Manuskript: Alles schillert!

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Dieter Kranz
Was Eisen nicht heilt, heilt Feuer
Deutschlandradio Feature, 15.3. 05, 19.00-19-30 , Red. Dorothea Westphal
Text 120 Zeilen = ca 8’
Musik (Summe) ca 2’00
O-Töne (Summe) ca 22
Verwendete Musik: „Daniel Hope East meets West“
Warner Classics 2564 61329 2, LC 04281
Kurze Blenden aus Nr.1,2,18,19
Moderation
Schillers Jugenddrama „Die Räuber“ lässt sich nicht auf eine Linie festlegen. Aber ob
man nun den ungestümen Protest einer jungen Generation ins Zentrum rückt oder
einen Terroristenkrimi herausliest oder den Text zertrümmert, um aus den Teilen
neue bittere Wahrheiten zu gewinnen – immer behält das Stück seine subversive
Kraft – und wird zum Spiegel der Zeit, die ihn durch ihre Brille sieht. Das zeigt eine
Sendung mit Original-Tondokumenten aus dem letzten halben Jahrhundert. In Inszenierungen von Martin Flörchinger , Peter Zadek, Manfred Karge, Matthias Langhoff,
Claus Peymann, Andras Fricsay, Frank Castorf und Alexander Lang wirken u.a. mit
Eduard von Winterstein, Hans-Peter Thielen, Bodo Krämer, Arno Wyzniewski, Rufus
Beck, Henry Hübchen und Heino Ferch,
O-Ton (Von Trommeln unterstützter Sprechchor („Was Eisen nicht heilt...)
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darauf SPRECHER
„Was Medizin nicht heilt, heilt Eisen, was Eisen nicht heilt, heilt Feuer“. Dieses Paracelsus-Zitat hatte Schiller dem Stück „Die Räuber“ vorangestellt. Und die Regisseure
Manfred Karge und Matthias Langhoff nutzten es 1971 als Prolog für ihre Aufführung
in der Ostberliner Volksbühne. Der wütende Protest gegen die scheinbar gottgewollte Ordnung aller Dinge war es, der das Stück durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte
auf den Bühnen am Leben erhielt - trotz mancher Schwächen. Stecken doch in dem
Text ein trivialer Räuber-Roman, ein Familienstück mit Konflikten zwischen den Generationen sowie ein antifeudales Freiheitsdrama. Man kann also mit guten Gründen
behaupten: „Die Räuber“ sind ein miserables Stück!
Szene „Räuber aber sind die Helden des Stücks „
SPRECHER
Und doch gibt es in dem Text etwas, das stärker ist als alle dramaturgischen Argumente. Man kennt den Augenzeugenbericht von der Mannheimer Uraufführung 1781,
der mit dem Satz beginnt: „Das Theater glich einem Irrenhause.“ Man hat auch zuverlässige Berichte darüber, dass zu den folgenden Vorstellungen Zuschauer aus
der ganzen Umgebung - aus Heidelberg, Darmstadt, Mainz, Frankfurt und Speyer
herbeiströmten. Die Wirkung der Uraufführung übertraf alles bisher Dagewesene.
Schiller hatte offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen; und auf jeweils andere Weise
gelang das dem Stück immer wieder – bis in unsere Tage.
Musik Nr. 2, Anfang bis 0.10, dann wegblenden und Sprecher auf Blende
SPRECHER
Die militärische Niederlage Nazi-Deutschlands war auch mit einem geistigen Zusammenbruch verbunden. In den ersten beiden Nachkriegs-Jahrzehnten und verstärkt nach der Gründung der beiden deutschen Teil-Staaten im Jahre 1949 begannen die regierenden Parteien beider Seiten, die gemeinsame kulturelle Tradition für
ihre jeweiligen Interessen einzusetzen Beide wetteiferten in dem Bemühen, sich als
legitime Erben der deutschen Klassik darzustellen.
O-Ton Hörspiel 1954 DDR Rundfunk Regie Martin Flörchinger
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Szene Alter Moor (Eduard von Winterstein)-Karl (Hans-Peter Thielen)
A: „Was geht hier vor? Ist ein Gefangener?
