Schwindel

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Untersuchungskurs
„Schwindel“
Neurologie für
Allgemeinmediziner
2010
Klinik für Neurologie und klinische
Neurophysiologie
Klinikum Vest
Betriebsteil
Knappschaftskrankenhaus
Recklinghausen
Prof. Dr. med. Helmut Buchner
Januar 2010
Schwindel
Definition - klinische Untersuchung und Beschreibung
Schwindel ist eine sehr verbreitete Klage. Der spontane Bericht der / des Betroffenen ist oft wenig
differenziert. Jeder scheind unter dem subjektiven Schwindelgefühl etwas anderes zu verstehen. Das
Erlebnis wird meist als sehr dramatisch empfunden, weshalb nur eine genauere Befragung mit viel
Geduld und guter Kenntnis der möglichen Zusammenhänge eine klinische Diagnose erlaubt. Dabei ist
es wesentlich zu unterscheiden zwischen:
Akut anfallsartigem Auftreten (auch wiederholt) und einem Dauerzustand.
Einem Auftreten in bestimmten Situationen:
o beim Lagewechsel im Bett,
o beim Aufstehen,
o beim Stehen oder im Gehen.
Mit oder ohne begleitende weitere Symptome:
o Doppelbilder, Nystagmus oder Visusstörung,
o Ohrgeräusche,
o Fallneigung (gerichtet oder diffus).
Zum Verständnis des klinischen Symptoms ist es entscheidend, dass sich der Untersucher darüber
bewusst ist, dass Schwindel ein subjektives Erleben beschreibt. Es entsteht aus einem unerwarteten
Ergebnis des Vergleichs zwischen den beteiligten sensorischen Systemen (Vestibularorgan,
Muskeldehnung, somatosensorischer Wahrnehmung, Sehen) und der zentralen Verarbeitung mit der
erwarteten Efferenz. Das folgende Schema soll diesen Zusammenhang verdeutlichen.
erwartete
Afferenz
Re-Afferenz
Efferenzkopie
Efferenz
zentraler
Speicher
willkürliche
Bewegung
Vergleich
Afferenz - Reafferenz
Raumkonstanz
Habituation
Inkongruenz
SCHWINDEL
Schematiserte Darstellung der Entstehung von Schwindel (modifiziert nach: Brandt Th 2003
Schwindel in: Brandt Th, Dichgans J und Diener H-Ch Therapie und Verlauf neurologischer
Erkrankungen Kohlhammer).
Aus dieser Systematik wird verstehbar, dass Schwindel entstehen kann durch eine Störung eines der
beteiligten sensorischen Systeme, der zentralen Verarbeitung, oder der im Gehirn gespeicherten
Erwartung der Veränderung in der Raumwahrnehmung. Dabei kann das Symptom eine oder mehrere
Ursachen haben.
Nur die sorgfältige Anamnese zusammen mit einer vollständigen Untersuchung kann deshalb zur
richtigen Diagnose führen. Für die erste klinische Differenzialdiagnose hat sich die Unterscheidung in
drei Typen bewährt, mit den in der folgenden Tabelle aufgeführten Merkmalen:
Typ
peripher-vestibulärer
Schwindel
zentral-vestibulärer
Schwindel
nicht vestibulärer
Schwindel
Schwindel
heftig, drehende
Richtung
heftig, diffuse Richtung
gering, diffuse Richtung
Geschwindigkeit des
Auftretens
Akut – oft mit
reproduzierbarem
Auslöser
Akut
Meist subakut oder
andauernd
Dauer des Schwindels
Kurz anhaltend
Länger anhaltend
Länger anhaltend
Erbrechen
Meistens und heftig
Seltener dann heftig
selten
Nystagmus
Immer - rasche
Komponente horizontal
Fast immer – meist
nie
rotatorisch, oder vertikal
Gehör
Oft mit betroffen
Nicht beteiligt
Nicht beteiligt
Stehen - Gehen
Selten – dann
Abweichen zur
betroffenen Seite
Oft - Abweichen zur
betroffenen Seite oder
diffus
Meist unter Ablenkung
wieder normal
Weitere neurologische
Symptome
keine
Fast immer oder im
Verlauf weitere
Hirnstammzeichen
Keine oder periphere
Neuropathie
Die Differenzierung dieser drei Typen ist meist möglich, wenn in einer Schwindelattacke untersucht
werden kann. Alleine aus der Anamnese kann eine Unterscheidung allerdings schwierig sein.
