"Medienkompetenz": Über den Wandel in Begriffsinhalt und Bewertung seit Ende der 1960er Jahre Schwerpunkt: Junge Menschen zwischen 16 und 20 Jahren Schriftliche Hausarbeit zur Prüfung Baccalaureus Artium Fernstudienkurs Teilgebiet "Theorie der Schule und des Unterrichts" angefertigt im Hauptfach Erziehungswissenschaft Betreuer: Prof. Dr. Horst Dichanz Marianne Walz Johannishofweg 7 64579 Gernsheim Matrikel-Nr. 4826590 Fristbeginn: 12.Februar 2002 Ich erkläre verbindlich, dass ich die vorliegende Hausarbeit selbständig angefertigt und dabei keine andere als die unter Quellenangaben angegebene Literatur zitiert und verwendet habe. Eine Arbeit zu diesem Thema habe ich bisher weder an der FernUniversität Hagen noch an einer anderen Hochschule als Leistungsnachweis abgegeben. Gernsheim, 10.05.2002 Gliederung "Medienkompetenz": Über den Wandel in Begriffsinhalt und Bewertung seit Ende der 1960er Jahre Schwerpunkt: Junge Menschen zwischen 16 und 20 Jahren 1. Einleitung und theoretische Grundlegung der Begriffe 1. Medien 1. Übergreifender kulturhistorischer Kontext 2. Medien in den 1960-70er Jahren 3. Medien um 2000 2. Kompetenz 1. Der selbstmächtig handelnde Mensch – Grundlegung des Kompetenzbegriffs 2. Handeln als Interaktion: personales und mediales Interagieren 3. Das Konzept der kommunikativen Kompetenz 4. Medien im Kontext Handlungskompetenz, Sozialisation und Interaktion 5. Das Konzept der Entwicklungsaufgabe im Jugendalter: "Identität finden" 2. Kommunikationshandeln im Wandel: Was ist heute anders als vor 30 Jahren? 1. Mediale Umwelt und Ziel-Intentionen für erzieherisches Handeln um 1970 1. "Medien-Landschaft" um 1970 2. Kritische Theorie und Kritik an den Massenmedien: Die Abkehr vom behavioristischen Konzept der Medienwirkung 3. Pädagogische Zielvorstellung: Mündigkeit, Kritikbereitschaft, Widerstand gegen mediale Indoktrination 2. Mediale Umwelt und Ziel-Intentionen für erzieherisches Handeln um 2000 1. Die Neuen Medien: ein "Quantensprung" in der MedienUmwelt 2. ambivalente Bewertung der Neuen Medien zwischen demokratisch-emanzipatorischem und GefährdungsPotenzial 3. Aspekte der pädagogischen Zielvorstellung vom kompetenten Medien-Nutzer 3. Entwicklungsaufgabe Identität und Medien im Lebensabschnitt zwischen 16 und 20 Jahren: Zeitvergleich 1. Übergreifender Erklärungszusammenhang 2. Jugend und Jugendkultur 1. Jugendkulturen um 1970 2. Jugendkulturen um 2000 3. Kriterium Mediennutzen: Orientierungsmuster beim Finden des Selbst 1. Geschlechts-Identität 2. Ablösung und Berufswahl 4. Diskursivität oder Visualität? 1. Der Diskurs als Leitbild für Kompetenz um 1970 2. Visualität als neue Sprache der netzbasierten Interaktivität um 2000 3. Medienpädagogisches Nachdenken über das Ergebnis der PISA-Studie: visual literacy, media literacy, reading literacy? 4. Pädagogischer Handlungsbedarf im Zeitalter der "Wissens- und Informationsgesellschaft" 1. Medien-"Quantensprung" und Informationsflut in der Lebenswelt der älteren Erwachsenen (Lehrer, Ausbilder, Eltern von Jugendlichen) 2. Neues Nachdenken über Erziehung zur Medienkompetenz 3. Neues Verhältnis Erzieher – Zögling gestalten 1. geändertes Berufsrollenverständnis 2. Altersrollenverständnis 3. Andere Lernprozesse in neuer Lernkultur 4.4. Neue Medien: Chance oder Risiko für das Leitbild vom autonomen Subjekt? 4.5. Wissen und Erfahrung zusammenführen: Ein integrativer medienpädagogischer Ansatz 5. Zusammenfassung, Stellungnahme 6. Quellen / Literatur 1. Einleitung und theoretische Grundlegung der Begriffe Kompetenz (von lat. competo = ausreichen, zutreffen, einer Sache mächtig sein) bezeichnet eine Fähigkeit oder Zuständigkeit. In Verbindung mit Medien ist also die Fähigkeit gemeint, der Mittel mächtig zu sein, - denn Medien, auch aus dem Lateinischen stammend (Plural von medium) bedeutet die Mittel. Im heutigen Alltagssprachgebrauch sind damit fast immer die (technischen) Mittel zum Übertragen und/oder Speichern von Informationen bezeichnet. 1.1. Medien Im 30-bändigen "Brockhaus"-Lexikon von 1996 sind dem Schlagwort "Medien" und den dazugehörigen 12 Wortverbindungen 5 Seiten oder 9 ½ Spalten (Kolumnen) eingeräumt – ein Umfang an "Speicherplatz", der diesem Begriff heute offenbar aufgrund seiner gesellschaftlichen Bedeutsamkeit zukommt. 28 Jahre zuvor, in der 1968er Ausgabe, nimmt eben dieser Begriff Medien und seine 3 Wortverbindungen (-hierarchie, -pädagogik und verbund) gerade 3% dieses Platzes, nämlich 1/3 Kolumne, ein. Dieser Einstieg in das Thema Medienkompetenz, gewählt über das quantitative Darstellen des Begriffes in einem verbreiteten und konstant publizierten, repräsentativen Printmedium, weist im Vergleich über den Zeitraum von weniger als 30 Jahren deutlich auf raschen und grundlegenden Wandel hin. Der Begriffsinhalt Medien scheint innerhalb des historisch kurzen Zeitraumes um das 25fache komplexer und erklärungsbedürftiger geworden zu sein; das der Medien Mächtig-Sein entsprechend komplizierter und schwieriger... In der vorliegenden Arbeit geht es vor allem um die qualitative Seite des Phänomens Medien im gesellschaftlichen Wandel: Was war Medienkompetenz vor 30 Jahren, und was ist es heute? Was folgt daraus für das pädagogische Handlungsfeld in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen? 1.1.1. Übergreifender kulturhistorischer Kontext Das Übermitteln, das Austauschen von Botschaften heißt, dass Individuen oder Gruppen aktiv miteinander in Beziehungsgefüge eintreten. Aus diesen interindividuellen Beziehungsnetzwerken entsteht Gesellschaft. Kommunizieren mittels der Zeichen und Symbolen gemeinsam zugeschriebenen Sinn- und Bedeutungsinhalte sind der Stoff, aus dem Kultur entsteht. Kommunikation ist ein weiterer zentraler Begriff im Erklärungskontext Medien. Somit führt das Thema Medien mitten in anthropologisch-philosophische, sozialwissenschaftliche und politisch-weltanschauliche Bereiche hinein. Eine die pädagogische Relevanz überschreitende Annäherung an den Begriff Medien soll hier zunächst über einen knappen historischen Überblick versucht werden. Welcher Mittel bedienten sich Menschen, um sich mitzuteilen? "Die Geschichte der Kommunikation ist verbunden mit der Geschichte menschlichen Lebens." konstatiert Dieter Baacke. (Baacke 1973 S.12.- Dieser Autor hat zum Thema Medien und Kommunikation im erzieherischen Bereich besonders innerhalb des hier relevanten Betrachtungszeitraums mit intensiver theoretischer und Forschungsarbeit Wichtiges beigetragen und viele andere Wissenschaftler inspiriert. Er wird deshalb in dieser Arbeit noch öfter in Zitaten zu Wort kommen.) Baacke bezieht sich auf Arbeiten von Harry Press. Press unterscheidet in der geschichtlichen Entwicklung der Medien die primären und die sekundären Medien. Primäre Medien seien diejenigen, deren sich Menschen zum Kommunizieren innerhalb von kleinen Gruppen bedienen: "Gestik, Mimik, Demonstration, Zeremoniell (sind) Kommunikation durch Zeichen, die der Einzelne als physikalischer Träger an andere übermittelt." (A. a. O. S.12) Sie markieren wahrscheinlich den Beginn der phylogenetischen Menschwerdung. "Zu diesen Zeichen gehört auch die gesprochene Sprache, die neben dem Gedächtnis die bisher längste Zeit der Menschheitsgeschichte hindurch das vorrangige Mittel für kommunikativen Austausch und Tradierung darstellt." (A. a. O. S.12) Kommunikativer Austausch und Tradierung sind es, die Sozialität und Kultur hervorbringen. Meilensteine sind die Entstehung der Schrift vor etwa 7000 Jahren: Schreiben ermöglichte das Dokumentieren und Nachprüfen des Überlieferten – und die Erfindung des Buchdrucks vor 450 Jahren: Multiplikation und Distribution des Geschriebenen machte die verschriftlichten Informationen vielen Kommunikationspartnern zugleich zugänglich. Nach Pross sieht Baacke in der Buchkultur das Initial der sekundären Medien. Der Charakter des Sekundären entstehe dadurch, dass "das Signal (...) sich als eigene Größe zwischen Sender und Empfänger (schiebt). " Nicht mehr die körpereigenen kommunikativen Werkzeuge des Menschen, sondern ein künstliches Gerät trage nunmehr die Nachricht: "Auf das Gerät und die darin investierte Arbeit kommt es an." (A. a. O. S.13) Damit ist Medialität – Mittelbarkeit – benannt. Medienkritik und Medienkompetenz, die die nachfolgenden Betrachtungen dieser Arbeit thematisieren, sind an dieser Charakteristik der Vermitteltheit bzw. des Vermitteltseins sowie an der Gerätehaftigkeit der Mittel orientiert. Inwieweit verselbständigt/entfremdet sich das Kommunikationsmittel dem Menschen, so dass seine Fähigkeit, es menschengerecht zu nutzen, des Fragens würdig/fragwürdig wird? Baacke erkennt noch tertiäre Medien: "Telegrafie, Nachrichtenagenturen (Fernschreiber), Telefon, Schallplatte, Tonband, Film, Radio, Fernsehen, Film- und Videokassetten. Sie sind nicht nur technisch kompliziert, sondern erfordern auch – wie sonst nur Buch und Presse – eine komplexe Organisation auf der Seite der Produktion." (A. a. O. S.13) 1.1.2. Medien in den Jahren 1960er-70er Jahren Massenmedien bedienen ein massenhaftes Publikum zugleich. Sie stellen in der sozialwissenschaftlichen und medienpolitischen Auseinandersetzung um 1970, initiiert durch die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, einen Schlüsselbegriff dar. Gesellschaftspolitischer Hintergrund der medienkritischen Initiativen zur polemischen Auseinandersetzung war das Bewusstsein der überlebten Katastrophe Naziherrschaft. Massenhafte Gleichschaltung der Menschen in Deutschland mittels Radiosendungen, Zeitungen, Kinofilmen sowie Massen-Propagandaveranstaltungen (aufwändige Ton-, Lichtund Bildprojektionstechnik) hatten z. T. eine Bedingung der Möglichkeit solcher verderblichen manipulativen Gleichschaltung dargestellt und bildeten nun den Anlass, Wert und Unwert der Technizität von Massenkommunikation zu hinterfragen. Autoren wie Oskar Negt, Alexander Kluge, Dieter Prokop und andere analysieren die sozialen und medienpolitischen Strukturen der bundesrepublikanischen Gegenwart um 1970 aus marxistischer Position und kennzeichnen die Medien-Produkte in ihrem Warencharakter, der dem Herrschaftsanspruch der Kapitalistenklasse und ihren Ausbeutungsinteressen entspricht. Warum die arbeitende Klasse ihren Freiheits- und Selbstverwirklichungsbedürfnissen entfremdet ist und scheinbar willig der medialen Massen-Manipulation unterliegt, erklärt Oskar Negt so: "Die Aufsplitterung des Menschen im Arbeitsprozess, seine Isolierung durch die Konkurrenz, die Zerschlagung der Lebenszeit in bloße Arbeits- und Freizeitanteile machen einen triebökonomischen ideologischen Ausgleich notwendig. Es entstehen Harmoniebedürfnisse. (...) In relativen Ruhelagen der Gesellschaft sind die Sozialisationsaspekte der Arbeit und der Familie vorherrschend (...). In ihr gehen dann die aus dem Produktionsprozess und der Familie synthetisch vereinigten Ideologiebedürfnisse mit allem, was unter den Begriffen Kultur, Bildung, nationale Symbole, ethnozentrisches Weltbild, Fremdenhass, bürgerliche Utopie überliefert ist, eine trübe, aber außerordentlich wirkungsvolle Verbindung ein." (O. Negt, in Baacke 1974 S.43). Solcherart produziertes Schein-Bedürfnis schafft Nachfrage und begründet Warencharakter: "Alle Fernsehsendungen, gleichgültig ob Unterhaltung, Nachricht, kritische Dokumentation, haben einen Gebrauchswert und einen Warencharakter." (Negt, a. a. O. S. 46) "Der materielle Kern des Scheins" überschreibt Oskar Negt diesen Teil seiner medienanalytischen und medienkritischen Ausführungen. Ansätze zum Überbrücken dieses Gegensatzes zwischen Schein und Sein zeigen die marxistischen Medienkritiker um 1970 auf, indem sie den Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlichem Charakter der (Medien-) Produktion und deren kapitalistischer Aneignung (Verwertbarkeit mittels manipulativer Entfremdung) lösen wollen. So schlägt Dieter Prokop vor, der manipulierten ScheinÖffentlichkeit eine spontane Gegenöffentlichkeit entgegen zu setzen: Vertreter der emanzipierten Bewegungen, Bürger-, Studenten- und Basisgruppen sollten gemeinsam mit kritischen Künstlern und Journalisten die Macht der herrschenden Institutionen in Frage stellen; " dem Interesse der Parteien-, Verbands- und Produktionsöffentlichkeit an formal ausgewogener Repräsentanz ein qualitativ anderes Interesse entgegen (stellen): das nach freier Artikulation und Verarbeitung von Ereignissen, Erfahrungen, Bedürfnissen und Interessen, ein Interesse also an lebendiger Produktion statt an Legitimation." (D. Prokop, a. a. O., S.131) Autoren wie F. W. Räuker und D. Schwarzkopf widersprechen diesen Ideen und Projekten. Sie verneinen vor allem die marxistische Grundlegung und die Ideologie des Klassenkampfes sowie die praktische Machbarkeit innerhalb der pluralistischen Medienlandschaft. Dabei argumentieren sie u. a. mit dem offen diktatorischen Charakter des realen kapitalistischen Gegenmodells: In den kommunistisch regierten Staaten seien die Massenmedien im Herrschaftsinteresse der politbürokratischen Kaste instrumentalisiert (A. a. O. S.226-249). Medien sind in Gestalt der Massenmedien (zunehmende Mediatisierung der Gesellschaft) und den damit zusammenhängenden Widersprüchen zwischen Aneignung und Entfremdung, zwischen manipuliertem und "wirklichem" Bedürfnis, zwischen Schein und Sein ein Thema engagierter Debatten geworden und bis heute geblieben. Das Wort Medien in seinem heutigen Begriffsinhalt ging in den Alltagssprachgebrauch ein. Das Herstellen sozialer Netze, die die Sozietät von solcher Komplexität und Reichweite wie die der modernen Industriegesellschaft von 1970 überspannen, können nur Medien mit Massen-Kapazität leisten. Massenmedien sind in der Industriegesellschaft unverzichtbar: Rundfunk, Fernsehen und Massenpresse. Dem emanzipatorischen Interesse aller Gesellschaftsmitglieder, daran gleichberechtigt und selbstbestimmt teilzuhaben, entspricht der Begriff Kommunikative Kompetenz. (Vgl. 1.2.3.) 1.1.2. Medien um 2000 Um 1990 konstatieren Medientheoretiker wie z. B. Thomas Heinze eine qualitativ neue Erscheinung: Die sg. Neuen Medien. "(Sie) ... stellen ein totales Phänomen dar, das den ganzen Menschen erfassen und seine Persönlichkeitsstruktur, seine Lebensumstände verändern dürfte. (...) Das zeichnet sich etwa im Ausbau der Netzinfrastruktur ab bzw. in der geplanten, (...) Installierung eines breitbandigen Fernmeldenetzes, das außer Sprach-, Datenund Textkommunikation auch noch Bewegtbilder im Dialogverkehr zu übertragen erlaubt." (Th. Heinze 1990 S. 5) Diese abermalige explosionsartige Zunahme an Mediatisierung, also an Technologie-haftigkeit beim Kommunizieren macht das Thema Medien ab 1990 erneut zum Zentrum sozialtheoretischer und politischer Debatten: Mit dem Netz-Charakter der Medien und der technologischen Machbarkeit geht eine Potenzierung der Informationsmenge einher – ein Aspekt, warum Sozialität herstellendes Kommunizieren erneut und auf Dauer problematisch geworden ist. "Wir wissen aus der Fernsehforschung, dass steigender Mediengebrauch mit einer Abnahme der verbalen und interaktiven Kontakte einhergeht und zur Verarmung der Sprache, des Gefühlslebens, der Kreativität und Phantasietätigkeit führen kann. (...) Mehr Wissen, aber weniger Sinnverstehen. Die Schere zwischen Informationsgeschwindigkeit und Sinnbildung, deutendem Verstehen, wird sich in Zukunft noch weiter öffnen." (A. a. O. S.9) bezieht sich Heinze auf ein Dokument der medienpolitisch zuständigen Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. In der Praxis netzgestützten Kommunizierens ist die Grenze zwischen Wirklichkeit (Lebenswelt) und Medien (Werkzeug, Gerät) aufgelöst. Menschen kommunizieren und bewegen sich in virtuellen Räumen (z. B. Chat-Rooms, Cyber-Space), arbeiten auf virtuellen Arbeitsplätzen, befriedigen sogar intime und spirituell-religiöse Bedürfnisse virtuell. Das Medium selbst wird Lebenswelt. Die 150 Jahre alte Industriegesellschaft, und mit ihr die Nationalökonomien, die Arbeiter- und die Kapitalistenklasse, die industrielle Produktion der Fließbänder, die Büroarbeitsplätze und selbst das Lernen in den Schulen scheinen im Zurückweichen, im Sich-Auflösen begriffen oder wandeln sich total unter den Bedingungen des www, der Informationsgesellschaft und der Globalisierung. Aber auch die um 1970 scharf kritisierte Kluft zwischen Medienindustrie und MedienKonsument scheint sich zu verkleinern: Im Internet kann prinzipiell jeder vernetzte Teilnehmer publizieren und Nachrichten von beliebigen anderen vernetzten Kommunikationspartnern empfangen: Text und Tonsignale, Stand- und Bewegtbilder digitalisierten Formats. Ein Indivialisierungsschub, eine neue Chance zur Emanzipation contra Massen-Manipulation? Neben den "Neuen" existieren die verschiedenen "alten" Medien wie Bücher, Zeitschriften, Fernsehen, Telefon weiter und verschmelzen in der Vernetzung. Ist der Mensch der Medien mächtig – oder bemächtigen sich die Medien seiner? Der Begriff Medienkompetenz taucht in den polemischen Debatten auf. Er verheißt wiederum die Vision und Zielvorstellung vom kritischen, technologisch wie musisch-kreativ gebildeten und aktiv gestaltenden Bürger der modernen Kommunikations- und Informationsgesellschaft. Das scheinbare Abhängigsein vom Medium (z. B. Computer-Netzwerk) lässt auch oberflächliches Reduzieren des Begriffs Medienkompetenz auf seine technologischen Aspekte zu: Medienkompetenz sei damit eingegrenzt z. B. auf (Grund-)Fähigkeiten wie das Einsetzen erfolgreicher Suchstrategien im Internet, netzgestützt zu kommunizieren und im beruflichen Bereich schnell und intrinsisch motiviert die relevanten Anwenderprogramme zu lernen. Medienkompetenz als Teilhabe an Gesellschaft vorausgesetzt, macht AusgrenzungsGefahren sichtbar. Wer nicht medienkompetent ist, marginalisiert sich. "Knowledge gap" bezeichnet die sich vertiefenden Kluft zwischen Menschen mit guter und denen mit nicht ausreichender Medienkompetenz. Jetzt hat der Begriff (Medien-) Kompetenz einen anderen Schwerpunkt als 1970: Statt mehr Distanz zur Technologie soll es mehr einsichtiges Kennen und Verstehen der Technologie sein, das der mündige Teilnehmer an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen braucht. 