E. Die Stunde der Erlösung
SPRECHER
Bedeutsam war, dass in diesem von Martin Flörchinger inszenierten „Räuber“Hörspiel Eduard von Winterstein den alten Grafen Moor spielte.
Er kam 1892 ans Deutsche Theater, war noch unter Otto Brahm der erste Berliner
Peer Gynt und gehörte dann zu den Stützen des Max Reinhardt-Ensembles. Dass er
seinem Stammhaus die Treue hielt, wurde als Indiz dafür herausgestellt, dass sich
das DDR Theater als Erbe bester bürgerlicher Traditionen verstehen dürfe.
Hörspiel 1954 DDR Rundfunk Regie Martin Flörchinger (Fortsetzung der Szene)
A. Ich hatte kaum angefangen nach einer schweren Krankheit etwas Kräfte…
E. …Und mein Sohn Franz schloss hinter mir zu
D: 1.07
SPRECHER
Hans Peter Thielen als der edle Räuberhauptmann Karl Moor und Eduard von Winterstein als der alte Moor in einem Hörspiel aus dem Jahre 1954.
Musik Nr. 2 (0.16.-0.30)
SPRECHER
Der 150. Todestag Friedrich Schillers bot im Jahre 1955 eine willkommene Gelegenheit, vom hohen Podium aus die DDR als den Staat zu präsentieren, in dem Schillers
Ideale Wirklichkeit werden. Der Lyriker Johannes R. Becher, der erste Kulturminister
der DDR hielt die Festrede im Deutschen Nationaltheater Weimar.
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O-Ton Schiller-Rede 1955 Joannes R. Becher, DNT
Je gründlicher wir lernen, je besser wir arbeiten, je schöner wir zu leben verstehen, je
vollkommener unsere neue gesellschaftliche Ordnung wird, unsere Arbeiter- und
Bauernmacht, desto näher rücken wir einem Dichter, einem Freiheitsdichter wie es
Friedrich Schiller war. Friedrich Schiller geht uns voran. Friedrich Schillers Werk
liegt vor uns. Friedrich Schiller wir sind auf dem Weg zu ihm.
SPRECHER
Andere Töne waren von Thomas Mann zu vernehmen , der ebenfalls zur SchillerFeier 1955 in die Stadt der deutschen Klassik gekommen war. Der damals Achtzigjährige, der mit Recht als der damals wichtigste Repräsentant deutscher Kultur allgemein akzeptiert wurde, verwies zunächst auf die globalen Aspekte der kulturellen
Situation 10 Jahre nach Kriegsende.
O-Ton Festrede Thomas Mann Schillerfeier 1955 DNT Weimar (1)
( D:1.36)
Ohne Gehör für seinen Aufruf zum stillen Bau besserer Begriffe, reinerer Grundsätze
edlerer Sitten, von dem zuletzt alle Verbesserung des gesellschaftlichen Zustands
abhängt, taumelt eine von Verdummung trunkene verwahrloste Menschheit unterm
Ausschreien technischer und sportlicher Sensations-Rekorde ihrem schon gar nicht
mehr ungewollten Untergange entgegen.
SPRECHER
Aber dann bemühte er ebenfalls Schiller in Bezug auf die wichtigste nationale Frage:
O-Ton Festrede Thomas Mann Schillerfeier 1955 DNT Weimar (2)
( D:1.36)
Als man im November 1859 seinen 100. Geburtstag beging, hob ein Sturm der Begeisterung einigend Deutschland auf. Damals bot sich (so heißt es) der Welt ein
Schauspiel, das die Geschichte bis dahin noch nicht kannte. Das immer zerrissene
deutsche Volk in geschlossener Einheit durch ihn, seinen Dichter. Es war ein nationales Fest, und das sei das unsere auch. Entgegen politischer Unnatur fühle das
zweigeteilte Deutschland sich eins in seinem Namen.
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SPRECHER
Drei Monate nach seiner Schiller-Rede ist Thomas Mann achtzigjährig gestorben.
Musik Nr.3 Anfang bis 0.15 (besser bis 0.32)
SPRECHER
Mit den sechziger Jahren kam Bewegung in die Klassiker-Interpretation auf deutschen Bühnen. Eine Vorreiter-Rolle spielte dabei das Theater Bremen unter dem Intendanten Kurt Hübner. Der damals 30jährige Peter Zadek inszenierte dort 1966 eine
Pop-Version der „Räuber“. Die Originaltöne stammen aus einem Beitrag des NDRFernsehens.