Untersuchungsgang
Aus: Strupp et al. Diagnostik und Therapie vestibulärer Störungen Akt Neurol 2009; 36:460f
Überlappung mit anderen Leitsymptomen
Akut aufgetretene Doppelbilder (XX)
Multiple Hirnnervenlähmungen (XX)
Breitbeiniger Gang (XX)
Kleinschrittiger Gang mit vermindertem Anheben der Füße (XX)
Diagnostisches Vorgehen - Zusatzdiagnostik mit welcher Fragestellung und
wann?
Das diagnostische Vorgehen richtet sich nach der vermuteten Ursache, siehe Tabelle.
Ein peripher-vestibulärer Schwindel bedarf, wenn nicht eindeutig, einer weiteren Hals-NasenOhren-Ärztlichen Untersuchung.
Ein zentral-vestibulärer Schwindel muss behandelt werden wie die häufigste bedrohliche Ursache,
eines ischämischen Infarktes.
Ein nicht vestibulärer Schwindel bedarf meist einer weiteren ambulanten neurologischpsychiatrischen Behandlung.
Notfall – möglicher Notfall - kein Notfall
Stationär – möglicherweise ambulant – ambulant
Ein Schwindel ist immer dann ein Notfall und stationär zu behandeln, wenn:
der Verdacht auf eine zentrale Ursache nicht ausgeschlossen werden kann (begleitende
neurologische Symptome),
die vegetativen Begleitsymptome, wie Erbrechen oder eingeschränkte Mobilität, eine
ambulante Diagnostik oder Behandlung verhindern.
Ursachen
Peripher-vestibulärer Schwindel
Gutartiger paroxysmaler
Lagerungsschwindel
Ursache sind frei bewegliche Partikel innerhalb eines Bogengangs,
die die Funktion des Bogengangs beeinträchtigen.
Charakteristisch sind kurze Drehschwindelattacken mit oder ohne
Übelkeit, die durch eine Änderung der Kopfposition ausgelöst
werden. Typische Auslöser sind: Hinlegen oder Aufrichten aus dem
Bett, Herumdrehen im Bett mit Lagerung auf die betroffene Seite.
Die Diagnose wird durch eine Lagerungsprobe gesichert. Dazu wird
ausgehend von einer sitzenden Position auf einer Liege der
Betroffene zu einer Seite gelagert, so dass der Kopf ca. 45 Grad
zur Gegenseite gedreht und leicht nach unten hängt. Mit kurzer
Verzögerung tritt der Schwindel mit einem Nystagmus zum unten
liegenden Ohr auf. Nach kurzer Zeit klingt der Schwindel und der
Nystagmus ab. Beim Aufrichten tritt der Schwindel erneut auf. Bei
Wiederholungen ist die Attacke gemildert und tritt nach einigen
Versuchen nicht mehr auf. Entsprechende Lagerungsübungen sind
die Therapie.
Neuropathia vestibularis / akuter Ohne einen Auslöser setzt ein heftiger Drehschwindel mit ebenfalls
einseitiger Ausfall des
heftigem Spontannystagmus ein. Begleitet wird dies von starker
Vertibularorgans
Übelkeit und Erbrechen. Es Kann eine Fallneigung zur betroffenen
Seite bestehen. Der Schwindel kann Stunden bis mehrere Tage
anhalten und wird in der Regel durch Lagewechsel verstärkt. Zur
Abgrenzung eines zentralen Schwindels gilt, dass weitere
neurologische Symptome, insbesondere eine Zeigeataxie, fehlen.
Morbus Menière
Ursache ist ein endolymphatischer Hydros mit der Folge eines
Übertritts von Endolymphe vom endolympatischen in den
perilympatischen Raum. In der Attacke besteht die Trias aus
Drehschwindel mit Nystagmus, Tinnitus und Hörminderung. Eine
Menière- Erkrankung gilt als sicher, wenn folgende Kriterien erfüllt
sind:
Zwei oder mehr Schwindelatttacken von 20 Minuten Dauer oder
länger,
Nachweis einer Hörminderung bei mindestens einer
Untersuchung,
Tinnitus oder Ohrdruck im betroffenen Ohr,
Ausschluss einer anderen Ursache.
Vestibularisparoxysmie
Es soll sich um eine hirnstammnahe Kompression des
Vestibularnerven durch ein Gefäß handeln.
Charakteristisch soll folgende Merkmale sein:
-
-
Kurze Attacken eines Dreh- oder Schwankschwindels mit
Stand- und Gangunsicherheit,
Auslösbarkeit durch bestimmte reproduzierbare Kopfpositionen
oder Beeinflussung der Attacke durch Änderungen der
Kopfposition,
einseitige Hörminderung oder Tinnitus während der Attacke
oder andauernd,
Besserung durch Carbamazepin,
messbare vestibuläre oder chochleäre Defizite in der Attacke
oder andauernd.