1.2. Kompetenz Kompetent, d. h. fähig und "berufen" ist der Mensch, innerhalb seiner jeweiligen Lebenswelt selbstmächtig zu handeln – sich verwirklichend als Individuum wie als Mitglied seiner sozialen Gruppe. Selbst-Werden (Individualisierung) und Mitglied-Werden (Vergesellschaftung) des Menschen (Sozialisation) sind miteinander verflochten. "Sozialisation wird (...) verstanden als unter empirischen Bedingungen stattfindende Entfaltung einer Handlungskompetenz." (D. Geulen in Hurrelmann / Ulich 1998, S.48) fasst Dieter Geulen die interaktionistisch-konstruktivistischen Sozialisationstheorien (Mead, Piaget, Ericson, Oevermann, Habermas et alt.) zusammen. Gelungene Sozialisation wäre dann die Genese eines handlungs-kompetenten Subjekts. Der neugeborene Mensch ist zunächst noch nicht handlungskompetent, aber ausgestattet mit Anlagen zur primären Kommunikation. Er hat nach konstruktivistisch-interaktionistischer Grundlegung damit prinzipiell die Möglichkeit (und die Bestimmung), Handlungsfähigkeit zu erwerben. 1.2.1. Der selbstmächtig handelnde Mensch: Grundlegung des Kompetenzbegriffs In Abgrenzung z. B. von verhaltenstheoretischen (behavioristischen) Konzepten betonen die Vertreter interaktionistisch-konstruktivistischer Theorien den Eigenanteil des aktiven Menschen an seiner Entwicklung. Der Mensch selbst sei es, der sich in aktivem Handeln, in Kognitions- und Kommunikationsprozessen (Probleme lösend) seine dingliche wie soziale Umwelt aneignet; sie sich konstruiert. - Diese Grundhaltung kennzeichnet ein Paradigma, das für das Beschreiben pädagogischer Ziel-Intentionen gut geeignet scheint. Erziehung hat es immer mit Zielvorstellungen zu tun; mit Werten und Normen, mit Sollens-Setzungen. Bestimmend und maßgeblich in der Grundlegung des weltanschaulichen kollektiven Selbstverständnisses in den Nationalstaaten Mittel- und Westeuropas und speziell Deutschlands sind die philosophischen Vertreter der europäischen Aufklärung und des deutschen Idealismus. Sie begründeten den Wert und die Würde des Menschen an sich (I. Kant) und den von Entwicklung (Werden als Versöhnung des Nicht-Seins mit dem Sein – G. F. W. Hegel) philosophisch. Das Ideal der bürgerlichen Aufklärung beeinflusste das Erziehungswesen über 2 ½ Jahrhunderte nachhaltig. Es hat nach der Nazi-Diktatur die Kritische Theorie der Frankfurter Schule inspiriert, diese Ideale zu hinterfragen und ihre Einlösung einzufordern. Naturwissenschaftlich-technischen Wissensinhalten hingegen scheint die positivistische Grundhaltung angemessener. Ein technischer Zusammenhang ist vollständig und in lückenlosen Kausalketten beschreibbar; ein menschlich-kommunikativer nicht. Medien in ihrer Technizität sind Apparate, erfunden und konstruiert von Technikern, die zunächst beim "Tüfteln" nicht an Probleme des menschengerechten Kommunizierens oder an unabsehbare soziale Folgen dachten. Das taten dann erst im Nachhinein Politiker und Erzieher, als das jeweils neue Medium bereits gesellschaftliche Wirklichkeit geworden war. Das humanistisch-aufklärerische und das positivistische Weltbild – jeweils für sozialwissenschaftliche einerseits und naturwissenschaftlich-technische Fragestellungen andererseits paradigmatisch – stehen sich bei Kommunikation und Medien scheinbar unversöhnlich gegenüber. Ein Grund dafür, warum viele engagierte Erzieher in der Bundesrepublik Deutschland Probleme mit der Akzeptanz der neuen Medien haben (in den USA dagegen weit weniger), könnte sich daraus herleiten lassen. Thomas B. Seiler untersucht interaktionistische Entwicklungs- und positivistische Sozialisationsmodelle und erkennt ein Brückenkonzept in der strukturgenetischen Sichtweise. Beide hätten "... denselben Gegenstand und (verfolgten) dieselbe Zielsetzung, nämlich zusammenhängende und längerfristige Veränderungen der Persönlichkeit zu erfassen. (...) Dem sich entwickelnden Subjekt (ist) ein hochdifferenziertes Arsenal an Strukturen, Fähigkeiten, Bereitschaften (vorgegeben), die es vom ersten Augenblick seines Daseins dazu befähigen, mit seiner Umwelt in Interaktion zu treten. (...) So erwirbt es fortlaufend neue, komplexere Kompetenzen der Umweltbewältigung und Problemlösung." (Th. B. Seiler, a. a. O. S.101). Interaktion (weitgehend kongruent mit dem Begriff Kommunikation) und Kompetenz sind damit als sich wechselseitig bedingend und konstituierend für die sich entwickelnde Persönlichkeit benannt. 1.2.2. Handeln als personales und mediales Interagieren In dem prinzipiellen Bejahen von Überbrückbarkeit der interaktionistisch-konstruktivistischen mit den sozialisationstheoretischen Konzepten betonen die Vertreter der strukturgenetischen Erklärungsmodelle weder einseitig die "Wirkung" der Gegenstände auf den Menschen noch seine idealtypische Selbstmächtigkeit, sondern setzen den Fokus auf das Rekonstruieren der zugrunde liegenden Struktureinheiten und ihr Zusammenspiel. "Entwicklung ist also (...) durch die Eigengesetzlichkeit und die Dynamik der Strukturen zu erklären, ihre Formen und Inhalte aber sind der Umwelt und dem soziokulturellen Angebot entnommen. (...) Die Wirkung der Gegenstände, der sozialen Vorbilder und Einflüsse kommt nicht durch sie selbst (...) zustande, sondern hängt davon ab, mit welchen Strukturen das Subjekt sie aufnimmt und verarbeitet" (...) In zunehmendem Maße wird (...) die kollektive Rekonstruktion der Wirklichkeit durch soziokulturelle Umwelt zum ersten und wichtigsten Gegenstand. (...) (A. a. O. S.114-116). Dieser Ansatz eignet sich zum Erklären und Beschreiben der mediatisierten Lebenswelt nicht nur dadurch, dass er idealistische mit positivistischen Konzepten "versöhnt", sondern auch durch seinen Praxisbezug: "Je differenzierter und vielfältiger das Strukturgefüge einer Person (...) ist, je mehr vernetzte Erfahrungs- und Handlungsweisen und je mehr übergeordnete Beurteilungs-, Generalisierungs- und Problemlöseregeln sie (...) besitzt, umso umfassender und effektiver wird sie sich mit einem entsprechenden Angebot auseinander setzen." (A. a. O. S.116) – Das scheint wie eine Programmatik für Medien-Erziehung. Es beinhaltet die Aufforderung an Eltern und Erzieher, dem Sozialisanden (Zögling) vom ersten Lebenstag an und sogar pränatal ein möglichst vielfältiges Angebot an Interaktionsmöglichkeiten in hoher Bandbreite bereit zu stellen. Dann habe er optimale Chancen, handelnd und interagierend sich Kompetenzen anzueignen und sein Selbst zu aktualisieren – lebenslang. Primäre, sekundäre, tertiäre und Neue Medien in Reihenfolge, Ausgewogenheit und Vielfalt, Angemessenheit, Qualität und Vollständigkeit. Fast wie ein Ratschlag zur gesunden Ernährung, bezogen auf geistige Nahrung. Allerdings steckt in diesem Ansatz auch medien- und sozialpädagogischer Pessimismus: Es erklärt kumulative Wirkungen medialer Einflüsse und begründet, dass primär-sozialisatorisch erworbene kontraproduktive Strukturen, z. B. in ungünstigem familiärem Milieu nur schwer aufzubrechen sind. Solche Menschen auf der "schlechten" Seite des Knowledge gap seien z. B. empfänglich für die schädliche Wirkung von Gewaltdarstellungen, während soziokulturell begünstigte Kinder mit frühzeitig angelegten funktionstüchtigen struktursequenziellen Sinndeutungsmustern (kritische Distanz) auch aus gelegentlich aufgenommenen "Schund" ihren strukturellen Gewinn der erweiterten Kompetenz zögen. 1.2.3. Das Konzept der kommunikativen Kompetenz Der Begriff Kompetenz, eingangs schon etymologisch hergeleitet, kommt aus dem naturwissenschaftlichen Sprachgebrauch und bezeichnet die Aufnahmebereitschaft von Embryonalzellen, Reize als Initial zum Wachsen und sich Entwickeln aufzunehmen. Analog angewandt auf die Bereitschaft bzw. Fähigkeit von Menschen zum Entfalten ihrer Entwicklungspotenziale kommt er im Bedeutungsgehalt dem alten Wort von der "Bestimmung" des Menschen nahe. In seiner Arbeit "Kommunikation und Kompetenz" nimmt Dieter Baacke den Kompetenzbegriff des Soziologen Jürgen Habermas, einem der Vertreter der "Frankfurter Schule", auf. Habermas wiederum bezieht sich auf den Linguisten Chomsky (Chomsky stellte empirische Daten zusammen, die seine Theorie von der universellen Grammatik aller Sprachen stützen, wonach die Fähigkeit zu sprechen, die Sprachkompetenz, im menschlichen Erbgut verankert sei). Habermas untersucht die Situationen des Sprechens und des Interagierens zwischen Menschen analytisch auf der Grundlage der Systemtheorie und erkennt Strukturen von Herrschaft in den Sprechakten. Er fordert programmatisch die "Vernunft" im Kommunizieren ein. In der idealen Sprechsituation, dem Diskurs, seien Gerechtigkeit und Demokratie möglich. Wahrheit entwickele sich dialogisch-dialektisch im Diskurs der vernünftigen Sprecher. Kommunikative Kompetenz sei nach Habermas identisch mit Vernunft. Damit ist der direkte Bezug zur alten, aufklärerischen Antwort auf die Frage nach der Bestimmung des Menschen hergestellt. Dieter Baacke stellt fest, dass anders als zu Zeiten Kants mehr Öffentlichkeit nicht gleichzeitig mehr Aufklärung bedeutet (Phänomen Massenkommunikation und Manipulierung). Er untersucht seinerseits die kommunikativ-interaktiven Prozesse zwischen Menschen und fragt nach universellen Gesetzmäßigkeiten (Regelstrukturen) und Axiomen der verschiedenen Kommunikationsformen. Seine theoretische Grundlage ist die Systemtheorie (Gesellschaft als selbst regulierendes System – analog der Kybernetik). In Abgrenzung zu den positivistischen System-Soziologen kehrt Baacke jedoch die Priorität um: Seine Kommunikationstheorie erklärt nicht strukturell-funktional, sondern funktional-strukturell. In dieser Konstellation seien Menschen nicht in Strukturen eingezwängt, sondern regelten ihre kommunikativen Beziehungen selbst, indem sie kreatives Problemlöse-Verhalten übten (Selektion von Alternativen). Damit seien sowohl gesellschaftlicher Wandel und soziale Mobilität als auch relative strukturelle Konstanz und Beharrungstendenzen erklärt. Auch das Phänomen Massenmedien und ihre Organisation beschreibt der Autor systemanalytisch mit Zweckrationalität. Für massenmediale Kommunikationsprozesse auf der Rezipientenseite vergleicht er verschiedene psychologische Erklärungsansätze. Baacke kommt zu dem Schluss, dass menschliches Handeln der Bezugspunkt für Kommunikation sei, nicht die zweckrationale Systemreferenz. "Kommunikationsbeziehungen determinieren den Menschen nicht im Sinne einer Unterwerfung, vielmehr können gerade sie dazu dienen, Unterwerfung aufzuheben. Darauf zielt pädagogisches Handeln. (Baacke 1973, S.254) Der kommunikations-kompetente Mensch habe die Möglichkeit, "sprachlich neuen Sinn zu produzieren, (...) Sprache befördert die Variation vorhandener Sinnmuster (und) auch die Chance, von ihnen Abweichendes zu inaugurieren. (...) Der Kompetenz des Menschen zu variablen und innovativen Verhaltensweisen entspricht die Struktur der Sprache. (..) In (ihr ist) die Verfügung über den Sinn und die Intention von Aussagen (angelegt). (A. a. O. S.260-261) Veränderbare Sinnstrukturen sind es, die die Zwanghaftigkeit sozialer Strukturen prinzipiell auflösbar machten – denn aus gemeinsam geteilten Bedeutungsinhalten sind Gesellschaften konstruiert. So kommt Baacke zu einem aufklärerisch-programmatischen, medienpädagogisch optimistischen Ausblick. Die kommunikationsfreundliche Gesellschaft sei machbar und lernbar : "Das Zu-sich-selbst-Kommen in der kommunikativen Kompetenz begründen Freiheitsgrade von Sprechen und Verhalten, (...) setzt eine Organisation von Gesellschaft und ein soziales Lernen voraus, die kommunikativ verlässlich und entlastend sind, dem Menschen aber nicht die Nutzung seiner Kompetenzen vorenthalten. (A. a. O. S.272) 1.2.4. Medien im Kontext Handlungskompetenz, Sozialisation und Interaktion Bernd Schorb, Erich Mohn und Helga Theunert (veröffentlicht 1998) sehen sich im Einklang mit Baackes Ansatz (hg.1973) und beziehen Sozialisation auf Medien. Auch sie distanzieren sich von monokausalen Erklärungsmustern, halten historischen Rückblick auf die mediale Kommunikation und stellen fest, dass Medien Bestandteil der konkreten Lebenswelt sind. "Mediale Sozialisation findet statt und ist nur erklärbar im historisch-gesellschaftlichen Kontext unter Einbezug der individuellen Adaption und Variation dieses Kontextes." Zum Wechselverhältnis Medien, soziale Realität und Verhalten resp. Generierung von Handlungskompetenz konkretisieren Schorb, Mohn und Theunert: "Das Individuum ist ebenso in die Gesellschaft und ihre formenden wie informellen Grenzen eingebettet und unterliegt auch dem Einfluss der Medien. Es bestimmt jedoch in der Auswahl der Medien und in der Verarbeitung medialer Inhalte, welche Effekte diese haben können und es wirkt (...) auch auf diese ein. (...) Als besonders intensiv wird diese Beeinflussung bei Kindern und Jugendlichen gesehen, da hier die Medien und ihre Inhalte in den Prozess der affektiven und kognitiven Entwicklung eingreifen. (...) (B. Schorb, E. Mohn, H. Theunert in Hurrelmann/Ulich 1998, S.494-495) Die Problematik der Neuen Medien benennen die Autoren u. a. so: (...) dass Computerwelten nicht mehr von den foto- oder videografischen zu unterscheiden sind, und die vielen unterschiedlichen Formen der Computeranwendung bedingen stets neue Probleme, die der öffentlichen Kontrolle entgleiten oder ihr auch bewusst entzogen werden." (A. a. O. S. 494) Dieser Zwiespalt zwischen Freiheit einerseits und Verführungsgewalt andererseits bestimmt die gegensätzlichen Positionen in der medienpädagogischen Diskussion. Sie setzt sich seit der ideologiekritischen Initiative der Frankfurter Schule fort und hat heute einen neuen Aspekt hinzu gewonnen: Den der zunehmenden Verschmelzung von Medienwelt mit Lebenswelt und die schärfer formulierte Frage nach Sein und Schein, Wert und Unwert, Fortbestand oder Wandel des humanistischen Ideals vom aufgeklärten Bürger (, der jetzt zeitgemäß als kommunikations- bzw. medien-kompetent bezeichnet wird). Der medienkompetente Mensch sei die Lösung des Dilemmas. Sind Grundkenntnisse in IT-Technologien erstrangig oder hinter den allgemein sozialkommunikativen Fähigkeiten zweitrangig? Die genannten Autoren beziehen ihre Stellung in der Nähe von Baacke: "..weg von den Medien, hin zu den Rezipienten (...) (einer) Sicht, Medienrezeption als soziales Handeln zu verstehen." (A. a. O. S.501-504). In welcher konkreten Lebenswelt primärer und mediatisierter sozialer Bezüge sich Jugendliche um 1970 und um 2000 jeweils befanden, ist in Punkt 2 noch vergleichend und detaillierter zu erörtern. 