O-Ton Zadek Bremen 1966
Die Grundlage für diese Inszenierung war der Eindruck, den Minks der Bühnenbildner, und ich von dem Buch „Die Räuber“ von Schiller bekamen. Es schien uns
„ eine grelle monströse gräuliche Angelegenhei“; und so haben wir versucht, es auf
die Bühne zu bringen.
SPRECHER
Wilfried Minks zitierte für sein Bühnenbild ein Motiv der Popart-Ikone Roy Lichtenstein. Davor agierten grotesk überzeichnete Figuren: Franz Moor, der zurückgesetzte
Zweitgeborene, eine Missgeburt wie aus einem Horror-Film, Karl ein blond gelockter
Westernheld in engen Lederhosen, Amalia ein Rauschgoldengel. Zum ersten Mal
hatte jemand gewagt, das „höhere Indianerspiel“, das laut Thomas Mann in dem Text
steckt, auf die Bühne zu bringen.
Szene
A Ob ich nun tot bim
E.. die Post ist angekommen.
O-Ton Zadek 1966
Wir haben uns weitgehend der Urfassung des Stücks „Die Räuber“ bedient, wo die
kolossalische Größe, wo das Monströse, das Übergruselige, das Überdynamische,
das Kraftstrotzende alles sehr stark betont wird. Und wir haben statt (wie es möglich
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wäre), eine Inszenierung zu machen, indem man diese Aspekte reduziert und versucht sie zu nivellieren, gerade diese Aspekte betont. Sie sind aber bei Schiller zu
finden
SPRECHER
Die Aufführung löste einen Skandal aus, was dazu führte, dass sie nur noch außerhalb des Abonnements als Nachtvorstellung gezeigt wurde. Dort feierte sie Triumphe
und wurde (wie man heute sagen würde) Kult. Später sprach man von der ersten
postmodernen Inszenierung - lange bevor dieser Begriff erfunden wurde.
Musik Nr. 19 ab 0.11 bis 0.25 Blenden und auf Blende Sprecher
SPRECHER
Ganz andere Wege gingen fünf Jahre später Manfred Karge und Matthias Langhoff
in ihrer Inszenierung für die Ostberliner Volksbühne. Einer der Höhepunkte: die
handstreichartige Befreiung eines Bandenmitglieds. Roller steht schon unterm Galgen:
Szene VB 71 A Feurio… “Die Befreiung Rollers
SPRECHER
Woher die Anregungen für diese Inszenierung kamen, formulierte Matthias Langhoff
1971 mit einer gewissen Zurückhaltung:
O-Ton M. Langhoff (1)
Was Rhythmus, Ungebärdigkeit usw. betrifft, denkt man zweifellos an die westliche
Studentenbewegung, wenn man das sieht. Man denkt an die Sprechchöre, man
denkt an Straßenschlachten Wir glauben, dass das legitime Assoziationen sind, es
sind auch beabsichtigte Assoziationen. Wobei es falsch wäre, die Aufführung auf
diese Assoziationen festzulegen.
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Denn unausgesprochen - für das ostdeutsche Publikum aber durchaus nachvollziehbar - zielte die Inszenierung auch auf eine Aktivierung antiautoritärer Kräfte in der
DDR ab.
O-Ton M. Langhoff (2)
Wir glauben, dass diese Tradition auch bei uns lebendig ist - in der Weise, dass die
Kraft, die darin steckt, beeindruckt. Und wir meinen, dass die Warnung, die mit der
Aufführung gesetzt wird, notwendig ist, dass aber auch ein Ansporn vorhanden ist,
der uns positiv erhalten bleiben sollte.