Bilaterale Vestibulopathie
Beide Vestibularorgane sind betroffen. Leitsymptome sind:
Oszillopsien (ruckende Bewegungen des Sehbilds) und
Unscharfsehen bei schnellen Kopfbewegungen oder im Gehen,
Gangunsicherheit vor allem im Dunkeln,
Störung des Raumorientierung.
Diagnostisch wegweisend ist der Halmagi-Test, der die
Suppression des vestibulo-okulären Reflexes prüft. Dazu wird der
Betroffene gebeten mit beiden Augen die Nase des Untersuchers
zu fixieren. Der Untersucher dreht dann den Kopf des Betroffenen
schnell nach links und nach rechts. Bei erhaltener Suppression des
Reflexes bleibt die Fixation konstant. Bei einem Ausfall wird die
Fixation verloren und es wird eine schnelle Refixationssakkade
beobachtet.
Traumatischer Schwindel
Commotio labyrinthii
Nach einem Kopftrauma kann es zu einem Ausfall eines
Vestibularorgans kommen. Die Symptome entsprechen denen einer
Neuropathia vestibularis, sind aber meist nicht so heftig. Besteht
zusätzlich eine Hörminderung sollte, eine Felsenbeinfraktur
ausgeschlossen werden.
Zentral-vestibulärer Schwindel
Orthostatischer Schwindel
Der diffuse Schwindel tritt nur nach dem Aufstehen aus dem Liegen
oder Sitzen auf und hält Sekunden an. Er ist verbunden mit einem
kurzen Blutdruckabfall.
Hirnstamm oder KleinhirnLäsion
(Ischämie oder Blutung)
Leitsymptome sind ein diffuser anhaltender Schwindel verbunden
mit einer deutlichen Fallneigung zu einer Seite und einer
Zeigeataxie, nachzuweisen im Finger-Nase bzw. Knie-HackeVersuch. Meist besteht ein Nystagmus mit wechselnder Richtung.
Wenn weitere neurologische Symptome, oft eine Störung der
Blickmotorik oder eine Dysarthrie, bestehen ist die Diagnose leicht
zu stellen. Im anderen Fall kann es schwierig sein, einen
peripheren Schwindel abzugrenzen. Allerdings besteht meist nur
eine geringe Übelkeit. Im Verdachtsfall muss eine cerebrale
Bildgebung ausgeführt werden. Dabei muss bedacht werden, dass
die Computertomographie eine ischämische Hirnstamm- oder
Kleinhirnläsion oft nicht nachweisen kann.
Basilarismigräne
Die Diagnose gilt als gesichert, wenn wiederholte
Schwindelattacken in Kombination mit Sehstörungen, Stand- und
Gangataxie, weiteren Hirnstammsymptomen und okzipital betonten
Kopfschmerzen bei einer familiären Belastung mit einer Migräne
auftreten. Eine MRT muss einen Normalbefund zeigen.
Paroxsysmale Dysarthrophonie
und Ataxie
Dabei soll es sich um sehr kurze Schwindelattacken, die sehr
häufig bis zu 100 mal am Tag auftreten verbunden mit einer
Dysarthrie, Standunsicherheit und Zeigeataxie handeln.
Vestibuläre Epilepsie
Schwindel als Symptom einer Epilepsie ist sehr selten. Fast immer
bestehen weitere Symptome einer komplex-fokalen Epilepsie.
Familiäre episodische Ataxie
Das ist eine sehr seltene Erkrankung mit den Symptomen einer
subakut über Stunden oder Tage anhaltenden Ataxie mit
Nystagmus.
Nicht vestibulärer Schwindel
Somatosensorischer Schwindel
Es wird von einem diffusen Schwindel berichtet, der nur im Stehen
oder Gehen auftritt und verstärkt ist im Dunkeln und auf weichem
oder unebenem Boden. Klinisch wird eine Neuropathie der
Beinnerven gefunden, mit vor allem herabgesetztem
Vibationsempfinden. Dies ist dann auch die Ursache des
Schwindels mit einer verminderten Sensibilität der Füße und so
beeinträchtigter Stand- und Gangsicherheit.
zervikogener Schwindel
Die Existenz dieser Diagnose ist sehr Umstritten. Die Angabe von
Nackenschmerzen oder der Nachweis eines „Verschleiß“ der
Halswirbelsäule zusammen mit einem diffusen Schwindel reicht
sicherlich nicht aus um die Diagnose zu stellen. In der Realität sind
fast alle Diagnosen eines zervikogenen Schwindels tatsächlich ein
phobischer Schwindel. Dennoch ist es in experimenteller Auslösung
gesichert, dass Somatosensoren aus Muskeln, Gelenken oder Haut
ein Eigenbewegungsempfinden und einen Nystagmus auslösen
können.
