Inhaltsverzeichnis - Gymnasium Gerresheim

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I
„Glück“
bei Epikur und der Stoa
Schule: Städtisches Gymnasium Gerresheim
Verfasser: Anselm Reichenbachs
Kurs: Philosophie GK
Schuljahr: 2003/2004
Jgs.: 12.1
II
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
S. 2
1. Epikur
1.1 Einführung
S. 3
1.2 Philosophie der Freude
S. 3
1.3 Kritik
S. 7
2. Stoizismus
2.1 Einführung
S. 8
2.2 Glück durch ein tugendhaftes Leben
S.8
2.3 Kritik
S.11
3.1 Parallelen
S.11
3.2 Glück als Lebenskunst
S.12
Literaturverzeichnis
S.13
Einleitung
„Glück“ hat in unserem Sprachgebrauch zwei verschiedene Bedeutungen. Die
eine, häufig verwendete Bedeutung hat es in dem Satz „Da hast du aber Glück
gehabt“. Andererseits gibt es auch das Sprichwort „Jeder ist seines eigenen
Glückes Schmied“. Während das Glück im ersten Fall etwas mit Zufall und
Fügung zu tun hat, ist es im zweiten Fall das Resultat bewusster menschlicher
Handlung, d.h. der Mensch ist aktiv an seinem Glück beteiligt. In der antiken
Philosophie spielte diese Art von Glück oder Glückseligkeit unter dem Begriff
der „eudaimonía“ eine zentrale Rolle. Es ging um die Frage, worin das Glück
bestünde und wie man es erreiche. Die Philosophie Epikurs und der Stoiker, die
ungefähr zur gleichen Zeit in Griechenland entstanden sind, geben auf diese
Frage zwei auf den ersten Blick völlig gegensätzliche Antworten. Im Folgenden
werden die beiden Philosophien getrennt voneinander dargestellt. Trotz ihrer
Gegensätzlichkeit bestehen gewisse Parallelen zwischen Epikur und der Stoa.
Diese werden im Anschluss herausgehoben. Zum Schluss wird dann der
Glücksbegriff dieser beiden Schulen der praktischen Philosophie mit der
Bedeutung ( oder einer der Bedeutungen) von Glück in der Moderne verglichen
und die „eudaimonía“ in ihrem Wert als Lebenskunst hervorgehoben.
III
1. Epikur
1.1Einführung
Epikuros (341-270 v.Chr.), heute einfach Epikur genannt, wurde auf der Insel
Samos geboren. Schon mit vierzehn Jahren interessierte er sich für die
Philosophie,
hörte
den
Platoniker
Pamphilos
und
den
Demokriteer
Nausiphanes, der ihn an die Atomistik heranführte. In den Jahren 323-321 ging
er nach Athen, um dort seinen Militärdienst abzuleisten. Hier lernte er die
Hauptströmungen der Philosophie kennen. Später folgte er seiner Familie nach
Kleinasien, nachdem seine Familie und die anderen athenischen Kolonisten
von Samos vertrieben worden waren. Dort arbeitete er seine Philosophie aus
und sammelte seine Schüler um sich. Zusammen mit diesen reiste er 306 nach
Athen, wo er ein Haus mit einem ansehnlichen Garten erwarb. Weil Epikur das
Philosophieren im Garten schätzte, sind er und seine Schüler seither auch als
die
„Gartenphilosophen“
bekannt.
Die
Schule
bestand
von
da
an
sechsunddreißig Jahre lang.
Als ein „Epikureer“ wird heutzutage ein Mensch bezeichnet, der sich lediglich
den oberflächlichen Genüssen des Lebens hingibt. Bei der näheren
Betrachtung der epikureischen Lehre wird einem jedoch schnell bewusst, dass
Epikur mit seiner Philosophie der Freude etwas gänzlich anderes erreichen
wollte. Epikurs Äußerungen über die Lebensführung in seiner Schule zeigen
eine ganz andere Seite des Hedonismus auf:
„ Ein Wohlgefühl durchdringt mich, wenn ich bei Wasser und Brot lebe, und ich
pfeife auf alles Schwelgen, nicht um seiner selbst willen, sondern wegen der
Unannehmlichkeiten, die es nach sich zieht“1
Trotzdem war für Epikur die Lust das höchste Gut und damit gleichzusetzen mit
„Glück“. Was er nun genau unter der Lust verstand, wird im Folgenden erklärt.