SPRECHER
Worum es in dem Stück geht, lässt sich kaum in wenigen Sätzen fassen. Im Kern
jedenfalls versucht eine Gruppe junger Leute, die Fesseln der feudalen Ordnung und
des Patriarchats zu sprengen und zwar mit Mitteln, die man heute terroristisch nennen würde. Thomas Mann hat mit Recht vermerkt, dass diesem Befreiungsversuch
etwas von einem Indianerspiel anhaftet. Wer also wie Karge und Langhoff die Raubund Mordzüge als ernsthafte politische Aktion gegen ein verkrustetes System wertet,
bekommt Schwierigkeiten mit dem Schluss des Stückes, wenn Karl sein Räuberleben verurteilt und sich der irdischen Gerechtigkeit ausliefert. Die VolksbühnenAufführung vermied eine Terrorismus-Apologie, verteidigte jedoch den systemkritischen Ansatz Schillers.
Szene A da stehe ich
( Nach Notwendigkeit kürzen)
E. anschwellendes Trommeln
(Bei „Großmannssucht“ darauf)
O-Ton Karge
Uns war wesentlich, dass in diesem Schluss, zwei Menschen wie er können den
ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten, dass dieser Anspruch nicht zur Zurücknahme der in Leipzig von ihm und seinen Kameraden formulierten Ansprüche
führt.
Szene hoch und zuende
SPRECHER
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Dank der theatralischen Phantasie, der rhythmischen Kraft und des Protestpotentials
blieb die Inszenierung vier Jahre im Spielplan.
Musik 4 ab Anfang bei 0.16 weg sein
SPRECHER
Ganz andere Wege ging Claus Peymann in seiner Inszenierung am Staatstheater
Stuttgart 1975, für die Achim Freyer das Bühnenbild und die Kostüme entworfen hatte. Rückblickend erzählt er heute:
O-Ton Peymann (aufgenommen 2005, über Produktion 1975)
50m tief und 30 m breit war eine riesige Laubfläche, wo die Räuber bis zu den Knien
im Laub waren Und mitten drin stand wie eine Kathedrale ein 5 m hoher Stuhl. Auf
dem thronte eine riesige Puppe, darin saß Branko Samarowski, ein damals ganz
junger Schauspieler als Vater Und gegen diese Kathedrale des Patriarchats zogen
wir zu Felde. Ich weiß da wurde gegen den Stuhl gepisst, und es gab im stark bürgerlichen Stuttgart Tumulte. Im Gegensatz zur Aufführung von Manfred Karge und
Matthias Langhoff blieben wir sehr stark in einer Theater-Metapher wie es mir ja
auch besser gefällt.
SPRECHER
Die Kritik hat damals diese Theatermetapher nicht entschlüsseln können. Und auch
die Leistungen der jungen Schauspieler wurden nicht gewürdigt, was verwunderlich
ist, da sich alle drei sehr schnell als Spitzenschauspieler erwiesen, die Theatergeschichte mitgeschrieben haben.
O-Ton Peymann (aufgenommen 2005, Fortsetzung)
Wir waren eine tolle junge Truppe. Zapatka spielte, und Gert Voss und die junge
Therese Affolter spielte in einem riesigen Kleid, das man aufblasen konnte bis 15m
Umfang. Es war eine durch ihre Bilder und Theaterfindungen provozierende vollständig neuartige Aufführung in dieser Theaterwelt. Und darin lag möglicher Weise
ein gewisses Skandalon. Das ist in einer Zeit( von heute ausgesehen), wo ja alles
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erlaubt ist und alles gemacht wird und nichts mehr irgend jemanden vom Sessel
hochtreibt, wenig einleuchtend. Aber im bürgerlichen Stuttgart, das aber eine brisante Stadt ist..., nicht umsonst hat man dort im Schwabenland so viele Revolutionäre
und Terroristen großgezogen... Dort war das doch ein ziemlicher Schlag ins Gesicht
einer bürgerlichen Sehgewohnheit.
Musik Nr. 17 ab 3.20
(darauf bei 3.33)
SPRECHER
Knapp zwei Jahrzehnte später siedelte der Regisseur Andras Fricsay im Staatsschauspiel München „Die Räuber“ im Rocker-Milieu an:
Szene und O-Ton Fricsay A. Gott, Rächer, ich kann nichts dafür
E. wie steh ich denn da
A.
