Koordinative Fähigkeiten Die koordinativen Fähigkeiten - Synonym: Gewandtheit - sind Fähigkeiten, die primär koordinativ, d. h. durch die Prozesse der Bewegungssteuerung und -regelung bestimmt werden (Hirtz 1981, 348). Sie befähigen den Sportler, motorische Aktionen in vorhersehbaren (Stereotyp) und unvorhersehbaren (Anpassung) Situationen sicher und ökonomisch zu beherrschen und sportliche Bewegungen relativ schnell zu erlernen (Frey 1977, 356). Alle Bewegungsabläufe können letztlich nur gut gelingen (»funktionieren«), wenn neben genügend Kraft, genügend Ausdauer und Willen etc. folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Die Tätigkeit der Muskeln muss im Krafteinsatz dosiert und zeitlich abgestuft erfolgen können. Es muss auf ein möglichst großes und mit einfachen Teilbewegungen bzw.. Bewegungsteilen gefülltes »Depot« (Bewegungsrepertoire) zurückgegriffen werden können. Es muss auf ein inneres Bild (eine »Innensicht«) der Bewegung zurückgegriffen werden können. Die Ausführung der Bewegung muss zweckentsprechend verändert werden können. Die Situation, in der die Bewegung ausgeführt werden soll, muss umfassend, schnell und richtig eingeschätzt werden können usw. Um über all diese Voraussetzungen verfügen zu können, ist das geordnete Zusammenwirken verschiedener Muskeln mit verschiedenen Sinnesorganen und verschiedenen Bezirken des. Nervensystems erforderlich. Dieses Zusammenwirken erst macht den Sportler lern- und leistungsfähig, führt zu sportbezogener Handlungsfähigkeit. In dem hier beschriebenen Teilbereich, der von entscheidender Bedeutung für das beobachtbare Bewegungsverhalten ist, geht es allgemein um Fragen der Bewegungskoordination und speziell um die verschiedenen koordinativen Fähigkeiten. Koordinative Fähigkeiten sind durch Steuerung und Regelung bestimmt. Bei der Frage, was jeweils gezielt trainiert werden soll, lassen sich verschiedene Zielbereiche des Koordinantionstrainigs unterscheiden. Es können die einzelnen Fähigkeiten, die trainiert werden, in einer Skala zwischen allgemeinem und speziellem Koordinationstrainig zugeordnet werden. Abbildung: Anordnung der Fähigkeiten zwischen speziellem und allgemeinem Koordinationstraining Beispiel: Volleyball Wir beobachten ein Volleyballspiel; die Aufschlagannahme kommt zum Zuspieler, der einen hohen Pass auf die Position IV spielt. A. Der Angriffsspieler muss über mehrere konkrete Techniken (z.B. frontaler Angriffsschlag, Drehschlag, Lob ...) verfügen. B. Er muss u.a. abschätzen können, wo er selbst steht, wohin der Ball fliegt, wo die gegnerischen Blockspieler stehen und vieles mehr (Orientierungsfähigkeit); er muss Anlauf- und Stemmschritt sowie Armzug-, Sprung- und Schlagaktion räumlich-zeitlich und dynamisch-zeitlich organisieren können (u.a. Differenzierungsfähigkeit). C. Er muss die »passende« Schlagtechnik auswählen, sie gegebenenfalls reaktionsschnell variieren oder gar durch eine andere ersetzen; er muss Präzisionsanforderungen erfüllen und gleichzeitig unter ständigem Zeitdruck entscheiden, »was ist zu tun«/»wie ist es zu tun« etc. (er braucht Spielfähigkeit). Die vielseitig-zielgerichtete Schulung koordinativer Basisfähigkeiten verkürzt die Lernzeiten und verbessert die Lernleistungen; sie sollte dem speziellen Üben vorangehen oder es ergänzen (fähigkeitsorientierter Fertigkeitserwerb). Während technische Fertigkeiten verfestigte, teilweise bzw. vollständig automatisierte und konkrete Bewegungshandlungen sind, stellen koordinative Fähigkeiten verfestigte, jedoch verallgemeinerte (d.h. für eine ganze Reihe von Bewegungshandlungen grundlegende) allgemeine und konkrete Leistungsvoraussetzungen dar. Die 5 koordinativen Fähigkeiten im Überblick Differenzierungsfähigkeit Fähigkeit zum Erreichen einer hohen Feinabstimmung einzelner Bewegungsphasen und Teilkörperbewegungen, das