich heraus, der nächste Subunternehmer ist wieder in einem
anderen Mitgliedstaat. Das ist für national aufgestellte Arbeitskontrollen nicht zu
leisten.
Sprecher:
Eine europäische Agentur für Arbeitskontrollen könnte eine Lösung sein. Doch mit
dieser Forderung konnten sich Steinruck und die europäischen Sozialdemokraten
nicht durchsetzen. Kommission und Mitgliedstaaten sperrten sich. Die Reform der
Entsenderichtlinie, die Kommission und Europäischer Ministerrat als großen
Fortschritt in Sachen Arbeitnehmerschutz feierten, bringe deshalb in Wahrheit kaum
Verbesserungen.
O-Ton 39 Jutta Steinruck:
Schlimmstenfalls wird sie sogar eine Verschlechterung der bestehenden
Entsenderichtlinie verursachen, weil wieder sehr viele unklare Definitionen
vorhanden sind. Auch die Tatsache, dass jetzt die Kommission von den
Mitgliedstaaten gefragt werden muss, ob eine Kontrollmaßnahme im Land zulässig
ist, ist für mich aus deutscher Sicht eine Schwächung. Zur Zeit kann die Kontrolle
Schwarzarbeit, den Arbeits- und Gesundheitsschutz auf den Baustellen kontrollieren,
was sie für wichtig und richtig halten. In Zukunft muss dann die Bundesregierung die
Kommission anfragen, ob weitergehende Maßnahmen erlaubt sind. Das sehe ich aus
deutscher Sicht schon als eine Schwächung, gerade wo wir wissen, dass es viel
Missbrauch gibt. Dass es sehr viel Illegalität gibt, und eine sehr große Kreativität
vorhandene Gesetzgebungen, auch neue, zu umgehen.
Sprecher:
Ana und Marko von der slowenischen Gewerkschaft könnte ein Schlag gegen dieses
mafiöse System gelingen. Sie sind von einem ehemaligen Arbeiter kontaktiert
worden. Er habe Dokumente, die die Machenschaften der Entsendefirmen belegten,
sagte er am Telefon. Wir treffen den Mann in seinem Haus in der Hafenstadt Koper
an der Adria. Er wohnt in einem dreistöckigen Neubau mit riesigen Balkonen.
Drinnen weiße Ledersofas, ein 70 Zoll Flatscreen Fernseher an der Wand. Der
Whistleblower begrüßt uns in Jogginghosen und Pantoffeln, das lange graue Haar
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
fällt in Dauerwellen auf seine Schultern. Um seinen Hals eine dicke Goldkette. Sein
breites Gesicht hat den Ausdruck eines sympathischen Schlitzohrs.
Sprecher:
Kaum haben wir uns begrüßt, taucht eine junge Frau auf, die sich als seine Tochter
vorstellt. In der Hand hat sie eine pralle Plastiktüte, deren Inhalt sie in einem Schwall
auf den Tisch kippt: Bankauszüge, ausgedruckte E-Mails, Briefe von deutschen und
slowenischen Behörden, Passkopien. Es stellt sich heraus: Dieses Haus war der Sitz
einer Briefkastenfirma, die Arbeiter nach Deutschland entsandte.
O-Ton 40 Whistleblower (bosnisch):
Whistleblower:
Der Boss hat die Post abgeholt und sie dann einfach weggeworfen. Er hat sie noch
nicht einmal geöffnet, denn es läuft ja nichts auf seinen Namen, alles läuft über
diesen Seferovic. „Die Behörden können mir nichts“, sagte er immer. Aber er ist der
wahre Inhaber. Der andere war nur auf der Baustelle, ein Arbeiter wie ich.
Sprecher:
Die Post, die sein Boss angeblich einfach wegwarf, habe er dann wieder aus dem
Müll geholt, erläutert der Whistleblower. Warum, bleibt unklar. Ebenso, wie er an die
privaten Mails und Kontoauszüge seines Bosses gekommen ist. Das große Haus, die
Einrichtung, der Geländewagen vor der Tür deuten darauf hin, dass der
Whistleblower nicht der einfache Arbeiter war, für den er sich ausgibt. Sondern dass
er selbst mitgemischt und gut verdient hat, bis es zum Bruch mit seinem Boss kam.