5. Das Konzept der Entwicklungsaufgabe im Jugendalter: "Identität finden" Die in dieser Arbeit ins Blickfeld gerückte Gruppe der 16-20jährigen steht im dargelegten Kontext der Sozialisation / Entwicklung in besonders schwierigen und tiefgreifenden Spannungen. Im letzten Drittel des zweiten Lebensjahrzehnts vollziehen Menschen den wichtigen Status-Übergang hin zum Erwachsenen. Die Konzeption der Entwicklungsaufgaben von E. H. Ericson ist geeignet, diesen Lebensabschnitt zu beschreiben. Es ist ein entwicklungstheoretischer Ansatz in der Traditionslinie der Psychoanalyse, der das Bewältigen von Krisen des Schwellen-Überschreitens als konstituierend für Sich-Entwickeln kennzeichnet. Diese Theorie beschreibt lebenslange Entwicklungsprozesse aus der biografischen Sicht des Sozialisanden im Allgemeinen und des Adoleszenten im Besonderen. Nach Ericson kommt dem Adoleszenten die Aufgabe zu, die Krise der Statuspassage hin zum Erwachsenen zu managen. Er müsse seine berufliche Identität finden, verwirklichen und wirtschaftlich unabhängig von der Herkunftsfamilie werden (Arbeit und Beruf). Er müsse des weiteren seine geschlechtliche Identität realisieren, sich vom Elternhaus emanzipieren und den Lebenspartner wählen (Liebe, Zuwendung, Partnerschaft in qualitativ neuen Beziehungen leben lernen). In der Tradition Siegmund Freuds kennzeichnet Ericson damit sowohl Trennungs- und Ablösungsprozesse wie auch Bindung als bestimmend für die Konstitution der personalen Identität. Beides bedeutet intensivierten kommunikativen Austausch (Beziehungsmanagement) und ist mit dem Durchstehen von krisenhaften Konflikten verbunden. Die Adoleszenzkrise sei neben der ödipalen die wichtigste im Menschenleben. In der Diskussion um die Neuen Medien sind wiederholt Verschiebungen des Machtgefälles als Konfliktpotenziale zwischen älterer und nachwachsender Generation thematisiert. Auch mangelnde bzw. "zweifelhafte" Identifikationsangebote für junge Menschen stellen Diskussionsstoff dar. Der zentrale Platz, den die Lebensaufgabe "Identität finden" in Ericsons Konzept einnimmt, verspricht solche wesentlichen Erscheinungen einordnen zu helfen. Kompetenz erwerben könnte in Ericsons Terminologie übersetzt heißen, die Lebensaufgabe "Berufliche und geschlechtliche Identität herstellen" erfolgreich zu lösen. Die Prozesshaftigkeit, Dynamik und prinzipielle Offenheit des Begriffsinhaltes Kompetenz sind damit gekennzeichnet. Die normative Komponente des Ericsonschen Konzepts gestattet zudem ein Vergleichskriterium: Wie nutzen Jugendliche die soziokulturellen Angebote der Medien für das Lösen ihrer Entwicklungsaufgabe "Identität finden" um 1970 und um 2000 (Siehe Punkt 3)? 1. Kommunikationshandeln im Wandel: Was ist heute anders als vor 30 Jahren? 1. Mediale Umwelt und Ziel-Intentionen für erzieherisches Handeln um 1970 Die soziale Umwelt, in deren Bezugsrahmen Jugendliche um 1970 in der Bundesrepublik Deutschland ihren Entwicklungsschritt zu vollziehen hatten, ist von den Massenmedien repräsentiert. Nur über die hohe Kapazität massenmedialer Kommunikation nahmen sie sich wahr und erlebten sich als Teil eines nationalstaatlich föderal organisierten Gesellschaftssystems, das damals ca. 60 Mio. Menschen umfasste und das sich abgrenzte gegenüber Nachbarstaaten. Die Wirtschaft des Landes war durch eine hoch leistungsfähige kapitalistische Industrieproduktion geprägt und bedingte die soziale Schichtung der Gesellschaftsmitglieder in Arbeiter, Angestellte, Mittel- und Oberschichtsangehörige. Die Schichtzugehörigkeit der Herkunftsfamilie, die jeweilige Arbeits- und Alltagskultur der Eltern bestimmte weitgehend das Herausbilden von strukturgenetischen Sequenzen in der familialen Sozialisation der Heranwachsenden, beeinflusste nachhaltig ihren Bildungsweg und ihre Lebenschancen. Der Monotonie in tayloristisch organisierten Produktionsbetrieben entsprach die Entfremdung der Industriearbeiter von ihrer Arbeit. Vertreter der kritischen Theorie und Aktivisten der Studentenbewegung prangerten um 1968 diese fragwürdigen sozialen Zustände öffentlich an. Die Massenmedien seien im Interesse des Fortschreibens von Herrschaft und Ausbeutung instrumentalisiert. Das Einfordern von gleichen Bildungschancen für alle überschnitt sich mit dem sg. Sputnikschock: Wirtschaftlich und politisch Mächtige in der BRD befürchteten technologisches Zurückbleiben bzw. bildungs- und sozialpolitische Vorbildwirkungen der Länder des feindlichen "Ostblocks". (Dort waren Bildungsbarrieren eingeebnet bzw. andersherum aufgerichtet). In einer groß angelegten Bildungsinitiative ("Bildungsboom") wurden Tausende neuer Lehrer eingestellt und umfangreiche Mittel in die Modernisierung des Bildungssystems investiert. Außenpolitisch waren die Beziehungen der BRD durch feindliche Konfrontation mit den Ländern des "Ostblocks" geprägt. Existenzielle Gefahren gingen vom Wettrüsten insbesondere mit Nuklearwaffen der Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt aus. 1. "Medien-Landschaft" um 1970 Bücher-, Tageszeitungs- und Zeitschriftenverlage, Rundfunk, Film und Fernsehen waren die wichtigsten Massenmedien-Organisationen. Sie leisteten das Überspannen der 60 Mio. Menschen mit dem Netzwerk sozialer Kommunikation. Offiziell waren publizistische Freiheit und das Verbot von Zensur grundgesetzlich garantiert. Rundfunk- und Fernsehanstalten sind der privaten Vermarktung (noch) entzogen und unterstehen der öffentlich-rechtlichen Aufsicht mit dem Anspruch, weltanschauliche Pluralität, objektive Berichterstattung und kulturell hohe Qualität zu gewährleisten. Daten über den Rückgang der Zahlen selbständiger Zeitungen und Buchverlage verweisen jedoch auf zunehmende Medienmacht-Konzentrationen. Die Axel-Springer- Gruppe bringt 30% der Gesamtauflage der Tagespresse (MassenBlätter) heraus (!) Eine differenzierte und vollständigere Beschreibung der Massenmedien mit Zahlen und Daten (Teilnehmerzahlen, Entwicklung und Verbreitung, Auflagen, Anzahl der Publikationen, zu. a. m.) ist innerhalb dieser Arbeit nicht zu leisten. Daten darüber sind z. T. veröffentlicht in Brockhaus 1968, Bd. 4, S.633-634. In der Auswahl der Medien und den Rezeptionsgewohnheiten unterschieden sich die Rezipientengruppen, die stark mit der Schichtzugehörigkeit korrelierten. Ein Merkmal der Zugehörigkeit zu einer höheren Sozialschicht ist z. B. die Teilhabe an der Hochkultur der Literatur, des Theaters, der Bildenden Kunst u. a. Medien. Je niedriger die Sozialschicht, desto geringer der Anteil von Teilhabe an Hochkultur und desto höher der von "Massenkultur" und Produkten der "Bewusstseins-Industrie". Eine weitere schichtsspezifische Differenzierung macht B. Bernstein um 1970 am primären Medium der Sprache fest. B. Bernstein beschreibt das Reproduzieren gesellschaftlicher Ungleichheit mittels schichtspezifischer Sprachcodes. Dabei entspreche ein restriktiver Sprachcode, angenommen in restriktiv-autoritären Kommunikationsformen am elterlichen Arbeitsplatz, der beim Unterschichtkind sich bildenden strukturgenetischen Sequenz. Denn eingeschränkte Sprache sei begrenzte kommunikative und Handlungskompetenz. So stellt sich die "Medienlandschaft" um 1970 in differenzierter Struktur dar, die der geschichteten Struktur der Industriegesellschaft entspricht. 2. Kritische Theorie und Kritik an den Massenmedien: Die Abkehr vom behavioristischen Konzept der Medienwirkung Theoretische Wortführer der kritischen Theorie, M. Horckheimer und Th. W. Adorno, nennen den Ursprung der Entfremdung der arbeitenden Massen von ihren "wahren" Bedürfnissen mit aller möglichen Schärfe: " Der technische Gegensatz weniger Herstellungszentren zur zerstreuten Rezeption bedinge Organisation und Planung durch die Verfügenden. (...) In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, (...) auf dem die Technik Macht über die Gesellschaft gewinnt. (...) Technische Rationalität ist heute die Rationalität der Herrschaft selbst." (Horckheimer, M., Adorno, Th. in Heinze 1990, S.102) und an anderer Stelle: "Der kategorische Imperativ der Kulturindustrie hat, im Unterschied zum Kantischen, mit der Freiheit nichts mehr gemein. Er lautet: Du sollst dich fügen. (...) Der Gesamteffekt der Kulturindustrie ist der einer Anti-Aufklärung (...) Fortschreitende technische Naturbeherrschung wird zum Massenbetrug, zum Mittel der Fesselung des Bewusstseins. Sie verhindert die Bildung autonomer, selbständiger sich entscheidender Individuen." (A. a. O. S. 15-16). Solcherart generalisiertes Ablehnen der Massenmedien, ihre Kennzeichnung als Ursache von Entmündigung, haben viele der Anhänger der einflussreichen kritischen Theorie in sich aufgenommen. Zum Teil ist sie heute noch in den Köpfen vieler Sozialwissenschaftler und Lehrer als allgemeine Technikfeindlichkeit präsent. Das stellt wahrscheinlich eine der begünstigenden Bedingungen für die skeptische, abwertende, ablehnende Haltung vieler Erzieher gegenüber den neuen Medien um 2000 dar. Auf der Gegenseite stehen 1970 nach wie vor technokratisch bestimmte Welt- und Menschenbilder. So stellt der US-Amerikaner J. K. Galbraith, unbeeinflusst vom deutschen Idealismus, die Forderung auf, die gesellschaftlichen Strukturen müssen zweckrational der streng technologisch ausgerichteten Struktur der tayloristisch organisierten Industrieproduktion angepasst und untergeordnet sein. Er bezeichnet die Zielvorstellung als "Technostruktur der Gesellschaft": "Die Notwendigkeit, Aufgaben immer weiter zu unterteilen, dann Spezialwissen auf die Teilgebiete anzuwenden und schließlich die fertigen Elemente wieder zu einem Gesamtprodukt zusammenzufügen, ist der Ausgangspunkt fast aller Konsequenzen der Technologie und bestimmend für das Bild der modernen Industrie." (Galbraith, J. K, 1968, S. 26). "Die moderne Kapitalgesellschaft hat sich den Erfordernissen fortschrittlicher Technologie (...) und der notwendigen umfangreichen Planung angepasst. Sie spiegelt das Verlangen ihrer Technostruktur wider, sich von äußeren Einflüssen zu befreien." (A. a. O. S.104) Dieses Bild vom Menschen als funktionierendes Rädchen der Maschinerie am Fließband forderte den scharfen Widerspruch der Kritischen Theoretiker heraus. Die beiden konträren Meinungen zum Verhältnis Mensch und Technologie spiegeln die Schärfe der Gegensätze wider und lassen einen Blick auf die Polarität der in Klassen gespaltenen Gesellschaft zu. Der Publizist H. M. Enzensberger relativiert die Kritik an den Technologien und begrenzt sie auf Kritik an deren Undurchschaubarkeit: "Sichtbar ist nur das Undurchsichtige: erst wenn sie industrielle Maße annimmt, wird die gesellschaftliche Induktion und die Vermittlung von Bewusstsein zum Problem." (H. M. Enzensberger in Heinze 1990 S. 69). Und: "Jede Kritik an der BewusstseinsIndustrie, die deren Abschaffung fordert, ist hilf- und sinnlos. Sie läuft auf den selbstmörderischen Vorschlag hinaus, Industrialisierung überhaupt rückgängig zu machen." (A. a. O. S.71) Baacke zeigte einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen TechnologieVerherrlichung und Technokratie einerseits und Technikfeindlichkeit andererseits auf. Bezogen auf die Rolle der Kommunikationsmedien und ihre "Wirkungen" wendet er sich vom positivistischen Erklärungsmodell ab. Wirkungs- Modelle entsprächen eher der "Technostruktur" eines berechenbar funktionierenden, reagierenden Menschen. Baacke hält menschengerechtes Kommunizieren über Massenmedien für lernbar. Sein Konzept ist es, das Entfremdende, das nach Enzensbergers Interpretation Undurchsichtige sichtbar zu machen.: Massenmedien seien unverzichtbar. "(Sie) leisten die Kommunikation der Gesellschaft als einer übergreifenden Bezugseinheit menschlichen Lebens", sieht sich Baacke mit Enzensberger einig. (Baacke 1973, S.180). Probleme mit dem angemessenen Rezipieren entstünden beim Überwinden der Differenz zwischen öffentlichem und privatem Erleben. "Massenkommunikation (kann) diese Divergenz nicht aufheben. Der Rezipient massenkommunizierter Inhalte muss nicht nur lernen, ihm mitgeteilte gesellschaftsrelevante Ereignisse auf seine Privatlage zu beziehen, sondern gleichzeitig die Differenz seiner persönlichen Bedürfnisse gegen die mögliche Konformität von Informationen und Informationsweisen aufrecht zu erhalten. (A. a. O. S.181) Im Ermuntern zum Herstellen dieser kritischen Distanz mit Hilfe planvollen erzieherischen Einflusses sieht Baacke den Schlüssel zum Lösen des Problems massenmedialer Manipulation. 3. Pädagogische Zielvorstellung: Mündigkeit, Kritikbereitschaft, Widerstand gegen mediale Indoktrination Damit erscheint die alte aufklärerische Zielvorstellung vom kritischen, mündigen Menschen in aktualisierter Gestalt in der Programmatik der Erzieher. Tausende junge Lehrerinnen und Lehrer, die um 1970 im Zuge des Bildungsbooms aus den studentenbewegten Milieus der Universitäten in die bundesrepublikanischen Schulen einziehen, schickten sich an, die Vision vom distanzierten, aufgeklärten Menschen in die Wirklichkeit des Bildungswesens zu transferieren – nach dem neu entdeckten Kantschen Motto: Wage es, dich ohne Furcht deines Verstandes zu bedienen. Kommunikative Kompetenz ist das Wort für Selbstbestimmtheit und Mündigkeit. Kompetenz haben heißt, zum Errichten einer spontanen Gegenöffentlichkeit wider die Allmacht der institutionalisierten Medien - in der Lage zu sein. Es fordert auf zur kritischen Distanz. 1. Mediale Umwelt und Ziel-Intentionen für erzieherisches Handeln um 2000 Um 2000 haben sich nicht nur außen- und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen in der BRD geändert, sondern globale Wandlungen haben sich vollzogen und schreiten fort. Der "Ostblock" ist zerfallen, die BRD hat jetzt 81 Mio. Einwohner, davon ca. 10% nichtdeutscher Nationalität. Bedrohliche außenpolitische Spannungen bestehen weiter. Sie gehen von den zunehmenden Gegensätzen zwischen den Ländern mit entwickelten Industrieund Kommunikationsgesellschaften einerseits und den verarmenden, wirtschaftlich unterentwickelten Ländern Afrikas, Lateinamerikas, Zentralasiens u. a. Weltregionen aus. Existenzielle Gefahren bilden auch Verschiebungen im sensiblen ökologischen Gleichgewicht der Erde, ausgelöst vom Raubbau an Naturressourcen. Wachsende Migrationsströme und die Gefahr von Terror sind Folgeerscheinungen. In den hoch entwickelten Ländern besteht die alte Industriekultur und Nationalökonomie nur noch in Resten. Die Arbeiterbewegung ist im Untergang begriffen, denn Industriearbeitsplätze sind drastisch reduziert. Produzierende Betriebe fertigen in voll automatisierten Taktstraßen (Industrieroboter), von wenigen spezialisierten Facharbeitern (Systemregulierern) elektronisch überwacht. Die Kapitalistenklasse ist kaum noch auszumachen. "Global Players" beherrschen den Weltmarkt und konkurrieren weltweit um die besten Köpfe. Wissen und der organisierte Zugang zum Wissen der Hoch-Technologie (Micro- und Opto-Elektronik, Biotechnologie, Nanotechnologie) ist die entscheidende Ressource der globalisierten Wirtschaft geworden. Paradox, denn gewaltige Massen von Daten und Informationen sind jederzeit von jedermann/jederfrau im world-wide web abzurufen. "Informationsflut" ist das bezeichnende Wort für die Unsicherheit, die Menschen in Orientierungsnöten empfinden. 