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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Christiane Knauf
Aufnahme: Breuer, 29.06.07, 9:15 Uhr, Studio A
WISSENSWERT
Leid und Leidenschaft in Leben und Werk
der mexikanischen Malerin Frida Kahlo
Von Sylvia Schopf
Sendung:
Freitag, 06.07.2007, 08:30 Uhr, hr2
Sprecherin:
Zitatorin:
O-Töne
07 - 060
COPYRIGHT:
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1
Musik
unter folgenden Sprechertext legen
(Traumhaft-sphärische Musik, ggf. auch aztekische Klänge)
Sprecherin
Eine karge, irreale Landschaft. Am Horizont eine unwirtliche
amerikanische Industrielandschaft. Im Vordergrund ein großes
Krankenhausbett, in dem klein und schutzlos eine nackte Frau auf
einem weißen Bettlaken liegt. Ihr Unterleib ist von einer roten
Blutlache umgeben. Über dem Bett schweben in einem blassblauen
Himmel überdimensional groß ein Embryo, eine Schnecke, und ein
Torso. Vor dem Bett eine Orchidee, ein schwarzer Metallkasten und
ein weibliches Becken wie man es aus anatomischen Zeichnungen
kennt. Jedes der sechs Objekte, die um das Bett herum gruppiert
sind, ist an einen dünnen roten Faden geknüpft, der durch die linke
Hand der im Bett Liegenden läuft.
Musik endet
Das Bild wirkt rätselhaft. Drastisch. Es beunruhigt, wirft Fragen auf,
erzeugt auch Abwehr. Frida Kahlo hat es kurz und knapp “Henry
Ford Hospital” genannt. Es entstand 1932 in Detroit kurz nach ihrer
zweiten Fehlgeburt.
Zitatorin
“Meine Malerei vermittelt Nachrichten vom Schmerz (...) Ich verlor
drei Söhne und viele andere Dinge, die mein schreckliches Leben
sonst ausgefüllt hätten. All dies ersetzte mir die Malerei. Die Arbeit
ist, glaube ich, das Beste.” (1)
Sprecherin
Immer wieder perlende Blutstropfen, Arterien- und Wurzelgeflechte,
offenliegende Herzen, Nabelschnüre, der verletzte, nackte Körper.
Und doch malt Frida Kahlo keine Elendsbilder, erklärt Linde Salber,
Psychologiedozentin an der Universität Köln und Autorin einer
Biografie über die mexikanische Malerin.
O-Ton 1 (0’22)
Sie rückt da ja etwas in den Blick, was wir gern aus dem Blick
rücken. Und Frida Kahlo ist schonungslos. Sie klagt nicht an. Aber
sie macht etwas sichtbar, was die bürgerliche Welt so nicht sehen
mag. Sie zeigt etwas auf, was zum Leben gehört und was ihr in
ihrer Geschichte überdeutlich geworden ist, womit sie sich selbst
auseinandersetzen mußte. (abblenden)
2
Sprecherin
Im September 1925 wird die 18-jährige Frida Kahlo bei einem
Busunglück in Mexico-Stadt lebensgefährlich verletzt. Die Ärzte im
Krankenhaus haben wenig Hoffnung. Doch die junge Frau
übersteht die Operationen. Liegt eingegipst einen Monat im
Krankenhaus und anschließend drei weitere Monate zuhause.
Durch den Unfall macht Frida die grundlegende Erfahrung, ...
O-Ton 3a (0’19) ... dass wir nicht über unser Leben verfügen. Dass es sich nicht all
unseren Wünschen beugt. Ich würde denken, dass sie eine
Grenzerfahrung gemacht hat, dass nicht alles kalkulierbar ist und
dass das Leben nicht endlos offen ist, sondern dass so etwas
existiert wie Tod. Und der Tod ist so die ziemlich die schärfste
Grenze, auf die man stoßen kann.
Sprecherin
Als Frida ein Jahr nach dem Unfall erneut krank wird und für
längere Zeit zu Hause im Bett liegen muß, beginnt sie zu malen.