1.2 Philosophie der Freude
Das höchste Gut. Wie in allen anderen Schulen der praktischen Philosophie
geht es auch Epikur darum herauszufinden, worin ein glückseliges Leben
besteht. Für ihn besteht es in der Erregungsfreiheit der Seele, auch Ataraxie
genannt, die somit das oberste Ziel (oder höchste Gut) sei, nach dem der
Mensch im Leben streben solle. Er begründete dies damit, dass wir den
Zustand, in dem wir von allen Leiden und äußeren Beschwerden unberührt
seien, als positiv empfänden.
1
nach Bertrand Russel, S.262 (B.R.)
IV
Dies sei nicht rational begründbar, sondern basiere auf der Ansicht, dass der
Mensch von Natur aus nach den angenehmen Dingen strebe. Die angenehmen
Dinge wiederum werden sinnlich wahrgenommen. Da eine positive sinnliche
Empfindung „Lust“ ist, besteht für Epikur die Lust in der Ataraxie. Dadurch
kommt man zu folgendem Schluss: Das höchste und erstrebenswerteste Gut ist
die Glückseligkeit, diese ist Ataraxie, diese ist Lust -> Das höchste Gut ist die
Lust. Dazu Epikur:
„Eine unbeirrte Betrachtung dieser Dinge‫ ٭‬weiß jedes Wählen und Meiden
zurückzuführen auf die Gesundheit des Körpers und die Ruhe der Seele, weil
dies die Vollendung des seligen Lebens ist. Darum tun wir alles, daß wir weder
Schmerzen noch Aufregung haben. Sobald uns aber dies einmal zuteil wird,
legt sich aller Sturm der Seele, da es für das Lebewesen nichts mehr zu
erstreben gibt, das ihm noch mangelte, und nichts anderes mehr zu suchen,
durch das das Gut der Seele und des Körpers noch ergänzt würde. Dann
nämlich leiden wir Mangel an Lust, wenn wir aus der Abwesenheit der Lust
Schmerzen haben;[wenn wir aber keine Schmerzen haben,] entbehren wir die
Lust nicht mehr. Und deswegen nennen wir die Lust Anfang und Ende des
seligen Lebens.“2
Lust. In der Verbindung von Ataraxie und Lust könnte man einen Widerspruch
vermuten, wenn man bedenkt, dass die Lust auch sehr aufreibend sein kann
und auf die Lust häufig die Unlust folgt. Epikur räumte diesen Widerspruch
durch eine geschickte Definition aus dem Weg. Lust sei nämlich die
Vermeidung von Unlust, sodass die Lust dauerhaft sei, weil Unlust immer
vermieden werde. Dies wird im o.a. Zitat auch deutlich. Das Prinzip der
Vermeidung von Schmerz oder Unlust ist von größter Bedeutung und
grundlegend für die gesamte Philosophie Epikurs. Deshalb basiert auch seine
Erklärung der Natur (Physik, Atomlehre, Existenz der Götter) auf diesem
Lustprinzip. Nun wird deutlich, dass das Bild des Epikureers als eines
genusssüchtigen Menschen nicht zutrifft. Epikur habe z.B. den übermäßigen
Verzehr von Speisen abgelehnt (siehe Zitat in 1.1), weil er unangenehme
Folgen wie Magenbeschwerden nach sich ziehe.
Zustände der Lust. Epikur unterschied zwischen zwei Zuständen der Lust,
nämlich der statischen und der dynamischen:
„Die Seelenruhe und die Schmerzfreiheit sind zuständliche Lüste, die Freude
und die Fröhlichkeit dagegen werden wegen der Aktivität unter dem Aspekt der
2
Brief an Menoikeus , S.176 (Q.)
‫ ٭‬Zuvor beschrieb Epikur einzelne Aspekte des glückseligen Lebens, wie z.B. die Abkehr von
der Angst vor dem Tode
V
Bewegung gesehen.“3 Die dynamische Lust folge im Gegensatz zur statischen
auf eine Unlust. Das Stillen des Hungergefühls kann man beispielsweise als
eine dynamische Lust bezeichnen. Man könnte meinen, dass Epikur die
statische Lust bevorzugt habe. Dies würde aber der Konsequenz des
Lustprinzips widersprechen, denn Epikur hielt die Lust ja generell für
erstrebenswert, sofern sie keinen Schmerz nach sich zog. Dynamisch und
statisch beschreiben lediglich zwei Zustände der Lust, die sich in ihrer Dauer,
nicht aber in ihrer Qualität voneinander unterscheiden ( die Lust des
Hungerstillens ist z.B. nicht von langer Dauer). Ebenso verwarf Epikur eine
Unterscheidung zwischen geistiger und sinnlicher Lust. Lust sei in jedem Fall
sinnlich, und geistige Lust deshalb nur sinnlich vorgestellte Lust.