36% aller Privathaushalte und nahezu alle Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und Behörden sind an das weltweite Computer-Netzwerk angeschlossen. Es gibt fast keinen Bereich in der Arbeits- und Berufswelt mehr, der ohne den verändernden Einfluss der Neuen Medien geblieben ist. Auch die Auflagen der Printmedien steigen weiter, mehr als 60 Fernsehkanäle und noch mehr Rundfunkkanäle stehen den Teilnehmern zur Verfügung. Über 38% der Bürger besitzen Mobilfunkanschluss (Handy). Von den erwerbstätigen Menschen der BRD ist ein immer mehr wachsender Anteil in Dienstleistungsberufen beschäftigt: Handel, Banken, Versicherungen, Gastgewerbe, Gesundheits- und Sozialberufe, Öffentliche Verwaltung u. a. Die Freizeitindustrie boomt. Neue Medien bestimmen auch sie. Der Wert der Freizeit steht konkurrierend neben dem Wert der Arbeit als sinnstiftender Lebensinhalt. Daneben gibt es unübersehbar viele andere Werte, Normen, Lebensformen und Sinn-Alternativen, die prinzipiell alle lebbar und machbar den Menschen als Entwurfs-Angebote zur Verfügung stehen. Soziale Kontrolle sowie auch die regulierenden Möglichkeiten des Staates nehmen tendenziell ab. Der Arbeitsmarkt ist auf Dauer gespalten in Sektoren; einerseits "gute" Arbeitsplätze, d. h. solche mit komplexen, anspruchsvollen und potenziell befriedigenden Tätigkeiten, relativ gut bezahlt und sicher, und andererseits "schlechten", d. h. solchen mit gegenteiligen Eigenschaften. Auf nunmehr zehnjährige Dauer suchen über 4 Mio. Menschen einen Erwerbsarbeitsplatz. Demografische Verschiebungen größeren Ausmaßes kündigen weitere, z. T. unabsehbare Veränderungen in Sozialstruktur und Arbeitswelt der BRD an. 2.2.1. Die Neuen Medien: ein "Quantensprung" in der Medien-Umwelt Das Beschreiben sozialer Wirklichkeit in 2.2. muss lückenhaft und subjektiv bleiben; es lässt Entwicklungszeiträume, auslösende Momente und viele andere wichtige Aspekte außer acht. Deutlich wird allerdings: In der Lebenswirklichkeit, bestimmt durch Wirtschafts- und Arbeitswelt, stehen die Medien mit der abermals und unabsehbar hohen Informationsverarbeitungs-Kapazität nunmehr nicht bloß vermittelnd zwischen Menschen, sondern Medialität selbst ist intergraler Bestandteil von Wirklichkeit geworden. Wie navigieren Menschen in der Informationsflut, wie orientieren sie sich in der "Neuen Unübersichtlichkeit"? Soziologen wie Lyotard nennen die neue soziale Epoche das "postmoderne Zeitalter" und verkünden das Ende der Moderne (Aufklärung): "In dieser allgemeinen Transformation bleibt die Natur des Wissens nicht unbehelligt. Es kann die neuen Kanäle nur dann passieren und einsatzfähig gemacht werden, wenn die Erkenntnis in Informationsquantitäten übersetzt werden kann (...) und dass die Orientierung (...) sich der Bedingung der Übersetzbarkeit etwaiger Ergebnisse in die Maschinensprache unterordnen wird. (Lyotard 1986, S.23). Hat Lyotard mit seiner Interpretation recht, so bedeutete das die Umkehr des modernen Leitbildes vom Menschen als das Maß für die Technologie in die postmoderne Wende. Aufkündigung des Bildungsideals? - Lyotard findet zahlreichen Widerspruch, auf den noch einzugehen sein wird. 2. Ambivalente Bewertung der Neuen Medien zwischen demokratisch-emanzipatorischem und Gefährdungs-Potenzial Schicht- und Geschlechtszugehörigkeit bestimmen um 2000 noch immer Lebenschancen, jedoch die soziale Mobilität ist größer geworden. Normierende Vorgaben und Kontrollinstanzen, aber auch Sicherheit und Orientierungen nehmen ab. GeschlechtsrollenStereotype zeigen deutliche Auflösungstendenzen. Davon ist u. a. die traditionelle Familienstruktur betroffen. Wilfried Ferchhoff unternahm den Versuch, Jugend unter den veränderten Bedingungen des Aufwachsens in Familie, Schule, Beruf, Freizeit und Peergroup zu beschreiben – mit dem Ziel, daraus Richtungen für pädagogisches Handeln und Kriterien für "Medienkompetenz" herzuleiten. Er konstatiert zunächst, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung und Thematisierung des Phänomens "Jugend" im Zuge der tiefgreifenden sozialen, politischen und kulturellen Wandlungsprozesse insgesamt verändert habe und "... Jugendliche auf ihre Weise antworten. Sie unterwerfen und entziehen sich". Er formulierte 10 Thesen (Ferchhoff in Schell, Stolzenburg, Theunert S. 200-219): "Jugend ist Schul- und Bildungsjugend (...) Immer mehr Lebenszeit wird von der Schule beschlagnahmt." (Bildungsexpansion, Qualifikationsparadox) "Jugend ist arbeitsferne Jugend. (...) Ausgrenzen der Jugend aus der Arbeitssphäre der Eltern", damit Begrenzen des jugendlichen Erfahrungshorizonts, aber neben der Ausbildung Gelderwerb, "vor allem um marktgerecht und sozial verpflichtend an den (...) Glücksversprechen der Medien und des Konsums teilnehmen zu können." "Jugend ist Gegenwartsjugend". (...) Die Zielspannung Erwachsenwerden hat nachgelassen (...), denn der traditionelle Sinn des Jugendalters (Anstrengung, (...) Gratifikationsaufschub (...) ist brüchig geworden." "Jugend ist Leitbild- und Expertenjugend. (...) Die Machtbalance zwischen Jüngeren und Älteren hat sich enorm gewandelt. (...). Medien vermittelten das Leitbild erfolgversprechender Jugendlichkeit. "Jugendliche (...) sind (...) Erwachsenen gegenüber in Technikbeherrschung, Computer (...) und Lebensstilfragen die Expertinnen und Lehrmeister der Älteren." "Jugend ist alltagspragmatisch familiale Versorgungs- und Mutterjugend." Das Aufweichen der Rollenmuster Frau / Mann geht mit Aufwertung der Mütterlichkeit einher. Jugendliche nehmen die Vorteile mütterlicher Fürsorge an und entweichen dennoch weitgehend der elterlichen Kontrolle. "Jugend ist Gleichaltrigenjugend." In den Lebensbereichen Jugendlicher herrsche das Prinzip der Altershomogenität, das die Herausbildung von Jugend-Subkulturen fördere. Gleichaltrigengruppen mit nicht-formalisierten Strukturen seien daher für die Lebensbewältigung der meisten Jugendlichen enorm wichtig, denn "sie eröffnen (...) in sozialkultureller Hinsicht kompetente Teilnahme- und Selbstverwirklichungschancen." Jugend ist (...) liberalisierte, aber auch permissive (Erziehungs-)Jugend" Ferchhoff spricht hier die Dauerpräsenz der Medien als heimliche Miterzieher neben Familie und Schule an, die Pluralismus von Zielvorstellungen vermittelten. Damit sei die "stetige Abnahme einer eindeutigen Erziehungsmoral und -haltung seitens der Eltern" verbunden. Neue Erziehungsideale dominierten über die älteren: Mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung statt "Dasein für Andere"; mehr Kognitivität, weniger Emotionalität. Jugend ist Multi-Media-Jugend. (...) Die Bilderwelten der Medien ersetzen immer mehr die ehemaligen Weltbilder. (...) Medien aller Art sind ein lebensweltlich zentrales Element im Prozess des Heranwachsens." In Punkt 8 benennt Ferchhoff auch problematische Seiten der Mediatisierung jugendlicher Lebenswelt: Rasante Bildwechsel und Fragmentierungen veränderten, veroberflächlichten die Wahrnehmung, Fiktion und Wirklichkeit mischen sich. Jugend ist Patchwork-Jugend. (...) Identität besitzt keine stabilen Wesenskern im Sinne eines stabilen Sinn-Mittelpunkts." Die Pluralität der Werte, die sich auflösenden Grenzen zur Erwachsenenwelt verwiesen identitätssuchende Jugendliche auf das Ausprobieren mit Patchwork-Elementen bzw. Bricolagen. Inszenierte, virtuelle Welt verunmögliche das Entstehen einer geschlossenen Sinngestalt des Selbst. Jugendliche vollzögen "patchworkartig und bastelbiografisch (...) einen schnellen Wechsel von Identitätsmontagen." "Jugend ist ego- und ethnozentrische Jugend. Auf identitätssuchenden Jugendlichen laste unter den dargelegten Bedingungen hoher Druck. In Fragen des Dazugehörens und sich Abgrenzens (Mitgliedschaftsentwürfe) weitgehend auf altershomogene Peergroups angewiesen zu sein, begünstige Vorurteile und Ablehnung gegenüber allem Fremden und z. T. eine Verrohung des Umgangstones. "Die Differenzierung und Pluralität der Jugendszenen führt (..) gerade nicht zur (...) propagierten kulturellen Bereicherung und Toleranz." Ferchhoff zeigt somit verschiedene einander entgegenlaufende Tendenzen auf. Jugendliche heute haben eine unübersehbare Auswahl von Chancen. Sie sind Leitbild einer Kultur der Leistungsfähigkeit, gleichzeitig sind ihnen wichtige Erfahrungsmöglichkeiten z. B. in der Arbeitswelt weitgehend versperrt. Jugendliche leben in einer Welt der sich auflösenden Rollenmuster und der grenzenlosen Vielfalt - und haben es damit schwer, ein konsistetes IchModell zu entwerfen. Medienprofis instrumentalisieren Jugendkulturen als Ideenpools zwecks Imagetransfer "Jugend". Das den Heranwachsenden in der komplex arbeitsteiligen Gesellschaft zugestandene psychosoziale Moratorium, die Jugendphase, birgt die Gefahr, zum Ghetto bzw. zum Daueraufenthalt zu werden. Die ambivalente Rolle der Medien ist Ausgangspunkt und Bedingung dieser Realität. Mediatisiertes Kommunizieren heißt die mediatisierte Welt annehmen und sie gestaltend zu verwirklichen – oder ihr unterliegen. Neue Medien sind Chance und Risiko für das kompetente Subjekt zugleich. 2.2.3. Aspekte der pädagogischen Zielvorstellung vom kompetenten Mediennutzer Ferchhoffs Beschreibung und Interpretation der Lebenswelt Jugendlicher im Informationsund Medienzeitalter könnte auch geeignet sein, resignativ alle normierenden Sinn- und Zielvorgaben, generiert aus der Bildungstradition, fahren zu lassen. Diese Konsequenz verneinend, fordert sie das Hinterfragen der tradierten Struktur von institutionalisierten Bildungseinrichtungen bis hin zum alten statischen Berufsrollen-Verständnis des Lehrers heraus. Vorausgesetzt, dass staatlich-diktatorisch reglementierte Medienzensur und Bewahrpädagogik als realistische Alternativen ausscheiden, kann die Antwort auf die Frage nach erzieherischer Zielvorstellung wiederum "Kompetenz" lauten; konkreter: Medienkompetenz. Im Unterschied zu 1970 hat der Inhalt des Begriffs allerdings davon abweichend und zusätzlich eine Tendenz hin zum Technischen bekommen. Kompetenz steht inzwischen im Alltagssprachgebrauch für Professionalität und hohe Fachkenntnis schlechthin: Wortverbindungen wie Kompetenzzentrum, Kompetenzfeld, Kernkompetenz und Kompetenznetz transportieren die Botschaft von Vertrauen in die "seetüchtigen" Navigatoren in der Informationsflut. Wie dargelegt, haben die Neuen Medien keines der alten gelöscht bzw. getilgt, sondern zu Bedeutungs-Verschiebungen geführt. An komplexen Kommunikationsprozessen selbstbestimmt teilzuhaben, heißt unter der Bedingung der IT-Gesellschaft, sich in allen Medien kompetent zu verständigen. Ferchhoffs Analyse lässt den Schluss zu, dass ältere Erwachsene, (Eltern, Lehrer, Ausbilder) gegenüber Jugendlichen ein Defizit an Computerund IT-Sozialisation aufwiesen. Umgekehrt beklagten ältere Lehrer und Erzieher an Jugendlichen das Verflachen des deutenden Sinnverstehens und das Verrohen der primären Kommunikation (Egoismus, Oberflächlichkeit). Somit hätten sowohl Angehörige der älteren Erzieher-Generation wie auch Jugendliche Lernbedarf in Sachen Medienkompetenz. Unter der Voraussetzung, dass Schule nicht das gesamte soziale System wird ändern können, wird sich die Vorstellung über Chancen des förderlichen Sich-Änderns auf die Institutionen des staatlichen bzw. Berufsbildungssystems beziehen müssen. 2. Entwicklungsaufgabe Identität und Medien im Lebensabschnitt zwischen 16 und 20 Jahren: Zeitvergleich 3.1. Übergreifender Erklärungszusammenhang Die Modellvorstellung von Ericson, wonach kompetent sein heißt, lebenslang Entwicklungsaufgaben zu lösen, bezieht reife Erwachsene ausdrücklich ein. Die These, dass die Entwicklungsphase der Adoleszenz die Art der Erfahrung von Krisenbewältigung entscheidend sei für spätere Selbstverwirklichungs-Muster im reifen Erwachsenenalter, weist Analogien auf zum Modell der strukturgenetischen sequenziellen Ganzheiten: Erfahrungen dieser Zeit intensivsten Gefordert-Seins in Problembewältigungs-Situationen wirken fort als gelernte individuelle Deutungsmuster von kommunizierten Sinn-Inhalten. Die Bedingungen, unter denen Jugendliche um 1970 und um 2000 ihre Entwicklungsaufgabe "Geschlechts- und Berufsidentität" lösen mussten/müssen, unterscheiden sich voneinander wie oben dargelegt. Überlagert ist die Problematik z. T. davon, dass die Eltern, Lehrer und Ausbilder der Jugendlichen von heute die Jugendlichen von 1970 waren; also "alte", sequenziell-ganzheitlich strukturierte Deutungsmuster kommunizieren (vorleben). Sind die von Eltern und Lehrern gelebten Vorbild-Angebote für Jugendliche heute überhaupt annehmbar? 3.2. Jugend und Jugendkultur Die Entwicklung hin zu immer differenzierteren und komplexer arbeitsteiligen Organisationsformen der Gesellschaft ließ "Jugend" als Institution entstehen: Sich in hoch organisierten Gesellschaftsstrukturen zu orientieren, sich auf die Übernahme einer Berufsrolle vorzubereiten brauchten Heranwachsende Zeit. Am kürzesten war diese Phase in bäuerlichen Kleinbetrieben. Dort hatte der/die Heranwachsende Beruf und Lebensentwurf seit früher Kindheit "erlernt", während in Handwerker-, Kaufmanns- oder Akademiker-Familien den Jugendlichen entsprechend ihrer erwartbaren Lebensentwürfe zum Vorbereiten jeweils längere Moratorien zugestanden waren. Sozialschichts- und Geschlechtszugehörigkeit gab Norm- und Rahmenbedingungen für die Gestalt der Lebensphase "Jugend" vor. Jugend ist in die soziale Entwicklung und ihre jeweiligen konkreten Bedingungen eingebunden. Mit dem Verlängern und Institutionalisieren der Ausbildung geht das Verstetigen von Gruppenbildung altershomogener Zusammensetzung einher. In diesen Gruppen entstehen von der Erwachsenenwelt tendenziell entkoppelte Erfahrungsräume, die zum Ausprägen eigener, "jugendspezifischer" Interaktionsmuster und Symbolsysteme führen. Im Ausfüllen des den Jugendlichen vorbehaltenen sozialen Erprobungsraumes entstehen "Jugendkulturen". In ihnen schaffen Heranwachsende alternative Modelle zur herrschenden Kultur und setzen Innovationspotenziale frei. Das Bewerten dieser jugendkulturellen Bestrebungen unterliegt wiederum kulturell gebildeten Leitmotiven zwischen Jugend-Verherrlichung und "Verwahrlosungs"-Gefahr. Diese Leitbilder sind in den hochorganisierten komplexen Gesellschaften medial vermittelt. 3.2.1. Jugendkulturen um 1970 In der Beat- und Popkultur lebten jugendliche Unterschichtsangehörige ihr Bedürfnis nach Abgrenzen von den Erwachsenen aus. Ursprünglich eine Protest-Bewegung und Gegenkultur (Hippie-Kult), war diese "Szene" um 1970 schon weitgehend in Erwachsenen-Lebensstile integriert: Massenmedien und Werbung kommunizierten Musik und Mode gewordene Jugendlichkeit. Jugend-Sendungen in Rundfunk und Fernsehen, Jugend-Zeitschriften-, Schallplatten- und Bucheditionen vermarkten das jugendliche Lebensgefühl des Frischen, Neuen, Farbigen erfolgreich, das einmal als Protest gegen das starre Establishment begonnen hatte. Symbole wie lange Haare bei Jungen, extrem kurze Röcke bei Mädchen, Hosen mit "Schlag" und andere Zeichen des Probierens mit der (tabuisierten) Körperlichkeit sind immer noch geeignet für Provokationen. Sie werden jedoch zunehmend von den Massenmedien vereinnahmt, als Sinn- und Leitbild des Jungseins "verkauft". Die Beat- und Popkultur nehmen Schüler und Azubis an zum Artikulieren ihrer Gruppen-Identität und zum Abgrenzen von der "skeptischen" (Schelsky 1973) und der "Flakhelfer-Generation"(Bude 1987) der Eltern und älteren Lehrer. Die Beat- und Popkultur, gelebt, musiziert und getanzt in Diskotheken, gesprochen und "gemixt" von DJs, hat Jugendlichen auch das Ausgestalten einer von der der Erwachsenen verschiedenen, freieren Körperlichkeit und Sexualität ermöglicht. Auch diese Absage an die "altvordere" Prüderie (entstanden in der strengen Askese der Arbeitsethik) begann bereits vereinnahmt zu werden: Die Werbung entdeckte den "progressiven" freien Lebensstil für sich und verkaufte Bilder sexuell attraktiver jugendlicher Körper gewinnträchtig. Typografie und Bildsprache der Comics und der Beat-Plattencovers tauchen bald als Symbole von Innovation farbenfreudig reizend in der Werbung und im kommerziellen (Trick-)Film wieder auf. Um 1970 formuliert die Pop- und Beatkultur unter 16-18jährigen Schülern und Azubis kaum noch den Anspruch auf bewusstes Ändern der sozialen Zustände. Mit dem Eintritt ins Berufsleben der Arbeiter und Angestellten nehmen die jungen Menschen ihre erworbene Identität in Gestalt adoleszenter Erfahrungen und "ihrer" Jugendkultur mit ins etablierte Erwachsenenleben hinein. Die Jugendkultur in studentischen Gruppen um 1970 war die von Heranwachsenden, die seit dem Eintritt in die Gymnasien (also seit dem 10. Lebensjahr) einen längeren Lebensabschnitt in alters- wie sozial homogenen Peergroups verbracht hatten. Damit hatten sie weitgehend sich ähnelnde Erfahrungen mit der vorgefundenen etablierten Erwachsenenwelt, in die hineinzuwachsen ihnen angetragen und zugemutet war: Der relativ klare Werte- und Normenkatalog der ökonomisch und politisch herrschenden Mittelschicht waren ihnen aus Elternhäusern kollektiv vertraut, desgleichen die tradierten Ideale des Bildungsbürgertums aus den Gymnasien (in denen damals Arbeiterkinder noch weitaus seltenere Ausnahmen darstellten als heute). Die sozialisatorisch erworbene Bildungsnähe dieser Jugendlichen erschloss ihnen große kognitive wie allgemein-kommunikative Möglichkeiten und förderte ziel-adäquates, erfolgreiches Eindringen in die von Bildungsbürgern dominierte Öffentlichkeit. Die Art, ihre Jugendkultur zu kommunizieren, war "kompetent" und bediente die Herrschaftssprache der Gebildeten so wie sie auch neue Formen hervorbrachte (z. B. das Modell der außerparlamentarischen Opposition, das der spontanen Gegenöffentlichkeit entsprach). Darin unterschied sie sich von der Jugendkultur der Arbeiterkinder. Verkrustete Institutionen waren den studentischen Protestlern Sinnbild amoralischer überlebter, systemgewordener Machtansprüche und Ziel ihrer verbalen wie in Aktionen umgesetzten Angriffe. Diese Angriffe zielten auf alles, was "herrschte": Starre monogame Sexualmoral, ethnozentristische Orientierung, funktionalisierte, system-rationalistische, also "spätkapitalistische" Lebensäußerungen generell und soziale Kontrolle der Beherrschten mittels Massenmedien besonders. In den marxistischen Theorien der Frankfurter Schule fanden sie ihre Protesthaltung gegen das Establishment formuliert. Allerdings gelang die Mobilisierung des proletarischen Selbst- und Klassenbewusstseins nicht. Die studentische Bewegung blieb in sich isoliert. Die Jugendkultur des studentischen Protestes, mitgenommen auf den "Marsch" durch die bundesrepublikanischen Institutionen von Wirtschaft und Verwaltung, hat dennoch hohes innovatives Potenzial entfaltet. Die ehemaligen Studenten erlangten entsprechend ihres großen persönlichen "Kapitals" wiederum einflussreiche Positionen und damit Macht, sozialkulturelle Wirklichkeit für die Nachwachsenden entscheidend vorzuformen. Die Toleranz den Heranwachsenden gegenüber ist deutlich größer geworden. Gegenöffentlichkeit - Öffentlichkeit generell - kann als demokratischer Faktor Macht legitim verändern. Autonomie ist möglich, kommunikative Kompetenz macht Sinn, lebten die "Frankfurter Schüler" vor. Aber gilt das so auch noch für ihre Nachkommen heute? Heranwachsende aller Sozialschichten finden eine andere Wirklichkeit für ihr psychosoziales Moratorium vor als die Eltern. 