O-Ton 3b (0’11) Es war in Reichweite. Der Vater hatte ja diesen Ölfarbkasten und
mit dem Vater zusammen hat sie ja auch schon ein bisschen Fotos
retuschiert und entwickelt und an dem Vater hat sie ja auch sehr
gehangen.
Zitatorin
“Als ich nun (...) mit Gipsverbänden im Bett lag, war mir
wahnsinnig langweilig zumute, und ich wollte irgend etwas tun. Von
meinem Vater stibitzte ich mir einige Ölfarben, und meine Mutter
ließ mir eine Spezialstaffelei machen, damit ich im Liegen malen
konnte.” (4)
Sprecherin
In ihrem ersten Bild, einem Ölgemälde, malt sie sich selbst: schön,
makellos, unversehrt, eine junge Frau in einem dunkelroten
Samtkleid vor einem dunklen Hintergrund, auf dem Wellen stilisiert
sind.
Zitatorin
“So kam es, dass, nachdem der Unfall meinen Lebensweg
abgeknickt hatte, zuvor ungekannte Probleme mich an der Erfüllung
der selbstverständlichsten Wünsche hinderten. Und was wäre
natürlicher, als gerade das zu malen, was nicht mehr in Erfüllung
gehen würde.” (5)
3
Sprecherin
Die etwas in die Länge gezogene Gestalt auf dem ersten
Selbstporträt erinnert an den Maler Modigliani. Die manierierte
Handhaltung, die langen, leicht gespreizten Finger, sind ein
deutlicher Einfluß aus der italienischen Renaissancemalerei. Kein
Wunder! Für Kunst interessierte sich Frida Kahlo schon früher und
bewunderte vor allem den italienischen Renaissancemaler Boticelli.
Während ihrer Bettlägrigkeit soll sie Unmengen von Kunstbücher
verschlungen haben.
O-Ton 4 (0’32)
Sie ist ja im wörtlichen Sinne “still gelegt” gewesen in ihrer
kompletten Aktivität. Und ich glaub schon, dass die Malerei eine
Möglichkeit war für sie trotz des Stillgelegt-seins etwas in den Griff
zu nehmen, etwas herzustellen und sich auch ihre Situation zu
vergegenwärtigen. Und mit der Malerei hat sie sich dazu stellen
können, in dem Sinne, dass das nicht nur ein Verlust ist von
Wirksamkeit und Aktivität, sondern dass sie sich mit etwas
einverstanden erklärt hat, was zur Welt gehört.
Musikimpuls (traurig-melancholisch)
Sprecherin
Nach dem ersten Selbstporträt, das sie ihrem Freund Alejandro
schenkt, malt sie weiter: meist Porträts von Freunden, Bekannten
und Verwandten, vor allem aber Selbstporträts. Sie werden zu
einem ihrer Markenzeichen. Mehr als die Hälfte der gut 140 Bilder
sind Selbstporträts.
Zitatorin
“Da meine Themen stets um meine Empfindungen, meinen
Seelenzustand und die tiefsten Reaktionen kreisen, die das Leben
in mir hervorrief, habe ich all dies oft in Selbstbildnissen umgesetzt.
Sie waren der ehrlichste und wahrhaftigste Ausdruck dessen, was
ich in mir und vor mir selbst empfand.” (6)
Sprecherin
schreibt sie 1939, als sie bereits eine erfolgreiche Malerin ist, deren
Bilder bei Ausstellungen in Paris und New York gezeigt werden.
Typisch für ihre Selbstporträts sind die geschwungenen, schwarzen
Augenbrauen, die sich an der Nasenwurzel berühren und der
leichte Flaum eines Damenbartes über dem sinnlichen Mund, der
immer geschlossen ist. Nie ist auch nur den Ansatz eines Lächelns
4
in ihrem Gesicht. Immer schaut Frida den Betrachter mit ernstem
Blick an und nie direkt, sondern von der Seite.
O-Ton 6 (0’18)
Typisch ist sicher auch diese Verbindung ihres Porträts mit
Pflanzlichem, das alles überwuchert, mit der mexikanischen Tracht.
Und ich denke, das alles hat zu tun mit etwas Natur- und
Erdverbundenem. Ich glaube, dass sie etwas Ursprüngliches
gesucht hat.