Nach der genaueren Betrachtung dessen, was denn eigentlich Lust ist, stellt
sich die Frage danach, wie man in den Genuss von Lust und somit zu einem
glückseligen Leben kommt. Die Überwindung der Unlust ist dabei im Grunde
genommen völlig ausreichend, denn diese ist Lust. Das streben nach
zusätzlichen („positiven“) Lüsten – auch wenn sie keine Unlust nach sich ziehen
– ist somit nicht notwendig. Nun ist also zu überlegen, wie man die Unlust im
Einzelnen vermeidet. Epikur unterschied zwischen drei Arten von Unlust:
Furcht, Begierde, Schmerz.
Furcht. In Bezug auf die Furcht betrachtete Epikur vor allem die Angst vor den
Göttern und vor dem Tode. Er war ebenfalls der Meinung, dass es Götter gebe,
doch brauche der Mensch sich nicht vor ihnen zu fürchten. Sie lebten nämlich
fernab von den Menschen in den sog. Zwischenwelten und mischten sich nicht
in die Angelegenheiten der Menschen ein:
„Nur Epikur hat gesehen, erstens, daß es Götter gibt, weil die Natur selbst
einen Begriff von ihnen in die Seelen aller Menschen eingeprägt hat.(...). Denn
diese Natur,(...), hat unserem Geist auch eingeprägt, daß wir sie als ewig und
glückselig ansehen. Wenn das so ist, dann ist jener Satz zu Recht aufgestellt
worden,(...).“4
Der genannte Satz lautet wie folgt:
„Das Selige und Unsterbliche hat weder selbst Unannehmlichkeiten, noch
bereitet es einem anderen welche. Daher hat es weder mit Zornesausbrüchen
noch mit Gunsterweisen zu schaffen; denn alles derartige gehört zur
Schwäche“5
Die Götter sind das Ideal glückseligen Lebens. Die Furcht der Menschen, dass
Zeus aus Wut beispielsweise Blitze auf die Menschen schicken könnte, wird
3
Epikur bei Diogenes Laertius, S.193 (Q.)
Der epikureische Dialogpartner Velleius bei Cicero, S. 208-209 (Q.)
5 Epikur, Hauptlehren I, S.201 (Q.)
4
VI
damit aus dem Weg geräumt. Damit wäre nämlich die Seelenruhe der Götter
gestört. Vor dem Tod bauche man keine Furcht haben, weil man im Moment
des Todseins auch nichts mehr wahrnehme. Dies wiederum begründete er mit
der Atomlehre, nach der die Seele nach dem Tode in einzelne Atome zerfalle
und deswegen dann nicht mehr sei.
Begierden. Für notwendig hält Epikur nur diejenigen Begierden, die von Unlust
befreiten. Wasser und Brot seien daher notwendig, nicht aber luxuriöse
Speisen.
Schmerz. Die Vermeidung des körperlichen Schmerzes stellt das schwierigste
Problem dar, weil er sich nicht, so wie die Furcht, einfach wegdiskutieren lässt.
Trotzdem stellte Epikur drei Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung auf.
1. Man solle den Schmerz als einen relativen positiven Wert auffassen,
wenn er Mittel zur Lust sei. Dies ist eine Umwertung des Schmerzes,
doch auch kein sehr befriedigender Weg.
2. Die Kompensation des Schmerzes durch Lust. Wenn man Schmerzen
erleide, solle man sich an vergangene Freuden erinnern oder sich auf
zukünftige Lüste freuen.
Epikur litt lange Zeit vor seinem Tode auch unter sehr starken
Schmerzen und versuchte auf diese Weise, sie zu „vergessen“:
„Harnzwangbeschwerden folgen einander und Durchfallschmerzen, die
keine Steigerung in ihrer Stärke übrig lassen. Doch entgegen tritt all dem
in meiner Seele die Freude über die Erinnerung an alle mir gewordenen
Erkenntnisse.“6
3. Als dritte Möglichkeit solle sich der Schmerzleidende vergegenwärtigen,
dass ein starker Schmerz meist nicht von langer Dauer sei. Weniger
starke Schmerzen dauerten dagegen zwar häufig lange an, aufgrund
ihrer geringen Intensität seien sie jedoch leicht durch Lustgedanken zu
kompensieren. Dazu folgendes bekanntes Zitat:
„Entweder die Zeit oder das Leid ist klein.“7
Aus dem Lustprinzip heraus ergaben sich auch die Tugenden und Haltungen
eines glückseligen Menschen. (Diese seien im folgenden in aller Kürze
dargestellt, denn mittlerweile ist wohl deutlich geworden, dass der Wert einer
Handlung sich Epikur zufolge nach ihrem Vermögen richtet, Lust zu bereiten).