3.2.2. Jugendkulturen um 2000 Die Ergebnisse einer Studie zum Medienumgang 12-19jähriger (JIM 2002) weisen aus, dass primäre Kommunikationsmedien wie "Treffen mit Freunden und Gleichaltrigen (...) mit Abstand am wichtigsten seien. (...) Freundschaft rangiert bei nahezu allen an erster Stelle. (...) Auf das Fernsehen wird nach wie vor am wenigsten verzichtet. (medien+erziehung Nr. 2 April 2002, S.70) Das verweist auf Kontinuität. Unterschiede zu 1970 zeigen sich im Vergleich quantitativer Daten zum Gebrauch von Computer, Handy und Internet – und im Verschieben von Zeitverbrauch und Bedeutung sowie Rezipientengewohnheiten beim Nutzen der anderen Medien. "Das Freizeitmedium Fernsehen verzeichnet (...) einen starken Anstieg an Reichweite und Sehdauer. Allerdings hat es in den vergangenen Jahren deutliche Bindungsverluste erlitten." (A. a. O. S.71) Die Bestandsaufnahme von Ferchhoff (2.2.3.) ist geeignet, grundsätzliche weitere, vor allem auch qualitative Unterschiede aufzuzeigen. Die explosionsartig gewachsenen Komplexität und Unübersichtlichkeit der Gesellschaft ist möglich und entstanden mit Hilfe vernetzter Kommunikationssysteme. Sie wiederum bewirken rückkoppelnd, dass im Zuge der sich potenzierenden technologischen Möglichkeiten weiteren komplexen Vernetzens die Unübersichtlichkeit und Unsicherheit noch zunehmen wird. Innovation, Lust am Risiko, Lern- und Leistungsfähigkeit sind zum Programm des Progressiven schlechthin; zum Wert an sich geworden. Jugend als dem Träger dieser Eigenschaften wird Leitbildfunktion zugeschrieben. Zumal in einer Gesellschaft, die im öffentlichen Raum und über die Massenmedien stündlich ihr Problem mit der auf dem Kopf stehenden Alterspyramide thematisiert, gilt Jugendlichkeit als gesucht und begehrt. In immer schnellerer Folge eignet sich die Werbewirtschaft die von Jugendkulturen kreierten Symbolsysteme an und vermarktet sie massen-medial und zielgruppenspezifisch als "jugendgemäß". Jugendliche selbst sind wichtige Zielgruppe der Werbewirtschaft geworden. Die Geburtskohorten 1980-1985 sind in die sich entwickelnde Welt der Neuen Medien hinein sozialisiert. Das unterscheidet sie von den älteren Erwachsenen, die nachträglich und oft mit Mühe und Fleiß unter dem Druck des Arbeitsmarktes sich den Computerumgang aneignen "mussten". Jugendliche um 2000 haben Neue Medien mit Selbstverständlichkeit anzunehmen gelernt. In welcher Weise sie sie rezipieren, hängt von ihrer jeweiligen individuellen Rezipienten-Geschichte ab. Schicht- und Geschlechtszugehörigket, Lern- und Bildungsgeschichte sind wichtige Faktoren beim Aufbau von strukturgenetischen Mustern des Kommunizierens und Sinndeutens. Dieser Differenziertheit entspricht eine (Erwachsenen und anderen Outsidern) unübersehbare Vielzahl von Jugendkulturen. Jenseits formeller Organisationen angesiedelt, realisieren Jugendlich ihre Tests mit eigenen Zugehörigkeits- und Ausgrenzungsritualen, denen sie jeweils Zeichen und Symbole (Wörter und Wendungen, Piktogramme, Figuren, Abzeichen, Gesten und vor allem Kleidung und Körperschmuck) zuordnen. Waldemar Vogelsang benennt ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Jugendkulturen um 1970 und 2000: " Die Verankerung von jugendlichen Lebensformen in klassenspezifischen Stammkulturen wird abgelöst durch individualitäts- und marktbezogene Jugendszenen." (W. Vogelsang in Schell, Stolzenburg, Theunert 1999, S.238). 3.3. Kriterium Mediennutzen: Orientierungsmuster beim Finden des Selbst Identitätsstiftende Kraft entsteht aus der Mannigfaltigkeit von Zeichen als dem kreativen Material sowie aus "(der) Dynamik des Stilmarktes und (der) Temporalität der Stilsprachen", mit dem Jugendliche auf den "allseits tobenden Stil- und Distinktionskampf reagierten." (A. a. O. S.238). Jugendliche nutzten Medien kreativ für das Finden einer Stilsprache als Kristallisationspunkt für "jugendeigene Lebenswelten, die sich durch einen hohen Freiheitsgrad im Selbstentwurf und in der Handlungsdramatik ihrer Mitglieder auszeichnen. (...) Informelle Sozialisationsinstanzen setzen sich in den Medien-Spezialkulturen (...) fort und finden eine stilgebundene Steigerung. Sie repräsentieren somit einerseits `Identitätsmärkte`, wo Jugendliche frei von (...) ihren sonstigen Rollenverpflichtungen Selbstdarstellungsstrategien erproben und einüben. (...) Andererseits sind sie aber auch `Kompetenzmärkte`, auf denen eine spezifische Sozialisierung und Formierung des Mediengebrauchs stattfindet. (...) Ihre Partizipation am kollektiv geteilten Wissensspektrum und Bedeutungskosmos vertieft und festigt dabei eine Form von Medienkompetenz und einen Spezialisierungsgrad, der weit über das mediale Alltagswissen hinausreicht." (A. a. O., S.239) Das Stichwort Medienkompetenz in diesem Zusammenhang genannt, meint die von Baacke definierte kommunikative Kompetenz (s. 1.2.4. Baacke 1973), nach der Menschen die Verfügungsgewalt über das Produzieren von Sinnstrukturen hätten. Die Deutungsmacht zu verändern läge im Bereich ihrer Möglichkeit. Diese Möglichkeit innovativer Verhaltensweisen ergreifen und nutzen Jugendliche kreativ. Sie bewegen sich spielerisch zwischen Medialität und Realität. In die Jugendszenen einzudringen, mag Aufgabe spezialisierter forschender Soziologen und in Fällen jugendlicher Delinquenz von Kriminalisten bzw. Kriminologen sein. Erzieher, Lehrer und Eltern sollten den "Media-Kids" ihren Freiraum lassen. Individuelle psychische Probleme, die aus dem rigiden informellen Regelwerk innerhalb der Gruppendynamik entstehen, können Erzieher meist nicht mit dem Eindringen in die Spezialkulturen lösen helfen. Eine "ganz grundsätzliche Verschiebung im gesellschaftlich vorherrschenden Wahrnehmungsmodus von der erwachsenentypischen Dominanz des Diskursiv-Begrifflichen hin zu einer jugendtypischen Dominanz des visuell-Bildhaften" (A. a. O., S.241) wird in 3.4.2. und 4.1. noch zu diskutieren sein. 3.3.1. Geschlechts-Identität Ein weiterer Schub in der Akzeleration unterscheidet Jugendliche um 2000 von denen um 1970. Dem Vorverlagern der Geschlechtsreife ins 11. Lebensjahr bei Mädchen und ins 13. Lebensjahr bei Jungen steht ein Hinauszögern der wirtschaftlichen Selbstständigkeit (siehe Ferchhoff in 2.2.3.) gegenüber. Damit sind Jugendliche einer wachsenden Spannung ausgesetzt. Ihre Entwicklungsprobleme innerhalb dieser Spannung mit dem Körper einerseits und dem sozialen Anforderungsdruck andererseits zu lösen verweist sie wiederum auf den medial präsentierten Markt der Möglichkeiten. Der Körper, den die zu Frauen und Männern heranwachsenden Jugendlichen in seiner veränderten Gestalt anzunehmen lernen müssen, wird ihnen Kommunikationsmedium der primärsten Art. Aufgewachsen in der von der Protest-Generation bereiteten Atmosphäre sexueller Freiheit und Toleranz haben sie dabei prinzipiell mehr Chancen als die Eltern sie hatten, ihre Körperlichkeit und Sexualität auszuleben und zu kommunizieren. Aber auch Sinnlichkeit und Körperkult sind weitgehend bereits vereinnahmt von mächtigen Agenturen des Marketing und der Verkaufsförderung. In einer nach wie vor männerdominierten Gesellschaft hat das Versprechen sexuellen Genusses "ohne Reue" Hochkonjunktur, und die Werbewirtschaft bringt das männergemachte Bild von weiblicher Attraktivität gezielt "an den Mann". Jugendlich frisches "Körperkapital" hat hohen Marktwert, Körper sind Vehikel für Imagetransfer. Dass medial vermittelte Körper-Idole Ausgangspunkt schwerer Problemlagen gerade bei Jugendlichen sein könnten, lassen Studien über die wachsende Zahl von schweren Ess- und Ernährungsstörungen (Übergewicht, Bulimie und Magersucht, letztere besonders bei Mädchen) vermuten. Beim Ausprobieren jugendlicher Selbstentwürfe stehen Experimente mit der körperlichen Seite des Selbst im Vordergrund. Leitbilder von Männlichkeit und Weiblichkeit haben die Jugendlichen individuell in der Familie und in ihrer spezifischen Rezipientengeschichte internalisiert. Während sich die 1970er Jugendlichen-Generation noch mit der Zumutung rigid stereotyper Geschlechtrollen konfrontiert sah, sind diese Mustervorstellungen von Frausein und Mannsein heute zwar noch beherrschend, aber nicht mehr verbindlich. Indem weibliches Emanzipationsinteresse verstärkt öffentlich kommuniziert wird, produziert diese Kommunikation Wirklichkeit. Christa Bast zeigt um 1989, also bereits im letzten Drittel des Vergleichszeitraumes, für Chancen, weibliche Autonomie während der Adoleszenzphase zu entfalten eine pessimistische Perspektive auf - sowohl vermittelt in den primären Medien der Familie und der Schule, den herrschenden Massenmedien wie auch den Jugendszenen (Ch. Bast 1989). Sie alle kommunizierten subtil-verdeckt oder offen Männerherrschaft. Schichtspezifisch differenziert, lernten Mädchen dort frühzeitig und fast unentrinnbar, ihre Entwürfe auf die Beziehung zu einem Mann zu richten, weiblich-sexuelle Attraktivität bzw. Mutter-Qualitäten zum Zentrum ihres Selbst-Seins zu machen bzw. auf die männliche "Zielgruppe" hin zu instrumentalisieren. Christa Bast unterscheidet familienorientierte und szene-orientierte Mädchen. Letztere nähmen die Szene als Fluchtmöglichkeit aus frustrierenden Elternbeziehungen an und liefen dort Gefahr der jungen-dominierten Sprache der Gewalt und des Sexismus zu unterliegen. Für viele Mädchen sei das Einsteigen in bestimmte Jugendszene-Cliquen eine Falle. (A.a.O., S. 106-131). Bast fordert daher das Bereitstellen von für Mädchen reservierten Erfahrungsräumen, abgeschlossen von jungendominierter Schulund Freizeit-Alltagswelt. Einige den Jugendlichen zum Ausprägen der geschlechtlichen Seite des Selbst angebotenen Orientierungshilfen, präsentiert im Neuen Medium www, hat die Autorin dieser Arbeit angesehen. Angesichts der von Christa Bast festgestellten einseitigen, für Mädchen nachteiligen Beziehungs-Orientierung stand dabei die Frage im Blickpunkt: Ermutigen die dort angebotenen Orientierungshilfen heranwachsende junge Frauen, eine auf das eigene, vom Mann getrennte Selbst gerichtete weibliche Autonomie zu entfalten? - Deutliche positive Ansätze dazu lassen sich in den von offiziellen Vereinen und Organisationen angebotenen Internetseiten, also in der Seriosität des Netzes (vgl. Zitat Faßler in 3.3.2.) auffindbaren Erfahrungsräumen, zeigen. Sogar bei "Dr. Sommer" in bravo.de finden Sie sich neben dem von dieser Zeitschrift kontinuierlich seit 30 Jahren dargebotenen Star-Kult und LifestyleInfomix. Zu untersuchen bliebe, inwieweit die Angebote geeignet sind, die Leitbilder der übermächtigen Sozialisationsinstanzen zu verändern – und ob sie angenommen werden! Eine Presse-Information vom 5.3.2002 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (www.bzga/aktuell/presse.php3?idx=110) fasst Tendenzen zu Entwicklungen in der Jugendsexualität zusammen, die sich aus Studien und Erhebungen ergaben: Demnach habe sich das sexualberaterische Verhalten der Eltern geändert. Sie konzentrierten sich nicht mehr auf die Aufklärung der Töchter: "In den neunziger Jahren stieg die Zahl aufgeklärter Jungen auf 55%, und im Jahr 2001 erfahren zwei Drittel (65%) Beratung von elterlicher Seite - eine Steigerung um nochmals 10%. 1980 wurde nicht einmal die Hälfte der Jungen von den Eltern selbst aufgeklärt, Mädchen schon damals zu 61%." Zu anderen Medien der Kommunikation sexualitäts-relevanter Inhalte sagt die angegebene BZGA-Presseinformation: "Im Jahr 2001 ist die flächendeckende Sexualerziehung auch in den (...) Schulen erreicht. (...) Der Schulunterricht ist die meistgenannte Quelle für Kenntnisse über Sexualität. (...) Experten und Expertinnen in Beratungsstellen sind von Jungen und Mädchen gleichermaßen als Auskunftspersonen akzeptiert - 19% der Mädchen und 16% der Jungen würden gern aus diesem Kreis Antworten auf offenstehende Fragen erhalten. Tatsächlich sind nur 10% der Mädchen und 12% der Jungen schon einmal in einer Beratungsstelle gewesen, die Hälfte davon auf Initiative der Schule." Zur eigenen körperlichen Erfahrung der Sexualität nennt die Quelle folgende Zahlen: "Jede(r) dritte Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren hat Geschlechtsverkehr gehabt, das entspricht in etwa den Zahlen von 1998. Das Durchschnittsalter für den ersten Geschlechtsverkehr beträgt 15,1 Jahre bei den Mädchen und 14,8 bei den Jungen." Daraus geht nicht hervor, dass Jugendliche seriöse Beratungsangebote des Netzes in wesentlichem Maße nutzen. Vielmehr bevorzugen sie zum Erobern des Erfahrungsraumes Sexualität die primären Kommunikationsmedien: Eltern, Lehrer, Sexualberater, Ärzte - und nicht zuletzt den Körperkontakt zu Sexualpartnern. 3.3.2. Ablösung und Berufswahl Berufliche Sozialisation, also das Formulieren eines Berufswunsches, das Finden einer Ausbildungsstelle und das Besetzen eines Arbeitsplatzes, schließlich das Meistern der beruflichen Startphase findet heute vor dem Hintergrund des beschriebenen segmentierten Arbeitsmarktes statt. Selektionsprozesse "regeln" den Eintritt in den begehrten ersten Teilarbeitsmarkt. Wer ihn nicht bereits frühzeitig möglichst mit der richtigen Ausbildung schafft, hat zunehmend schlechtere Chancen, ihn jemals irgendwann später zu erreichen. Jugendliche von 2002 haben es anders als die Altersgefährten um 1970 mit dem "Qualifikationsparadox" zu tun, d. h. eine gute Ausbildung ist Voraussetzung für das erfolgreiche Einsteigen in den Beruf, garantiert ihn aber nicht. Je höher der Bildungsabschluss, desto besser die Chancen. Realschüler und Abiturienten sind Hauptschülern, Jungen den Mädchen (betr. das Duale System) im Bewerbungs-Run voraus; in Hochschul-, Fachhochschul- und Universitätsstudiengängen wird zunehmend neben dem Abitur ein Praktikumsnachweis, besser eine Berufsausbildung erwartet. Jugendliche haben anspruchsvolle Wünsche an ihre Laufbahn: Einkommen, Spaß am Job und Klima am Arbeitsplatz müssen stimmen. Um sich Chancen möglichst lange offen zu halten, sammeln sie Zertifikate, nehmen "Maßnahmen" des Arbeitsamtes an, gehen in "Warteschleifen", holen Qualifikationen nach, verbringen zusätzliche Schuljahre im Ausland, jobben zwischendurch. Sie bleiben damit weit länger als die Jugendlichen von 1970 in Schule und Ausbildung "hängen". Den wirtschaftlichen Druck, der in Arbeiterfamilien um 1970 solche Abwartehaltung zumeist verunmöglichte, fangen heute die Elternhäuser, das Sozialsystem und die staatlich organisierte Arbeitsverwaltung ab. 1970 wie 2000 bestimmt vor allem der Beruf das Oben oder Unten in der geschichteten Gesellschaft. Das Wissen darüber, dass der richtige Einstieg in den Arbeitsmarkt entscheidend sei, lässt die meisten Eltern das ausgedehnte Try-and-Error-Testverhalten der Kinder auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt akzeptieren. War um 1970 der von den Eltern vorgelebte Weg aus Ausbildung, Berufsausübung und Ruhestand noch bruchlos realisierbar und das seit dem 19. Jahrhundert tradierte Ideal von der Arbeit als verpflichtende sinnstiftende Maxime noch präsent, so gelten heute Leitbilder von Lebensgenuss und Freizeit neben sinnerfüllter Arbeit als erstrebenswert. Brüche im Erwerbsleben haben heute die meisten Jugendlichen im Familienkreis der Eltern und Verwandten erlebt. Wie die Betroffenen damit umgingen und die Krise bewältigten (kreativ oder resignativ) hat wiederum Orientierungswert. Walter R. Heinz sieht schichtenspezifische (primäre) Sozialisation nach wie vor als Weichen stellend für Schulerfolg und Berufseinstieg. Die von den Eltern vermittelten Erfahrungen seien strukturierend für das Wissen, das Kinder von Berufsarbeit aufbauen. Es forme sich in der Art, Berufswelt zu kommunizieren: Die Arbeitsstelle als ein Ort des konstruktiven ProblemeLösens im Team oder der erzwungenen Unterordnung und Frustration? Das erstere Bild entspricht dem primären Sektor, das zweite eher dem sekundären Sektor des Arbeitsmarktes. Daraus sind die Deutungsmuster gemacht, mit denen Jugendliche ihre vorberuflichen und beruflichen Entwürfe organisieren und realisieren. Ihre