heißt, Bewegungen mit genau dosiertem und abgestuftem (=differenziertem) Krafteinsatz auszuführen. z.B.: Ein exakt ausgeführter Tennisschlag, Korbwürfe im Basketball aus unterschiedlichen Distanzen Reaktionsfähigkeit Fähigkeit zur schnellen Einleitung und Ausführung zweckmäßiger motorischer Aktionen auf Signale, sowohl Orientierungsfähigkeit Gleichgewichtsfähigkeit Rhythmisierungsfähigkeit erwartete (z.B.: Startschuss) als auch unerwartete (z.B.: abgefälschter Ball). Fähigkeit zur Bestimmung und zielangepassten Veränderung der Lage und Bewegung des Körpers im Raum (Schwimmwenden, Trampolin) bzw. zu den umgebenden Raum (Mitspieler und Gegenspieler). z.B.: Passierschlag ins „Aus“ lassen, Pass zum freien Spieler Fähigkeit, den gesamten Körper im Gleichgewichtszustand zu halten oder während und nach umfangreichen Körperverlagerungen diesen Zustand beizubehalten oder wiederherzustellen. z.B.: Skifahren, Inlineskaten, Judo, Sprünge Fähigkeit einen von außen vorgegebenen Rhythmus zu erfassen und motorisch umzusetzen. Außerdem die Fähigkeit einen verinnerlichten Rhythmus einer Bewegung in der eigenen Bewegungstätigkeit zu realisieren. z.B.: Schwimmen, Hürdenlauf, Anlaufrhythmus Es werden zum Teil auch noch andere Begriffe wie, Umstellungsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Kombinationsvermögen, Steuerungsvermögen, Antizipationsfähigkeit, Variationsfähigkeit, Wendigkeit, Kopplungsfähigkeit u.a. verwendet, es erscheint aber die Verwendung der 5 oben angeführten als ausreichend. Trainierbarkeit der Bewegungskoordination Bewegungskoordination ist maßgeblich Steuerung und Regelung von Bewegungsabläufen - diese Vorgänge unterliegen zentralen Mechanismen. Bei Vollendung des dritten Lebensjahres Gehirn des Menschen bereits 80 % seiner endgültigen Größe - zur Ausreifung seiner für Steuerung und Regelung der Motorik zuständigen Bezirke bedarf es der Reizung und Beanspruchung! Entscheidende Prägephase für Bewegungskoordination liegt in den frühen Phasen der Individualentwicklung! Hinweise zur Optimierung der Bewegungskoordination Wechselwirkung der koordinativen Fähigkeiten hängt vom Zusammenspiel mit den koordinativ-energetischen Fähigkeiten (Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit) sowie der Beweglichkeit ab - kombinierte Förderung dieser Fähigkeiten! Koordinative Fähigkeiten können nie zu früh ausgebildet werden - im Mittelpunkt stehen vielseitige Anregungen und nicht geforderte Leistungen! In ermüdetem Zustand können koordinative Fähigkeiten (wie auch das Techniklernen) kaum gefördert werden! Wer nicht immer wieder neue Bewegungsabläufe erlernt, bereits beherrschte variiert und modifiziert, der stagniert - Automatismen hemmen die Weiterentwicklung der Lernfähigkeit und optimale Förderung der koordinativen Fähigkeiten! Trainingsprinzipien der bewussten Variation und Kombination sind die „Geheimrezepte“! Variation und Kombination verlangen relativ gefestigte Bewegungsstrukturen! Für das Training ist es hilfreich, zu wissen, welche Anforderungen eine Sportart stellt, dazu ist eine Analyse der Sportart nach 2 Dimensionen sinnvoll. Informationsanforderung Die Informationsanforderungen geben die für den Koordinationsprozess wesentlichen Sinnesorgane bzw. Analysatoren an. Wird eine der Informationsanforderungen hoch bewertet, so ist in der entsprechenden Spalte ein Kreuz mehr oder weniger weit rechts zu positionieren. Umgekehrt wird bei einer niedrig eingeschätzten Anforderung das Kreuz mehr oder weniger weit links positioniert. Auf diese Art und Weise erhält man einen Überblick über das Anforderungsprofil einer Sportart/Disziplin im Hinblick auf die Informationsanforderungen. Hoch gewertete Anforderungen sollten in entsprechendem zeitlichem Umfang beim Training der Koordination geübt werden. Abbildung: Die