Die Tugenden seien nicht um ihrer selbst, sondern um der Lust willen zu
6
7
Epikurs Brief an seinen Freund Idomeneus, geschrieben am Sterbebette, S.21 (E.)
nach Brief an Menoikeus, S.178 (Q.)
VII
wählen. Das sittlich Schöne der Tugenden sei nicht an sich ausschlaggebend
für ein tugendhaftes Leben. Nur wenn sittliches Handeln Lust bereite, sei es
erstrebenswert.
Die Selbstgenügsamkeit hatte bei Epikur einen wichtigen Stellenwert. Dabei
ging es nicht um bewusste Enthaltsamkeit, sondern die Fähigkeit, Genüsse
entbehren zu können. Jedes Verlangen nach Dingen, die über das durch die
Natur gegebene Notwendige hinausgingen, sei nicht erstrebenswert, weil es
Unruhe verschaffe. Des weiteren könne man der Zukunft und dem Zufall
gegenüber gelassen dastehen, weil Lust jederzeit verfügbar sei. Der Erfolg des
äußeren Handelns spiele nämlich gar keine Rolle, wenn unsere innere
Einstellung stimme. Wir allein verfügten über diese, sodass das Glück gänzlich
in unserer Hand liege.
Umgang mit den Mitmenschen. Der Epikureer lebe mehr in Zurückgezogenheit
und rage nicht durch Ruhm und Ehre aus der Menge heraus. Im Gegensatz zur
Natur ginge von den Mitmenschen die Gefahr aus, dass sie ihm das Notwendigste entzögen, weil der Mensch einen freien Willen habe. Aus diesem Grund
hielt er sich aus der Politik heraus. Nichtsdestotrotz schätzte Epikur die
Freundschaft sehr. Diese spielte nämlich in der gesamten Antike eine wichtige
Rolle, weil im Gegensatz zu heute der Staat in sozialen Dingen die Menschen
nicht unterstützte. Deshalb waren gute Freundschaftsverhältnisse unabdingbar.
1.3 Kritik
Auch wenn zumindest die Behauptung, dass ein Epikureer ein maßloser
Genießer sei, nicht zutrifft, so fand Epikurs Philosophie später dennoch keine
größere Anhängerschaft mehr. Viele bevorzugten den Stoizismus oder wurden
Anhänger des Christentums. Epikurs Philosophie wurde immer noch als stumpf
abgetan, was in gewisser Hinsicht ja auch seine Berechtigung findet. Es ist
einfach schwer vorstellbar, dass der gesamte Kosmos darauf ausgerichtet ist,
dem Menschen Lust zu verschaffen. Das konsequente Vermeiden von Unlust
führt schließlich dazu, dass der Einzelne sich aus dem öffentlichen Leben und
der Politik zurückzieht. Für die Lösung gesellschaftlicher Probleme, die ja ohne
Zweifel bestehen, kann man dies kaum als vorbildlich bezeichnen. Neben
solchen praktischen Hürden drängt sich uns auch ein ganz natürliches
Widerstreben gegen diese so simple Deutung der Welt und unseres
Lebenssinnes auf. Epikur weiß auf jede Frage eine einfache und befriedigend
anmutende Antwort zu geben. Ist unser Dasein denn wirklich so leicht zu
VIII
erklären? Sind wir geboren, um Lust zu empfinden? Auch die Umsetzung dieser
Philosophie in Epikurs Schule ist recht bedenklich. Epikur vertrat nämlich einen
diktatorischen Dogmatismus, indem er seine Lehren lapidar in einer Art
Glaubensbekenntnis verfasste, welches seine Schüler zu lernen hatten.
Deshalb wurde seine Philosophie später inhaltlich nicht mehr weitergeführt.
Epikur sah sich selbst als das Ideal seiner Philosophie.
2. Stoizismus
2.1 Einführung
Während die Philosophie Epikurs nur durch Epikur ausgearbeitet wurde, hat der
Stoizismus mehrere Vertreter. Zudem dauerte die Schule bis zur Zeit des
Römischen Reiches an. Man unterscheidet drei Stufen der Stoa, die sich
inhaltlich ein wenig voneinander unterscheiden: Ältere Stoa ca. 310 bis 160,
vertreten durch Zenon, Kleanthes und Chrysippos ; Mittlere Stoa ca. 180 bis 50
[Einfluss auf das Rom der klassischen Zeit], Panatios, Poseidonios; Jüngere
Stoa, Seneca, Epiktet (ca. 100 n. Chr.), Kaiser Marc Aurel (ca. 150 n.Chr.).