E: Er sebst ist ja mit der Drache
SPRECHER
Für den Regisseur Andras Fricsay hatte die Räuber-Revolte in den Achtziger Jahren
längst ihre Unschuld verloren. Allenthalben herrscht Gewalt. Die folgenden Tondokumente stellte das Bayerische Fernsehen zur Verfügung:
O-Ton Andras Fricsay 1989
Wenn wir Menschen töten, Menschen quälen, werden wir alle gleich. Ob wir ‚ne Mütze oder so’n Schnitt oder ne Krawatte tragen, wer mit ner Keule den Schädel eines
Mitmenschen spaltet... die Kains können unterschiedlich aussehen wie sie
wollen, Sie sind alle die gleichen.
Szene München 1989 und O-Ton Fricsay
A. Tu’s doch
(auf weiter laufende Szene)
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Amalia wird, bevor Karl die ehemalige Geliebte ermordet, von Mitgliedern der Bande
brutal vergewaltigt.
O-Ton Fricsay
Wir sind alle Opfer, wir sind Täter und Opfer - alles zugleich. Eine ausweglosere
Sackgasse kenne ich nicht am Ende eines Stückes.
Musik Nr. 18, ab 0.06
(bei 0.20 darauf
SPRECHER
Wenige Monate nach Andras Fricsay in München inszenierte Frank Castorf
„Die Räuber“ an der Ostberliner Volksbühne. Während der Probenarbeit war die DDR
schon am Zerfallen. Castorf wäre nicht Castorf, hätte er es unterlassen, auf diese
Situation Bezug zu nehmen. Auf welche Weise das geschah, erzählt Henry Hübchen, der den Franz Moor spielte.
Szene VB 90 (Verfratzter Rio-Reiser-Song, 1. Teil)
O-Ton Hübchen
Es war so eine alte Rebellenmannschaft, der das Umfeld unter den Füßen weggezogen wurde, die zwar noch eine Utopie verfolgte, aber ganz halbherzig. Die waren
eigentlich ganz ausgelaugte hilflose Typen.
Szene VB 90 (Verfratzter Rio-Reiser-Song, 2. Teil
schon 5’’ unter vorigen O-Ton)
( Gegen Ende darauf)
.
O-Ton Hübchen
Das ist „Ton Steine Scherben“, Rio Reiser, auch aus der Zeit der 68er Bewegung,
eine Avantgarde Band, die einen Aufbruchgeist noch hatte, und das stand natürlich
total im Widerspruch zu dieser schon in die Jahre gekommenen alten Räuberbande.
SPRECHER
Schon auf überhängende Szene
Das Volksbühnen –Team ließ es sich aber nicht nehmen, durch improvisierte
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neue Texte ganz unverschlüsselt auf die politische Situation zur Aufführungszeit
hinzuweisen.
O-Ton Hübchen
Das war so ein Moment nach einem Monolog, der die Haltung des Franz beschreibt,
dass ich an einen Punkt kam, mit den Schillertexten nicht mehr auskommen zu können. Da habe ich mich direkt an Publikum gewendet.
Szene VB 90 A. Anspruch
E. hier ist gar nichts mehr komisch
O-Ton Hübchen
Publikum war ja nicht da. In den Proben war ja nur der Regisseur da unten.Naja:
„denk Dir mal was aus.“ Ich habe immer gewartet, dass er mir noch einen Text sagt,
einen Text, der wirklich Gegenwartsempfinden beinhaltet. Kam nichts. Und so blieb
es bei diesem Text von mir. War eigentlich ganz schön.
Musik Nr. 14, Anfang bis 0.17
SPRECHER
Alexander Lang inszenierte „Die Räuber“ 1991 am Westberliner Schiller Theater.
Szene Karl Moor (rhythmisiert)„Ich soll meine Rippen pressen in eine Schnürbrust
(nach Kürzungsbedarf früher enden)
O-Ton Lang
Insofern ist in dem Schiller nicht nur ein aktuelles Problem drin, sondern ein übergeordnetes eine Art Weltproblem. Wie werden die jeweiligen Generationen fertig mit
den Utopien der Väter, die erstarrt sind, die nicht mehr funktionieren Und das ist ein
Problem, das über den aktuellen Punkt hinaus geht. Mich interessiert da doch mehr
der größere Horizont.