Kompetenz, berufliches Handlungswissen aufzubauen, ist demnach im Jugendalter bereits vorstrukturiert. Ablehnungsbescheide bei Bewerbungen nehmen Jugendliche nicht als strukturelle Fremdbestimmung wahr, sondern bauen auch solche Erfahrungen in ihr Selbstbild ein. Sie arrangieren sich in aktiver Auseinandersetzung Schritt für Schritt mit ihren "Lernergebnissen" auf dem Arbeitsmark. Heinz nennt das Konzept von Schlüsselqualifikationen als Programm. Es soll statt fertigen, dem Verfall unterliegenden Berufswissens die Fähigkeit des Selbst-Aneignens vermitteln: Grundlegende anschlussfähige Fachkompetenz, Arbeitstugenden und soziale Kompetenz sind wichtige Schlüsselqualifikationen. W. Vogelsang nennt auch Medienkompetenz eine Schlüsselqualifikation: " Medienkompetenz (...) wird für jeden eine unabdingbare Forderung. (...dabei muss) medientechnisches Know-How und Handlungswissen immer einhergehen mit der systematischen und kritischen Reflexion seiner Nutzung und Anwendung." (Vogelsang in Schell, Stolzenburg, Theunert 1999, S.241). Manfred Faßler führt diesen Gedanken weiter aus und ergänzend den Begriff Netzkompetenz ein. Er unterscheidet die Individualitäts-Referenz der Spiele, denen die Erprobungsräume der Jugendkulturen angehören, von der Seriositätsreferenz des Netzes als ernst zu nehmender öffentlicher Raum. "Unbeschadet der Spielemöglichkeit im Netz werden im kommunikativen Feld des Netzes Wirklichkeitsangebote gesucht, die bedeutend sind für Schule, Biografieplanung, politische Orientierung und Verlässlichkeit." (Faßler a. A. O. S. 248) Nach Faßler muss Medienkompetenz Jugendlicher, soweit sie ihnen bei der beruflichen Orientierung dienstbar sein soll, "diesen Doppelbezug aufweisen: Sie muss anschlussfähig sein an die bereits entwickelten Medialitäten und (...) lernfähig in Richtung auf eine fortschreitende Erschließung kybernetisch-elektronischer Räume als immer wichtiger werdende soziale Räume." (A. a. O. S.250) Bezug nehmend auf 3.3.1. und die für Mädchen nachteilige Beziehungsorientierung bleibt anzumerken, dass das Aneignen von Medien- und Netzkompetenz eine Möglichkeit darstellt, Chancengerechtigkeit zwischen jungen Frauen und jungen Männern in der beruflichen Sozialisation zu verwirklichen. Dieses Ziel sei jedoch fern, meint Walter R. Heinz noch 1993 (Heinz KE 3, S. 39) Demnach seien "die Lehrstellen junger Frauen vor allem in den freien Berufen, der Hauswirtschaft und im öffentlichen Dienst zu finden (95; 97; 52%)" (A. a. O.) In Industrie, Handel und Handwerk seien sie jedoch deutlich unterrepräsentiert, aber in den sozialpflegerischen Berufen mit 80% vertreten. So konzentriere sich die verberuflichte weibliche Arbeit in Feldern, wo "weibliche" Beziehungs-Orientierung verwertbar sei. Diese Daten stützen Ch. Basts These von der frühzeitigen Fixierung der Mädchen hin zur Beziehungs-, weg von der Sach-Orientierung, welche eine Ursache setzten für die Benachteiligung junger Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Dort seien die sachorientierten, also Männer-Berufe eindeutig besser bewertet als die frauentypischen personorientierten. Personen- und Sach-Orientierung schlössen einander sozialisationsbedingt aus, da beide jeweils frühzeitig geschlechtsrollenkonform konträr bestätigt/verstärkt bzw. "bestraft" würden. Ausgerichtet an frauen-spezifischer Doppelorientierung "Familie+Beruf" sei eine Vereinbarung kaum leistbar. Um 2001-02 ist immerhin ein gewachsenes öffentliches Bewusstsein für die Bedingungen der Problematik junger Frauen zum gleichberechtigten Eintritt in den Arbeitsmarkt zu erkennen. So stellt z. B. der VDI Verein Deutscher Ingenieure, größte Interessenvertretung der technologisch-akademisch ausgebildeten Berufstätigen, eine ähnliche Forderung auf wie Christa Bast: Um das technologisch-kreative Potenzial begabter junger Frauen für deren gleichberechtigtes Wahrnehmen beruflicher Chancen zu nutzen, soll "Teilweise Schulunterricht in Naturwissenschaft und Informatik ausschließlich für Mädchen" gehalten werden (VDI, April 2002: "Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland – Situation und Perspektiven", S.20). So könne die kreativitätshemmende Wirkung von Gruppendruck und Stereotypen, wie sie in gemischten Lerngruppen oft herrsche, aufgelöst werden. In seiner Publikation stellt der VDI vor dem Hintergrund dramatischen Ingenieurnachwuchs-Mangels einen 19-Punkte-Forderungskatalog auf, in dem Punkt 13 das Erschließen der nachgewiesenen guten Technikbegabung junger Frauen zum Rekrutieren von Fachkräftenachwuchs enthält. "Während die Erwerbsquote in Deutschland insgesamt zwischen 1991 und 2000 leicht gesunken ist, stieg die Erwerbsquote der Frauen. Noch nie waren Frauen so gut ausgebildet wie heute. Die jungen Frauen haben, was die Qualität ihrer Abschlüsse angeht, die jungen Männer mittlerweile überholt." informiert www.girls-day.de, eine Webseite zu einer Initiative der Aktionsgemeinschaft des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), des deutsche Gewerkschaftsbundes (DGB), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Dabei geht es an einem bundesweiten Informationstag um Angebote an Mädchen in der Berufsfindungsphase und darum, den Trend zum Gender Mainstream aufzuhalten. Der "Girs Day" am 25.4.2002 ist eins von vielen offiziellen Angeboten. Daneben stehen weitere Gesetzesinitiativen und -Entwürfe sowie viele bereits geltende Gesetze zur beruflichen Förderung junger Frauen. Da jedoch der Gender-Mainstream auch für die technologische Seite der Medien- und Netzkompetenz fortwirkt, ist das Ziel wahrscheinlich nur langfristig und zunächst teilweise zu erreichen: "Designerin wollten 35% der Mädchen werden, Ärztin 35%, Journalistin 25%, Stewardess 22%, Architektin 25%. Bei den Jungen sind die Vorlieben eindeutiger: 33% wollen Software entwickeln, 30% Informatiker werden, 24% EDV-Fachmann, 24% KFZ-Mechaniker", beziehen sich die Publizisten der GirlsdayWebseite auf eine Allensbach-Befragung von Teenagern zu "Traumberufen" aus dem Jahre 1999. Und: "... fehlt den Betrieben gerade in technischen Bereichen zunehmend der qualifizierte Nachwuchs. " lässt allerdings handfeste wirtschaftliche Interessen an der Verwertung fachlich-qualifizierter weiblicher Berufstätigkeit vermuten – eine erfolgversprechendere Bedingung als bloße Politiker-Verlautbarungen es wären (vgl. auch VDI-Forderung). Das könnte ein deutliches Signal für die allmähliche Auflösung des GenderMainstreaming in der beruflichen Sozialisation sein. Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation kann jungen Frauen lebenslang Selbstverwirklichungschancen eröffnen, die Altersgefährtinnen um 1970 höchstens in einigen akademischen Berufen gleichberechtigt wahrzunehmen möglich war. 4. Diskursivität oder Visualität? In der Diskussion um die Neuen Medien spielt der Gesichtspunkt veränderter Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Die Menschen "reagierten" auf die sie überströmende Informationsflutwelle mit dem rationierten Zuteilen ihrer knappen Ressource Aufmerksamkeit. Da das Bild als analoger Reiz schneller rezipiert würde als der zu entschlüsselnde Text, würden Bilder-Botschaften bevorzugt ausgewählt. Jugendliche seien darin Erwachsenen gegenüber überlegen. Sie hätten keine Probleme mit schnellen Schnittfolgen z. B. in Videoclips und Werbespots. Das Leitbild der Aufklärung, auch der "Neo-Aufklärung" der Frankfurter Schule, ist am reflexiven, deutenden Sinnverstehen festgemacht, am idealen Diskurs der vernünftigen Sprecher und an der Struktur der Sprache als einem codiertem Symbolsystem (vg. Habermas und Baacke in 1.2.4.). Die neue Visualität in der Wahrnehmung Jugendlicher erscheint damit vielen Päd-agogen als Gefahr für das Sinnverstehen überhaupt, die sich verändernde Wahrnehmungsstruktur als eine Bedrohung tradierter kultureller Werte. 1. Der Diskurs als Leitbild für Kompetenz um 1970 Huber und Mandl qualifizieren das Lesen als prinzipiell förderlich für kognitive Entwicklung und verschieden von z. B. Fernsehkonsum: "Ein Autor hat (...) sein Wissen (...) als semantische Struktur im Text vergegenständlicht, (...) die sich ein Leser mittels Verstehensoperationen aneignet." (Huber, Mandl in Hurrelmann/Ulich (Hg) 1998). Schreiben und Lesen jedoch bedeutet Zeitverbrauch, und "(...) es setzt auch voraus, dass ein bestimmter Umgang mit der Zeit des Lesens in Übung bleibt, anerkannt ist als Wert und weitervermittelt wird."- die Muße, ein Buch linear durchzulesen, Schriftzeichen zu Wörtern, Wörtern zu Sätzen, Sätze zu Sinneinheiten fügen, zu verweilen, zu betrachten ist Voraussetzung seinen Inhalt zu verstehen. Das Lesen ähnelt dem Diskurs: Reflektieren des kommunizierten Inhaltes, ihn weiterdenken in neue, eigene Ideen, - und antworten. Es erfordert das Kennen des Hintergrundes (Text = "Gewebe") verschiedener Beziehungen und Bezüge, um sich die Deutung verstehend zugänglich zu machen. Lesen und Schreiben seien somit die basalen Kulturtechniken. Somit war Bildung vor allem Belesenheit. Ein belesener Mensch sei fähig zum (idealen) Diskurs, zum Finden der Wahrheit und zum Verwirklichen von Demokratie. Im Verständnis der Vertreter der Kritischen Theorie verhinderten die Produkte der Bewusstseinsindustrie, wozu sie auch die grell bebilderten Presseerzeugnisse zählten, bei ihren Rezipienten das autonome Selbstdenken. Für Jean Paul Sartre stehen Lesen, Kreativität und Freiheit in einem untrennbaren Zusammenhang: "Der Leser hat das Bewusstsein, gleichzeitig zu enthüllen und zu schaffen. (...) Lesen ist gelenktes Schaffen. (...) Und da dieses gelenkte Schaffen ein absoluter Anfang ist, wird es also durch die Freiheit des Lesers bewirkt, durch die Freiheit in ihrer reinsten Form." (Sartre 1958 in Brackert / Lämmert, hg. 1976, T.1, S.20-21). Auch Rolf Grimminger schreibt dem Lesen und der Literalität hohen humanistischen Bildungswert zu: "Jede Reflexion über Texte, jede Interpretation hat zur Voraussetzung, dass die vom Leser entworfenen und psychisch existierenden Deutungen wieder mit dem Text verglichen und somit kontrolliert werden können. (...) Der literarische Diskurs (konnte) nur deshalb als Raum humaner Selbstbestimmung und Freiheit begriffen werden." (Grimminger 1972 a. a. O. S.27) Texte sind also Sinn-Gewebe, gemacht aus einem geradlinig zu verfolgenden "roten" Faden, der das Auffordern zum Weiterspinnen und Weiterweben kommuniziert. 2. Visualität als Sprache der netzbasierten Interaktivität um 2000 Im Verständnis vieler lese- und schriftsprachlich sozialisierter Lehrer und Erzieher scheint die neue Art der Rezipierens diesem humanistischen Ideal entgegen zu stehen. "Die Allgegenwart der Medien veroberflächlicht die Wahrnehmungen, intensiviert die Gegenwartsorientierung. (...) Schnelles Signalentziffern findet (...) vornehmlich symbolträchtig an der Oberfläche statt (...) so scheint sich nichts mehr hinter dem Gezeigten zu verbergen, das ehemals noch tiefenstrukturell im historischen Wissen und in Traditionen verankert war." (Ferchhoff in Schell, Stolzenburg, Theunert, S. 214) Jugendliche, in der Welt der neuen Medien und mit neuen Sehgewohnheiten aufgewachsen ("MTV-Generation") jedoch machen eben gerade das andere Rezipientenverhalten zum Feld ihrer eigenen, abgegrenzten Erfahrungen. Ferchhoff erkennt darin Bedarf für pädagogisches Handeln, aber auch jugendgemäßes Ablöseverhalten: "(...) heutige Bilderfluten und audiovisuelle Räusche (sind) das blanke Gegenprogramm zum geduldigen Abwarten-Können (...) und zum analytisch-tiefenstrukturellen Aufsuchen eines "roten Fadens" (...), verbunden mit der Diskursivität der Sprache. (...) Und dieser mediale, vor allem audiovisuelle Informationsvorrat an jugendkulturellen Ressourcen, Deutungsangeboten und Signalen steht uns (...) mit unserem zuweilen gestörten Verhältnis zum vorgesetzten (...) Bild nicht zur Verfügung." (A.a.O. S.214). Auch Baacke, der 1973 noch die Tiefenstruktur und Diskursivität der Sprache als Quelle sozialer Innovation bezeichnet hatte (vgl. 1.2.3.), stellt 1999 ähnliches wie Ferchhoff fest: "(Jugendliche) wenden sich beim Sehen und Hören Angeboten zu, die sich insbesondere durch Schnelligkeit, raffinierte ästhetisch bricolierte Vergegenwärtigungen und höchst komplexe Wahrnehmungsmuster auszeichnen – alles Dinge, die zum pädagogischen Denken und Handeln querstehen (das), gelenkt und (...) orientiert an Rationalitätskriterien und immer wieder überführt in die Diskursivität (etwa von Begriffen). Die Wahrnehmungszukünfte der neuen Mediengeneration orientieren sich an einem neuen Zeitalter des visuellen Denkens, in den Formen analoger Wahrnehmungen. (Baacke, Opladen 1999). Hier wird deutlich, dass das Machtgefälle zwischen Älteren und Jüngeren, dass Machtfragen auch im Klassenzimmer die theoretische Problematik überlagern und eine ideologische Komponente hinzufügen. Machtinteressen (Verwertbarkeit der "bereitgestellten" Arbeitskräfte) sind auch im Spiel, wenn Wirtschaftsverbände z. B. fordern, die Schule von althumanistischem Ballast zu befreien und die Medienkompetenz allein an IT-Technologiebeherrschung festmachen wollen. Einige Theoretiker regen an, die neue, schnelle, visualisierte und analoge Wahrnehmung, verknüpft mit Grundlagenwissen an Informationstechnologie, als vierte Kulturtechnik zu lehren und zu lernen: "Je vielfältiger die medialen Welten werden, desto größerer Anpassungsleistungen bedarf es, sich (...) zurecht zu finden. Die Decodierung von Bildinformationen gehört hier genauso zu den notwendigen Kompetenzen wie die Kommunikation in Datennetzen." (R. Stang in v. Rein (Hg) S.150) A. Müller Maguhn schließlich bringt auch die Sprache der Neuen Medien in einen emanzipatorischen Kontext: "Das Internet (...) zeigt sehr gut, warum es nötig ist, Lesen und Schreiben noch einmal neu zu lernen. (...) dass (...) sich ein Teil des gesellschaftlichen Lebens in den Netzwerken abspielen wird. Das Recht, als Informationssender in frei zugänglichen Netzwerken auftreten zu können, stellt ein fundamentales Selbstverwirklichungsrecht in der Informationsgesellschaft dar." (Müller Maguhn a. a. O. S.167). Hier ist nicht nur die Sprache schnell wechselnder Bildzeichen, sondern auch das Lesen von Hypertext gemeint. Hypertext ist nicht geradlinig, sondern je nach individuellem Informationsbedarf zu lesen. Er ist kein Gewebe, sondern eher ein unverbindliches Angebot, längere und kürzere, verschiedenfarbige Fäden unterschiedlicher Material-Beschaffenheit zu engem oder weitem Netz miteinander zu verknüpfen - oder lose liegen zu lassen. Baacke erweitert und aktualisiert sein Konzept der kommunikativen Kompetenz 1998 und definiert "Medienkompetenz (...) als Teilmenge der kommunikativen Kompetenz (...), als Aufgabe lebenslangen Lernens." (Baacke 1998) Sie sei lernbar und operationalisierbar. Dimensionen der Operationalisierung von Medienkompetenz umfasse Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. Damit ist ein pädagogisches Konzept des aktiven Aneignens vorgestellt, das auf Integration, auf Vernetzung der Medien zielt. Es sei der sich verändernden vernetzten Gesellschaft angemessen. Dem "Sinngewebe" (Text) als Symbol für (schrift)sprachliche Diskursivität wäre somit das Netzwerk über- und zugeordnet. Patchwork und Bricolage machen sich Jugendliche zu eigen, um sich Vorgefundenes anzuverwandeln. Die Metaphorik der textilen Techniken (für basale Kulturtechniken) schließt ein, dass als Grundmaterial flexible Fäden gemacht werden: "Spinnen" von Gedanken und Ideen liegt allem Weben und Knüpfen, Wirken und Patchworking voraus. Der pädagogischen Konzeption von Baacke entspricht die Theorie der Medienwissenschaftlerin Carmen Luke. Sie fordert das Integrieren der "Reading"- und der "Visual Literacy" in eine übergreifende Medien-Lesefähigkeit: Multiliteralität. "A multiliteracy of digital electronic `texts` is based on notions of hybridity and intertextuality. Meaning making from the multiple linguistic, audio, and symbolic visual graphics of hypertext means that the cyberspace navigator must draw on a range of knowledges about traditional and newly blended genres or representational conventions, cultural and symbolis codes, as well as linguistically codes and software driven meanings." (C. Luke 2001) Walther C. Zimmerli führt an: "Nicht mehr das in sich autonome und kognitiv autarke Individuum zählt, sondern dieses nur zusammen mit seiner technologischen Verknüpfung zu anderen Individuen und zu externen Wissensbeständen (...) Gebildet ist, wer weiß wie und mit welcher technischen Hilfe man sucht, was als latentes Wissen im Netz steht." (Zimmerli 2002, S.33) Der Autor hält das visuell-technologische mit dem diskursiv-dialogischen