Begründer der Schule war Zenon, auf den der Kyniker Krates großen Einfluss
ausgeübt hatte. In Athen hielt er auf dem Marktplatz von Athen, in der Stoa
Poikile („Bunte Säulenhalle“), Vorlesungen (daher der Name). Die Stoa wird
traditionell als krasses Gegenteil von Epikurs Hedonismus angesehen.
Während Epikur Lust mit Glück gleichsetzte, sahen die Stoiker Lust als Affekt
an, der nicht erstrebenswert sei. Nicht die Sinnlichkeit sei ausschlaggebend für
ein glückseliges Leben, sondern Tugendhaftigkeit und Vernunft.
2.2 Glück durch tugendhaftes Leben
Das höchste Gut. Das helenistische Grundprinzip, nach dem man nur das
erstreben solle, was verfügbar sei, ist auch die Basis für ein glückseliges Leben
nach Ansicht der Stoiker. Sie sagten, man solle „einstimmig leben“ 8. Damit ist
die Harmonie zwischen Wollen und Können gemeint, also dem, was man
begehrt und dem, was man zu erreichen fähig ist. Wenn die Spannung
zwischen diesen beiden Polen zu groß sei, dann entstehe Erregtheit und
Unruhe in der Seele. Ist der Einklang zwischen beiden jedoch erreicht, so sei
dies der Zustand der „Apathie“, der „Affektfreiheit“. Dazu bedürfe es der Einsicht
durch die Vernunft. D.h. dass letztlich der Gebrauch der Vernunft der
ausschlaggebende Akt auf dem Weg zur Glückseligkeit ist. Dies galt es nun zu
8
Stobaeus 2,75,11, S. 76 (Q.)
IX
beweisen, indem man die menschliche Handlung näher analysierte. Diese sei in
zwei Akte zu unterteilen: Erst rege ein Trieb den Menschen zu einer Handlung
an. Dies alleine führe aber noch nicht zur Ausführung der Handlung, sondern
erst das Urteil der Vernunft darüber, ob die durch den Trieb gewollte Handlung
wirklich ausgeführt werden solle. Die Vernunft ist also die höchste Instanz. Was
die Zustimmung der Vernunft sei, erläutert Seneca an einem Beispiel:
„Was die Zustimmung ist, will ich erläutern. Ich soll spazieren gehen: Dann erst
gehe ich los, wenn ich dies zu mir gesagt und diese meine Meinung
gutgeheißen habe.“9
Wenn die Vernunft nun einem falschen Trieb nachgebe, vergrößere sich die
Spannung zwischen Wollen und Können, und die innere Erregung wachse.
Dies ist z.B. bei der Begierde nach Reichtum der Fall, wenn jemand nach
immer mehr Geld strebt und schließlich wegen seiner begrenzten Möglichkeiten
scheitert. Dann werde der Trieb zum Affekt.
Tugend. Die Tugend bestehe nun in der Beherrschung der Triebe, also der
erreichten Abwesenheit der Affekte. Ziel eines tugendhaften Lebens sei es ,
keine falschen Werturteile zu fällen, also vernünftig zu handeln. Auf diese
Weise gelange man zur Glückseligkeit. Da der erstrebenswerteste Zustand der
sei, in dem Wollen und Können harmonierten, muss das Ideal eines
tugendhaften
Lebens
darin
bestehen,
diese
Harmonie
in
möglichst
vollkommener Weise zu erreichen. Der Mensch kann sich mithilfe seiner
Vernunft nun verschiedene Zwecke setzen, doch kann es sein, dass sich die
Dinge nicht unseren Zwecken beugen. Dann streben wir nämlich nach Dingen,
die uns nicht verfügbar sind, sodass die Erregung in unserer Seele wächst.
Über die Zwecksetzung an sich aber verfügen wir selbst, die Vernunft an sich
ist also das einzige mit Sicherheit verfügbare Gut. Deshalb sieht der Stoiker die
Vernunft als das einzige anzustrebende Gut an. Dadurch ist die Harmonie von
Wollen und Können nämlich automatisch gewährleistet, weil das Streben nach
äußeren Gütern, die sich evtl. unserer Zwecksetzung entziehen, nicht mehr
notwendig ist. Die Tugend besteht somit in der Erkenntnis, dass es keine Güter
gibt außer der Tugend selbst. Damit wird sie sozusagen zum Selbstzweck:
„Die Tugend sei um ihrer selbst willen wählenswert, nicht wegen irgendeiner
Befürchtung oder Hoffnung oder irgendeines äußeren Umstandes.“10
9
Seneca epist. 113,18, S. 79 (Q.)