O-Ton 41 Marko Tanasic:
It’s mostly revenge. I didn’t tell them but they didn’t do anything in 5 years when
everything was ok and they had a lot of money from this business. But I don’t care
about it. I just see the documents.
Übersetz. Marko Tanasic:
Meistens geht es um Rache. Ich habe es ihnen nicht ins Gesicht gesagt, aber sie
haben nichts getan in den fünf Jahren, in denen sie viel Geld mit diesen Geschäften
verdient haben. Aber mir ist das egal. Ich sehe nur die Dokumente.
Sprecher:
Was immer die persönlichen Motive des Mannes sind: Für Marko sind die
Dokumente ein seltener Schatz. Darunter sind: eine Vollmacht, die belegt, dass der
offizielle Firmeninhaber ein Strohmann ist, Besprechungsprotokolle, Verträge mit
deutschen Firmen, Kontoauszüge, E-Mails mit internen Absprachen.
O-Ton 42 Marko Tanasic:
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
I think that the documents are strong evidences. For example if we check one of his
companies: We can see that they don’t pay the taxes, they are blocked without any
official report. It means „no Data, no Data, no Data”. For three last years the income
is zero. But if we see the documents there was a lot of money in circulation. For
example in 2014, look it’s 14th Jan 50.000 20th Jan 45.000, 21th 20.000. It’s more
than 100.000 just for two months. If we see the number of the people who work for
them it is more than 100. You can realize what amount of work was done.
Übersetz. Marko Tanasic:
Ich denke, dass die Dokumente starke Beweiskraft haben. Wenn wir uns zum
Beispiel eine dieser Firmen ansehen... Wir sehen, dass sie keine Steuern zahlt und
keinen Geschäftsbericht hinterlegt hat. Der Staat hat das Konto gesperrt. Das
Einkommen der letzten drei Jahre ist Null. Aber aus den Dokumenten geht hervor,
dass sehr viel Geld zirkulierte. Zum Beispiel 2014: am 14. Januar 50.000, am 20.
45.000 und am 21. Januar 20.000. Das sind mehr als 100.000 Euro. Es waren mehr
als 100 Arbeiter bei ihm beschäftigt. Du kannst dir vorstellen, wieviel Arbeit in den
vergangenen drei Jahren geleistet wurde.
Sprecher:
Dass die Dokumente gefälscht sein könnten, hält Marko für unwahrscheinlich. Dafür
seien sie zu vielfältig und zu detailliert
O-Ton 43 Marko Tanasic:
Every document we should again check. But it is quite good information were to look
for other information. Other evidences. This (is the) personal bank account. For
example (if the) bank gives us the whole transactions it is strong evidence.
Übersetz. Marko Tanasic:
Jedes Dokument sollten wir noch einmal prüfen. Aber es sind sehr gute Hinweise
darunter, wo wir nach weiteren Informationen und Beweisen suchen können. Wir
haben die persönliche Kontonummer. Wenn uns die Bank alle Transaktionen
übermittelt, haben wir starke Beweise.
Sprecher:
Marko ist in seinem Element. Nur selten, sagt er, könne man den Hintermännern der
Briefkastenfirmen etwas vor Gericht nachweisen. Während sich Kapital und
Arbeitskräfte in Europa frei bewegen können, scheitern die Kontrolleure in der Regel
an den Landesgrenzen.
O-Ton 44 Marko Tanasic:
It is very hard to find out about personal accounts especially abroad. I think we have
good chances with this to proof that this crime offender did all these things
intentionally. Often such criminal offenders in the court they put some evidences that
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Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
they didn’t get any money, that they are in financial problems. But with this we will
proof that he had money. A lot of money that he was hiding all the time.
Übersetz. Marko Tanasic:
In diesem Fall haben wir Glück gehabt. Es ist sehr schwer, etwas über Privatkonten
herauszufinden, vor allem im Ausland. Ich glaube aber, wir haben gute Chancen, vor
Gericht nachzuweisen, dass der Firmeninhaber das alles absichtlich getan hat. Vor
Gericht führen diese Kriminellen in der Regel irgendwelche Gründe an, dass sie kein
Geld bekommen haben, oder dass sie in finanziellen Schwierigkeiten sind.