Sprecherin
In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts beginnt in Mexiko die
“mexicanidad”: eine Rückbesinnung auf die eigene Geschichte.
Man distanziert sich von amerikanischen Einflüssen und besinnt
sich auf die alten Bräuche, Mythen und Traditionen der Indios.
O-Ton 7 (0’23)
Also der Geschichte bevor Mexiko durch die
europäisch-katholisch-spanische Welt überformt wurde und in
dieser Bewegung der Emanzipation kam diese Besinnung auch bei
Frida Kahlo auf das Frühe, das Urpsrüngliche und so ist es kein
Wunder, dass das auch in ihrer Malerei eine große Rolle gespielt
hat, denn es spielte in ihrem Leben eine große Rolle.
Sprecherin
Auf Fotos und vielen Selbstporträts ist Frida Kahlo in indianischer
Tracht und mit indianischem Schmuck zu sehen. Ihre Haare sind
nach Art der Indiofrauen geflochten, mit Schleifen und Bändern
verziert und kunstvoll um den Kopf gelegt. Selbstbewußt trägt sie
diese Kleidung auch in Paris, New York und San Francisco. Dass
sie damit Aufsehen erregt, gefällt ihr, ist beabsichtigt.
Musikimpuls (aztekisch)
Sprecherin
Tiere, Pflanzen, Blumen, Bäume, Steine: die Natur spielt in Frida
Kahlos Bildern eine wichtige Rolle. Schon als Kind wurde ihre
Begeisterung dafür geweckt. Ihr Vater, Fotograf und Hobbymaler,
nahm sie oft mit, wenn er in einem nahegelegenen Park malte.
Frida sammelte währenddessen Steine, Insekten und seltsame
Pflanzen. Die wurden zuhause zerlegt, unter dem Mikroskop
betrachtet und nach den Büchern des Vaters bestimmt.
5
Musikimpuls (aztekisch - archaisch)
Dass der Mensch mit und in der Natur verwurzelt ist, stellt Frida
Kahlo in ihren Bildern immer wieder dar. So zeigt sie zum Beispiel
den amerikanischen Pflanzenzüchter Luther Burbanks als eine aus
einem Baumstamm herauswachsende Gestalt. Oder sie malt sich
der Länge nach auf der Erde ausgestreckt und aus ihrem
geöffneten Brustkorb sprießen üppige Blattrispen. Ein anders Mal
liegt ein luftiges, netzartiges Pflanzengewebe auf der Bettdecke der
Schlafenden. Die Pflanzen reichen bis zu ihren Schultern und
umhüllen ihren Kopf. Naturmotive wie exotische Blüten, Muscheln,
Steine, Insekten und Blätter bilden immer wieder den Hintergrund
ihrer Porträts und Selbstporträts.
Musikimpuls (aztekisch - archaisch)
Zitatorin
“Ich bin in meinem Leben von zwei großen Unfällen betroffen
worden. Der eine geschah, als ich von einer Straßenbahn
überfahren wurde, der andere ist Diego.” (7)
Sprecherin
Im Alter von 22 Jahren heiratet Frida den Maler Diego Rivera. Er ist
doppelt so alt wie sie und ein erfolgreicher Künstler, der durch seine
Wandmalereien weit über Mexiko hinaus bekannt ist.
Zitatorin
“... meine Eltern waren nicht entzückt davon, weil er als Kommunist
bekannt war, und weil er nach ihren Worten wie ein vollgefressener
Breughel aussah. Es wäre, sagten sie, wie die Hochzeit zwischen
einem Elefanten und einer Taube.” (8)
O-Ton 8 (0’23)
Ich glaube, dass sie in dieser elefantenhaften, kompakten Gestalt
auch mit seiner Wucht und mit seinem Können – das hat sie ja
bewundert – einen festen Halt hatte auf der Erde. Oder zumindest
suchte. Oder gehofft hat, ihn zu finden. Und das war wohl auch in
der ersten Zeit. Diego war die große Nummer, von der sie ein Teil
war.