Diogenes Laertius 7,89, S. 98 (Q.)
10
X
Es ist ein Grundprinzip der antiken Ethik, dass die Glückseligkeit absoluter
Endzweck sei, d.h. dass sie in etwas bestünde, was um seiner selbst willen
gewählt werde. Deshalb sagen die Stoiker, dass die Tugend nicht nur Mittel
zum Glück sei, sondern das Glück in der Tugend bestehe:
„Die sittliche Einheit ist von der Glückseligkeit nicht verschieden nach Chrysipp,
sondern sie ist die Glückseligkeit.“11
Über die Merkmale der Tugend waren die Stoiker geteilter Meinung. Die einen
sagten, sie sei lehrbar und unverlierbar, andere behaupteten das Gegenteil. Sie
waren sich jedoch einig, dass man die Tugend entweder vollkommen oder gar
nicht besitze. Dies wird verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass
Tugend etwas mit „einstimmiger Einstellung“ oder „vollendeter Vernunft“ zu tun
hat; entweder ist man sein gesamtes Leben so eingestellt oder nicht.
Das einzige Gut ist also die Tugend. Übel seien daher alle Laster. Das, was
weder Gut noch Übel ist, sei gleichgültig,
„Adiaphora“. Die Stoiker
unterschieden zwischen verschiedenen Arten von Adiaphora:
„Adiaphora, lehren die Stoiker, seien Dinge zwischen den Gütern und den
Übeln, wobei <<Adiaphoron>> zweierlei bedeute: einmal das weder Gute noch
Üble und das weder Wählenswerte noch Meidenswerte; das andere Mal das,
was weder einen positiven noch einen negativen Trieb errege.“ 12
Eigentlich besteht ein Widerspruch zwischen der Unterscheidung zwischen
Gutem und Üblen und der Behauptung, dass beide dennoch gleichgültig seien.
Doch die Stoiker bezogen sich mit der Gleichgültigkeit lediglich auf die
Zwecksetzung der Vernunft, nicht aber auf das Triebleben an sich. D.h. dass
die Vernunft den Trieb nicht daran hindert weiterhin gewisse Dinge zu
erstreben, sondern die von ihm erstrebten Dinge als gleichgültig ansieht. Die
Unterscheidung bezieht sich also auf die Wertschätzung des Triebes. Mit Gut
und Übel sind somit Dinge wie Gesundheit und Schmerz gemeint. Für die
Vernunft stellten diese jedoch keine Güter dar, sondern seien gleichgültig. Ein
Ding, das weder einen positiven noch einen negativen Trieb errege, sei z.B. die
Anzahl der Haare auf dem Kopf.
Die Stoiker nahmen noch weitere detaillierte Unterteilungen, z.B. in Bezug auf
die menschliche Handlung vor. Außerdem unterteilten sie die Tugenden und
Laster in zahlreiche Unterarten, doch die Darstellung dessen ist zum
prinzipiellen Verständnis nicht notwendig. Zwei wichtige Aspekte der stoischen
11
12
Plutarch mor. 1046e, S.100 (Q.)
Stobaeus 2,79,4, S.114 (Q.)
XI
Philosophie werden am Begriff der Adiaphora jetzt aber deutlich. So lässt sich
das oberste Prinzip, man solle „einstimmig mit der Natur leben“, damit deuten.
Sie predigten das Leben im Einklang mit der Natur, weil sie Adiaphora ist und
es sinnlos ist, entgegen ihren Prinzipien zu leben. Außerdem zeigt sich hier
auch der Unterschied zu den asketischen Kynikern. Den Stoikern ging es im
Gegensatz zu ihnen nämlich nicht unbedingt darum bewusst in voller
Enthaltsamkeit zu leben. Die gleichgültigen Dinge sahen sie zwar nicht als
Güter an, doch waren sie auch nicht unbedingt verboten. Es ging nur darum,
dass sie auf diese Dinge nicht angewiesen waren und sie durch ihre sittliche
Vollkommenheit sozusagen „über den Dingen“ standen.