Wahrnehmen für miteinander vereinbar: "Das aber heißt, dass Bildung in einer technologischen Wissensgesellschaft nicht anachronistisch und überflüssig, sondern zeitgemäß, zukunftweisend und absolut notwendig ist. (...) Damit (...) erhält auch die klassische Bildungsidee ihre alte Funktion zurück: Sie stellt den Rahmen für das bereit, was unsere gemeinsame Identität ausmacht." (a. a. O. S.33) 3.4.3. Medienpädagogisches Nachdenken über das Ergebnis der PISAStudie: visual literacy, reading literacy oder media literacy? In diesem Sinne wird deutlich, dass das stufenweise aufeinander Aufbauen und netzartig Aufeinander Bezogensein der verschiedenen Medien hierarchisch mit den primären Medien während der Primärsozialisation beginnt. In der öffentlich stark beachteten PISA-Studie 2001 wurden Ergebnisse zu Untersuchungen kognitiver Fähigkeiten bei 15-Jährigen vorgelegt. Dieser Studie zu Folge schnitten Schüler der BRD im OECD-Vergleichsmaßstab eher schlecht ab: unterdurchschnittliche Fähigkeit, gelesene Texte verstehend zu interpretieren überdurchschnittlich große Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in der Lesefähigkeit / umgekehrtes Verhältnis bei mathematischen Fähigkeiten überdurchschnittlich hohe Korrelation hoher Leistungen mit hohem Sozialstatus der Eltern und entsprechend niedrige Leistungen mit niedrigem Sozialstatus, Defizite besonders bei ausländischen Schülern Es liegt nahe, diese Ergebnisse im Blickwinkel der bisher dargelegten Schwerpunkte in der Medien-Sozialisation zu interpretieren. Demnach ist das Bildungsziel "Multiliteralität" noch entfernt. Defizitär stellt sich besonders die Lesefähigkeit ("alte" Medien) dar. Immerhin gibt die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Hildegard Bulmahn, in ihrer Rede vor dem Kongress Forum Bildung am 10. Januar 2002 einige Richtlinien für notwendige Konsequenzen an. Sie nennt (1.) die Wichtigkeit besserer Bildung der Sprachund Lesefähigkeit in den ersten Lebensjahren, verlangt (2.) die bessere Unterstützung der beim Bildungszugang Benachteiligten und fordert (3.) "den Grundsatz des lebensbegleitenden Lernens konsequent in unserem Bildungssystem zu verankern." Dies müsse durch das Bereitstellen "einer zweiten und einer dritten Chance" (z. B. für Jugendliche und Erwachsene ohne Berufsabschluss) flankiert werden. Die Ministerin kündigt weitere Initiativen zur systematischen Einbindung neuer Medien und IT-Technologien in die Lehr- und Lernprozesse an sowie zur Vernetzung von Schulen mit anderen öffentlichen Institutionen sowie wirtschaftsnahen Organisationen ("Lernende Region") an. (http://www.bmbf.de/pub/mr-20020110.pdf) Eine der zentralen Schlussfolgerungen von "PISA" und "TIMSS" betrifft die Aus- und Weiterbildung von Lehrern und Erziehern: "Eine stärkere Praxisorientierung und die konsequente Weiterbildung sind ein absolutes Muss." Die Politikerin fasst die Erkenntnisse zusammen "dass Bildung eine Hauptrolle in der Gesellschaft von morgen spielen wird." und : "Das Leben muss in die Schule zurückkehren." (A. a. O.). Aus dieser Stellungnahme spricht u. a., dass die unbequeme Einsicht in die Mangelhaftigkeit gerade des institutionalisierten deutschen Bildungswesens die politische Entscheidungsebene endlich erreicht hat. Eine Bildungstradition, gewachsen in über zwei Jahrhunderten staatlich organisierten Schulwesens, initiiert von den progressiven Impulsen der Aufklärung sowie der Kritischen Theorie und vermeintlich beispielhaft für andere Länder, ist offenbar den Anforderungen der IT-Gesellschaft nicht gewachsen. Es ist vielmehr reformbedürftig – braucht dringend ein "Update", um wieder lebensnah zu sein. Am 6.3.2002 berichtet dieselbe Politikerin u. a. von verschiedenen Initiativen zur Ausstattung aller Schulen und der berufsbildenden Einrichtungen sowie der öffentlichen Bibliotheken mit netzfähiger Hardware und verweist auf die erhebliche Investitionen für Aktionen wie "Anschluss statt Ausschluss" oder "Frauen ans Netz" zur Integration Benachteiligter. Sie betont, dass die Entwicklung sinnvoll aufbereiteter multimedialer Lernsoftware die materielle Ausstattung der Bildungseinrichtungen mit Computern begleiten muss. (http://www.bmbf.de/pub/mr20020306.pdf) Diese Richtung der Aktivitäten verweist darauf, dass Defizite auch in der "Media literacy" verortet werden. Damit im Zusammenhang sind mediendidaktische Voraussetzungen (Lernsoftware) aktualisierungsbedürftig. Als notwendige politische Konsequenz ist ein besseres, zeitgemäßes, sozialschichts-, altersund geschlechtsübergreifendes Fördern der Medienkompetenz erkannt. Diese Medienkompetenz schließt sowohl die diskursförmige, geradlinige Lese-, Schreib- und Verstehenskompetenz als auch die neue, netzförmige Form des Lesens ein. Somit ist "Multiliteralität" in bildungspolitisch großem Maßstab "ins Visier" genommen. 3. Pädagogischer Handlungsbedarf im Zeitalter der Wissens- und Informationsgesellschaft Vom erfolgreichen Umsetzen der erkannten Ziele werden u. a. die Lebenschancen der heute 16-20Jährigen abhängen. Die Sichtweise "lebenslanges Lernen" wird für diese jungen Menschen u. a. für die berufliche Sozialisation, die familiale und die staatsbürgerlich-politische Sozialisation Weichen stellen. 1. Medien-"Quantensprung" und Informationsflut in der Lebenswelt der älteren Erwachsenen (Lehrer, Ausbilder, Eltern von Jugendlichen) Die professionellen Erzieher, mehrheitlich im reifen Erwachsenenalter, sind entscheidende "Schnittstelle" für das Verwirklichen des anspruchsvollen Ziels. Es ist sinnvoll, auch Menschen dieses biografischen Abschnittes in ihrer Lebenswirklichkeit zu betrachten (vgl. 3.1. Lebensaufgaben-Konzept Ericson). Beruflich sozialisiert in einer Zeit, als der versprachlichte, verschriftlichte und professionalisierte Diskurs noch uneingeschränktes Leitprogramm von Erziehung zur Demokratie war, identifizieren viele pädagogisch Berufstätigen diese ihre hohe Qualifikation als einen bestimmenden Teil ihres Selbstverständnisses. Ein grundlegender Wandel des gesellschaftlichen Umfeldes, wie der in den letzten 10 Jahren vollzogene, setzt Menschen unter Anpassungsdruck und ist mit psychischer Beanspruchung (Stress) verbunden. Antje von Rein thematisiert Ängste und Unsicherheiten der älteren Erwachsenen in der Welt der Neuen Medien und fordert ein offensives Auseinandersetzen. Das bedeutet ein um die Neuen Medien erweitertes Verständnis von kommunikativer Kompetenz. Erwachsenenbildung müsse den spezifischen Lernbedürfnis und der Lebenslage von nachholend Lernenden Rechnung tragen. Ihr Aneignen der Sprache der Neuen Medien vollziehe sich in anderen biografischen Zusammenhängen als das der "Hineingewachsenen". "Wenn Medienkompetenz unter pädagogischen Gesichtspunkten nicht nur eine Anpassungsleistung erbringen und eine nachvollziehende kognitive Seite haben soll, dann bedeutet Medienkompetenz im Kontext Erwachsenenbildung insbesondere die Entwicklung von Dialogfähigkeit gerade auch über neue Medienentwicklungen." (v. Rein 1996 S.15) – so fasst die Autorin die Grundlage erfolgreichen Lernens des Umgangs mit den neuen Medien zusammen. Für Lehrer und Erzieher bedeutet es ein Aktualisieren ihres beruflichen Handlungswissens. Das zu akzeptieren und in die berufliche Identität zu integrieren, steht an Bedeutsamkeit der Lebensaufgabe "Identität finden", recht nahe. Pädagogisch beruflich Tätige, deren "Zöglinge" im Entwicklungsabschnitt 16.-20. Lebensjahr stehen, sehen sich mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert: Einerseits müssen sie die Sprache der Neuen Medien nachholend und meist berufsbegleitend lernen, andererseits müssen sie Fragen von Herrschaft und Autorität im Klassenraum neu überdenken. Zählt doch die Macht des gesprochenen Wortes nicht mehr allein. Vielmehr steht ein junges Expertentum der "visual literacy" ihnen frontal gegenüber. Zu diesen den ohnehin schon psychisch anspruchsvollen Erzieher-Beruf erschwerenden Bedingungen kommt weiterer Druck. Er geht z. T. von der Elternschaft, besonders aber von der medialen Öffentlichkeit aus. Zielgruppenorientiert arbeitende Publizisten und Politiker bedienten und bedienen mit z. T. tendenziösen Interpretationen der PISA- und der TIMSSStudie ein Publikum, das für komplexe Zusammenhänge einfache Erklärungen vorzieht: Lehrer seien zu gut versorgt, schlecht motiviert oder unfähig. Dabei bleibt außen vor, dass Lehrer hoffnungslos überfrachtet sind mit der Forderung, die Konflikte einer multiethnischen, multikulturellen, multimediatisierten Gesellschaft des gespaltenen Arbeitsmarktes, des beschleunigten Wertewandels und der verschärften sozialen Gegensätze allein zu lösen. Vielmehr reflektieren sich all diese vielfältigen gesamtgesellschaftlichen Konfliktpotenziale in der Schul- und Ausbildungswirklichkeit. Die Wissensangebote der Medienwelt sind prinzipiell unendlich; die Deutungsmacht in Gestalt öffentlicher Kontrolle nimmt ab. 4.2. Neues Nachdenken über Erziehung zur Medien-Kompetenz Helga Theunert kennzeichnet die offensive Haltung reifer erwachsener, diskursiv gebildeter Erzieherpersönlichkeiten, diese Anforderungen zu meistern: "Wie auch immer die Multimedia-Welt sich realisieren wird, die Medienpädagogik muss mit den Fakten umgehen, und zwar vorausschauend. (...) Zentrale Aufgabe von Erziehung und Bildung ist es, für das Leben unter zukünftigen Bedingungen zu befähigen und die Menschen zugleich in den Stand zu versetzen, inhumanen, irreführenden, ausbeuterischen, verdummenden Zumutungen zu widerstehen. (...) Es geht (auch) darum, die Symbiose verschiedener Medien, das Mediennetz, in den Blick zu nehmen. Und es geht darum, herauszufinden, (...) welche Kompetenzen sie brauchen, um mit diesem Netz Sinnvolles zu tun." (Theunert a. a.O. S.61-62) Die Diskursivität bleibt "Kernkompetenz" der beruflich handlungsfähigen Erzieherpersönlichkeit. Medienkompetenz ist verstanden als Teilmenge der kommunikativen Kompetenz, nicht umgekehrt. Die in beruflicher Sozialisation erworbene Fähigkeit zum analytischen wie intuitiven hermeneutischen Entschlüsseln und Sinndeuten kann aktiven Erziehern Schlüssel sein zum Verstehen auch der sich wandelnden Wirklichkeit, des "Zöglings" wie des eigenen Selbst in der Problemlage. 3. Neues Verhältnis Erzieher – Zögling gestalten Der Erzieher nimmt eine neue Rolle als ein Lernender an – und das im Spannungsfeld der sich wandelnden Alters-, Geschlechts- und Berufsrollenmuster. Wie dargestellt, haben Heranwachsende den älteren Erwachsenen ein Stück selbstverständliche Umgangserfahrung mit den Neuen Medien voraus. Erzieher mit ihrer ihnen gegenüber überlegenen diskursiven Kompetenz sollten soweit professionellen Überblick haben, das pädagogische Verhältnis zum Zögling nicht zum Feld für Medien-"Kompetenzgerangel" degenerieren zu lassen. Die Jugendlichen würden das falsch verstandene Autoritätsbestreben herausspüren. Anerkennt der Lehrende die frühzeitig erworbene, netzgemäße visuelle Wahrnehmungsweise bei Jugendlichen und signalisiert ihnen Lernbereitschaft, so kann das die Grundlage eines partnerschaftlichen Verhältnisses Lehrer-Schüler werden. Der/die Jugendliche wird eher bereit sein, den Berater in Fragen der diskursiven Sprachlichkeit und "reading literacy" zu akzeptieren. Auf diese Weise kommt dem Jugendlichen ein Stück vorgelebte "Lernende Organisation" sowie unmittelbarer, lebendiger Erfahrungswert in Sachen "long life learning" in der Multi-Media-Welt zugute, "und zwar beginnend in der Kindheit und fortwährend begleitend durch alle Altersstufen, auch (und vielleicht vor allem) im Erwachsenenalter." (A. a. O. S. 63) 4.3.1. Geändertes Berufsrollenverständnis Als Akteur in einer "Hauptrolle in der Gesellschaft von morgen" (vgl. Zitat Bulmahn in 3.4.3.) ist dem Erzieher ein neues Berufsrollenverständnis, verbunden mit höherer gesellschaftlicher Wertschätzung angemessen. In einer Welt, in der sich tendenziell viele Grenzen zugleich auflösen, kann Erziehung nicht ein organisatorisch und institutionell weitgehend abgegrenzter, von Erziehern allein zu bearbeitender und zu verantwortender Bereich bleiben. Im diskursiven Denken, Sprechen und Schreiben Erfahrene sind in der Lage, ihre Interessen zu wahren, z. B. dem durch Medien geformten Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit offensiv und innerhalb demokratischer wie Medien-Organisationen korrigierend entgegen zu treten. Die Frage, warum die in den legislativen Gremien überdurchschnittlich vertretene Gruppe der Lehrer das nicht in stärkerem Maße praktiziert, bleibt der Autorin dieser Arbeit offen. Sie hält es für unabdingbar, die verschärften erzieherischen Probleme innerhalb der mediatisierten Welt stärker im öffentlichen Raum zu kommunizieren. Bessere, vor allem praxisbezogenere Aus- und Weiterbildung sind erforderlich. Das betrifft auch Lehrer der Sekundarstufe und besonders der Berufsschulen, Berufsfachschulen, Gymnasien sowie die betrieblichen Ausbilder. Der Schwerpunkt muss mehr als bisher auf der pädagogischen Kompetenz statt vorwiegend auf unterrichtsfachlicher Spezialisierung liegen. Den "PISA"-Ergebnissen zufolge lassen sich bei zu vielen Schülern deutliche Defizite in einer ganzheitlichen Erziehung zur Medienkompetenz (verstanden als Teilmenge kommunikativer Kompetenz) erkennen. Sie jedoch setzt bei Menschen im 2. Lebensjahrzehnt relativ spät ein, vor allem bei denen mit ungünstiger Primärsozialisation. Offenbar fehlt bei überdurchschnittlich vielen Schülern nicht die "visual literacy", sondern "reading literacy", das verstehende Lesen. Verwiesen auf die Szene der Jugendkulturen mit ihrer oft reduziert-oberflächlichen Wahrnehmungsweise und intolerant-stereotyper Ausgrenzungs-Tendenz, brauchen soziokulturell Benachteiligte ergänzende Erfahrungsräume, in denen sie alternativ das Muster diskursiv-demokratischen Aushandelns kennen und leben lernen. Schule und Ausbildungseinrichtung jedoch vergeben statuszuweisende Zertifikate. Lehrer sind den Schülern nicht nur Partner, sondern üben Selektions-Macht aus. Ergänzend zum Lern- und Selektionsfeld Schule sind also jugendgemäße Räume zu schaffen, in denen die Heranwachsenden professionell betreut ansatzweise Primärsozialisation nachholen können: Aushandeln von gegensätzlichen Positionen, das gewaltfreie Verarbeiten von Konflikten, Sprechen einer der Achtung und Toleranz adäquaten Sprache. (Sprachliche) Kommunikation kreiert Wirklichkeit. Sie sollte prinzipiell "besser" sein als die der Gewaltvideos und anderer zweifelhafter Überangebote, denen Schüler mit ungünstig entwickelten struktursequenziellen Deutungsmustern (vgl. 1.2.2.) oft distanzlos gegenüber stehen. Das Schulmodell der "Just Community", entwickelt von Lawrence Kohlberg speziell zur demokratischen Erziehung, fordert als überdenkenswertes Beispiel zum Realisieren auf. Heranwachsende, die frustrierende Erfahrungen in vielen kommunikativen Beziehungen gleichzeitig verarbeiten müssen (Schule/Ausbildung, Eltern, Gleichaltrigengruppe, Geschlechtspartnerschaft), brauchen spezielle Betreuung zum Bestehen der krisenhaften Situation – und Angebote gewaltfreier Problemlösemuster. Nach der Tragödie von Erfurt ist professionelle Sozialarbeit in den Schulen und Ausbildungseinrichtungen speziell für Adoleszenzkrisen-Klienten aktueller denn je. Die Realität der städtischen Lebensräume, die Geist- und Kopflastigkeit der westlichen Kultur lässt Jugendlichen wenig Raum für Körpererfahrung. Öffentliche Sport- und Freizeiteinrichtungen sind oft von anderen Gruppen dominiert bzw. besetzt. Sozialpädagogisch kreatives und jugendgemäßes Eingehen auf die Körper-Bezogenheit der Entwicklungsphase Adoleszenz kann Defizite abbauen helfen und AggressivitätsGefährdungen entschärfen. Das Reservieren von Räumen für Mädchen und junge Frauen ist bereits erwähnt. Baackes Operationalisierungs-Konzept entspricht auch, Heranwachsenden mehr Möglichkeiten zum kreativen Medien-Gestalten alternativ zu denen in den eigendynamischen Peegroups einzuräumen. Sich die Synthese der verschiedenen Medien anzueignen, fordert fächerübergreifendes Lernen. Die didaktischen Materialien sollen selbstverständlich und kreativ Neue und "alte" Medien miteinander verbinden. Projektunterricht auch in der Sekundarstufe kann das vorzugsweise leisten. Darüber hinaus braucht der Unterricht in den musischen Fächern Bildende Kunst, Musik und Literatur sowie im Sport wieder angemessene Bewertung im Fächerkanon: Das Deuten von visuellen Bildern, audiotiver Klänge, das Verstehen literarischer Texte sowie der Körpersprache sind unverzichtbare Bestandteile der Erziehung zur Multiliteralität. 