Szene Karl Moor „Stelle mich vor ein Heer“
(als getanzter rhythmischer Song )
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O-Ton Lang
Karl Moor hatte eine ehrenhafte, ehrenwerte Vorstellung, wie man durch Raub Gerechtigkeit schaffen kann, indem man den Reichen was wegnimmt und den Armen
was gibt. Und er muss leider feststellen, dass es nicht in seiner Hand liegt, Ideale zu
vermitteln, sondern dass plötzlich unter der Hand im Namen dieses Modells ganz
schreckliche Sachen passieren. Und das (finde ich) ist auch wieder ein ganz spannender aktueller Punkt, weil sich in der jüngsten Geschichte herausgestellt hat, wie
im Namen einer Gesellschaftsform (siehe Sozialismus, siehe DDR) was da plötzlich
hochkommt, wenn diese Decke weggezogen wird, was da drunter passiert ist. Und
das ist dann wahnsinnig erschreckend. Und das ist eine ähnliche Geschichte.
( Szene nach obigem O-Ton muss wahrscheinlich noch gekürzt werden. Mögliches Schluss-Stichwort: „durch Wasser ruinieren“).
Musik Nr. 5, ab 0.8 bis 0.38
SPRECHER
Alexander Lang und die Aufführung des Berliner Schiller Theaters 1991. Es hatte
davor noch andere Interpretationen von Schillers Stück „Die Räuber“ gegeben, und
auch in den vergangenen 14 Jahren kam noch manch eine interessante Produktion
hinzu. Natürlich geriet nicht jede Inszenierung überzeugend, so der Beitrag des Berliner Ensembles zum Schiller- Jahr, der schon Anfang der Spielzeit Premiere hatte, eine „Räuber“-Inszenierung des neuen Stuttgarter Schauspielchefs Hasko Weber,
die seltsam kraftlos wirkte und keine Brücke in die Gegenwart schlagen konnte.
Dazu BE-Intendant ClausPeymann:
O-Ton Peymann
Wenn Sie den Aufstand, die Revolte heraus nehmen und generalisieren, dann kann
es leicht passieren, dass diese Stücke von Schiller, die ja viel heiße Luft sind, aber
diese heiße Luft der Leidenschaft auch brauchen... dann wird es plötzlich manchmal
dünn um diese Figuren. Das ist ein bisschen das Problem unserer Aufführung. Die
Vorstellung behauptet sich am Abend außerordentlich gut.
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SPRECHER
Und das ist kein Zufall. Schillers Dramen sind so kenntnisreich auf die Bühnenwirkung hin angelegt, dass auch schwächere Aufführungen oft beim Publikum Erfolg
haben.
O-Ton Peymann
Der Schiller ist für mich ja immer so der Uwe Seeler unter den Dichtern. Der
Goethe ist Beckenbauer, das ist der mit den Vorlagen, manchmal etwas anämisch
und kopfgetragen. Und Schiller ist vielleicht ein bisschen blöd, hat dafür aber
Schwung und Wucht. Und der schießt halt die Tore.
SPRECHER
Und so werden mit Sicherheit auch künftige Zuschauer-Generationen Schillers Werken auf den Bühnen begegnen; und wenn die Inszenierungen mit dem richtigen Gespür für die Aktualität gemacht sind, werden sie sich auch darin wieder erkennen.
Zitaten-Montage
Summe: D: 0.45
(eventuell akustisch verfremden, Es soll klingen als würden die Zitate aus der Vergangenheit auftauchen und in die Zukunft verschwinden)
Wo’s Not tut Fährmann lässt sich alles wagen
Die Kirche trennet aller Pflichten Band
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit
Der kluge Mann baut vor
Kardinal ich habe das meinige getan, tun sie das Ihre
Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt
Nicht für alle Länder, die das Meer umfaßt, wollt vor euch so stehn wie ihr vor mir
Dem Mutigen Hilft Gott
Seid einig, einig, einig!
Szene VB 71: Räuber sind die Helden des Stücks... „Was Medizin nicht heilt, heilt
Eisen, was Eisen nicht heilt, heilt Feuer...“(Trommeln verklingen)
Abmoderation
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„Was Eisen nicht heilt, heilt Feuer“. Tondokumente aus dem letzten halben Jahrhundert zum Spiegel der Zeit, die ihn durch ihre Brille sieht.
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