Informationsanforderungen nach Neumaier (1999) (optisch = Sehen, akustisch = Hören, taktil =den Hautsinn betreffend, kinästhetisch = der Muskelsinn betreffend, vestibulär = das Gleichgewichtsorgan betreffend) Druckbedingungen Der Präzisionsdruck beschreibt die Präzisionsanforderung der Bewegung, im Hinblick auf das Bewegungsergebnis oder die Bewegung selbst. Der Zeitdruck beschreibt die zur Verfügung stehende Zeit für die Bewegung oder die Bewegungshandlung. Der Komplexitätsdruck (mehrere Aufgaben gleichzeitig) bezieht sich auf die - an der Bewegung beteiligten Körperteile oder auch Muskeln. Der Situationsdruck (spontane Änderung) betrifft die Variabilität oder Komplexität der Situation, aus der heraus die Bewegung erfolgt. Der Belastungsdruck bezieht sich sowohl auf physische (nach 5 Strecksprüngen) als auch psychische (Strafe, wichtiger Ball) Belastung. Je nachdem, wie hoch die Wertung für die einzelnen Druckbedingungen ausfällt, ist in der Trainingspraxis wie bei den Informationsanforderungen zu verfahren. Im Training geht es nun darum, die Anforderungen, die an eine Sportart gestellt werden auch dementsprechend im Training zu berücksichtigen. Als Anleitung soll folgende Struktur dienen Struktur des gezielten Variierens Koordinationsklassse Druckbedingung Orientierung Differenzierung Gleichgewicht Reaktion Rhythmus Präzisionsdruck Zeitdruck Komplexitätsdruck Situationsdruck Belastungsdruck Reduktion von Sinnesinformation Optisch Akustisch Taktil kinästhetisch vestibulär Beim Training kann ich eine Fertigkeit (z.B.: Dribbeln mit dem Ball) im Bezug auf die Koordinationsklasse, Druckbedingung und Reduktion von Sinnesinformation variieren. z.B.: Auf einem Bein (Gleichgewicht) wenn man gleichzeitig angerempelt wird (Situationsdruck) und ohne optische Information So lassen sich für alle Sportarten eine riesige Menge an Variiationsmöglichkeiten für das Training erstellen. Eine weitere herangehensweise an das Koordinationstrainings kann über die erschwerten Ausführungsbedingungen führen, diese können Maßnahmen zu Variation der Bewegungsausführung als auch Maßnahmen zur Variation der Übungsbedingungen sein. Wir müssen nicht Bewegungskoordination lernen, sonder in erster Linie Problemlösungsstrategien erwerben und entwickeln. Dann können wir auch Bewegungen effizienter koordinieren! Maßnahmen zur Variation der Bewegungsausführung Veränderung der Ausgangs- und Endstellungen Veränderung der Bewegungsrichtung Veränderung des Bewegungstempos Veränderung des Bewegungsumfanges Veränderung des Krafteinsatzes Betonung einzelner Bewegungsphasen und/oder Teilbewegungen Üben mit verschiedenen Körpergliedern spiegelbildliches Üben Kombination von Übungen Zusatzaufgaben während der Bewegungsausführung Anpassen von Bewegungen an Vorgaben Imitationsübungen u.v.m. Maßnahmen zur Variation der Übungsbedingungen Die Variation erfolgt allgemein durch das Üben unter ungewohnten Bedingungen: Veränderung des Bewegungsraumes Veränderung der Anzahl der Mitspieler und/oder Gegner Veränderung des Geländes, der Stützflächen etc. Veränderung der Signalgebung Veränderung der Informationsaufnahme Veränderung von (taktischen) Aufgabenstellungen Üben nach Vorbelastung Verwendung von Handgeräten, Hilfsmitteln, Gerätebehinderungen etc. Üben unter Zeitdruck, mit Zeitvorgaben etc. Üben mit Partnerwechsel, Gegenwirkung durch Partner etc. zusätzliche Aufgaben während des Übens Veränderung z.B. von Entfernungen, Abständen, Zielvorgaben, Wurf-, Schuss- und Schlagwinkeln Üben mit geschlossenen Augen Üben nach Reizung des Gleichgewichtssinnes Veränderung von Spiel-, Kampf- und Wettkampfregeln Üben bei Störeinflüssen u.v.m. Wir müssen nicht Bewegungskoordination lernen, sonder in erster Linie Problemlösungsstrategien erwerben und entwickeln. Dann können wir auch Bewegungen effizienter koordinieren!