Sprecherin
erzählt die Psychologin Linde Salber. Nach der Eheschließung
konzentriert sich Frida ganz auf ihren Mann und malt nur noch
gelegentlich. Als Diego Rivera einen Auftrag für ein Wandgemälde
in San Francisco übernimmt, begleitet sie ihn. Fast drei Jahre
6
verbringen die Riveras in Amerika, im Gringoland, wie es Frida
nennt. Kurz nachdem sie nach Mexiko zurückgekehrt sind, entdeckt
Frida, dass ihr Mann ein Verhältnis mit ihrer Lieblingsschwester
Cristina hat. An ein befreundetes Ehepaar schreibt sie:
Zitatorin:
“Vor allem ist es ein doppelter Schmerz (...). Ihr wißt besser als
jeder andere, was Diego mir bedeutet, in jeder Hinsicht, und sie war
die Schwester, die ich am meisten liebte (...) Natürlich ist die
Geschichte nicht nur eine Gefühlsduselei meinerseits, sondern sie
betrifft mein ganzes Leben. Ich fühle mich verloren ...” (9)
((Musik))
Sprecherin
Auf einem Bett in einem leeren Raum liegt eine nackte, tote
Frauengestalt. Ihr Körper, das weiße Bettlaken, der senfgelbe
Fußboden und selbst der Bilderrahmen sind blutbeschmiert, ebenso
das weiße Hemd des Mannes, der neben dem Bett steht. Er hat ein
Messer in der einen Hand, die andere steckt lässig in der
Hosentasche. “Ein paar kleine Dolchstiche” – das Bild malt Frida
Kahlo 1935 in Anlehnung an einen Zeitungsbericht über einen Mord
aus Eifersucht. Die drastische Darstellung ist auch Ausdruck ihrer
eigenen, tiefen Verletztheit. Dass Diego Rivera immer wieder
Affären mit anderen Frauen hatte, war kein Geheimnis. Der Maler
war als Frauenheld bekannt und Frida Kahlo wußte das. Doch das
auszuhalten, war für sie eine große Herausforderung.
O-Ton 9 (0’29)
Erst als sie merkte, den kann sie nun doch von seinen Eskapaden
mit anderen Frauen nicht lösen, war sie auf sich zurückgeworfen
und für Frida Kahlo war das eine Chance. Sie hat diese Chance
ergriffen, indem sie dieses Vereinzeltsein ausgebaut hatte zu einer
Besinnung auf das, was sie denn einzeln ist, was sie denn einzeln
kann. Und da blieb die Malerei. Und Diegos Fremdgeherei, da ist
sie sozusagen auf ihr eigenes Können gestoßen.
Sprecherin
Ihre schmerzhaften Erfahrungen setzt sie immer wieder
künstlerisch um in surreal anmutenden Bildern voller Symbole und
Metaphern, Bilder, die trotz ihrer Drastik ästhetische Schönheit
ausstrahlen
7
O-Ton 10 (0’10) Also, es ist nicht eine Privatgeschichte, eine Biografie in Form von
Bildern “Seht her wie mir das Leben übel mitgespielt hat” und
ohwei! Tragik!
Sprecherin
Es ist der Versuch, sich mit Hilfe der Kunst dem Leben und seinen
Schattenseiten schöpferisch zu stellen und nicht zu resignieren.
Zitate
(1) Zitiert nach Linde Salber, “Frida Kahlo”, rororo Monografie, Rowohlt, Reinbek
19975 S. 68 (4 Zeilen)
(2)
(3)
(4) Zitiert nach Hayden Herrera “Frida Kahlo: Malerin der Schmerzen – Rebellin
gegen das Unabänderliche”, Fischer Verlag, Frankfurt 1987, S. 58 (4 Zeilen)
(5) zit. nach Hayden Herrera, a.a.O., S.63 (4 Zeilen)
(6) zit. nach Emma Dexter und Tanya Barson (Hg) , “Frida Kahlo “Katalog Tate
Modern, Schirmer/Mosel München 2005, S. 185 (4 Zeilen)
(7) zit. nach Hayden Herrera, a.a.O., S. 94 (2,5 Zeilen)
(8) zit. nach Linde Salber, S. 51 (4 Zeilen)
(9) zit. nach Emma Dexter, a.a.O., S. 187 (4 Zeilen)
8
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