Aber mit diesen Dokumenten können wir beweisen, dass er sehr viel Geld hatte und
es die ganze Zeit versteckte.
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Sprecher:
In den kommenden Wochen wird Marko die Dokumente durchsehen, sortieren und
ergänzen. Dann will er sie der Polizei übergeben, in der Hoffnung, dass die
Staatsanwaltschaft Anklage erhebt und die Firmeninhaber vor Gericht stellt.
Sprecher:
Diesen organisierten Kriminellen im Entsendesystem könnte die EU ihre Geschäfte
erheblich erschweren: Durch einheitliche Standards für Entsendefirmen, Nachweise
eines geregelten Geschäftsbetriebs im Heimatland, wirksame Kontrollen und
Sanktionen bei Missbrauch. In seinen Bewerbungsreden vor dem Europäischen
Parlament hat der derzeitige EU Kommissionspräsident Jean Claude Juncker zwar
versprochen, das Entsendesystem auf Schwachstellen zu überprüfen. Geschehen ist
jedoch wenig.
O-Ton 45 Jutta Steinruck:
Missbrauchsfälle liegen haufenweise aus ganz Europa auf dem Tisch, da brauche ich
keine lange Untersuchungen, das kennen wir alle schon seit vielen Jahren. Ich
erwarte immer noch von der europäischen Kommission, dass sie uns einen
Vorschlag vorlegen wird, wie die bestehende Entsenderichtlinie überarbeitet wird.
Der Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Und wenn das
ausreichend kontrolliert wird, kontrolliert werden kann, dann sind wir schon ein
ganzes Stück weiter.
Sprecher:
In Dillenburg sind die Arbeiten an der Autobahnbrücke fast abgeschlossen. Nemad
und seine Kollegen sind noch immer dort.
O-Ton 46 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Wir haben schon eine neue Arbeit, hier irgendwo in der Nähe. Morgen fahren da zwei
von uns hin, um Vorarbeiten zu erledigen. Ich komme dann gegen Ende des Monats
für Maurerarbeiten nach.
Sprecher:
Den ersten Monatslohn hat Nemad wie vereinbart ausgezahlt bekommen. Ein paar
hundert Euro davon hat er an seine Familie in Serbien überwiesen. Dennoch: Die
Skepsis bleibt.
O-Ton 47 Nemad (serbisch)
Übersetz. Nemad:
Ich werde nie 100%ig sicher sein. Dieser Arbeitgeber ist wohl besser als mein
früherer war, und trotzdem sage ich: Man weiß ja nie.
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DOK 5 – Das Feature: 30./31.08.2015
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Sprecher:
Einen kleinen Lichtblick gibt es auch in Slowenien: Die Regierung will den Boom der
Briefkastenfirmen im Land mit einem Gesetz zukünftig eindämmen. Inhaber von
Firmen, die Steuern unterschlagen oder eine Strafe der Arbeitsinspektion bekommen
haben, sollen keine neue Firma mehr gründen dürfen. Auch das vorzuweisende
Mindestkapital für eine Firmengründung wird erhöht. Ein kleiner Erfolg für die
Gewerkschaften im Land, die diese gesetzlichen Neuerungen erstritten haben.
Doch solange die europäischen Rahmenbedingungen des Entsendesystems nicht
verschärft werden, wird sich an der Gesamtsituation kaum etwas ändern. Dafür ist
das Geschäft mit der Ausbeutung viel zu lukrativ.
Absage:
Abzocke im Schatten der Freizügigkeit
Über mafiöse Geschäfte mit Leiharbeitern in der EU
Feature von Dominik Bretsch
Die Sprecher waren: Matti Krause, Marie Bonnet, Daniel Arthur Fischer,
Thomas Höhne und Max Ruhbaum
Ton und Technik: Andreas Völzing, Andrea Greß und Michael Müller
Regie:: Karin Hutzler
Redaktion:: Wolfram Wessels
Eine Produktion des Südwestrundfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk
2015
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