Visueller Schwindel
Ein herabgesetzter Visus oder eine Störung der Blickmotorik, gleich
welche, kann zu einem subjektiv empfunden Schwindel führen, weil
die visuelle Fixation des Körpers in die Umgebung beeinträchtigt ist.
Somatoformer phobischer
Schwindel
Ist wohl die häufigste Ursache eines diffusen Schwindels ohne
Nachweis einer organischen Ursache. Leitsymptome sind:
- Schwankschwindel und subjektive Stand- Gangunsicherheit
ohne beobachtbare Unsicherheit.
- Schwindel mit einer Benommenheit und fluktuierender
Unsicherheit von Stand und Gang, attackenartige Fallangst
ohne Stürze, als unwillkürlich erlebte kurze
Körperschwankungen.
- Schwindelattacken in typischen Situationen, in leeren Räumen,
auf Brücken, in Menschansammlungen.
- Vermeidungsverhalten mit Angst und vegetativen
Missempfindungen.
- Oft Besserung unter wenig Alkohol.
- Oft zwanghafte und depressive Persönlichkeit.
Pharmaka Nebenwirkung
Viele zentralwirksame Medikamente, häufig Benzodiazepine,
Barbiturate, Antihypertonika und Carbamazepin, können akut einen
Schwindel mit oder ohne Nystagmus verursachen. Fast immer
besteht eine Dysarthrie und eine geringe Vigilanzminderung.
Schwindel im Alter
Multikausaler Schwindel
Eine diffuser Schwindel ist sehr häufige Klage älterer Menschen.
Oft wird er provoziert beim Beugen des Kopfes in den Nacken, da
so die visuelle Fixation aufgehoben wird. Nach unserer Erfahrung
besteht fast immer eine multikausale Ursache aus:
einer Neuropathie der Beinnerven, einer eher geringen vestibulären
Störung, einem vermindertem Visus und einer phobischen
Ausgestaltung. Dazu kommt oft noch eine Behinderung beim
Gehen durch Arthrosen großer Gelenke. Ältere Menschen nehmen
oft viele Medikamente, darunter auch solche, die das Symptom
verstärken.
Hier ist Platz für Ihre ergänzenden Notizen
Selbstbehandlung des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels
(rechts)
Setzen Sie
sich auf ein
Bett und
drehen Sie
den Kopf
45° zur
rechten
Seite.
Legen Sie
sich rasch
auf den
Rücken, mit
den
Schultern auf
ein Kissen,
so daß der
Kopf leicht
nach hinten
überstreckt
ist, und
warten Sie
30
Sekunden.
Drehen Sie
den Kopf 90°
nach links,
ohne ihn
dabei
anzuheben
und warten
Sie wieder
30
Sekunden.
Nun rollen
Sie mit
Körper und
Kopf 90°
nach links,
warten Sie
erneut 30
Sekunden.
Rollen Sie nicht
zurück in die
Rückenlage,
sondern setzen
Sie sich aus der
vorherigen
Position auf.
Führen Sie diese Bewegungsfolge dreimal täglich aus. Dabei kann ein kurzer
Lagerungsschwindel ausgelöst werden. Beenden Sie die Übungen, wenn 24 Stunden
lang kein Lagerungsschwindel aufgetreten ist, weder beim Üben noch zu anderen
Zeiten.
Selbstbehandlung des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels
(links)
Setzen Sie
sich auf ein
Bett und
drehen Sie
den Kopf
45° zur
linken Seite.
Legen Sie
sich rasch
auf den
Rücken, mit
den
Schultern auf
ein Kissen,
so daß der
Kopf leicht
nach hinten
überstreckt
ist, und
warten Sie
30
Sekunden.
Drehen Sie
den Kopf 90°
nach rechts,
ohne ihn
dabei
anzuheben
und warten
Sie wieder
30
Sekunden.
Nun rollen
Sie mit
Körper und
Kopf 90°
nach rechts,
warten Sie
erneut 30
Sekunden.
Rollen Sie nicht
zurück in die
Rückenlage,
sondern setzen
Sie sich aus der
vorherigen
Position auf.
Führen Sie diese Bewegungsfolge dreimal täglich aus. Dabei kann ein kurzer
Lagerungsschwindel ausgelöst werden. Beenden Sie die Übungen, wenn 24 Stunden
lang kein Lagerungsschwindel aufgetreten ist, weder beim Üben noch zu anderen
Zeiten.
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