2.3 Kritik
Die hauptsächlichen Probleme ergeben sich mit dem ausgeprägten TugendRigorismus der Stoiker. Wenn man die Tugend wirklich als das einzige und
höchste Gut ansieht, so ergeben sich einige praktische Probleme für das
Zusammenleben in der Gesellschaft. Gegen jegliche Grausamkeiten, die Menschen in der Lage sind einander anzutun, wäre nichts mehr einzuwenden, weil
die Opfer sich dann in ihrer Tugend üben könnten. Ein Arzt bräuchte nicht mehr
zu praktizieren, weil Krankheiten keine Übel mehr sind. Die Tugend wir hier nur
noch als Selbstzweck betrieben. Ein Stoiker muss ein sehr kaltherziger Mensch
sein. Jedes Mitgefühl für Freunde und Mitmenschen könnte ihn daran hindern,
möglichst tugendhaft durch das Leben zu schreiten. Dieses Problem wurde
wohl durch die Anhänger der späten Stoa (Seneca) erkannt, die ein wenig mehr
Vitalität in die stoische Philosophie brachten.
3.1 Parallelen zwischen Epikur und der Stoa
Die Philosophie Epikurs und der Stoa resultierte aus den Lebensumständen im
antiken Griechenland zur Zeit des Hellenismus, d.h. der Zeit nach Alexander.
Durch den Zusammenbruch der Polis (Stadtstaat) waren dessen Einrichtungen
und religiöse Vorstellungen fragwürdig geworden. Das Individuum verspürte
keinen festen Halt mehr in der Gesellschaft und erhoffte sich deshalb Rat von
der Philosophie. Dem hilflosen Menschen sollte der Weg zu einem glücklichen
Leben aufgezeigt werden. Dies konnte nur geschehen, indem man sich in den
philosophischen Betrachtungen auf das Individuum konzentrierte und es in den
Mittelpunkt stellte. Deshalb wurde die Ethik zur wichtigsten Disziplin gemacht.
Die Naturwissenschaften wurden nicht mehr als Selbstzweck betrieben,
XII
sondern hatten sich der Ethik unterzuordnen. Da es um praktische Lebenshilfe
ging, entwickelten beide Schulen keine allzu abstrakten Denksysteme, sondern
formulierten die Philosophie in leicht einprägbaren Formeln.
Die Grundgedanken waren die Entwertung alles Unverfügbaren und die Hervorhebung der Autarkie des von der Vernunft geleiteten Menschen. Während die
Lebensweisen sich kaum unterschieden, waren die Begründungen der beiden
Philosophien jedoch verschieden. Bei der Stoa war es die unrealistische
Annahme, dass sich alle Wertungen kraft der Vernunft ausschalten ließen.
Epikur hingegen gestand sich ein, dass das Gefühl von Lust und Unlust
unvermeidbar ist und die Sinnlichkeit somit wesentlich unser Leben bestimmt.
Trotz unterschiedlicher Antworten sehen beide den glückseligsten Zustand des
Menschen in der Seelenruhe (Ataraxie, Apathie). Der Weise stellte für sie den
Idealtypen eines glückseligen Menschen dar. Nach Epikur ist er von Schmerz
unberührt, der Stoa zufolge ein vollends tugendhaftes Wesen.
3.2. Glückseligkeit als Lebenskunst
Die Philosophie Epikurs bzw. der Stoa ist eine Form von Lebenskunst. Bei allen
Unterschieden ist letztendlich die Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten und den Gebrauch der Vernunft charakteristisch für beide Denkrichtungen. Dadurch ist der Mensch in seinem Glücksstreben unabhängig von
seinem äußeren Schicksal. Wenn die Umwelt ihm kein Glück, sondern Leid und
Schmerz beschert, macht der Mensch sich sein Glück einfach selbst, indem er
innerlich glücklich eingestellt ist. Die innere Einstellung kann ihm nämlich
niemand nehmen. Auch wenn dies in der Theorie einfacher klingen mag, als es
sich in der Praxis darstellt, so steckt hierin doch der fundamentale Glaube an
die eigenen Fähigkeit des Individuums, der dem modernen Menschen häufig
fehlt. Dies hängt mit seiner Funktion als Gesellschaftswesen zusammen. Die
„Masse“ erhebt in vielerlei Hinsicht falsche Werturteile, die der Einzelne häufig
zur Basis seiner eigenen Handlungen macht, weil er die Meinung der Meisten
als Maßstab für die Richtigkeit einer Handlung ansieht. Dies macht sich
beispielsweise die Werbung zunutze, was dazu führt, dass die Befriedigung von
Konsumwünschen als Glück empfunden wird. Glück in diesem Sinne aber ist
nicht dauerhaft; es muss ständig „aufgefrischt“ werden. Das Glück bei Epikur
und der Stoa hingegen ist eine Lebenseinstellung. Sie ist unabhängig von
äußeren Faktoren. Deshalb können die Epikureer und Stoiker frei wählen und
selbst über ihr Leben bestimmen. Die Freiheit erlangt man also, indem man auf
XIII
seine eigenen Fähigkeiten vertraut, weil man sich dadurch ein Bewusstsein für
die eigene Autonomie schafft. Unsicherheit entsteht dann, wenn man sich
seiner eigenen Fähigkeiten nicht bewusst ist und sich deshalb auf der Suche
nach der eigenen Identität äußeren Einflüssen hingibt – wie z.B. der Werbung –
wenn man also im Grunde keine richtige Vorstellung vom Glück hat und sein
Glück somit dem Zufall überlässt. Deshalb ist es wichtig, dass man Aktivitäten
nachgeht, in deren Ergebnis man die eigene Leistung erkennt. Ich nehme den
Sport als ein Beispiel. Ein Mensch, der sein Leben lang eine bestimmte Sportart
betrieben und viele Ziele dabei erreicht hat, wird mit Freude auf seine
Vergangenheit zurückblicken. Dies gilt aber ebenso für viele andere Bereiche.