2. Altersrollen-Verständnis Die soziale Gegenwart um 2000 zeigt das Bild einer "alternden Gesellschaft". In Ferchhoffs Analyse kommt das Sich-Auflösen auch traditioneller Altersrollen zur Sprache. Er thematisiert besonders das Verschieben des Machtgefälles hin zu den Jüngeren. Ältere neigten dazu, sich auf "sichere" Positionen wie Titel und Besitzstände zurückzuziehen bzw. sie zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund ist der Aspekt Alterstruktur in der die Berufsgruppe der Lehrer überdenkenswert. Das Durchschnittsalter der hauptberuflich tätigen Lehrkräfte an Allgemeinbildenden und beruflichen Schulen beträgt 47,3; an beruflichen Schulen 47,7 Jahre. Die Gruppe der über 50-Jährigen ist mit 44% überdurchschnittlich vertreten (Angaben Statistisches Bundesamt v. 3.5.2002 zum Datenstand 2000/01). Es sind die im Schuldienst bewährten Emissäre des Siebziger-Bildungsbooms. Professionelle Erzieher von Trägern der image-befrachteten Jugendkultur sind gefordert, sich mit dem medial vermittelten Jugendkult offensiv auseinander zu setzen – und ihr Selbstverständnis als Altersrollen-Inhaber vor diesem Hintergrund zu reflektieren. Ihre Stellung im Spannungsfeld zwischen Identifizierung mit den Jugendlichen einerseits und Abgrenzen bzw. Sichern der eigenen Altersrollen-Identität andererseits müssen sie kritisch und jeder für sich hinterfragen. Kollegiale Selbsthilfe-Gruppen und professionell betreute Supervision können zusätzlich Unterstützung in allen Konfliktsituationen leisten. 3. Andere Lernprozesse in neuer Lernkultur Wie dargelegt, ist Faktenwissen zunehmend schnellerem Verfall und zudem unter der Bedingung der "Informationsflut" inflationärer Entwertung unterworfen. Die Menge des Wissens wird immer unübersichtlicher. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Wissen in prinzipiell offener Form zu vermitteln, um Wissensbestände anschlussfähig und die Wissensträger (Schüler) navigationstüchtig und ich-stark zu machen. Alte Unterrichtsmodelle wie die des "Einprägens", Abfragens, Zensuren- und PunkteVerteilens für Faktenwissen bedürfen der Überprüfung, ob sie den neuen Anforderungen noch entsprechen. Die Geschichte des deutschen Bildungswesens wurzelt in preußischer Tradition, dem Streben nach (hierarchischer) Ordnung und Perfektion. Falsch/Richtig = Gut/Schlecht entspringt dem (unerfüllbaren) Wunsch, in einer eindeutig und übersichtlich strukturierten, perfekten, eher geschlossenen statt offenen Welt zu leben. Es ist das Denkschema vieler Lehrer bis heute. Es verzerrt zudem die Lernmotivation, indem es die hierarchische Machtstruktur zwischen Lehrer und Schüler herauskehrt. Den Anforderungen der Multi-Media-Welt eher entsprechen würde ein didaktisch neues Denken: Weg von der einbahnstraßenartigen Vorstellung richtigfalsch, hin zu einem mehrdimensionalen Denken in vielen netzartig verknüpfbaren Möglichkeiten. Nicht nur das Zulassen verschiedener Lösungswege, sondern das bewusste Fördern kreativer Ansätze beim Herangehen an die Aufgaben ist gefragt. Das Trainieren von Problemlöse-Fähigkeit bei den Schülern erfordert vom Lehrenden, dass er die Relativität des Wissens prinzipiell anerkennt. Fehler sind nicht mehr nur sanktionierend mit Rotstift "anzukreiden", sondern dem Lernenden als eine produktive Herausforderung nahe zu legen. Dazu muss der Lehrer u. U. auch bereit sein, ein Stück seiner "Stärke", d. h. ein vermeintlich sicherndes System überlegenen Fach- und Faktenwissens dieser Relativität anheim zu geben. Das bedeutet eine neue Kultur der Kommunikation im Lernprozess – und ein prinzipiell neues Verständnis für nachhaltig anwendbares Wissen. Der Vorrat an scheinbar bewährtem didaktischem Material einschließlich multimedialer "neuer" Lernsoftware muss kritisch gesichtet werden. Bestand haben sollte das, was die Lernenden nicht von vornherein auf eine oder wenige Lösungen hinlenkt, sondern die Weite und Offenheit der Wirklichkeit widerspiegelt. Das Modell der einen, richtigen Lösung dauerhaft im Lernprozess zu verfestigen bedeutet, den Lernenden ein unbrauchbares, trügerisches Wirklichkeitsbild zu kommunizieren. Auch die Form der Kommunikation im Unterricht ist bedeutsam: Gesprächs-Kreis oder frontal ist nicht egal. Dieie Diskursgestalt aller auf Beziehungsebene relevanten Kommunikationsprozesse (wie in Kohlbergs Schulmodell der Just Community) für den Unterricht ist ein Angebot für das Lernen von kommunikativer Kompetenz. Friedrich Schönweis fasst das Ziel einer neuen Lernkultur so zusammen: "Eine große Chance, dieses fatale Missverständnis von Bildung aufzubrechen, es würde sich nur um einen reinen Paukstoff handeln, sehe ich auf zwei Ebenen: 1. einmal im Bezug auf Fehler 2. darin, sich mit Hilfe der Elektronik darum zu bemühen, (...) jene Momente der Bildung einzufangen, für die sich im normalen Unterricht (...) kein Raum findet (...): Öffnung der Schule, fächerübergreifendes Lernen, Forschen und Studieren, Integration vorund außerschulischer Interessen, Berücksichtigen individueller Lernbedürfnisse etc." (F. Schönweis in Gogolin/Lenzen 1999, S. 392) 3. Neue Medien – Chance oder Risiko für das Leitbild vom autonomen Subjekt? In den insbesondere ab 4. dargelegten Zusammenhängen wird deutlich, dass es keine sinnvolle Alternative dazu gibt, die Neuen Medien zu akzeptieren. Die multimediale Informations-Gesellschaft vereint Chancen und Risiken in sich. Es geht nicht für oder wider Neue Medien, sondern darum, Heranwachsende für das Leben in der Multi-Media-Welt zu befähigen. Das aufklärerische Bildungsideal Humboldts und auch das Ideal des herrschaftsfreien Diskurses Habermas` sind nicht ad acta, sondern aktualisierungsbedürftig. Innerhalb des Themenschwerpunktes "Bildung und Erziehung zur Medienkompetenz 16-20Jähriger" ist bisher der Aspekt Wirtschaft und Politik in der Multi-Media-Gesellschaft wenig beachtet. Unter der Blickrichtung "autonomes Subjekt" kommt es jedoch auch und gerade darauf an, wie sich der junge Mensch als Kunde auf dem umkämpften Käufermarkt und als Wähler im poltischen Spektrum verhält: Autonom-souverän oder willig manipulierbar? Als Kunde wie als Wähler ist er umworben und besetzt Machtpositionen. Beide Felder, das marktwirtschaftlich organisierte wie das demokratischpolitische sind als Wirklichkeit vor allem medial repräsentiert und kommuniziert. Um diese soziale Tatsache herum hat sich die kommunikationswissenschaftlich und marktorientierte Public Relation (PR)Professionalität als Dienstleister für effizienten Zugang zum Entscheider etabliert. Auf dem Frankfurter Kongress (April 2002) der Deutschen Public Relations Gesellschaft DPRG, der Berufsorganisation der PR-Profis, stellte Christian Blümelhuber fest: "Die alte Vorstellung vom aktiven, offensiven Unternehmen und den passiven, lediglich konsumierenden Kunden ist endgültig passé. Die Aktivitäten drehen sich in vielen Märkten um. Und auch die Macht in den Beziehungsgeflechten wird neu verteilt. Es sind in zunehmendem Maße die Kunden (...), die den aktiven und offensiven Part einnehmen und sich ins Zentrum der Kommunikation rücken. (...) Knapp ist nicht die Information, sondern die Aufmerksamkeit. (...) Die Kunden schlüpfen also in die Rolle des (...) Anbieters von Aufmerksamkeit, einer zwingend an den Menschen gebundenen, nicht vermehrbaren und (...) deswegen so wertvollen Ressource. (...) Das verlangt eine learning relationship, also den Ausbau und die Pflege einer engen Beziehung zum Kunden." (http://www.dprg.de/dprg/index.htm.) Der ehemalige Politiker Peter Radunski vermerkt: "Politik muss visualisiert, emotional unterhaltend und anschaulich inszeniert sein, wenn Aufmerksamkeit erregt werden soll. Tempo, Bilder, Inszenierung (...) und Unterhaltung sind der Rohstoff effektiver politischer Kommunikation. Der Eindruck und der Schein, den Politik vermittelt, steht im Vordergrund." (A. a. O., Hervorhebung.: MW) Diese Zitate stellen klar: Der Medienrezipient ist Entscheidungsträger, den zu beeinflussen sich die gesamte mächtige Kommunikationsbranche zum Ziel setzt. Dem Heranwachsenden innerhalb der Operationalisierungs-Dimensionen Medienkunde/Medienkritik diese seine Machtposition als Entscheider verantwortungsbewusst annehmen zu lehren, kann naheliegenderweise nicht den Medien-Mächtigen überlassen bleiben. Es ist das vornehmliche Kompetenzfeld der öffentlichen Bildungsinstitutionen. Hartmut v. Hentig sagt dazu: "Die Schule (muss) vor allem lehren, was das Leben nicht lehrt, was aber für seine Erhaltung und Würde notwendig ist. (...) Die Schule muss und darf das Gemeinte – ideale Verhältnisse – im Sinn haben, wenn sie auf das Wirkliche – reale Verhältnisse - vorbereitet. Sie muss die Schwäche der Medienwelt (...) aufwiegen – beide: den Schein und den Schrott." (H. v. Hentig in Gogolin/Lenzen 1999 S. 39) Zwei optimistische Tendenzen weist Blümelhubers Beitrag immerhin aus: Erstens: PR-Profis stellen sich darauf ein, es mit autonomen, kommunikativ kompetenten Subjekten zu tun zu haben. Zweitens: Kommunikative Kompetenz mit dem Schwerpunkt Beziehungs-Management wird zunehmend wichtige Schlüsselqualifikation in einer Wachstums-Branche. Das lässt hoffen, dass diese bisher vorwiegend weibliche Kompetenz Markt-Nachfrage, also Aufwertung erfährt. Der Risikofaktor, der sich hier präsentiert, liegt vor allem in der erwartbaren zunehmenden Aggressivität bzw. schleichenden Subtilität von Taktiken, die Aufmerksamkeit zu gewinnen und in dem fortgesetzten Trend hin zum Oberflächlichen, schnellstmöglich Eingängigen. 4. Wissen und Erfahrung zusammenführen: Ein integrativer medienpädagogischer Ansatz Christian Doelker stellt einen medientheoretischen und -pädagogischen Ansatz vor, der Erklärungswert für die erzieherische Verantwortung in der Informationsflut aufweist: Doelker bezieht sich ähnlich wie Baacke 1973 (vgl. Zitat in 1.1.1.) auf die über Jahrzehntausende alte Geschichte der Medien und sieht der Erfindung der Schrift einen Meilenstein. Er markiere den Beginn der in der Kultur folgenreichen Spaltung von tradierten, vorrätigen Wissensbeständen einerseits und gelebtem, internalisierten und persönlichen (Erfahrungs-)Wissen andererseits. Menschen lebten mit der Erfahrung im Vordergrund ihrer aktuellen Lebenswelt und griffen bei Bedarf auf die gespeicherten Wissensvorräte im Hintergrund zurück. Dieser Spaltung entspricht die Beschreibung von Pross (vgl. 1.1.1.) von der Schrift als einem vom Menschen losgelösten Signal, dass sich zwischen Sender und Empfänger schiebt und "Mediatisierung", Entfremdung erzeugt. Nach Doelker habe der Wissens-Hintergrund im Zeitalter der Neuen Medien eine nicht mehr zu durchdringende Tiefe erreicht. Alltagswelt besteht aus Medienprodukten. Die Medienbetreiber konkurrieren darum, möglicht viel ihrer spezifischen Informationen in den gelebten Vordergrund ihrer jeweiligen Zielpersonen zu platzieren – und das in sich steigernder Intensität und Aggressivität (vgl. 4.4.) Der erfahrbare Alltag gestalte sich auf diesem Wege härter, rauer, werde zum Markt- und Kampfplatz der Medienmächtigen und verwandle damit den Alltag zurück in das Feld eines Darwinschen Struggle for Life: Dort verdrängten schrille visuelle und auditive Zeichen die Wortbeiträge wie z. B. Argumentationsketten, hergeleitete diskursive Begründungen, auf Tradition reflektierende diffizilere Zeichen von der "Bild"-Fläche. Diesem kulturpessimistischen Ausblick stellt Doelker eine pädagogische Handlungs- und Zielperspektive als mögliche Alternative entgegen: Dem Menschen die Möglichkeit zu lehren, "Daten dieses Hintergrunds selber abzurufen, aus eigener Entscheidung und eigener Initiative" (Doelker 2001 S. 395400), statt sie sich fremdbestimmt aufdrängen zu lassen. Ein zweiter medienpädagogischer Handlungsbedarf sei "auf die Medien Einfluss nehmen lernen, als Bürger oder Bürgerin für die Gestaltung der Medienlandschaft besorgt sein.", d. h. staatsbürgerliche Verantwortung kennen und wahrnehmen lernen. "... ein dritter Handlungsbedarf (ergibt sich), aus der medialen Umweltüberlastung hinsichtlich Vordergrund/V-Horizont und der sich explosiv entwickelnden Datenproduktion im Hintergrund/H-Horizont die richtigen und wichtigen Informationen auswählen zu lernen. (...) Im Hinblick auf eine lebensvernünftige Informationsselektion müssen wir die Erfahrungsperspektive einführen. Erfahrung ist Wissen, das lebensweltlich umgesetzt wird (und) zur Lebenstüchtigkeit beiträgt." Vierter Schwerpunkt medienpädagogischen Handlungsbedarfs sei das effektive Nutzen der Möglichkeit, Fremderfahrung für die Gestaltung des eigenen Erfahrungshorizonts einzubeziehen. Doelker leitet daraus einen fünften Handlungsbedarf ab: "Es geht darum, dass auch eine Spaßgesellschaft gewisse zentrale Botschaften und Anliegen ernst zu nehmen lernt, bevor ihr durch äußere Ereignisse das Lachen schlagartig vergeht, (...) also nicht `Amusing to death`, sondern `training for life`." (A. a. O.) In Doelkers Formulierung aktuellen medienpädagogischen Handlungsbedarfs zeigen sich inhaltliche Parallelen zur Analyse Baackes von 1973 (vgl. auch Zitate in 1.2.3. und 2.1.3) Das Individuum müsse lernen, zu den von Massenmedien vermittelten Botschaften Distanz herzustellen und sie auf seine persönliche Erfahrungswelt zu beziehen. "Kompetenz soll dabei meinen die Verfügbarkeit über Strategien zur Lösung von Problemen aus eigener Kraft" (Baacke 1973, S. 238). Die Operationalisierungen des Medienkompetenz-Lernens, die Baacke 1999 ergänzte, gelten analog auch für Doelkers Ansatz: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. 4. Zusammenfassung, Stellungnahme Während Baacke um 1970 mit kommunikativer Kompetenz eine Forderung nach Freiheit und Autonomie des "Homo Communicator" erhebt, stellt Doelker im Jahre 2002 seine Ausführungen zusätzlich in den Kontext einer Überlebensfrage tradierter kultureller Werte und der menschlichen Species in ihrer hochentwickelten Form. Im Multi-Media-Zeitalter hängt von der Frage, ob die heranwachsenden Generationen kommunikativ inclusive medien-kompetent seien, der ganzheitliche Zusammenhalt der tradierten mit der neuen Medienkultur ab. Die medienwissenschaftliche bzw. -pädagogische Begriffsbestimmung von Medienkompetenz hat sich innerhalb der miteinander verglichenen historischen Bezogenheit seit 1970 inhaltlich nicht gravierend verändert: War sie um 1970 eine Forderung nach Erhalt der Selbstbestimmungsrechte aller Menschen in einer von Massenmedien beherrschten Lebenswelt, so ist sie um 2000 zu einer Forderung nach Erhalt der ganzheitlichen menschlichen Existenzweise geworden. Medienkompetenz stellt sich heute nicht mehr nur als Programmatik einer linken Bewegung dar, sondern sie betrifft alle, denen es um die lebendige überlieferte Kultur, um die Synthese der tradierten mit den Neuen Medien geht. Damit erfasst sie zusätzlich und gerade konservative Interessenlagen. Medienkompetenz als Teilmenge kommunikativer Kompetenz ist nicht mehr nur die Idee einer linksrevolutionären Minderheit, sondern gesellschaftlich konsensstiftend im Sinne von Not-wendig: Ivan Ilichs Buch mit dem Titel "Entschulung der Gesellschaft", zuerst erschienen 1970, kündigt Hartmut von Hentig in seinem Vorwort als revolutionierend und "gefährlich" an; es "würde einschlagen wie eine Bombe" (Hentig in Ilich 1973 S.10). Ilich stellt die neomarxistische Programmatik gegen die überlebte, institutionalisierte instrumentalisierte Schule von 1970 vor – und ist um 2002 politisch übergreifend aktuell: Er verlangt eine Öffnung und ein neues Verständnis von Schule: "dass wir uns auf selbstmotiviertes Lernen stützen können, (...) dass wir dem Lernenden neue Verbindungen zur Welt erschließen können, anstatt alle Bildungsprogramme durch den Lehrer zu leiten". (A.a.O. S.81) D. Baacke zitiert 1998 mit ebendiesen Gedanken schulübergreifenden, erfahrungsnahen, lebenslangen Lernens das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung Soest: "Die (medienpädagogischen) Bemühungen sind angesichts der Herausforderungen der Medien- und Informationsgesellschaft als völlig unzureichend zu bewerten, wenn sie nicht ergänzt und fortgeführt werden durch außerschulische und weiterbildende Maßnahmen (...) Die Vermittlung von Medienkompetenz muss (...) zu einem wichtigeren und notwendigerem Teil von Allgemeinbildung werden." (Baacke 1998). 4. Quellen / Literatur Baacke, D.(1973): Kommunikation und Kompetenz. Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien. München Baacke, D. (1999): Medienkompetenz: theoretisch erschließend und praktisch folgenreich. In: medien + erziehung. H.1 Baacke, D. (1999): Die neue Medien-Generation im New Age of Visual Thinking: Kinder und Jugendkultur in der Medienkultur. In: Gogolin/Lenzen (Hg) Medien-Generation. Beiträge zum 16. 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