Es kommt darauf an, dass man im Leben eine bestimmte Idee entwickelt und
diese verfolgt. Lebt man jedoch nur von einem Tag auf den anderen und lässt
die Dinge einfach auf sich zukommen, wird einem das Glück lediglich zufällig,
hier und da mal in die Hände fallen. Grundsätzlich glücklich kann sich jedoch
nur der nennen, der sich sein Leben aktiv gestaltet. Wenn man sich nämlich
seiner eigenen „Lebensphilosophie“ sicher ist, dann ist man auch resistent
gegen falsche Werturteile, die nicht zur Glückseligkeit führen. Konsumgüter
kann man dann leichten Herzens entbehren. Neuere wissenschaftliche
Erkenntnisse sehen die Quelle des Glück ebenfalls in Verbindung mit den
Fähigkeiten des Menschen und nicht in materiellen Gütern. Man hat
herausgefunden, dass Dinge, mit denen der Mensch eigene Erlebnisse
verbindet, ihm auf Dauer mehr Glück bringen als materieller Besitz.
Wir sehen also, dass die antiken Lehren vom Glück immer noch aktuell sind.
Sowohl Epikurs Philosophie als auch die der Stoa weisen jeweils einige
Unstimmigkeiten auf und sind nicht ohne Abstriche auf das praktische Leben
übertragbar. Die Hervorhebung der Fähigkeiten des Individuums ist aber eine
bemerkenswerte Auffassung, die vor allem in heutiger Zeit, in der der Mensch
sich immer mehr der Gesellschaft unterzuordnen hat, wieder an Bedeutung
gewinnen könnte und sollte. Wenn der Mensch in Zeiten der Globalisierung
keinen Halt mehr in seiner Umwelt findet, kann er immer noch dem Beispiel der
antiken Philosophen folgen und sein Glück in der inneren Einstellung finden.
Denn das Glück sei immer verfügbar.
XIV
Literaturverzeichnis
Die Abkürzungen in Klammern hinter den Literaturangaben beziehen sich auf
die Verweise in den Fußnoten.
-
-
Schmidt, H.; Prof. Dr. Georgie Schischkoff (Hrsg.), Philosophisches
Wörterbuch, Stuttgart 197416
Bächli, A.; Graeser, A., Grundbegriffe der antiken Philosophie – Ein
Lexikon, Stuttgart 2000
Störig, H.J., Kleine Weltgeschichte der Philosophie 1. u. 2., Stuttgart
1972
Hossenfelder, M., Antike Glückslehren – Quellen in deutscher
Übersetzung, Stuttgart 1996 →(Q.)
Mewaldt, J., Epikur – Philosophie der Freude, Stuttgart 1973 →(E.)
Weinkauf, W.(Übers./Hrsg.), Die Philosophie der Stoa – Ausgewählte
Texte, Stuttgart 2001
Russel, B./ Fischer-Wernecke,E.(Übers.);Gillischewski,R.(Übers.),
Philosophie des Abendlandes – Ihr Zusammenhang mit der politischen
und sozialen Entwicklung, Köln 20036 → (B.R.)
Anmerkungen zu den Zitaten im Text:
(...) = Auslassung durch den Verfasser der Facharbeit
[...] = Ergänzung des Herausgebers wegen lückenhafter Überlieferung
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